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Inhaltsverzeichnis

Matrix 5 Vorwort 6

Ich

Ich: Ein Bild als Einstieg ................................. sich dem Begriff �„Ich�“ mit Hilfe eines Bildes nähern 7 Andreas Gryphius: Tränen in schwerer Krankheit ........................

das Gedicht ergänzen; die Bildlichkeit analysieren; das Gedicht historisch/biografisch deuten 8

Gotthold Ephraim Lessing: Ich ....................... das Wort �„Ehre�“ definieren; das Selbstverständnis des Autors erläutern; Barock und Aufklärung vergleichen 10

Johann Wolfgang von Goethe: Dauer im Wechsel .........................................

Zwischenüberschriften formulieren; das Gedicht illustrieren und deuten 12

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens ........... Leseerwartungen formulieren; die Bildlichkeit entschlüsseln; das Gedicht mit Blick auf die Biografie deuten 14

Frank Wedekind: Der Gefangene .................. eine fiktive Autobiografie schreiben; über �„Identität�“ nachdenken; das Gedicht vortragen und deuten 16

Else Lasker-Schüler: Klein Sterbelied ............ das lyrische Ich beschreiben; eine Geschichte schreiben; biografische Hintergründe recherchieren 18

Eva Strittmatter: Vor einem Winter ................ darüber nachdenken, wie Gedichte gemacht werden; eine poetologische Aussage der Autorin am Text belegen 20

Steffen Jacobs: Festtagsgedicht .................... das Gedicht künstlerisch umsetzen; den Text deutend in einen Tagebucheintrag übersetzen 22

Ich: Ein philosophischer Text zum Abschluss ...............................................

einen philosophischen Text auf das Kapitel beziehen 24

Heimat

Heimat: Ein Bild als Einstieg .......................... sich dem Begriff �„Heimat�“ mit Hilfe eines Bildes nähern 25 Daniel Czepko von Reigersfeld: Fragment .... das Gedicht mit historischen Ereignissen in Beziehung setzen;

die Position des Verfasser erläutern 26 Friedrich Schiller: Der Pilgrim ........................ eigene Gedanken zur �„Pilgerschaft�“ sammeln;

das Gedicht auf mehreren Ebenen deuten; das Metrum deuten 28 Bettina von Arnim: Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt .................................

den Begriff �„romantisch�“ auf das Gedicht anwenden; einen Paralleltext schreiben 30

Friedrich Nietzsche: Der Freigeist .................. den Höreindruck deuten; das Gedicht in einen Prosatext übersetzen; Stellung nehmen 32

Georg Trakl: In der Heimat ............................ einen Gestaltungsauftrag durchführen; rhetorische Mittel analysieren; den Begriff �„Heimat�“ deuten 34

Hilde Domin: Mit leichtem Gepäck ................. eigene Vorstellungen mit dem Text vergleichen; Textstellen deuten; ein Interview mit der Autorin schreiben 36

Elfriede Gerstl: Wer ist denn schon ............... Formulierungen erklären; eine Collage anfertigen; das Gedicht deuten; einen eigenen Text schreiben 38

Volker Braun: Das Eigentum .......................... Fragen zum Text beantworten; den Text deuten; das Gedicht in einen Zeitungsartikel umschreiben 40

Heimat: Ein philosophischer Text zum Abschluss ...............................................

einen philosophischen Text auf das Kapitel beziehen 42

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Glück

Glück: Ein Bild als Einstieg ............................ sich dem Begriff �„Glück�“ mit Hilfe eines Bildes nähern 43 Sidonia Hedwig Zäunemann: Jungfern-Glück ..............................................

das Gedicht als historische Quelle nutzen; die Glücksvorstellung der Autorin beschreiben 44

Abraham Gotthelf Kästner: Die veränder- lichen Triebe der menschlichen Alter .............

den gedanklichen und rhetorischen Aufbau analysieren; eine Glücksdefinition für die Zeit der Aufklärung formulieren 46

