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Biologie für Mediziner - Institut für Humangenetik, Charité Berlin 1 1 EINFÜHRUNG IN DIE MIKROSKOPIE Auflösungsvermögen und förderliche Gesamtvergrößerung Das menschliche Auge kann Strukturen, die dichter als 100 μm (0.1 mm) zusammenliegen, nicht mehr getrennt wahrnehmen. Sein Auflösungsvermögen ist damit erreicht. Durch Verwendung eines Lichtmikroskops kann das Auflösungsvermögen bis auf 0.3 μm gesteigert werden. Dem Auflösungsvermögen sind durch die Wellenstruktur des Lichtes Grenzen gesetzt, da eine Struktur nur dann im Lichtmikroskop abgebildet werden kann, wenn das Licht darin gebeugt wird. Daneben hängt das Auflösungsvermögen auch von den verwendeten Objektiven ab, genauer von ihrer numerischen Apertur. Diese Beziehung wird durch folgende Gleichung wiedergegeben: d min = Wellenlänge des Lichtes numerische Apertur d min = kleinster Abstand, der noch getrennt wahrgenommen werden kann. Beispielsweise ergibt sich bei der Verwendung von Blaulicht (Wellenlänge 0.4 μm) und einem sehr guten Immersionsobjektiv (numerische Apertur 1.33) d min = 0.3 μm. Damit diese Distanz vom menschlichen Auge auch wahrgenommen werden kann, muß sie auf mindestens 100 μm vergrößert werden. Die förderliche Vergrößerung ist daher 100/0.3 = 333fach. Gewöhnlich wird dieser Wert mindestens verdoppelt, um ein bequemes Sehen zu gewährleisten. Es werden dabei keine zusätzlichen Details sichtbar, das Bild wird zwar größer, aber auch unschärfer. Es handelt sich daher um eine leere Vergrößerung. Als Faustregel gilt, daß die Gesamtvergrößerung etwa das 500- bis 1000-fache der numerischen Apertur betragen sollte. Die Gesamtvergrößerung Ihres Kursmikroskops ergibt sich aus dem Produkt der Eigenvergrößerung des jeweiligen Objektives und des Okulares (10fache Vergrößerung) multipliziert mit dem Tubusfaktor von 1,25. Aufgabe 1: Auflösungsvermögen und Gesamtvergrößerung Ergänzen Sie die folgende Tabelle, die Sie mit den optischen Eigenschaften Ihres Mikroskops vertraut machen soll. Legen Sie zur Berechnung des Auflösungsvermögens die Wellenlänge des grünen Lichtes von 0,5 μm zugrunde. Die numerische Apertur ist auf den Objektiven eingraviert (Abb.1-2), ebenso die Eigenvergrößerungen auf den Okularen. Objektiv Auflösungsvermögen Numerische Apertur Gesamtvergrößerung 3.2 10 40 100

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1 EINFÜHRUNG IN DIE MIKROSKOPIE

Auflösungsvermögen und förderliche GesamtvergrößerungDas menschliche Auge kann Strukturen, die dichter als 100 µm (0.1 mm)zusammenliegen, nicht mehr getrennt wahrnehmen. Sein Auflösungsvermögen istdamit erreicht. Durch Verwendung eines Lichtmikroskops kann dasAuflösungsvermögen bis auf 0.3 µm gesteigert werden. Dem Auflösungsvermögen sinddurch die Wellenstruktur des Lichtes Grenzen gesetzt, da eine Struktur nur dann imLichtmikroskop abgebildet werden kann, wenn das Licht darin gebeugt wird. Danebenhängt das Auflösungsvermögen auch von den verwendeten Objektiven ab, genauer vonihrer numerischen Apertur. Diese Beziehung wird durch folgende Gleichungwiedergegeben:

dmin = Wellenlänge des Lichtes numerische Apertur

dmin = kleinster Abstand, der noch getrennt wahrgenommen werden kann.

Beispielsweise ergibt sich bei der Verwendung von Blaulicht (Wellenlänge 0.4 µm) undeinem sehr guten Immersionsobjektiv (numerische Apertur 1.33) dmin = 0.3 µm.

Damit diese Distanz vom menschlichen Auge auch wahrgenommen werden kann, mußsie auf mindestens 100 µm vergrößert werden. Die förderliche Vergrößerung ist daher100/0.3 = 333fach. Gewöhnlich wird dieser Wert mindestens verdoppelt, um einbequemes Sehen zu gewährleisten. Es werden dabei keine zusätzlichen Detailssichtbar, das Bild wird zwar größer, aber auch unschärfer. Es handelt sich daher umeine leere Vergrößerung.

Als Faustregel gilt, daß die Gesamtvergrößerung etwa das 500- bis 1000-fache dernumerischen Apertur betragen sollte.Die Gesamtvergrößerung Ihres Kursmikroskops ergibt sich aus dem Produkt derEigenvergrößerung des jeweiligen Objektives und des Okulares (10facheVergrößerung) multipliziert mit dem Tubusfaktor von 1,25.

Aufgabe 1: Auflösungsvermögen und Gesamtvergrößerung

Ergänzen Sie die folgende Tabelle, die Sie mit den optischen Eigenschaften IhresMikroskops vertraut machen soll. Legen Sie zur Berechnung des Auflösungsvermögensdie Wellenlänge des grünen Lichtes von 0,5 µm zugrunde. Die numerische Apertur istauf den Objektiven eingraviert (Abb.1-2), ebenso die Eigenvergrößerungen auf denOkularen.

Objektiv Auflösungsvermögen Numerische Apertur Gesamtvergrößerung

3.2

10

40

100

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Abb. 1-1 Bedienungselemente des Zeiss-Kursmikroskops "Standard Junior 2"

Abb. 1-2 Gravierung auf der Objektivfassung:

40: Vergrößerungsfaktor des Objektives0.65: numerische Apertur160: empfohlene Tubuslänge0.17: vorgeschriebene Deckglasdicke in mm

Okulare

Binoculartubus

Revolver

Objektive

Präparathalter

Grobtrieb

FeintriebBeleuchtungsregler

Hilfslinse fürLupenvergrößerung

FeintriebKreuztisch

40/0.65160/0.17

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Tiefenschärfe und BildkontrastDie Qualität der lichtmikroskopischen Abbildung hängt zusätzlich von der Lichtzufuhrab, die dem jeweils benutzten Objektiv angepaßt werden muß. Ihr Kursmikroskopbesitzt hierfür einen Kondensor, dessen Öffnung durch eine Kondensorblende geregeltwird, sowie eine Hilfslinse, die nur für das schwächste Objektiv (3.2facheVergrößerung) benötigt wird. Mit Hilfe eines beweglichen Hebels können Sie dieHilfslinse einschwenken und zugleich die Blendenöffnung regulieren.

Es gilt hierbei:Hebelstellung links vorn : Objektiv 3.2 (Lupenvergrößerung) aufgeblendetHebelstellung links hinten : Objektiv 3,2 (Lupenvergrößerung) abgeblendetHebelstellung rechts vorn : Objektive 10, 40 und 100 abgeblendetHebelstellung rechts hinten : Objektive 10, 40 und 100 aufgeblendet

Der folgende Versuch soll Sie mit der Bedienung und den Eigenschaften desMikroskops vertraut machen.

