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Trunkenheit im Verkehr § 316 Herzog 5445 § 316 Trunkenheit im Verkehr (1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht. Herzog Literatur Bär , Rechtsprechung des Bayerischen Oberlandesgerichts in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldverfahren, DAR 1991, 361; Bieniek, Drogenkonsum und Straßenverkehr, StV 1995, 437; Bilzer, Zur Frage der forensischen Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse, BA 1994, 1; Böllinger, Drogenpraxis, Drogen- recht, Drogenpolitik (1992); Bönke, Die neue Bußgeldvorschrift gegen Drogen im Straßenverkehr (§ 24a II StVG), NZV 1998, 393 ff; Cramer , Die Austauschbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis gegen ein Fahrverbot, NJW 1968, 1764; Fahl, Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB: Zur Fahruntüchtigkeit von Radfahrern, JA 1998, 448 ff.; ders.: Zur Festsetzung einer Promillegrenze für Radfahrer, NZV 1996, 307 ff.; ders.: Ärger mit einer unwiderleglichen Beweisregel, DAR 1996, 393 ff.; Geppert, Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) und Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB), in: Jura 2001, 559 ff.; Gerchow u.a., Die Berechnung der maximalen Blutalkoholkonzentration und ihr Beweiswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, BA 1985, 77; ders., Alkohol und Drogenkriminalität unter dem Aspekt neuerer Entwicklungen, BA 1985, 152; Grohmann, 1,10/1,15 Promille – Folgen für das geltende und das zukünftige Promillerecht, BA 1991, 84; Groth, Blutalkohol unter Anwesenheit von n-Butylacetat (1991), 166; Grüner, Zur Qualitätssicherung der Blutalkoholbestimmung (1991), 360; ders./Ludwig, Zur forensi- schen Verwertbarkeit der Analysenergebnisse von weniger als fünf (vier) Blutalkoholbestimmungen aus einer Blutprobe, BA 1990, 316; Haase, Blutalkoholberechnungen bei Alkoholstraftaten im Straßenver- kehr, insbesondere unter Berücksichtigung eines Nachtrunks, in: ZfS 2004, 149 ff.; Hagen/Iffland, Virtu- elle Alkohol- oder Trunkenheitsfahrten, in: DAR 2002, 475 ff.; Harbort, Zum Verkehrsgefährdungs- Profil der Amphetaminderivate („Ecstasy“), in: NZV 1998, 17 ff.; ders.: Indikatoren für rauschmittelbe- dingte Fahrunsicherheit, NZV 1996, 219 ff.; ders.: Zur Annahme von Vorsatz bei drogenbedingter Fahrunsicherheit, NZV 1996, 432 ff.; Hartung, Das ärztliche Gutachten im Verkehrsstrafrecht aus der Sicht des Richters, BA 1975, 162; Haubrich, Zum Nachweis der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt, DAR 1982, 285; Heifer/Wehner, Zur Frage des Ethanol-„Resorptionsdefizits“, BA 1988, 299; Hentschel, Fahrerlaubnis und Alkohol, 3. Aufl. (1994), zitiert: FE und Alkohol; ders., Die so genannte absolute Fahruntüchtigkeit nach dem Beschluss des BGH vom 28.06.1990, NZV 1991, 329; ders. Trunken- heit.Fahrerlaubnisentzug. Fahrverbot, 9. Auflage (2003), zitiert: TFF; ders., Zum Vorsatz bei den §§ 315 I 1a, 316, DAR 1993, 449; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. (2003); Himmelreich/ Halm, Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und –bußgeldsachen, in: NStZ 2004 317 ff.; Himmelreich/Lessing, Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und –bußgeldsa- chen, in: NStZ 2002, 301 ff.; Iffland/Hentschel, Sind nach dem Stand der Forschung Atemalkoholmes- sungen gerichtsverwertbar?, NZV 1999, 489 ff.; Janiszewski, Andere berauschende Mittel, BA 1987, 243; ders., Neue Erkenntnisse, neue Grenzen? DAR 1990, 415; ders., Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004); Janker, Polizeiliche Maßnahmen bei Drogendelikten im Straßenverkehr, in: DAR 2003, 489 ff.; Janker, Der langsame Abschied von der Blutprobe – Aktuelle Fragen zum Führen von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss nach § 24a Abs. 1 StVG sowie § 316 StGB, in: DAR 2002, 49 ff.; Jessnitzer, Eigene Sachkunde des Richters bei der Rückrechnung, BA 1978, 315; Joerden, Der Fahrzeugführer hinter dem Fahrzeugführer – eine akzeptable Rechtsfigur?, in: BA 40 (2003), 104 ff.; Kauert, Drogenkonsum und Fahruntüchtigkeit aus medizinisch-toxikologischer Sicht, in: BA 39 (2002), 102 ff König, Promillearith- metik im Verkehrsstraf- und –ordnungswidrigkeitenrecht, in: JA 2003, 131 ff.; Konzak/Hüting, Eine Blut- alkoholkonzentration von 1,1 Promille als neuer Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit, Jura 1991, 241; Krüger, Absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,0 Promille/Die falsch gesetzte Grenze, BA 1990, 182; Lange, Zur neuen Promillegrenze des Bundesgerichtshofs, JZ 1991, 1071; Laurell/Törnus, Akute und Katerwirkung des Alkohols auf die Leistung im simulierten Fahrversuch, BA 1991, 24; Maatz, Rechtli- che Anforderungen an medizinische Befunde zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit, BA 1995, 97; ders./ Mille, Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs, DRiZ 1993, 18; Mösl, Rechtsprechungsübersicht: Zum Strafzumessungsrecht, NStZ 1982, 453; Nehm, Abkehr von der Suche nach Drogengrenzwerten, DAR 1993, 377; Peters, Der Nachweis der „relativen“ Fahruntüchtigkeit durch regelwidriges Fahrverhal- ten, MDR 1991, 487; Pluisch, Medikamente im Straßenverkehr, NZV 1999, 1ff.; Reinhardt/Zink, Die STGB_Band_2.book Seite 5445 Montag, 20. 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Trunkenheit im Verkehr § 316

Herzog 5445

§ 316 Trunkenheit im Verkehr(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genussesalkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, dasFahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafebestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.(2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.

HerzogLiteraturBär, Rechtsprechung des Bayerischen Oberlandesgerichts in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldverfahren,DAR 1991, 361; Bieniek, Drogenkonsum und Straßenverkehr, StV 1995, 437; Bilzer, Zur Frage derforensischen Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse, BA 1994, 1; Böllinger, Drogenpraxis, Drogen-recht, Drogenpolitik (1992); Bönke, Die neue Bußgeldvorschrift gegen Drogen im Straßenverkehr (§ 24aII StVG), NZV 1998, 393 ff; Cramer, Die Austauschbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis gegen einFahrverbot, NJW 1968, 1764; Fahl, Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB: Zur Fahruntüchtigkeit vonRadfahrern, JA 1998, 448 ff.; ders.: Zur Festsetzung einer Promillegrenze für Radfahrer, NZV 1996,307 ff.; ders.: Ärger mit einer unwiderleglichen Beweisregel, DAR 1996, 393 ff.; Geppert, Gefährdungdes Straßenverkehrs (§ 315c StGB) und Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB), in: Jura 2001, 559 ff.;Gerchow u.a., Die Berechnung der maximalen Blutalkoholkonzentration und ihr Beweiswert für dieBeurteilung der Schuldfähigkeit, BA 1985, 77; ders., Alkohol und Drogenkriminalität unter dem Aspektneuerer Entwicklungen, BA 1985, 152; Grohmann, 1,10/1,15 Promille – Folgen für das geltende und daszukünftige Promillerecht, BA 1991, 84; Groth, Blutalkohol unter Anwesenheit von n-Butylacetat (1991),166; Grüner, Zur Qualitätssicherung der Blutalkoholbestimmung (1991), 360; ders./Ludwig, Zur forensi-schen Verwertbarkeit der Analysenergebnisse von weniger als fünf (vier) Blutalkoholbestimmungen auseiner Blutprobe, BA 1990, 316; Haase, Blutalkoholberechnungen bei Alkoholstraftaten im Straßenver-kehr, insbesondere unter Berücksichtigung eines Nachtrunks, in: ZfS 2004, 149 ff.; Hagen/Iffland, Virtu-elle Alkohol- oder Trunkenheitsfahrten, in: DAR 2002, 475 ff.; Harbort, Zum Verkehrsgefährdungs-Profil der Amphetaminderivate („Ecstasy“), in: NZV 1998, 17 ff.; ders.: Indikatoren für rauschmittelbe-dingte Fahrunsicherheit, NZV 1996, 219 ff.; ders.: Zur Annahme von Vorsatz bei drogenbedingterFahrunsicherheit, NZV 1996, 432 ff.; Hartung, Das ärztliche Gutachten im Verkehrsstrafrecht aus derSicht des Richters, BA 1975, 162; Haubrich, Zum Nachweis der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt, DAR1982, 285; Heifer/Wehner, Zur Frage des Ethanol-„Resorptionsdefizits“, BA 1988, 299; Hentschel,Fahrerlaubnis und Alkohol, 3. Aufl. (1994), zitiert: FE und Alkohol; ders., Die so genannte absoluteFahruntüchtigkeit nach dem Beschluss des BGH vom 28.06.1990, NZV 1991, 329; ders. Trunken-heit.Fahrerlaubnisentzug. Fahrverbot, 9. Auflage (2003), zitiert: TFF; ders., Zum Vorsatz bei den§§ 315 I 1a, 316, DAR 1993, 449; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. (2003); Himmelreich/Halm, Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und –bußgeldsachen, in: NStZ 2004317 ff.; Himmelreich/Lessing, Überblick über neue Entscheidungen in Verkehrsstraf- und –bußgeldsa-chen, in: NStZ 2002, 301 ff.; Iffland/Hentschel, Sind nach dem Stand der Forschung Atemalkoholmes-sungen gerichtsverwertbar?, NZV 1999, 489 ff.; Janiszewski, Andere berauschende Mittel, BA 1987,243; ders., Neue Erkenntnisse, neue Grenzen? DAR 1990, 415; ders., Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004);Janker, Polizeiliche Maßnahmen bei Drogendelikten im Straßenverkehr, in: DAR 2003, 489 ff.; Janker,Der langsame Abschied von der Blutprobe – Aktuelle Fragen zum Führen von Kraftfahrzeugen unterAlkoholeinfluss nach § 24a Abs. 1 StVG sowie § 316 StGB, in: DAR 2002, 49 ff.; Jessnitzer, EigeneSachkunde des Richters bei der Rückrechnung, BA 1978, 315; Joerden, Der Fahrzeugführer hinter demFahrzeugführer – eine akzeptable Rechtsfigur?, in: BA 40 (2003), 104 ff.; Kauert, Drogenkonsum undFahruntüchtigkeit aus medizinisch-toxikologischer Sicht, in: BA 39 (2002), 102 ff König, Promillearith-metik im Verkehrsstraf- und –ordnungswidrigkeitenrecht, in: JA 2003, 131 ff.; Konzak/Hüting, Eine Blut-alkoholkonzentration von 1,1 Promille als neuer Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit, Jura 1991,241; Krüger, Absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,0 Promille/Die falsch gesetzte Grenze, BA 1990, 182;Lange, Zur neuen Promillegrenze des Bundesgerichtshofs, JZ 1991, 1071; Laurell/Törnus, Akute undKaterwirkung des Alkohols auf die Leistung im simulierten Fahrversuch, BA 1991, 24; Maatz, Rechtli-che Anforderungen an medizinische Befunde zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit, BA 1995, 97; ders./Mille, Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs, DRiZ 1993, 18; Mösl, Rechtsprechungsübersicht:Zum Strafzumessungsrecht, NStZ 1982, 453; Nehm, Abkehr von der Suche nach Drogengrenzwerten,DAR 1993, 377; Peters, Der Nachweis der „relativen“ Fahruntüchtigkeit durch regelwidriges Fahrverhal-ten, MDR 1991, 487; Pluisch, Medikamente im Straßenverkehr, NZV 1999, 1ff.; Reinhardt/Zink, Die

