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NORDISCHER WOHNSTIL Holz, gerundete Formen und eine meisterhafte Verarbeitung: Skandi- navische Möbel sind etwas für Men- schen, die Wert auf Qualität legen und denen Behaglichkeit vor Reprä- sentation geht. In den letzten Jahren ist ihre Fangemeinde wieder ge- wachsen. Doch während Arne Ja- cobsens „Ameise" und „Schwan" in kaum einem Design orientierten Haushalt fehlen, waren die Möbel von Finn Juhl (1912-1989) bislang eher etwas für Eingeweihte. Zu Un- recht, denn der Name dieses Archi- tekten und Designers war in den 1950er-/60er-Jahren ein Synonym für den nordischen Wohnstil. 2012, im Jahr seines hundertsten Geburts- tags, ist Finn Juhls Rückkehr in die Wohnwelten nicht mehr zu stoppen. Ausstellungen in Kopenhagen,Tokio, New York und Paris erinnern an die- sen sensiblen Gestalter, zahlreiche seiner Entwürfe sind als Reedition wieder zu haben, Auktionshäuser rü- cken sein Werk in den Mittelpunkt und in fast jeder aktuellen Wohnzeit- schrift begegnet man mindestens ei- nem Finn-Juhl-Klassiker. Wer verstehen will, was das skandi- navische Lebensgefühl gestern wie heute in aller Welt so anziehend macht, sollte sich das Wohnhaus von Finn Juhl in Charlottenlund nördlich von Kopenhagen ansehen. Der Archi- tekt baute es 1942, also im Alter von nur 30 Jahren. Es ist ein schlichter, rechtwinkliger Bungalow aus weiß gekalktem Backstein. Ein offener Grundriss – seinerzeit eine Sensa- tion! – lässt die einzelnen Räume ineinanderfließen. Man begegnet hier den Juhl-Möbeln, die Designge- schichte schrieben, in ihrer idealtypi- schen, von sanftem Licht und einer zurückhaltenden Farbigkeit gepräg- ten Umgebung: dem Sofa „Poeten" mit seinen sinnlichen Rundungen, dem Häuptlingsstuhl von archaisch anmutender Eleganz, den bunten Schubladenschränken. Es ist eine Mi- schung aus Leichtigkeit, Eleganz und Finn Juhl Finn Juhl Regina Voges Der „Knochenstuhl" aus dem Jahr 1944 war das persönliche Lieblingsmöbel des De- signers. Nur rund ein Dutzend Exemplare wurden von diesem Modell gebaut. Zum Jubiläumsjahr produzierte Onecollection hundert Stück des filigranen Stuhls. Sie wurden vom Auktionshaus Bruun Rasmussen – aufgeteilt auf 44 Lose – an Liebha- ber versteigert (Foto: Designmuseum Danmark/Pernille Klemp)

26 33 Finn Juhl - wohnkultur66.de · Finn Juhl das Büro Lauritzen,um sein eigenes Atelier in Nyhavn zu eröff-nen.Obwohl er sein Studium nicht abgeschlossen hatte,nahm ihn der Berufsverband

