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ila 369 369 369 369 369 Okt. 2013 Okt. 2013 Okt. 2013 Okt. 2013 Okt. 2013 56 56 56 56 56 Unbequem sein Ein Gespräch mit Patricia Pietrafesa über Punkrock, Subkultur und Autonomie Von Ende Juni bis Anfang August 2013 war Patricia aus Buenos Aires mit ihrer Band Kumbia Queers zum vierten Mal in Europa auf Tour. Nach vielen Jahren in Punkbands hat sie sich mit fünf Freundinnen der Cumbia zugewandt. So ent- stand der „1000% Tropipunk“, der auch hier schon viele begeisterte Fans gewonnen hat. Am Rande der Tour hatten wir Gelegenheit, über verschiedene Fragen rund um ihr im März erschienenes Buch Resis- tencia zu sprechen. großes Interesse. Leute möchten wissen, was damals passiert ist, als alles noch so anders war als heute, und sie fragen sich: Wie haben die das bloß hingekriegt ohne Internet? Die Leute sind neugierig, wie diese handgemachten Dinge zustande gekommen sind. Mich hat Geschichte immer interessiert, ich finde die Beschäftigung damit eine Bereicherung. Es geht mir aber keinesfalls darum, das damalige Vorgehen als das einzig wahres anzupreisen und damit die heutigen Dinge abzuwer- ten. Wir wollen uns nicht an der Vergangenheit festklammern. Aber zu wissen, wo du herkommst, ist eine wichtige Orientie- rung für die Zukunft. Das sollte die einzige Klammer sein. Ein Schriftsteller meinte bei einer der Buchvorstellungen von Resistencia: „Wir wollen nicht die Witwer des Punkrock sein, sondern die Liebhaber der Emanzipation und der Autonomie.“ Im Vorwort zu deinem Buch schreibst du, dass der Punk nichts erfunden hat, sondern eine Fortsetzung anderer Bewe- gungen der Gegenkultur war. Was ist denn die Fortsetzung von Punk? In Lateinamerika wird mit dem Begriff Horizontalität das Phänomen beschrieben, dass sich Bewegungen heute anders organisieren als früher: ohne Parteien, ohne Anführer, als Versammlungen auf öffentlichen Plätzen. Nicht mehr auf den Staat vertrauen oder von ihm fordern, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen. Also eigentlich das alte DIY- Prinzip des Punk: Do it yourself. W ie ist die Idee entstanden, deine Fanzines aus den Jahren 1984 bis 2001 als Buch neu herauszugeben? Ich wollte das schon früher machen, aber ich dachte, dass es ziemlich kompliziert sei: Das Fanzine ist im Laufe der Jahre in drei verschiedenen Formaten erschienen, diese dann zusammenzubringen und alles einzuscannen. Vor zwei Jahren hat Carlos Nekro (Boom Boom Kid) seine Fanzines in einem Band zusammengestellt. Ich habe das Vorwort dazu geschrieben und er meinte zu mir: „Ich werde dir helfen, ich leihe dir das Geld, du musst deine auch rausbringen.“ Ich habe erst abgewunken: „Nein, das geht nicht, ich bin mit den Kumbia Queers unterwegs, die Tour…“ Aber er ließ nicht locker. Seine Überzeugung – und auch das Geld – waren die entscheidende Hilfe. Wir haben uns Anfang der 90er-Jahre kennengelernt, als er mein Fanzine kaufte. Er war damals noch sehr jung, wir begannen uns zu schreiben und mit- einander zu telefonieren. Er war Fan meiner damaligen Band Cadáveres de Niños. Zurzeit erscheinen viele Bücher zur Geschichte des Punk. Dein Sammelband Resistencia hat großen Erfolg. Welche Leute kaufen diese Bücher und was interessiert sie daran? Viele Leute, die diese Zeit selbst miterlebt haben, aber auch viele, die wesentlich jünger sind. Eine solche Materialsamm- lung aus dieser Zeit gibt es sonst nirgends und das stößt auf Foto: Patricia Pietrafesa zu Besuch in Hamburg FOTO: EDICIONES ALCOHOL Y FOTOCOPIAS

: E OTO F Unbequem sein - luchaamada.blogsport.deluchaamada.blogsport.de/images/ila369pat.pdf · Derrumbando la casa rosada gemacht haben, habe ich alle gefragt, was sie heute tun

