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GlobalEurope Anticipation Bulletin n°74 Antizipation: mit Weitsicht die richtigen Entscheidungen treffen Übersicht 15. April 2013 1 GEAB n°74 – 17. 04. 2013 © Copyright GEFIRA / LEAP, 2013 – ISSN 1951-6177 – Alle Rechte vorbehalten Jede Nutzung des Inhalts der Ausgaben des GEAB ohne die schriftliche Einwilligung von LEAP ist streng verboten. 1. Perspektive Umfassende weltweite Krise - Realwirtschaft und Politik haben den Kampf mit der Finanz- und Bankenindustrie aufgenommen In der gegenwärtigen Phase braut eine Reihe von etlichen Faktoren ein sehr gefährliches Gemisch, das jederzeit in die Luft gehen kann: Massive staatliche Liquiditätsspritzen begünstigten erneut die Bildung enormer Spekulationsblasen; die geopolitische Lage ist heikel; Währungskriege; Beginn des Kampfs der Politik gegen den "Finanzterrorismus", politische Krise in der EU… (Seite 2) 2. Teleskop 2013-2014 – Krisenmanagement nach isländischer Art: Bail- in, die neue Methode, "too big to fail"- Banken zu retten Die Krise auf Zypern ist in letzter Zeit der dramatischste Fall einer Haftung der Bankengläubiger, in diesem Fall Sparer, für die Verluste der Banken. Für die reichen Sparer sollte dies eigentlich keine Überraschung darstellen; anhand unserer Analysen und angesichts der Struktur und der Größe des zyprischen Finanzsektors war dieses staatliche Vorgehen vorhersehbar... (Seite 13) 3. Fokus Die Entstehung der Welt von Morgen: Syrien und Mali als zwei konkrete Beispiele, wie die umfassende weltweite Krise den Regionen neue Perspektiven eröffnet In dem Patt zwischen der geschwächte Allianz der westlichen Ländern und dem Tandem China- Russland, noch zu wenig legitimiert auf internationalem Parkett, um seine Positionen durchsetzen zu können, können sich regionale Interessenlagen endlich ohne störende Einmischung von außen entwickeln… (Seite 22) Strategische und praktische Empfehlungen Aktienmärkte: Was nach oben geht, geht auch wieder runter Rohstoffe: Nicht nur Öl ist riskant, alle Rohstoffe sind es Devisen: Augen auf bei Yen und Pfund! Investitionen: Nicht nur Banken dürfen Kredite vergeben… (Seite 26) 4. Der GlobalEurometer Ergebnisse & Auswertung Die Ergebnisse dieser Umfrage vermitteln den Eindruck weitgehender Unaufgeregtheit, was angesichts der Ereignisse der letzten 30 Tage doch überraschend ist. Pessimismus ist weiterhin vorherrschend, aber nicht stärker als im letzten Monat bzw. bei einigen Fragen sogar weniger ausgeprägt… (Seite 30) 1

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GlobalEurope Anticipation Bulletin n°74Antizipation: mit Weitsicht die richtigen Entscheidungen treffen

Übersicht15. April 2013

1GEAB n°74 – 17. 04. 2013

© Copyright GEFIRA / LEAP, 2013 – ISSN 1951-6177 – Alle Rechte vorbehaltenJede Nutzung des Inhalts der Ausgaben des GEAB ohne die schriftliche Einwilligung von LEAP ist streng verboten.

1. PerspektiveUmfassende weltweite Krise - Realwirtschaft und Politik haben den Kampf mit der Finanz- und Bankenindustrie aufgenommenIn der gegenwärtigen Phase braut eine Reihe von etlichen Faktoren ein sehr gefährliches Gemisch, das jederzeit in die Luft gehen kann: Massive staatliche Liquiditätsspritzen begünstigten erneut die Bildung enormer Spekulationsblasen; die geopolitische Lage ist heikel; Währungskriege; Beginn des Kampfs der Politik gegen den "Finanzterrorismus", politische Krise in der EU… (Seite 2)

2. Teleskop2013-2014 – Krisenmanagement nach isländischer Art: Bail- in, die neue Methode, "too big to fail"- Banken zu rettenDie Krise auf Zypern ist in letzter Zeit der dramatischste Fall einer Haftung der Bankengläubiger, in diesem Fall Sparer, für die Verluste der Banken. Für die reichen Sparer sollte dies eigentlich keine Überraschung darstellen; anhand unserer Analysen und angesichts der Struktur und der Größe des zyprischen Finanzsektors war dieses staatliche Vorgehen vorhersehbar... (Seite 13)

3. FokusDie Entstehung der Welt von Morgen: Syrien und Mali als zwei konkrete Beispiele, wie die umfassende weltweite Krise den Regionen neue Perspektiven eröffnetIn dem Patt zwischen der geschwächte Allianz der westlichen Ländern und dem Tandem China- Russland, noch zu wenig legitimiert auf internationalem Parkett, um seine Positionen durchsetzen zu können, können sich regionale Interessenlagen endlich ohne störende Einmischung von außen entwickeln… (Seite 22)

Strategische und praktische EmpfehlungenAktienmärkte: Was nach oben geht, geht auch wieder runterRohstoffe: Nicht nur Öl ist riskant, alle Rohstoffe sind esDevisen: Augen auf bei Yen und Pfund!Investitionen: Nicht nur Banken dürfen Kredite vergeben… (Seite 26)

4. Der GlobalEurometerErgebnisse & AuswertungDie Ergebnisse dieser Umfrage vermitteln den Eindruck weitgehender Unaufgeregtheit, was angesichts der Ereignisse der letzten 30 Tage doch überraschend ist. Pessimismus ist weiterhin vorherrschend, aber nicht stärker als im letzten Monat bzw. bei einigen Fragen sogar weniger ausgeprägt… (Seite 30)

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1. Perspektive

Umfassende weltweite Krise – Realwirtschaft und Politik haben den Kampf mit der Finanz- und Bankenindustrie aufgenommen

Nach der Methode der Politischen Antizipation können Brüche vorhergesagt werden, indem die besonders risikoreichen Phasen identifiziert werden, während denen der kleinste Funke das Pulverfass zur Explosion bringen kann. Die gegenwärtige Phase ist dafür ein bezeichnendes Beispiel; eine Reihe von etlichen Faktoren braut ein sehr gefährliches Gemisch, das jederzeit in die Luft gehen kann: Massive staatliche Liquiditätsspritzen begünstigten erneut die Bildung enormer Spekulationsblasen; die geopolitische Lage ist heikel; Währungskriege; Beginn des Kampfs der Politik gegen den „Finanzterrorismus“, politische Krise in der EU, Massenarbeitslosigkeit und stagnierende oder gar rückläufige Realwirtschaft, und die Staatsverschuldung erreicht neue Rekordwerte. Es ist eine solche Häufung explosiver Faktoren, dass es geradezu einem Wunder gleichkommt, dass die Lage noch nicht eskalierte. Wir haben die Gründe dafür in der 71. Ausgabe des GEAB analysiert, nämlich insbesondere ein allgemeines Interesse, die US- Wirtschaft künstlich am Leben zu erhalten, sowie eine gefährlich laxe Geldpolitik der Zentralbanken. Was die Politik der Zentralbanken anbelangt, hat die Bank von Japan gerade noch einen Gang höher geschaltet; sie versucht nicht etwa, die Risiken einzudämmen, sondern tritt ganz im Gegenteil, wie wir unten im Einzelnen erläutern werden, die Flucht nach vorn an. Aber Flucht nach vorn scheint inzwischen die bevorzugte Strategie einiger Länder zu sein, die nicht mehr wissen, welche Optionen ihnen noch verbleiben. Die Leser des GEAB kennen die üblichen Verdächtigen: Japan, Großbritannien, USA.

2GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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Kommentar in letzter MinuteSeit des Redaktionsschlusses an dieser Ausgabe des GEAB am Abend des 14. April können wir feststellen, dass alle Wirtschaftsindikatoren in ungewöhnlichem Gleichschritt den Weg nach unten angetreten haben: Aktienmärkte in Europa, Amerika und Asien, Rohstoffe… und sogar und vor allen Dingen Gold. Leider können wir in dieser Ausgabe zu diesem Phänomen nicht mehr detailliert Stellung nehmen. Wir sehen darin jedoch eine Bestätigung für unsere Ausführungen in dieser Ausgabe. Aber während wir die kommenden Ereignisse noch unaufgeregt beschrieben haben, als etwas, was erst kommen wird, fragen wir uns nun, ob nicht gerade der Zusammenbruch eingeläutet wurde, den wir für die Zeit vom März bis Juni 2013 vorhergesehen haben. Die Sparbemühungen des Westens (US- Sequestration + Austeritätspolitik in Europa), die auch auf das chinesische Wachstum durchschlagen und nunmehr entsprechend schlechte Zahlen produzieren, lässt die Preise für Rohstoffe und die Aktienkurse einbrechen, wodurch wiederum die Bankenaktiva an Wert verlieren, was die Banken zwingt, Anlagevermögen abzustoßen, um sich Geld zu verschaffen. Papiergold wird geradezu verschleudert und wird damit zum Symbol des Zusammenbruchs. Was zur Zeit vor sich geht, ist umso bedeutsamer, da, würde es sich um die normalen Folgen von Spekulation handeln, der Zusammenbruch eines Marktes einen anderen nach oben treiben würde. Wahrscheinlich stehen wir am Anfang einer allgemein um sich greifenden Panik, in der alle spekulativen Positionen geräumt werden. Sollte sich ein Zusammenbruch wie der von 2008 wiederholen, lautet nun die entscheidende Frage: Woher heute die tausenden Milliarden nehmen, die 2009 das Finanzsystem in letzter Sekunde vor dem völligen Kollaps gerettet hatten?

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Wir gehen davon aus, dass das System noch einen Grad instabiler geworden ist. Diese Einschätzung wird durch ein paar vom Mainstream abweichende Informationen bestätigt, die ihren Weg durch die Propagandamauer finden konnten, die nach dem Willen der Finanzwelt die Menschen an einem objektiven Blick auf die reale Wirtschaftssituation hindern soll, wie die – wieder einmal – überraschende Verschlechterung aller makroökonomischer Indikatoren, die nach bisheriger uniformer Einschätzung doch die allgemeine "Erholung" belegen sollten: Arbeitsmarkt in den USA1, in Kanada2 und in Australien3, Konsumervertrauenindizes4, Verkaufszahlen für Computer5 und Mobiltelefone6, chinesische Exporte7, Kraftfahrzeugumsätze in den BRICS8 usw.

Auch ist die Zypernkrise eine eindrückliche Erinnerung daran, dass die Krise noch nicht hinter uns liegt. Die Schockwellen, die durch die Finanzlage dieser winzigen Insel ausgelöst wurden, die noch nicht einmal im Herzen des globalen Finanzsystems, nämlich der Dollarzone liegt, geben eine Ahnung davon, was passieren wird, wenn es im Herzen des Systems zum Infarkt kommt. Denn während das kleine Europa sich redlich um Schadensbegrenzung und Vorsorge bemüht, erhöhen die USA die Dosen des Gifts, das ursächlich für die Krise ist; als ob ein Sprung in ein leeres Schwimmbad von einer höheren Plattform weniger schmerzhaft wäre.

DIE KRISE IM QUADRAT ODERDIE FLUCHT NACH VORN ALS "POLITIK" DER

KRISENBEKÄMPFUNG

Japan, Großbritannien und die USA wollen offensichtlich die Krise mit einer noch schlimmeren Krise bekämpfen. Wie die Finanzprodukte, die 2008 das Finanzsystem zur Explosion brachten, also diese CDOs im Quadrat9, Finanzderivate von Finanzderivaten, mit denen das Risiko bis zur Risikolosigkeit verteilt werden sollte, was aber in Wirklichkeit

1 Vgl. Quit Blaming Europe for Bad Jobs News in the U.S., Bloomberg (09/04/2013).2 Quelle : CBC News, 05/04/2013.3 Quelle : The Telegraph, 11/04/2013.4 Vgl. u.a. Dallas News, 09/04/2013.5 Quelle : Le Monde, 12/04/2013.6 Quelle : L'Expansion, 13/02/2013.7 Quelle : The Wall Street Journal, 10/04/2013.8 Quelle : Le Monde, 11/04/2013.9 Für eine einfache Erklärung des Prinzips der CDOs et der CDOs im Quadrat siehe dieses Video auf

Information Processing (17/10/2008). Vgl. auch Wikipédia.

3GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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Verkauf von Treibstoff in den USA

Verkaufsvolumen Treibstoffe im Einzelhandel in den USA. Quelle: EIA

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das Risiko erhöhte, so löst die Flucht nach vorn, die diese Länder angetreten haben, eine Krise im Quadrat aus, eine Krise, die weitaus schlimmer sein wird als die von 2008. Sie behaupten, sie würden die Krise bekämpfen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass sie nicht Wasser, sondern Benzin ins Feuer schütten.

Die Bank von Japan lässt mit ihrem Plan des Aufkaufs japanischer Staatsanleihen10 Ben Bernanke und sein QE3 blass aussehen. Gerade bei Japan und seiner schmerzhaften Geschichte ist es vielleicht ein etwas geschmackloser Vergleich, aber geldpolitisch hat Japan eine Atombombe scharf gemacht und die Risiken einer Eskalation sind enorm, mit Folgen, die entsprechend der Explosionskraft der Bombe wären. Bisher konnte Japan seine gigantischen Schulden schultern, da die Zinsen für japanische Staatsanleihen niedrig waren (um die 0,5%). Die Geldgeber, insbesondere nationale Unternehmen, gaben sich mit niedriger Rendite zufrieden, da in Japan eine Deflation von ungefähr 0,5% herrscht, womit die reale Rendite bei ungefähr 1% liegt. Aber schon geraten die japanischen Staatsanleihen unter Druck; insbes. der größte japanische und globale Pensionsfonds droht, seine japanischen Staatsanleihen abzustoßen11.