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§ 316 28. Abschnitt

5446 Herzog

Berechnung der Tatzeit-BAK zur Beurteilung der Schuldfähigkeit, BA 196, 327; Röttgering, Vorsatz-Feststellungen bei Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr, ZfS 2000, 134 ff.; Sachs, Die Beweiskraftvon Blutalkoholergebnissen bei Abweichungen von den Richtlinien zur Blutentnahme und zur Bestim-mung des Alkohols, NJW 1987, 2915; Salger, Korrekte Berechnung der BAK, DRiZ 1989, 174; ders.,Vorsatz bei Trunkenheitsfahrt, DRiZ 1993, 311; Schmidt/Dettmeyer/Padosch/Madea, Beweiswert rechts-medizinischer Begutachtungskriterien zur Feststellung der relativen alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit,in: BA 41 (2004), 1: Schneble, Verschulden bei Trunkenheitsdelikten aus juristischer Sicht, BA 1984,281; Seier, Die Handlungseinheit von Dauerdelikten im Straßenverkehr, NZV 1990, 129; Seifert, Zurstrafrechtlichen Behandlung der Trunkenheit am Ruder, NZV 1997, 147 ff.; Sudmeyer, Nochmals: Zurstrafrechtlichen Behandlung der Trunkenheit am Ruder, NZV 1997, 340 f.; Sunder, Zum Begriff des„Führens eines Kraftfahrzeugs“, BA 1989, 297; Trunk, Fahrunsicherheit nach Haschischkonsum, NZV1991, 258.

I. Tatbestandsstruktur1 1. § 316 setzt im Unterschied zu § 315c keine konkrete Gefährdung anderer Personen oder

Sachen voraus, stellt folglich einen abstrakten Gefährdungstatbestand dar (JaniszewskiDAR 1990, 415; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 1).

2 Das Universalrechtsgut „Sicherheit des Verkehrs“ soll vor der allgemeinen Gefährlichkeit desFahrzeugführens unter Alkoholeinwirkung geschützt werden (BayObLG NZV 1992, 453). Esweist den einleitend geforderten Bezug auf Individualrechtsgüter durch den hohen Anteil per-sonenschädigender Verkehrsunfälle auf: 2002 gab es 451.399 Unfälle mit Personenschädenwegen Fehlverhaltens der Fahrzeugführer (d.h. 41.918 weniger als 1999). Davon sind 29.636Unfälle auf mangelnde Verkehrstüchtigkeit (2.370 weniger als 1999) und darunter 23.565(2.810 weniger als 1999) Unfälle auf den Alkoholeinfluss der Fahrzeugführer zurückzuführen(Statistisches Bundesamt, „Statistisches Jahrbuch 2003 für die Bundesrepublik Deutschland“).

3 2. § 316 wird durch die Ordnungswidrigkeit des § 24a StVG ergänzt. Diese kommt immerdann zur Anwendung, wenn ein KfZ trotz einer Blutalkoholkonzentration (BAK) zwischen 0,5Promille und 1,1 Promille geführt wurde, aber eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit (Fu)i.S.d. § 316 nicht nachweisbar ist (Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 1; Janis-zewski VerkehrsstrafR Rn 402 ff.). (Der Grenzwert des § 24a StVG wurde durch das Gesetz zurÄnderung des StVG vom 27. 4. 1998, BGBl. I 795, von 0,8 auf 0,5 herabgesetzt; siehe auch:König, JA 2003, 131 ff.). Jedoch gilt – soweit § 316 gegeben ist – § 21 OWiG, was bedeutet,dass § 24a StVG praktisch ausscheidet. Ist nicht bestimmbar, ob § 316 oder § 24a StVG vor-liegt, greift (in dubio pro reo) nur § 24a StVG ein.

4 3. Das Vergehen nach § 316 ist eine Dauerstraftat. Sie beginnt mit Fahrtantritt im Zustand derFu und endet regelmäßig, sobald die Fahrt endgültig beendet oder die Fahrsicherheit währendder Fahrt wiedererlangt ist (SK-Horn Rn 15; BGH NJW 1983, 1744; Hentschel Rn 37). Durchkurze Unterbrechungen der Fahrt (etwa zum Zwecke des Tankens; vgl. Seier NZV 1990, 129,130, der hier natürliche Handlungseinheit annimmt) oder Motivänderungen des Täters währendder Tat (vgl. BGH NJW 1983, 1744) zerfällt die Dauerstraftat nicht in zwei rechtlich selbststän-dige Teile (Tröndle/Fischer Rn 56). In Frage kommt dann nur Verurteilung nach § 316 wegeneiner Dauerstraftat.

Allerdings kann im Fall einer Fahrtunterbrechung und anschließend neuem Entschluss zur Wei-terfahrt zwecks Unfallflucht (§ 142) eine selbstständige, zweite Fahrt liegen (BGHSt 21, 203;23, 141; umfassend Seier NZV 1990, 129).

II. Objektiver Tatbestand5 Der objektive Tatbestand verlangt, dass jemand im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er sich

in einem rauschbedingten, die sichere Führung ausschließenden Zustand befindet.

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Trunkenheit im Verkehr § 316

Herzog 5447

1. Führen eines Fahrzeugs im Verkehr6Zum Begriff des „Verkehrs“ verweist die Vorschrift durch den Klammervermerk ausdrücklich

auf die §§ 315-315d. Folglich betrifft sie alle Bereiche des öffentlichen Verkehrs, also denSchienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehr, vor allem aber den Straßenverkehr.Fahrzeuge sind Beförderungsmittel jedweder Art, unabhängig davon, ob sie motorisiert sindoder nicht, also auch Fahrräder, Fuhrwerke etc. (mit Ausnahme der in § 24 I StVO genanntenbesonderen Fortbewegungsmittel; zum Regelungsbedarf für Inline-Skater, vgl. oben § 315bRn 4). Auch ein motorisierter Krankenfahrstuhl soll darunter fallen (BayObLG VRS 99, 367).

7Nach der nunmehr herrschenden Meinung verlangt der Begriff des „Führens“ nachdrücklichein erfolgreiches Inbewegungsetzen des KfZ (Geppert, Jura 2001, 559 (561); BGHSt 35, 390;krit. dazu Hentschel JR 1990, 31; u.abl. Sunder BA 1989, 297; BayObLG NZV 1992, 197;OLG Karlsruhe NZV 1992, 493). Folglich beginnt das Führen eines Fahrzeugs frühestens mitder Bewegung der Räder. Bloße Vorbereitungs- oder Versuchsakte am stehenden KfZ wie dasSetzen auf den Fahrersitz eines fahrbereiten Wagens (BGH NJW 1989, 724), Anlassen desMotors (BGH NJW 1989, 723), Einschalten der Zündung (AG Homburg VRS 74, 28) und auchder vergebliche Versuch, ein steckengebliebenes Fahrzeug freizubekommen (OLG KarlsruheNZV 1992, 493), reichen nicht aus. Freilich genügt jedoch schon das Abrollen auf einer Gefäl-lestrecke ohne Motorkraft (BGHSt 35, 393) oder das Lenken eines abgeschleppten Fahrzeuges(BGHSt 36, 341 = BGH NJW 1990, 1245; OLG Celle NZV 1989, 317; OLG Hamm DAR1999, 178 f.), da insoweit das Fahrzeug gefährdend in den Verkehr gebracht wird. Ein Fahrzeugführt deswegen auch, wer auf einem Fahrrad mit den Füßen keinen Bodenkontakt mehr hat (LGFrankfurt VM 1986, 7; ausführlich: Hentschel TFF Rn 338 ff., speziell zum Fahrrad: Rn 343).Jedoch setzt Führen ein willentliches Handeln voraus und liegt somit nicht vor, wenn das Fahr-zeug ungewollt ins Rollen kommt (OLG Frankfurt NZV 1990, 277; OLG Düsseldorf NZV1992, 197). Da auf das Fahrzeug (Antriebs-, Lenkmechanismus) beim Fahren ständig einge-wirkt wird, ist das Führen regelmäßig ein positives Tun (BGHSt 8, 10). Trunkenheit im Ver-kehr „durch Unterlassen“ ist abzulehnen, da die Konstruktion, denjenigen, der es in einer Nüch-ternheitsphase unterlassen hat, sich seines Fahrzeugs zu entledigen, aus § 316 zu bestrafen,einer natürlichen Betrachtungsweise fern und daher überspannt ist (vgl. SK-Horn § 316 Rn 9a).Nach Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 20 sollen aber Handlungen erfasst sein,die erst nach Beendigung der Fahrt vorgenommen werden, wie zum Beispiel das Nichtanziehender Handbremse. Dies mag auf den ersten Blick sinnfällig erscheinen, wenn man sich das Ver-lassen eines Fahrzeugs durch den alkoholisierten Fahrzeugführer vor Augen hält; freilich wirdman hier schwer an Einlassungen vorbeikommen, dass Benutzung und/oder Funktion der Fest-haltebremse aus anderen Gründen versagt haben.

