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die kritisch-unabhängige Studierenden-Zeitung über.morgen www.uebermorgen.at | Jahr 2, Ausgabe 12 | Fr 29.10.2010 | Kostenlos SUD REGIETHEATERTITAN NEUENFELS: INTERVIEW S. 10 BIG BROTHER AWARD BEOBACHTET S. 13 WIR HABEN GEBACKEN AB S. 4

12/2010: Scho wödfremd, oda checkst as no?

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Die unibrennt-Bewegung wird 1 Jahr alt und somit auch die über.morgen. Lest darüber im über.ich auf Seite 3. Mehr zum über.thema 1 Jahr unibrennt gibt's ab Seite 4.

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die kritisch-unabhängige Studierenden-Zeitungüber.morgen

www.uebermorgen.at | Jahr 2, Ausgabe 12 | Fr 29.10.2010 | Kostenlos

sud

regietheatertitaN NeueNfels: iNterview s. 10

big brother award beobachtet s. 13wir habeN gebackeN ab s. 4

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ImpressumMedieninhaber & Herausgeber: Verein zur Förderung studentischer Eigenin-itiativen. 1170 Wien. Taubergasse 35/15. Tel.: +43664 558 77 84, Homepage: www.uebermorgen.at; Redaktion: Verein zur Förderung studentischer Eigeninitia-tiven. 1170 Wien. Taubergasse 35/15; Redaktionelle Leitung: Matthias Hütter, dario summer; Herstellerin: druckerei Fiona, www.fiona.or.at; Herstellungs- und Erschei-nungsort: Wien; Layout: axt; Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach §44 Abs. 1 urheberrechtsgesetz: © Verein zur Förderung studentischer Eigeninitiativen.Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet.

Über Leben und TodDie unbeschwerte Jugendzeit der über.mor-gen (geborene Morgen) ist tot. In den frühen Morgenstunden des 29. Oktober 2010 kam sie bei einem Autounfall nahe der Univer-sität Wien ums Leben. Ein Bus rammte ih-ren Trabant, Baujahr 1968 – sie war sofort tot. Bei der Obduktion wurden ein Blutalko-holwert von 1,5 Promille und große Mengen an Kokain sowie Marihuana nachgewiesen.

Der Buslenker beging Fahrerflucht und tauchte im nahen Börsengebäude unter. Die auf diesem Wege völlig unvorbereitet in die Erwachsenenzeit gestoßene über.mor-gen fand sich, nachdem zu allem Überfluss nun auch die Familienbeihilfe ab 24 gestri-chen wurde, genötigt, zur Bewältigung der allzu hohen Begräbnis- und Überlebens-kosten wohl gesinnte Bekannte und Gönner um finanziellen Beistand zu bitten. Den An-fang übernahm ein naher Verwandter. Sein philanthroper Beitrag zur posttraumatischen Überlebenssicherung der über.morgen kann auf ihrer allerletzten Seite der aktuellen In-karnation bewundert oder übersehen wer-den. Aufgrund ihrer dennoch verbliebenen Selbstachtung und bewahrten Würde, wird die über.morgen diese neue Form der Über-lebenshilfe dennoch nur von kultureller und sozial engagierter Seite entgegennehmen.

Den lesenden Freundinnen und Freunden dankt die über.morgen für die geleiste-te Anteilnahme und bittet um Verständ-nis und auch lesenden Beistand für ihren neuen Lebensweg.

[red]

über.inhalt

über.ich

über.thema

über.politik

über.denken

über.graus

über.reste

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über.inhalt 2

Wie man uns unterstützen kann: Nutzen Sie die Möglichkeit durch ein Spendenabo die über.morgen Monat für Monat frei Haus geliefert zu bekommen: http://abo.uebermorgen.at oder [email protected]

Konto: 00074753235 | BLZ: 60000 (PSK) Zweck: über.morgen Alle Einlagen gehen ausschießlich zu-gunsten des Vereins (Druckkosten).

über.bildung

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über.kitsch&kultur 13

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Über Leben und Tod

Impressum

Liebe Leserinnen, liebe Leser

In Kürze

1 Jahr #unibrennt

Meinungen zu 1 #unibrennt

Frust und Vollversammlung

Aktionstag: Gemeinsam gegen die Politik?

Education is a human right! Bildungsprotes-

te in den usA

die christlichen Werte der Frau Maria F.

Wir brauchen Konsens, keine Knüppel (s21)

Zürichs autonome Inseln 2. Teil

Fortschritt gibt es nicht - Neuenfels im Interview

Another education system on fire

datenschutz? uns doch egal!

Bonaparte Konzert Rezension

sendung mit dem Graus: Verhüllen, Enthüllen

Rezension: #unibrennt - der Film

unser Lieblingsplatz: schnapsloch

Hund der Woche

sudereck: Facebook

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www.uebermorgen.at

Uns gibt es immer noch und wir feiern un-seren ersten Geburtstag. Am 28. Oktober erschien die erste morgen. Klingt jetzt arg, ist aber so. Denn am Anfang, eben da, als wir noch morgen hießen, wurde von vielen bezweifelt, dass wir unsere erste Ausga-be überleben werden. Martin Gantner vom Falter hat damals etwas geschrieben, was wir euch, liebe Leserinnen und Leser, natür-lich nicht vorenthalten wollen. Auf der Me-dien-Seite des Falter vom 4.11.2009 stand geschrieben:

“‘Zwischen den Flüssen Reno und Savena, am Fuß der Apenninen (…) liegt ein Städt-chen namens Bologna.’ So lauten die ersten Zeilen eines Textes in der ersten (einzigen?) Ausgabe von Morgen, die mit Eva und Hans Dichand nichts zu tun hat. Es ist die Zeitung der Audimax-Besetzer. Über Nacht geschrie-ben und 10.000-fach gedruckt.”

Damals waren wir noch ein chaotischer Haufen von unerfahrenen Jungs und Mä-

dels aus dem besetzten Audimax, die „die da draußen“ über unsere Anliegen informie-ren wollten. Wir hatten große Ziele. Wir wa-ren motiviert. Wir hatten viel Spaß bei der Zeitungsarbeit. Eigentlich hat sich das bis heute nicht geändert.

Trotzdem gab es mit der Neutaufe zur über.morgen einen Wandel. Bildung und der Pro-test sind nun nicht mehr unsere alleinigen Themenschwerpunkte, sondern teilen sich mit den Bereichen Politik, Kultur und Ge-sellschaft den Platz in unserem kleinen, kri-tischen Blättchen. Unser Ziel ist es heute, ein alternatives Nischenprodukt in der ös-terreichischen Medienlandschaft anzubie-ten. Mit viel Herzblut erscheint monatlich die über.morgen. Langsam steigende Abo-zahlen, eine stetig wachsende Fangemein-de auf facebook und die Aufnahme in den Österreichischen Medienverband bestäti-gen unseren Weg. Heute haben wir 16 Sei-ten, eine Auflage von 1000 Stück und sind noch immer kostenlos, aber nicht umsonst.

Der Dank dafür gebührt allen Förderabon-nentinnen und Förderabonnenten, Spende-rinnen und Spendern, Audimaxistinnen und Audimaxisten, sonstigen Unterstützerinnen und Unterstützern und vor allem all jenen, die das vergangene Jahr Zeit und Arbeit in dieses kleine Zeitungsprojekt investiert ha-ben. Sei es, als sie noch morgen hieß, oder schon über.morgen getauft wurde, sei es, ob sie noch mit dabei sind oder uns verlas-sen haben. Danke Leute, ohne euch wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen.

8 Ausgaben oder 120 Seiten morgen. 12 Ausgaben, 184 Seiten und eine Gesamtau-flage von 28.500 über.morgen.

Ahja: WIR LEBEN NOCH! Und haben sicher nicht vor das zu ändern…

Liebe Leserinnen,Liebe Leser

Freie Medien unter sich

Fekter wird besachwaltert Poster-AusschreiBung

über.ich

strache wird angezeigt

Am 15. Oktober fand im Museumsquartier der Tag der Freien Me-dien statt. Der Österreichische Medienverband organisierte die Messe mit Workshops, Podiumsdiskussion und Vorträgen. In ei-nem separaten Programmblock wurde freien und unabhängigen Medien die Möglichkeit gegeben sich zu präsentieren. www.me-dienverband.at

Die Aktion “Wir helfen Fekter” setzt sich online für eine Besach-walterung der Innenministerin Maria Fekter ein. Die nicht ganz ernst zu nehmende Kampagne versteht sich als Anregung, Asyl-werber und Einwanderer in diesem Land endlich wieder als Men-schen wahrzunehmen. Mittlerweile unterzeichneten knapp 2000 Menschen die Petition auf www.wirhelfenfekter.at

Eine Ausschreibung zu einer Plakatserie der ÖH Bundesvertretung zu den Protesten des vergangenen Jahres! Die fünf Hauptpreise werden mit je € 1.000 honoriert, Einsendeschluss ist der 25. No-vember 2010. Präsentiert werden die Siegersujets am Hochschul-kongress der ÖH Bundesvertretung. www.oeh.ac.at

936 Menschen haben bereits den FPÖ-Parteichef HC Strache wegen des Tatbestandes der Verhetzung laut § 283 StGB ange-zeigt. Der Grund dafür ist seine Aufforderung “Mustafa” eins mit der Steinschleuder “aufzubrennen”. Passiert ist das ganze im FPÖ-Folder “Sagen aus Wien”. Online ist die Zahl der Anzeigen-den und die Sachverhaltsdarstellung unter www.dasbuendnis.two-day.net zu finden.

in KÜrZe in KÜrZe in KÜrZe in KÜrZe

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über.thema

1 Jahr #unibrennt

FoTos: MARTIN JuEN, ToBI sTAdLER

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www.uebermorgen.at

über.thema

sind sie der Meinung, dass die studierendenproteste Erfolg hatten? Glauben sie, dass es sinn macht, die unibrennt-Bewegung weiterzuführen?