Einstellen eines PräparatesSie erhalten ein Testpräparat mit Diatomeen aus Berliner Gewässern. Betrachten Siedas Diatomeen-Testpräparat zunächst mit der schwächsten Vergrößerung. ZumAuffinden der Objektebene verändern Sie den Abstand zwischen Objektiv und Präparatmit Hilfe des Grobtriebes, bis das ungefähre Bild erscheint. Vorsichtiges Hin- undHerbewegen des Präparates mit Hilfe der Bedienungsknöpfe des Kreuztischeserleichtert das Auffinden der Ebene. Stellen Sie das Präparat dann mit dem Feintriebscharf. Die Hebelstellung am Kondensor sollte links in der Mitte sein. Suchen Sie einePräparatstelle mit möglichst vielen Diatomeenschalen. Gehen Sie danach auf das10fache Objektiv über und schwenken Sie die Zusatzlinse mit dem Hebel aus demStrahlengang. Bringen Sie eine der Diatomeen genau in die Bildmitte. Können Sie beidieser Vergrößerung irgendwelche Struktureinzelheiten erkennen?

Betrachten Sie jetzt dieses Objekt mit der 40fachen Vergrößerung. Sie sollten beidieser Vergrößerung genauere Strukturdetails sehen. Da die Tiefenschärfe deutlichgeringer ist als bei der schwächeren Vergrößerung, müssen Sie jetzt bevorzugt mitdem Feintrieb arbeiten. Variieren Sie die Einstellung der Irisblende am Kondensor undbeurteilen Sie die Qualität der Abbildung hinsichtlich Kontrast, Tiefenschärfe undAuflösungsvermögen.

Behalten Sie die Irisblende in mittlerer Stellung und legen Sie einen Blau- bzw. Rotfilterin den Strahlengang. Wie verändert sich die Brillanz des Bildes?

Geben Sie danach auf das Deckglas des Präparates einen Tropfen Immersionsöl undschwenken Sie das 100er Ölobjektiv in den Strahlengang. Die Frontlinse des Objektivsmuß vollständig in das Öl eintauchen.

Aufgabe 2: Tiefenschärfe und BildkontrastStellen Sie mit Hilfe des Feintriebes das mikroskopische Bild VORSICHTIG scharf ein.Ergänzen Sie die nebenstehende Tabelle, wobei Sie die Worte:gering, stark bzw. gut verwenden sollten.

Kondensorblende geöffnet Kondensorblende

geschlossen

Kontrast

Tiefenschärfe

Auflösungsvermögen

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Nach Gebrauch der Ölimmersion müssen die Deckglasoberfläche und die Frontlinsegereinigt werden. Das geschieht mit weichem Papier.

Aufgabe 3: Präparation der Zwiebelschuppenepidermis von Allium cepa

OBJEKT: Allium cepa (Küchenzwiebel)MATERIAL:1. Allium cepa (2 ungekeimte Zwiebeln pro Tisch)2. Skalpell oder Rasierklinge3. Pinzette4. Objektträger5. Deckgläschen6. Filterpapier7. physiologische Kochsalzlösung (0,9%ige wässrige Lösung von NaCl, ist auch

für menschliche Zellen physiologisch)8. Jodjodkalium-(Lugol'sche) Lösung, färbt das Plasma, die Zellkerne und die

Zellwand unterschiedlich gelb an.

I - Zellverband II - Plasmaströmung

Objektträger

NaClLugol'scheLösung

Deckglas

Filterpapier

Vergrößerung10 X 3,210 X 1010 X 40

10 X 1010 X 100 Öl

Abb. 1-3. Präparationsanleitung: Zwiebelschuppenepidermis

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Aufgabe 4: Zeichnen des Zellverbandes (Gewebe in Lugol´scher Lösung)Stellen Sie zuerst die Lupenvergrößerung (3,2er Objektiv) ein und zeichnen Sieanschließend mit dem 10er Objektiv einen Ausschnitt des Zellverbandes. Wie ist es zurEntstehung dieses Verbandes gekommen? Betrachten Sie dann mit dem 40er Objektiveine einzelne Zelle, den Zellkern und die Zellwand. Welche Strukturen können Sieinnerhalb des Zellkernes erkennen?

Zeichnung: ZellverbandVergrößerung im Mikroskop 10 x 10 x 1,25 = 125x

Aufgabe 5 : Beobachtung der Plasmaströmung (Gewebe in physiolog.Kochsalzlösung):Suchen Sie mit Hilfe des 10er Objektivs eine geeignete Zelle auf und stellen Sie diesedann mit dem 100er Objektiv (Immersionsöl) ein. Zeichnen Sie eine Zelle mit Zellkernund Zellwand und tragen Sie (ausschnittweise) die Plasmaströmung ein.

Zeichnung: PlasmaströmungVergrößerung im Mikroskop 10 x 100 (Öl) x 1,25 = 1.250x

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Aufgabe 6: Analyse und Vergleich der elektronenmikroskopischen Bildereiner embryonalen pflanzlichen und einer tierischen Zelle.

Abb. 1-4 Elektronenoptische Darstellung einer Zelle aus einem Brutkörper des LebermoosesMarchantia polymorpha L. Fixierung - OsO4-Tyrode, Vergrößerung - 18 000x, EingezeichneterMaßstab - 1 µm

Geben Sie die Bezeichnung der von a bis j gekennzeichneten Zellbestandteile an:

a - f -

b - g -

c- h -

d - I -

e - j -

Bitte errechnen Sie mittels des vorgegebenen Maßstabes den Durchmesser dergesamten Zelle (*→*), des Nukleus (*→*), sowie eines Mitchondriums und desGolgiapparates.

Zelle - Nucleus -Mitchondrium - Golgiapparat -

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Abb. 1-5 Elektronenoptische Darstellung einer tierischen Zelle

Geben Sie die Bezeichnung der von a bis g gekennzeichneten Zellbestandteile an:

a - e -

b - f -

c- g -

d -

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2 RIESENCHROMOSOMEN

In der Geschichte der Wissenschaft muß es als besonders glücklicher Umstandangesehen werden, daß das kreuzungsgenetisch am besten analysierte Objekt, dieTaufliege Drosophila melanogaster, zu der Tiergruppe der Dipteren gehört, diecytologisch durch das Auftreten von Riesenchromosomen gekennzeichnet ist.(Inzwischen sind Riesenchromosomen auch bei Protozoen, Säugetieren und imPflanzenreich bekannt.)Die Riesenchromosomen sind erheblich länger und dicker als die entsprechendenMitosechromosomen und sind bereits bei schwacher Vergrößerung erkennbar.

Ihrer Natur nach handelt es sich um Interphasechromosomen (daher die große Länge),die aus bis zu 16.000 identischen, miteinander gepaarten DNA-Fibrillen bestehen(daher der große Durchmesser). Sie sind durch Endomitose entstanden, d. h. durch 10bis 15 DNA-Verdoppelungen ohne dazwischenliegende Zellteilung. Da zugleich einePaarung der homologen Chromosomen besteht, entspricht die Anzahl derRiesenchromosomen der haploiden Chromosomenzahl (bei der ZuckmückeChironomus und der Taufliege Drosophila melanogaster: 4). Aufgrund desunterschiedlich starken Kondensationsgrades der DNA-Fibrillen können stärker gefärbteBereiche (die Banden- oder Querscheiben bzw. Chromomeren) von hellen Abschnitten,den Interbanden, unterschieden werden (Abb. 1).