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NORDISCHER WOHNSTIL

Holz, gerundete Formen und einemeisterhafte Verarbeitung: Skandi-navische Möbel sind etwas für Men-schen, die Wert auf Qualität legenund denen Behaglichkeit vor Reprä-sentation geht. In den letzten Jahrenist ihre Fangemeinde wieder ge-wachsen. Doch während Arne Ja-cobsens „Ameise" und „Schwan" inkaum einem Design orientiertenHaushalt fehlen, waren die Möbelvon Finn Juhl (1912-1989) bislangeher etwas für Eingeweihte. Zu Un-recht, denn der Name dieses Archi-tekten und Designers war in den1950er-/60er-Jahren ein Synonymfür den nordischen Wohnstil. 2012,im Jahr seines hundertsten Geburts-tags, ist Finn Juhls Rückkehr in dieWohnwelten nicht mehr zu stoppen.Ausstellungen in Kopenhagen, Tokio,New York und Paris erinnern an die-sen sensiblen Gestalter, zahlreicheseiner Entwürfe sind als Reeditionwieder zu haben, Auktionshäuser rü-cken sein Werk in den Mittelpunktund in fast jeder aktuellen Wohnzeit-schrift begegnet man mindestens ei-nem Finn-Juhl-Klassiker.Wer verstehen will, was das skandi-navische Lebensgefühl gestern wieheute in aller Welt so anziehendmacht, sollte sich das Wohnhaus vonFinn Juhl in Charlottenlund nördlichvon Kopenhagen ansehen. Der Archi-tekt baute es 1942, also im Alter vonnur 30 Jahren. Es ist ein schlichter,rechtwinkliger Bungalow aus weißgekalktem Backstein. Ein offenerGrundriss – seinerzeit eine Sensa-tion! – lässt die einzelnen Räumeineinanderfließen. Man begegnethier den Juhl-Möbeln, die Designge-schichte schrieben, in ihrer idealtypi-schen, von sanftem Licht und einerzurückhaltenden Farbigkeit gepräg-ten Umgebung: dem Sofa „Poeten"mit seinen sinnlichen Rundungen,dem Häuptlingsstuhl von archaischanmutender Eleganz, den buntenSchubladenschränken. Es ist eine Mi-schung aus Leichtigkeit, Eleganz und

FinnJuhlFinn JuhlRegina Voges

Der „Knochenstuhl" aus dem Jahr 1944 war das persönliche Lieblingsmöbel des De-signers. Nur rund ein Dutzend Exemplare wurden von diesem Modell gebaut. ZumJubiläumsjahr produzierte Onecollection hundert Stück des filigranen Stuhls. Siewurden vom Auktionshaus Bruun Rasmussen – aufgeteilt auf 44 Lose – an Liebha-ber versteigert (Foto: Designmuseum Danmark/Pernille Klemp)

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doch sein strenger Vater überredeteihn zu einem Architekturstudium ander Königlichen Akademie der schö-nen Künste. Er studierte bei KayFisker, der wegen seiner unterhaltsa-men Vorlesungen berühmt war. Juhlsollte sein Studium jedoch nieabschließen. Schon 1934 wurde derrenommierte Architekt Vilhelm Lau-ritzen auf das Nachwuchstalent auf-merksam und bot ihm einen Ferien-job an. Daraus wurde eine elfjährigeZusammenarbeit, die vor allem diePlanung der neuen KopenhagenerRundfunkzentrale („Radiohuset")umfasste. Erst nach Abschluss diesesGroßauftrags im Jahre 1945 verließFinn Juhl das Büro Lauritzen, um seineigenes Atelier in Nyhavn zu eröff-nen. Obwohl er sein Studium nichtabgeschlossen hatte, nahm ihn derBerufsverband der Architekten 1942als Mitglied auf.Neben seiner Arbeit als Architektentwarf Finn Juhl Möbel, die derKunsttischler Niels Vodder ausführte– es war der Beginn einer langen,fruchtbaren Zusammenarbeit. 1937beteiligte sich der Jung-Designer ander Ausstellung der KopenhagenerMöbeltischler-Gilde und sorgte so-fort für Diskussionen. Er war einAußenseiter, denn seine Konkurren-ten konnten allesamt eine hand-werkliche oder einschlägige akade-mische Ausbildung vorweisen und

„Menschlichkeit", die Finn Juhls Mö-bel ausmachen. In seinem Wohn-haus korrespondieren sie mit Kunstder nordischen Moderne, mit Wer-ken von Wilhelm Lundstrøm, RichardMortensen, Eigill Jacobsen und Ri-chard Jacobsen. Das Gesamtkunst-werk blieb glücklicherweise bis heu-te unangetastet. Zu verdanken istdies seiner Lebensgefährtin HanneWilhelm Hansen, einer vermögen-den Musikverlegerin, die das Werkdes Designers bis zu ihrem Tod 2003wie einen Schatz hütete. Seit einigenJahren steht das gemeinsame Heimals Museum Besuchern offen, es istTeil des Museums Ordrupgaard.