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Unbequem seinEin Gespräch mit Patricia Pietrafesa über Punkrock, Subkultur und Autonomie

Von Ende Juni bis Anfang August2013 war Patricia aus Buenos Airesmit ihrer Band Kumbia Queers zumvierten Mal in Europa auf Tour.Nach vielen Jahren in Punkbandshat sie sich mit fünf Freundinnender Cumbia zugewandt. So ent-stand der „1000% Tropipunk“, derauch hier schon viele begeisterteFans gewonnen hat. Am Rande derTour hatten wir Gelegenheit, überverschiedene Fragen rund um ihrim März erschienenes Buch Resis-tencia zu sprechen.

großes Interesse. Leute möchten wissen, was damals passiertist, als alles noch so anders war als heute, und sie fragen sich:Wie haben die das bloß hingekriegt ohne Internet? Die Leutesind neugierig, wie diese handgemachten Dinge zustandegekommen sind. Mich hat Geschichte immer interessiert, ichfinde die Beschäftigung damit eine Bereicherung. Es geht miraber keinesfalls darum, das damalige Vorgehen als das einzigwahres anzupreisen und damit die heutigen Dinge abzuwer-ten. Wir wollen uns nicht an der Vergangenheit festklammern.Aber zu wissen, wo du herkommst, ist eine wichtige Orientie-rung für die Zukunft. Das sollte die einzige Klammer sein. EinSchriftsteller meinte bei einer der Buchvorstellungen vonResistencia: „Wir wollen nicht die Witwer des Punkrock sein,sondern die Liebhaber der Emanzipation und der Autonomie.“

Im Vorwort zu deinem Buch schreibst du, dass der Punknichts erfunden hat, sondern eine Fortsetzung anderer Bewe-gungen der Gegenkultur war. Was ist denn die Fortsetzungvon Punk?

In Lateinamerika wird mit dem Begriff Horizontalität dasPhänomen beschrieben, dass sich Bewegungen heute andersorganisieren als früher: ohne Parteien, ohne Anführer, alsVersammlungen auf öffentlichen Plätzen. Nicht mehr auf denStaat vertrauen oder von ihm fordern, sondern die Dingeselbst in die Hand nehmen. Also eigentlich das alte DIY-Prinzip des Punk: Do it yourself.

W ie ist die Idee entstanden, deine Fanzines aus den Jahren 1984 bis 2001 als Buch neu herauszugeben?

Ich wollte das schon früher machen, aber ich dachte, dass esziemlich kompliziert sei: Das Fanzine ist im Laufe der Jahrein drei verschiedenen Formaten erschienen, diese dannzusammenzubringen und alles einzuscannen. Vor zweiJahren hat Carlos Nekro (Boom Boom Kid) seine Fanzines ineinem Band zusammengestellt. Ich habe das Vorwort dazugeschrieben und er meinte zu mir: „Ich werde dir helfen, ichleihe dir das Geld, du musst deine auch rausbringen.“ Ichhabe erst abgewunken: „Nein, das geht nicht, ich bin mit denKumbia Queers unterwegs, die Tour…“ Aber er ließ nichtlocker. Seine Überzeugung – und auch das Geld – waren dieentscheidende Hilfe. Wir haben uns Anfang der 90er-Jahrekennengelernt, als er mein Fanzine kaufte. Er war damalsnoch sehr jung, wir begannen uns zu schreiben und mit-einander zu telefonieren. Er war Fan meiner damaligen BandCadáveres de Niños.

Zurzeit erscheinen viele Bücher zur Geschichte des Punk. DeinSammelband Resistencia hat großen Erfolg. Welche Leutekaufen diese Bücher und was interessiert sie daran?

Viele Leute, die diese Zeit selbst miterlebt haben, aber auchviele, die wesentlich jünger sind. Eine solche Materialsamm-lung aus dieser Zeit gibt es sonst nirgends und das stößt auf

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Könnte es sein, dass das derzeitige Interesse an den altenPunkgeschichten auch daher kommt, dass diese subkulturelleBewegung ein Vorläufer der heutigen Bewegungen auf denPlätzen der Welt war?