Jedes Chromosom kann anhand seines charakteristischen Bandenmusters identifiziertwerden. Zugleich ist es möglich, eine Zuordnung bestimmter Gene zu einzelnenBandenabschnitten vorzunehmen (Abb.1) und damit die kreuzungsanalytisch ermitteltelineare Anordnung der Gene auch cytologisch sichtbar zu machen. Es wird heuteangenommen, daß einzelne Banden jeweils einem Gen entsprechen.

Im Laufe der Embryonalentwicklung z. B. können sicheinzelne Banden auflockern und später wiederkondensieren. Diese Erscheinung wird englischanschaulich als „Puffing“ bezeichnet, die verändertenChromosomen als „Puffs“. Wie man heute weiß, sinddiese Konformations-veränderungen derRiesenchromosomen Ausdruck der genetischenAktivität dieser Bereiche. Damit ist es also möglich, diegenetische Aktivität lichtmikroskopisch direkt sichtbarzu machen. Da das Puff-Muster charakteristischeUnterschiede zwischen einzelnen Entwicklungsstadienund zwischen verschiedenen Geweben einesIndividuums aufweist, kann dies als sichtbarerAusdruck der differentiellen Genaktivität in derOntogenese und der Gewebespezifität angesehenwerden. Weiterführende Experimente haben gezeigt,daß die Ausschüttung von Insektenhormonen (z. B.Ecdyson) mit dem Auftreten bestimmter Puffsverbunden ist, d. h., der Wirkungsmechanismusderartiger Hormone verläuft über die Induktion derAktivität bestimmter Gene.

Sehr einfach läßt sich die Aktivität bestimmter Geneauch durch einen „Hitzeschock“ auslösen. Es handeltsich bei dieser Reaktion um einenSchutzmechanismus der Zellen gegenüber „Stress“

allgemein, durch den bestimmte Gene aktiviert werden, die danach andere Geneabschalten. Derartige „Hitzeschock-Gene“ finden sich praktisch im gesamten

w l rst vl

Abb. 2.1. Abschnitt einesRiesenchromosoms vonDrosophila melanogasta mitAngabe verschiedener Genloci.Schema des mutmaßlichen Baueseines Riesenchromosoms. Vonden vielen tausend parallelgelagerten Fibrillen sind nur 8wiedergegeben.

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Organismenreich, einschl. des Menschen, was ihre fundamentale Bedeutungunterstreicht.

Abb. 2-2. Risenchromosomen von Drosophila

Bei den Larven der Zuckmücke Chironomus finden wir in denRiesenchromosomen besonders große Puffs, die zu Ehren ihresEntdeckers als Balbiani-Ringe bezeichnet werden.

Die Riesenchromosomen von Drosophila erreichen nicht den hohenPolytäniegrad (Polytaenie = Vielsträngigkeit) der Riesenchromosomenvon Chironomus spec., außerdem sind bei Drosophila alleRiesenchromosomen einer Zelle miteinander im Chromozentrumverbunden, was ihre Analyse etwas erschwert. Im Praktikum werdendaher die Riesenchromosomen von Chironomus präpariert.

X-Chromosom

rechter Armvon Chromosom 3

Chr. 4

Chromo-

Region in der die zweihomologen Chromosomen

getrennt sind

rechter Arm von Chr. 2

linker Armvon Chr. 3

linker Armvon Chr. 2

20µm

10µm

normale mitoti-sche Chromo-somen bei glei-cher Vergröße-rung

zentrum

Abb. 2-3. Chironomus spec.Riesenchromosomen

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Aufgabe 1: Präparation der Riesenchromosomen von Chironomus spec

MATERIAL:

1. Larven (2 - 3 Tiere Pro Student)2. Objektträger3. Deckgläschen4. Skalpell oder Rasierklinge5. Präpariernadeln6. physiologische Kochsalzlösung7. Fixativ aus Alkohol-Eisessig (3 : 1)8. 45%ige Essigsäure9. 1%ige Orcein-Essigsäure-Milchsäure (OEM)

Abb. 2-4. Präparationsanleitung: Riesenchromosomen von Chironomus

Objektträger

Zuckmücke

Zuckmückenlarve

abtrennen

Speicheldrüsen

festhalten

Quetschen

Deckglas

ObjektträgerNaCl

Spülen

Alkohol-Eisessig (3:1)

Fixieren6 sec.

Färben20 min

1% Orcein-Essigsäure-Milchsäure

Differenzieren10 sec.

45% Essigsäure

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1. Herauspräparieren der Speicheldrüsen in Hohlschliffobjektträgern mitphysiologischer Kochsalzlösung: Festhalten der Larve mit einer Präpariernadelam 1. Rumpfsegment, mit der zweiten Präpariernadel die Larve am 5. bis 6.Rumpfsegment durchtrennen und dann die inneren Organe vom Kopfende herausquetschen

2. Die großzelligen, farblosen Speicheldrüsen abtrennen3. Entfernen der physiologischen Kochsalzlösung durch vorsichtiges Absaugen mit

Filterpapier4. Fixieren mit Alkohol-Eisessig (3 : 1) für ca. 6 sec.5. Entfernen des Fixativs durch Absaugen mit Filterpapier6. Färben mit 1%iger Orcein-Essigsäure-Milchsäure (OEM) für 20 min.7. Entfernen der Färbelösung durch Absaugen8. Differenzieren mit 45%iger Essigsäure für ca. 10 sec. (dadurch wird die

überschüssige Farbe entfernt, und die Chromosomen werden besser erkennbar)9. Speicheldrüsen aus Objektträger mit 45%iger Essigsäure mit Hilfe einer

Präpariernadel überführen10. Deckgläschen auflegen und mit kurzen kräftigen Stößen mit einem stumpfen

Gegenstand (Bleistift) Zellen vereinzeln. Anschließend mit dem Daumen leichtquetschen: Vorsicht! Das Deckglas darf auf keinen Fall verrutschen!

11. Die Präparate können nun im Mikroskop analysiert werden

Aufgabe 2: Analyse des Bandenmusters der Riesenchromosomen vonChironomus spec. unter besonderer Berücksichtigung ungepaarterAbschnitte, Inversionsschleifen und Translokationen:

Überzeugen Sie sich davon, daß pro Speicheldrüsenzelle 4 Riesenchromosomen zufinden sind. Da die elterlichen Chromosomen gepaart vorliegen, beträgt die diploideChromosomenzahl 8.In natürlichen Populationen der Zuckmücke, aus denen diese Larve stammen, tretennicht selten Chromosomenunterschiede zwischen den Individuen aus. Diese erkenntman besonders gut bei den Riesenchromosomen der Larven, die heterozygot fürderartige Umbauten sind, an dem Auftreten ungepaarter Abschnitte (vergleichen Siebesonders sorgfältig das Bandenmuster beider Chromosomen in diesem Bereich), amVorliegen von sog. Inversionsschleifen und an Translokationsfiguren (sehr selten).Analysieren Sie systematisch die Präparate im Hinblick auf das Vorhandenseinderartiger struktureller Unterschiede bei den Riesenchromosomen und führen Sie dabeieine Strichliste:.