Da die japanische Zentralbank nun ein Inflationsziel von 2% ausgibt und es um jeden Preis erreichen möchte und dafür die in Umlauf befindliche Geldmenge verdoppelt12 (!), müssen die Zinsen für japanische Staatsanleihen auf ungefähr 3% steigen, damit den Geldgebern eine reale Rendite von 1% bleibt. Bei Staatsschulden in Höhe von 3% des BIP ist ein solches Zinsniveau nicht bezahlbar; schon bei den gegenwärtigen Zinsen frisst der Schuldendienst 40% des japanischen Steueraufkommens13. Die Finanzmärkte sind sich dieses Problems sehr wohl bewusst, wie man daran sehen kann, dass der Handel mit japanischen Staatsanleihen in nur vier Tagen wegen zu hoher Kursschwankungen vier Mal ausgesetzt werden musste14. Das ist ein Warnzeichen vor einem möglichen Zusammenbruch des Marktes.

Japan steckt damit in einer Zwickmühle: Wenn seine Zentralbank weiterhin so massiv

10 Quelle : The Guardian, 08/04/2013.11 Quelle : Bloomberg, 03/02/2013.12 Quelle : The Guardian, 04/04/2013.13 Quelle : Wikipédia.14 Quelle : ZeroHedge, 10/04/2013.

4GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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Japanische Staatsanleihen

Zinsen für japanische Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit. Quelle: ZeroHedge / Bloomberg.

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Liquidität in die Wirtschaft pumpt, um Inflation zu erzeugen, wird das Land entweder wegen eines nicht mehr zu schulternden Schuldendiensts in die Zahlungsunfähigkeit getrieben (mit entsprechenden dramatischen Folgen für die Unternehmen und Pensionsfonds) oder eine nicht mehr zu kontrollierende Spirale setzt ein, in der die Bank of Japan der alleinige Käufer für japanische Staatsanleihen wäre, während alle anderen ihre abstoßen. Wenn die Zentralbank aber ihre Aktion abbläst, stürzt die Wirtschaft ab. Dabei haben wir noch nicht berücksichtigt, dass für die japanischen Unternehmen trotz allen Patriotismus die Versuchung groß sein muss, im Ausland zu investieren, um sich vor dem Absturz des Yens zu schützen, der bereits heute nicht mehr weit von einem Wechselkurs von 100 Yen für einen Dollar entfernt ist.

SPEKULATIONSBLASEN WOHIN MAN SCHAUT

Aber die USA verfolgen seit Beginn der Krise die gleiche Strategie, wenn auch nicht in dem Umfang. Dieser Kampf um die Aufrechterhaltung der Illusion einer soliden Realwirtschaft lässt überall Spekulationsblasen wachsen. Blase bei Studentenkrediten, bei Autokrediten, natürlich auch bei Staatsanleihen und nun auch eine subprime- ähnliche Blase, die sich wieder zu bilden beginnt, weil Obama die Banken dazu auffordert, Kredite auch den wenigst solventen Kunden15 einzuräumen, in der Hoffnung, damit den Immobilienmarkt zu beleben: All diese Sektoren der Wirtschaft hängen ausschließlich von der Politik der Fed des billigen Geldes ab und haben ihre Verbindung zur Wirklichkeit gekappt, wie wir in der 73. Ausgabe des GEAB beschrieben haben. Die amerikanische Wirtschaft ist im freien Fall, und wie man von dem Witz von dem Mann weiß, der aus dem Fenster im 30. Stock gefallen ist und auf Höhe des 3. Stockwerks erleichtert aufseufzt "bisher ist noch alles gut gegangen", kommt es nicht auf den Sturz an, sondern auf die Landung.

Aber die Probleme der US- Wirtschaft bleiben nicht auf das US- Territorium begrenzt. Die Liquiditätsorgie in den USA hat auch zur Blasenbildung in den Schwellenländern16 geführt (vgl. unten stehendes Schaubild), die nun ihr Endstadium erreicht hat und sich

15 Quelle : Washington Post, 02/04/2013.16 Vgl. z.B. The bubble bubble.

5GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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Produktion und Konsum in den USA

Rot die Produktion in den USA von "ausfuhrfähigen Gütern", also eigentlich alle hersgestellten Güter, aber wenig Dienstleistungen. Hellblau der Privatkonsum in den USA, dunkelblau Konsum

durch staatliche Stellen. In Billionen Dollar für 2011. Quelle: Tullet Prebon

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sogar leicht abbaut17. Damit verfliegt die Hoffnung, dass die Schwellenländern 2013 die Lokomotiven der Weltwirtschaft sein werden. Auch in Kanada ist die Lage sehr kritisch, da dort ebenfalls eine gigantische Immobilienblase vor dem Platzen steht (vgl. 69. Ausgabe des GEAB), die Lage auf dem Arbeitsmarkt alles andere als rosig ist usw.

Aber die Mutter aller Blasen ist und bleibt der Dollar. Die Supermachtstellung der USA stützt sich auf die Stellung des Dollars als wichtigste Währung der Welt, und die gesamte amerikanische Außenpolitik verfolgt das prioritäre Ziel, diese Dollarvormachtstellung des zu wahren. Aber die USA stehen inzwischen auf verlorenem Posten. Die Position des Dollars wird von allen Seiten untergraben: Immer größere Anteile des Welthandels werden mit Hilfe von Swaps- Abkommen abgewickelt oder verzichten auf andere Weise auf den Dollar als Zahlungsmittel18 ; das Vertrauen in den Dollar als stabile Währung schwindet, sogar in den USA, wo mehrere Staaten Gold als legales Zahlungsmittel eingeführt haben oder wenigstens darüber nachdenken19 ; China zieht sich immer weiter aus dem Markt für US- Staatsanleihen zurück20, (sei es auch nur, weil ihre gigantischen Handelsüberschüsse sich deutlich reduziert haben) usw. Die Bitcoin- Blase21 zeigt ebenfalls dieses wachsende Misstrauen gegen den Dollar, wie wir es in der 71. Ausgabe des GEAB vorhergesagt haben.: "Versuche, alternative und lokale Währungen einzuführen, werden 2013 zahlreicher werden. [...]Diese Versuche gründen sich auf zwei unterschiedlichen Denkansätzen: [Der erste ist] das schwindende Vertrauen in die offizielle Währung [...]".

Eine Dollarzone, die schmilzt wie Schnee in der Sonne, und eine US- Fed, die dennoch versucht, immer größere Mengen von Dollar zu erzeugen, lässt ein Dollarüberangebot entstehen, das eine Explosion der Dollarblase auslösen wird. Die anderen Staaten stehen nicht vor vergleichbaren Problemen; denn keine andere Volkswirtschaft genießt das Privileg, Wirtschaftsraum einer internationalen Leit- und Reservewährung zu sein; ganz im Gegenteil, ein Zusammenbruch des Dollars und eine wachsende internationale Bedeutung der eigenen Währung kann für andere Volkswirtschaften nur von Vorteil sein.

Um die Vormachtstellung des Dollars aufrecht zu erhalten, greifen die USA neben den

17 Quelle : Caixin (03/04/2013) mit einem besonders empfehlenswerten Artikel.18 Neuesten Beispiele: Die Swap- Abkommen zwischen China und Australien und zwischen China und

Brasilien. Quellen: The Australian (30/03/2013) und BBC News (27/03/2013).19 Quelle : Bloomberg, 08/04/2013.20 Quelle : ZeroHedge, 11/04/2013.21 Vgl. z.B. Le Monde (09/04/2013) und Le Monde (12/04/2013).

6GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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Immobilien in China und Brasilien

Links Index der Immobilienpreise in Shanghai, rechts in Sao Paulo.Quelle: Global Property Guide.

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üblichen Hilfsmitteln Ölzahlungsmittel und Militärmacht, die aber immer weiter an Wirksamkeit verlieren, auf die Methode der frenetischen Gründung von Freihandelszonen zurück. Freihandelszonen, wie wir bereits in der 71. Ausgabe des GEAB schrieben, sind somit sehr wohl ein wichtiges internationales Politikthema. Wir schrieben im Januar aber auch, dass wir davon ausgehen, dass die meisten Projekte scheitern oder leere Hüllen bleiben werden, deren Zweck sich darin erschöpfen wird, den "neuen" Protektionismus zu verschleiern. Genau nach diesem Schema verlaufen die Verhandlungen zwischen Europa und den USA, die auf harten Widerstand in der Bevölkerung stoßen22; ihnen wird kein Erfolg beschieden sein, schon weil die Europäer die amerikanischen Produkte nicht wollen und die Amerikaner nicht die europäischen.

Lediglich ein paar wenige Projekte für Freihandelszonen haben echte Umsetzungschancen, wie z.B. eine Freihandelszone zwischen Europa und Indien; denn für diese beiden Regionen wäre eine Annäherung sehr sinnvoll, um gemeinsam auf der internationalen Bühne eine größere Rolle zu spielen. Aber selbst dieses Projekt kommt nur sehr schwer aus den Startlöchern, da die Europäer versuchen, den Indern strenge Regeln aufzuerlegen, die diese aber nicht akzeptieren wollen23. Die mächtigen Regionen der Welt verfolgen momentan nicht das Ziel, sich zu öffnen, vielmehr wollen sie einfach nur mächtiger werden. Davon werden sich die Regionen auch nicht von Freihandelsprojekten abbringen lassen; was diese bewirken, erschöpft sich also darin, die Währungskriege zu verstärken, die, sollten Zollschranken abgeschafft werden, als einfachste und einzige Methode verbleiben, Protektionismus zu betreiben.

Damit ist klar, dass auch die geplanten Freihandelsabkommen den Dollar nicht retten werden.

EIN STARKER MANN HÄLT SICH BEREIT

Nicht nur wirtschaftliche, monetäre oder finanzielle Überlegungen legen nahe, dass sich die Lage bald einschneidend ändern wird; davon gehen ja nicht nur wir aus, sondern auch die gut informierten Teilnehmer an den Finanzmärkten, die massenweise ihre Aktien von Technologiefirmen24 verkaufen. Aber aus den USA konnte vor Kurzem ein anderes bedeutendes Signal wahrgenommen werden, nämlich die Rückkehr des "gefallenen Helden" Petraeus, dem sein schneller Rücktritt vom Posten des CIA- Chefs und seine öffentlichen Entschuldigungen ein recht hohes Prestige bewahren konnten. Nachdem er sich einige Monate aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, taucht er nun mit einem Gastbeitrag in der Washingtoner Post25 wieder aus der Versenkung auf, der sich wie das politische Programm eines Retters der Nation liest, der bereit ist, eine nationale Sammlungsbewegung anzuführen.

Wir hatten schon Ende 2011 in der 60. Ausgabe des GEAB den General Petraeus als den möglichen "starken Mann" ausgemacht, dem die Aufgabe zufallen würde, im Falle einer sozialen und/oder wirtschaftlichen Katastrophe die Ordnung in den USA aufrecht zu erhalten. Seither wurde bekannt, dass Fox News an ihn herangetreten war, um ihn zu bewegen, bei den Wahlen 2012 für die Republikaner gegen Obama26 anzutreten. Aber

22 Quelle : Der Spiegel, 26/02/2013.23 Quelle : DNA, 13/04/2013.24 Quelle : CNBC, 11/04/2013.25 Quelle : Washington Post, 08/04/2013.26 Quelle : Washington Post, 03/12/2012.

7GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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schon vor seinem kurzen Fall in Ungnade wegen einer außerehelichen Beziehung hatte er es offensichtlich vorgezogen (sicherlich zu Recht), seine Bewerbung für eine Zeit aufzusparen, wo die Nation auf der verzweifelten Suche nach einem Retter sein werde. Dass er heute seine Fühler ausstreckt, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Lage schon in nächster Zeit wesentlich zu verschlimmern droht.

Aber in einer Welt, in der die USA einen dermaßen zentralen Platz einnehmen, wird alles daran gesetzt, einen erneuten Absturz ihrer Wirtschaft zu vermeiden. Die ersten Schockwellen werden daher aller Voraussicht nach von ihren engsten Verbündeten ausgehen, also Japan und Großbritannien. Aber diese werden sich unmittelbar in die gesamte US- Einflusszone fortpflanzen, so dass die Frage, wo zuerst die Krise ausbrechen wird, letztendlich zweitrangig ist.

GROSSBRITANNIEN, EIN ZYPERN HOCH ZEHN

Fanden Sie die Zypernkrise spannend? Dann warten Sie erst einmal ab, um wie viel spannender die Großbritannienkrise wird. Großbritannien leidet an derselben Krankheit wie Zypern, aber ist unvergleichbar größer: Ein übergroßer Finanzsektor, eine kolossale Verschuldung, eine hohe Arbeitslosigkeit usw.