8§ 316 ist ein eigenhändiges Delikt. Täter kann demnach nur sein, wer das Fahrzeug selbst(eigenhändig) führt, sich also aller oder zumindest eines Teils der wesentlichen technischenEinrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind (BGHSt 36,343). Folglich ist die Täterschaft eines Halters, der einem anderen das Steuer überlässt, ausge-schlossen (OLG Celle NJW 1965, 1773). In Betracht kommt dann nur Anstiftung oder Beihilfe.Auch arbeitsteiliges Führen mehrerer Personen (Steuern, Gas geben, Bremsen) ist möglich;als Führer eines Fahrzeugs ist jede Person anzusehen, sofern sie nur auf die Fortbewegung desKfZ einen wesentlichen Einfluss ausübt (BGHSt 13, 227; Schönke/Schröder/Cramer/Stern-berg-Lieben Rn 23; vgl. auch Hentschel TFF Rn 357). So führt auch der Lenker eines abge-schleppten Fahrzeugs dieses – arbeitsteilig – i.S.v. § 316 (h.M.: BGH NZV 1990, 157; Anm.Hentschel JR 1991, 113; OLG Hamm DAR 1999, 178 f.; vgl. auch Janiszewski Rn 327). Füh-ren eines KfZ liegt indes nicht vor beim Ins-Lenkrad-Greifen gegen den Willen des Führers(OLG Köln VRS 40, 187). Bei Übungs- und Prüfungsfahrten ist sowohl der Fahrlehrer als auchder Fahrschüler Kraftfahrzeugführer (Janiszewksi/Burmann Rn 2; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 23; AG Cottbus NStZ 2002, 546; krit. bis ablehnend Joerden BA 40(2003), 104 ff.).

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§ 316 28. Abschnitt

5448 Herzog

2. Fahrunsicherheit (Fu)9 Fu liegt vor, wenn der Täter (infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer

Rauschmittel) nicht in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu steuern (BGHSt 13, 83). Die Fuhängt nicht bloß vom Trunkenheitsgrad, sondern von der Gesamtleistungsfähigkeit des Fah-rers ab. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere ein Kraftfahrer nicht erst bei psycho-phy-sischen Ausfallerscheinungen fahrunsicher i.S.d. § 316 (s.a. § 315c I 1a) ist, sondern schondann, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, besonders infolge Enthemmung sowie geistig-see-lischer und körperlicher Leistungsausfälle, so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist,sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichemAuftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (BGHSt 13, 83; 21, 160; 34, 135;Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 4; Geppert, Jura 2001, 559 (561)).

10 Die Fu muss durch Alkohol oder andere Rauschmittel verursacht sein, wobei der Begriff„Genuss“ weit auszulegen ist – eine lustbetonte Empfindung ist eben gerade nicht erforderlich(s. auch § 323a Rn 23; BayObLG NZV 1990, 317; Janiszewski Rn 333), eine widerwillige Ein-nahme (z.B. von Medikamenten) genügt (vgl. Janiszewksi BA 1987, 243, 246; BayObLG NJW1990, 2334 m.w.N.). Bei Medikamenten ist hier zu beachten, dass nur solche Medikamenteerfasst sind, die unter den Begriff der berauschenden Mittel fallen. Eine durch die Einnahmeanderer Medikamente verursachte Fahruntüchtigkeit erfüllt den Tatbestand des § 316 nicht(vgl. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 5; Tröndle/Fischer Rn 10).

11 Die bedeutsamste Rolle bei der Herbeiführung der Fu spielt in der Praxis die Alkoholauf-nahme (zum Nachweis der Fu bei Konsum anderer BtM siehe unten Rn 26). Alkohol wirkt inunterschiedlicher Weise auf den Menschen und somit auf die Fahrsicherheit eines Fahrzeugfüh-rers. Es können sowohl körperliche und geistige Einzelfähigkeiten (z.B. Sehschärfe) beein-trächtigt sein, als auch geistig-seelische Ausfallerscheinungen – die zu Persönlichkeitsverände-rungen, unter denen das verkehrssoziale Verhalten leidet, führen (z.B. Enthemmung) – dieFolge sein (LK-König Rn 16; ausführlich Janiszewski VerkehrsstrafR Rn 339 ff.). Bedeutsamsind vor allem die Störungen des Koordinationsvermögens, der Geschicklichkeit und des Reak-tionsvermögens, auch die Aufmerksamkeit lässt bald nach. Schließlich kommt es zu Schädi-gungen der höheren geistigen Leistungen – wie Besonnenheit und Umsicht, der Rücksicht-nahme und ethischen Haltung. Folgen sind Enthemmung, Kritiklosigkeit, euphorischeSelbstüberschätzung, eine Minderung des Verantwortungsbewusstseins sowie erhöhte Risiko-bereitschaft. Ein gesteigertes subjektives Leistungsgefühl entspricht dann regelmäßig nichtdem tatsächlichen objektiven Leistungsvermögen (BGA-Gutachten 1966, 43/44).

Bedeutsam ist, dass schon nach verhältnismäßig geringfügiger Alkoholaufnahme mit diesenverkehrsgefährlichen Erscheinungen zu rechnen ist. Der Grad der Leistungsminderung hängtdabei von verschiedenen Faktoren wie der Trinkmenge, -zeit und -geschwindigkeit (OLGHamm VRS 5, 397), der körperlichen Konstitution und Alkoholempfindlichkeit oder dernebenher eingenommenen Speisenmenge ab. Ausreichend ist eine Mitursächlichkeit desAlkohols für die Fu (vgl. OLG Köln NZV 1989, 357). Das gilt z.B. im Zusammenwirken mitÜbermüdung (BGHSt 13, 90; OLG Köln a.a.O.), Nikotingenuss (OLG Hamm DAR 1960,235), niedrigem Blutdruck (BayObLG VRS 38, 112), Krankheit (BayObLG NJW 1968, 1200)oder Medikamenteneinnahme (OLG Hamburg NJW 1967, 1522). Der Alkohol muss freilich„unmittelbar“ mitursächlich für die Fu sein, auch muss die Tatzeit-BAK zumindest denBereich der relativen Fu erreicht haben (OLG Köln a.a.O.).

12 Für den Nachweis der alkoholbedingten Fu ist das entscheidende Beweisanzeichen die BAK(vgl. BGHSt 31, 44). Hinzukommen müssen jedoch weitere Faktoren wie die Fahrweise(BGHSt 8, 28) sowie Verhalten vor, bei und nach der Tat. Mit zunehmender BAK nimmt dieBedeutung der übrigen Beweisanzeichen jedoch ab (OLG Düsseldorf VRS 81, 450 m.w.N.). Sotritt alkoholbedingte Fu in der Regel bei einer BAK von 0,5 Promille ein (BGHSt 13, 278[281]), kann jedoch schon bei einer BAK von 0,3 Promille bestehen (BGH VRS 49, 429). Bei0,8 Promille hält das BGA die Fu bereits für wahrscheinlich, ab 1,0 Promille bei allen Kraftfah-

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rern für absolut gegeben (BGA-Gutachten 42 ff.; zusf. Hentschel NZV 1991, 329). Die Recht-sprechung trägt diesen naturwissenschaftlichen gesicherten Erkenntnissen Rechnung, indemsie zwischen absoluter und relativer Fu unterscheidet. Damit bildet sie zur Feststellung desMerkmals „Fu“ zwei Fallgruppen mit unterschiedlicher Beweisführung hinsichtlich derjeweiligen Verwirklichung (BGHSt 31, 44).