Marianne von Willemer: Suleika .................... das Gedicht vortragen; das Metrum bestimmen; eine Deutungshypothese formulieren 48

Achim von Arnim: Mir ist zu licht zum Schlafen ..........................

zur Epoche der Romantik recherchieren und das Gedicht ggf. zuordnen; die Zeitstruktur des Textes untersuchen 50

Robert Walser: Welt ....................................... das Gedicht mit verschiedenen Betonungen vortragen; eine inhaltliche Zäsur benennen und deuten 52

Bertolt Brecht: Von allen Werken ................... Stilmittel analysieren; ein Parallelgedicht schreiben; eine Gestaltungsaufgabe bearbeiten 54

Dieter Leisegang: Glücklich und endlich ........ die Glücksvorstellung des lyrischen Ichs beschreiben; eine Gestaltungsaufgabe bearbeiten 56

Lioba Happel: Ich habe einen Apfel gegessen ......................

Assoziationen zum Text sammeln; einen eigenen Text schreiben 58

Glück: Ein philosophischer Text zum Abschluss ...............................................

einen philosophischen Text auf das Kapitel beziehen 60

Tod

Tod: Ein Bild als Einstieg ............................... sich dem Begriff �„Tod�“ eines Bildes nähern 61 Volksgut: Es ist ein Schnitter ......................... Möglichkeiten der Kürzung oder Erweiterung des Textes beschreiben;

Vertonungen anhören 62 Matthias Claudius: Der Tod und das Mädchen ............................

den Text spielerisch darstellen; Darstellungen der bildenden Kunst deutend heranziehen; den Text weiterschreiben 64

Friedrich Schiller: Unsterblichkeit, Die idealische Freiheit ....................................

eine Mindmap anfertigen; sich über die Weimarer Klassik informieren; die Texte deuten; Interviews durchführen - 66

Theodor Storm: Geh nicht hinein ................... Inhalte markieren; das Gedicht deuten; das Gedicht gliedern und gestalterisch umsetzen 68

Hugo Ball: Totentanz ..................................... das Gedicht vortragen und die Wirkung beschreiben; metrische Brüche deuten; den Text inszenieren 70

Gottfried Benn: Kleine Aster .......................... die Wirkung des Textes beschreiben; über zeitgenössische Reaktionen spekulieren 72

Elisabeth Borchers: Das Begräbnis von Bollschweil ......................

den Zusammenhang zwischen der Form des Gedichts und der Entwicklung des Gedankengangs erläutern 74

Rainer Werner Fassbinder: Das Land des Apfelbaums .............................

eigene Jenseitsvorstellungen und die des Autors beschreiben; nach der Funktion des Gedichts fragen 76

Tod: Ein philosophischer Text zum Abschluss ...............................................

einen philosophischen Text auf das Kapitel beziehen 60

Quellen 80

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Matrix: Gedichte und Methoden

M 1: analytisch M 2: ästhetisch, handlungsorientiert M 3: historisch, biografisch M 4: produktionsorientiert: eigene Texte schreiben

THEMA GEDICHT UND AUTOR EPOCHE M 1 M 2 M 3 M 4

Andreas Gryphius: Tränen in schwerer Krankheit Barock Gotthold Ephraim Lessing: Ich Aufklärung Johann Wolfgang von Goethe: Dauer im Wechsel Klassik �• �• �• �• Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens Romantik �• �• Frank Wedekind: Der Gefangene Moderne �• �• �• Else Lasker-Schüler: Klein Sterbelied Moderne �• �• �• �• Eva Strittmatter: Vor einem Winter Gegenwart �• �•

ICH

Steffen Jacobs: Festtagsgedicht Gegenwart �• �• �• �• Daniel Czepko von Reigersfeld: Fragment Barock �• �• �• Friedrich Schiller: Der Pilgrim Klassik �• �• Bettina von Arnim: Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt Romantik �• �• �• Friedrich Nietzsche: Der Freigeist Moderne �• �• �• Georg Trakl: In der Heimat Moderne �• �• �• Hilde Domin: Mit leichtem Gepäck Gegenwart �• �• Elfriede Gerstl: Wer ist denn schon Gegenwart �• �•

