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„60 PROZENT UND MEHR“ Ian Penn kam als Maschinenbauer 1986 auf Anraten seines Karriereberaters – an britischen Hochschulen eine feste Institu- tion – zu Ricardo. Einige Jahre bei einem Ingenieurdienstleister seien eine gute Grundlage für eine Karriere in der Automobil- industrie. Penny aber blieb. Während seiner 25-jährigen Karriere durchlief Penny fast alle denkbaren Stationen: Nach seinem Start als Konstrukteur übernahm er mit einer Teamleitung für die Einlasskanal-Entwicklung die erste Führungsaufgabe. Anfang der neunziger Jahre wurde er Projektmanager mit einem Schwerpunkt bei Gasmotoren. Anschließend baute er die US- Niederlassung in Detroit zu einem Entwicklungszentrum aus. Nach seiner Rückkehr übernahm er die Verantwortung für die Dieselmotorenentwicklung, zunächst nur für Pkw, aber dann auch für alle anderen Anwendungen. Seit einer Restrukturie- rung Mitte 2010 ist Penny für die weltweite Motorenentwicklung verantwortlich. Ein BMW-Motorrad, ein Bugatti-Getriebe und der Achtzylindermotor für den neuen McLaren. Wer das Entwicklungszentrum von Ricardo im südenglischen Shoreham-by-Sea besucht, sieht auf Schritt und Tritt Technik, die das Herz höher schlagen lässt. Ian Penny, bei dem Entwick- lungsdienstleister für die Motorenentwicklung verantwortlich, denkt aber ganz nüchtern über Wirkungsgradoptimierung nach. INDUSTRIE INTERVIEW 446

„60 Prozent und mehr“

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„60 Prozent und mehr“

Ian Penny� kam als Maschinenbauer 1986 auf Anraten seines Karriereberaters – an britischen Hochschulen eine feste Institu­tion – zu Ricardo. Einige Jahre bei einem Ingenieurdienstleister seien eine gute Grundlage für eine Karriere in der Automobil­industrie. Penny aber blieb. Während seiner 25­jährigen Karriere durchlief Penny fast alle denkbaren Stationen: Nach seinem Start als Konstrukteur übernahm er mit einer Teamleitung für die Einlasskanal­Entwicklung die erste Führungsaufgabe.

Anfang der neunziger Jahre wurde er Projektmanager mit einem Schwerpunkt bei Gasmotoren. Anschließend baute er die US­Niederlassung in Detroit zu einem Entwicklungszentrum aus. Nach seiner Rückkehr übernahm er die Verantwortung für die Dieselmotorenentwicklung, zunächst nur für Pkw, aber dann auch für alle anderen Anwendungen. Seit einer Restrukturie­rung Mitte 2010 ist Penny für die weltweite Motorenentwicklung verantwortlich.

Ein BMW­Motorrad, ein Bugatti­Getriebe und der Achtzylindermotor für den neuen McLaren. Wer das Entwicklungszentrum von Ricardo im südenglischen Shoreham­by­Sea besucht, sieht auf Schritt und Tritt Technik, die das Herz höher schlagen lässt. Ian Penny, bei dem Entwick­lungsdienstleister für die Motorenentwicklung verantwortlich, denkt aber ganz nüchtern über Wirkungsgradoptimierung nach.

IndustrIe INTERVIEW

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Mtz _ Wenn man bei ricardo auf die Internet­seite geht, sieht man Windkraftanlagen, Militärfahrzeuge und schiffe. Wie wichtig ist der Verbrennungsmotor für sie noch?Penny _ Das Herz unseres Unternehmen sind Motoren, mit ihnen machen wir mehr als die Hälfte unseres Umsatzes. Wenn man den gesamten Antriebsstrang betrachtet, macht der sogar mehr als 80 Prozent aus. Von allen Branchen ist der Pkw-Sektor mit 30 bis 40 Prozent des Umsatzes die wich-tigste. Aber wir sind seit jeher in all jenen Branchen tätig, in denen Verbrennungsmo-toren zum Einsatz kommen. Allerdings haben wir vor etwa zehn Jahren die strate-gische Entscheidung getroffen, uns nicht einseitig von bestimmten Branchen, Regio-nen oder Produkten abhängig zu machen.

dazu muss das neugeschäft stärker wachsen als der umsatz mit der Autoindustrie.Wir sehen auch dort noch Wachstum, versuchen uns aber auf Aufgaben mit höherer Wertschöpfung zu konzentrieren.

