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steeldoc Kunstvoll überbrückt Bauen in Stahl Bautendokumentation des Stahlbau Zentrums Schweiz 01/13

01 /13 steel doc · 2020. 6. 24. · steeldoc 01/13, April 2013 Kunstvoll überbrückt Herausgeber: SZS Stahlbau Zentrum Schweiz, Zürich Evelyn C. Frisch, Direktorin Redaktion: Evelyn

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Kunstvoll überbrückt

Bauen in Stahl Bautendokumentation des Stahlbau Zentrums Schweiz

01/13

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Hans-Wilsdorf-Brücke, Genf (CH)

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Luftiges Stahlgeflecht

BauherrschaftHans-Wilsdorf- Stiftung

ArchitektenAtelier d’architecture Brodbeck-Roulet, Carouge GE

Ingenieureamsler bombeli et associés, Chêne-Bougeries GE

Baujahr2012

Eine Folge verschlungener Ellipsen aus Stahl und linearer Elemente bilden dasTragwerk der Hans-Wilsdorf-Brücke. Mit ihrer ausgeprägten und eleganten Formstellt sie weit mehr als ein funktionales Verkehrsbauwerk dar: die Überquerung der Arve wird zu einem besonderen Erlebnis.

Situation, M 1: 5000

Die neue Brücke über die Arve verbindet das Stadt-zentrum mit dem Stadtteil Praille/Acacias/Vernets, einem der wichtigsten Entwicklungsgebiete von Genf.Mit ihrer markanten Form stellt sie ein verbindendesund identitätsstiftendes Element zwischen den beidensehr unterschiedlichen Quartieren her.

Die Geschichte der Überquerung des Flusses an die-ser Stelle reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, als diese erst als Holzbrücke für die Landesausstellungvon 1896 realisiert wurde. Diese Brücke wich zwanzigJahre später, und erst Anfang der 50er-Jahre bautedie Armee ein Provisorium. Bedrohliche Hochwasserführten immer wieder zu Sperrungen und Wieder-eröffnungen. Erst vor ein paar Jahren bot sich durch

die neuere Stadtentwicklung die Gelegenheit, die historische Achse wieder aufzunehmen und eine so-lide Stahlbrücke zu errichten, die dem grossen Uhr-macher und Gründer der Firma Rolex, Hans Wilsdorf,gewidmet ist.

Elliptische HülleDie 85,40 Meter lange Brücke ist eine Neuinterpreta-tion der traditionellen Balkenbrücke und überspanntdie Arve in einem kaum wahrnehmbaren, leichtenBogen ohne Zwischenabstützungen. Ihre architekto-nische und strukturelle Form ist das Resultat einerausgefeilten Suche nach kunstvoller Zufälligkeit undwirtschaftlicher Ausführbarkeit des Stahlbaus.

Je zwei Fahrspuren für denAuto- und Fahrradverkehr sowie zwei Gehwege finden in der beeindruckenden Stahl-röhre aus elliptischen RingenPlatz.

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Längsschnitt, Aufsicht, M 1:750

Die Ausgewogenheit der Formen und die umhüllendeTragstruktur verleihen demKunstbauwerk sein heraus-ragendes Erscheinungsbild.

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Hans-Wilsdorf-Brücke, Genf (CH)

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Durch die röhrenförmige Tragstruktur mit einer Höhe von 8,50 Metern verläuft die Fahrbahn aus vor-gespanntem Beton. Die elliptische Rohrform wird gebildet aus ineinander verschlungenen, elliptischverlaufenden Hohlkastenprofilen. Die gesamte Trag-struktur setzt sich aus unterschiedlichen Elementenzusammen: drei längsverlaufenden unteren Kasten-profilen, zwei Eingangsportalen, zwei oberen Längs-trägern, zwei Hauptbögen, den ellipsenförmigen Ringensowie drei linearen Umhüllungsbögen, welche diago-nal über die ganze Struktur verlaufen. Die Variationvon zwei Typen unterschiedlich geneigter elliptischerRinge bricht die Symmetrie des Bauwerks und verleihtder Gesamtkomposition mehr Dynamik. Insgesamtwurden über 250 verschiedene parametrische Quer-schnitte berechnet und ausgeführt.