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Volker Braun: Das Eigentum Gegenwart �• �• �• Sidonia Hedwig Zäunemann: Jungfern-Glück zwischen Barock

und Aufklärung �• �• �•

Abraham Gotthelf Kästner: Die veränderlichen Triebe der menschlichen Alter

Aufklärung �• �• �•

Marianne von Willemer: Suleika Klassik �• �• �• Achim von Arnim: Mir ist zu licht zum Schlafen Romantik �• �• �• Robert Walser: Welt Moderne �• �• �• Bertolt Brecht: Von allen Werken Moderne �• �• Dieter Leisegang: Glücklich und endlich Gegenwart �• �• �•

GLÜ

CK

Lioba Happel: Ich habe einen Apfel gegessen Gegenwart �• �• Volksgut: Es ist ein Schnitter Barock �• �• �• �• Matthias Claudius: Der Tod und das Mädchen Aufklärung/

Empfindsamkeit �• �• �• �•

Friedrich Schiller: Unsterblichkeit, Die idealische Freiheit Klassik �• �• �• Theodor Storm: Geh nicht hinein Realismus �• �• �• �• Hugo Ball: Totentanz Moderne �• �• �• Gottfried Benn: Kleine Aster Moderne �• �• �• Elisabeth Borchers: Das Begräbnis von Bollschweil Gegenwart �• �•

TOD

Rainer Werner Fassbinder: Das Land des Apfelbaums Gegenwart �• �• �•

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Vorwort

�„Dort, wo etwas aus dem gewohnten Bezugsrahmen fällt, dort, wo Schlagworte plötzlich hohl klingen, da kann ein Gedicht beginnen. Deshalb ist die Lyrik für mich nicht nur eine Schule der Form und der Sprache, sondern im-mer auch eine Schule der Wahrnehmung�“, schreibt der Lyriker Steffen Jacobs. Für uns �– die Autoren dieses Heftes �– knüpft sich daran die Frage: Wie können wir Jugendliche für diese �„Schule der Wahrnehmung�“ begeistern?

Das ist zunächst sicherlich eine Frage der Inhalte, also der Auswahl von Gedichten. �„Ich�“, �„Heimat�“, �„Glück�“ und �„Tod�“ sind die Themen, für die wir uns entschieden haben: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wer möchte ich werden? Wohin gehöre ich? Wo fühle ich mich zugehö-rig? Welche Ziele und Vorstellungen leiten mein Leben? Was macht ein glückliches Leben aus? Gibt es ein Leben danach? Wie gehe ich damit um, dass mein Leben endlich ist? Das sind alles große Fragen, aber unserer Erfahrung nach eben auch genau die, mit denen Jugendliche und junge Erwachsene sich beschäftigen.

Lust auf Lyrik ist natürlich auch abhängig von der Art und Weise, wie mit Gedichten gearbeitet wird. Unser Lyrik-Heft hat Werkstattcharakter. Bei den Arbeitsvor-schlägen zu den Gedichten finden Sie �– neben Formbe-trachtung und Sprachanalyse �– produktionsorientierte und künstlerisch-ästhetische Aufgaben. Die Inszenierung eines Gedichts, die spielerische Arbeit mit dem Sprach-material eines Textes fördern die Freude am eigenen Ausdruck und schulen die Wahrnehmung für die Mög-lichkeiten der lyrischer Sprache.

Schließlich können die Schülerinnen und Schüler mit diesem Heft auf eine Zeitreise durch die Epochen gehen und dabei ihren Blick auf die Welt mit dem vergangener Zeiten vergleichen: �„Trutz, Tod! Komm her, ich fürcht dich nit! Wann Sicherl mich letzet, so werd ich versetzet, in den himmlischen Garten, darauf will ich warten�“, heißt es im Schnitterlied aus der Zeit des Barock. Wie anders dagegen der kalte und wissenschaftliche Umgang mit dem Tod in Gottfried Benns Gedicht �„Kleine Aster�“. Der Gang durch die Epochen vom Barock bis zur Gegenwart macht kritisch gegenüber dem eigenen Denken und Empfinden. Das Eigene und Selbstverständliche wird als eine Mög-lichkeit neben Anderem sichtbar.