Ein weiterer entscheidender Unterschied besteht darin, dass Großbritannien, wenn die Krise endlich ausbricht, nur auf sich angewiesen sein wird, während Zypern von Euroland Hilfe erhielt. So ist es eben, wenn man in der EU mit Zähnen und Klauen immer seine Sonderrolle verteidigt und eine tiefere Integration abgehlehnt hat. Großbritannien hat sich vom Kontinent abgesetzt, allein schon wegen der Absichten der übrigen EU- Mitgliedstaaten, die Finanzindustrie zu regulieren, die über die City of London Dreh- und Angelpunkt der britischen Wirtschaft ist. Und die Enthüllungen von offshore leaks27, die die britische Presse mit absoluter Nichtachtung straft, versetzen dem Steuerparadies, das die

27 Siehe hierzu z.B. Le Monde.

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Bedeutung des Finanzsektors in Großbritannien

Blau die relative Bedeutung des Finanzsektors in den 27 EU- Mitgliedstaaten.Quelle: OpenEurope / City of London.

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City ja auch ist, den Todesstoß und gefährden damit erheblich die gesamte englische Wirtschaftsleistung. Die Europäer werden nicht länger dulden, dass ein EU- Mitgliedstaat Beihilfe zur Steuerhinterziehung leistet.

KRIEGSERKLÄRUNG GEGEN DIE FINANZINDUSTRIE

Denn Europa befindet sich heute im erbarmungslosen Kampf gegen den "Finanzterrorismus". Jetzt ist Schluss mit der Geiselnahme ganzer Volkswirtschaften durch die Diktate der Finanzmärkte. Die Politiker machen sich daran, die Spielregeln zu ändern. Sicherlich wird es nicht so einfach sein, sich gegenüber einer mächtigen Finanzwelt durchzusetzen, die sich für den Kampf gewappnet hat, auf ihre Hilfstruppen der angelsächsischen Medien und Lobbyisten zählen kann und über erhebliche Geldmittel verfügt. Aber die Wende hat mit dem zyprischen Rettungsplan eingesetzt.

Als wir in der 71. Ausgabe des GEAB vorhersagten, dass die angelsächsischen Medien wieder verstärkt über die Probleme der Eurozone schreiben würden und Zypern dafür eine gewisse Substanz bieten würde, haben wir uns in einem Punkt geirrt: Um Zypern in das Zentrum des Nachrichteninteresses zu rücken, bedurfte es keiner bösen Absichten der angelsächsischen Medien; das Krisenmanagement und die verunglückte Öffentlichkeitsarbeit der europäischen Politiker hat gereicht, um das Thema wochenlang auf die Vorderseite der Zeitungen zu halten. Nichtsdestoweniger ist die "Islandisierung" der Bankenrettungen, wie wir in der 72. Ausgabe des GEAB vorhersagten, auf dem Vormarsch; Banken werden in den Konkurs geschickt oder müssen sich auf Kosten ihrer Aktionäre und Gläubiger neues Kapital besorgen, statt lediglich beim Steuerzahler die Hand auf zu halten. Auch wenn wir noch nicht von einer neuen Nikomachischen Ethik28 sprechen wollen, so bleibt doch festzuhalten, dass ein wichtiger Meilenstein erreicht wurde. Der Kontrast ist groß zur griechischen Bankenrettung, wo die Banken weitgehend von einem Beitrag zur Rettung verschont blieben und sie sogar an Teilen des Rettungsplans mitschreiben durften29; von nun an werden die Banken als erste für die Rettungsbemühungen herangezogen.

Natürlich wird das Krisenmanagement wieder in typisch europäischem Stil organisiert, also im Wirrwarr, mit chaotischer politischer Führung und mit unzureichender demokratischer Legitimation, womit sich die politische Krise, die wir in der 73. Ausgabe des GEAB beschrieben haben, noch verschärft. Aber die Finanz- und Währungskrise wird nach und nach gemeistert. Denn um eine Vorschau auf die weiteren Etappen der Krise in Europa zu erhalten, muss man verstehen, wie Euroland sich den gegenwärtigen Herausforderungen stellt. Die paranoide Berichterstattung über die Probleme der Eurozone durch die Finanzmedien, die gleichzeitig Großbritannien und den USA die schlimmsten Sünden stoisch durchgehen lassen, ermöglicht, frühzeitig alle potentiellen Problembereiche auszumachen und sich darauf vorzubereiten. Daher wissen wir z.B., dass die Märkte nun Slowenien30 unter Beobachtung gestellt haben. Damit können schon vorab Maßnahmen getroffen werden, die sicherstellen, dass eine Krise in Slowenien nicht Schockwellen in andere Staaten Eurolands aussendet. Insofern sind Grenzen hilfreich, um die Krise in Quarantäne zu halten, da von Staat zu Staat andere Rahmenbedingungen vorliegen und Investitionen zum großen Teil auch heute noch nach nationalen Perspektiven getätigt

28 Bezugnehmend auf das Werk von Aristoteles Éthique à Nicomaque.29 Quellen : The New York Times (09/02/2012) und Wall Street Journal (07/07/2011).30 Vgl. z.B. MarketWatch, 09/04/2013.

9GEAB n°74 – 17. 04. 2013

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werden.

Damit konnten die europäischen Krisenmanager, nachdem die Lage in Griechenland stabilisiert war, sich der Probleme in Zypern annehmen. Man kann davon ausgehen, dass der für Nicosia ausgehandelte Bail-in ein Testlauf für vergleichbare Rettungsaktionen in anderen Staaten Eurolands ist, sozusagen ein Aufwärmen. Dennoch ist jede Situation einzigartig und jede Lösung wird es auch sein. Nur eins ist sicher: In Zukunft wird auch die Finanzindustrie bei Bankenrettungen zur Kasse gebeten werden. Die Plötzlichkeit und der "Überraschungseffekt" des Angriffs gegen die Interessen der Finanzmärkte (für alle, die nicht den GEAB lesen), als der dieser neue Rettungsplan gelten kann, erklären, warum er solche Schockwellen durch das System gejagt hat. Dennoch gab der Euro selbst auf dem Gipfel der Krise gerade einmal um ein paar Cents auf 1,28 EUR/USD nach, verschwindend wenig im Vergleich zu den von einigen geäußerten Befürchtungen - und den Wünschen anderer - , dass der Euro zerfallen könne. Einige meinten, Euroland sei ein hohes Risiko eingegangen; entscheidend ist aber, dass Euroland bewiesen hat, das es auf sicheren Grundlagen steht.

ERZWUNGENE SÄUBERUNG: VORAUSSETZUNG FÜR EIN ÜBERTRITT IN DIE WELTVON MORGEN

Mit den Enthüllungen von offshore leaks, dem wachsenden Druck auf Luxemburg und Österreich, das Bankengeheimnis abzuschaffen und letztendlich auch der Skandal um den französischen Haushaltsminister Cahuzac, der ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz sein eigen nannte, kommen die Dinge allmählich in Fluss. Da ist es natürlich verständlich, dass österreichische Politiker laut die Frage stellen31, warum die österreichischen Gesetze geändert werden sollten, wenn die Londoner City, mit Abstand größter Finanzplatz in Europa und wirklich alles andere als ein Musterknabe der Transparenz, so weiter machen dürfe wie bisher.

31 Vgl. hierzu EUObserver, 12/04/2013.

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Steuerhinterziehung

Karrikatur von Patrick Chappatte für International Herald Tribune.

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Doch mag Österreich ganz beruhigt sein: Auch die City wird nicht viel länger dürfen. Denn die Zeiten werden hart für Steuerflüchtlinge. Wie Gerard Depardieu können sie sich heute in liebliche Orte wie Grozny, Hauptstadt von Tschetschenien, zurückziehen, nicht gerade berühmt für seine weißen Sandstrände unter hohen Palmen32. Die engagierten Stellungnahmen europäischer Politiker gegen Steueroasen werden Legion und nehmen sich verstärkt die Londoner City als Ziel, die insbes. bei offshore leaks häufig Erwähnung findet33. Steuerhinterziehung ist für die Staaten alles andere als eine Nebensächlichkeit; die französischen Behörden zum Beispiel gehen davon aus, dass dem Staat durch Steuerhinterziehung eine Summe in Höhe des gegenwärtigen öffentlichen Defizits entgeht34.

Euroland wird seine Aufgabe sicherlich durch die Errichtung der Bankenunion erleichtert, die mit der Übertragung der Aufsichtsfunktion über die großen europäischen Banken auf die EZB allmählich Gestalt annimmt35. Wenn die EZB erst einmal die Bilanzen der Banken geprüft haben wird, dürften einige böse Überraschungen ans Tageslicht kommen, vor allem in Italien, aber überraschenderweise auch in Deutschland, wo selbst die mittleren Regionalbanken den Versuchungen, sich hochrentable Wertpapier zuzulegen, die sich als toxisch erwiesen haben, nicht wiederstehen konnten. Die Finanzindustrie durchlebt aktuell eine Zeit der notwendigen Säuberung der Bankenbilanzen von Scheinwerten, die in den Jahrzehnten des Bankenbooms und der globalisierten Finanzmärkte angehäuft wurden; je mehr eine Bank davon besitzt, um so schmerzhafter wird sie diese Säuberung erleben. Dennoch ist dies eine Notwendigkeit, wenn die Banken in der Welt von Morgen wieder auf einer soliden Basis ihre Geschäfte führen wollen. Viel Spekulationskapital wird aus den Ländern flüchten, die eine strengere Regulierung des Bankensektors verabschieden werden, aber das ist doch eher eine gute Nachricht. Schließlich war festzustellen, dass dieses Kapital in erster Linie dazu diente, Spekulationsblasen, eine schädlicher als die andere, weiter aufzublähen.

Wenn dieses Geld also aus der Eurozone abfließt, dann ist dies hilfreich, um die Banken auf eine Dimension zu schrumpfen, die der Größe der Realwirtschaft angepasst ist.

Es ist interessant festzustellen, dass sogar die USA anfangen, ihren Bankensektor zu schrumpfen, und zwar mit durch die Sequestration notwendig gewordenen Sparstrategien, die in einer Version "light" Ähnlichkeit mit der europäischen Austeritätspolitik aufweisen. Obwohl die Sparanstrengungen sicherlich noch von begrenztem Umfang sind, sind die ersten Wirkungen bereits festzustellen. In Chicago werden 54 Grundschulen wegen Geldmangels schließen36; in anderen Städten können Krankenhäuser nicht mehr ihren vollen Betrieb aufrecht erhalten, in anderen sind Flughäfen betroffen37 usw. Wenn das soziale Sicherheitsnetz noch durchlässiger als bisher wird, werden viele Menschen, deren

32 Sans parler de l'incendie de l'une des tours entourant l'appartement que l'acteur a « reçu ». Source Ganz zu schweigen von der Feuersbrunst, die in einem der Hochhäuser neben dem Apartmentblock

ausgebrochen ist, in dem dem Schauspieler eine Wohnung "geschenkt" worden war. Quelle: Le Figaro, 03/04/2013.

33 Vgl. hierzu z.B. Wichtigstes Steuerparadis der Welt, die City im Zentrum eines offshore- Imperiums, Le Monde, 09/04/2013.

34 Quelle : FranceTVinfo, 11/04/2013.35 Unglücklicherweise verzögert durch deutsche Bedenken. Quelle : Expansión, 12/04/2013.36 Quelle : The New York Times, 21/03/2013.37 Für einige Beispiele vgl. The American Public Is Clueless About The Devastating Consequences Of The Sequester

(« die Amerikaner haben keine Ahnung von den verheerenden Folgen der Sequestration »), Business Insider, 04/04/2013.

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Beitrag für die Gesellschaft und in der Wirtschaft doch eigentlich erwünscht sein müsste, dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden38. Wenn eine Gesellschaft viele ihrer Mitglieder ins Elend entsorgt, kann die Lage sehr schnell kippen.

Wenn allein die Reduzierung des öffentlichen Defizits um 10% so schnell solche Auswirkungen zeitigt, kann man sich vorstellen, wie schmerzhaft sich in den USA eine Rückkehr zu einem Leben innerhalb der tatsächlichen materiellen Möglichkeiten (des Landes und seiner Menschen) gestalten wird. Dabei ist die Frage nur, ob diese Anpassung aktiv gestaltet oder erduldet wird; sie selbst ist unvermeidbar. Je später es dazu kommt, um so härter wird der Schock. Da die amerikanischen Eliten zur Zeit offensichtlich der Entscheidung lieber aus dem Weg gehen, wird das Land wegen seiner zentralen Stellung in der Welt das letzte sein, dass die Anpassung an die Realität wird angehen können, wie wir in der 71. Ausgabe des GEAB erläuterten. Sie müssen nämlich die Letzten sein, damit alle anderen schon auf der sicheren Seite sein werden, wenn die USA den Prozess endlich in Angriff nehmen.

38 Quelle : Washington Post, 07/04/2013.

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Fortbildung in Politischer Antizipation

Für unsere nächste on- line- Fortbildungsreihe in Politischer Antizipation, die am 27. April beginnt, sind noch einige Plätze frei! Wir unterrichten die Methode der Politischen Antizipation, die Grundlage für die Arbeiten von LEAP/E2020 und die Erstellung des GEAB ist.

Es ist die dritte Fortbildungsreihe, die die Stiftung für die Ausbildung in Politischer Antizipation FEFAP veranstaltet. Wie die bisherigen Absolventen bestätigen können, ist die Ausbildung ein großer Erfolg. Wir streben an, Politische Antizipation einem möglichst großen Kreis an Lernenden zugänglich zu machen.

Für weitere Informationen und Anmeldungen verweisen wir auf den Netzauftritt der Stiftung: http://www.fefap.eu/index.html.