Franz schuh

Studentenproteste sind immer in Gefahr, an der Hartleibigkeit der Politik zu zerschellen. Pro-testieren Studenten nicht stets und sitzen Politiker nicht andauernd alles aus, was ihnen ge-gen den Strich geht? Was bleibt, ist die Hoffnung, dass es diesmal anders ist, dass der Ernst der Lage begriffen wird und dass alle Beteiligten ihren Sinn fürs Notwendige und zugleich fürs Mögliche bemühen.

[arr]

FoTo: MANFREd WERNER

a. Van der bellenErfolg? Ja, weil es die Studierenden geschafft haben, die Öffentlichkeit auf die Misere an den Universitäten aufmerksam zu machen; nein, denn geändert hat sich im finanziellen Bereich nichts. Ja, denn auch die Rektoren haben inzwischen ihre vornehme Zurückhaltung aufgege-ben und machen öffentlichen Druck; nein, denn auch das hat bisher nichts genützt. Die Auseinandersetzung muss also weitergehen. Die Trägheit der Regierenden ist nicht zu ak-zeptieren. Dafür sind Universitäten, Forschung und Innovation, Bildung und Ausbildung zu wich-tig.

klaus werner-lObO

Die Proteste der Studierenden sind jetzt schon ein Erfolg, weil nach vielen Jahren der schein-baren politischen Lähmung an den Universitäten der Funke der Unibrennt-Bewegung auf Zig-tausende in- und außerhalb Österreichs übergesprungen ist und ein Feuer entfacht hat, das so schnell nicht mehr verglühen wird. Nachlegen, weiterbrennen!

FoTo: WWW.GRuENE.AT

FoTo: PAuL sTuRM, FLIcKR: cLoWs

Martin bluMenau

Viel an Energie ist verpufft, Energie, die eine gut funktionierende Gesellschaft aufgefangen und kanalisiert hätte - in tatsächliche Kommunikation über die Uni-Situation, in gemeinsame Arbeit an deren Verbesserung. Stattdessen ging (zu) viel Energie in Blockades und Abwehr-maßnahmen. Auch das Medien-Umfeld hat die Zeichen und Botschaften nicht verstanden, drückt sich weiter angstvoll um all das herum, was #unibrennt im Experimentieren mit den neu-en Ausspielkanälen der Kommunikation vorgezeigt hat. Die einzig bewirkte (Ver)Änderung ist die, die sich in den Köpfen und Herzen der Teilnehmer abgespielt hat, Erfahrungen, die jetzt schon Lebenswege in andere Bahnen geführt haben.

FoTo: MARTIN JuEN

FoTos: MARTIN JuEN, ToBI sTAdLER

[Collage: lil, irh]

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über.bildung

Frust unD VOLLVersaMMLunGdIE ANGsT dEs REKToRs VoR dEN sTudIERENdENin ganz Österreich verbündeten sich studierende, Mittelbau und universitätsleitungen um Druck auf die Bundesregierung aufzubauen. in ganz Österreich? nein! in der größten universität des Landes trennt eine scheinbar unüberbrückbare Kluft rektorat und studierende.

[jaae]

aKtiOnstaG: GEMEINsAM GEGEN dIE PoLITIK?

FoTo

: JA

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FoTo

: JAA

E

daniel, student

„Es war einmal gut zu hö-ren, von den ganzen De-kanen und Rektoren, dass das im Herbst doch nicht so blöd war von uns.“

Veranstaltung über einen Livestream, der in angrenzende Hörsäle und auf eine Leinwand vor das Juridicum übertragen wurde.

Eine Stunde lang wurden die Studieren-den dann vom Podium informiert, bevor sie in einer 20 minütigen Diskussion selbst zu Wort kamen. In mehreren Wortmeldungen machten sie ihre Frustration über das Rek-torat deutlich. Auch der Professor von der Chemiefakultät und Senatsmitglied, Günther Trettenhahn, wunderte sich, „warum wir uns hier im Keller verstecken müssen“.

Die Kritik an Ablauf und Planung der Vollver-sammlung ignorierte Rektor Winckler in sei-nem Abschlussstatement völlig. Auf die Frage warum er die Proteste im Vorjahr nicht unter-stützt hatte, antwortete er, die Rektoren sei-en den „Schalmeienklängen der Regierung noch erlegen“ gewesen. Zuvor hatte er kri-tisiert, die Audimaxbesetzung habe „nicht die Gesellschaft oder die Politik erreicht“.

Ein WiEdErsEhEn im AudimAx

Nach der gut besuchten Demonstration aller Wiener Universitäten kam es zu einer „Alter-nativen Vollversammlung“ im Audimax der Universität Wien. Auf Vorwürfe eingebro-chen zu haben, konterten die Studierenden mit Bildern von unversehrten Türen.

Die erneute Besetzung des Audimax wurde in der Früh zwar wieder aufgegeben, zuvor hatten sich allerdings einige Arbeitsgrup-

k O M M e n t a r

Schon im Vorfeld der Vollversammlung an der Universität Wien war die Frustration unter den Studierenden groß. Das Rektorat hatte die Versammlung für 95.000 Universitätsan-gehörige in einem 300-Personen-Hörsaal im Juridicum angesetzt, im Gegensatz zu an-deren Universitäten gleichzeitig stattfinden-de Lehrveranstaltungen nicht abgesagt und sich bei der Mobilisierung auf einen Artikel auf der Homepage beschränkt.

VollVErsAmmlung im KEllEr

Dank intensiver Arbeit von Unibrennt-Akti-vistInnen und ÖH war der Andrang zur Voll-versammlung trotzdem groß. Mehrere 1.000 Studierende drängten sich im und um das Juridicum, nur wenige ergatterten einen Sitz-platz im Hörsaal. Die anderen verfolgten die

pen neu formiert. Angesichts der einige Ta-ge später folgenden Budgetverhandlungen der Bundesregierung sollte sich das auch als bitter nötig erweisen.

In Loipersdorf einigten sich SPÖ und ÖVP auf eine minimale Erhöhung des gesamten Universitätsbudgets um 80 Millionen, wäh-rend gleichzeitig Sozialleistungen drastisch gekürzt wurden. So soll zum Beispiel die Fa-milienbeihilfe nur mehr bis zum vollendeten 24. Lebensjahr ausbezahlt werden.

Der existenzbedrohende Druck auf Studie-rende und Universität erhöht sich also wei-terhin. Rektor Winckler wäre gut beraten, seine Angst vor engagierten jungen Men-schen zu überwinden und die Studierenden in ihrem Kampf gegen die katastrophale Po-litik der Bundesregierung zu unterstützen.

nina, angestellte

„Weil ich es nicht gut fin-de, dass das Unibudget gekürzt wird.“

a.O. PrOF. klaus stOlze

„Es ist notwendig ein Zei-chen zu setzen, wenn man sich nicht engagiert, wird es nicht besser.“

PrOF. rudOlF giFFinger

„Wir arbeiten und bemühen uns möglichst viele Studie-rende durchzubringen, aber es wird immer schlimmer.“

[gog]

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über.bildung

eDucatiOn is a huMan riGht!BILduNGsPRoTEsTE IN dEN usAAm 7. Oktober fand in allen US-amerika-nischen Universitätsstädten ein “National Day of Action to defend public education” statt. Überall gingen Studierende, Lehren-de und Schüler auf die Straßen.