Lyrische Texte mit ihrer verdichteten Sprache sind etwas Besonderes. Aber lyrische Texte werden �– zumindest außerhalb der Schule �– kaum noch gelesen. Das schmale Angebot beim Buchhändler spricht eine beredte Sprache. Dieser hier vorliegende Heft ist mit dem Interesse verfasst worden, lyrische Texte und Jugendliche wieder miteinan-der ins Gespräch zu bringen.

Einen schnellen Überblick über den Aufbau von �„Rund um Lyrik�“ können Sie sich mit Hilfe der Matrix auf Seite 5 verschaffen. Themen, Epochen, Gedichte und methodische Zugänge sind hier übersichtlich dargestellt. Jedes Gedicht lässt sich prinzipiell unabhängig von den anderen bearbeiten. Anhand der Matrix können Sie die Gedichte aber auch problemlos zu thematischen und epochenbezogenen Lehrgängen zusammenstellen.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Bild als Einstieg und endet mit einem synthetisierenden, konträren oder auch provozierenden philosophischen Text, der es ermöglicht, die Gedanken zum Thema noch einmal zu bündeln.

Jede einzelne Gedicht- und Aufgabenseite wird durch eine Seite mit Hinweisen zum Autor/zur Autorin und zum Gedicht ergänzt. Da letztere Lösungshinweise zu den Aufgaben enthält, bietet es sich an, zunächst immer nur die Gedicht- und Aufgabenseite auszuteilen. Die Hin-weisseite lässt sich dann zur selbstständigen Überprüfung der Arbeitsergebnisse heranziehen. Die zusätzlichen Auf-gaben auf den Hinweisseiten öffnen den Blick auf über-greifende Themen, Fragestellung und Probleme, die sich häufig gut für eine abschließende Diskussion zu einem Gedicht eignen.

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Dieter Leisegang: Glücklich und endlich

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Glücklich und endlich (Juni 1969) Nachts auf dem Balkon sitzend Die Füße überm Geländer Mit Zigarettenrauchen beschäftigt Dem Klingeln der Straßenbahn Und vor allem der Leuchtreklame Des Reisebüros gegenüber �– So eingebettet in lauter Erfahrungen Ganz unaufdringlicher Art Aufgehoben zu sein Ohne Mitte, ichlos, vorbei Nur so dahinfließen Ein Ding unter Dingen Dieter Leisegang (1942�–1973)

Aufgaben

1. Stellen Sie sich die im Gedicht beschriebene Situation bildlich vor.

2. Erklären Sie, was Leisegang durch die Patizipialkonstruktionen in den Versen 1 bis 9 erreicht.

3. An welcher Textstelle erkennen Sie eine inhaltliche Zäsur? Begründen Sie Ihre Wahl.

4. Was bedeutet Glück für das lyrische Ich? Belegen Sie Ihre Antwort mit Zitaten.

5. Wofür steht das Wort �„endlich�“ im Titel des Gedichts? Begründen Sie Ihre Vermutung.

6. Zusatzaufgabe: Stellen Sie das Bild, das Leisegangs Gedicht entwirft, in einem Foto nach.

7. Überprüfen Sie Ihre Ergebnisse aus den Aufgaben 2, 3, 4 und 5 mit Hilfe von Seite 57.

