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Langenbecks Arch. Chir. 342 (KongreBbericht1976) Langenbecks Archiv ~r Chirurgie © by Springer-Verlag1976 39. Die infizierte kindliche Fraktur G. Hierholzer Berufsgenossenschaftliche UnfallklinikDuisburg-Buchholz(Direktor: Priv.-Doz.Dr. med. G. Hierholzer),GroBenbaumerAllee 250, D-4100 Duisburg Infected Fractures during the Period of Growth Summary. The stabilization of the injured and infected region is the most impor- tant condition for the bone structuring and the healing of infection. The author recommends the use of external fixation clamps, by means of which it is possible to achieve stability during movement while avoiding implantation of the metal in the infected region and the epiphyseal zone. The indications for autogenous can- cellous-bone and skin grafts are .nentioned. The results of follow-up examinations make it clear that the treatment should be started as early as possible. Key words: Fractures, juvenile, infected - Osteosynthesis, external fixation. Zusammenfassung. Die Problematik der infizierten Fraktur im Wachstumsalter wird an Hand der pathogenetischen Faktoren besprochen, aus denen sich die Systematik der BehandlungsmaBnahmen ableiten l~iBt. Die Stabilisierung des Verletzungs- und Entziindungsbereiches ist die wichtigste Voraussetzung fiir die kn6cherne Durchbauung und das Abklingen der Infektion. Zur Stabilisierung wird vorzugsweise die Osteosynthese mit dem Fixateur externe empfohlen, mit der Bewegungsstabilit~it zu erreichen ist und der gef~ihrdete Bereich wie auch die Epiphysenfugen ausgespart werden k6nnen. Die Indikation fiir die autologe Spongiosaplastik und fiir die Spalthautplastik wird aufgezeigt. Nachuntersu- chungsergebnisse machen deutlich, dab die BehandlungsmaBnahmen mSg- lichst fr/ihzeitig einsetzen miJssen. Schliisselwiirter: Kindliche Fraktur - infizierte Fraktur - Fixateur-externe- Osteosynthese. Die besondere Problematik der infizierten Fraktur ergibt sich aus der Morphologie des Knochengewebes, das von starren Hohlraumsystemen durchzogen ist und da- mit bei einer Keimbesiedelung die Manifestation einer Infektion begiinstigt. Gegen- uber 4en Erwachsenen k6nnen wir f/Jr das Wachstumsalter zwar eine hohe Regenera-

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Langenbecks Arch. Chir. 342 (KongreBbericht 1976) Langenbecks Archiv ~r Chirurgie © by Springer-Verlag 1976

39. Die infizierte kindliche Fraktur

G. Hierholzer

Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Duisburg-Buchholz (Direktor: Priv.-Doz. Dr. med. G. Hierholzer), GroBenbaumer Allee 250, D-4100 Duisburg

Infected Fractures during the Period of Growth

Summary. The stabilization of the injured and infected region is the most impor- tant condition for the bone structuring and the healing of infection. The author recommends the use of external fixation clamps, by means of which it is possible to achieve stability during movement while avoiding implantation of the metal in the infected region and the epiphyseal zone. The indications for autogenous can- cellous-bone and skin grafts are .nentioned. The results of follow-up examinations make it clear that the treatment should be started as early as possible.

Key words: Fractures, juvenile, infected - Osteosynthesis, external fixation.

Zusammenfassung. Die Problematik der infizierten Fraktur im Wachstumsalter wird an Hand der pathogenetischen Faktoren besprochen, aus denen sich die Systematik der BehandlungsmaBnahmen ableiten l~iBt. Die Stabilisierung des Verletzungs- und Entziindungsbereiches ist die wichtigste Voraussetzung fiir die kn6cherne Durchbauung und das Abklingen der Infektion. Zur Stabilisierung wird vorzugsweise die Osteosynthese mit dem Fixateur externe empfohlen, mit der Bewegungsstabilit~it zu erreichen ist und der gef~ihrdete Bereich wie auch die Epiphysenfugen ausgespart werden k6nnen. Die Indikation fiir die autologe Spongiosaplastik und fiir die Spalthautplastik wird aufgezeigt. Nachuntersu- chungsergebnisse machen deutlich, dab die BehandlungsmaBnahmen mSg- lichst fr/ihzeitig einsetzen miJssen.

Schliisselwiirter: Kindliche Fraktur - infizierte Fraktur - Fixateur-externe- Osteosynthese.