BIOGRAFIE

Finn Juhl wurde 1912 in Frederiksbergals Sohn eines vermögenden Textil-großhändlers geboren. Seine ausDeutschland stammende Mutterstarb, als der Junge erst drei Jahre altwar. Er wuchs heran in düsteren,holzgetäfelten Räumen zwischenTudor-Möbeln. Finn Juhl träumte voneiner Karriere als Kunsthistoriker,

Eleganz der 40er-Jahre: Finn Juhls Arm-lehner FJ45, entstanden 1945, wurde einErfolgsmodell. Zu haben war es in Ro-senholz, Mahagoni, Teak und Walnuss(Foto: Designmuseum Danmark/Pernil-le Klemp)

Sehr seltener Armlehner aus Kuba-Ma-hagoni, Original-Lederbezug mit Mes-singstiften, ausgeführt von Niels Vod-der 1939. Er wurde vom AuktionshausBruun-Rasmussen in Kopenhagen an-lässlich einer Finn-Juhl-Spezialauktionzum Schätzpreis von 100-125.000 Däni-schen Kronen (ca. 13.400-16.800 Euro)angeboten (Foto: Bruun-Rasmussen)

Den Häuptlingsstuhl, entworfen fürNiels Vodder im Jahre 1949, gab es spä-ter auch als Zweisitzer (Foto: Designmu-seum Danmark/Pernille Klemp)

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standen unter dem Einfluss des sei-nerzeit führenden Design-Theoreti-kers Kaare Klint (1888-1954). Der Va-ter der Anthropometrie – der syste-matischen Erfassung menschlicherKörpermaße und Proportionen – galtals Wegweiser zum klassisch-mo-dernen Design der Nachkriegszeit.Sein Name steht für die Entwicklungund Überarbeitung vergangener Sti-le. In Finn Juhls Möbeln drückt sichdagegen Liebe zur Kunst und speziellzur Bildhauerei aus, über die er sichim Laufe der Jahre profunde Kennt-nisse aneignete. Mit ihren abstrak-ten, organischen Linien ähneln seineSofas und Stühle modernen Skulptu-ren, mit denen sie auch häufig ge-meinsam ausgestellt wurden. Inspi-ration fand Juhl in den Plastiken vonHenry Moore, Hans Arp, BarbaraHepworth und Erik Thomesen. Un-verkennbar ist dieser Einfluss in ei-nem seiner frühesten Entwürfe, dem„Pelikan"-Sessel von 1940. Mit ihmbrach Juhl ein ungeschriebenes Ge-setz seiner Zeitgenossen: Polsterun-gen waren bei den Kreativen der Mo-derne verpönt, sie verwischten dieLinien. Prompt erntete der Designernichts als Spott: Der Sessel ähnle ei-nem müden Walross, meinten seineKritiker. Aller Ablehnung zum Trotzkündigte sich mit diesem Sitzmöbelein stilistischer Umschwung im dä-

nischen Möbeldesign an, der vieleJahre später in Arne Jacobsens be-rühmten Sesseln „Schwan" und „Ei"gipfeln sollte.

