8 Die Dritte Republik von der Entstehung bis zum Ende des ... · PDF file8.2 Nationalkörper: Dritte Republik und der Centenaire der Französischen Revolution Republik, Sport, Nation

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  • sche Auenminister Jules Favre wandte sich an die europischenMchte, in der Hoffnung, da diese einen Friedensschlu ohne Ge-bietsabtretungen vermitteln wrden, aber er mute feststellen, daEngland, Ruland, Italien und sterreich eigentlich Grnde hatten,mit Frankreichs Niederlage ganz zufrieden zu sein. In der Zwischen-zeit setzten sich im Landesinnern die militrischen Niederlagen fort,obwohl der neue Innenminister Lon Gambetta (1838 bis 1882)600.000 Mann bewaffnete. Paris fiel und wurde besetzt, am 18. Ja-nuar 1871 wurde im Versailler Spiegelsaal der preuische Knig zumdeutschen Kaiser proklamiert.

    8 Die Dritte Republik von der Entstehung bis zum Ende desErsten Weltkriegs

    Nach 1870 setzte auf allen Gebieten (Politik, Gesellschaft, Wissen-schaft, Wirtschaft, Kultur) eine neue Institutionalisierungswelle ein,die jene der Franzsischen Revolution bertraf; hier bildete sich jenerNationalkrper aus, der auch uns als Zeitgenossen noch vertraut ist.

    8.1 Der Weg in die Dritte Republik (1870 1879)

    Die Ausrufung der RepublikAm 4. September 1870, drei Tage nach der Niederlage von Sedan,wurde vom Pariser Htel de Ville aus die Republik ausgerufen, wasder tatschlichen Stimmung im Land weit vorausgriff. Zugleichwurde in Paris eine Vorlufige Regierung der nationalen Verteidi-gung zusammengesetzt, bestehend u.a. aus Louis Jules Trochu (einGeneral, von Napoleon III. als Gouverneur von Paris eingesetzt; Mini-sterprsident), Jules Favre (Auenminister) und Lon Gambetta (In-nenminister), der den militrischen Widerstand organisierte. Wh-rend diese drei anfangs in Paris amtierten, bezog der Rest der Regie-rung Quartier in Tours, spter in Bordeaux. Nachdem Paris gefallenwar, wurde gem dem Waffenstillstandsabkommen vom 28./29.Januar in Frankreich am 8. Februar 1871 eine Nationalversammlung(assemble nationale constituante) unter Anwendung des Wahlgesetzesvom Mrz 1849 gewhlt, die in Bordeaux zusammentrat. Die Monar-chisten, nicht die Republikanhnger, verfgten ber eine berwlti-gende Mehrheit. Die Versammlung whlte Jules Grvy zu ihremPrsidenten (Rcktritt am 1. April 1873) und Adolphe Thiers zum

    2278 Die Dritte Republik (1870 1918)

  • Chef der Exekutive der Franzsischen Republik, der sich im Som-mer 1870 gegen den Krieg ausgesprochen hatte und geeignet er-schien, das in der gegebenen Situation Bestmgliche fr Frankreichauszuhandeln. Thiers mute die Friedensverhandlungen fhren. Bis-marck forderte das Elsa und Teile Lothringens sowie die Stdte Metzund Belfort, auerdem 6 Mrd. FF Kriegsentschdigung. Bismarckblieb damit bewut hinter den abstrusen Forderungen zurck, diez.T. in Deutschland erhoben wurden, da ihm an einem schnellenFrieden lag, bevor sich andere Mchte doch auf seiten Frankreichseinmischten. Manche Stdte und Privatpersonen wollten die Gele-genheit nutzen und Schulden aus der Zeit Napoleons I. eintreibenlassen; Inhaber von Revolutionsassignaten, die sie nicht mehr losge-worden waren, wollten entschdigt werden; schlielich wurde berdie Rckgabe von Kunstwerken und Manuskripten gesprochen, diefranzsische Soldaten im Dreiigjhrigen Krieg, in den Revolutions-kriegen oder in der napoleonischen Zeit mitgenommen hatten. Mansieht, da geistig noch keineswegs ein wirklicher Bruch mit derFrhen Neuzeit geschweige denn mit der Revolutionszeit vollzogenwar.