13a) Absolute Fahrunsicherheit (Fu). 13Absolute Fu ist nach der neuen BGH-Rechtspre-chung für alle Führer von Kraftfahrzeugen (also auch Krafträder, Mopeds und Mofas) bei einerBAK ab 1,1 Promille unabhängig von weiteren Beweisanzeichen gegeben (BGHSt 37, 89 [95];Janiszewski NStZ 1990, 49B; BayObLG NJW 1990, 2833; krit. Krüger BA 1990, 182; LangeJZ 1991, 1071; Konzak/Hüting Jura 1991, 241; zusf. Grohmann BA 1991, 84 alle m.w.N.; kri-tisch zur Grenzwertfestlegung Fahl DAR 1996, 395 f.). Ein Gegenbeweis z.B. durch eineTrinkprobe (BGHSt 10, 266) oder längeres einwandfreies Fahren (BGHSt 5, 168) ist unzuläs-sig (Geppert, Jura 2001, 559 (561); Janker, DAR 2002, 49). Abweichend von dem ursprüngli-chen Grenzwert von 1,3 Promille (BGHSt 21, 157), der sich aus dem Grundwert von 1,1 Pro-mille und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille zusammensetzte (vgl. BGA-Gutachten1966), nimmt der BGH nun aufgrund neuerer Ergebnisse der Alkoholforschung (BGA-Gutach-ten 1989 in NZV 1990, 104) an, dass bereits eine BAK von 1,0 Promille den Wert darstellt, beidem jeder Kraftfahrer absolut fahrunsicher ist. Auch wurde der Sicherheitszuschlag von 0,2Promille auf 0,1 Promille, aufgrund der größeren Genauigkeiten der Messungen der BA-Ana-lyse, reduziert (s. NZV 1990, 104). Dieser neue Sicherheitszuschlag von 0,1 Promille setztallerdings voraus, dass das mit BAK-Analysen befasste Institut an dem Ringversuch, auf demdas BGA-Gutachten 1989 basierte, erfolgreich teilgenommen hat. Für die Institute, die nochnicht an einem Ringversuch teilgenommen haben, hat der BGH bis dahin den Grenzwert derabsoluten Fu durch einen Sicherheitszuschlag von 0,15 Promille auf 1,15 Promille erhöht(BGHSt 37, 98). Diese Herabsetzung des Grundwertes auf 1,0 Promille wird von dem BGH vorallem mit der Veränderung der Verkehrsverhältnisse seit dem Jahr 1966 und den damit verbun-denen erhöhten Leistungsanforderungen im Straßenverkehr begründet. (Zur verfassungsrecht-lichen Unbedenklichkeit siehe BVerfG NJW 1995, 125).

14Der absolute Grenzwert hat die Bedeutung einer prozessualen Beweisregel, für die das sichaus Art. 103 II GG, §§ 1, 2 StGB ergebende Rückwirkungsverbot nicht gilt, da sich dieses nurauf Gesetzesänderungen, nicht aber auf die Gesetzesauslegung der Rechtsprechung bezieht(BVerfG NJW 1990, 3140; VRS 32, 264; Hentschel TFF 174; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 9; König, JA 2003, 131 (132 und Fn. 10)).

15Für Radfahrer (ebenso „Leichtmofas“) ist der ehemalige Grenzwert von 1,7 Promille (BGHSt34, 133) – wegen des herabgesetzten Sicherheitszuschlages – folgerichtig auf 1,6 Promille(bzw. 1,65 Promille) zu korrigieren (BayObLG BA 1993, 254; OLG Celle NJW 1992, 2169;OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 357 m. Bspr. Fahl JA 1998, 448; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 12; Tröndle/Fischer Rn 27; OLG Hamm NStE 93 Nr. 26, NZV 1998, 161;Geppert, Jura 2001, 559 (562): Gleiches gelte wohl auch für Inline-Skates; a.A.: HentschelRn 18 = 1,7 Promille = 1,5 Promille plus 0,2 Promille Sicherheitszuschlag; krit. Fahl NZV1996, 307 ff., der sich generell für eine Herausnahme von alkoholisierten Radfahrern aus derBestrafung nach § 316 ausspricht). Zur Anwendbarkeit der Grenzwerte bei Verwendung desFahrzeugs ohne Nutzung der ihm eigenen Motorkraft, vgl. König, JA 2003, 131 (133).

16Beim Führen von Schienenfahrzeugen (BayObLG NZV 1993, 240), bei Fußgängern sowieeinem Baggerführer (OLG Düsseldorf VM 1978, 34) sind keine absoluten Grenzwerte festge-setzt. Bei Motorbootführern wird die absolute Grenze unterschiedlich zwischen 1,3 Promille(OLG Schleswig SchlHA 1987, 107) und 2,0 Promille (Schiffahrtsobergericht Berlin VRS 72,111) angenommen. Zum Teil wird eine Übertragbarkeit der Grenzwerte für den Straßenverkehrbefürwortet (AG Rostock NZV 1996, 124; Seifert NZV 1997, 147 ff.; krit. Sudmeyer NZV1997, 340).

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17 b) Relative Fahrunsicherheit (Fu). 17Ist der absolute Beweisgrenzwert von 1,1 Promille nichterreicht, kommt die relative Fu in Betracht, die stets unter kritischer Würdigung aller Umständedurch zusätzliche Beweisanzeichen (Indizien) zur Überzeugung des Gerichts gelangen muss(BGHSt 31, 42; OLG Karlsruhe VRS 49, 107; Janiszewski Rn 358 ff.; Hentschel TFF Rn 182,188). Ab einer BAK von 0,3 Promille kann das psychophysische Leistungsvermögen desKraftfahrers beeinträchtigt sein, also „relative Fu“ einsetzen (OLG Hamm BA 1980, 224; BGHVRS 49, 429). Der Bereich der relativen Fu liegt folglich zwischen 0,3 Promille und 1,1 Pro-mille. Bei einem Wert unter 0,3 Promille kann nur das Auftreten von ganz außergewöhnlichenUmständen die Annahme einer relativen Fahrunsicherheit rechtfertigen (OLG SaarbrückenNStZ-RR 2000, 12; ablehnend Hentschel Rn 15). Die tatrichterliche Würdigung der Umstände,aus denen relative Fu gefolgert wird, ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht weitest-gehend entzogen (vgl. Hentschel TFF Rn 184 m.w.N.; OLG Köln VRS 100, 124).

18 Es handelt sich beim Nachweis relativer Fu um einen Indizienbeweis (Janiszewski Rn 361 ff.;Hentschel TFF, Rn 185; indirekt Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 5). Wich-tigstes Indiz ist die Höhe der festgestellten BAK. Ihre Beweiskraft ist umso größer, je näher siean den Grenzwert von 1,1 Promille herankommt. Umgekehrt sind die Anforderungen an dieAussagekraft der zusätzlichen Beweisanzeichen umso höher zu stellen, je geringer die festge-stellte BAK ist (OLG Köln NZV 1995, 454; BayObLG NZV 1988, 110; OLG Düsseldorf VM1991, 77). So kann nur ausnahmsweise auch ohne Nachweis der BAK (etwa weil sie nicht(OLG Düsseldorf NZV 1992) oder falsch (OLG Stuttgart MDR 1984, 688) ermittelt wurde)relative Fu angenommen werden, sofern nachweisbar ist, dass der Fahrer überhaupt getrunkenhat (OLG Köln NZV 1989, 357). Freilich muss den Indizien dann eine außergewöhnlich hoheAussagekraft zukommen (OLG Köln a.a.O.).

19 Nach neuerer Rechtsprechung ist eine konkrete, wie auch immer geartete alkoholbedingteAusfallerscheinung unter den Beweisanzeichen unverzichtbar (BayObLG DAR 1989, 425;OLG Zweibrücken VRS 80, 347; OLG Düsseldorf NZV 1993, 276), um eine relative Fu fest-zustellen. Dabei ist eine Überzeugungsbildung darüber entscheidend, ob das infrage kom-mende Verhalten tatsächlich alkoholbedingt war (BayObLG NZV 1988, 110). Die Beweisan-zeichen lassen sich vor allem in alkoholtypischem Fahrverhalten finden, wie z.B. demgrundlosen Abkommen von der Fahrbahn (BGH VRS 47, 20) oder dem Fahren in Schlangenli-nien (OLG Hamm VRS 49, 270), weiterhin in bewusst verkehrswidriger (aggressives, nötigen-des Fahrverhalten, OLG Celle DAR 1984, 121), aber auch besonders leichtsinniger Fahrweise(BGH DAR 1969, 188), da kennzeichnend für den alkoholisierten Kraftfahrer Unbekümmert-heit und erhöhte Risikobereitschaft im Verkehr sind (vgl. BGA-Gutachten 44). Andererseitsreichen langsames Fahren (OLG Hamm DAR 1975, 249), ein Fehlverhalten bei Glätte (BGHVRS 36, 174), auch wesentliches Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit (vgl. LG Osnab-rück DAR 1994, 128), die Verletzung des Vorfahrtsrechts (VGH VRS 34, 211), ein Blitzstartmit quietschenden Reifen (BayOblG, bei Bär DAR 1991, 368), die Flucht nach positivem Alco-Test (OLG Düsseldorf VM 1990, 14), das Anfahren einer geöffneten Autotür beim Flüchten(BGH VRS 99, 200 f.), allgemeine Müdigkeit (OLG Hamm NJW 1973, 569) oder Erregung(OLG Köln JMBl NRW 1970, 144) für sich allein genommen nicht aus, um Beweisanzeichenfür relative Fu zu sein. Auch kann sich an sonstigen Verhaltensweisen, wie dem Verhalten vorund nach der Fahrt (OLG Köln VRS 67, 246), der Unfähigkeit, die Gedanken zusammenzuhal-ten (OLG Celle VRS 50, 286), Ausfallerscheinungen beim Gehen (OLG Köln DAR 1973, 21)oder Sehen (vgl. hierzu Hentschel TFF Rn 205) oder dem Trinkverhalten des Fahrers (Sturz-trunk vor Fahrtantritt – BGH NJW 1971, 1997) eine relative Fu zeigen. Ein verlängerterDrehnachnystagmus reicht als Indiz dagegen nicht aus (ausf. Hentschel Rn 66; Hentschel FEund Alkohol Rn 129 f.; ausführlich zur Einzelfall-Rspr. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 14). Die Beweisanzeichen dürfen nicht isoliert gewertet werden, es muss vielmehreine Gesamtwürdigung aller Umstände des Falles stattfinden, vor allem des psychophysi-schen Zustandes des Täters zur Tatzeit und der von ihm während der Fahrt zu bewältigendenVerkehrsaufgaben (BGH NJW 1969, 1579; OLG Düsseldorf VRS 81, 450; OLG Köln VRS 51,

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33; vgl. auch Schmidt/Dettmeyer/Padosch/Madea, BA 41 (2004), 1). Letztendlich muss derTatrichter zu der Überzeugung kommen, dass der Angeklagte sich ohne Alkoholeinfluss andersverhalten hätte (BGH NZV 1988, 110; OLG Köln NZV 1995, 454; Peters MDR 1991, 487m.w.N.; Hentschel Rn 16).