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Fortsetzung von Seite 56 Dieter Leisegang: Glücklich und endlich

Hinweise zum Autor Am 21. März 1973, im Alter von nur 30 Jahren, er-schießt sich der Philosoph, Autor und Übersetzer Dieter Leisegang. Seine Gedichte und philosophi-schen Schriften sind bis dahin auch in Fachkreisen weitgehend unbeachtet geblieben. Eine mögliche Erklärung dafür liefert der folgende Auszug aus ei-nem Lexikonartikel: �„Tod, Vergänglichkeit und die unablässige Auseinandersetzung des Ichs mit der Außenwelt bilden die dominierenden Themen in Lei-segangs introvertierten Gedichten. Das Erkennen der Missstände in der Welt und der ausweglosen, tragi-schen Grundsituation des Individuums führen bei ihm nicht zu lautstarkem Aufbegehren, sondern zum Rückzug auf einen einsamen Beobachterposten, von dem aus er Leben wahrnimmt, analysiert und reflek-tierend begreifen möchte. Zur Zeit der Studentenre-volte, als politische und Pop-Lyrik en vogue waren, schrieb Leisegang an der Peripherie des Literaturbe-triebs unbeirrt seine lakonischen Verse.�“ 1942 als zwölftes Kind des Malers und Kartografen Gustav Leisegang geboren, macht Dieter Leisegang eine ebenso schnelle wie beachtliche akademische Karriere: Er promoviert mit 27 Jahren bei Theodor W. Adorno und Julius Schaaf, ist Lehrbeauftragter für Ästhetik an der Werkkunstschule Offenbach und für Geschichte der Philosophie und Kunsttheorie an der Frankfurter Universität. Daneben arbeitet er als Chef-texter der Firma Olivetti und tritt 1972 eine Gastdo-zentur in Südafrika an. Eine schwere Lungenkrankheit begleitet ihn jedoch seit seinen Studienjahren und zwingt ihn immer wieder dazu, seine Studien zu un-terbrechen. Über die Möglichkeiten der Kunst äußert er sich re-signiert: �„Die Kunst interpretiert die Welt nicht und kann sie auch nicht verändern. Sie ist für manche allenfalls eine Art und Weise, die Welt bzw. sich selbst zu ertragen.�“

Hinweise zum Gedicht Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Versen. Ein Bindestrich deutet die symmetrisch ange-legte Zäsur in der Mitte der zweiten Strophe an. Bis zu dieser Stelle wird der Leser Zeuge einer Beobach-tungssituation des lyrischen Ichs, das nachts auf sei-nem Balkon sitzt, raucht und Dinge wahrnimmt. Al-lerdings vermeidet der Autor durch die Partizipial-konstruktionen bewusst jede Nennung eines Ichs. Der beschriebene Zustand ist vielmehr �„ichlos�“, wie es in der dritten Strophe heißt. Im zweiten Teil des Gedichts werden die Wahrneh-mungen und gemachten Erfahrungen (die Nacht, das Sitzen, das Rauchen, das Klingeln, die Reklame des Reisebüros) zum Auslöser eines selbstvergessenen Aufgehens des lyrischen Ichs in seiner Umwelt. Es empfindet sich als �„eingebettet�“, als �„aufgehoben�“ (im Sinne von �„geborgen�“ oder im Sinne von �„ge-löscht�“?), als Ding unter Dingen. Teil eines Ganzen zu sein und in diesem Sinne an der Welt teilzuhaben, empfindet das lyrische Ich als Glück. Der Titel des Gedichts Glücklich und endlich lässt verschiedene Deutungen zu. Möglicherweise handelt es sich um ein Gegensatzpaar, das ausdrücken soll, dass Glückserfahrungen auch trotz der Endlichkeit des Lebens möglich sind. Eine Art Gegengedicht zu seiner �„Vision vom Glück�“ ist sein Text: Einsam und allein von 1972: Einsam ist ja noch zu leben Hier ein Ich und dort die andern Kann durch die Alleen wandern Und auf Aussichtstürmen schweben Einsam ist noch nicht allein Hat noch Augen, Ohren, Hände Und das Spiel der Gegenstände: Und die Trauer, da zu sein Doch allein ist alles ein Ist nicht da, nicht dort, nicht eben Kann nicht nehmen oder geben Leergelebt und allgemein

Aufgabe

1. Sind Sie der Ansicht, dass Kunst die Welt verändern kann? Begründen Sie Ihre Auffassung gegebenenfalls anhand von einem Beispiel.