Die besondere Problematik der infizierten Fraktur ergibt sich aus der Morphologie des Knochengewebes, das von starren Hohlraumsystemen durchzogen ist und da- mit bei einer Keimbesiedelung die Manifestation einer Infektion begiinstigt. Gegen- uber 4en Erwachsenen k6nnen wir f/Jr das Wachstumsalter zwar eine hohe Regenera-

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Schema 1. Pathogenetische Faktoren und therapeutische Konsequenz bei infizierten Frakturen im Wachstumsalter

Pathogenetische Faktoren

Knochensch~idigung

KeimbefaU

K6rperabwehr

AusmaB der Devitalisierung Instabilit~it

Virulenz, Resistenz, Quantit~it

Konstitution, spezifische, unspezifische Abwehrreaktionen

Therapeutische Konsequenz

MaBnahmen zur Stabilisierung und Revitalisierung

---, Nekrosenentfernung Antibiotica

Allgemeintherapie (aktive, passive) Immunisierung

Schema 2. BehandlungsmaBnahmen der infizierten Frakturen im Wachstumsalter

Spezielle Therapie

I. SofortmaBnahmen

II. Sanierende MaBnahmen

III. Medikament6se Therapie

Entlastung, Drainage, D6bridement

Revision, Stabilisierung, Drainage Weichteil-, Knochenplastik

Antibiotica

tionsfiihigkeit und eine funktionsfiihige K6rperabwehr erwarten. Die Behandlungs- aussichten h~ingen jedoch weitgehend davon ab, ob die Therapie frfihzeitig geleitet und konsequent vorgenommen wird.

Beachten wir zun~ichst die pathogenetischen Faktoren im Schema 1. Aus der Pathophysiologie der infizierten Fraktur ergibt sich, daB aus der kn6chernen Sch~idi- gung und dem Keimbefall ein Circulus vitiosus entstehen kann, wobei das AusmaB der Devitalisierung, die knfcherne Instabilit~it im Verletzungsbereich und die Fak- toren Virulenz und Resistenz entscheidend sind. Die therapeutische Konsequenz lautet: Es sind MaBnahmen erforderlich zur Stabilisierung und Revitalisierung des Knochengewebes, um ein l]berwiegen der regenerativen gegen/iber den degenera- riven Vorg~ingen zu erreichen, die aus der bakteriellen Infektion entstehen. Dem Keimbefall wirkt die Entfernung des nekrotischen Gewebes und die Antibioticathe- rapie entgegen, die jedoch nur als erg~inzende MaBnahme im chirurgischen Gesamt- behandlungsplan indiziert ist. Die alleinige Antibioticatherapie bei der infizierten Fraktur provoziert atypische Entz/indungsabl~iufe, die die chirurgische Revision und Stabilisierung verz6gert. Die im Schema erw~ihnte M6glichkeit der Immunisierung stellt zwar eine experimentell welter zu bearbeitende Frage dar, eine klinische Rele- vanz ist bisher noch nicht erarbeitet.

Die wichtigsten therapeutischen MaBnahmen sind im 2. Schema aufgef/ihrt. Die Entlastung und Drainage einer Abszedierung bei einer infizierten Fraktur entspricht seit langem den allgemeinchirurgischen Grundregeln. Der Vorteil des D6bridement wird dagegen sicher noch nicht genug genutzt. Bei der infizierten Fraktur verstehen wir darunter, das fl~ichenhafte Anfrischen und Entfernen des kontaminierten Gewe- bebereiches im Stadium einer sich manifestierenden Infektion. Besonders nach einer vorangegangenen Osteosynthese ist bei einer beginnenden Infektion eines Hiima- toms nach dem D6bridement in den meisten F~illen noch eine prim~ire Wundheilung

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zu erreichen. Von den sanierenden MaBnahmen ist im Wachstumsalter die Revision und die Stabilisierung besonders wichtig. Der Weichteil- und Knochenplastik kommt im Kindesalter wegen der hohen Regenerationsfiihigkeit des Gewebes zahlenmiiBig nicht die Bedeutung zu wie beim Erwachsenen.