UnauffäligeChromosomen

ungepaarteAbschnitte

Inversionsschleifen Deletionen

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Zeichnung: RiesenchromosomenVergrößerung im Mikrosokop :

Aufgabe 3: Ermittlung der Anzahl der Puffs und der Balbiani-Ringe derRiesenchromosomen von Chironomus spec.mit und ohne Hitzeschock

1. Larven mit Hilfe einer Pinzette in ein Reagenzglas überführen2. Reagenzglas verschließen und in ein Wasserbad bei 37°C für 20 min. stellen3. Herauspräparieren der Speicheldrüsen wie oben

Ermitteln Sie die Anzahl der Puffs, die auf den 3 großen Autosomen zu finden sind.

Anzahl analysierterRiesenchromosomen

(Nr. 1 - 3):

Anzahl Puffs insgesamt: Durchschnittliche AnzahlPuff/Riesenchromosomen

Geben Sie die Anzahl der Puffs an, die das kleinere Chromosom Nr. 4 aufweist mit undohne Hitzeschock.

Anzahl analysierterChromosomen Nr. 4

Anzahl Puffs insgesamt: Durchschnittliche AnzahlPuff/Riesenchromosomen

NACH HITZEAnzahl analysierter

Chromosomen Nr. 4

Anzahl Puffs insgesamt: Durchschnittliche AnzahlPuff/Riesenchromosomen

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Zeichnung: Puffs und Balbiani-Ringe der RiesenchromosomenVergrößerung im Mikrosokop :

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3 MITOSE

THEORETISCHE EINFÜHRUNG:

Am Beginn einer jeden individuellen Entwicklung steht die befruchtete Eizelle, die Zy-gote. Sie weist beim Menschen einen zweifachen (diploiden) Chromosomensatz ausinsgesamt 46 Chromosomen auf, jeweils ein haploider Satz aus 23 Elementen stammtvom Vater bzw. von der Mutter. Sämtliche Körperzellen sind durch Kernteilung, Mitose,und Zellteilung, Cytokinese, aus der befruchteten Eizelle hervorgegangen, sie weisendaher ebenfalls 46 Chromosomen auf und demgemäß auch sämtliche Erbanlagen.Daß sich die verschiedenen Gewebe nicht nur in histologischer sondern auch inphysiologischer Hinsicht unterscheiden, beruht letztendlich darauf, daß jeweils nurbestimmte Gene angestellt, also aktiv sind. Diese entwicklungs- undgewebsspezifische Regulation der Genaktivität ist die Grundlage für jedwedesEntwicklungs- und Differenzierungsgeschehen. Die wesentliche Bedeutung derChromosomen als Träger der Erbanlagen liegt darin, während der Mitose die korrekteVerteilung der Gene auf die Tochterzellen zu gewährleisten, bzw. die Reduktion derChromosomenzahl vom diploiden auf den haploiden Satz während der Meiose.

Charakteristische Kennzeichen proliferierender Zellen sind das Zellwachstum und dieZellteilung. Der gesamte Zellzyklus setzt sich danach aus der Interphase, sowie derKern- und Zellteilung zusammen (beide werden häufig als "Mitose" zusammengefaßt,obwohl der Begriff streng genommen nur für die Kernteilung gilt).

GG

G

M

S

0

1

2

Abb.3-1 Schematische Darstellung des Zellzyklus

Der gesamte Ablauf der Mitose dauert etwa 1 Stunde, die Interphase hingegen ist sehrviel länger. Sie wird in drei Phasen unterteilt: die S-Phase (S von Synthese), in der dieVerdoppelung des genetischen Materials, die DNA Synthese, stattfindet, die G1-Phase(G vom engl. "gap", Lücke), den Zeitabschnitt vom Ende der Mitose bis zu Beginn derS-Phase, sowie die G2-Phase, den Abschnitt zwischen dem Ende der S-Phase unddem Beginn der Mitose. Zur Kennzeichnung der Zellen eines Organismus, die sich nichtmehr teilen (z.B. Nerven- und Muskelzellen des Erwachsenen) oder nur nach einembesonderen Stimulus (z.B. die Lymphozyten) wurde die G0-Phase eingeführt.

Während der Interphase sind die Chromosomen stark dekondensiert und imLichtmikroskop in der Regel nicht zu erkennen. In der Mitose gehen sie dann von derFunktionsform in die stark kondensierte Transportform über und können im

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Lichtmikroskop analysiert werden. Heute gibt es jedoch die Möglichkeit, durch sog. insitu Hybridisierung einzelne Chromosomen auch im Interphasekern nachzuweisen.

Der Ablauf der Mitose ist in morphologischer und physiologischer Hinsicht im gesamtenTier- und Pflanzenreich nahezu identisch. In diesem Kurs analysieren Sie pflanzlicheMitosen, in dem Kurs 3 die Chromosomen des Menschen.

Man unterteilt die Mitose in die folgenden vier Abschnitte:

1. Prophase: Der Beginn der Prophase ist durch die einsetzende Kondensation desChromatins charakterisiert, wodurch die Chromosomen sichtbar werden. Sie bestehennach der DNA-Replikation in der vorausgegangenen S-Phase aus 2 identischenUntereinheiten (Chromatiden oder Schwesterchromatiden), die noch in derCentromerregion (Kinetochor) zusammengehalten werden. Im Verlauf der Prophasekommt die Genaktivität zum Erliegen und die Nucleoli werden aufgelöst. DerSpindelapparat wird aufgebaut (in ihren Präparaten können sie die Spindelfasern nichtsehen, da bevorzugt das Chromatin angefärbt wird). Das Ende der Prophase ist durchden Zusammenbruch der Kernhülle definiert.

2. Metaphase: In der frühen Metaphase (Prometaphase) kommt es zur Verlagerungder Centromere, bis diese in der Äquatorialplatte angeordnet sind. DieChromosomenarme "hängen" polwärts heraus. Dies ist das Stadium der eigentlichenMetaphase, in dem die Chromosomen besonders stark verkürzt und beideChromatiden nicht mehr umeinander gewunden sind. Die Chromosomen können jetztbesonders gut analysiert werden. Durch Zugabe eines Spindelgiftes, z. B. Colchizinoder Colcemid, läßt sich die Mitose hier arretieren.

3. Anaphase: Die Anaphase setzt abrupt mit der Teilung der Centromere ein. Danachwerden die Chromosomen mit den Centromerregionen voran zu den Spindelpolentransportiert. Es beginnt der Abbau des Spindelapparates.

4. Telophase: Haben die Chromsomen die Spindelpole erreicht, beginnen sie zudekondensieren. Es bilden sich zwei neue Kernmembranen aus. Die Telophase fällt inden meisten Fällen mit der Zellteilung zusammen.

Fehler bei der Mitose führen zu Zellinien mit unterschiedlicherChromosomenkonstitution. Tritt dies in der frühen Embryogenese ein, können sichhieraus durchaus klinische Konsequenzen ergeben (chromosomale Mosaike).Chromosomale Anomalien sind auch kennzeichnend für viele Neoplasien.