das bedeutet?Dinge zu tun, die nur wir tun können. Wie etwa die Entwicklung und Fertigung des neuen V8-Motors für McLaren. Oder

Projekte, die wir von der strategischen Beratung über die Entwicklung bis zum Produktionsanlauf begleiten.

sie haben also an der zukunft des Verbrennungsmotors keine zweifel?Der Verbrennungsmotor wird noch min-destens die kommenden 50 Jahre existie-ren, vielleicht länger. Der Motor wird sich verändern, klar. Er wird effizienter wer-den und wir werden neue thermodynami-sche Prozesse sehen, die noch höhere

Wirkungsgrade ermöglichen. Wenn wir heute glauben, mehr als 40 Prozent sind sehr gut, dann arbeiten wir für die Zukunft an 60 Prozent und mehr.

ein ambitioniertes ziel, wenn man die phy�sikalischen Grenzen kennt.In der Tat müssen wir bei der Physik anfangen, wenn wir die thermodynami-sche Effizienz erhöhen wollen. So können wir zum Beispiel aus den Erfahrungen ler-nen, die wir mit der Abwärmenutzung bei Kraftwerkprozessen gemacht haben.

Man sollte aber auch nicht vergessen, dass die „Abwärme“ des Motors ja zum teil nutzenergie ist, die der Beheizung des Fahrgastraums dient – oder?So lange wir Verbrennungsmotoren nut-zen, ist immer ausreichend Wärme vor-handen, auch wenn wir mit 60 Prozent Wirkungsgrad fahren. Nur direkt nach dem Kaltstart gibt es einen gewissen Wett-bewerb um die Wärme. Daher werden wir Wärme künftig besser speichern. Anders sieht der Fall bei Elektrofahrzeugen aus, wo wir ganz anderen Aufwand beim Thermomanagement treiben müssen.

ricardo hat sich für das thema dieselhy�brid stark engagiert. Jetzt kommen die ersten Fahrzeuge. der startschuss für einen großen Markt oder eine weitere nische?Sie werden Dieselhybride in allen Seg-menten sehen, in denen heute Dieselmo-toren zum Einsatz kommen. Der Diesel-hybrid vereint die Vorteile des Dieselmo-tors bei Autobahnfahrt mit denen des Ottohybrids im Stadtverkehr. Aber auch in Nicht-Pkw-Segmenten wird er kommen. Wir haben erste Entwicklungen für Mili-tär- und Baufahrzeuge.

Was soll den durchbruch des teuren diesel­hy�brids fördern? noch höhere Kraftstoffpreise?Im Allgemeinen kaufen europäische Kun-den nicht kostengetrieben, von Flottenbe-treibern einmal abgesehen. Wir haben einst eine Studie zum Kaufverhalten von Dieselfahrern durchgeführt. Das Ergebnis: Wenn man Vollkosten errechnet, also Jahresfahrleistung, Anschaffungskosten, Steuer und Versicherung, dann lohnt es sich für viele gar nicht, Diesel zu fahren. In Wirklichkeit war der Diesel erfolgreich, weil er Performance ohne Verbrauchsstei-gerung ermöglichte. Geringer Verbrauch bei tollen Fahrleistungen, das war der Grund. Der Dieselhybrid wird Komponen-ten mit den hybridisierten Ottomotoren teilen, um die Mehrkosten möglichst gering zu halten.

Welchen Verbrauchsvorteil des dieselhy�brids gegenüber dem diesel dürfen wir erwarten?Im Kundenbetrieb könnte der Vorteil, abhängig vom Fahrprofil, gut 30 Prozent betragen. Wenn man einen modernen, noch nicht völlig ausgereizten Motor nimmt und ihn im Zyklus nur in den Bereichen höchster Wirkungsgrade betreibt, ist eine CO2-Reduzierung um ein

Penny prognostiziert für den Verbrennungsmotor eine lange Zukunft

„Dieselhybride kommen

in allen Segmenten.“

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Drittel realistisch. Die Hybridisierung ermöglicht genau diese Betriebspunkt-verschiebung. Aber bei langen Autobahn-fahrten nimmt dieser Vorteil natürlich, auch durch das Mehrgewicht, deutlich ab.