Sie können sich auch direkt per e-mail an Victoire Baeyaert unter [email protected] wenden.

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2. Teleskop

2013-2014 – Krisenmanagement nach isländischer Art: Bail- in, die neue Methode, "too big to fail"- Banken zu retten

DIE WELT DER BANKEN

In der 72. Ausgabe des GEAB werteten wir die Abwicklung der Anglo Irish Bank durch die irische Regierung als einen klaren Hinweis, dass die Länder der EU nicht mehr länger bereit sind, die Banken ausschließlich auf Kosten der Steuerzahler zu retten.

Die Krise auf Zypern ist in letzter Zeit der dramatischste Fall einer Haftung der Bankengläubiger, in diesem Fall Sparer, für die Verluste der Banken. Für die reichen Sparer sollte dies eigentlich keine Überraschung darstellen; anhand unserer Analysen und angesichts der Struktur und der Größe des zyprischen Finanzsektors war dieses staatliche Vorgehen vorhersehbar (Schaubild 1). Wer sein Geld im Ausland anlegt, sollte sich über die damit verbundenen Gefahren im Klaren sein und mögliche politische Veränderungen vorhersehen. Wir werden im Folgenden die zukünftigen Risiken für Bankengläubigern in den Ländern der Eurozone, Großbritannien und den USA analysieren. Wegen der Gemeinschaftswährung können die Eurozonenländer kein neues Geld drucken, um Banken zu retten; Länder hingegen, denen die Möglichkeit unbegrenzter Geldschöpfung

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Schaubild 1 – Composition of banks liabilities

80% der Schulden der zyprischen Banken sind Einlagen von Privatkunden. Eigenkapital wird bei den meisten westlichen Banken für eine bail- in - Rettung nicht ausreichen. Man muss wissen, dass bei einer Rekapitalisierung der Banken Spareinlagen genauso herangezogen werden können wie vorrangiges Fremdkapital (senior debt). Fälschlicherweise glauben viele, dass Spareinlagen besser

geschützt wären als vorrangiges Fremdkapital.

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offen steht, müssen immer damit rechnen, dass der Kurs ihrer Währungen zusammen bricht, wenn sie zu hemmungslos von der Geldpresse Gebrauch machen. Deshalb bereiten die zuständigen britischen und amerikanischen Behörden Rettungspläne für ihre "too big to fail"- Banken vor, die der zyprische Bankenrettung nachempfunden sind39.

Wie wir schon in der 72. Ausgabe des GEAB schrieben, fehlt es den Ländern der Eurozone inzwischen an dem Geld wie auch an dem politischen Willen, ihre Geschäftsbanken zu retten. Natürlich wird die Finanzindustrie keine Anstrengung scheuen, um die Regierungen zu überzeugen, dass die Banken weiterhin auf staatliche Bestandsgarantien angewiesen seien und nur so das wirtschaftliche Chaos vermieden werden könne. Das ist nur zu verständlich: Teile der Finanzindustrie vermögen aus dieser bisher stillschweigend gewährten Garantie, den künstlich niedrigen Zinsen und den vergangenen Rettungsaktionen riesige Gewinne zu ziehen. Auch wenn wir nicht davon ausgehen, dass Sparer mit Sparguthaben innerhalb der durch europäisches Recht gewährten Einlagensicherung um ihr Geldvermögen fürchten müssen, ist es uns dennoch ein Anliegen, unsere Leser darauf aufmerksam zu machen, dass Regierungen, Banken und Bankengläubiger sich nun in terra incognita bewegen. Bankengläubiger, deren Einlagen oder Forderungen nicht durch die europäischen Einlagensicherungen geschützt sind, sollten sich über das bestehende Risiko im Klaren sein. Hohe Risiken und unvorhergesehene Verluste werden nicht nur in Südeuropa auftreten, sondern können überall anfallen.

DIE FINANZSTRUKTUR DER BANKEN

Die einfachste Definition für Bank ist "eine Institution, die Spareinlagen als Darlehen ausgibt". Bank nehmen kurzfristige Spareinlagen entgegen und wandeln sie in langfristige Darlehen.

Es ist aber genauso richtig zu sagen, Banken sind Unternehmen, die in verschiedenen Geschäftsfeldern tätig sind. Wie alle Unternehmen benötigen Banken Geld, um ihre Geschäfte zu betreiben. Banken können ihre Geschäfte mit Kapital finanzieren, das ihnen

39 Source: FDIC.

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Schaubild 2 – Die Finanzstruktur niederländischer Banken

Die staatliche ABN-AMRO - Bank erhielt neues Kapital von der Regierung, ist aber im Vergleich zu anderen Banken weiterhin mit wenig Eigenkapital ausgestattet.

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von Dritten zur Verfügung gestellt wird, weil sie Aktien und Anleihen der Banken erwerben oder dort Guthaben deponieren (Vgl. Schaubild 2). Eigenkapitial (auch equity genannt) wird u.a. gebildet, indem die Bank Aktien ausgibt; die Aktieninhaber werden zu Eigentümern der Bank. Aktieninhaber sind an den Gewinnen der Banken beteiligt und müssen für Verluste in Höhe des Werts ihres Aktieneigentums einstehen. In der modernen Finanzindustrie gehen Aktieninhaber ein hohes Risiko ein, da sie, ohne in guten Zeiten übermäßig hoch an den Profiten beteiligt zu sein, nach schlechten Zeiten bei einer Restrukturierung der Bank als erste ihrer Investition verlustig gehen. Eine Bank kann sich auch Geld leihen, also Fremdkapital ansammeln, indem sie Anleihen auflegt; die Anleihenkäufer erhalten einen festen Zinssatz im Gegenzug für ihre Investition. Falls das Eigenkapital nicht ausreicht, um Verluste auszugleichen, können Anleiheninhaber in Höhe des Werts der Anleihen zur Haftung herangezogen werden. Und zuletzt versorgen sich Banken mit liquiden Mitteln, indem sie Spareinlagen entgegennehmen. Modernes Bankenwesen kann man nur verstehen, wenn man weiß, dass Spareinlagen die billigste Weise für Banken ist, an Geld zu kommen, das sie einsetzen, um Geld zu verdienen. Wenn Banken plötzlich bereit sind, für Einlagen höhere Zinsen zu bezahlen, ist das ein klarer Hinweis auf ihre Schwierigkeiten, sich auf dem Anleihenmarkt noch mit frischem Geld zu versorgen. Da Spareinlagen die preiswerteste Art ist, sich Geld zu beschaffen, ahmen viele Unternehmen Banken nach: Inzwischen gibt es viele Unternehmen, die eigentlich überhaupt nichts mit Bankgeschäften zu tun haben, die sich eine Bankenzulassung besorgt haben, um Spareinlagen als billiges Fremdkapital für ihre eigentlichen Unternehmensziele einsetzen zu können.

ANLAGERENDITE

Bis 2008 war es im Fall einer Bankeninsolvenz übliche Praxis, dass Aktionäre ihrer Investition verlustig gingen und die weiteren Verluste gemeinsam von Anleiheninhabern und Sparern getragen wurden. In allen westlichen Staaten sind die Einlagen der Sparer bis zu einer bestimmten Höhe durch Einlagensicherungen geschützt. Diese Einlagensicherungen richten sich nach dem nationalen Recht. Auch in der EU sind dafür die Mitgliedstaaten zuständig; eine europaweite Einlagensicherung gibt es nicht. In den USA ist die FDIC für die Einlagensicherung zuständig, die bei den Banken Beiträge für einen Einlagensicherungsfonds erhebt. In anderen Ländern werden Beiträge für den Fond erst nach einem Bankenkonkurs von den Banken erhoben. Die Sparer erhalten also ihre Einlagen in der garantierten Höhe nicht von der Bank erstattet, sondern von dem davon unabhängigen Fonds, der im Gegenzug einer der Gläubiger der insolventen Bank wird. Alle nicht vom Fonds erstattete Spareinlagen fallen in die Insolvenzmasse, aus der die verschiedenen Gläubiger, wie bei jedem Konkurs, entsprechend der gesetzlichen Rangfolge bedient werden. Dabei kann das Gesetz auch vorsehen, dass vorrangige Gläubiger in Gänze ausbezahlt werden, bevor nachrangige Gläubiger bedient werden. Anleiheninhaber, der Fiskus, Angestellte, Sparer usw. werden alle entsprechend ihrer Verträge und des nationalen Insolvenzrechts entschädigt. Privilegierte Anleiheninhaber können dabei über vorrangigen Zugriff auf bestimmte Vermögenswerte der Bank verfügen.

BANKENKINSOLVENZEN

Viele, die nicht mit den Gepflogenheiten und den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Finanzindustrie vertraut sind, haben nur eine unbestimmte Vorstellung davon, wann eine Bank insolvent wird. Banken können vor allen Dingen aus zwei Gründen insolvent sein:

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1. Überschuldung: Die Bank hat mehr Schulden (einschließlich Spareinlagen) als Forderungen und Eigenkapital. Wenn Darlehen abgeschrieben werden müssen, verringert sich das Vermögen der Bank. Wenn die Verluste nicht über Eigenkapital abgedeckt sind, übersteigen die Schulden das Vermögen, die Bank rutscht in die Überschuldung. Das bedeutet, dass die Summe der Schulden größer ist als das Vermögen der Bank.

2. Unzureichende Liquidität: Die Liquidität reicht nicht aus, wenn Sparer zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Geld abheben als der Bank als Barvermögen zur Verfügung steht.

In beiden Fällen ist die Bank insolvent, kann also ihre aktuellen Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen. Wenn eine nicht überschuldete Bank in einen Liquiditätsengpass gerät, kann sie immer auf die Unterstützung der nationalen Zentralbank zählen, die Liquidität zur Verfügung stellt. Wenn eine Bank jedoch überschuldet ist, muss sie Insolvenz anmelden; eine Rekapitalisierung an den Kapitalmärkten ist unmöglich, da Investoren niemals Geld in Unternehmen stecken werden, deren Schulden das Vermögen übersteigen. Überschuldete Banken, auch Zombiebanken genannt, können ihre Geschäftstätigkeit nur fortsetzen, wenn Dritte, in der Regel die Regierung oder Garantiefonds, für die Schulden der Bank einstehen; ansonsten kommt es unweigerlich zu einem Run auf die Banken.

Die zyprischen Banken, die jetzt gerettet wurden, waren überschuldet; sie hatten nicht genug Vermögen, um alle Spareinlagen zurückerstatten und alle Schulden bezahlen zu können. Es ist daher nicht richtig zu sagen, die europäischen oder die zyprische Regierung hätten den Sparern ihr Geld weggenommen. Das Geld war schon vorher weg. Ob eine Bank überschuldet ist, sollte man eigentlich mit einer Prüfung ihrer Bilanz heraus bekommen können. Heutzutage trauen professionelle Investoren jedoch keiner Bankenbilanz mehr. Kreative Buchführung, dies- wie auch jenseits der Legalität, ist heute weitverbreitet. Zum Beispiel überbewerten niederländische Banken ganz regelmäßig den Wert ihrer Gewerbeimmobilien, indem sie zu hohe Quadratmetermietpreise ansetzen und aufgrund der überhöhten Mieten den angeblichen Wert der Immobilie berechnen. Mietern werden ein oder zwei Jahre mietfreie Nutzung eingeräumt oder sie dürfen doppelt so viel Fläche nutzen wie im Vertrag angegeben. Ziel dieser Manipulation ist die Irreführung von Investoren und Behörden und eine Überbewertung des Bankenvermögens. Auch US- Banken verschleiern ihre Schulden und Risiken, indem sie Schulden in Derivaten parken, die nicht in den Bilanzen ausgewiesen werden.

BAILOUT

2008 gingen so viele Banken in die Insolvenz oder waren offensichtlich überschuldet, dass bei den Politikern nackte Panik ausbrach und sie die Banken und ihre Gläubiger auf Kosten der Steuerzahler retteten. Die Regierungen versorgten die Banken mit frischem Kapital, indem sie Bankenanteile übernahmen oder sie sogar insgesamt verstaatlichten. Bei vielen dieser Verstaatlichungen wurde das Eigenkapital aufgezehrt und Aktieninhaber verloren ihre gesamte Geldanlage, aber die Schulden der Bank blieben bestehen und Anleiheninhaber und Sparer blieben verschont.

Viele waren sehr überrascht, wie die Regierungen, die bis dahin neo-liberale Wirtschaftspolitik betrieben hatten, über Nacht ihre Prinzipien über Bord werfen konnten und private Investoren wie die Anleiheninhaber retteten, indem sie die Steuerzahler für

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deren private Forderungen einstehen ließen. Irland war insoweit die größte Überraschung; dort hielten die bisher eifrigsten Verfechter der unbedingten Freiheit der Märkte mit einem Mal beim Staat die Hand auf. 2009 verlor die irische Regierung die Nerven und übernahm die Garantie für alle Schulden irischer Banken. Von diesem Wahsinn profitierten britische, deutsche, niederländische und französische Banken40. Diese europäischen Banken hatten der irischen Bankenindustrie gigantische Kredite eingeräumt, ohne sich sonderlich darum zu kümmern, wohin das Geld floss. Der Löwenanteil der Kredite wurde in den boomenden irischen Immobilienmarkt gesteckt. Nach Berechnungen stehen in Irland bei einer Bevölkerung von fünf Millionen 300.000 Häuser leer41.