Eine interessante Theorie, aber ich glaube, dass das mehr aufEuropa zutrifft. Ich habe auch bei uns viele solcher Erfahrun-gen mit dem Punkrock gemacht, aber später war das nichtmehr so verbreitet. Meiner Ansicht nach war das viel stärkerhier in Europa anzutreffen. Ich denke schon, dass der Punk-rock auch in Argentinien viel beigetragen hat und vor allemauf der persönlichen Ebene: Klar zu haben, dass du alles inFrage stellen und dich mit andern zusammenschließenmusst, wenn du was machen willst. Aber das Phänomen hatbei uns mehr mit den Ereignissen im Dezember 2001 zu tun,das hat viel bewegt, weil es eine spontane Rebellion war.Auch wenn sie schnell eingefangen werden konnte und dieLeute sich wieder eingerichtet haben, war es doch eine De-monstration: Wow, es geht doch, wenn du es willst.Für das Buch habe ich alle Leute angeschrieben, die im Laufder Jahre bei den Fanzines mitgearbeitet hatten und sie umihre Zustimmung zur Neuveröffentlichung gebeten. Allewaren einverstanden. Und wie wir es schon bei dem BuchDerrumbando la casa rosada gemacht haben, habe ich allegefragt, was sie heute tun. Einige sind bereits verstorben,manche haben noch mit Musik zu tun, andere machenandere Dinge, sind Anthropologen oder Künstler. Aberinteressanterweise organisieren fast alle ihre Aktivitätenweiterhin unabhängig. Das ist doch eine gute Nachricht.Diese Herangehensweise war früher eher auf die Szenebeschränkt. Heute bezieht sich das glücklicherweise nichtmehr nur auf den Punkrock. Es ist viel verbreiteter und dieLeute beziehen diese Ideen auf ihre Art zu leben und das, wassie machen. Bei den Buchvorstellungen sind auch immerviele Leute, die nicht so aussehen, als hätten sie viel mit Punkzu tun.Die unabhängigen Verlage erleben in Argentinien geradeeinen Boom. Neben der „normalen“ Buchmesse gibt es dieF.L.I.A., die unabhängige Buchmesse. Das hat 2006 alsBasisbewegung in Buenos Aires angefangen und sich aufverschiedene Länder ausgeweitet. Und seit letztem Jahr gibtes auch die Punkbuchmesse.

Wie ist die Punkbuchmesse organisiert?

Die Konzertkneipe Salón Pueyrredón (Buenos Aires) hat unsden Ort zur Verfügung gestellt. Zur ersten Messe letztes Jahrkamen 800-900 Leute, es war rappelvoll. Alle mitgebrachtenBücher wurden verkauft und die Lesungen stießen auf großesInteresse. Am 1. September fand die zweite Punkbuchmessestatt, am selben Ort, und im November machen wir eineweitere im Zusammenhang mit einer Fanzinemesse, in einemkooperativen Theater in Buenos Aires.Eine andere Sache, die wir gemacht haben, um die Geschich-ten weiterzugeben, war das Livearchiv. Wir haben einenFotokopierer aufgestellt, ein Doppelkassettendeck und einpaar Laptops, auf denen wir Material zusammengestellthatten, das sich die Leute auf USB-Sticks kopieren konnten.Manche brachten Aufnahmen von früher auf Kassetten mit –dafür das Doppeldeck – oder alte Fanzines und Flyer zum

Kopieren. Und die Leute hinterließen wiederum ihr mitge-brachtes Material auf den Laptops. Du kannst zwar auch vielim Internet finden oder Material per Mail austauschen, aberso vor Ort, wo du mit den ganzen Leuten reden konntest, hates viel mehr Spaß gemacht.

Ihr habt viele Kontakte in andere Länder, es gibt fast soetwas wie eine „Internationale des Punkrock“. Bei meinenReisen in Lateinamerika hatte ich öfters den Eindruck, dassdie Compañer@s, die sich in der Subkultur bewegen, mehrreisen und mehr internationale Kontakte haben als anderepolitische AktivistInnen.