Alle dieselanwendungen werden hy�bridisiert, das hieße auch der Lkw?Ja, und zwar alle, vom Verteiler-Lkw bis zum Langstrecken-Lkw. Die Hybridisierung verschafft bei vielen Fahrprofilen Vorteile. Natürlich gibt es sehr flache Gegenden auf der Welt, aber auch viele bergige. Wenn man sich mal anschaut, wie gering die Motorleistung ist, die für Geradeausfahrt bei 80 km/h benötigt wird, dann erkennt man, dass ein großer Teil der Motorleis-tung nur für Anfahren und Bergauffahrt benötigt wird. Hier besteht durch Hybridi-sierung eine Möglichkeit, Kraftstoff zu sparen. Wobei das am kosteneffektivsten zunächst durch die Verringerung von Roll- und Luftwiderstand geschieht.

Bei der Hy�bridisierung experimentiert ricardo immer wieder mit neuen Lösungen, zum Beispiel einem mechanischen Hy�brid. taugt die Lithium­Ionen­Batterie nicht als energiespeicher für Hy�bridfahrzeuge?Der batterieelektrische Hybrid ist schon fast ein Industriestandard. Der von uns ebenfalls verfolgte Schwungradspeicher stammt aus der Formel 1. Er ist dann geeignet, wenn es darum geht, in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie abzugeben. Es handelt sich sozusagen um einen mechanischen Kondensator. Er ist damit für Anwendungen geeignet, bei denen es

um sehr hohe Energiedichte geht: Sport-wagen, Baufahrzeuge, aber auch Linien-busse. Wir haben einen Bus-Prototypen aufgebaut, bei dem das Schwungrad an der Hinterachse saß, und konnten nach-weisen, dass sich sogar die Nachrüstung bei geringen Stückzahlen für den Betrei-ber lohnen würde. Eine andere interes-sante Anwendung sind Regionalzüge, vor allem wenn die Bahnstrecke nicht elektri-fiziert ist. Wir behaupten nicht, dass der Schwungradspeicher eine bessere Lösung als die Batterie ist, es ist eine Lösung für andere Anwendungen.

Wie sehen sie da die Abgrenzung zu ultrakondensatoren?Wir sehen den Vorteil vor allem darin, dass die Industrialisierung einfacher ist. Aber wir arbeiten ebenfalls an Ultrakon-

densatoren. Aber man darf nicht verges-sen, dass man für deren Einsatz einen hybridisierten Antriebsstrang braucht, also zum Beispiel einen Elektromotor.

der Motor wird sich verändern, haben sie gesagt. Wie stark verändert er sich, wenn er zum range extender wird?Wir haben verschiedene Range-Extender-Projekte und konzentrieren uns darauf, wie man die gewünschten Eigenschaften zu möglichst geringen Kosten bekommen kann. Das bedeutet, dass wir kleine Moto-ren aus anderen Anwendungen nehmen,

mit denen wir genug Erfahrung haben und sie adaptieren. Auch wenn man, ins-besondere bei den Themen Abgas und Akustik, erheblichen Aufwand treiben muss, um solche Motoren automobiltaug-lich zu machen, so bleibt doch der Vorteil, dass man bestehende Zulieferer und Kom-ponenten nutzen kann.

Was ist der Leistungsbereich, auf den sie mit range extendern zielen?Der typische Range Extender wird zwi-schen 10 und 200 Kilowatt leisten (lacht). Sie werden sehr unterschiedliche Konfigu-rationen finden. Das ist auch der Grund, warum wir beim Motorenkonzept sehr konservativ bleiben. Die OEMs, die erfolg-reich sind, haben sich auch immer über den Antriebsstrang differenziert.

In deutschland wird gerade intensiv darüber diskutiert, inwiefern Batterie und elektromotor zur differenzierung taugen.Es gibt auch hier Potenzial zur Differen-zierung, aber wahrscheinlich weniger als beim Verbrennungsmotor. Bei Ricardo haben wir die Kompetenz für Batterie- und Energiemanagement stark ausgebaut. Mit der Zellchemie beschäftigen wir uns hingegen nicht. Unsere Priorität liegt auf dem Gebiet der Systemintegration.

Herr Penny�, herzlichen dank für das Gespräch.

InterVIeW: Johannes Winterhagen

Fotos: Jason Keffert

60 Prozent und mehr verspricht sich Penny vom Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors

Priorität: Systemintegration

„Beim Range Extender konzen-

trieren wir uns auf die Kosten.“

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