BAIL-IN ODER BAIL-OUT, DAS IST HIER DIE FRAGE

Als Alternative für Bail- outs steht die Methode der sogenannten Bail- ins zur Verfügung. Eine Überschuldung kann auch behoben werden, indem die Forderungen gegen die Bank reduziert werden, Verluste also von den Gläubigern getragen werden müssen. In Zypern wurden Sparer einem haircut unterzogen, verlieren also einen Anteil ihrer Einlagen. Das gleiche Schicksal kann Anleiheninhaber drohen, die man zwingen könnte, ihre Anleihen gegen neue Anleihen mit geringerem Nennwert einzutauschen. Sparer könnten für ihre Verluste mit wertlosen Aktien entschädigt werden. Wenn die Schulden reduziert werden, übersteigt das Vermögen wieder die Schulden, die Überschuldung ist beseitigt, die Bank wieder solvent und die Sparer brauchen sich um ihre verbliebenen Einlagen keine Sorgen mehr zu machen.

Diese Bail- in genannte Restrukturierung ist allgemeine Übung bei überschuldeten Unternehmen. Der niederländische Finanzminister Dijselbloem, Vorsitzender der Eurogruppe, der Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone, hat die Märkte darauf hingewiesen, dass diese "Bail-in"- Methode42 die Blaupause für weitere Bankenrettungen sei. Wir weisen unsere Leser darauf hin, dass Bail-ins in keiner Weise etwas Neues sind, dass in den USA und Großbritannien Sparer mit Einlagen jenseits der Höchstsummen für Einlagensicherung ebenfalls Geld verlieren werden, und dass die USA und Großbritannien bereits konkrete Bail- in- Pläne für ihre "Too big to fail"- Banken ausarbeiten. Neu ist insoweit nur, dass diese Pläne über Nacht umgesetzt werden können.

REGIERUNGSREAKTIONEN 2008

Es gibt viele Gründe, warum die Regierungen in der Hochphase der Finanzkrise 2008-2009 nicht für die Bail- in - Methode optiert haben:

1. Nackte Panik: Die meisten Politiker hatten nicht den Schimmer einer Ahnung, was über die Finanzindustrie 2008 hereingebrochen war und vertrauten blind den Ratschlägen der Banker. Länder wie Irland waren innerhalb weniger Tage ruiniert und die Politiker bezahlten den Preis für ihre Ignoranz. Mit den Bankenrettungen wurde nicht die Wirtschaft stabilisiert, dafür aber die Staatsfinanzen ruiniert. Die Überschuldung der Finanzindustrie wurde beim Staat abgeladen, während die Realwirtschaft insgesamt in die Krise schlitterte. Und bei den Menschen machte sich das Gefühl breit, betrogen worden zu sein.

40 Cf. Wikipedia.41 Cf. Wikipedia.42 Quelle: MarketWatch, 25/03/2013.

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Während 2008 Politiker für ihre Bankenrettungen auf Kosten der Allgemeinheit noch als Helden gefeiert wurden, veränderte sich die politische Lage und die Stimmung in der Bevölkerung dramatisch, als Bankenvorstände weiterhin hohe Bezüge einstrichen und die Realwirtschaft in Schwierigkeiten geriet.

2. Bail- ins können auch zu Verlusten bei Sparern führen, was politisch sehr heikel ist und zu Unruhen und sogar Aufständen führen kann.

3. Bail- ins führen zu Verlusten bei anderen europäischen Banken und Finanzinstituten. Deutsche, französische und niederländische Banken haben alle hohe Summen bei spanischen und irischen Banken investiert. Politiker werden immer versuchen, Verluste zu vermeiden, die auf die schon sehr geschwächten Banken im eigenen Land durchschlagen können, und setzen sich damit für europäische Rettungsmaßnahmen ein.

DER NEUE ANSATZ

Wie wir schon in der 72. Ausgabe des GEAB schrieben, sind Politiker von stark verschuldeten Staaten nicht so bereitwillig, Banken mit Steuergeldern zu retten. Wir haben bereits erwähnt, dass Irland nun die Anglo Irish Bank abwickelt. Das bedeutet, dass auch Anleiheninhaber für Verluste aufkommen müssen und nicht damit rechnen können, ihre angelegten Gelder vollständig zurück zu erhalten43. Es sind danach aus, dass Irland versucht, die 2009 begangenen Fehler soweit möglich rückgängig zu machen. Wenn die gesamten privaten Bankschulden in nur zwei Sitzungen des Parlaments auf die öffentliche Hand übergehen können, dann sollte auch rechtlich möglich sein, diesen Prozess in zwei weiteren Sitzungen rückgängig zu machen.

Im Februar 2013 verstaatlichte die niederländische Regierung die SNS- Bank. Es gibt Hinweise darauf, dass die Regierung vorhatte, bei der Nationalisierung auch die privaten Gläubiger an den Verlusten zu beteiligen. Als dazu Gerüchte kursierten, warnten die Ratingagenturen44 45 vor einem solchen Schritt mit dem Hinweis, dass eine Bankenrettung auf Kosten der privaten Gläubiger zu einer Bonitätsherabstufung aller europäischen Finanzinstitute führen würde. Also wurde die Verstaatlichung so durchgeführt, dass ausschließlich der Steuerzahler für die Bankenschulden einstehen musste. Aktionäre und eine begrenzte Gruppen von Anleiheninhabern verloren ihr Geld. In der chaotischen zyprischen Bankenrettung wurde eindeutig klar, dass Politiker nunmehr versuchen, eine staatliche Haftung auszuschließen46. Wir können nicht genug betonen, dass die zyprischen Spareinlagen weder von der EU noch von der zyprischen Regierung gestohlen wurden; vielmehr hatten die Banken dieses Geld schon vorher verloren.

WIE DIE LAGE IN EUROPA AUSSIEHT

Um die Lage in Europa zu verstehen und sich deutlich zu machen, wie zukünftige Bankenrettungen aussehen werden, muss man sich darüber im Klaren sein, dass in der europäischen Bankenpolitik drei Hauptakteure die Fäden ziehen:

43 Source: Time, 28/03/2013.44 Source: Independent.ie, 28/02/2013.45 Source: Beurs.nl, 24/01/2013.46 Source: Veb.net, 24/01/2013.

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1. Politiker, die die Öffentlichkeit und das Gemeininteresse vertreten sollen. Politiker sind ganz besonders dem Zorn ihrer Wählerschaft ausgesetzt.

2. Banker, die die Bankeninteressen vertreten. Nach jedem Bankenkonkurs und staatlicher Rettung rotieren die Banker innerhalb des Bankensektors. Die meisten gescheiterten Topbanker ergattern Spitzenpositionen bei anderen Banken oder Bankenverbänden.

3. Die EZB als Institution, die es nur gibt, weil es den Euro gibt. Daraus ergibt sich zwingend, dass die EZB alles daran setzen wird, den Euro zu erhalten.

Heutzutage können nationale Politiker kaum Banken- bail- outs in ihrem eigenen Land gegenüber ihren Wählern vertreten, noch viel weniger die Rettung von ausländischen Banken. Gleichzeitig müssen die nationalen Politiker alles daran setzen, einen Bankenzusammenbruch auch im Ausland zu verhindern, wenn dieser seine Schockwellen auch in ihren Heimatstaat senden könnte. Europäische Banken sind eng miteinander verwoben und entsprechende Risiken gibt es nicht nur innerhalb der Eurozone (Schaubild 3).

Politiker denken ausschließlich in nationalen Kategorien und nicht in europäischen, und verfügen auch nicht über eine Vision von den bestmöglichen Lösungen. Bei der zyprischen Bankenrettung, bei dem es um zyprisches und russisches Geld ging, gab es für niederländische oder deutsche Politiker keinen Grund, das Geld ihrer Steuerzahler zu riskieren, wenn sich private Investoren nicht mit einem wesentlichen Beitrag an der Rettung beteiligt hätten.

Für die Finanzelite ist eine stillschweigende staatliche Garantie für den Bankensektor von großem Wert. Banken können damit risikofrei agieren und hochriskante Anlage - und Handelsstrategien verfolgen, ohne für die negativen Folgen einstehen zu müssen. Staatliche Garantien erhalten auch gescheiterte Banken am Leben, die damit weiterhin großzügig dotierte Vorstandsposten zu vergeben haben. Jeder hoch bezahlte Manager mit Insiderkenntnissen aus der Finanzindustrie weiß, dass es mehr Geld einbringt, ein multinationales Riesenunternehmen zu führen, das Milliardenverluste schreibt, als ein mittelständisches Unternehmen mit bescheidenem Gewinn; das ist eine Fehlallokation von Ressourcen, für die sich merkwürdiger Weise Wirtschaftswissenschaftler nicht interessieren. In einem multinationalen Riesenunternehmen besteht ein größerer finanzieller Spielraum, sich großzügigste Bezahlung zu gönnen, unabhängig davon, wie die Ertragslage des

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Schaubild 3 – Banks' exposures to some countries

Das europäische Finanzsystem ist dicht miteinander verwoben. Europäische Staaten sind einem hohen Ausfallrisiko andere Staaten ausgesetzt. Quelle: Bank für Internationalen

Zahlungsausgleich, Reuters.

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Unternehmens aussieht.

Die EZB wird alles in ihrer Macht Stehende daran setzen, dem Finanzsektor wieder auf die Beine zu helfen und den Euro zu retten. Sie muss dies jedoch innerhalb der von den europäischen Verträgen gezogenen Grenzen ihrer Aufgaben bewerkstelligen. Es ist jedoch offensichtlich, dass die EZB ihre Aufgaben sehr kreativ interpretiert. Die EZB wird nicht, jedenfalls behauptet sie das, toxische Forderungen von insolventen Banken akzeptieren. Wir sind sicher, dass die EZB vor nichts zurückschrecken wird, um den Euro zu verteidigen. Denn das Ende des Euro wäre auch das Ende der EZB.

FÜR DIE UNMITTELBARE ZUKUNFT KÖNNEN WIR DREI TENDENZEN AUSMACHEN

Für uns steht zweifelsfrei fest, dass die Regierungen zu immer größerem Anteil Gläubiger für die Bankenrettung heranziehen werden. Die Zentralbanken aller westlicher Staaten arbeiten an Bail- in- Plänen, die über Nacht umgesetzt werden können. Wir gehen davon aus, dass im kommenden Jahr Investoren Geld verlieren werden, das sie in Banken angelegt haben, die heute noch als "too big to fail" gelten, über eine staatliche Garantie verfügen oder sich gar in staatlichem Besitz befinden.

Banken sind für die Realwirtschaft zur schweren Belastung geworden und verschlingen öffentliche Gelder.

Einige Regierungen werden versuchen, vorherige unüberlegte Rettungsaktionen rückgängig zu machen. Die vor Kurzem vorgenommene Restrukturierung der Anglo Irish Bank führte bei privaten Gläubigern zu unerwarteten Verlusten47. Vergleichbares Vorgehen der Regierungen ist auch in anderen Ländern möglich, z.B. Spanien. Dabei werden die Kosten für die Bankenrettung nicht nach ethischen oder politischen Überlegungen verteilt werden; diejenigen, die über den geringsten politischen Einfluss und schwächsten juristischen Schutz verfügen, werden zuerst und am Schwersten von Verlusten getroffen werden.

Zwar hat die Bankenrettung für Zypern nicht zu Bankenruns in anderen europäischen Ländern geführt, jedoch wird sich bei den Sparern in Euroland, der USA und Großbritannien allmählich die Erkenntnis durchsetzen, dass ihre Geldanlangen ohne Schutz und Garantie sind. Angesicht der historisch niedrigen Zinsen auf Sparguthaben, die nicht einmal die Inflation ausgleichen, ist nicht vorstellbar, dass Sparer dieses Risiko noch lange zu tragen bereit sein werden.

Wir können uns nicht vorstellen, dass vernünftige Leute mit Sparguthaben über die Höchstsumme der Einlagensicherung hinaus ihr Geld noch lange in europäischen, britischen und amerikanischen Banken lassen werden. Es gibt kein europaweites Einlagensicherungssystem und wird es auch auf absehbare Zeit nicht geben, mit dem Steuerzahler in einem Land auch für Sparguthaben in anderen Ländern einstehen. Falls der europäische Zahlungsverkehr in Gefahr geraten sollte, kann die EZB den Banken unmittelbar zusätzliche zinslose Kredite einräumen, die durch die Mindestreserveguthaben der Banken gedeckt wären. Diese Kredite könnten direkt von der EZB verwaltet werden und würden für Stabilität des Bankensystems sorgen.

47 Source: Irish Time, 22/03/2013.

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BANKENKRISE: EINE LÖSUNG NICHT INNERHALB, SONDERN NUR AUSSERHALB DES GEGENWÄRTIGEN BANKENSYSTEMS

Solange die Bankenkrise wüten wird und die Forderungen und Schulden nicht restrukturiert sein werden, gehen wir nicht von einer Rückkehr der Wirtschaft auf den Wachstumspfad aus. Die Banken verfügen nicht über ausreichend Eigenkapital, um die neuen Eigenkapitalstandards zu erfüllen. Geldgeber scheuen Investitionen in Banken, da es immer deutlicher wird, dass in Zukunft private Geldgeber für den Ausgleich von Verlusten herangezogen werden. Wegen der Kapitalklemme und auch schlicht wegen Bankenmissmanagements können europäische sowie solvente britische und amerikanische Unternehmen nicht die für Investitionen erforderlichen Kredite erhalten, während immer mehr Geld seinen Weg in spekulative Derivate und Gebrauchsgüterblasen findet. Eine Unterscheidung ist sehr wichtig: Nicht "Schulden" haben die Krise verursacht; "toxische Schulden" waren dafür verantwortlich. Solange nicht ausreichend Kredit zur Verfügung steht, wird die Wirtschaft weiter schrumpfen. Derweil haben Banken kreative Buchführung zum alles überlagernden Grundsatz ordnungsgemäßer Buchhaltung erhoben48. Angesichts Regierungen, die vor dem Ausmaß der Bankenprobleme die Augen verschließen, Sparern, die nicht einmal Zinsen in Höhe der Inflation erhalten, Unternehmen, die keine Kredite bekommen können, und explodierender Arbeitslosigkeit deutet nichts darauf hin, dass die Krise bald hinter uns liegen könnte.