Besonders geeignete Objekte zur Analyse der Mitose sind alle schnell proliferierendenGewebe. Im Kurs soll die Küchenzwiebel Allium cepa verwendet werden, da sie leichtzum Bewurzeln zu bringen ist, wobei in den Spitzenmeristemen der Haupt- undNebenwurzeln viele Mitosen ablaufen. Ferner hat Allium cepa im diploidenChromosomensatz nur 12 Chromosomen:

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Abb. 3-2 Ablauf der Mitose nach Originalphotos und in schematischer Darstellung

Interphase

Frühe Prophase

Späte Prophase Metaphase

Anaphase

Telophase

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Aufgabe 1: Präparation des Wurzelspitzenmeristems von Allium cepa

OBJEKT: Allium cepa (Steckzwiebel)MATERIAL: 1. Wurzelspitzen 2. Objektträger 3. Deckgläschen 4. Filterpapier 5. Skalpell oder Rasierklinge 6. Fixativ (Alkohol-Eisessig) 7. 45 %ige Essigsäure 8. Karminessigsäure 9. Bunsenbrenner

Präparationsanleitung:

1. Junge Steckzwiebeln in einer feuchten Kammer für drei Tage bewurzeln lassen.2. Ganze Wurzel abtrennen und dann Wurzelspitze (1 - 2 mm) abschneiden und

auf einen Objektträger geben.3. Fixieren in Alkohol-Eisessig (3:1) für 30 sec..4. Wenige Tropfen Karminessigsäure auf den Objektträger geben und über kleiner

Bunsenbrennerflamme bis zum Sieden erhitzen.5. Farblösung einengen und erneut einen Tropfen Karminessigsäure zugeben.6. Vorgang mehrmals wiederholen.7. Wurzelspitze auf einen sauberen Objektträger überführen.8. Differenzieren (d.h. Entfernen der überschüssigen Färbelösung) mit einem

Tropfen 45 %iger Essigsäure .9. Deckglas auflegen, mit einem Filterpapierstreifen festhalten.10. Zellen durch Klopfen mit einem Bleistift auf das Deckglas vereinzeln,

anschließend mit dem Daumen kräftig quetschen (Achtung: hierbei darf dasDeckglas nicht verrutschen!).

Abb. 3-3. Karyotyp der Küchenzwiebel Allium cepa. Die Chromosomen wurden durch Colchizin in derMetaphase arretiert. Sie sind hier paarweise angeordnet, wobei die Centromerregionen alle aufgleicher Höhe liegen.

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Aufgabe 2: Zeichnen einer Pro-, Meta-, Ana- und Telophase

Zeichnen Sie mit dem 100er Objektiv (Öl) eine Pro-, Meta-, Ana- und Telophase

Zeichnung: Prophase Zeichnung: Metaphase

Zeichnung: Anaphase Zeichnung: Telophase

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4 MEIOSE

THEORETISCHE EINFÜHRUNG:Nahezu alle mehrzelligen Organismen bilden geschlechtlich differenzierte, haploideKeimzellen (Gameten) aus, die bei der Befruchtung - je ein weiblicher und einmännlicher Gamet - verschmelzen. Die Befruchtung führt dann zu einer Zelle (Zygote)mit diploidem Chromosomensatz. Die folgenden mitotischen Kernteilungengewährleisten die Erbgleichheit der Tochterzellen. Die zur Gametenbildung notwendigeReduktion des diploiden Satzes (2n) auf den haploiden Satz (n) erfolgt bei allen höherentierischen Organismen während der Reifung der Keimzellen durch die beidenmeiotischen Kernteilungen (I, II), auch Reifeteilungen genannt. Zugleich kommt es dabeizu einer weitgehenden Durchmischung (Rekombination) des elterlichen Erbgutes, sodaß praktisch sämtliche Gameten genetisch verschieden sind. Hierin liegt diebesondere biologische Bedeutung der Meiose.

Meiose und Befruchtung sind daher zwei komplementäre Prozesse, die die Eukaryoteninsgesamt kennzeichnen. Sie stellen den genetischen Aspekt der Sexualität dar, dieAusbildung unterschiedlicher Geschlechter ist deren morphologischer Aspekt.

Die Rekombination der elterlichen Erbanlagen findet in zweifacher Weise statt: einmaldurch die zufällige Aufteilung der elterlichen Chromosomen(abschnitte) in der AnaphaseI (und Anaphase II), zum anderen durch den Chromosomenstückaustausch (crossing-over) in der frühen Prophase I (Pachytän) zwischen den Chromatiden der homologenelterlichen Chromosomen. Lichtmikroskopisch sichtbarer Ausdruck des crossing-oversind die Chiasmata (Überkreuzungsstellen) zwischen den homologen Chromosomen,die in einem späteren Prophasestadium, dem Diplotän, besonders gut zu erkennensind.

Die Meiose I ist die eigentliche Reduktionsteilung. Hier werden die homologenChromosomen voneinander getrennt. Voraussetzung dafür ist, daß sie zunächst durchPaarung einander zugeordnet sind. Die Meiose II entspricht im Prinzip einer mitotischenTeilung, in der die beiden Chromatiden voneinander getrennt werden. Infolge descrossing-over im Pachytän weisen die Schwesterchromatiden jedoch abschnittsweiseväterliche und mütterliche Allele auf. Diese werden in der Meiose II voneinandergetrennt. Ohne diese zweite Reifeteilung wäre das crossing-over genetisch unwirksam,die Rekombination wesentlich geringer. Dies ist die wesentliche Erklärung dafür, daßdie Meiose praktisch ausnahmslos aus zwei Teilungsschritten und nicht nur derReduktionsteilung besteht.

Der Zellzyklus vor Beginn der Meiose ist bereits verändert, so erfolgt die DNAVerdoppelung nicht vollständig (ca. 0.3% sind nicht repliziert), und es wird einbesonderes chromosomales Protein synthetisiert, das Meiose-Histon, das vermutlichfür die gegenüber Mitosechromosomen veränderte Chromosomenmorphologiemitverantwortlich ist. Die Prophase I dauert besonders lang. Bei der Oogenese desMenschen z. B. bis zu 45 Jahren, bei der Spermatogenese mehr als 1 Monat. Manunterscheidet die folgenden Stadien: Leptotän, Zygotän, Pachytän, Diplotän undDiakinese.

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Abb 4-1. Schematische Darstellung der chiasmatischen Meiose und cytologische Zuordnung:

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Das Leptotän ist durch die zunehmende Kondensation der Chromosomencharakterisiert, im Zytogän beginnt die Paarung, Synapsis, der homologenChromosomen, die im Pachytän abgeschlossen ist. Im Diplotän beginnen dieCentromere der gepaarten Chromosomen auseinanderzuweichen (Desynapsis),lediglich an den Chiasmata bleiben die Bivalente (= gepaarte homologe Chromosomen)verbunden. Die Bivalente ordnen sich in der Metaphase I in der Äquatorialplatte an undin der Anaphase I werden die ehemals väterlichen und mütterlichen Chromosomen(genauer: Centromere) auf die Tochterzellen verteilt. Um die haploiden Kerne bildet sichin der Telophase I eine Kernmembran. Zwischen Meiose I und II liegt eine kurzespezielle Interphase, in der keine Verdoppelung des genetischen Materials stattfindetund die als Interkinese bezeichnet wird. Anschließend läuft die Meiose II wie eineMitose, nur mit haploidem Chromosomensatz ab.