HEITERE BESCHWINGTHEIT

Juhls Möbel sind von heiterer Be-schwingtheit – Ausdruck seines per-sönlichen Lebensgefühls. Zeitgenos-sen beschreiben ihn als einen Men-schen, der das Leben wie eine Cock-tailparty nahm. „Ich glaube, die Dä-nen sind jetzt erst reif, um den Hu-mor zu sehen, der im Pelikan steckt.Damals, 1940, war Möbeldesign eineernste Angelegenheit," meint Chri-stian Olesen vom Designmuseum inKopenhagen.Die meisten seiner Entwürfe warenzunächst für Finn Juhls Eigenheimkonzipiert. Der Designer träumte da-von, jeden Gegenstand in seiner per-sönlichen Umgebung selbst zu kreie-ren. „Wenn ich es vor meinem Ab-gang von dieser Welt schaffe, dasvon mir selbst entworfene Haus mitvon mir gestalteten Möbeln, Teppi-chen, Gardinen, Armaturen, Geschirr,Silberwaren usw. zu füllen, habe ichein wirkliches Ziel erreicht", schrieber 1950 in einem Begleitheft zu einerAusstellung. Es blieb eine persönli-che Utopie. Beim Durchstreifen vonJuhls Haus entdeckt man so manche

Aquarellierte Raumskizzen von FinnJuhl für das eigene Haus des Möbelde-signers in Charlottenlund bei Kopenha-gen (Abbildung: Designmuseum Dan-mark/Pernille Klemp)

Konstruktionszeichnung für den Arm-lehner FJ45 aus dem Jahr 1945 (Foto:Designmuseum Danmark)

Der „Pelikan"-Sessel, entworfen von FinnJuhl 1940, sorgte auf der Jahresausstel-lung der Kopenhagener Tischlergilde fürFurore. An ein „müdes Walross" fühltensich Kritiker bei seinem Anblick erinnert.Seit einiger Zeit wird er wieder herge-stellt, zu haben ist er ab 4.385 Euro(Foto: Onecollection)

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„Fremdlinge": Lampen von Arne Ja-cobsen und Vilhelm Lauritzen odereinen Teppich der TextildesignerinAnna Thommesen.

BAHNBRECHENDE ENTWÜRFE

Mag sein, dass ihn Zeitmangel vonder Verfolgung seines persönlichenKonzepts abhielt, denn als Möbel-designer und Innenarchitekt war derDäne in den 1940er- und 50er-Jahrensehr aktiv und gefragt. Bahnbre-chend wurden seine Stuhl-Entwürfe:Im Modell FJ45, entstanden 1945, be-freite Juhl erstmals Sitz- und Rücken-lehne von der Rahmenkonstruktionund erzielte damit diese für ihn typi-sche Leichtigkeit. Die Trennung dereinzelnen Möbel-Elemente machteer auch bei seinen Schreibtisch-Kon-struktionen zum Prinzip: Das Schub-laden-Element scheint unter derPlatte des „Nyhavn"-Schreibtischesgleichsam im luftleeren Raum zuschweben.Wie ein roter Faden zieht sich dieBeziehung zur Kunst seiner Zeit undzur Kulturgeschichte durch dasWerk. Der „Augen"-Tisch etwa ver-

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Den „Bwana"-Sessel entwarf Finn Juhl1962, hergestellt wurde er von France &Søn. Dieses Paar wurde 2009 von Chri-stie’s in New York für 27.500 Dollar ver-kauft (Foto: Christie’s)

Höchstpreise erzielen jene frühen Stü-cke von Finn Juhl, die in den 1940er-Jah-ren in der Werkstatt von Niels Vodderausgeführt wurden – wie dieses Set ausdrei Teak-Armlehnstühlen der Modell-Nummer 45. Bei einer Auktion von Chri-stie’s in New York erzielte es 2008 einenPreis von 30.000 Dollar (Foto: Christie’s)

Für den amerikanischen Möbelherstel-ler Baker entwarf Finn Juhl 1951 diesesanheimelnde Plauder-Sofa. Auch diesesStück ist als Re-Edition wieder zu haben,es kostet ab 10.699 Euro (Foto: Onecol-lection)