In Massachusetts veranstalteten Studie-rende einen langen Marsch von 114 Meilen, also 183 km, um gegen die Kürzungen im

[Thomas Schmidinger]

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Bildungsbereich zu protestieren. Auch an Eliteuniversitäten wie Berkley gingen tau-sende Studierende auf die Straßen. Kalifor-nien ist von den Budgetkürzungen in Folge der Wirtschaftskrise in besonderem Ausmaß betroffen. Kalifornien kürzte das Budget für die University of California / Berkley heuer um 637 Millionen U$, was Einsparungen um 10% gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Da-bei wurden bereits letztes Jahr 800 Millionen U$ eingespart. Auch an anderen Universi-täten in den USA sieht es kaum besser aus. Fast jede Universität musste Einsparungen hinnehmen, viele kürzten „freiwillig“ die Ge-hälter der MitarbeiterInnen. Dabei trifft es jedoch fast nie die gut verdienenden Pro-fessorInnen, sondern „teaching assistants“ und andere schlecht bezahlte Lehrende und Forschende.

Einsparungen wurden jedoch nicht nur im Universitäts- und Hochschulbereich durchge-führt. Das Management der Wirtschaftskrise schlägt sich im gesamten Bildungsbereich durch. Hunderte Grundschulen und High Schools wurden in den letzten zwei Jah-ren in den USA geschlossen. Die Schüle-rInnen wurden einfach anderen, ohnehin schon überfüllten und oft mit sozialen Pro-blemen überforderten Schulen, zugeteilt.

Auf der Demonstration von Studierenden in Minneapolis treffe ich eine College-Stu-dentin, die gerade ihr Studium begonnen und letztes Jahr ihre High School abge-schlossen hat. Sie war der letzte Jahrgang, der an der Arlington High School in Minne-sotas Hauptstadt St. Paul ihren Abschluss machen konnte. „Wir haben protestiert, “ erzählt sie heute, „aber es hat nichts ge-

nutzt. Alle die auf andere Schulen aufgeteilt wurden, haben jetzt Probleme. Die Schu-len sind ohnehin schon überfüllt gewesen und dann kommen jetzt noch neue Schü-lerinnen und Schüler dazu.“

Auch an der University of Minnesota, einer der Top-Universitäten des Landes, werden die Gehälter jener Angestellten, die man bei uns als Mittelbau bezeichnen würde, gekürzt. Dabei ist die Situation in Minne-sota noch vergleichsweise entspannt. Im Vergleich zur Universität Wien herrschen hier für die Studierenden geradezu idea-le Studienbedingungen. In Seminaren mit 20 Studierenden kann noch ernsthaft dis-kutiert und gearbeitet werden, es gibt eine Fülle von Kommunikationsräumen und Ein-richtungen, die zum gemeinsamen Lernen und Diskutieren ermuntern. Der Preis dafür sind jedoch extrem hohe Studiengebühren, die die meisten Studierenden nur mit Kredi-ten aufbringen können. Die “tuition fee” für Undergraduates beträgt pro credit U$ 376,- für Residents of Minnesota. Wer nicht aus Minnesota kommt, bezahlt U$ 824,-. Dane-ben gibt es eine 13 Credit or more flat rate pro Semester bei der alle, Minnesotans und Non-Minnesotans um U$ 7.047,- studieren dürfen. Das sind aber allein die Studienge-

bühren. Damit ist noch keine Unterkunft, kein Essen und kein Unterrichtsmaterial bezahlt. Die University of Minnesota liegt damit durchaus im US-Durchschnitt. Als Land-grant University, der bei der Grün-dung große Ländereien zugesprochen wur-den (die zuvor von den Ojibwe und Dakota entrissen wurden) besitzt die Universität wie viele Unis im Mittelwesten eine stabile

Finanzierungsgrundlage. Regelmäßige Zu-wendungen des Staates sind hingegen mini-mal. Damit müssen die „Undergrads“ einen Großteil der Kosten übernehmen.

Umso aufmerksamer werden von diesen die Kürzungen verfolgt. Wenn die Universi-täten an Wochenenden oder in den Ferien schließen, über die Kürzungen der Biblio-theksöffnungszeiten diskutieren und da-mit ihre Infrastruktur nicht mehr im selben Ausmaß zur Verfügung stellen, ist dies hier durchaus Grund für Proteste.

Die Bildungsproteste in den USA gehen je-doch darüber hinaus. Ähnlich wie in Wien, wird hier Bildung als Menschenrecht ein-gefordert, wird die soziale Exklusion von Armen aus dem Bildungssystem ebenso thematisiert, wie die Arbeitsbedingungen und Einkommen von Lehrenden mit gerin-gerem Status.

Der Aktionstag am 7. Oktober war jedoch erst ein Anfang. Ende Oktober findet an der San Francisco State University eine US-weite Mobilisierungskonferenz statt. Wei-tere Aktionen gegen den Bildungsabbau in den USA sind geplant. Weitere Infos: www.defendeducation.org

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bildet sich unter ihrer Regentschaft das In-nenministerium zu einem Polizeiapparat, der „für Recht und Ordnung“ sorgt. Das Prin-zip der Toleranz und der Nächstenliebe ist verloren gegangen in der Fokussierung auf „Gerechtigkeit“, die längst nicht mehr den idealen Zustand gesellschaftlichen Mitein-anders meint, sondern das Befolgen blin-der Gesetze.

Mit ihrer harten Linie stellt sich Frau Ma-ria Fekter auf eine Ebene mit Personen des wenig elaborierten Weltverständnis-ses. Solche, die im www.forum-politik.at der Meinung sind, Österreich werde von einer linken Mafia unterlaufen und ihre Wahrneh-mung eines türkischen Plans der Machtüber-nahme entspräche der Realität. Man muss die Frage stellen, ob soziale Gerechtigkeit noch das Leitbild unserer Gesellschaft ist. Wäre sie es, würde der Stempel „humani-täres Bleiberecht“ wohl öfters verwendet, Abschiebungen wären kein Thema der Po-pulärmedien und Österreich würde von vie-len neuen Kräften profitieren.

Frau Maria Fekter hat ihre Arbeit ohne einen der wichtigsten Grundsätze der Österreichi-schen Volkspartei und des europäischen common Sense gemacht: Menschlichkeit vor Allem. Dass solcher Stil sich am ganzen Kontinent breit macht, sieht ein Blinder. Ob das jedoch die Haltung sein soll, mit der hier-zulande Leben gestaltet wird, wird bald zu beantworten sein. Die Reaktion Frau Maria Fechters auf ein bisschen mehr menschliche Gemütlichkeit, kennt jedeR youtube-Versier-te: „Mich nennt niemand Mitzi!“ - natürlich nicht, Frau Oberstabsministerin.

über.politik

Die christLichen Werte Der Frau Maria F.

[cgal]

Nicht nur hieß die Vorgängerpartei der ÖVP „Christsoziale Partei“, auch nach der Neu-gründung nennt die Pröll-Partei 1995 die Besinnung auf die christliche Soziallehre als einen der wichtigsten Grundsteine des Partei-Konzepts. Dass nun Abschiebungen an sich nicht ganz in das Konzept „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ passen, ist klar, doch ist der Mensch an sich fehl-bar und es bedarf nur einer kleinen Reflexi-on, zu erkennen, dass die Asyldebatte sich nicht auflöst indem Abschiebung einfach nicht mehr passiert. (Die Frage stellt sich: Ist das Problem „Abschiebung“ ein Finger-zeig auf Schwachstellen des Konzepts „Na-tionalstaatlichkeit“?)

Man kann zum brisanten Thema der letzten Wochen stehen, wie man will. An der Fest-stellung, dass es sich bei Abschiebungen mit übertriebenem Polizeieinsatz in frühesten Morgenstunden nicht um einen würdevollen Umgang mit gleichwertigen Menschen han-delt, kommt niemand vorbei. Die Bewertung einer solchen Situation wiederum ist offen. Man mag der Meinung sein, Asylbewerbe-rInnen seien Menschen zweiter Klasse und es wäre deshalb ok, sie wie Schlachtvieh aus ihren Betten hinein in Polizeibusse, in Gefängniszellen, in ein Flugzeug zurück in das Land, aus dem sie fliehen wollten, zu verfrachten.

Diese Meinung steht Menschen, die in ihrer geistigen Entwicklung etwas Grobes verpasst haben. Frau Maria Fekter, die als Ministerin vor vielen Gleichgesinnten in erster Schuss-linie steht, genießt ihre schulische Bildung im Gmundner Kreuzschwestern Gymnasi-

um, studiert Jus und Wirtschaft und dürfte auch über soziale Kompetenzen verfügen, ist sie doch verheiratet und in der Politik in einem Bereich tätig, der eine bestimm-te Begabung in Kommunikation und Asso-ziationsvermögen erfordert.