Das Verhalten der Chromosomen während der Meiose ist sichtbarer Ausdruck dergesetzmäßigen Weitergabe der Erbanlagen, wie sie von Mendel und Morgan aus ihrenKreuzungsexperimenten erschlossen wurden. Der formale Ablauf stimmt beimMenschen in beiden Geschlechtern überein, wesentliche Unterschiede gibt es jedochim zeitlichen Verlauf (s.o.) und im Ergebnis: Im männlichen Geschlecht entstehen auseiner diploiden Spermatogonie vier haploide Spermien, im weiblichen Geschlecht auseiner Oogonie infolge inäqualer Zellteilung eine große Eizelle und drei kleinePolkörperchen. Während beim Menschen im weiblichen Geschlecht die Oogonienbereits pränatal ab dem 3.Lebensmonat in die Meiose I eintreten und in einemspeziellen Stadium, dem Diktyotän (7. Monat intrauterin) verharren, werden immännlichen Geschlecht ab der Pubertät infolge differentieller mitotischer Teilung derSpermatogonien (in Spermatogonien und Spermatocyten) ständig neue Keimzellennachgeliefert.

Beim Menschen ist die Aufteilung der Chromosomen, speziell bei der Keimzellbildungim weiblichen Geschlecht, ein sehr störanfälliger Prozeß. Er zeigt eine starkeAbhängigkeit vom mütterlichen Alter. Von 1.000 befruchteten Eizellen weisen ca. 200bis 300 eine Chromosomenanomalie auf.

Im Prinzip läuft die Meiose bei allen höheren Organismen gleich ab. Besonders einfachdarstellbar ist die Meiose bei männlichen Heuschrecken. Deshalb werden in diesemKurs Männchen der Wanderheuschrecke Locusta migratoria präpariert.

Aufgabe 1: Präparation der Keimzellen der Wanderheuschrecke Locustamigratoria

OBJEKT: Männchen der Wanderheuschrecke Locusta migratoriaMATERIAL: 1. Locusta migratoria, 2. Hohlschliffobjektträger 3. Objektträger 4. Deckgläschen 5. kleine Schere 6. 2 Präparationsnadeln 7. physiologische Kochsalzlösung 8. Fixativ aus Alkohol-Eisessig (3:1) 9. 45 %ige Essigsäure10. 2 %ige Orcein-Essigsäure (OE)11. Filterpapier

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Präparation der im vorderen bis mittleren Abdomenabschnitt liegenden Testes in einemHohlschliffobjektträger mit physiologischer Kochsalzlösung. Hierzu das Abdomen miteiner Schere abschneiden, teilweise eröffnen und die Hoden herausziehen. DieHodenschläuche sind ringsum von gelbem Fettkörper umgeben, dieser kann mit derPräpariernadel leicht entfernt werden. Darunter sieht man die einzelnenHodenschläuche, welche wie Bananen an einer Bananenstaude aneinanderhängen.

ACHTUNG: Verwechslungsmöglichkeit mit den im hinteren Abdomenabschnittliegenden weißen Malpighischen Gefäßen. Daher unbedingt unter derLupenvergrößerung kontrollieren, ob es sich wirklich um Hoden handelt.

1. Absaugen der physiologischen Kochsalzlösung2. Spülen mit physiologischer Kochsalzlösung3. Fixieren mit Alkohol-Eisessig (3:1) für 1 min.4. einmal Fixativ erneuern und ca. 3 - 5 min. fixieren5. Fixativ absaugen6. Färben in Orcein-Essigsäure für ca. 20 min.7. Orcein-Essigsäure entfernen8. 45 %ige Essigsäure zugeben und kurz differenzieren (dadurch wird die

überschüssige Farbe entfernt und die Chromosomen werden besser erkennbar)9. 2 - 3 Hodenschläuche auf einen Objektträger geben10. Deckglas auflegen, Zellen durch Klopfen mit einem Bleistift vereinzeln und

anschließend mit dem Daumen kräftig quetschen. Dabei muß das Deckglasunbedingt mit der anderen Hand und dem Filterpapier festgehalten werden, damites nicht verrutscht.

Abb. 4-2 Präparationsanleitung:Locusta migratoria Testes

Objektträger

Quetschen

Deckglas

Differenzieren2 min

HohlschliffobjektträgerTestes

NaCl

NaClWaschen

Alkohol-Eisessig3 : 1

Fixieren1 min, 5min

Färben20 min

2% Orcein-Essigsäure

45% Essigsäure

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Aufgabe 2: Bestimmung der Bivalente von Locusta migratoria.Bestimmen Sie an einem Stadium der Prophase I die Zahl der Bivalente(Chromosomenzahl). Achten Sie auf das X-Chromosom, das als Univalent vorliegt, dabei Locusta ein XX\XO Geschlechtsbestimmungsmechanismus gegeben ist.

Aufgabe 3: Zeichnen eines Bivalentes.Zeichnen Sie ein Bivalent im Diplotän, wobei die elterlichen Chromosomenunterschiedlich (farbig) dargestellt werden sollen. Weisen Sie auf die Chiasmata hin.

Zeichnung: Ein Bivalent im Diplotän von Locusta migratoriaVergrößerung im Mikroskop

Aufgabe 4: Ordnen fotografischer Bilder verschiedener Meiosestadienanhand einer schematischen Darstellung der Meiose:Ordnen Sie die fotografierten, ausgeschnittenen Meiosestadien in den schematischenDarstellungen der Meiose (im männlichen Geschlecht) auf der nächste Seite ein.Nachdem der Tischassistent das Ergebnis kontrolliert hat, können die Bilder festaufgeklebt werden.

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Prä-meiotische Mitose Pachytän Diplotän

DiakineseMetaphase IAnaphase I

Metaphase IIAnaphase II

Interkinese

2n (männl.) = 17 Paarung der Homologen Zentromere trennen sich

Vollständige KondensationÄquatorialplatteTrennung der Homologen

Trennung der Chromatiden

Interphase ohne S-Phase

Meiose in Chorthippus brunneus (Heuschrecke)

8

8

9, X

9, X

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BLUTENTNAHME

Für die Analyse der menschlichen Chromosomen (K5) und zur Extraktion von DNA fürdie Polymerasekettenreaktion (K8) wird von jedem Teilnehmer der möchte, Blutentnommen.

1. 70 %iger Alkohol2. Zellstofftupfer3. 5 ml Spritze4. Kanüle5. Liquemin6. Kulturmedium

Sterile, heparinisierte 5 ml Spritze mit Namen beschriften.Ihr Tutor wird Ihnen die Technik der intravenösen Blutabnahme erklären. Hier sei nurdarauf hingewiesen, daß (1) eine nicht geschützte Kanüle gefährlich ist und (2)Handschuhe zur Verfügung stehen.

A. Ansetzen der Blutkulturen:0,4 ml des Blutes in ein Kulturröhrchen mit 5ml Kulturmedium geben.Die Kulturen werden 3 Tage bei 4°C, danach 4 Tage bei 37°C inkubiert.Ca. 12 Std. vor der Aufarbeitung werden 0,4 µg Colcemid zu jeder Kultur gegeben.