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Teak-Schreibtisch mit farbigen Schub-laden, Metallrahmen, ausgeführt vonBovirke, angeboten vom KopenhagenerAuktionshaus Bruun-Rasmussen zumSchätzpreis von 80-120.000 DänischenKronen (10.800-16.200 Euro) (Foto:Bruun-Rasmussen)

Der mit Leder bezogene Zweisitzer, Mo-dell NV48 von 1948, wurde von Sothe-by’s, New York, im Dezember 2011 für12.000 USD versteigert (Foto: Sotheby’s)

Eine elegante Erscheinung: Das SofaModell 4600, entworfen 1946, gibt esals Re-Edition. Das beschwingte, 1,32Meter breite Möbel kostet neu ab 6.600Euro (Foto: Onecollection)

Inspiriert von der Malerei Picassos: DerAugentisch von Finn Juhl, ein Entwurfaus 1948. Als Re-Edition gibt es ihn zu ei-nem Preis ab 2.046 Euro (Foto: Onecol-lection)

dankt seine Form der Beschäftigungmit Picassos Malerei. Schubfächer inRot- und Gelbtönen sind eine Ver-beugung vor Goethes Farbenlehre.Im „Häuplingsstuhl" fließen Anlei-hen an ägyptische Thronsessel undarchaische Waffenarsenale zusam-men. Juhl dekorierte ihn in Ausstel-lungen häufig mit großformatigenBildern von indianischen Waffen. VielRaum zwischen Rahmenkonstruk-tion, Sitz- und Lehnflächen nehmendiesem Möbel die Wuchtigkeit, trotz-dem wirkt es dominant. Seinen Na-men verdankt die Design-Ikone üb-rigens einer königlichen Sitzprobe.Finn Juhl präsentierte den Sessel1949 auf der Ausstellung der Kopen-hagener Tischlergilde. König Frede-rick IX. testete seine Qualitäten undwar offenbar zufrieden. Ein Journa-list fragte den Designer daraufhin,ob er das originelle Möbel nun „Kö-nigsstuhl" nennen werde. Das klangFinn Juhl jedoch etwas zu hochtra-bend. „Nennen wir es doch Häupt-lingsstuhl."Wenn Finn Juhl Möbel entwarf, saher die Räume vor sich, die sie einmalausstatten sollten. Er war ein Anhän-ger kompletter Lösungen, betrach-tete es als Aufgabe des Architekten,seinen Auftraggebern auch Innen-ausstattungen vorzuschlagen. Erstrebte das perfekte Zusammenspielvon Möbeln, Kunst, Textilien, Design-objekten, Licht und Farbe an. Dochnur ein halbes Dutzend Privathäusertragen rundum seine Handschrift, ei-nes davon ist die Villa Auburtin, ge-plant und ausgestattet von Finn Juhl1952 für eine Kaufmannsfamilie inNakskov.

WOHNKULTUR

Von 1945 bis 1955 unterrichtete FinnJuhl an der Schule für Inneneinrich-tung (heute Dänische Designschule)in Frederiksberg. Seinen Schülernlegte er die Bedeutung der prakti-schen Innengestaltung neuer Ge-bäude ans Herz, fasste seine Prinzi-pien und Ratschläge in einer Fibel„Hjemmets Indretning" („Wohnkul-tur") zusammen, die auch in Magazi-nen veröffentlicht wurden. Seine Po-pularität wuchs – nicht zuletzt dankeines Großauftrags Mitte der 40er-Jahre. Für die PorzellanmanufakturBing und Grøndahl gestaltete er dieKopenhagener Niederlassung. DasErgebnis wurde von der KöniglichenAkademie der Schönen Künste mitder Eckersberg Medaille ausgezeich-net. Viele seiner Möbelentwürfewurden nun in Serie hergestellt. Re-nommierte Manufakturen wie Bovir-ke und France & Søn führten sie mitjenem hohen Anspruch an die Verar-beitung aus, die ihrem Entwerfer amHerzen lag. In den meisten Fällenwurde Teakholz verwendet, daswegen großer Straßenbauprojekteauf den Philippinen vermehrt gero-det wurde und deshalb günstig im-portiert werden konnte. Auch hier