„Wir begründen unsere gesellschaftspoliti-schen Grundsätze aus dem christlichen Be-kenntnis zur Würde des Menschen“ heißt der erste Satz im Parteiprogramm der zeit-genössischen ÖVP. Klingt schön. Und beim weiteren Wortlaut wird man fast rot, vor so-viel Liebe: „Unser politisches Handeln richtet sich am einzelnen und dessen Einbindung in die Gemeinschaft aus. Wir folgen dabei den Prinzipien der Nächstenliebe, der Ge-rechtigkeit, der Freiheit und der Toleranz. Wir arbeiten für den Frieden und die Erhal-tung der Schöpfung.“ Huch… Das ist ja lieb. Aber warum ist angesichts der sich aufbäu-menden Welle an Integrationsproblemen nichts über einen Stufenplan bekannt, der eine freiheitliche (und hier ist ganz sicher nicht die FPÖ gemeint), tolerante Integrati-on der Alteingesessenen und Neuankom-menden in ein neues System zum Ziel hat?

Bekannt sind Aussprüche wie „Recht muss Recht bleiben“. Maria Fekter könnte an ihrer Position, der Spitze des österreichischen In-nenministeriums, einem der wichtigsten Pos-ten der Republik, mehr zur Lebensqualität der Menschen in diesem Land beitragen, als viele. Sie könnte ein Klima verbreiten, das Neues Willkommen heißt, das Interesse für andere Kulturen fördert, das das Bewusst-sein für das Eigene, das Individuelle der Ein-zelmenschen als Stärke wertet. Stattdessen

Wir brauchen KOnsens, Keine KnÜppeLK o M M e n t A r

„Pro oder contra #s21 ist eigentlich egal. Man prügelt seine Bürger nicht. Punkt.“ Twitte-ruser: [dingler_4d]. Ein Kommentar zu S21 und den Geschehnissen am 30.09.2010 in Stuttgart: S21. Diese drei Buchstaben ha-ben Deutschland in den letzten Monaten aufgewühlt. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich ein stark umstrittenes Bauprojekt in Stuttgart, bei dem der vorhandene Kopf-bahnhof unter die Erde verlegt werden soll. Seit das Projekt 1994 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gab es Widerstand: Zu teuer, überflüssig und schlecht konzipiert.

Mit dem Beginn der Bauarbeiten Anfang 2010 formierte sich eine stetig wachsende, breite, bürgerliche Protestbewegung. Im Zentrum des Protests: Der Schlossgarten. Viele der 200-jährigen Bäume – die auch in den Not-zeiten des 2. Weltkriegs von den Bürgern nicht verfeuert wurden - sollten nun für das

Grundwassermanagement der Deutschen Bahn gefällt werden. Daraufhin formierten sich die „Parkschützer“, die den Schloss-garten besetzten, um so friedlich gegen die Abholzung zu protestieren...

Am 30.09.2010 eskalierte die Situation: Un-ter massivem Einsatz von Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern räumte die Polizei den Park, obwohl zu dieser Zeit ei-ne angemeldete Schülerdemonstration im Schlossgarten stattfand. Das traurige Re-sultat dieser Aktion: Mehrere hundert (!) Verletzte (bei einem Mann besteht die Ge-fahr permanenter Erblindung) und erzürn-te Bürger. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion (ab ca. 1:45) wurden dann die Bäume ge-fällt. Dieses Verhalten ist einer Demokra-tie unwürdig!

Die regierende CDU sowie einzelne Vertre-ter der Polizei sehen die alleinige Schuld an der Eskalation bei den Protestierenden. Die

Augenzeugenberichte sprechen eine ande-re Sprache.

Seither geht der Protest mit Großdemons-trationen in Stuttgart unvermindert weiter, die in Baden-Württemberg regierende CDU befindet sich im Umfragetief. Inzwischen (nach den Gewalt-Exzessen) wurde Heiner Geißler - ehemaliger Generalsekretär der Bundes-CDU und nun außerdem ATTAC-Mitglied – als Vermittler berufen.

#s21, die Proteste gegen den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg, oder auch #unibrennt sind Symptome eines gesamtgesellschaft-lichen Paradigmenwechsels: Wir brauchen Konsens, keine Knüppel. Die Zeiten, in de-nen eine kleine, elitäre Gruppe auf Kosten der Allgemeinheit ihren Eigeninteressen frönen konnte, sind vorbei. Willkommen im 21.Jahrhundert!

[fab]

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über.politik

ZÜrichs autOnOMe inseLnodER: dIE FRÜcHTE LIBERALER FREIRAuMPoLITIK uNTER RoT-GRÜN

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[Fortsetzung des 1. Teils]

Zürich steht mit seiner liberalen Räumungs-politik im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten zusehends alleine da. Einst als „Genfer Linie“ bekannt, ist Zürich mittlerwei-le die einzige Stadt in der Schweiz, die die-se noch anwendet. Dennoch scheint eine Abkehr davon unwahrscheinlich. Rot-Grün wurde dieses Jahr von der Züricher Bevöl-kerung im Amt bestätigt und Anfragen der Opposition bezüglich rascherer Räumung von Hausbesetzungen werden vom Stadtrat mit Verweis auf die Bewährtheit des libera-len Kurses seit 1990 deutlich zurückgewie-sen. Die seit 2006 besetzte „Binz“, eine ehemalige Fabrik im gleichnamigen Indus-triequartier und die größte Besetzung der Stadt, überstand bereits ein gefühltes Dut-zend Räumungsfristen. Das Areal könnte nun tatsächlich dauerhaft einer kulturellen Nutzung zugeführt werden. Ob dies im Ein-klang mit den Interessen der derzeit etwa 40 BesetzerInnen, verteilt auf sieben Wohn-gruppen, möglich ist, ist freilich unklar. Den Rang als größte Besetzung der Stadt könn-te übrigens bald das „Hotel Atlantis“ über-nehmen, das kurz vor Redaktionsschluss in Zürich besetzt wurde (hotelatlantis.word-press.com).

Weitere „Kultursquats“, also Häuser mit so-zialem und kulturellem Anspruch, sind neben der Binz die seit Ostern besetzte „Friesi“, das seit August 2008 besetzte Haus in der Hönggerstraße mit seinem für großartige in-ternationale Konzerte bekannten „Bunker“ (umgebauter Schutzraum) und die „Drucki“, die jedoch im Dezember nach knapp einem Jahr schließen muss. Auch in manchen der „Wohnsquats“ finden ab und zu Veranstal-tungen statt, wie etwa das mehrfach abge-haltene „Squat-Gourmet“, eine Art „Vokü Deluxe“, zu dem die ganze Szene einge-laden wird. In den meisten Häusern leben ein halbes Dutzend bis zu 15 Personen, die Binz ausgenommen.

Bis zur Räumung im vergangenen März war auch die „Kalki“, ein altes Ziegelgebäude am Tram-Depot Kalkbreite, ein Kultursquat ersten Ranges. Die Bekanntheit der dorti-gen Bar wurde so groß, dass man ernsthaf-te Probleme mit Nachtschwärmern bekam, die nach der amtlichen Sperrstunde mas-senhaft in die „Kalki“ pilgerten. Eine gern erzählte Anekdote dazu lautet, dass eines Abends eine Frau mit Pelzmantel die Bar in der Kalkbreite betrat und verwundert in den Raum fragte, seit wann denn hier Punks reingelassen würden.

Die ungebetenen Gäste, man nennt sie zumeist Yuppies, erfreuten sich an den niedrigen Getränkepreisen und dem sub-kulturellen Flair – drohten aber zusehends

[niwo]

Teile der Szene zu verdrängen. So mach-ten Zürichs HausbesetzerInnen ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Gentrifizie-rung – ein wesentlicher Grund, warum die Szene etwas Respektabstand zum Inter-net hält. Man will nicht zum „coolen“ Pio-nier für eine „Quartier-Aufwertung“ werden. Nur wenige Häuser kündigen Veranstaltun-gen online an (etwa auf radar.squat.net) oder betreiben gar eigene Webseiten bzw. Blogs. Twitter und Facebook spielen in der Szene praktisch keine Rolle, man vertraut auf die Stärke der privaten SMS-Ketten. Konzerte und Partys sind auch so gut besucht. Le-diglich, als der Binz im Sommer 2009 die

Räumung drohte, suchte man mit medien-wirksamen Aktionen gezielt Aufmerksam-keit und Sympathien der Öffentlichkeit und binzbleibtbinz.ch wurde online gestellt.

Die Kalkbreite wurde am 17. März 2010 ge-räumt – die BesetzerInnen wurden, wie in Zürich üblich, vorab von diesem Termin in-formiert, sodass sie rechtzeitig neue Bleiben für sich und ihre Sachen suchen konnten. Die sieben Jahre lang als „Inzest-Bar“ stadt-weit bekannte Bar (mit einer Leucht-Tafel aus dem 2001 bis 2004 besetzten „Ego-City“) übersiedelte ebenfalls und ist unter neuem Namen weiterhin in Betrieb. Wenn es eine Konstante in der Geschichte der Zürcher Squats seit der Jahrtausendwende gibt, dann ist es möglicherweise diese Bar.