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Volkslied: Es ist ein Schnitter

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Es ist ein Schnitter (1638) Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, Hat G�’walt vom großen Gott; Heut wetzt er das Messer, Es geht schon viel besser, Bald wird er dreinschneiden, Wir müssen�’s nur leiden. Hüt dich, schöns Blümelein! Was heut noch grün und frisch da steht, Wird morgen weggemäht. Die edel Narzissel, Die englische Schlüssel, Die schön Hyazinthen, Die türkischen Winden: Hüt dich, schöns Blümelein! Viel Hunderttausend ungezählt, Was nur unter die Sichel fällt: Rot Rosen, weiß Lilien, Beid�’ wird er austilgen, Und ihr Kaiserkronen, Man wird euch nicht verschonen: Hüt dich, schöns Blümelein!

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Das himmlische Ehrenpreis, Die Tulpen gelb und weiß, Die silbernen Glocken, Die goldenen Flocken, Senkt alles zur Erden, Was wird daraus werden? Hüt dich, schöns Blümelein! Ihr hübsch Lavendel und Rosmarine, Ihr vielfarbige Röselein, Ihr stolze Schwertlilien, Ihr krause Basilien, Ihr zarte Violen, Man wird euch bald holen: Hüt dich, schöns Blümelein! Trutz, Tod! Komm her, ich fürcht dich nit! Trutz, eil daher in einem Schnitt! Wann Sichel mich letzet, So werd ich versetzet In den himmlischen Garten, Darauf will ich warten. Freu dich, schöns Blümelein! (Fliegendes Blatt 1638)

Aufgaben

1. Beschreiben Sie den inhaltlichen Aufbau des Liedes.

2. Lassen sich bestimmte Strophen umstellen? Lässt sich der Text erweitern oder kürzen? Begründen Sie Ihre Meinung.

3. Erklären Sie mit eigenen Worten, warum dieses Lied vom Tod mit einer freudigen Erwartung endet.

4. Informieren Sie sich über das Weltverständnis des barocken Menschen. Stellen Sie Ihre Ergebnisse, ausgehend von dem vorliegenden Gedicht, in der Klasse vor.

5. Schreiben Sie ein eigenes �„Schnitterlied�“. Übernehmen Sie dafür den Titel und den ersten Vers der Vorlage.

6. Zusatzaufgabe: Hören Sie sich Vertonungen des Liedes an, z. B. aus Robert Schumanns �„Romanzen und Balladen�“ (1849) oder vom Album �„Urworte�“ der Gothic-Metal-Band �„Leichenwetter�“ (2005). Stellen Sie Ihre Lieblingsversion in der Klasse vor und begründen Sie Ihre Auswahl.

7. Überprüfen Sie Ihre Ergebnisse aus den Aufgaben 1, 2, 3 und 4 mit Hilfe von Seite 63.

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Fortsetzung von Seite 62 Volkslied: Es ist ein Schnitter

Hans Holbein d. J., Tod und der Krämer, 1538

Hinweise zur Überlieferung Am Beginn des Literarischen steht die mündliche Überlieferung. Überliefert werden Erfahrungen, wie sie in Sprichwörtern und Lebensweisheiten enthalten sind. Überliefert werden Geschichten, die den Men-schen in belehrender Weise einen Spiegel vorhalten (Fabel), die die Ängste des Menschen im Umgang mit der unbegriffenen Natur bündeln (Sage), die �– im Erzählen unerhörter Begebenheiten �– die Lust der Menschen an Schauder und Sensation befriedigen (Moritaten). Zwei der berühmtesten deutschen Text-sammlungen, die Volksmärchen der Brüder Grimm und Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Arnim, gehen auf mündliche Quellen zurück. Die mündliche Überlieferung kennt keinen Autor, keine Autorin, sie ist Volksgut. Durch die mündliche Weitergabe verändern sich Lieder und Geschichten naturgemäß mit der Zeit, sie werden erweitert, gekürzt und gegebenenfalls auch inhaltlich modifiziert.