    Die Zukunft belasten: Deutsch-franzsische BeziehungenAm 1. Mrz 1871 marschierten die deutschen Truppen in Paris ein;ursprnglich hatte Bismarck einen solchen Schritt nicht angestrebt,es war dies ein Ergebnis der in den Verhandlungen modifiziertenKriegsforderungen. Am 18. Mrz 1871 brach in Paris ein Brgerkriegaus, der unter dem Namen des Kommune-Aufstands bekannt ist. DerAufstand stellte die franzsische Regierung vor erhebliche Problemeund zwang Bismarck, einer militrischen Aufrstung Frankreichsentgegen den Waffenstillstandsbedingungen zuzustimmen. Die deut-sche Besatzungsmacht verhielt sich offiziell neutral, prinzipiell wurdemit der franzsischen Regierung zusammengearbeitet. Auch Thierssuchte die Zusammenarbeit mit den Deutschen, was psychologischfreilich den Franzosen schwer zu vermitteln war. Am 10. Mai 1871wurde zwischen den beiden Lndern der Friedensvertrag von Frank-furt geschlossen, der auch einen Plan fr die Abfolge der Reparations-zahlungen und des Truppenabzugs enthielt. Die Zukunft der Bezie-hungen beider Lnder war aufs Schwerste belastet: die Elsa-Loth-ringen-Frage, die Milliarden-Reparationen, die Deutschland den Vor-wurf einbrachten, seine moderne Industrie im Kaiserreich mit denfranzsischen Milliarden finanziert zu haben, schlielich die Besat-

    228 Die Politische Zivilisation des Absolutismus

  • zungszeit, die sich in vieler Hinsicht zum Alptraum entwickelte. Dieschleppende Umsetzung der Abkommen, Attentate sowie eine aus-gesprochene Besatzermentalitt der Truppen schaukelten sich gegen-seitig hoch und gruben sich tief als preuischer Terror in das natio-nale Bewutsein Frankreichs ein. Gerade deshalb gehrt es zu denerstaunlichsten Eigenschaften der Epoche seit 1871, da Deutschlandin vieler Hinsicht bewut als Modell begriffen wurde und sich, so-lange Bismarck die deutsche Auenpolitik lenkte, sogar freund-schaftliche Beziehungen entwickelten, von denen vorwiegend diefranzsische Kolonialpolitik profitierte.

    Der Kommune-Aufstand in ParisAm 10. Mrz waren die Regierung und die Nationalversammlungvon Bordeaux nach Versailles bergesiedelt. Dieser Schritt bekrftigtedie monarchistische Gesinnung der Versammlung einerseits, und denPariser radikalen Republikanismus andererseits. Beide knpften da-mit an die spannungsvolle Bipolaritt der beiden historisch bedeutsa-men Gedchtnisorte Versailles contra Paris an. Das Zentralkomiteeder Pariser Republikaner erklrte das Dpartement Seine zur autono-men Republik. Der Versuch der Regierung, die Macht der National-gardisten in Paris zu brechen, fhrte zum eigentlichen Aufstand derKommunarden. Thiers zog alle loyalen Truppen aus der Stadt ab undlie diese regelrecht belagern. Der am 26. Mrz gewhlte und ex-tremistisch dominierte Conseil gnral des Dpartement sowie daserwhnte Zentralkomitee bernahmen die Macht in Stadt und D-partement und gaben diesem politischen Gebilde den Namen Com-mune de Paris. Symbolisch wurde die Kommune an die radikale ersteRepublik angelehnt, angefangen bei einem Wohlfahrtsausschu alsExekutivgewalt. Die Pariser Kommune machte in einigen Grostd-ten wie Lyon und Marseille sowie anderen Schule. Ziel war einlockerer Verband autonomer Kommunen sozialrevolutionrer Pr-gung. Die Regierung schickte Marschall Mac-Mahon an die Front umParis. Ihm und anderen gelang die Einnahme der Stadt. Die Wochevom 21. bis 28. Mai 1871 war eine der blutigsten, die Paris je erlebthatte. Auf seiten der Kommunarden fielen etwa 17.000 Menschen,viele in Paris verbliebene Gegner der Kommune wurden von denKommunarden exekutiert.