Zürichs HausbesetzerInnen-Szene befindet sich also im Gegensatz zu vielen anderen Städten auch nach 20 Jahren noch immer in einer Blütephase. „Sechs Hausbesetzun-gen innert zwei Wochen“, titelte der Tages-Anzeiger im Sommer 2009 und sprach von

„gegenwärtig“ 18 besetzten Häusern. In ei-nem Protokoll des Zürcher Stadtrates aus dem April 2010 ist bereits von 22 besetz-ten Häusern die Rede. Seit letztem Jahr gibt es zudem „Nachwuchs“ in der Szene: Zahlreiche Jugendliche ab etwa 15 Jahren aufwärts – Lehrlinge, SchulabgängerInnen und MaturantInnen – wohnen in neu besetz-ten Häusern. Exemplarisch dafür steht et-wa die „Wehnti“, die bis August 2010 knapp ein Jahr besetzt war und ca. 15 Jungbeset-zerInnen beherbergte. Wöchentlich wurde dort die „Trink-Bar“ abgehalten, die rasch ihr eigenes, junges, alternatives Publikum im Quartier fand. Nach dem Auszug ver-

teilten sich die BewohnerInnen auf ande-re oder neu besetzte Häuser, darunter eine Villa am Zürichberg.

Insgesamt dürften momentan etwa 200 Leute in besetzten Häusern wohnen. Die Szene, ihr Umfeld und ihre Mobilisierungs-kraft sind natürlich deutlich größer. Um dies festzustellen, genügt ein Blick auf perfekt durchorganisierte Überraschungs-Aktionen im öffentlichen Raum, etwa die zweitägige Besetzung des (leer stehenden) Hardturm-Fußballstadions („brotäktschen“) im Juli 2008. Die Aktion war gegen die fortschrei-tende Kommerzialisierung und Privatisie-rung des öffentlichen Raums gerichtet und fand große Medienresonanz und -akzeptanz. Wer jetzt Lust bekommen hat „das andere Zürich“ kennen zu lernen, wendet sich am Besten an den Infoladen Kasama. Mehr zu Zürichs Squatting-Szene gibt’s auch in mei-nem Blog: fm5ottensheim.blogspot.com.

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über.denken

FOrtschritt Gibt es nichtder Regisseur Hans Neuenfels über brennende stoffdackel 1968, die kunstimmanente Anarchie, gesell-schaftlichen Mehltau und natürlich: Wagner.

in seinen Schriften. Es gibt in seiner Musik nichts Antisemitisches. Der Komponist ist absolut nicht antisemitisch. Das wäre gar nicht möglich.

es gibt ja die these, dass die roman-tik die geburtshelferin des nationalis-mus war. hat man Wagner hier vielleicht gleich mit hineingepackt?

Natürlich. Man konnte ihn ja auch gut be-nutzen. Aber man kann auch Beethoven toll benutzen für repräsentative Formen des Na-tionalismus. Die Kunst ist hier eine Gratwan-derung – ausbeutbar natürlich. Aber wenn sie wirklich Kunst ist, dann ist es nicht mög-lich, dass sie für eine Partei wirklich nutz-bar gemacht werden kann.

in einem FAZ-interview sagten sie, die größte Falle bei Wagner sei die des na-tionalismus...

Die Falle ist die, dass man das nicht dialek-tisch aufbereitet, man kann ihn eben maß-los dafür okkupieren.

Wenn man Wagner heute aufführt, dann kommt quasi ihr handwerk ins spiel: Die interpretation...

Ja, die geschichtliche Entschlackung, in-dem man das ja weiß. Weil wir wissen ja, was das bedeutet hat. Die Deutschen, und die Österreicher natürlich auch - die Öster-reicher sind noch lange nicht so weit wie die Deutschen. Die Deutschen haben es immerhin geschafft, dass sie ihre Verbre-chen durchreflektiert haben. Die Österreicher noch nicht. Und das ist eine große Aufgabe für Österreich, dies schleunigst und auf die Dauer zu tun. Das ist das Einzige, was man gegen Österreich sagen kann. Und das ist das Einzige, das für Deutschland spricht.

sie haben gesagt, Kunst ist zwangsläu-fig Widerstand. gedeiht dann Kunst in konservativen, veralteten gesellschaf-ten besser als in progressiven, liberalen?

Das würde ich nicht sagen, weil das ei-ne Selbstbewegung ist. Die Kunst wirft in Deutschland andere Fragen auf, als sie das in Österreich täte. Sie wird immer, weil sie berührt und von Natur aus anarchistisch ist, Fragen aufwerfen. Jeder Dichter hat diese kreatürlichen und kreativen anarchistischen Züge. Das ist einfach so. Auch Grillparzer übrigens. Er ist absolut anarchistisch, ob er will oder nicht.

selbst dann, wenn er bei „König ottokars glück und ende“ am schluss eine ode an die habsburgerdynastie anstimmt?

über.morgen: haben sie die studieren-denproteste des vergangenen Jahres mitbekommen?

hans neuenfels: Natürlich habe ich sie mit-bekommen und fand das auch immer sehr wichtig und interessant. Ich selbst bin ja auch ein wenig geprägt von den 68ern. Unmit-telbar war ich involviert in Heidelberg. Dort war ich 1968 engagiert und geriet dabei in die Reibmühle zwischen den aggressiven, linken Studenten und den Rechten. Beide besuchten meine Vorstellungen am dorti-gen Theater und es kam zu regelmäßigen Ausfällen. Die entscheidende Aufführung war jene, als ein Student bei einem Theater-stück von Günther Grass auf die Holzbühne sprang, einen Stoffdackel – eine Figur die in diesem Stück eine Rolle spielte – mit Ben-zin übergoss und anzündete. Das hat mich sehr belastet. Der Student wurde verhaftet und es kam in Folge dessen zu den Mann-heimer Prozessen. Da gewann die für mich wunderbare Aktion der Studenten jene mili-tante Form, die ich nicht unterstützen woll-te. Und da hat dann die Linke in der „Zeit“ zum ersten Mal eine ästhetische Definition ihrer Haltung veröffentlicht. Auch über mei-ne Art Theater zu machen wurde berichtet. In diesem Zusammenhang warfen mir die militanten Studenten vor, mich auf Kosten des rechten Publikums empor zu arbeiten. Es war insgesamt eine ziemlich schwierige Zeit. Das Positive aber war, dass die von der Hitler-Generation, in Deutschland genauso wie in Österreich, unreflektiert übernom-menen Begriffe wie Autorität, Gehorsam, Recht, usw. hinterfragt wurden. Das finde ich eine der größten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte.

sie waren ja 1960 in Paris. Wo haben sie hier später die größten Differenzen zu Deutschland und Österreich gesehen?

Frankreich war natürlich ein total gebilde-tes Land, aber auch unglaublich autori-tär. 10.000 Menschen beherrschten mehr oder weniger das geistige Leben in Frank-reich. In Österreich fand damals für mich die erste Begegnung mit eindeutig erkennba-ren Klassen statt. Es gab wenige Reiche – ich wohnte damals in Ottakring, da gab es ein einziges Auto auf der Brunnengasse - und sehr viele arme und alte Leute, die hilf-los waren. Es war alles noch sehr nah vom Krieg berührt. Für mich war Wien eine gro-ße, schwarze Stadt, nicht schön, aber his-torisch imponierend. Aus den Kellern roch es enorm nach Kohle und Kohl. Die Tollheit der Stadt war erkennbar, aber ihr Nieder-gang war groß.

1972 sind sie nach Frankfurt gegangen,

ein Mittelpunkt der 68er-Bewegung...

...und auch des Kapitals natürlich. Und da haben wir die Mitbestimmung am Theater eingeführt. Wir haben da ein politisches System ins Theater hineingetragen und das hat, für mich gesehen, sehr gut funktioniert.

Wo sehen sie die großen unterschiede zwischen den damaligen studierenden-protesten und den heutigen?

Erstmal können ja die Studenten von heute auf etwas aufbauen: auf eine vollkommen anders informierte Gesellschaft, die ja zu-mindest Begriffe dialektisch oder zumindest hintergrundmäßig anders zu bewegen weiß. Man spricht anders über Sexualität etc. Ich weiß allerdings nicht, ob nicht gewisse ent-scheidende Dinge immer noch in einem ab-geschirmten Rahmen verbleiben. Also, ich meine, man kann nicht von einer aufgeklär-ten Gesellschaft sprechen, wahrscheinlich gibt es eine solche nie. Es ist einfach eine notwendige Utopie, weil sich immer ande-re Dinge hineinfräßen. Sicherlich ist heute die Frage des Kapitals und des Geldes als virtuelle Kraft größer denn je. Österreich ist eine kapitalistische Demokratie. Das Geld und die damit verbundenen Realisa-tionshoffnungen und -wünsche bestimmen natürlich ganz enorm das Verhalten der Ein-zelnen. Ganz sicherlich.