Aufgabe

1. Nicht nur kleinere Erzählungen und Lieder, sondern auch größere Grundlagentexte unserer Kultur gehen auf mündlich tradierte Stoffe zurück. Sammeln Sie Beispiele und informieren Sie sich über deren Inhalt.

Hinweise zum Gedicht Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, auch Der Schnitter Tod, Schnitterlied oder Erntelied genannt, ist ein deutsches Volkslied des 17. Jahrhunderts, dessen Erfinder unbekannt ist. Löst man die sprachlichen Bilder des Textes auf, so steht der Schnitter, der Sensenmann, für den Tod, während die Blumen für die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens stehen. Im Unterschied zu den letzten Versen der ersten fünf Strophen, die eine Mahnung aussprechen, zeugt der letzte Vers des gesamten Liedes von der ungebroche-nen Heilsvorstellung der Zeit. Dem gesteigerten Be-wusstsein des barocken Menschen für die eigene Sterblichkeit (Dreißigjähriger Krieg, Pestepedemien), steht die Ewigkeit des Himmels, die unsterbliche Seele, gegenüber. Wie bei allen Volksliedern variiert die Länge des Textes in den verschiedenen überlieferten Fassungen, wobei besonders die Strophen über die einzelnen Blumen mehr oder weniger zahlreich sind. Eine Fas-sung aus dem Jahr 1640 bringt es sogar auf 80 Stro-phen. Der älteste erhaltene Textzeuge ist ein Flugblatt mit dem folgenden Begleittext: �„Ein schönes Mayenlied, wie der Menschenschnitter der Todt die Blumen ohne vnderschid gehling abmehet. Jedermann Jung vnd Alt sehr nutzlich zu singen vnd zu betrachten. Gedruckt im Jahre 1638.�“ Das Exemplar trägt auch einen hand-schriftlich nachgetragenen Titel: �„Schnitterlied, ge-sungen zue Regenspurg da ein hochadelige junge Blume ohnversehen abgebrochen im Jenner 1637, gedichtet im Jahr 1637�“.

Goethe bemerkte in seiner Rezension von Des Kna-ben Wunderhorn, in dem das Lied in einer weiteren Variante enthalten ist: �„Katholisches Kirchen-Todes-lied. Verdiente protestantisch zu sein.�“

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Elisabeth Borchers: Das Begräbnis in Bollschweil

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Das Begräbnis in Bollschweil (1976) Wenn jemand gestorben ist, den wir gut kannten, prüfe ich unser Gedächtnis. Es taugt nichts, stelle ich fest. Es ist nicht haltbar. Wir sind bald verloren. Wir nehmen den Berg wahr mit erstem Schnee und den Nebel im Feld und finden das passend und schön. Unsere Bedürfnisse sind einfach und stark, wir frieren, haben Hunger und Durst und einen nächsten Termin. Zwischen uns die kleinen langsamen Gespenster. Elisabeth Borchers (geb. 1926)

Aufgaben

1. Schreiben Sie einen kurzen Text, der mit der Zeile beginnt: �„Wenn jemand gestorben ist, �…�“,

2. Erklären Sie die Aussage des lyrischen Ichs in der ersten Strophe mit eigenen Worten.

3. Können Sie die Aussage des lyrischen Ichs in der ersten Strophe bestätigen? Berichten Sie von eigenen �– ähnlichen oder abweichenden �– Erfahrungen.

4. In welcher inhaltlichen Beziehung steht die zweite zur ersten Strophe? Erläutern Sie.

5. Deuten Sie den letzten Vers des Gedichts.

6. Untersuchen Sie die Beziehung zwischen der Form des Gedichts und der Entwicklung des Gedankengangs.

7. Entnehmen Sie dem Gedicht eine eher positive oder eher negative Haltung gegenüber dem Tod? Begründen Sie Ihre Ansicht.

8. Überprüfen Sie Ihre Ergebnisse aus den Aufgaben 2, 4, 5 und 6 mit Hilfe von Seite 75.