Es war eine gute Idee von Carlos, in das Buch die Reportagenaus der Szene aufzunehmen, die ich in der zweiten Hälfte der80er und bis weit in die 90er für Maximum Rocknroll ge-schrieben habe. Diese Fanzinezeitschrift war sehr wichtig fürdie internationalen Kontakte. Und die Lage in unserem Landwurde auch für uns deutlicher, wenn wir versucht haben, sieLeuten aus anderen Ländern zu erklären. Wir hatten sehrviele Briefkontakte, die wichtig waren, um Material auszutau-schen und internationale Aktionen zu organisieren. Das warein starkes Gefühl und hat Spaß gemacht. Ich kannte dieNamen derjenigen, die Reportagen aus anderen Ländernschickten, und versuchte mir vorzustellen, was das für Leutewaren. Ich schrieb mir mit Jello Biafra und mit Steve Igno-rant, dem Sänger von Crass. Ich holte mir die Zeitschriftjeden Monat und las sie mit all meinen Freunden. Wir schrie-ben uns Adressen heraus und teilten das auf: Du schreibstnach England, ich nach Brasilien. So entstand ein großesNetz der Gegenkultur. Als ich die Reportagen von Crass las,erzählte ich es meinen Freunden, wir besorgten uns mehrFanzines darüber und machten unsere eigenen Aktionen.

Die Szene ist mitunter ziemlich engstirnig. Manchen Punkswarst du zu feministisch, für die Feministinnen zu sehr Punk.Und jetzt machst du auch noch Cumbia. Wie wurde dasaufgenommen?

Die Idee des Punkrock ist für mich eine Art philosophischerStandpunkt, ein Lebensstil. Manche, die sich damit identifi-zieren, halten sich an sehr starre Regeln. Das war noch niemein Ding. In dem Buch sind die Spaltungen gut beschrie-ben. Ich habe mich mit der anderen, offeneren Seite desPunkrock identifiziert, die sagt, dass du Dinge infrage stellenund selbst in die Hand nehmen musst. Mit den dogmati-schen Punks kann ich nichts anfangen. Es geht doch darum,Schranken einzureißen, Fragen zu stellen und unbequem zusein, wenn dir etwas nicht gefällt. Wir haben doch Bessereszu tun als einer Liste von Regeln zu folgen. Bei den SheDevils fanden wir den reinen Punkrock irgendwann langwei-lig. Wir hatten uns auch vorher schon mit anderen Bandszusammengetan. Als wir dann anfingen, bei den KumbiaQueers zu spielen, fanden einige das fürchterlich. Aberanderen gefiel es. Auch für mich selbst war es eine Herausfor-derung, die Vorurteile gegenüber diesem sehr machistischenMusikstil abzulegen. Vorurteile überwinden und unbequemsein… mit den Kumbia Queers sind wir für manche Leutewieder unbequem. So gesehen ist das doch kein schlechterWeg. ■

Das Interview führte Alix Arnold am 10. August 2013 inBreda/ NL und hat es für die ila übersetzt und bearbeitethttp://resistenciazinepunk.blogspot.de/

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Widerstand, Alkohol und FotokopienZwei Bücher zur Geschichte des Punkrock in Argentinien

D VON ALIX ARNOLD

ie ersten Punx – wie sie sich in Argentinien selbstschreiben – sind im Memoirenalter angekommen. IhreBücher über vergangene wilde Zeiten interessieren offensicht-lich auch ein jüngeres Publikum. Eine der Neuerscheinungendieses Jahres war Resistencia von Patricia Pietrafesa – eineumfangreiche Materialsammlung zur Geschichte des Punkun-derground in Argentinien.„Resistencia zu entdecken hat mich total aufgewühlt. Es warein Reset für meinen Kopf, mein Herz pumpte Adrenalin, ichspürte, dass es da eine verborgene Welt gab, zu der ich gehör-te. Bis dahin hatte mich nichts interessiert, ich fand allesscheiße, die Zukunft war mir egal – aber die Gegenwartgenauso! Ich war immer dagegen, böse, schlecht gelaunt, ichhasste meine Mitschüler; die ganze Welt war für mich eineScheiße, zu der ich nichts beitragen wollte, und das, wasmich vermutlich erwartete, gefiel mir überhaupt nicht. Mirwar damals nicht klar, dass da mein Leben begann – dasLeben, das ich anfing selbst zu wählen.“ Das schreibt PilarArrese im Vorwort über ihre erste Begegnung mit diesemFanzine, das Patricia zwischen 1984 und 2001 herausgegebenhat. Inzwischen blicken die beiden auf mehr als zwei Jahr-zehnte gemeinsamer Projekte zurück, u.a. als Gitarristin(Pilar) und Bassistin (Pat) bei den She Devils und KumbiaQueers. In dem 400 Seiten starken Band im A4-Format sinddie zehn Ausgaben des Fanzines Resistencia komplett nachge-druckt, bis auf ein paar fehlende Seiten, die nicht mehraufzutreiben waren. Außerdem enthält das Buch die beidenNummern des Fanzines Quien sirve la causa del caos?, das Pat1986/87 mit Fidel Nadal herausgab – darin auch ein Artikelüber die Herkunft des Reggae. In den mit Schreibmaschine,Fotokopierer und Klebstoff hergestellten Heften geht es inerster Linie um Punkitüde, Musik und Bands, aber auch umeine Menge der damals in der Subkultur und Bewegungaktuellen Themen: Besetzte Zentren und Häuser (Baskenlandund NL), Major-Label und Kommerzialisierung, Homocoreund organisierte SexarbeiterInnen, Proteste gegen Kirche,Papst und Staat, Chaostage, selbstverwaltete Orte und Festi-vals wie das Frauenfestival Belladona (siehe Artikel vonPatricia in ila 342). Und immer wieder Gewalt – untereinan-der bei Konzerten, zwischen verschiedenen Fraktionen vonPunx, Skinheads und Fußballfans oder machistische Angriffeauf die Frauen in den Bands – aber vor allem staatliche