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spielte Finn Juhl eine Pionierrolle:Teak war bis dahin fast ausschließ-lich für Gartenmöbel verwendetworden. Gemeinsam mit seinemPartner Niels Vodder entwickelte erneue Verarbeitungstechniken fürdas asiatische Holz.Ende der 1940er-Jahre lernte FinnJuhl den Direktor der Designabtei-lung des New Yorker Museums ofModern Art, Edgar Kaufmann jr., ken-nen. Der Amerikaner befand sich aufeiner Studienreise durch Skandina-vien. Die Begegnung war der Auftakteiner lebenslangen Freundschaft.Finn Juhl wurde dank seiner zumBotschafter des dänischen Wohnstilsin Amerika, denn der Begegnung mitKaufmann verdankt der Däne denwohl prestigeträchtigsten Auftragseiner Karriere: Die Ausstattung desSitzungssaales für den Treuhandratim UN-Hauptquartier. Danach öff-nen sich neue Türen für Finn Juhl. DerMöbelhersteller Baker in Michiganproduziert den Häuptlingsstuhl unddas eigens für ihn entworfene „BakerSofa". Über seiner geschwungenenRückenlehne thront die weiche Linieeines Kopfteils, sie macht das Sofaquasi zu einem intimen Ge-sprächsraum. Viele Verehrer von FinnJuhl halten es für den besten seinerSofa-Entwürfe.

Ebenfalls ein Designklassiker von FinnJuhl: Das Sideboard mit dem farbigenSchubladen-Element – einer Verbeu-gung vor Goethes Farbenlehre – ist alsNeuauflage ab 4.427 Euro zu haben. DieSchubladen gibt es wahlweise in Blau-und in Gelb-Rot-Tönen (Foto: Onecollec-tion)

Sechs Esszimmerstühle, Modell NV-49(„Ägypten-Stuhl"), Entwurf 1949, vomAuktionshaus Lauritz.com verkauft für19.447 Euro (Foto: Lauritz.com)

Sofa „Der Poet" , Entwurf 1941, vom Auk-tionshaus Lauritz.com für 4.694 Euroverkauft (Foto: Lauritz.com)

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von einer Maschine gemacht wer-den können", so Christian Olesen. Fürdie amerikanischen Bildungselitewar der skandinavische Wohnstil dasNonplusultra und Finn Juhl als seinExponent wurde in Übersee zur Kult-figur. Daheim in Dänemark erreichteer jedoch nicht die Reputation vonKaare Klint, Arne Jacobsen oder vonBørge Mogensen. In den 1970er-Jah-ren wurde es still um den Ausnah-me-Designer, der dänische Wohnstilkam aus der Mode. Immerhin wür-digte sein Heimatland das Werk vonFinn Juhl 1982 mit einer großenRetrospektive. Der Designer wurdeals Ritter des Dannebrog-Ordensausgezeichnet und der Staat wür-digte sein Engagement für das hei-mische Kunsthandwerk, indem erihm eine lebenslange Rente aussetz-te. Im Mai 1989 starb Finn Juhl, heutekümmert sich eine nach ihm be-nannte Stiftung um seinen künstle-rischen Nachlass.Seit seinem Tod ist das Interesse anFinn Juhls Werk kontinuierlich ge-wachsen. Steigende Auktionspreisefür seine Möbel drü-cken inzwischen dieWertschätzung derSammler in allerWelt aus. Vor allemin den VereinigtenStaaten ist seine