Bilder der Meiosestadien

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5 HUMANCYTOGENETIK

THEORETISCHE EINFÜHRUNG:

Die erste Darstellung der menschlichen Chromosomen reicht noch in das vergangeneJahrhundert zurück (Hansmann, 1891), aber erst seit 1956 kennt man mit 2n = 46 dieexakte Zahl. Heute werden allein in Berlin jährlich mehr als 3.000Chromosomenanalysen durchgeführt. Es waren im wesentlichen zwei methodischeFortschritte, durch die die routinemäßige Anwendung dieser Diagnostik möglich wurde:

1. Die Entwicklung der Lymphozytenkultur, wodurch das Problem derMaterialbeschaffung einfach gelöst wurde und

2. die Verbesserung der Präparationstechnik durch Zugabe eines Mitosegiftes(Colcemid) zur Arretierung der Zellen in der Metaphase und die Anwendung eineshypotonen Schockes vor dem Fixieren zur besseren Ausbreitung der Chromosomen.

Die Chromosomen unterteilt man in die Autosomen und die Heterosomen(Gonosomen). Die 44 Autosomen (autos, griech. = gleich) sind in den beidenGeschlechtern identisch. Die zwei Heterosomen (heteros, griech. = verschieden)bestehen im weiblichen Geschlecht aus zwei X-Chromosomen (46,XX) und immännlichen aus einem X- und einem Y-Chromosom (46,XY).

Die einzelnen menschlichen Chromosomen können nach ihrer Größe und der Lage desCentromers (Spindelfaseransatzstelle) wie folgt charakterisiert werden:

Chromosomenform Chromosomen Nr.

Zentromer

Chromatid metazentrisch 1, 3, 16, 19, 20

Zentromer

Chromatidsubmetazentrisch 2, 4-12, 17, 18, X

Zentromer

Satellit

akrozentrisch 13, 14, 15, 21, 22, Y

Ein weiterer entscheidender Fortschritt in der cytogenetischen Diagnostik war dieEinführung differentieller Färbemethoden, mit denen ein jeweils charakteristischeschromosomales Bandenmuster erzeugt werden kann. Damit konnten alleChromosomenpaare eindeutig identifiziert und auch kleine strukturelle Veränderungennachgewiesen werden. Die wichtigsten Symbole für die Beschreibung aberranterKaryotypen sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Am verbreitetsten ist die G (Giemsa-) Bandentechnik, die auf einer speziellenVorbehandlung der Chromosomen und anschließender Giemsa-Färbung beruht. Annormalen Metaphasechromosomen können damit etwa 400 Banden pro haploidemSatz unterschieden werden. Mittels der C-Bandentechnik wird das sog. konstitutiveHeterochromatin, das die centromernahen Bereiche kennzeichnet, spezifischangefärbt, wobei die besonders großen C-Banden der Chromosomen 1, 9, 16 und Yauffallen. Diese können zwischen verschiedenen Individuen erheblich variieren(chromosomale Heteromorphismen), ohne daß dies von klinischer Relevanz ist.

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Tabelle 1: Einige Karyotyp Bezeichnungen nach der ISCN-Nomenklatur von1995

1. Normaler Chromosomensatz46, XX weiblicher Karyotyp mit 46 Chromosomen, davon 2 X

Chromosomen46, XY männlicher Karyotyp mit 46 Chromosomen, davon 1 X

und 1 Y Chromosom

2. Numerische Chromosomenanomalien47, XXY Vorhandensein eines zusätzlichen

Geschlechtschromosoms45,X Fehlen eines Geschlechtschromosoms47,XY,+21 Trisomie 21 (bei männlichem Chromosomensatz)46,XX,+18,-21 Trisomie 18 und Monosomie 21 (bei weiblichem

Chromosomensatz)69,XXY Triploider Karyotyp mit XXY-Gonosomen

3. Mosaike und Chimärenmos45,X/46,XY Mosaik aus zwei Zellinien mit 45,X und 46,XY

Chromosomenkonstitutionchi46,XX/46,XY Chimäre aus einer weiblichen und männlichen Zellinie

4. Strukturelle Chromosomenveränderungenadd(22)(p11.2) Zusätzliches Material unbekannter Herkunft an

22p11.2 angelagertdel(21)(q?) Deletion des langen Arms von Chromosom 21,

Bruchpunkt unbekanntdel(1)(q21q31) Interstitielle Deletion im langen Arm des Chromosoms

1 zwischen den Banden 21 und 31del(1)(q21) Deletion des terminalen Abschnittes vom langen Arm

des Chromosoms 1 ab Bande 21inv(2)(p21q31) Inversion im Chromosom 2, die die Centromerregion

einschließt (perizentrische Inversion) und zwischenden Banden p21 und q31 liegt

inv(2)(p13p24) Parazentrische Inversion im kurzen Arm desChromosoms 2 zwischen den Banden 13 und 24

dup(2)(p14p23) Duplikationen im kurzen Arm von Chromosom 2 desSegmentes zwischen den Banden 14 und 23

r(2) Ringchromosom 2dic(Y) Dizentrisches Y-Chromosomt(2;5)(q21;q31) reziproke Translokation zwischen den Chromosomen 2

und 5, wobei die Bruchstellen beim Chromosom 2 imlangen Arm in der Bande 21, beim Chromosom 5 inder Bande 31 auftreten

der(13;14)(q10;q10) Translokation der langen Arme von Chromosom 13 und14 (Robertsonsche Translokation)

i(X)(q10) Isochromosomen für den langen Arm des Xder(2) vom Chromosom 2 abgeleitetes (engl. "derived")

Chromosomins(5) Insertion im Chromosom 5fra(X)(q27) X-Chromosom mit einer fragilen Stelle an Position q27

5. Chromosomale Heteromorphismen16qh+ Verlängerung der heterochromatischen Bande im

langen Arm des Chromosom 1621ps+ Vergrößerung der Satelliten auf dem Chromosom 21

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Tabelle 2: Einige Charakteristika der verschiedene chromosomalen Banden

Charakteristikum R-Banden G-Banden C-BandenErbanlagen vermutlich

sämtlichekonstitutiv aktivenGene

überwiegendgewebsspezifischaktive Gene

keine oder nurwenige Gene

repetitive DNA überwiegend kurzegemäßigt repetitiveSequenzen(SINES)

überwiegend langegemäßigt repetitiveSequenzen(LINES)

überwiegend sehrkurze hochrepetitiveSequenzen

BasenZusammensetzung

GC-reich AT-reich AT-reich, einige GC-reich

crossing-over Rate hoch niedrig sehr gering, fehlendZeitpunkt der DNAReplikation

frühe S-Phase mittlere bis späteS-Phase

späte S-Phase

Wie wir heute wissen, liegt diesem unterschiedlichen Färbeverhalten auch eineunterschiedliche molekulare Organisation des Erbgutes zugrunde. So finden sich in denhellen G-Banden bevorzugt diejenigen Gene, die in nahezu sämtlichen Zellen aktiv sindund elementare zellphysiologische Prozesse steuern (z.B. den Energiestoffwechsel),bzw. für ubiquitäre Strukturproteine (z.B. die Histone) kodieren. Diejenigen Erbanlagenhingegen, die entwicklungs- und gewebsspezifisch reguliert werden, finden sichbevorzugt in den dunklen G-Banden. Die C-Banden hingegen enthalten einfache, invielen Kopien vorliegende DNS-Sequenzen, jedoch keine Gene. Dies erklärt auch,warum unterschiedliche Mengen dieser DNS, wie im Falle der chromosomalenHeteromorphismen, ohne klinische Auswirkungen sind (s. Tabelle 2). Dies macht aberauch deutlich, daß sich Veränderungen der hellen G-Banden gravierender auf dieEntwicklung auswirken, als solche von dunklen G-Banden. Damit stimmt überein, daßdie Chromosomen mit besonders viel G-Bandenmaterial, wie die Chromosomen 13, 18und 21, besonders wenige Gene aufweisen und praktisch die einzigen Autosomendarstellen, die im trisomen Zustand mit dem Leben vereinbar sind (s. Tabelle 3).