Als Folge dieser unerträglichen Lage gehen wir davon aus, dass schon in der näheren Zukunft ein alternatives Finanzsystem entstehen wird. Sparer wollen mehr Zinsen für ihr Geld, während gleichzeitig solide Unternehmen verzweifelt versuchen, an Kredite zu kommen. Zwar steckt crowdfunding noch in den Kinderschuhen und wird überwiegend für gemeinnützige Projekte eingesetzt, aber wir gehen davon aus, dass bald alternative Kreditunternehmen auf den Markt kommen und Banken in den kommenden Jahren Konkurrenz machen werden. Da die großen Banken inzwischen zur Belastung für die Realwirtschaft geworden sind, gehen wir davon aus, dass, je länger die Krise wegen des Missmanagements der Finanzindustrie andauert, immer mehr neue Finanzinitiativen entstehen werden. Das mögen Projekte wie crowdfunding sein oder neue Genossenschaftsbanken49. Es gibt in Europa ausreichend talentierte Banker, die bereit sind, für ein bescheidenes Gehalt dem Gemeinwohl zu dienen. Wenn solche Initiativen an Bedeutung gewinnen, werden die Realwirtschaften in Europa wieder wachsen können, während die klassischen Banken an Bedeutung verlieren werden.

48 Source: RTL.nl, 21/03/2013.49 Beispiel: New B.

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3. Fokus

Die Entstehung der Welt von Morgen: Syrien und Mali als zwei konkrete Beispiele, wie die umfassende weltweite Krise den Regionen neue Perspektiven eröffnet

In dem Patt zwischen der geschwächte Allianz der westlichen Ländern und dem Tandem China- Russland, noch zu wenig legitimiert auf internationalem Parkett, um seine Positionen durchsetzen zu können, können sich regionale Interessenlagen endlich ohne störende Einmischung von außen entwickeln. Zwei konkrete Beispiele, nämlich Mali und Syrien, jedes Land auf seine Art, belegen diese These und zeigen, wie die gegenwärtigen Krisen regionale Integrationsprozesse verstärken.

IM ARABISCHEN FRÜHLING DIE MENSCHEN AN DIE MACHT

Man kann es nicht häufig genug wiederholen: Die Revolutionen in der arabischen Welt, für die die Welt die Bezeichnung "Arabischer Frühling" erfunden hat, werden gemacht von... Arabern; und das ist gut so! Natürlich wäre es aus westlicher Sicht beruhigend, wenn hinter diesen Ereignissen wieder einmal geniale Operationen der US- Geheimdienste stünden, die damit Ägypten destabilisieren wollten. Dann hätte sich nicht viel verändert, die Welt wäre immer noch die, mit der wir vertraut sind, die Welt von Gestern. Bedauerlicherweise für all die, die keine Veränderung der guten alten Zeit wollen, sind die Dinge aber komplizierter geworden. Hinter den gegenwärtigen Umwälzungen in der arabischen Welt stecken so viele Interessen, dort ziehen so viele Mächte ihre Strippen, dass die Lage vollkommen undurchsichtig geworden ist: Politische und wirtschaftliche Interessen, amerikanische und israelische Interessen, aber auch iranische und saudi- arabische, und dann noch chinesische und russische. Um was die Interessen streiten, ist hingegen bekannt, da hat sich wenig Veränderung ergeben: Öl, Waffen, Drogen und noch vieles andere, über das die Welt nicht gerne spricht. Entsprechend total ist das Chaos.

Die gute Nachricht dabei für alle, die die Dinge gerne einfach mögen, ist, dass sich in diesem Wirrwarr für die Menschen vor Ort Freiräume eröffnen, die sie sehr wohl nutzen wollen, um endlich ihre Zukunft eigenständig zu gestalten. Aber wie bei jeder Umwälzung entwickelt sich Geschichte mit schweren Wehen und mit unsicherem Ausgang, was in der arabischen Welt umso richtiger ist, da die Entwicklungen der Region so lange blockiert waren.

SYRIEN: EIN BÜRGERKRIEG UND EINE INTERNATIONALEN STAATENGEMEINSCHAFT, DIE ZUR UNTÄTIGKEIT VERDAMMT IST

In dieser allgemeinen Lage der großen geschichtlichen Umwälzung versuchen auch die Syrer, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Aber ihnen war nicht wie den Tunesiern und den Ägyptern vergönnt, ihre Diktatoren Ben Ali und Mubarak mit ihrem Aufstand zu überraschen und somit schnell vertreiben zu können. Bachar el- Assad, der wusste, dass er auf eine Unterstützung durch die westlichen Staaten nicht rechnen konnte, hatte die Zeit, sich andere Verbündete zu suchen (China, Russland, Türkei usw.); mit ihrer Hilfe konnte er

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die Unterstützung seiner Gegner (Saudi- Arabien, USA, Israel usw.) für die syrische Rebellion zumindest neutralisieren. So entflammte ein grausamer Bürgerkrieg zwischen dem syrischen Regime und den Menschen des Landes; und die Welt, wie üblich, muss tatenlos zusehen, wie Menschen sich zerfleischen und das Land in Schutt und Asche zerfällt.

Die Amerikaner würden sich ja gerne auf den Seiten der Rebellen ins Getümmel stürzen, um, wie sie es ja immer gerne verkünden, "die Demokratie zu stärken", vor allen Dingen aber, getreu der Devise aller großen Imperien, wohl mit dem Ziel " zu teilen, um zu herrschen"; aber für mehr als Worte fehlt ihnen die Kraft.

Die Europäer sind wie üblich über alles und vieles uneins, auch wenn es Frankreich für kurze Zeit gelungen war, sie hinter seinem Vorschlag zu einen, die Rebellion zu unterstützen, falls die Aufständischen sich auf eine politische Führung einigen könnten50; das war aber von den Rebellen zu viel verlangt und damit die europäischen Bemühungen zur Beendung des syrischen Bürgerkriegs beendet.

Chinesen und Russen dürften wohl auf lange Sicht bereit sein, auf Bachar el- Assad ausreichend Druck auszuüben, damit er die Macht aufgibt; aber sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass Syrien wie zuvor Libyen ins Chaos fällt.

Lange Zeit herrschte die Angst, dass die Amerikaner sich mit ihrer Politik einer militärischen Unterstützung der Rebellen durchsetzen könnten und der Welt nach Irak und Afghanistan ein weiterer dauerhafter Krisenherd beschert werde. Dann prägten die Europäer eine gewisse Zeit (ab August 2012) die Debatte mit ihrem Versuch, die Rebellion politisch zu einen; auf einmal schien die die Chance für eine politische und demokratische Lösung zu bestehen, gegen die sich niemand offen zu stellen wagte. Bis dahin waren die Aufständischen im Vorteil und niemand hätte noch geglaubt, dass Bachar el- Assad sich noch lange werde an der Macht halten können.

DIE ARABISCHE LIGA ALS DEUS EX MACHINA

Als es den Aufständischen dann nicht gelang, sich zu einigen, schienen sich Chinesen und Russen durchzusetzen, und es gelang den Truppen Bachars, die Rebellen zurückzudrängen (Oktober 2012); zum ersten Mal schien ein Sieg des Regimes möglich. Dann trat aber urplötzlich die Arabische Liga auf den Plan und riss die Initiative an sich; die Rebellen konnten sich wieder Hoffnungen machen, weil die Arabische Liga wichtige Entscheidungen zu ihren Gunsten traf: Die Rebellen konnten Waffenlieferungen erhalten51, der Sitz Syriens in der Arabischen Liga wurde der Rebellenkoalition zugesprochen52, und die syrische Botschaft in Doha der syrischen Exilopposition überlassen53.

Wer könnte besser geeignet sein, eine angemessene Lösung für die Syrienkrise zu finden als die Arabische Liga? Insbesondere, da die Arabische Liga inzwischen unter Führung Ägyptens (Sunniten) steht und dabei vom Iran (Schiiten) unterstützt wird54; für alle, die fest auf die dauerhafte Spaltung der Muslime des Mittleren Ostens in Sunniten und Schiiten

50 Quelle : Tampa Bay Times, 27/08/201351 Quelle : AlArabiya, 07/03/201352 Quelle : New York Times, 26/03/201353 Quelle : Xinhuanet, 27/03/201354 Quelle : People’s Daily Online, 01/04/2013

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setzen, eine herbe Enttäuschung. Das Hickhack der ausländischen Mächte führte zur Durchsetzung regionaler Lösungen, die zweifelsohne stärker die Interessen der Bevölkerung vor Ort berücksichtigen.

MALI: FRANKREICH ALS KATALYSATOR EINER REGIONALEN INTEGRATION

In Mali sieht die Lage etwas anders aus, weil eine ausländische Macht (Frankreich) ganz anders involviert ist . Dennoch sind die Mechanismen, die die Entwicklung bestimmen, vergleichbar. Denn die isolierte Operation Frankreichs ist lediglich ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit des Westens, heute noch eine verlässliche Außenpolitik zu betreiben.

Sicherlich wäre es den USA und Großbritannien Recht, wenn die Sahelzone unabhängig wäre... und damit auch intern gespalten und leichter ihrem Einfluss ausgesetzt. Aber es widerstrebt ihnen letztendlich doch, den notwendigen Aufwand zur Erreichung dieses Ziels zu betreiben. Er wäre wohl zu hoch, und gegenwärtig gibt es ja auch die Hoffnung, den Energiebedarf dank der Förderung von Schiefergas und - Öl auf heimischem Boden zu decken. China und Russland hingegen sind fest entschlossen zu verhindern, dass der Westen erneut, wie in der Rebellion gegen Gaddafi, ein internationales Mandat zum Eingreifen erhält; weiter gehen ihre Ambitionen jedoch nicht. Die Europäer sind, wie könnte es anders sein, uneins. Und Frankreich, dass die Verantwortung für die Eskalation der Lage in Mali trägt, weil es die internationale Intervention in Libyen betrieben hatte, findet sich in der Rolle der einzigen ausländischen Macht wieder, die zum Eingreifen bereit ist, auch wenn sie es allein machen muss, wogegen aber niemand etwas einzuwenden hat. Sowas ist doch noch nie dagewesen, das müsste doch eigentlich mehr Aufmerksamkeit erregen - bei den westlichen Medien jedoch nicht: Alles Paletti, Business as usual," Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen"... Dabei stehen wir doch vor einem Präzedenzfall des internationalen Krisenmanagements:

– Isoliertes Eingreifen einer ehemaligen Kolonialmacht, sicherlich mit der stillschweigenden Zustimmung der Staatengemeinschaft, jedoch ohne völkerrechtliches Mandat.

– Eingreifen auf Bitten des betroffenen Landes und in Übereinstimmung mit der wichtigsten internationalen Organisation der Region, der CEDEAO.

– Programmierte Übergabe der militärischen Operation an panafrikanische Militäreinheiten.

Und der Erfolg gibt der Operation Recht! Die regionalen Organisationen gewinnen seit Beginn der Krise an Bedeutung. Die CEDEAO ist an allen wichtigen Entscheidungen vorrangig beteiligt. Die MISMA (Mission internationale de soutien au Mali sous conduite africaine55) steht kurz vor dem Einschreiten und wird die malischen Armee unterstützen. Die Afrikanische Union ist maßgeblich an der Finanzierung dieser Militäreinheiten beteiligt, die die CEDEAO allein nicht hätte meistern können. Andere internationalen Organisationen wie die WAEMUE (westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion) wandeln sich in handlungsfähige Organisationen 56 ; …

55 dtsch. Übersetzung: Internationale Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung56 Quelle : MaliJet, 29/03/2013

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REGIONALE INTEGRATIONSPROZESSE UND GEOPOLITISCHE SELBSTBESTIMMUNG

Vor nicht langer Zeit galt die Möglichkeit eines afrikanischen Integrationsprozesses als so gut wie ausgeschlossen; vergleichbaren Prozessen auf anderen Kontinenten wurden deutlich bessere Erfolgschancen eingeräumt. Nun aber haben dank des einzigartigen Krisenmanagements der malischen Krise regionale und subregionale Integrationsbemühungen auf dem afrikanischen Kontinent an Fahrt aufgenommen. Diese Dynamik sehen die Afrikaner als große Chance, und sie wollen sie nutzen. Es könnte endlich die Möglichkeit bestehen, die zahlreichen Konflikte, die durch die willkürliche Grenzziehung der Europäer provoziert wurden, anders zu lösen als durch eine Neuzeichnung der Karte des afrikanischen Kontinents.