3. Nachweis der BAK20Die BAK kann auf verschiedene Arten ermittelt werden: durch Untersuchung einer Blutprobe,

durch Errechnung aus der getrunkenen Alkoholmenge oder durch eine Atemalkoholanalyse.Wichtigstes Beweismittel ist die Entnahme (s. § 81a I 2 StPO) und Untersuchung einer Blut-probe.

21Zur Untersuchung der Blutprobe werden überwiegend das Widmark-Verfahren, das ADH-Verfahren (Alkoholhydrogenase) und das sehr viel genauere GC-Verfahren (gaschromatogra-phische Verfahren) angewandt. Diese drei Verfahren sind von der Rechtsprechung als ausrei-chend zuverlässig anerkannt (BGA-Gutachten „Alkohol und Straßenverkehr“ 1977, 148).Zugelassen sind auch das Verfahren nach Kingsley-Current (LG Bamberg NJW 1966, 1176)und das photometrische Verfahren (OLG Frankfurt VRS 36, 284). Zur Feststellung der BAKwird allerdings verlangt, dass grundsätzlich mehrere Analysen der Blutprobe wenigstens nachzwei verschiedenen Verfahren durchgeführt werden (Bundeseinheitliche Richtlinie, abge-druckt bei Janiszewski/Burmann Anhang zu § 316 Rn 40). Mindestanforderung sind fünf Ana-lysen, wie z.B. drei Analysen nach dem Widmark- und zwei nach dem ADH-Verfahren(BGHSt 21, 167, OLG Düsseldorf BA 1979, 61). Wird die exaktere GC-Methode angewandt,genügen vier Analysen und zwar zwei nach dem GC-Verfahren und zwei nach einem anderenVerfahren (vgl. BGA-Gutachten 1977, 7 f.; BGHSt 28, 2). Auf zwei verschiedene Untersu-chungsverfahren kann zur Feststellung der absoluten Fu nicht verzichtet werden (BGH NZV1988, 221; aber: Sachs NJW 1987, 2915). Zwei Einzelanalysen sind folglich nicht ausreichend,gleichgültig, ob nach dem ADH-Verfahren (BGH NJW-RR 1988, 1376: Zwei ADH-Werte von1, 01 Promille u. 1,02 Promille) oder GC-Verfahren (OLG Stuttgart VRS 66, 450). Werdendiese Grundsätze nicht beachtet, ist das Ergebnis nicht schlechthin forensisch unverwertbar(s. Grüner/Ludwig BA 1990, 316).

22Allerdings haben die aus den Analysen gewonnenen Ergebnisse lediglich indiziellen Charakter(vgl. Tröndle/Fischer Rn 30 ff. (37); Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 15). Sokann für die Feststellung der relativen Fu eine einzige Blutanalyse als Indiz herangezogen wer-den (OLG Stuttgart VRS 66, 450; anders AG Langen NZV 1988, 233, nimmt zwei Untersu-chungen nach GC-Verfahren als ausreichende Grundlage für min. 0,8 Promille). Liegen richtli-niengemäß fünf Analysen vor, ist der arithmetische Mittelwert zu errechnen (Hentschel FEund Alkohol Rn 49; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 17; Tröndle/FischerRn 18, BGHSt 28, 2; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 82). Hierin liegt kein Verstoß gegen denGrundsatz in dubio pro reo (so Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 17), da mathe-matisch-logisch nicht der niedrigste, sondern der Analysemittelwert dem tatsächlichen Wert amnächsten kommt und der Beweisgrenzwert von 1,1 Promille (o. Rn 18) bereits einen Sicher-heitszuschlag von 0,1 Promille (bzw. 0,15 Promille) enthält. Allerdings ist der Mittelwert nurdann verwertbar, wenn die einzelnen Analysewerte bei Mittelwerten unter 1,0 Promille nichtmehr als 0,1 Promille und bei höheren Mittelwerten nicht mehr als 10% von ihm abweichen(OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 97; OLG Hamm BA 1985, 484; BGH NJW 1999, 3058, NZV1988, 221). Sofern der Mittelwert entsprechend den Richtlinien des BGA ermittelt wurde, istdie Mitteilung aller Einzelwerte grundsätzlich nicht notwendig (BGH NJW 1979, 609; VRS 98,15 ff.; a.A. BayObLG JR 1996, 385 m. Anm. Hentschel). Unzulässig ist jedoch selbst bei ganzgeringfügiger Unterschreitung des Grenzwertes die Aufrundung des Mittelwertes (BGHSt 28,1; OLG Hamm StVE Nr. 28).

23a) Tatzeit-BAK bei Vorliegen von BAK-Untersuchungen. 23Maßgeblich ist die BAK zurZeit der Tat (BGHSt 21, 163; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 18). Regelmä-

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5452 Herzog

ßig ist zu berücksichtigen, dass sich der Blutalkoholgehalt zwischen Tatzeit und dem Zeitpunktder Blutentnahme verändert hat. Er kann, sofern die Tat in der so genannten Anflutungsphasebegangen wurde, bis zur Blutentnahme gestiegen, oder in der so genannten Eliminationsphaseinfolge Alkoholabbaus geringer geworden sein. Zur Bestimmung der Tatzeit-BAK muss danneine Rückrechnung vom Zeitpunkt der Blutentnahme auf den Zeitpunkt der Tat erfolgen(Hentschel Rn 59; ausführlich Janiszewski Rn 373 ff. und auch Haase, ZfS 2004, 149 f.). Indem Fall, dass der Täter sich in der Eliminationsphase befand, ist die Rückrechnung eine Hoch-rechnung (so wörtlich: OLG Düsseldorf VRS 73, 470; BGH NJW 1974, 246). Die Feststellungdes Resorptionsendes ist in der Praxis schwierig, wenn nicht gar unmöglich (siehe JaniszewskiRn 333a, 334). Daher hält es der BGH (BGHSt 25, 250; NJW 1995, 1104 = NZV 1995, 117)zur Vermeidung einer etwaigen Benachteiligung des Kraftfahrers für richtig, die ersten beidenStunden nach Trinkende grundsätzlich nicht in eine Rückrechnung einzubeziehen (vgl. auchBayObLG BA 39 (2002), 220, wonach die Annahme einer kürzeren Resorptionsdauer nähererDarlegung im Urteil bedarf). Nach den ersten beiden Stunden legt die Rechtsprechung bei derRückrechnung den günstigsten stündlichen Abbauwert von 0,1 Promille je Stunde zugrunde(BGHSt a.a.O., m. Anm. Händel NJW 1974, 246, 613; Hentschel FE und Alkohol Rn 56 f.;Salger DRiZ 1989, 174; OLG Koblenz DAR 2000, 372). Sofern der Tatrichter unter Hinzuzie-hung eines Sachverständigen von diesen Richtwerten abweichen will, ist dies zu begründen(OLG Hamm NJW 1974, 1433), da nach derzeitigem Erkenntnisstand kein individuellerAbbauwert bezogen auf die Person und den Fall nachweisbar ist (BGH NJW 1991, 2356; Ger-chow BA 1985, 155). Die Rückrechnung ist entbehrlich, wenn die BAK bereits bei der Blutent-nahme 1,1 Promille oder mehr beträgt (BGHSt 25, 251). Befindet sich der Kraftfahrer in derAnflutungsphase (auch Resorptionsphase), ist es schon ausreichend, dass er zur Tatzeit „imKörper“ (d.h. Magen-Darm-Trakt) eine solche Menge Alkohol hatte, dass diese bei der späte-ren Blutentnahme zu einer BAK von mindestens 1,1 Promille geführt hat (JaniszewskiRn 354 f.; OLG Hamm VRS 47, 270). Ob der Alkohol vor, während oder erst nach Beendigungder Fahrt ins Blut übertritt, macht folglich keinen Unterschied (BGHSt 25, 246). Durch dieseRegelung ist die ehemals bedeutsam gewesene Problematik des so genannten „Schlußsturz-trunkes“ (s. dazu BGHSt 24, 200) beseitigt worden (Haase, ZfS 2004, 149 (151)). Für dieRückrechnung bedarf es – von einfachen Fällen abgesehen (Jessnitzer BA 1978, 350) – derHinzuziehung eines Sachverständigen (Reinhardt/Zink NJW 1982, 2108). Dies gilt vor allemfür die schwierigen Fälle der so genannten Nachtrunkbehauptung (d.h. die Alkoholaufnahmenach der Tat, jedoch vor der Blutentnahme) (ausführlich Janiszewski Rn 356a, b; Tröndle/Fischer Rn 20; Haase, ZfS 2004, 149 (150 f.); OLG Köln BA 39 (2002), 50 (51)). Sofern einNachtrunk unwiderlegbar behauptet wird, kommt eine zweite Blutprobe nach ca. 20-30 Minu-ten oder eine Begleitstoffanalyse (Janiszewski Rn 356b) in Betracht (zur Fehlerbreite der hier-bei ermittelten Werte s. Hentschel FE und Alkohol Rn 48; Grüner BA 1991, 361 ff.; s. zumGanzen auch Hentschel TFF Rn 107 ff. und Hagen/Iffland DAR 2002, 475 ff. zur Bewertungvon Nachtrunkbehauptungen und zur Berechnung des Blutalkoholspiegels bei Nachtrunk). Lagnachweislich ein Nachtrunk vor, muss bei der Bestimmung der Tatzeit-BAK die in Betrachtkommende Alkoholmenge mindernd berücksichtigt werden (OLG Köln VRS 66, 352).