Modellhafte BemessungDer aussergewöhnliche Entwurf der Brücke erfordertekomplexe statische Berechnungen. Den Ausgangs-punkt bildete ein erstes Rechenmodell auf der Basisvon Balken aus Rohrprofilen gleichbleibenden Quer-schnitts, welche einem Hohlkastenprofil von 400 mal

400 Millimetern entsprechen. Dieses Modell zeigteauf, dass zusätzlich zu den elliptischen Elementen,zwei längsverlaufende Bögen aus Vollstahl mit einemDurchmesser von 300 Millimetern notwendig sind,um übermässige Verformungen zu begrenzen. DieBerechnung der dynamischen Belastung der Trag-struktur erlaubte den Nachweis der Erdbebensicher-heit und der Eigenfrequenz des Bauwerkes.

Querschnitt, M 1:100

1 Unterer Längsträger,Kastenprofil 600/1100 mm, Länge 81,6 m,über Kopfbolzendübel mit Fahrbahnplatteverbunden

2 Oberer LängsträgerKastenprofil 400/400 mm, Länge 69,1 m

1

5

2

3

4

4

3 Hauptbogen,RND 300 in Kastenprofil 400/400 mm

4 Ringträger,Kastenprofil 400/400 mm

5 FahrbahnplatteStahlbeton, 300–380 mm, vorgespannt

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Die Vielzahl verschiedenerÖffnungen bieten Durchblickeauf die städtische und die naturnahe Umgebung.

Breite Geh- und Radwege neben den Fahrbahnen sorgenfür die Sicherheit des Lang-samverkehrs.

Isometrie des Stahltragwerks

Das zweite Modell nahm für die elliptischen Ringeparametrische Querschnitte an, für die Ringe an denbeiden Extremitäten der Struktur hingegen Schalen.Die zulässigen Verformungen und Spannungen inden tatsächlichen Querschnitten wurden durch einenicht-lineare geometrische Berechnung überprüft.Dadurch erwiesen sich vier weitere, elliptische Ringe,zwei in der Mitte und zwei an den Enden, als not-wendig. Zusätzlich wurden die Fusspunkte der Ein-gangsportale durch Aussteifungen ergänzt, um dieAbleitung der auftretenden Kräfte in die Widerlagersicherzustellen. Mit Hilfe dieser Berechnungen undin enger Zusammenarbeit zwischen Planung undAusführung konnte die Form, die Stahlgüte sowie die Dicke der Bleche, die von 20 bis 100 Millimetervariiert, optimiert werden.

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Hans-Wilsdorf-Brücke, Genf (CH)

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Zusammenbau der unterenLängs- und Querträger auf derArbeitsplattform

Vorgefertigte Elemente vor derMontage (links); zusammenge-heftete Konstruktion vor demVerschweissen (rechts)

Zur Überprüfung der Passge-nauigkeit wurden die einzelnenStahlelemente bereits im Werkvormontiert.

der Abstützung einer Arbeitsplattform, von der aus derZusammenbau und das Verschweissen der unterenTeile des Stahlkonstruktion erfolgte. Auf die drei längs-verlaufenden Kastenträger, quer verbunden durch dieunteren Segmente der Ringe, wurde anschliessenddie Fahrbahnplatte betoniert.

Die Stahlbetonplatte mit einer Dicke etwa 40 Zenti-metern ist in Längs- und Querrichtung vorgespannt,was ihr eine hervorragende Stabilität verleiht. ÜberKopfbolzendübel, welche vorzu in Aussparungen imOrtbeton eingelassen sind, ist sie fest mit der Stahl -konstruktion verbunden.

Nach dem Einbau der unteren Brückenteile begannder schwierigste Abschnitt der Baustelle: Ähnlich einem riesigen dreidimensionalen Puzzle wurden diein der Werkstatt vorgefertigten Elemente des oberenStahltragwerkes zusammengesetzt. Spezielle Hebe-werkzeuge waren nötig, um die bis zu 80 Tonnenschweren Teile im exakten Winkel zu platzieren. Zu-nächst mit provisorischen Verbindungen zusammen-geheftet, konnten die Profile nach Überprüfung dergenauen Ausrichtung zusammengeschweisst werdenund die Konstruktion ihre Funktion als tragendeStruktur aufnehmen.

Die Brückenkonstruktion liegt beidseits des Flussesauf einem Widerlager aus Stahlbeton auf. Je zwölf, 35 bis 40 Meter tiefe Pfahlgründungen leiten die auf-tretenden Kräfte in den tragfähigen Untergrund ab.Auf jedem Widerlager nehmen zwei seitliche Auflagerdie Vertikallasten auf, ein mittleres Auflager die Hori-zontal- und Querkräfte, die bei einem aussergewöhn-lichem Hochwasser auftreten könnten.