Waren die Zukunftschancen der studie-renden vielleicht damals noch größer? War es damals für uniabgängerinnen einfacher, sich in der gesellschaft zu etablieren?

Es war insofern einfacher, weil die Studie-renden viel weniger waren. Man konnte dort auch durch Diskurse mit den Professoren einen klareren Weg zu sich finden.

„Der Dichter steht auf einer höheren Warte, als auf den Zinnen der Partei!“, schrieb Ferdinand Freiligrath 1841. ge-org herwegh entgegnete: „Partei, Par-tei! Wer sollte sie nicht nehmen, die doch die Mutter aller Siege war!“ – wie sehen sie die rolle der Kunst, soll sie Partei ergreifen?

Die Kunst ergreift immer automatisch Par-tei. Sie birgt es in sich, dass sie Partei er-greift. Sie wird nie gegen Minderheiten sein, nie für Gewalt sein. Die Kunst ist für sich im-mer von diesem Widerspruch besetzt, dass sie immer dagegen ist. Sie ist gegen gesell-schaftliche Verengungen und Reduzierun-gen. Das macht sie aus. Sie kann gar nicht anders. Das war ja die große Diskussion bei Wagner: die antisemitischen Strömungen

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über.denken

hindern. Der Satz von Ernst Bloch – „Der Kapitalismus ist selbst für die Kapitalisten ungesund“ – der bleibt. Das ist so!

Dass sich die Leute einrichten, könn-te doch Ausdruck einer gewissen Zu-kunftsangst sein, Angst vor der unklaren existenzsicherung, vor allem bei den Jün-geren. gibt es hier einen unterschied zwischen der damaligen generation und der heutigen?

Ja, das finde ich schon. Vor allem war man willens Dinge auszuprobieren – also sich selbst und die Umgebung auszuprobieren.

Ich glaube, dass die Aufregung, das Risi-ko und das Abenteuer nicht mehr als Er-füllung gesucht wird, dass sich nicht mehr getraut wird, dieses Risiko mit sich selbst einzugehen.

Janis Joplin hat gesungen „Freedom is just another word for nothing left to loo-se“. Die heutige junge generation hat ja noch nichts, ist aber trotzdem nicht mu-tig und frei, sondern angstvoll darauf be-strebt einmal etwas zu haben. Fast schon eine biedermeierliche grundstimmung...

Sie haben noch nichts, nein. Sicherlich ist dieses Phänomen Ausdruck einer merk-würdigen Beängstigung um die Zukunft. Das war eigentlich das Thema meines Va-ters. Mein Vater war fest angestellter Ju-rist bei der Regierung und immer um die Zukunft besorgt, er litt unter ihr. Und dann hatte ich eines Tages viel mehr Geld als er. Mein Vater aber gab die Sorge um die Zu-kunft beharrlich nicht auf. Und irgendwann sagte ich einmal: „Papa, du entschuldige, es ist doch nicht der mindeste Grund zu ei-ner Besorgnis da. Es geht uns gut!“, und er entgegnete: „Aber das kann sich doch je-derzeit ändern. Es kann ein Dachziegel run-ter fallen, oder ein Fahrradunfall...“

gibt es da also eine Parallelität der heu-tigen generation mit der ihres Vaters?

Ja. Ich finde das so merkwürdig.

Das ist doch neu. in den 1990ern gab es das ja beispielsweise nicht. Wie erklä-ren sie sich dieses Phänomen?

Es gibt ja diesen berühmten Satz von Man Ray: „Es gibt keinen Fortschritt“ – genauso wenig wie es Fortschritt in der Kunst gibt. Das holt sich in Kreisen ein. Ich glaube das ist jetzt so ein Punkt. Und was Sie eben sag-ten, mit so einer biedermeierlichen Situati-on, da ist schon sehr viel Wahres dran. Es ist eine merkwürdige Absicherungstendenz bemerkbar. Ich weiß aber nicht woran das liegen könnte.

Vielleicht ist es wirklich der Mangel an Alternativen? Vielleicht auch an syste-mischen Alternativen, so nach dem Mot-

Das ist so eine Art von Nachschleppdienst, durchschaubar, erkennbar und das kann man so oder so weglassen oder durchsich-tig machen. Aber man merkt das Angekleb-te, das ist ja selbst einem Supergenie wie Mozart passiert. Und es hat trotzdem eine unglaubliche Qualität gewonnen. Das ist er-kennbar und damit kann man sofort spielen.

sie haben diesen sommer erstmals Wag-ner in Bayreuth inszeniert. sehen sie die gefahr, dass die Kunst in diesem Fest-spielort zu einer für die obere gesell-schaftsschicht wird?

Ja. Aber das ist ja jetzt der Versuch, das zu öffnen durch die neue Führung und durch die Mitbemühung von uns Regisseuren.

stört sie die high-society-inszenierung im rahmen der Festspiele?

Nein. Das gehört dazu, das ist ein Theater, ein Vorspiel – so lange die Leute die Fort-setzung davon sehen. Sie sehen ja dann ei-ne andere Form von Wirklichkeit, sobald der Vorhang aufgeht. Wenn das jetzt nicht hof-theatermäßig verlängert wird – das wäre ja tödlich – ist das eine scharfe Reibung, eine Verfremdung, würde Brecht sagen.

und sie versuchen Wagners „Lohengrin“ mit ihrer inszenierung ein wenig zu bre-chen, indem sie die handlung in einem Versuchslabor ansiedeln und den chor als ratten auftreten lassen?

Ja, aber es sollte gar nicht provokativ sein. Es hat einen ganz ursprünglichen Sinn: Dass man eine Metapher findet, die groß genug ist, den Entwurf Wagners zu trans-portieren, aber gleichzeitig jede Form von Gefahr abzuwehren, zum Beispiel dass in den deutlich zu erhörenden und erkenn-baren „Heil“-Chören auf keinen Fall etwas gemeint sein könnte, was mit etwas zu tun hat, das einmal passiert war. Und das muss man sofort in eine kritische, märchenhafte oder ironische Distanz bringen, ohne dass die Musik dadurch geschmälert wird.

Wäre es nicht die größere „Provokation“, Wagner ganz klassisch, historizistisch zu inszenieren, mit glänzenden rüstungen und schwertern?

Nein. Das ist keine Provokation, das ist eine Identifikation. Soviel Distanz hat man dann im Moment des Hörens nicht. Dann wird man eingesogen von Musik und Bild. Entweder veräppelt man es dann nur, dann wäre es ein unernster Vorgang, der die Tiefe der Mu-sik zerstört, oder man macht es identisch, dann saugt es einen irgendwann auf und es stößt einen dann aber auch irgendwann ab. Ich hab historische Sequenzen Wagners „Lohengrin“ gesehen und das finde ich ent-setzlich. Das Bild haut dann die Musik so zu, macht sie so widerlich und macht sie so national und man denkt ununterbrochen an

das, was passiert ist. Dann siehst du wirk-lich Hitler und Genossen. Ich war auch vor der Inszenierung zum ersten Mal in Israel, mit jüdischen Freunden. Das hat noch ein-mal eine andere Wachheit gebracht.

Wäre es eine herausforderung für sie Wagner in israel zu inszenieren?

Ja. Es wäre ein interessanter Gedanke. Da-rauf bin ich noch gar nicht gekommen.

Würden sie da anders an die inszenie-rung herangehen als jetzt in Bayreuth?

Nein, da würde ich es eher verschärfen. Sa-gen wir mal so: Ich hätte jetzt nach meinen Erfahrungen mit Wagner-Inszenierungen keine Bedenken es in Israel zu inszenie-

ren, und den Israelis klar zu machen, dass Wagner wirklich kein Antisemit ist. Ich hät-te den Mut, es zu machen.

„Regietheaterberserker, Regietheater-schreck, Opernwüterich und immer ein Garant für Wilde Buh-Orgien, Enfant ter-rible der Opernkunst, altgediegener Re-gietitan und lustvoller Zertrümmerer von vermeintlich verlässlichen Opernstoffen“, so einige Pressestimmen zu ihrer Per-son. Können sie damit etwas anfangen? sehen sie sich als Provokateur?