24 b) Feststellung der Tatzeit-BAK ohne Blutprobe. 24Fehlt eine Blutprobe, ist die Frage deralkoholbedingten Fu anhand anderer zuverlässiger Beweisanzeichen in freier Beweiswürdi-gung zu entscheiden (OLG Düsseldorf NZV 1992, 81). Freilich sind an deren Verwertbarkeitbesonders hohe Anforderungen zu stellen (OLG Köln NZV 1989, 357). Der mit der nichterzwingbaren Atemalkoholanalyse festgestellte Alkoholwert ist zur Bestimmung der BAKnach wie vor ungeeignet (PfzOLG NStZ 2002, 269 f.; LG Gera DAR 1996, 156; OLG HammNZV 1994, 237; Iffland/Hentschel NZV 1999, 496; Bilzer BA 1994, 1; BGA-Gutachten„Atemalkohol“ 1991; eine Berücksichtigung der so ermittelten Werte als Beweisanzeichenzugunsten des Täters ist aber zulässig: BGH NStZ 1995, 97; vgl. zur Anwendbarkeit von AAK-Messungen im Rahmen des § 316 StGB auch Janker, DAR 2002, 49 (54 f.)), da er durch ver-schiedene Einflüsse wie Luftfeuchtigkeit, Atemtechnik usw. verfälscht werden kann (Hent-

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schel TFF Rn 121 m.w.N.). Allerdings kann ein Atemalkoholtestergebnis als Indiz verwertetwerden (LG Gera a.a.O.; OLG Köln VRS 67, 246, a.A. OLG Karlsruhe NStZ 1993, 554). Lie-gen derlei Beweisanzeichen nicht vor, kann unter Zuhilfenahme der so genannten Widmark-Formel die BAK aus der Trinkmenge errechnet werden (s. dazu Hentschel FE und AlkoholRn 73). Auszugehen ist von den unwiderlegbaren Angaben des Beschuldigten über die einge-nommene Trinkmenge. Für die Rückrechnung ohne Blutprobenergebnis gilt der höchstmög-liche Abbauwert von 0,2 Promille je Stunde (BGH VRS 69, 431; OLG Köln NZV 1989, 357;Tröndle/Fischer Rn 21) sowie ein zusätzlicher Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille (SalgerDRiZ 89, 174). Weiterhin ist ein mögliches Resorptionsdefizit zu berücksichtigen (s. hierzuJaniszewski Rn 334; Heifer/Wehner BA 1988, 299 ff.; BGH NStZ 1988, 119).

25Geht es indes um die Frage der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB), ist zugunsten des Ange-klagten bei der Rückrechnung der höchstmögliche stündliche Abbauwert zugrunde zu legen(BGH NJW 1991, 852; OLG Celle NZV 1992, 247; ausführlich Hentschel Rn 59 f.; OLG Kölnbei Himmelreich/Lessing NStZ 2002, 301 (304)). Im Zweifel ist von einer zur Tatzeit abge-schlossenen Resorption auszugehen, so dass die Rückrechnung sich auch auf die ersten beidenStunden nach Trinkende erstreckt (OLG Hamm DAR 1990, 308; OLG Celle NZV 1992, 247).Während die Rechtsprechung ehemals 0,29 Promille als höchstmöglichen stündlichen Abbau-wert annahm (BGH BA 1985, 484; BGH DAR 1974, 117; ablehnend Schwerdt BA 1976, 289),geht sie nun von 0,2 Promille je Stunde aus, wobei ein zusätzlicher Sicherheitszuschlag von 0,2Promille addiert wird (BGH NJW 1991, 852; BayObLG NZV 1994, 197; zu Erkenntnissen derRechtsmedizin vgl. Reinhardt/Zink BA 1976, 327; Gerchow BA 1985, 88). Bei der Rückrech-nung ohne Blutprobe ist im Rahmen der Frage der Schuldfähigkeit wiederum zugunsten desAngeklagten bei der nach der Trinkmenge ermittelten BAK der niedrigstmögliche stündlicheAbbauwert von 0,1 Promille je Stunde anzusetzen (BGH NStZ 1988, 404; 1992, 32; NJW1986, 2384). Bei der problematischen Rückrechnung ist regelmäßig ein medizinischer Sach-verständiger hinzuzuziehen (BGH DAR 1993, 161; Hartung BA 1975, 162). Alle Anknüp-fungstatsachen, die der Tatrichter seiner Rückrechnung zugrunde gelegt hat, müssen für dieRevision nachprüfbar sein (BGHSt 12, 314; 34, 31; OLG Köln BA 1984, 369; OLG Köln VRS66, 325; OLG Hamm BA 1984, 198; OLG Hamburg MDR 1979, 693).

4. Andere berauschende Mittel26Unter anderen Rauschmitteln sind Stoffe (auch Gase) zu verstehen, die auf das zentrale Ner-

vensystem wirken und geeignet sind, bei einem Menschen einen dem Alkoholrausch ver-gleichbaren Zustand zu bewirken (OLG Köln NZV 1991, 158 = VRS 80, 451; OLG Düssel-dorf NZV 1994, 326; zu den Auswirkungen von Rauschmitteln ausführlich Maatz/Mille DRiZ1993, 18, 21; für Amphetaminderivate: Harbort NZV 1998, 17 ff.). Namentlich sind dies dieim wesentlichen in den Anlagen I-III zu § 1 I BtMG aufgeführten Stoffe (Übersicht sieheMaatz/Mille a.a.O.; s. auch OLG Düsseldorf StV 1999, 22 = NZV 1999, 174). Pharmakologi-sche Mittel werden nur erfasst, wenn sie bei entsprechender Handhabung (Dosierung) wieRauschmittel wirken (med. zweifelhaft vgl. Schewe BA 1981, 265; Ulbricht „Rauschmittel imStraßenverkehr“ 1990, 44; BayObLG NJW 1990 2334 m.w.N.; vgl. auch LK-König, R.139 ff.). „Genuss“ meint ebenso wie beim Alkohol lediglich eine „Einnahme“, deren jeweiligeMotive unbeachtlich sind (BayObLG NZV 1990, 317; Janiszewski BA 1987, 243). Auch mussder Rauschmittelgenuss wie bei Alkohol „unmittelbar“ mitursächlich für die Fu sein. Die Wir-kung als berauschendes Mittel ist unter Hinzuziehung eines Sachverständigen im Urteil darzu-legen (OLG Frankfurt NZV 1992, 289). Da im Gegensatz zum Alkoholkonsum die Wissen-schaft nicht in der Lage ist, gesicherte Grenzwerte absoluter Fu nach Drogenkonsum zupräsentieren (Bieniek StV 1995, 438; BGHSt 44, 219, 222 mit Bespr. Schreiber NJW 1999,1770 ff.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Zweibrücken StV 2003, 625 f.), ist die Erfüllung desTatbestandes des § 316 von dem Vorliegen der relativen Fu, die für jeden Einzelfall anhandbestimmter Beweisanzeichen festgestellt sein muss, abhängig zu machen (OLG Frankfurt a.M.NStZ-RR 2002, 17 (18); OLG Düsseldorf DAR 1994, 331; BayObLG NZV 1994, 236; heroin-

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§ 316 28. Abschnitt

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bedingte Fu OLG Frankfurt NZV 1992, 289; BGHSt 44, 219 m. Anm. Berz NStZ 1999, 407 ;für Amphetamine: OLG Düsseldorf a.a.O.; vgl. auch Harbort NZV 1998, 17 ff.; Bönke NZV1998, 394 ff.; Janker, DAR 2003, 489 (491 f.)). Das Vorliegen eines Fahrfehlers muss nichtstets Voraussetzung sein (BGHSt 44, 225 f.; BayObLG NJW 1997, 1381). Es müssen aberUmstände erkennbar sein, die über die allgemeine Drogenwirkung hinaus den sicheren Schlusszulassen, dass der Konsument in der konkreten Verkehrssituation fahrunsicher gewesen ist(OLG Zweibrücken StV 2003, 624 (625)). Zur zunehmenden Relevanz drogenbedingter Fu undzu Drogenkonsum im Straßenverkehr siehe Kauert BA 39 (2002), 102 ff.

27 Cannabis ist ein Rauschmittel, das, indem es z.B. Reaktionen verlängert oder Umweltwahr-nehmungen verändert (Nehm DAR 1993, 377), erheblich auf das Fahrverhalten einwirken kann(BayObLG NZV 1994, 285; OLG Köln NZV 1990, 439; OLG Düsseldorf 94, 326). Jedochlässt sich nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand ebenfalls kein Beweisgrenz-wert absoluter Fu begründen (OLG Köln NZV 1990, 366; anders Kauert BA 39 (2002), 102(108)), es ist also auf weitere Indizien abzustellen. Die Literatur versucht teilweise mit zuneh-mender Resonanz in der Kriminalpolitik, der Grenzwertproblematik durch ein generelles Ver-bot von illegalen Drogen im Straßenverkehr beizukommen (Trunk NZV 1991, 258; Nehm DAR1993, 380; DVGT DAR 1993, 96; zurückhaltend: Maatz BA 1995, 97). Die Statuierung eines„Nullwertes“ wäre freilich nur vertretbar, wenn man gestützt auf wissenschaftliche Erkennt-nisse davon ausgehen könnte, dass die illegalen Drogen per se gefährlich sind und zwar selbstin kleinster Dosis. Da jedoch nicht die bloße Drogeneinnahme, sondern viele Faktoren, wieDosis, psycho-physische Verfassung des Konsumenten etc. (s. Böllinger/Stöver [1992], 37) dieGefahr für die Allgemeinheit begründen, kann allein die Einnahme nicht den strafrechtsrele-vanten Anknüpfungspunkt darstellen, sondern allenfalls ein wissenschaftlich gesicherterGrenzwert. Solange dieser nicht feststeht, ist das Vorliegen zumindest einer Ausfallerscheinungzur Tatbestandsverwirklichung unerlässlich (gefestigte Rechtsprechung, vgl. BayObLG BA1994, 271; BGH NStZ-RR 2001, 173: Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut rechtfertigeallein noch nicht die Annahme der Fu; zu den Schwierigkeiten einer Grenzwertfindung beiMedikamenteneinnahme Pluisch NZV 1999, 1 ff.; zu den Schwierigkeiten beim Nachweiseiner rauschmittelbedingten Fu vgl.: Harbort NZV 1996, 219 ff.).