Natürlich sind diese von den Europäern geschaffenen Grenzen Afrikas Quelle vieler Probleme. Aber wer hätte die Legitimität, sie neu festzulegen und entlang welcher Linien? Was als Lösung propagiert wird, wäre in Wirklichkeit nur Quelle neuer Konflikte. Eine regionale Integration und damit die schwindende Bedeutung von Grenzen würde deutlich bessere Erfolgschancen bringen. Die in Westafrika gegenwärtig in Folge der Malikrise wirksam werdenden Tendenzen sind insoweit Anlass für Optimismus.

Der Prozess der wachsenden Legitimität internationaler Organisationen in Afrika und der arabischen Welt, also zweier Regionen, deren Integrationsprozesse denen auf anderen Kontinenten weit hinterher hinkten, vermag sich heute zu entwickeln, weil der Einfluss ausländischer Mächte, die bis dahin die politischen Geschicke der Regionen dirigiert hatten, am Erlöschen ist. Sehr konkrete Ergebnisse können bereits jetzt verzeichnet werden, wie z.B. die Annäherung von Algerien und Südafrika, die gemeinsam, nach dem Modell Frankreich/Deutschland für Europa, einen Motor afrikanischer Integration bilden könnten; oder auch das Abkommen zwischen Juba und Karthum über die Aufteilung der Profite aus der Ölförderung im Grenzgebiet, mit dem ein jahrelanger Bruderkampf beendet werden konnte.

Der Weg, der zurückzulegen ist, bis man von einer wahren regionalen Selbstbestimmung sprechen kann, bleibt lang, insbesondere im Mittleren Osten. Aber die Tendenzen gehen in die richtige Richtung; für die Menschen in den Regionen werden sie von größtem Nutzen sein. Und sie bestätigen die allgemeine Tendenz zu einer multipolaren Welt, deren Entstehen wir seit den Anfängen des GEAB vorhersagen.

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Strategische und praktische Empfehlungen

Wie immer erinnern wir auch diesmal daran, dass unsere Empfehlungen kein Spekulationsziel oder sonstiges kurzfristiges Ziel verfolgen, dass sie nicht helfen sollen, mehr zu verdienen, sondern lediglich weniger (oder gar keine)

Verluste zu erleiden. Denn in einer umfassenden weltweiten Krise wie die, die wir zur Zeit durchstehen müssen, kann nur dies ein vernünftiges Ziel jeder Investitionsentscheidung sein.

Aktienmärkte: Was nach oben geht, geht auch wieder runter

Die Kursanstiege der letzten Monate an den Aktienmärkten waren atemberaubend. Doch werden die Kurse gegenwärtig überwiegend durch die QE- Programme der Fed getrieben. Es gibt so gut wie keine positiven makroökonomischen Daten oder Unternehmensinformationen, die die letzten Kurssprünge begründen könnten. Deshalb sind wir sicher, dass dieser Höhenflug mit einer Bauchlandung enden wird. Das merkwürdigste Argument für eine Investition in Aktien, das wir in gehört haben, ist das Liquiditätsargument: Es wäre rentabel, in Unternehmen zu investieren, die über hohes Barvermögen verfügten. Wir verstehen nicht, warum es günstig sein sollte, in Unternehmen mit hohen Barbeständen zu investieren. Wenn Investoren an Cash interessiert sind, sollten sie ihres behalten, statt Aktien dafür zu kaufen.

Wegen der niedrigen Rendite von Anlagen mit fester Rendite wie Staatsanleihen und des hohen Risikos bei Aktieninvestitionen, raten viele der traditionellen Anlageberater dazu, Geld in Unternehmen anzulegen, die ihren Aktionären hohe Dividenden ausschütten. Der Grund dafür ist recht einfach: Dividenden werden in der Regel einmal im Jahr ausgeschüttet. Der Aktienkurs mag variieren, aber solange der Aktionär die Aktie hält, kann er mit einer jährlichen Geldzahlung rechnen. Das klingt doch eigentlich vernünftig, jedenfalls für die Aktionäre von KPN, einem Unternehmen des Amsterdamer AEX. KPN galt als Aktie mit guter Dividendenausschüttung, und um den Aktienkurs hoch zu halten, schüttete KPN reichlich Dividenden aus, obwohl die Profite des Unternehmens dies eigentlich nicht hergaben. Das Management organisierte ein Schneeballsystem und nahm mit der einen Hand das Geld von Investoren und bezahlte mit der anderen die Dividenden der Aktionäre57. Als bekannt wurde, dass KPN in Geldschwierigkeiten steckte, brach der Aktienkurs in wenigen Monaten um 80% ein. Unternehmen bezahlen hohe Dividenden, damit die Aktien für potentielle Käufer interessant bleiben. Das ist aber nur solange in Ordnung, solange die Dividenden aus Profit bezahlt werden. Wenn die Dividende höher ist als der Unternehmensgewinn pro Aktie, zehrt das Unternehmen seine eigene Eigenkapitalbasis aus.

Alle Unternehmen, die mehr Dividenden ausschütten als sie Profite machen, sind hochriskante Investitionen; zu guter Letzt werden die Investoren ihr Geld verlieren. Das kann nie gut gehen. Investoren sollten sich also immer informieren, ob die Dividendenauszahlung sich auch aus Profitsicht rechtfertigen lässt.

Rohstoffe: Nicht nur Öl ist riskant, alle Rohstoffe sind es

Im letzten Jahr druckten Zentralbanken gigantische Mengen Geld, das in das Finanzsystem gepumpt wurde, statt in der Realwirtschaft investiert zu werden. Ein großer Teil des Gelds

57 http://gulftoday.ae/portal/26bd2b88-2bfd-4f40-b859-fd7a629705f6.aspx

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floss in die Aktienmärkte, in Rohstoffe und in Schwellenländer.

Obwohl die Volkswirtschaften in der Krise stecken und Wachstum so gut wie inexistent ist, sind die Preise für Rohstoffe weiterhin hoch. Wie wir in der 73. Ausgabe des GEAB vorhersagten, gibt der Rohölpreis nun nach und wir glauben, dass er deutlich nach unten gehen kann. Nicht nur Öl ist eine riskante Investition, alle Rohstoffe sind es. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man verstehen, wie Spekulanten an den Märkten agieren. Rohstoffspekulanten kaufen Futures ETFs oder andere strukturierte Produkte; die meisten dieser Käufe sind gedeckt von Rohstoffen, die tatsächlich vorrätig sind58. Wenn die reale Nachfrage stagniert oder nachgibt, kann die Lage sehr schnell außer Kontrolle geraten. Wie auch beim Immobilienboom und - Crash werden viele Waren von Käufern nachgefragt, die nicht daran interessiert sind, die Ware in Besitz zu nehmen; es geht ihnen nur darum, sie an einen Dritten zu einem höheren Preis weiter zu verkaufen, der ebenfalls an einer Lieferung nicht interessiert ist. Wenn Kredit schwerer zu bekommen sind und QE- Programme eingestellt werden, kann der Markt sehr schnell kollabieren. Wenn Geld in Anlagen fließt, die keine Rendite erwirtschaften, wie z.B. Aluminium, während gleichzeitig die Wirtschaft stagniert, kann den Investoren sehr schnell das Geld ausgehen.

Wenn Spekulanten ihre ETFs oder Futures verkaufen, aber keine neuen Käufer am Markt sind, werden die Vorräte abgestoßen; unter Umständen müssen die Waren auf einem Markt verkauft werden, auf dem es wenig oder gar keine Nachfrage gibt. Dann brechen die Preise ein, wodurch weitere Spekulanten gezwungen werden, nun ihre Futures und ETFs zu verkaufen. Wenn Investoren in einer Warenklasse Geld verlieren, werden sie versuchen, ihre Verluste durch Verkauf von Beständen aus anderen Warenklassen auszugleichen. Wenn Rohstoffe in großen Mengen auf den Markt drängen, verringern sich die Profitmargen für die Produzenten. Sollte z.B. der Ölpreis auf unter 70 Dollar /Fass fallen, müsste ein großer Teil der US- Schiefergasindustrie ihre Aktivitäten einstellen.

Die Mainstreampresse berichtete ausführlich über den Kurssturz bei Gold, vergißt dabei aber zu erwähnen, dass auch der Ölpreis eingebrochen ist, wobei erschwerend noch dazu kommt, dass die USA über größere Ölreserven verfügen als je zuvor.

Der Goldkurs stürzte nach dem oben beschriebenen Schema ab, Futures, Optionen und ETFs (Papiergold) wurden auf den Markt geworfen, entsprechend brach der Preis ein59.

Wie bei allen Rohstoffe kann auch der Goldpreis einbrechen, wenn ein Überangebot herrscht, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Rohstoffen wächst die Goldnachfrage durch China und Indien60. Länger als vier Jahre dauert nun schon die Krise, und immer noch ist der Dollar und das Finanzsystem schwach, und die Lage dürfte sich eher verschlechtern als verbessern. Wir gehen immer noch davon aus, dass eine weitere Megabankenkrise unvermeidbar ist.

Devisen: Augen auf bei Yen und Pfund!

In der 73. Ausgabe des GEAB warnten wir vor einer bevorstehenden Krise des britischen Pfunds. Seitdem ist viel passiert. Wegen der italienischen Wahlen und der Zypernkrise

58 http://uk.reuters.com/article/2013/04/11/uk-goldman-metro-idUKBRE93A0IM20130411?feedType=RSS&feedName=GCA-GoogleNewsUK

59 http://www.forbes.com/sites/greatspeculations/2013/04/12/king-dollar-and-deflation-slay-gold-and-silver/

60 http://www.mineweb.com/mineweb/content/en/mineweb-whats-new?oid=185408&sn=Detail

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verlor der Euro an Wert. Viele der Mainstream- Analysten sagen weitere Kursverluste für den Euro voraus. Sie übersehen dabei jedoch die relevanten Grunddaten. Nur zwei Wochen nach der Zypernkrise erreichte der Euro wieder sein Vorkrisenniveau. In der Zeit kündigte die japanische Zentralbank ein gigantisches QE- Programm von bisher nie dagewesenem Umfang an, auf das die Spekulanten natürlich reagierten, wodurch der Yen auf Talfahrt ging. Wir glauben nicht, dass Japans Wirtschaft auf gesunder Grundlage steht, aber dennoch weicht unsere Aussicht auf Japans Lage von der Einschätzung der Spekulanten ab.

Wie heute Deutschland verzeichnete Japan früher einen regelmäßigen Handelsüberschuss, und wie Deutschland verfügt es über große Forderungen gegenüber dem Ausland, ganz anders als Großbritannien und die USA, deren Lage sehr an die Griechenlands erinnert, also ein hohes Handelsdefizit aufweisen und im Ausland hoch verschuldet sind. Da die japanische Bevölkerung altert, kann man davon ausgehen, dass sich seine Handelsbilanz verschlechtern wird und zukünftig mehr Geld aus Japan abfließen als nach Japan fließen wird. Japanische Investitionen in den USA und anderen Ländern werden abgezogen werden, während der gegenwärtige Handelsüberschuss sich zu einem Defizit entwickelt. Eine Analogie mit einem Pensionsfonds bietet sich an: Der Rentner (Japan) will nach Jahren des Sparens sein Geld vom Darlehensnehmer (USA) zurück bekommen. Aber bedauerlicherweise für den Rentner kann und wird der Darlehensnehmer das Geld nicht zurückzahlen. Der Darlehensnehmer wird seine Zahlungsunfähigkeit erklären oder seine Währung abwerten. Abwertung ist immer relativ: Wenn der Dollar nach unten saust, schießt der Yen nach oben. Falls die Zentralbanken nicht eingreifen, wird der Dollar abwerten und der Yen nach oben gehen.

Aufgrund der Geldpolitik der japanischen Zentralbank setzen Spekulanten auf einen Wertverlust des Yen. Wir gehen davon aus, dass viele Spekulanten in den letzten Wochen Yen mit Krediten gekauft und sie gegen Dollar eingetauscht haben, wodurch der Yen an Wert verloren hat; nun warten sie darauf, dass der Yen noch weiter an Wert verliert, um ihre Käufe rückabzuwickeln und dabei Kasse zu machen. Wir wären nicht überrascht, wenn diese Taktik scheitern sollte. Zum einen sind die japanischen Staatschulden eine innerjapanische Angelegenheit mit wenig Auswirkung auf internationale Geldströme wie bei anderen verschuldeten Ländern. Zum zweiten, sollte wegen der alternden Bevölkerung und der fortgesetzten Probleme mit dem zerstörten Atommeiler in Fukushima immer mehr Geld ins Land repatriiert werden, wären wir nicht überrascht, wenn der Yen deutlich wieder an Wert gewinnen würde, weil die Nachfrage höher wäre als das Angebot und die Spekulanten ihre Käufe bei steigendem Yenwert rückabwickeln müssten, was den Kurs noch weiter nach oben treiben würde. Viele der Spekulanten mit short- Positionen würden ihr Geld verlieren, nicht anders als die, die gegen den Euro gewettet hatten.

Für die nahe Zukunft rechnen wir mit einem sehr volatilen Yenkurs. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Wochen die Spekulanten sich auf den Yen konzentrieren werden. Die britischen Fundamentaldaten verschlechtern sich weiter; die britische Wirtschaft degeneriert immer mehr zu einer konsumgetriebenen schuldenfinanzierten Wirtschaft, während die Ausfuhren zurückgehen. Großbritannien hat das höchste Außenhandelsdefizit seit 198961. Wir gehen davon aus, dass das Pfund in den kommenden Monaten langsam und stetig an Wert verlieren wird, bis es erneut in den Fokus der Spekulanten gerät. Je länger dies dauert, um so verwundbarer wird Großbritannien.