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  • Drei Verfassungsgesetze retten die Republik (1875)Solange Adolphe Thiers im Amt blieb, war die am 4. September 1870ausgerufene Republik nicht ernsthaft gefhrdet. Seit August 1871war Thiers auch Prsident der Republik. Obwohl er selber eher dengemigten Monarchisten zuzurechnen war, hatte er die Lage richtigeingeschtzt, wenn er in einer konservativen Republik ein in Frank-reich konsensfhiges Modell erblickte. Dennoch zerstritt sich dieNationalversammlung ber diese Frage und strzte Thiers im Mai1873 durch ein Mitrauensvotum. An seine Stelle trat der MarschallMac-Mahon als Prsident (1873 bis 1879), von dem die Restaurationdes Knigtums erwartet wurde. Die Bonapartisten mit Prinz LouisNapoleon hatten keine Aussicht auf Erfolg; Graf Heinrich von Cham-bord, Haupt der Bourbonen, war kinderlos geblieben; die bestenAussichten besa folglich Louis Philippe von Orlans (Graf von Paris).Auch wenn die Nationalversammlung monarchistisch gesinnt war,so stand fr die meisten der Abgeordneten auer Frage, da es sichnur um eine konstitutionelle Monarchie handeln knne. Da Heinrichvon Chambord als potentieller Knig Heinrich V. jedoch die Wieder-einfhrung des Lilienbanners anstelle der Trikolore forderte, schiendie Gefahr einer Restauration des Ancien Rgime am Horizont aufzu-tauchen. Die Aussicht auf einen neuen Brgerkrieg, denn nichtsanderes wre zu erwarten gewesen, rettete das Provisorium Repu-blik. Am 30. Januar (Septennat des Prsidenten), 24./25. Februar(Organisation der Exekutive) und 16. Juli 1875 erlie die Nationalver-sammlung drei Verfassungsgesetze, an deren Vorbereitung drei sehrgegenstzliche Politiker mageblich beteiligt gewesen waren: Thiers,Gambetta und der konservative Herzog von Broglie. Die Chambre desdputs sollte alle vier Jahre in allgemeinen (nur Mnner), gleichenund direkten Wahlen bestimmt werden; die zweite Kammer, derSenat, sollte sich aus Vertretern der Dpartements und Gemeindenzusammensetzen; die Amtszeit dauerte neun Jahre, alle drei Jahrewurde ein Drittel der Senatoren ersetzt. An der Spitze des Staatesstand der Prsident mit einer Amtszeit von sieben Jahren, es galt dasPrinzip der Ministerverantwortlichkeit. Wenn die Regierung keineMehrheit im Abgeordnetenhaus fand, mute sie laut Gesetz zurck-treten. Die Dritte Republik erlebte deshalb mehrere Dutzend Kabi-nette, trotzdem wurde sie eine starke Republik. Den ersten drei Ver-fassungsgesetzen folgten weitere: vier zur Verfassungsgerichtsbarkeitunter der gide von Jules Grvy (1807 bis 1891); fnf, die das Repu-blikanische Programm unter Jules Ferry (1849 bis 1914) in Gesetzes-

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  • form brachten. 1889 war die Verfassungsgesetzgebung abgeschlos-sen.

    Im 6. Kapitel war darauf hingewiesen worden, da es sich bei denGeneralstnden bzw. der Nationalversammlung von 1789 um dasgrte und bis dahin demokratischste Experiment in der europi-schen Geschichte gehandelt hatte. Um 1870/75 kannten nur die deut-sche Reichsverfassung, die USA und die Schweiz das in den Gesetzenvon 1875 festgeschriebene Wahlrecht, England zog ers