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Fortsetzung von Seite 74 Elisabeth Borchers: Das Begräbnis in Bollschweil

Hinweise zur Autorin �„Ein Gedicht ist nicht diktierbar. Es setzt nicht Kenntnisse voraus, sondern Erfahrung�“, schreibt Eli-sabeth Borchers 1987. Die Dichterin wird 1926 in Homberg/Niederrhein als Tochter eines Lehrerehe-paars geboren und kommt schon früh mit Literatur in Kontakt. Ihre schriftstellerische Karriere beginnt im Jahre 1960 mit einem Skandal. Die folgenden, heute eher harmlos anmutenden Verse provozieren die deutsche Leser-schaft wegen ihres märchenhaft-kindlichen Tonfalls: eia wasser regnet schlaf I eia wasser regnet schlaf eia wasser schwimmt ins gras wer zum wasser geht wird schlaf wer zum abend kommt wird gras weißes wasser grüner schlaf großer abend kleines gras es kommt es kommt ein fremder Borchers arbeitet bis 1998 als Lektorin bei verschie-denen deutschen Verlagen und veröffentlicht Kinder-bücher, Prosa und Lyrik. Die Veröffentlichung vieler Bilderbücher zeigt zudem, dass das Visuelle der Dich-terin außerordentlich wichtig ist �– Wahrnehmungen spielen in fast allen ihren Gedichte eine große Rolle.

In den letzten Jahren setzt sich Borchers zunehmend mit den Themen �„Abschied�“ und �„Tod�“ auseinander. Zunächst in dem Gedichtband Eine Geschichte auf Erden von 2002, in dem es heißt: �„immer wieder stehn wir da / sehn wir hinauf / in das nicht zu Ermes-sende�“. Und noch deutlicher und intensiver in dem Band Zeit. Zeit: �„Wenn der Bach versiegt / wenn die Wörter versiegen / wenn der Wind vorüber weht / und ich immer bin, wo nichts mehr ist�“.

Aufgabe

1. Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen der Kenntnis und der Erfahrung von etwas? Argumentieren Sie anhand eines Beispiels.

Hinweise zum Gedicht Das Gedicht entsteht kurz nach der Beerdigung von Marie Luise Kaschnitz. Es handelt allerdings nicht von diesem konkreten Begräbnis und auch nicht von der verstorbenen Dichterin, sondern nimmt den Ein-zelfall zum Ausgangspunkt allgemeinerer Reflektio-nen. Es untersucht, wie Überlebende mit dem Tod eines nahen Menschen umgehen (�„Wenn jemand gestorben ist, / den wir gut kannten�“, V. 1 f.). Die erste Strophe ist eine Art Selbstbefragung, bei der der Wechsel zwischen dem (lyrischen) Ich und dem stellvertretenden, zusammenfassenden �„Wir�“ auffällt. Das Ich spricht hier also ganz bewusst basale, alle Menschen betreffende Erkenntnisse aus. Dabei kommt es in Anspielung auf das Vanitas-Motiv (�„Wir sind bald verloren�“, V. 7) zu dem Schluss, dass die Verstorbenen von den Hinterbliebenen bald vergessen werden. Diese Erkenntnis wird formal durch die mar-kanten und knappen Sätze, die sich im Wesentlichen auf Subjekt und Prädikat beschränken, unterstrichen. Die zweite Strophe widmet sich dem Leben und sei-nen ebenso einfachen wie starken und unabweislichen Bedürfnissen. Der Blick geht von innen nach außen. Nüchtern, ohne Moral oder Pathos wird festgestellt, dass der Mensch Hunger und Durst und sehr bald auch einen nächsten Termin hat. Die diversen An-sprüche der Welt spiegeln sich nun formal in längeren Sätzen, Bildern und Wertungen. Der letzte Vers verklammert die beiden Strophen, weist, trotz aller Betriebsamkeit der Lebenden, auf die Anwesenheit der �„langsamen�“ (V. 15) Toten hin.