Provisorische ArbeitsplattformBereits während der Bauzeit dienten die Widerlagergemeinsam mit fünf provisorischen Pfeilern im Fluss

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Ort Hans-Wilsdorf-Brücke, Genf (CH)Bauherrschaft Fondation Hans WilsdorfArchitekten atelier d’architecture Brodbeck-Roulet sa, Carouge GEIngenieure amsler bombeli et associés sa, Chêne-Bougeries GEStahlbau Zwahlen & Mayr SA, Aigle VDBetonarbeiten Construction Perret SA, SatignyBeleuchtungskonzept François GschwindLandschaftsarchitekten Gilbert Henchoz, OXALIS Architectes paysagistes associésTonnage 1500 tStahlsorten S355, S460Vorfertigung in Teilen, Montage vor OrtAbmessungen Länge 85,4 m, Breite 17,6 m, Höhe 7,9 m (Stahlkonstruktion)Baukosten ohne AngabeBauzeit 32 MonateFertigstellung August 2012

In jedem Licht spielt die komplexe Struktur aus in sich verschränkten elliptischen Ringen sowohl nach innen alsauch nach aussen mit ihremSchatten.

Während der gesamten Montagezeit lag die Brückeauf der Arbeitsplattform auf. Erst zuletzt wurde das 3 000 Tonnen schwere Bauwerk ein wenig angehobenund nach dem Rückbau der Plattform ungefähr 30Zentimeter tiefer auf den endgültigen Auflagern inPosition gebracht.

Ausgezeichneter StahlbauDank ihrer Breite von 15,50 Metern kann die Brückezwei Fahrbahnen sowie je zwei Rad- und Gehwegeaufnehmen. Die grosszügigen Abmessungen räumendem Langsamverkehr eine privilegierte Stellung ein und binden so das Projekt in den Massstab desQuartiers ein. Nachts verwandelt sich das Brücken-bauwerk zum Kunstobjekt: das warme rote Licht imInneren und das bläulich weisse im Aussenbereichbilden die Zweifarbigkeit der alpinen Landschaft inder Morgen- und Abenddämmerung ab. Die Hans-Wilsdorf-Brücke widerspiegelt die kunstvolle Synthesezwischen architektonischer Skulptur und Ingenieur-bauwerk und wurde für den Europäischen Stahlbau-preis 2013 nominiert, welcher im Oktober 2013 ver-liehen wird.

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Bauen in Stahl/steeldoc© ist die Bautendokumentation desStahlbau Zentrums Schweiz und erscheint viermal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Mitglieder des SZSerhalten das Jahresabonnement und die technischen Informationen des SZS gratis.

Die Rechte der Veröffentlichung der Bauten bleiben den Architekten vorbehalten, das Copyright der Fotos liegt bei denFotografen. Ein Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mitschriftlicher Genehmigung des Herausgebers und bei deutlicherQuellenangabe gestattet.

steeldoc 01/13, April 2013Kunstvoll überbrückt

Herausgeber: SZS Stahlbau Zentrum Schweiz, ZürichEvelyn C. Frisch, Direktorin

Redaktion:Evelyn C. Frisch (verantw.) , Martina Helzel, circa drei, München

Layout:Martina Helzel, circa drei, München

Texte:Evelyn C. Frisch, Martina Helzel Projektbeschriebe aufgrund der Projektinformationen der Planer

Fotos:Titel: Mauren BrodbeckEditorial: Tuchschmid AG/Roman ReichmuthHans-Wilsdorf-Brücke, Genf: Mauren Brodbeck (S. 4 –7, 9); Atelier d’architecture Brodbeck-Roulet/Alexander Kortus (S. 8)Fussgängerverbindung Chur: Walter Mair (S. 10 –14);Roman Reichmuth, Tuchschmid AG (S. 15)Brückenskulptur, Oberhausen: Roman Mensing/artdoc.deFussgängersteg, Taufkirchen/Vils: Marianne HeilAaresteg Mülimatt: Wilfried DechauHeusterzbrücke, Naturschutzgebiet Waldnaabaue: Brückner &Brückner Architekten

Die Informationen und Pläne stammen von den Planungsbüros.Zeichnungen überarbeitet durch Stefan Zunhamer, circa drei, München.

Designkonzept:Gabriele Fackler, Reflexivity AG, Zürich

Administration, Versand: Giesshübel-Office, ZürichDruckvorstufe und Druck: Kalt-Zehnder-Druck AG, Zug

ISSN 0255-3104

Jahresabonnement Inland CHF 48.– / Ausland CHF 60.–Einzelexemplar CHF 15.– / Doppelnummer CHF 25.–Preisänderungen vorbehalten. Bestellung unter www.steeldoc.ch

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