Bei aller Verliebtheit in skulpturaleFormen achtete Finn Juhl stets aufdie Bequemlichkeit seiner Möbel.„Sitzmöbel sollten wie Betten sein,man muss sich in ihnen bewegenkönnen", lautete sein Prinzip. In derTat: Selbst im Häuptlingsstuhl lässtes sich kuscheln und lümmeln, undseine raffinierten Sofas sind so kon-zipiert, dass Gespräche sowohl mitdem Gegenüber als auch mit demSitznachbarn in einer behaglichenPosition möglich sind. Nicht die Di-cke eines Polsters mache die Be-quemlichkeit eines Stuhls oder einesSessels aus, so Finn Juhl, sondern dieUnterstützung des Sitzenden an derrichtigen Stelle. Als Inneneinrichterist er in den 1950ern zunehmendgefragt: Für den dänischen Silber-schmied Georg Jensen gestaltet erdie Niederlassungen in New York,Toronto und London. Die Fluggesell-schaft SAS beauftragt ihn mit demDesign ihrer Ticket-Schalter in Euro-pa und Asien, und er stattet auch dieDC-8-Maschinen der skandinavi-schen Airline aus. Zum Botschafterdes nordischen Designs wird FinnJuhl endgültig durch seine Tätigkeitals Ausstellungsmacher. Die von ihm konzipierte Wanderausstellung„Design in Skandivavien" tourte zwi-schen 1954 und 1957 durch 22 Städteder Vereinigten Staaten, sie lockterund 650.000 Besucher. „Neue Formaus Dänemark" war zur gleichen Zeitin acht deutschen Großstädten zusehen.Der Erfolg skandinavischen Möbel-designs in den 1950er-/60er-Jahrenist im Rückblick mit dem hohen Qua-litätsstandard zu erklären. Nirgend-wo sonst konnte sich große Hand-werkskunst gegen Industrieproduk-tion so lange behaupten. „Kein Teildes Häuptlingsstuhls sieht aus, alshabe es

Ein Gemeinschaftswerk von Kay Bojesenund Finn Juhl ist diese Deckelschale ausTeakholz und Silber, um 1940. Bei Chri-stie’s in New York wurde es 2007 für7.200 Dollar verkauft (Foto: Christie’s)

Für die „Danish lamp company" entwarfFinn Juhl 1963 diese Tischlampe. Auchsie gibt es neuerdings als Re-Edition für827 Euro (Foto: Onecollection)

Schale, Entwurf von Finn Juhl, ausge-führt von Magne Monsen für das Ateliervon Kay Bojesen (H 13,5 cm B 27,2 cm L28,8 cm); vom Aktionshaus Bruun-Ras-mussen bei einer Taxe von 15-20.000Dänischen Kronen (ca. 2.016-2.690 Eu-ro) angeboten (Foto: Bruun-Rasmussen)

Für die Werkstatt von Kay Bojesen ent-warf Finn Juhl eine Reihe von Teakholz-schalen. Dieses Set aus der Zeit um 1960wurde 2008 gemeinsam mit einem vonJens Quistgaard entworfenen Eiseimerbei Christie’s in London angeboten underzielte einen Zuschlagspreis von 3.000Pfund (Foto: Christie’s)