Je nach Fragestellung kann unterschiedliches Zellmaterial zurChromosomendarstellung benutzt werden:1. Lymphozyten aus Venen- oder Kapillarblut, diese Zellen müssen durch Zusatzvon Phytohämagglutinin zur Teilung stimuliert werden (Methode der klinischen Routine).2. Hautzellen (Fibroblasten) können noch 72 h post mortem entnommen undauch über längere Zeit kultiviert werden (als Ergänzung und Erweiterung zurLymphozytenkultur).3. Knochenmarkzellen sind bereits in vivo sehr teilungsaktiv und können daherohne Kultivierung aufgearbeitet werden (zur Differentialdiagnostik bei Leukämien).4. Fruchtwasserzellen, d.h. Zellen des Embryos, die sich im Fruchtwasserbefinden und nach der Entnahme und einer kurzen Kultivierungszeit aufgearbeitetwerden können (zur pränatalen Diagnostik).5. Chorionzotten, das frühen Plazentas (zur pränatalen Diagnostik).6. Nabelschnurblut d.h. durch Punktion der Nabelschnurgefäße (Cordozentese)erhältlichen fetale Blutzellen (zur pränatalen Diagnostik).7. Keimzellen des Mannes werden durch eine Hodenbiopsie gewonnen undkönnen zur Darstellung von Spermatogonienmitosen und Meiosechromosomenverwandt werden (Differentialdiagnostik bei Infertilität).

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Tabelle 3: Häufigkeit menschlicher Chromosomenanomalien

Aborte%

Neugeborenen%

pro 1000Neugeborene

1 Numerische Anomalien Aneuploidien gonosomale Monosomien (45,X) gonosomale Trisomien (47, XXX; XXY; XYY) autosomale Monosomien autosomale Trisomien (+13; +18; + 21) alle anderen Trisomien

20≤ 0,5< 0,5

942

-23,7

-25,4

-

< 0,11,4-

1,5-

Polyploidien Triploidien (69, XXX; XXY; XYY) Tetraploidien (92, XXXX; XXYY)

16,56,3

--

--

2 Strukturelle Anomalien Balanciert Unbalanciert

0,63,1

32,28,5

1,90,5

3 Sonstige (Mosaike usw.) 2,5 10,2 0,6100 100 5,9

Aufgabe 1: Aufarbeiten der eigenen Blutkulturen und Analyse derChromosomen

OBJEKT: 3 Tage-Kulturen von menschlichen periphären BlutMATERIAL:

1. 0,4%-ige KCl-Lösung2. Fixativ: Methanol/Eisessing (3 : 1)3. Giemsa-Lösung4. Pipette

Anleitung

1. Die Kulturen werden für 10 min bei 1000 UPM zentrifugiert, um die Zellen zuSedimentieren.

2. Mit der Pipette den Überstand vorsichtig bis auf 0,5 ml über dem Sedimentabpipettieren (Markierung des Röhrchens beachten).

3. Zellen in dem verbleibenden 0,5 ml-Überstand gut resuspendieren und dann in diePipette aufsaugen.

WICHTIG: Der nächste Schritt muß vom gesamten Kurs gleichzeitig durchgeführtwerden: 8 ml hypotone KCl-Lösung in das leere Röhrchen geben

AUF KOMMANDO: Die Zellsuspension hinzupipettieren - sofort gut durchpipettieren. 4. 12 min bei Raumtemperatur inkubieren.5. 10 min bei 1000 UPM zentrifugieren.6. Überstand bis auf 0,5 ml über dem Sediment abpipettieren.7. Zellen in dem verbleibenden 0,5 ml-Überstand gut resuspendieren und dann in die

Pipette aufsaugen.8. 2 ml Fixativ in das leere Röhrchen geben und die Zellsuspension schnell

hinzupipettieren - sofort gut mischen.9. Weitere 3 ml Fixativ hinzugeben und durchpipettieren.10. 10 min bei 1000 UpM zentrifugieren.

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11. Überstand bis auf 1 ml absaugen.12. 4 ml Fixativ hinzugeben und durchpipettieren13. 10 min bei 1000 UpM zentrifugieren.14. Überstand bis auf 0,5 ml absaugen.15. 3 - 4 Tropfen Zellsuspension auf mehrere Objektträger (beschriften!) auftropfen.16. Objektträger auf die Tischlampe zum Trocknen hinlegen.17. Ein oder zwei Luftgetrocknete Präparate 10 min in 4 % Giemsa-Lösung färben.18. Mit Leitungswasser spülen und trocknen. Mikroskopische Analyse der eigenen Chromosomenpräparate:Die folgenden drei Abbildungen sollen bei der Suche nach Metaphasen helfen:dargestellt ist jeweils das mikroskopische Bild der Präparate in der 10er, 40er und100er Vergrößerung. Schon mit dem 10er Objektiv lassen sich die Metaphasen gutvon den durchgefärbten Interphasekernen unterscheiden. Mit diesem Objektiv ist dieSuche am einfachsten. Dauerpräparate stehen zur Verfügung, um das Einstellen desMikroskops zu üben.

10er Objektiv 40er Objektiv 100er Objektiv

Zeichnen Sie in der 100fachen Vergrößerung eine gut gespreitete Mitose undbestimmen Sie die Chromosomenzahl und die Geschlechtschromosomen-konstitution.Bei der Zeichnung ist es hilfreich, die Metaphaseplatten gemäß beigefügter Skizze ineinzelne Sektoren zu zerlegen und diese getrennt zu analysieren:

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Zeichnung : Menschliche ChromosomenVergrößerung im Mikroskop :

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Aufgabe 2: Ordnen eines normalen männlichen Chromosomensatzes:

Sie erhalten, ausgedruckt auf einer gummierten Unterlage, die 46 Chromosomen einesnormalen männlichen Chromosomensatzes nach G-Bandenfärbung. Trennen Sie dieChromosomen heraus und ordnen Sie sie gemäß der Schemazeichnung auf der untengezeigten Vorlage. Achten Sie darauf, daß die Centromere auf dem Strich liegen.Nachdem der Tischassistent die richtige Anordnung bestätigt hat, können dieChromosomen durch Befeuchten der Rückseite aufgeklebt werden. Der geordneteChromosomensatz wird als "Karyotyp" bezeichnet.

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Aufgabe 3: Analyse von vier aberranten menschlichen Metaphasen:

Bestimmen Sie die Chromosomenzahl der vier abgebildeten Metaphasen. In drei Fällenhandelt es sich um die Chromosomen klinisch auffälliger Probanden, in einem Fall umden Chromosomenbefund bei einem Spontanabort. Versuchen Sie durch Analyse derChromosomen die genaue Bezeichnung des Karyotyps anzugeben (vgl. S. 2 dieserSkripte).

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Chromosomen eines normalen männlichen

Chromosomensatzes nach G-Bandenfärbung