III. Subjektiver Tatbestand28 Für das Führen eines Fahrzeugs ist Vorsatz Voraussetzung, da eine derartige finale Tätigkeit

nur vorsätzlich durchführbar ist (Tröndle/Fischer Rn 42). Was die Vorwerfbarkeit des Zustan-des der Fu betrifft, unterscheidet das Gesetz zwischen der vorsätzlichen (Abs. 1) und der fahr-lässigen (Abs. 2) Begehungsform. Trotz einheitlichen Strafrahmens der Begehungsformen istihre Unterscheidung für die Strafzumessung innerhalb dieses Rahmens bedeutsam, die Angabeder Schuldform im Tenor erforderlich (BGH VRS 65, 359).

1. Vorsatz29 Die vorsätzliche Begehung der Tat setzt voraus, dass die Fu vom Vorsatz mit umfasst ist (OLG

Frankfurt DAR 1992, 226; OLG Koblenz NZV 1993, 444). Demnach muss der Täter nicht nurbewusst und gewollt ein Fahrzeug führen, sondern auch wissen oder mit der Möglichkeit rech-nen und sich damit abfinden, dass er fahrunsicher ist (grundsätzlich hierzu: Hentschel DAR1993, 449 m.w.N.; vgl. auch OLG Hamm NZV 1998, 291; OLG Dresden NZV 1995, 236). Soliegt vorsätzliches Handeln nicht schon deshalb vor, weil der Täter zu irgendeinem Zeitpunktbereit war, später den Tatbestand des § 316 vorsätzlich zu verwirklichen (BayObLG bei BärDAR 1991,368). Der Vorsatz muss begründet werden (BayObLG DAR 1991, 246; OLG KölnVRS 67, 226). Einerseits ist wesentliches Indiz hierfür die Höhe der BAK (so wird der Vorsatzbei einem Wert über 1,1 Promille als nahe liegend angesehen: Tröndle/Fischer Rn 44). Ande-rerseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass gerade eine hohe BAK oft zu Kritiklosigkeit (o.Rn 13) führt, die den Täter seine Fu nicht mehr wahrnehmen lässt (vgl. BGH NZV 1991, 117;

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Trunkenheit im Verkehr § 316

Herzog 5455

OLG Koblenz NZV 1993, 444; dagegen Salger DRiZ 1993, 311). Die Rechtsprechung ist dahermit der Annahme von Vorsatz recht zurückhaltend (BGHSt 22, 192 [200]; OLG NaumburgDAR 1999, 420 ; OLG Hamm NZV 1998, 291 f.; OLG Zweibrücken DAR 1999, 132 und ZfS1994, 465; krit. AG Rheine NJW 1995, 894 ff.).

30Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass sich ein Kraftfahrer bei einerBAK bestimmter Höhe seiner Fu stets bewusst ist (OLG Koblenz, VRS 102, 282 (284); OLGKöln DAR 1999, 88; OLG Jena DAR 1997, 324 ff.; OLG Hamm VRS 54, 44 [1,9 Promille];Koblenz VRS 70, 11 [2,3 Promille]; OLG Celle NZV 1992, 247 [2,41 Promille]; OLG Karls-ruhe NZV 1993, 117 [2,67 Promille]). Eine „Faustformel“ für das Vorliegen von Vorsatz ab 2,0Promille (so Haubrich DAR 1982, 285) ist abzulehnen (OLG Hamm, VRS 102, 278 (281 f.),s. auch Schneble BA 1984, 281 und OLG Düsseldorf NZV 1994, 367: nimmt in der Regel Vor-satz bei 2,32 Promille an; dagegen OLG Frankfurt DAR 1995, 151: lehnt Vorsatz bei 2,31 Pro-mille und 76 ng Canaboiden im Blut ab).

31Folglich ist die Höhe der BAK ein Indiz neben anderen Tatumständen. Es kommt für den Nach-weis des Vorsatzes auf die tatsächlichen, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzoge-nen Umstände des Einzelfalls an (OLG Köln DAR 1999, 88; VRS 98, 140, 145; OLG JenaDAR 1997, 324; OLG Karlsruhe NZV 1999, 301; 1991, 239; BayObLG NZV 1994, 285; Hent-schel TFF Rn 367), vor allem auf den Grad der Intelligenz und der Kritikfähigkeit des Fahrers(OLG Hamm NStZ-RR 1996, 297; OLG Frankfurt ZfS 1989, 141; vgl. auch Röttgering ZfS2000, 134) sowie sein tatsächliches Bewusstsein über die Art und Menge des getrunkenenAlkohols (OLG Köln VM 1994, 85). Vorsatz ist anzunehmen bei einer Weiterfahrt nach einemUnfall infolge hoher BAK (OLG Zweibrücken ZfS 1990, 33; BayObLG DAR 1983, 395). Vondem Versuch, sich der polizeilichen Feststellung der BAK zu entziehen (Salger DRiZ 1993,313; BayObLG DAR 1985, 242), oder von besonders vorsichtiger Fahrweise (Hentschel DAR1993, 452; a.A.: Salger a.a.O.) lässt sich der Vorsatz allein nicht ableiten. Ebenso wenig alleinvom Fahren von Schlangenlinien (OLG Hamm, VRS 102, 278 (280 f.). Das Vorliegen einschlä-giger, nicht lange zurückliegender Vorstrafen soll dagegen bei ähnlichem Sachverhalt als star-ker Hinweis auf Vorsatz gelten (OLG Celle NZV 1996, 204; 1998, 123; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 85). (Ausführlich zur Frage des Vorsatzes bei drogenbedingter Fahrunsicherheit:Harbort NZV 1996, 432 ff.).

2. Fahrlässigkeit32Der Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis der Fu ist gerechtfertigt, wenn der Täter im Zustand alko-

holbedingter Fu ein KfZ führt und ihm auch nur Zweifel oder Bedenken hinsichtlich seiner Fukommen mussten (OLG Zweibrücken NZV 1993, 240 auch bei einer BAK unter 0,8 Promille;BayObLG VRS 66, 280; vgl. auch BayObLG BA 1984, 374 [0,69 Promille]; Hentschel TFFRn 371 ff.).

33Die fahrlässige Begehungsform hat die weitaus größere praktische Bedeutung. Nach ganz über-wiegender Meinung in Rechtssprechung und Schrifttum ist der Fahrlässigkeitsvorwurf alleindurch die Tatsache des Fahrtantritts trotz Kenntnis vorangegangenen Rauschmittelgenus-ses begründet, auch wenn der Täter den Eindruck hatte, noch fahrsicher zu sein (BGH DAR1952, 43; Tröndle/Fischer Rn 48; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben Rn 27/28;Bode DAR 1990, 431). Es kommt also regelmäßig nicht auf das subjektive Gefühl der Fu an(Hentschel TFF Rn 372), da nach dem heutigen Wissenstand davon ausgegangen werden kann,dass jedem Kraftfahrer die Wirkungen und Gefahren des Alkohols hinreichend bekannt sind.Es besteht ganz allgemein die Pflicht, sich grundsätzlich auch über die Wirkung des Restalko-hols (siehe Hentschel Rn 8 m.w.N.; BayObLG VRS 66, 281; zum „Kater“ siehe Laurell/TörnusBA 1991, 24), von Drogen und Medikamenten (OLG Frankfurt DAR 1970, 162) und alkohol-haltigen Hausmitteln (Melissengeist, OLG Hamburg BA 1979, 501) zu vergewissern.Gebrauchsanweisungen für Medikamente hat der Kraftfahrer vorher zu lesen (OLG Braun-schweig DAR 1964, 170); tropfenweise einzunehmende alkoholhaltige Arzneimittel führen nur

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§ 316 28. Abschnitt

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bei Missbrauch zu einer wesentlichen BAK, was den Vorwurf der Fahrlässigkeit rechtfertigt(Recktenwaldt BA 1981, 178, a.A.: OLG Celle BA 1981, 176). Der Fahrlässigkeitsvorwurfwird durch die Behauptung, die BAK sei wesentlich durch das Einatmen alkoholhaltigerLösungsmittel beeinflusst worden, nicht aufgehoben, da die Aufnahme durch die Atemlufthöchstens 0,2 Promille betragen kann (OLG Hamm NJW 1978, 1210; vgl. auch Groth/FreundtBA 1991, 166). Soweit sich die Behauptung heimlicher Alkoholzuführung nicht als unwahreSchutzbehauptung herausstellt, ist zur Beantwortung der Fahrlässigkeitsfrage ein Sachverstän-diger heranzuziehen (BGH NJW 1986, 2384; Schneble BA 1978, 460). Allerdings entspricht esder Lebenserfahrung, dass bei einer hohen BAK die Wirkung des Alkohols spürbar ist (OLGKöln BA 1978, 302), so dass ein Kraftfahrer seine Fu trotz heimlicher Alkoholzuführungerkennen kann. Erkältungskrankheiten (Grippe, Angina) erhöhen zwar unberechenbar dieAlkoholwirkung, beeinträchtigen aber nicht die Fähigkeit, Alkoholwirkungen wahrzunehmen(OLG Hamm NJW 1975, 660).