Nein, als Provokateur schon überhaupt nicht. Es ist die Aufgabe des Interpreten, den Nerv zu finden, der das Kunstwerk aus-gemacht hat. Der sozusagen durch die Zeit hindurch geblieben ist. Die Kunst beglau-bigt, dass sie eine ist, und das hat immer et-was mit Aufdeckung, Berührung, Aufklärung und auch Haltung zu tun – vor allem letzte-re muss immer durchkommen. Am besten, sie kommt am breitesten durch, damit mei-ne ich am aufgefächertsten, nicht eng, als so eine Schmalform, sondern als die größ-te Metapher natürlich.

Wie sehen sie die momentane gesell-schaftliche entwicklung: sind wir am en-de des Kapitalismus angelangt?

Es ist ein möglicher Gedanke. Es liegt so wie Mehltau über der Gesellschaft. Die Leu-te richten sich ein, aber es gärt, denn man kann einen Drang zur Klärung nicht ver-

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[mahu, jei]

über.denken

to: Das ist jetzt die gesellschaft in der wir leben, es gibt dazu keine Alternati-ve mehr...

Es lohnt sich nicht!

...sich gegen diese gesellschaft zu stellen?

Es lohnt sich nicht! So ist es. Und das macht diese Infamie aus.

Auch wenn es vielleicht gerade konkre-te Zukunftspläne sind, welche die an-gesprochene Angst erzeugen: gibt es

Hans Neuenfels, 1941 in Krefeld geboren, studierte am Max-Reinhardt-Seminar, war Assistent von Max Ernst in Paris und prägte das Schauspiel Frankfurt mit, bevor er von 1986 bis 1990 Intendant der Freien Volks-bühne Berlin war. Er inszeniert nicht nur am Theater, sondern auch Opern. 2010 gab Neuenfels mit Wagners „ Lohengrin“ sein Debüt in Bayreuth. Die Fachkritik wählte ihn 2005 und 2008 zum „Opernregisseur des Jahres“. Er gilt als einer der wichtigs-ten Regisseure der Gegenwart.

über.neuenfels

anOther eDucatiOn sYsteM On FiresTudENTs ANd TEAcHERs ARE PRoTEsTING IN ARGENTINA

„Macri und die X zerstören die Bildung. Wir kämpfen bis zum Sieg.“ (Anm.: Mauricio Macri ist Bürgermeister von Buenos Aires)

g A s t K o M M e n t A rVon Lucia Murakami

On Thursday, 16 September, in part of the 34th anniversary of Night of the Pencils, 30,000 students went to march for public and education. However, the media only said it was an act of comme-moration for the students who disappeared in 1976, distorting the true motivation. The occupation of the square meant a big win for the student movement, a great impetus for the struggle to go on and continue the debate.

It‘s been over a month since dozens of high schools began with the occupations, then the college and university students joined in to unite and demand and massified the open struggle in defen-se of our education system which is in crisis.

Despite the knowledge of the lack of budget, deplorable building conditions, academic quality degradation, the non-payment to our

teachers, there is a total absence of replay from authorities and government. The crisis of the education system is due to the con-tinuous and systematic implementation of politics in favor of the interests of the minority who benefits from the process of privati-zation of our education.

At the General Assembly in the Faculty of Psychology, the motions voted were: active squat (with classes), participation in the camp in front of the Ministry of Education together with the seconda-ry schools and colleges, another assembly in two days and the drafting of a plebiscite signed by the students with all our claims.

In addition to the claims of each college or secondary or faculty, this is a fight for a decent education. We must continue working on the participation and organization to get the massification of the claim and win victories. The fight goes on!

[Lucia Murakami lives and studies Psychology in Buenos Aires]

Projekte, die sie in naher Zukunft un-bedingt verwirklichen wollen?

Ich möchte gerne noch ein Buch schreiben. Ein bisschen mit autobiographischen Zü-gen, obwohl das ganz schrecklich ist, weil Autobiographien furchtbar langweilig sind.

und jetzt nach neu-Bayreuth vielleicht neu-salzburg?

Nein. Es ist nichts im Busch, nichts geplant. Es ist sozusagen studentisch.

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ren sind zu Beton-Figuren in der Form ei-nes großen Bruders geworden.

Der Award umfasst sieben Kategorien. Wo-bei dieses Jahr zum ersten Mal der Positiv-preis „Defensor Libertatis“ vergeben wurde. Ihn bekam der Amerikaner John Young. Sei-ne Website cryptome.org gilt als die Mutter von Aufdeckerhomepages wie wikileaks.

Eine achtköpfige Jury trifft die Auswahl der Nominierten und der Preisträger. Sie schöpft aus einem Pool von Hunderten Einreichun-gen. Einsenden kann jeder, der irgendwo einen Eingriff in die Privatsphäre oder ei-nen Bruch des Datenschutzes erkennt. Die Veranstalter verfolgen mit dem Big Brother Award das Ziel kritische Fälle aufzuzeigen, den Blick der Gesellschaft zu schärfen und Verantwortlichen vorzuführen. Den wie hat schon Bertolt Brecht gesagt: „Das Böse hat Name und Anschrift.“

Alle Preisträger und Nominierte, so-wie weitere Informationen gibt es unter: www.bigbrotherawards.at www.bigbrotherawards.org www.quintessenz.org

Auf der Bühne herrscht perverse Anarchie. Vodkaflaschen werden von einer halb nackten, blutbeschmierten Nonne leer getrunken. Ein König spuckt Brot ins Publikum. Ein Riesenhase mit Engels-flügel steht hinterm Keyboard. Das ist nicht die Geschichte eines schrägen LSD-Trips, sondern ein Auftritt des internationalen Par-ty-Bataillons Bonaparte.

Am 16. Oktober beschafften sie dem Publikum im Röda in Steyr eine Alkohol-, Sex- und Party-Orgie, die ihresgleichen sucht. Mit-telmäßige Durchschnittsmusik, die an White Stripes gewürzt mit Elektro-Synth-Beats erinnert, war aber nicht wirklich der Grund

für den abendlichen Party-Orgasmus. Zwei Stunden schrägste Zirkus-Show mit Tierverkleidungen, Stripperinnen und einer wun-derbar erfrischenden Scheiß-auf-alles-Mentalität machten den Abend zum Highlight.

Der Auftritt wurde dem Untertitel „Circus Show“ mehr als gerecht. Bonaparte touren übrigens gerade mit ihrem neuen Album „My Horse Likes You“ durch Europa. Bonaparte aus der Konserve ist aber fürchterlich langweilig. Wenn also die Möglichkeit besteht: Unbedingt live anschauen und sich von dieser Wahnsinnsshow herficken lassen!

über.kitsch&kultur

Ulla Schmid und Michael Nikbakhsh wurden zur Einvernahme in das Landeskriminalamt Wien bestellt. Die beiden arbeiten für das Nachrichtenmagazin profil. Ihr vergehen: Zi-tieren aus den Gerichtsakten eines laufen-den Verfahrens. Ist das in Österreich illegal? Nein. Aber in Deutschland. Verantwortlich dafür zeichnet sich die Staatsanwaltschaft Wien. Am Montag den 25. Oktober wurde sie dafür ausgezeichnet; mit einem Nega-tivpreis – dem Big Brother Award.

Zum zwölften Mal findet die Big Brother Award Gala nun in Österreich statt. Das ist weltweit einzigartig. Kein anderes Land hat es seit der ersten Verleihung in London ge-schafft, jedes Jahr eine solche Veranstal-tung auf die Füße zu stellen. Der Wiener Verein quintessenz will mit diesem Preis die Öffentlichkeit auf das heikle Thema der Bürgerrechte und des Datenschutzes auf-merksam machen. 1999 gab es die erste Gala. Auf der Bühne des alternativen Kul-turzentrums flex wurden die Preise in Form von Schweinsohren verliehen. Spektakulär wurden die Trophäen mit Motorsägen von Schweineköpfen geschnitten. Damals war es noch nicht vorstellbar, dass sich Nomi-nierte oder gar Preisträger den Preis abho-len oder auch nur darauf reagieren. Das hat sich heute geändert.

DatenschutZ? uns DOch eGaL!Das Wiener Rabenhof Theater, in dem die Gala seit ein paar Jahren stattfindet, spricht ein größeres Publikum an. Die Preisverlei-hung ist zu einem Fixpunkt im Kalender geworden und hat deutlich an Einfluss ge-wonnen. Große österreichische Medien berichten darüber und Nominierte sowie Preisträger geben immer öfter Stellungnah-men ab; teilweise sogar live auf der Bühne,

wie dieses Jahr Christian Felber von attac oder Daniel Goldscheider vom SMS-Ge-winnspielbetreiber Lottelo. Auch der Preis hat sich verwandelt. Blutige Schweinsoh- [sud]

…unD es herrscht perVerse anarchie!