Gewalt. Nach dem Ende der Diktatur (1976-83) machtedieselbe Polizei Punx und anderen unangepassten Menschenweiterhin das Leben schwer. Alkohol trinken auf der Straßewar Grund genug für ständige Festnahmen und Misshandlun-gen. Über die Szene und die politische Situation in Argenti-nien schrieb Patricia regelmäßig für das Fanzine MaximumRocknroll aus den USA. Diese Kolumnen sind ebenfalls indem Band enthalten. Und es gibt einen Index, der nachlokal und international sowie einer Vielzahl von Rubrikenunterteilt ist: Personen, Bands, Liedtexte, Fanzines, Orte,historischer Kontext, Musikstile, Ideologien, Aktionen…Damit dürfte Resistencia das erste Fanzine sein, das index-mäßig erfasst ist. Obwohl es fast ausschließlich im Hand-verkauf und an Ständen zu bekommen war, erreichte dasBlatt teilweise Auflagen von 1000 Exemplaren. Mit ihremneu gegründeten Verlag Alcohol y Fotocopias und einemerheblichen Arbeitsaufwand hat Patricia dafür gesorgt, dassdiese Dokumente einer bewegten Zeit noch länger zurVerfügung stehen.

Derrumbando la Casa Rosada („Den Regierungspalast nieder-reißen“) beginnt mit den Anfängen der Punkbewegung inArgentinien, noch während der Diktatur. Untypischerweisekamen hier die ersten Punx aus den oberen Schichten, diesich Auslandsreisen leisten konnten und von dort Plattenmitbrachten. Der Gitarrist der damals bekanntesten Band LosVioladores hatte Punk auf einer Europareise mit seinen Elternentdeckt. In jedem Kapitel des Buches steht ein Konzert imMittelpunkt, über das Geschichten erzählt werden. Bei Patri-cia – auch hier als Autorin dabei, klar – ist es das erste Kon-zert ihrer Musikerkooperative im Mai 1986. Während desAuftrittes von Todos Tus Muertos kam es zu einer Schlägereimit Boca-Fans und der Polizei und ein Musiker machte sichmit den Einnahmen aus dem Staub. Das nächste Konzertwurde von den Eigentümern des gemieteten Saales kurzfristigabgesagt, und eine Forderung der argentinischen GEMA rissein weiteres Loch in die Kasse. So ging die Kooperative, mitder verschiedene Bands einen selbstorganisierten Gegenpolzum etablierten Rockzirkus schaffen wollten, wieder ein. FürPat kein Grund zur Resignation: „Es hat nicht so schönfunktioniert, wie wir uns das gedacht hatten, aber wir habeneiniges in Bewegung gebracht und für viele von uns war dasdie Einführung in eine Lebenshaltung, die wir weiterhinpraktizieren.“ ■

Pietrafesa, Patricia: Resistencia. Registro impresode la cultura punk rock subterranea. Buenos Aires,1984-2001, 400 Seiten, Buenos Aires, 2013

Flores, Daniel: Derrumbando la Casa Rosada.Mitos y leyendas de los primeros punks enArgentina 1978-1988, Buenos Aires, 2011