Die aufgezeigten klinischen F~ille machen deutlich, dab die in Verbindung mit der Revision durchzufiihrende Stabilisierung bei der infizierten Fraktur mit dem Gipsverband nicht m6glich ist. AuBerdem gewiihrleistet der Gipsverband in diesen Fiillen nicht die erforderliche weitere Weichteilbehandlung. Klinisch ist immer wieder zu beobachten, dab sich die EntziJndungszeichen am Knochen- und Weichteilgewebe unter einer stabilen Fixation meist schnell zuriickbilden.

Zur Stabilisierung verwenden wir bei der infizierten Fraktur im Wachstumsalter vorzugsweise die ~iuBere Fixation, die besonders am Unterschenkel nach dem Prinzip der riiumlichen Verstrebung vorgenommen wird. Ist dies aus funktionellen Griinden in anderen Bereichen, wie am Unterarm nicht m6glich, so verwenden wir zur Osteo- synthese den Wagner-Apparat. Die Vorteile der ~iuBeren Fixation im Wachstums- alter sind deutlich. Die Stabilit~it wird unter Aussparung des infizierten Weichteil- und Knochenbereiches und der Epiphysenfugen erzielt. Es wird meist Bewegungs- stabilit~it erzielt. Aus der Forderung nach einer Stabilisierung ist keine grunds~itzliche Indikation zur Osteosynthese mit Fixateur externe abzuleiten. Bei abgeschwiichter EntziJndungsform, bei ausreichend vascularisiertem und bei ausreichend dickem Weichteilmantel wiihlen wir bei der infizierten Fraktur im Wachstumsalter zur Stabilisierung das fiJr den jeweiligen Bereich standardisierte Osteosynthesever- fahren. Ist die Fixatur-externe-Osteosynthese wegen einer floriden Infektion, einer Defektbildung oder einer im Vordergrund stehenden Weiehteilschiidigung indiziert, so verwenden wir am Arm und am Oberschenkel auch den Wagner-Apparat. Fiir die Metallentfernung hat folgende Richtlinie Gfiltigkeit: Ein stabilisierendes Implantat bleibt belassen, wenn mit den obengenannten MaBnahmen ein Abklingen der EntziJndung oder eine abgeschwiichte Entziindungsform erreicht werden kann. Metall, das nicht mehr stabilisiert, wird enffernt. Zur Metallentfernung ist eine iibungsstabile kn6cherne IJberbriJckung ausreichend und die Belastungsstabilitiit nicht abzuwarten.

Beim gr6Beren Defekt ist auch im Kin desalter eine kn6cherne Plastik mit auto- loger Spongiosa erforderlich. Die Indikation ist jedoch in jedem Einzelfalle erneut zu steUen. Die Spongiosa erfordert ein ausreichend vascularisiertes Transplantations- lager. Bei mangelnder Weichteildeckung kann die offene Spongiosaplastik nach Burri durchgefiJhrt werden, die wir bei tiefen Mulden mit kleiner Oberfliiche vornehmen. Nach eigenen Untersuchungen beschleunigt die Spalthautdeckung der Spongiosa- oberfl~iche den Heilverlauf. Bei flacher Mulde ist unter Hinweis auf die appositionelle Regenerationsf~ihigkeit des Knochengewebes im Wachstumsalter eine Knochenpla- stik nicht erforderlich und nach eigenen Untersuchungen die Spalthauttransplanta- tion als endgfiltige plastische MaBnahme indiziert.

Die Komplikation einer Infektion von Frakturen im Wachstumsalter ist selten, dann aber oft schwerwiegend. Die yon uns beobachtete Zahl derartiger Patienten in den letzten 3 Jahren begriJndet sich durch die schwerpunktmiiBige Zuweisung. Ein RiJckschluB auf die Infektionshiiufigkeit ergibt sich daraus also nicht. Der Unter- schenkel steht ganz im Vordergrund (Tabelle 1). Aus der Tabelle 2 geht hervor, dab die BehandlungsmaBnahmen m6glichst friihzeitig einsetzen miJssen.

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Tabeile 1. Lokalisation und Entzi indungsform bei infizierten Frakturen im Wachstumsal ter

Lokalisation Entzi indungsform

beginnend florid chronisch n = 7 n = 6 n = 8

Oberarm 1 1 - Becken 1 - - Oberschenkel - 1 - Unterschenkel 5 4 8

Tabelle 2. Kn6cherne Durchbauung bei infi- zierten Frakturen im Wachstumsal ter

Entz/ indungsform Kn6chern durchbaut in n Wochen

beginnend 9,0 n = 7 florid 12,5 n = 5 chronisch 18,5 n = 7