IV. Teilnahmefragen34 Täter einer Tat nach § 316 kann nur sein, wer das Fahrzeug eigenhändig führt, folglich scheiden

mittelbare und Nebentäterschaft aus (BGHSt 18, 6). Teilnahme ist nur vorsätzlich an dem vor-sätzlichen Delikt nach § 316 I möglich, sie erfordert, dass die Beteiligten zumindest bedingtesWissen hatten, dass der Fahrzeugführer Rauschmittel in nicht unerheblichen Mengen zu sichgenommen hatte (Hentschel Rn 34). Teilnahme ist möglich bei Verabreichung von Alkohol mitdem Wissen, dass der spätere Täter noch fahren will, durch den Gastwirt oder einen Gastgeber(der die Bewirtung nicht rechtzeitig abbricht) (OLG Oldenburg DAR 1957, 300). Auch machtsich beim Überlassen des Fahrzeugs der Halter der Beihilfe schuldig, sofern sowohl er als auchder spätere Täter um dessen Fu wusste (OLG Koblenz NJW 1988, 152; Beihilfe ist nicht alleinedamit zu begründen, dass ein alkoholisierter Beifahrer seinen PKW einem alkoholisierten Fah-rer überlässt: LG Koblenz VRS 100, 36). Hiervon ist die Verantwortlichkeit des Halters nach§ 31 II StVZO bei fahrlässigem Unterlassen zu unterscheiden (hierzu Janiszewski Rn 420 ff.).Der lediglich „Mitzechende“ haftet hingegen auch dann nicht, wenn er später mitfahren will(BGH NJW 1954, 1047), ebenso muss derjenige, der das Fahrzeug zuerst führt, den Fahrunsi-cheren nicht daran hindern, dass dieser die Führung später zur Weiterfahrt übernimmt (OLGKarlsruhe JZ 1960, 17).

V. Strafzumessung35 Die Strafe ist bei Vorsatz und bei Fahrlässigkeit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geld-

strafe. Beide Strafarten stehen zwar gleichwertig nebeneinander, jedoch gilt der Vorrang derGeldstrafe, § 47 (OLG Düsseldorf NJW 1970, 767), die sich bei Ersttätern im Durchschnitts-fall zwischen 30 und 60 Tagessätzen bewegt (OLG Köln DAR 1990, 430; Tröndle/FischerRn 53: zwischen 25 und 50 Tagessätzen). Bei einem Ersttäter kommt eine kurze Freiheitsstrafekaum in Betracht (s. aber OLG Frankfurt DAR 1972, 48), da sie nur ausnahmsweise unter denengen Bedingungen des § 47 zulässig ist. Der „Ultima-ratio-Charakter“ der Freiheitsstrafe istauch insofern zu beachten, als dass mit § 44 StGB eine wirksame Sanktion verhängt und unge-eigneten Kraftfahrern gemäß § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden kann (s. dazu VI.).Eine Wiederholungstat (OLG Koblenz NZV 1988, 230) – wenn auch nicht schematisch injedem Fall (OLG Düsseldorf VM 1971, 68; BayObLG DAR 1992, 184) – kann jedoch unterBerücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalls (z.B. naher zeitlicher Abstand der Tatvon der Vorverurteilung) eine kurze Freiheitsstrafe rechtfertigen. Bei einem mehrfach rückfäl-ligen Trunkenheitstäter lässt sich ein Absehen von Freiheitsstrafe nicht mit dem Hinweisbegründen, Freiheitsstrafen seien nach dem Verhalten des Angeklagten nicht geeignet, diesenzu beeindrucken (BayObLG bei Bär DAR 1991, 363). Nach ganz überwiegender und richtigerMeinung rechtfertigt die bloß allgemeine Zunahme von Alkoholstraftaten im Verkehr für sich

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Trunkenheit im Verkehr § 316

Herzog 5457

allein nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe (Hentschel TFF Rn 490 ff. m.w.N.; strittig beieinem bestimmten Amtsbezirk: OLG Frankfurt NJW 1972, 298; zweifelnd Hentschel TFFa.a.O.). Voraussetzung ist, dass die besonderen Umstände die Verhängung einer Freiheitsstrafezur Einwirkung auf den Täter oder Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen(OLG Koblenz BA 1980, 286; Tröndle/Fischer § 47 Rn 7 f.; Schönke/Schröder/Stree § 47Rn 1). Sofern die Voraussetzungen des § 47 vorliegen, ist es geboten, Freiheitsstrafe zu verhän-gen (Schönke/Schröder/Stree § 47 Rn 19) und die Gründe dafür darzulegen (§ 267 III S. 2StPO; s. Mösl NStZ 1982, 453 III.). Allerdings ist dann die Frage der Strafaussetzung zurBewährung (§ 56) zu prüfen (BGH NZV 1989, 400). Bei günstiger Prognose ist die im Rah-men des § 316 regelmäßig unter sechs Monaten liegende Freiheitsstrafe stets auszusetzen(OLG Hamm VRS 38, 178; Tröndle/Fischer § 56 Rn 12; ausführlich: Hentschel § 316 Rn 46,47). Einschlägige Vorstrafen sind zwar für die Prognose von erheblicher Bedeutung, schließendie Strafaussetzung zur Bewährung allerdings nicht schlechthin aus (Hentschel Rn 47 m.w.N.).Bei Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr darf die Vollstreckung nicht ausgesetztwerden, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet (§ 56 III). Strafen in dieserHöhe für ein Vergehen nach § 316 kommen praktisch kaum vor, sie werden meist nur bei Trun-kenheitsfahrten nach § 315c I Nr. 1a (Abs. 3) mit schweren Unfallfolgen verhängt.

36Im übrigen gelten die allgemeinen Strafzumessungsregeln. Die Schuldform ist bei der Straf-zumessung von Bedeutung. In der Regel rechtfertigt Vorsatz höhere Bestrafung als fahrlässigeVerwirklichung des Tatbestandes (LK-König Rn 181, 237; Tröndle/Fischer Rn 54; CramerRn 34). Straferhöhend darf auch die BAK-Höhe (da entscheidend für den Grad der Fu) berück-sichtigt werden (OLG Stuttgart NZV 1991, 80). Das Trinken in Fahrbereitschaft kann unterUmständen, vor allem bei einer so genannten „Zechtour“, zur Strafschärfung führen (OLGKoblenz BA 1978, 62; vgl. auch OLG Koblenz BA 1980, 228). Der Versuch des Angeklagten,durch Nachtrunk oder andere Handlung seine Fu zu verschleiern, darf nicht ohne weiteres zurStrafschärfung führen (so aber OLG Oldenburg NJW 1968, 1293; Tröndle/Fischer Rn 54;Bruns StrafzumessungsR 610), da diesen weder eine Prozessförderungspflicht trifft (vgl. BGHNStZ 1982, 151) noch sein Verhalten den Unrechtsgehalt des § 316 tangiert. In der Regel dür-fen soziale Stellung und Beruf des Angeklagten nicht straferhöhend berücksichtigt werden(Hentschel Rn 43; BayObLG DAR 1981, 243 Nr. 3b; kritisch LK-Hirsch zu § 46 Rn 61 f.;anders bei Fahrlehrern, Verkehrsrichtern etc. OLG Hamm NJW 1957, 1003). Erheblich vermin-derte Schuldfähigkeit kann Strafmilderung zur Folge haben (§§ 21, 49 I), diese ist nicht zwin-gend (OLG Koblenz NZV 1988, 148), wobei für das Ausmaß der abstrakten Gefahr und denSchuldumfang der Tat die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind (OLG Stuttgart VRS 65,354; BGHSt 43, 66, 77; kein wissenschaftlich begründeter Erfahrungssatz: OLG DüsseldorfNZV 1998, 419). Eine aktuelle Übersicht zu neuer Rechtsprechung bezüglich einer möglichenStrafrahmenverschiebung bei verminderter Schuldfähigkeit infolge Alkoholkonsums findetsich bei Himmelreich/Halm, NStZ 2004, 317 f.

VI. Zusammenhang zu Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis

37Nach § 69 II 2 ist bei Vergehen gegen § 316 in der Regel auf Entziehung der Fahrerlaubniszu erkennen, die als Maßregel der Besserung und Sicherung ausgestaltet ist (BGHSt 7, 165[168]). Im Vordergrund steht dabei der Gedanke der Sicherung der Allgemeinheit durch dieEntfernung ungeeigneter Fahrzeugführer unabhängig von ihrer Schuld. Zu Einzelheiten s. oben§ 69 Rn 8 ff. Unterbleibt ausnahmsweise die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 ist in derRegel im Fall einer Verurteilung nach § 316 ein Fahrverbot gemäß § 44 I 2 anzuordnen. Fürseine Verhängung genügt die Feststellung der Verwirklichung des Tatbestandes des § 316 imUrteil (vgl. OLG Köln ZfS 1991, 67). Zu Einzelheiten s. oben § 44 Rn 7 ff. Auch wenn Entzie-hung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot sich im Allgemeinen sachlich ausschließen (Schönke/Schröder/Stree § 44 Rn 2), ist ein Nebeneinander der Maßnahmen ausnahmsweise möglich,

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§ 316 28. Abschnitt

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wenn die Sperre auf bestimmte Kraftfahrzeuge beschränkt worden ist und trotzdem zusätzlichein Fahrverbot im Hinblick auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge (z.B. Mofas) angebracht scheint,s. oben § 44 Rn 8 f.

VII. Konkurrenzfragen38 § 316 tritt infolge seiner Subsidiaritätsklausel gegenüber den §§ 315a I 1 und 315c I 1a zurück.

Gegenüber tateinheitlich begangenen Ordnungswidrigkeiten (§ 24a StVG s.o. I) geht § 316indes vor, § 21 OWiG. Mit sonstigen strafbaren Handlungen bei der Trunkenheitsfahrt steht§ 316 in Tateinheit (BGH VRS 49, 177; BGH StV 1995, 62: Tateinheit mit § 30 BtMG), auchmit einem tatsächlich nicht beendeten Diebstahl, wenn die Trunkenheitsfahrt der Sicherung desDiebesguts dient (BayObLG NJW 1983, 406). Bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 316 undnachfolgendem unerlaubten Entfernen vom Unfallort, § 142 I, liegt Tatmehrheit (o. Rn 4) vor,sofern jedoch § 142 I und § 316 gleichzeitig verwirklicht wurden, liegt Tateinheit vor (OLGHamburg VRS 53, 125).

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