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Es ist der 22. Oktober 2009. Studierende gehen auf die Straße. Das Audimax der Universität Wien wird besetzt. Von Anfang an mit dabei: Kameras. Zu Beginn unorganisiert und später durch die AG-Doku koordiniert, es wird mitgefilmt. Als Partner ins Boot ge-holt wird coop99 und am 29. Oktober 2010 der Kinofilm „#unib-rennt. Bildungsprotest 2.0“ ins Kino gebracht.

Nach einem knappen Jahr entstand ein Zeitdokument, wel-ches sich den Anspruch stellt, über die Ereignisse rund um die Audimax-Besetzung zu informieren. Das Ergebnis: Ein wackeliges Hochzeitsvideo mit Kommentaren der Gäste. 900 Stunden Material wurden zu einem Erinnerungsfilmchen für die TeilnehmerInnen geschnitten. Die zeitliche Verortung fällt selbst dann schwer, wenn man im Audimax mit dabei war. Die eingeblen-deten Pressemeldungen und twitter-Kurznachrichten informieren nur wenig. Grafiken werden nicht erklärt und erklären somit nicht. Allein positiv erscheinen die Interviews fast aller betroffenen Par-teien; Studierende, Lehrende, Rektoren und Politiktreibende kom-men zu Wort.

Trotzdem lässt der Film einen #unibrennt-Neuling ratlos zurück. Teilnehmende fahren dafür eine Runde auf der Gefühlsachterbahn. Die Bilder der ersten Tage euphorisieren, die Gefühle der letzten Tage und die darauf folgende Räumung schmerzen wieder.

Aus den Reihen des Bildungsprotestes hagelt es Kritik am Ver-triebsmodell. Der Film kommt vorerst nur ins Kino. Irgendwann wird er als DVD erscheinen. An die Freigabe im Internet wird vonseiten des Vertriebes nicht gedacht. Dies kritisieren vor allem jene, welche der AG-Doku Bildmaterial der ersten Tage zur Verfügung gestellt haben. Tom Schaffer, er stellte Material dieser Zeit zur Verfügung, wurde zwar wegen der Nutzung seiner Aufnahmen für einen Film gefragt. Informiert darüber, dass dieser ausschließlich kommerzi-ell vermarktet werden wird, wurde Schaffer nie.

Abschlussbewertung: Netter Gefühlsfilm für am Protest Teilneh-mende. Filmtechnisch wird das Ganze eher dem Videoportal you-tube gerecht. Schade, dass trotz professioneller Partner nichts Besseres herausgekommen ist.

Österreichweiter Kinostart: 29. Oktober. Der Film wird am 8. Novem-ber als Eröffnungsfilm beim film:riss-Festival in Salzburg gezeigt.

Die senDunG Mit DeM Graus

HEuTE: VERHÜLLuNG, ENTHÜLLuNG

Ich liebe die Nacktheit, verkündete vor Jahren ein junger Mann auf einer Party, riss sich die Kleider vom Leib und stürmte in die Grazer Sommer-Nacht hinaus. Die Bedenken waren groß, war doch allen Zechern klar, dass er sich mit diesem Outfit erhebliche Schwie-rigkeiten einhandeln konnte.

Die Frage nach dem passenden Outfit, nach Verhüllung und Ent-hüllung des Körpers, ist ein viel besprochenes Thema. Vor allem in Bezug auf den weiblichen Körper.

Drei unbekleidete Frauen lächelten im Sommer verführerisch von den Hirter-Bier Plakaten. Jede mit einem Seiterl in der Hand prä-sentierten sie die drei Hirter Fasstypen. Mit ihren Händen und Biergläsern verdeckten sie den größten Teil ihrer Oberkörper. Der Werberat ortete Sexismus und bezeichnete die spärlich verhüll-ten Frauen als „inadäquat“.

Der Titel des neuen Buches von Alice Schwarzer ist Programm: „Kampf gegen das Kopftuch“. Bedeutet, wie der Untertitel des Bu-ches verrät, „für Integration, gegen Islamismus“ zu sein. Demnach solle sich die muslimische Frau nicht verhüllen. Der bekopftuch-ten Frau wird ihre Emanzipation abgesprochen. Vielmehr wäre sie Opfer eines patriarchalischen Systems.

Unterstützt werden die Aufrufe zur Enthüllung von der Kronen Zei-tung. Klar, die Krone zeigt‘s vor und lässt jeden Tag auf Seite 4 die Hüllen fallen. Außer in der Advent-Zeit, denn heilige Zeit verträgt sich scheinbar nicht mit nackter Haut.

Im einen Fall wird die Enthüllung der Frau im Namen eines Kampfes gegen den Islamismus gefordert. Im anderen die Verhüllung der Frau im Namen eines Kampfes gegen den Sexismus. Wer aber de-finiert wo Sexismus beginnt und was religiöser -ismus ist? Denn die Forderung sein Haar unbedeckt zu lassen und sich damit den Blicken der Männerwelt auszusetzen, könnte als sexistisch moti-vierte Kleidungsvorschrift aufgefasst werden. Und die geforderte Verhüllung der Hirter-Bier Frauen könnte als Reflex einer christlich geprägten Körperfeindlichkeit gedeutet werden.

Es täte also gut, wenn Mann und Frau in den Debatten um Ent- und Verhüllung andere Perspektiven mitdenken und eigene Zu-gänge hinterfragen würden.

Übrigens: Der junge Mann, der die Nacktheit liebte kam nicht weit. Er sprang vor dem Haus in die Glasscherben einer zerbroche-nen Bierflasche und wurde, in eine Decke gehüllt, von der Ret-tung abgeholt.

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Mark Zucker-berg mag die Face-book-Idee von anderen geklaut haben, und er mag vielleicht auch nicht besonders korrekt mit meinen Daten umgehen – weswegen ich aber wirklich einen Groll gegen den jüngs-ten Milliardär unserer Zeit hege, ist das Wort an sich. Facebook. Du musst es hören, wenn du neue Freun-de findest („Du bist doch sicher auch auf Facebook…“), wenn du welche wieder ver-lierst („Ich lösch dich auf Facebook von meiner Freundesliste!“), wenn du über die, die du noch hast, reden möchtest („Was der gestern auf Face-book wieder gepostet hat…“), wenn jemand dir von der letzten Party erzählt („Hast du die Fotos auf Face-book gesehen?“), oder ganz einfach wenn du gerne wüss-test, was in den nächsten Tagen so an Festln, Demos oder Geburtstagen ansteht („Bist du nicht eingeladen über Face-book?“). Die Liste ist endlos und der Kampf gegen mein persön-liches Unwort des Jahrhunderts ist hart. Meiner Erfahrung nach nutzen Drohungen, dass der nächste, der das Wort „Facebook“ ver-wendet, eins auf die Fresse bekommt nichts. Das mag einerseits an meiner wenig einschüchternden Körpergröße liegen, andererseits aber auch daran, dass man gezwungen wäre, eine Massenschlägerei unter sei-nen Freunden anzuzetteln. Also hier die neue Idee: Jeder, der „Facebook“ sagt, trinkt. Nach einer Stunde dürfte dann auch der letzte in der Ecke liegen und Ru-he geben. Und wenn ich ehrlich bin, wäre ich dann wohl eine der Ersten.

Achtung Satire!

derWoche

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Der über.morgen-Tierredaktion wurde ein ganz trauriger Fall zugetragen. Der kleine konsolidier-te Schlawiner Budget Zwei-Null-11 wurde von sei-nem Herrl seit vielen Monaten vernachlässigt. Erst haben sie ihm seinen Schwanz (wissenschaftliche Bezeichnung: Budgetus universitätus) abgetrennt und nur behelfsmäßig wieder angeklebt. Nun wur-de sogar bekannt, dass er kastriert werden sollte und ihm seine Hoden (wissenschaftliche Bezeich-nung: Beihilfus Familiarae) abgeschnitten werden sollten. Schicken Sie Spenden bitte, bitte umge-hend an: Bundesministerium für Finanzen, Hinte-re Zollamtsstraße 2b, 1030 Wien. Dankend verbleiben wir,

Ihre über.morgen-Tierredaktion

über.reste

FoTo: GÜNTER HAVLENA, PIxELIo.dE

Eine angeblich illegale Bar, klein, dunkel, selbstverwaltet und leicht psy-chotisch. Drinnen stehen auf einer improvisierten Theke zahlreiche Fla-schen. Eigentlich alles alkoholische Getränke; nur nicht der Orangensaft. KünstlerInnen aus der benachbarten Akademie sind die Gäste und die Öffnungszeiten nicht wirklich bekannt - angeblich immer Freitags und Samstags. Sein tut das ganze vermutlich in der Lehargasse 13, 1060 Wien. Genannt wird dieser Zufluchtsort Schnapsloch und Schild davor gibts keines. Viel Spaß beim Suchen. Es rentiert sich!

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