61 http://www.guardian.co.uk/business/2013/mar/27/britain-current-account-deficit-worst-since-1989

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Investitionen: Nicht nur Banken dürfen Kredite vergeben

Wer sein Geld anlegen möchte, sollte jetzt in kreditwürdige Unternehmen investieren. Viele gute und innovative Unternehmen, viele kompetente Unternehmer sind von Kredit abgeschnitten, weil Banken keine Kredite gewähren. Viele Banken haben das Gefühl dafür verloren, wem sie noch Geld leihen sollten. Bis 2008 konnte jeder einen Kredit bekommen, der seinen Namen schreiben konnte. Überbezahlte Banker glauben nun, das Problem in den Griff zu bekommen, indem sie nicht einmal den vielversprechendsten und kreditwürdigsten Kunden Geld zur Verfügung stellen. Damit ergeben sich für Investoren, die bereit sind, ausreichend Zeit zu investieren, um einen Marktüberblick zu erlangen, gigantische Möglichkeiten, mit denen sie bessere Rendite als an den Finanzmärkten erzielen können; nebenbei würden sie sich auch um die Realwirtschaft verdient machen und auch ihr Risiko reduzieren, ihr Geld bei einer Bankenrettung zu verlieren. Wir glauben, dass ein zu den Banken paralleler, alternativer Kreditmarkt für Kreditgeber wie - Nehmer von großem Nutzen wäre. Nicht nur Banken dürfen Kredite vergeben. Private Investoren können individuellen Kreditnehmern Geld zur Verfügung stellen; Banken können dabei außen vor bleiben. Sowohl Investoren wie auch Kreditnehmer dürfte damit besser gedient sein.

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4. Der GlobalEurometer62

GlobalEurometer vom April 2013 – Ergebnisse

GlobalEurometer 04-2013Ja%

Nein%

Keine Angaben%

1. Glauben Sie, dass gerade eine Art Wirtschaftsregierung für Euroland errichtet wird?

63(52, 57)63 33

(39, 33) 4(9, 10)

2. Denken Sie, dass in den nächsten Monaten Lösungen für die Euroland- Probleme gefunden werden?

30(13, 10)

67(78, 66)

3(9, 24)

3. Glauben Sie, dass anti-demokratische Kräfte in der EU auf dem Vormarsch sind?

67(70, 81)

27(26, 19)

6(4, 0)

4.Würden Sie in den folgenden sechs Monaten Euro gegen US-Dollar, japanischen Yen oder britisches Pfund eintauschen?

0(0, 2)

97 (96, 98)

3(4, 0)

5.Würden Sie in den folgenden sechs Monaten für Euro Gold kaufen?

33(43, 33)

57(43, 58)

10(14, 9)

6. Gehen Sie davon aus, dass die Weltwirtschaft wieder in eine weitere Rezession gerät?

77(87, 72)

17(4, 20)

6(9, 8)

7. Gehen Sie davon aus, dass in Ihrem Land wieder Inflation herrscht?

47(43, 35)

47(52, 62)

6(5, 3)

8. Fürchten Sie, wegen der weltweiten Krise in den nächsten sechs Monaten Ihren Arbeitsplatz zu verlieren?

17(17, 19)

57(48, 57)

26(35, 24)

9. Fürchten Sie, wegen der weltweiten Krise in den nächsten sechs Monaten Geld zu verlieren?

53(61, 57)

43(35, 28)

4(4, 5)

10. Gehen Sie davon aus, dass der Dollar in den nächsten sechs Monaten im Verhältnis zu den anderen großen Währungen an Wert verlieren wird?

67(70, 81)

13(8, 5)

20 (22, 14)

11. Sehen Sie mit Sorge die Zunahme geopolitischer Spannungen? 83(78, 86)

17(22, 9)

0(0, 5)

12. Können Sie sich vorstellen, dass große Banken in Ihrem Land in den nächsten sechs Monaten Konkurs anmelden müssen?

57(48, 47)

27(35, 43)

16(17, 10)

13. Gehen Sie davon aus, dass in Großbritannien in den kommenden sechs Monaten wieder Aufstände und Unruhen ausbrechen?

67(91, 81)

13(0, 10)

20(9, 9)

14. Bemerken Sie Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung in ihrem Land ?

7(4, 9)

87(96, 86)

6(0, 5)

15. Fürchten Sie in den nächsten sechs Monaten politische und soziale Unruhen in ihrem Land ?

57(54, 57)

30(43, 29)

13(3, 4)

16. Rechnen Sie in den nächsten sechs Monaten mit großen Preissteigerungen beim Rohöl?

23(43, 48)

63(43, 33)

14(14, 19)

GlobalEurometer vom April 2013 – Auswertung

EINSCHÄTZUNG DER LAGE IN DER EU

1. Errichtung einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone : Nach einem Absturz über die vergangenen zwei Monate bei der Einschätzung vom Aufbau einer integrierten Wirtschaftsentität in

62 Jeden Monat befragt das GEAB - Team für Sie 200 europäische Meinungsführer63 In Klammern: Ergebnisse der vorhergehenden Monate (m-1, m-2)

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der Eurozone steigt nunmehr die optimistische Vorausschau auf ein üblicheres Niveau von 63%. Unabhängig davon, ob man dafür oder dagegen ist, kann bei objektiver Betrachtung nicht ignoriert werden, dass innerhalb der letzten 30 Tage das Zypernkrisenmanagement der Eurozone gezeigt hat, welche Entitäten handlungsfähig waren (die Eurozone) und welche handlungsunfähig oder - willig (Nationalstaaten und die EU).

2. Lösungsperspektiven für die Eurokrise: Überraschenderweise steigt bei den Befragten erneut das Vertrauen in die Fähigkeit der Politiker, innerhalb der nächsten Monate Lösungen für die Überwindung der Krise zu finden. Auch wenn eine große Mehrheit (67%) weiterhin pessimistisch bleibt, so steigt doch der Prozentsatz der Optimisten von 13% auf 30%, also fast ein Drittel, was angesichts der Katastrophenszenarien, die ständig in den Medien durchexerziert werden, ein beeindruckendes Ergebnis ist.

3. Anstieg der extremistischen Strömungen in Europa : Hier war im Vergleich zu den beiden vergangenen Monaten keine Veränderung festzustellen. Zwei Drittel (67%) der Befragten gehen davon aus, dass extremistische Strömungen in Europa an Kraft gewönnen, während 27% vom Gegenteil ausgehen. Auch hier ist es geradezu überraschend, dass die stürmischen Zeiten, die seit zwei Monaten in Europa herrschen, nicht bei den Befragten zu einem verstärkten Gefühl des Anstiegs extremistischer Strömungen geführt haben.

4. Gefühlter Wert von Euro, US- Dollar, Yen und britischem Pfund : Weiterhin beinahe einstimmige Präferenz des Euro vor Dollar, Yen und Pfund Sterling: 97% der Befragten wollen ihre Euro nicht in eine Fremdwährung umtauschen. Die Krise in der Eurozone mutiert nicht zu einer Vertrauenskrise gegen den Euro. Die gleiche Schlussfolgerung lässt sich im Übrigen auch aus einer in Deutschland durchgeführten Umfrage ziehen64.

5. Gefühlter Wert von Euro und Gold : Während der letzten Monate erlagen viele der Befragten dem Lockruf des Goldes; aber dieser Trend war nicht von Dauer. Denn diesen Monat, sicherlich auch Folge des nachlassenden Goldpreises, wollen nur noch 33% der Befragten ihre Euro gegen das "barbarische Relikt" eintauschen, 57% hingegen bevorzugen den Euro. Die Stürme des letzten Monats in der Eurozone, die auch zu einem Eurokursrückgang führten, haben offensichtlich das Vertrauen der Euroländer in ihre Währung nicht nachhaltig beschädigt.

7. Rückkehr der Inflation in Europa : Nach einer Reihe von drei Monaten, während denen das Gefühl von einer Rückkehr der Inflation ständig abnahm (von 66% im Dezember zu 48% im Januar und nur noch 35% im Februar), legt diese Einschätzung nunmehr schon den zweiten Monat in Folge zu (von 43% im März auf nunmehr 47%) und erreicht damit ein Gleichgewicht zwischen denen, die glauben, das Inflation herrsche und denen, die es nicht glauben. Die Verbindung zwischen dem Eurowert (der zurück geht) und der Inflationseinschätzung (ansteigend), die wir im letzten Monat auszumachen glaubten, scheint sich zu bestätigen.

8. Angst um den Arbeitsplatz: Trotz eines bei dieser Frage beeindruckenden Viertels Unentschiedener (26%) empfindet erneut eine gute Mehrheit der Befragten (57%) keine Angst vor einem Arbeitsplatzverlust; im Vergleich zum Vormonat mit 48% ist dies eine deutlich optimistischere Einschätzung.

9. Angst vor Vermögensverlusten: Auch die Angst vor Vermögensverlusten geht diesen Monat zurück, nämlich von 61% auf 53%, was angesichts der Nachrichtenlage der letzten 30 Tage doch recht erstaunlich ist.

12. Antizipation von Bankeninsolvenzen : Mehr in Übereinstimmung mit den Ereignissen im Finanzsektor steigt der Prozentsatz der Befragten, die in den nächsten Monaten mit Bankeninsolvenzen rechnen, von 48 auf 57%.

64 Quelle: Die Deutschen lernten den Euro lieben, ergibt eine Umfrage, EUBusiness, 09/04/2013.

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13. Gefahr neuer Unruhen in Großbritannien : Nach einem Rekord von 91% im vergangenen Monat fällt der Prozentsatz der Personen, die in den nächsten Monaten mit dem erneuten Ausbruch von Unruhen in Großbritannien rechnen, merklich auf 67%. Nur 13% der Befragten gehen davon aus, dass es nicht dazu kommen wird, während 20% nunmehr keine Angaben mehr machen.

14. Gefühlter Aufschwung : 87% der Befragten (statt 96% im Vormonat) können überhaupt keine Anzeichen für einen Wirtschaftsaufschwung ausmachen. Es wäre wohl verfrüht, diesen leichten Rückgang sogleich als gute Nachricht zu werten. Wir wollen zumindest noch den nächsten Monat abwarten, um zu sehen, ob sich dieser Trend bestätigt.

15. Gefahr von Unruhen und sozialen Protesten in Europa : Die Zahl der Befragten, die den Ausbruch von sozialen Protesten in ihrem Land fürchten, steigt wieder auf 57% an, und ist damit zum ersten Mal in der Nähe der Werte, die bei der Frage nach der Gefahr von Unruhen in Großbritannien erzielt wurden (67%).

EINSCHÄTZUNG DER INTERNATIONALEN LAGE

6. Beginn einer globalen Rezession : Nach einem Rekord von 87% der Befragten im vergangenen Monate, gehen diesen Monat 77% der Befragten davon aus, dass die Weltwirtschaft sich in Rezession befinde; die Werte bleiben damit also weiterhin auf sehr hohem Niveau und zeigen, dass den Europäern sehr wohl klar ist, dass die Krise, die sie zur Zeit durchleben, eine globale ist.

10. Antizipation eines Wertverlustes des US- Dollars : Die Ergebnisse dieses Monats liegen sehr nahe bei denen des vergangenen: 67% der Befragten gehen davon aus, dass der Wert des US- Dollars in den nächsten sechs Monaten deutlich sinken werde (im Januar waren es 71% gewesen).

11. Anstieg der geopolitischen Spannungen : Die Sorgen wegen der wachsenden geopolitischen Spannungen wachsen etwas von 78 auf 83%; damit sind also vier von fünf Personen beunruhigt.

16. Antizipation eines Ölpreisanstiegs: Diesen Monat geht eine große Mehrheit der Befragten davon aus (63%, also ein Anstieg um 20 Prozentpunkte im Vergleich zum Vormonat), dass der Ölpreis in Zukunft massiv ansteigen werde.

THEMENÜBERGREIFENDE BEMERKUNGEN

Die Ergebnisse dieser Umfrage vermitteln den Eindruck weitgehender Unaufgeregtheit, was angesichts der Ereignisse der letzten 30 Tage doch überraschend ist. Pessimismus ist weiterhin vorherrschend, aber nicht stärker als im letzten Monat bzw. bei einigen Fragen sogar weniger ausgeprägt: Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Vermögensverlust, Lösungsperspektiven für die Krise, ja sogar auch bei der Frage nach der globalen Rezession oder dem Vertrauen in den Euro. Wo die Sorgen jedoch zunehmen, sind der soziale Bereich (Angst vor sozialen Protesten), Lebenshaltungskosten (Inflation, Ölpreis) und die Risiken von Bankeninsolvenzen. Auf jeden Fall ergibt sich aus unserer Umfrage in keiner Weise das Bild der allgemeinen Panik, das viele Medien zeichnen; vielmehr scheinen die Befragten dem Krisenmanagement ein gewisses Vertrauen entgegen zu bringen (Antworten zur 1. und 2. Frage). Es ist ja auch objektiv so, dass die letzten 30 Tage ausreichend Nachrichten produzierten, die die Finanzeliten in Panik versetzten; und sie bestimmen den Tenor der Berichterstattung in den Medien, deren Eigentümer sie sind. Aber die Nachrichten haben auch gezeigt, dass die staatlichen Stellen sehr wohl willens und fähig sind, sich der Probleme effizient und zielführend anzunehmen, wie wir ja auch in dieser Ausgabe darzustellen vermochten.

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