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Fangemeinde groß, und Japaner ver-ehren ihn geradezu. Das MuseumOrdrupgaard weiß zu berichten, dassviele Design-Pilger aus dem FernenOsten ergriffen in Tränen ausbre-chen, wenn sie Finn Juhls Haus besu-chen und andächtig diese einzigarti-ge Harmonie aus Formen, Licht undFarbe in sich aufnehmen.Vor allem die frühen Stücke aus den1940er-Jahren, ausgeführt von NielsVodder, haben Seltenheitswert undwerden von Sammlern hoch bezahlt.Oft wurden sie in nur sehr geringenAuflagen ausgeführt. Bei Christie’swurden 2007 für einen Häuptlings-stuhl („Chieftainchair") aus der Vod-der-Werkstatt 25.000 Dollar erzielt.Bruun-Rasmussen, das führendeAuktionshaus in Dänemark, feierteden 100. Geburtstag von Finn Juhlmit Sonderauktionen. Unter ande-rem wurde das Arbeitszimmer desDesigners mit seinen Möbeln für ei-ne Vorbesichtigung nachgebaut, undzum Auftakt des Jubiläums wurdengenau hundert Exemplare des be-rühmten „Knochenstuhls" verstei-gert. Dieses Möbel mit der Modell-nummer FJ44 war das erklärte Lieb-lingskind des Designers, ein äußerstfiligranes Sitzmöbel, das den ausfüh-renden Kunsttischler seinerzeit je-doch zur Verzweiflung brachte. Nurzwölf Exemplare wurden in den1940er-Jahren von dem fragilen Mo-dell hergestellt, dessen Rückenlehneaus nur einem einzigen Stück Holzgearbeitet wird. Die Firma Onecol-lection, die heute zahlreiche Finn-Juhl-Klassiker nachbaut und ver-marktet, hat die Herausforderungangenommen und den Knochen-stuhl aufleben lassen – moderneVerarbeitungstechniken machten esmöglich. Mit dem Verkaufserlös derAuktion „Finn Juhl 100 Chairs" wird

die neue Stiftung unterstützt. „Es istein fantastisches Geschenk, FinnJuhls Meisterstücke nachbauen zudürfen. Wir können nicht aufhören,in diesem Schatz von Zeichnungennach weiteren unentdeckten Juwe-len zu suchen," erklärt Hans HenrikSørensen von der Firma Onecollec-tion, die die Rechte an Finn JuhlsEntwürfen erworben hat. Bis jetzthat das Unternehmen zwanzig Juhl-Klassiker im Programm, demnächstsollen weitere Entwürfe aus den1950er-Jahren folgen. Heute werdendie neu aufgelegten Stücke oft vonjapanischen Kunsthandwerkern ge-arbeitet. Das Unternehmen Wohn-kultur66 in Hamburg vertreibt dieLizenz-Möbel auf dem deutschenMarkt.Für Finn-Juhl-Liebhaber können die„neuen" Poet-Sofas, Pelikan-Sesseloder Häuptlingsstühle sehr dekora-tiv darüber hinweg trösten, dass esfür Originalstücke aus den Vierzigernschon ein paar Jahre zu spät ist. Miteinem Hauch von Wehmut erinnertsich Manfred Werner von Wohnkul-tur66 an seine USA-Reisen vor drei-ßig Jahren. Damals gab es Möbel ausden goldenen Jahren des skandinavi-schen Designs bei Garagenverkäufen

und auf Flohmärkten für nur einpaar Dollar.Tempi passati – diese Zei-ten sind unwiederbringlich vorüber,aber Finn Juhl hat auch nichts ande-res verdient.

INFO

Die Ausstellung „Furniture for thesenses – Finn Juhl 100" ist noch biszum 31. Dezember im Designmuse-um Danmark in Kopenhagen Bred-gade 68 zu sehen. www.design-museum.dk.Weitere Infos zu Finn Juhl: www.finnjuhl.org (Website der Finn-Juhl-Stiftung). – www.ordrupgaard.dk(Finn Juhls Wohnhaus). – www.one-collection.com (Hersteller von re-edierten Finn-Juhl-Klassikern). –www.wohnkultur66.de (Vertrieb vonre-edierten Finn-Juhl-Klassikern inDeutschland).Auktionshäuser: www.bruun-ras-mussen.dk. – www.lauritz.com. –www.christies.com. – www.sothe-bys.com.

Blick in die Kopenhagener Ausstellungzum 100. Geburtstag von Finn Juhl (Fo-to: Designmuseum Danmark/PernilleKlemp)

Aquarellskizze von Finn Juhl zu einemStuhl „Modell 51", der wahrscheinlich nieausgeführt wurde (Foto: Designmuse-um Danmark/ Pernille Klemp)

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