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„Anti-Craving-Medikamente medikamentöse Ansätze in der Suchtbehandlung Möglichkeiten und Grenzen Sucht, komorbide psychische Störungen und Psychopharmakotherapie 24.10.2017

„Anti-Craving -Medikamente - drocoe.de · • Opiatrezeptor-Antagonist – besetzt die Opiatrezeptoren, um den rauschartigen Effekt des Belohnungssystems zu dämpfen • Seit Mai

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„Anti-Craving“-Medikamente medikamentöse Ansätze in der

Suchtbehandlung

Möglichkeiten und Grenzen

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Gliederung

• Epidemiologie

• Entstehung/ Aufrechterhaltung der Sucht

• Vorstellung der medikamentösen Möglichkeiten

• Diskussion

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie 24.10.2017

Epidemiologie

• Diagnostizierte Alkoholabhängigkeit bei 3,4% der Männer und 1,4% der Frauen (ca. 2 Mio. Menschen in Deutschland), riskanter Alkoholkonsum bei ca. 17%

• Dritthöchster Risikofaktor für Krankheiten und vorzeitigen Tod, hohe gesellschaftliche Folgekosten

• In Deutschland ca. 74.000 alkoholbedingte Todesfälle pro Jahr, Verkürzung der Lebenserwartung um 23 Jahre

• nur ca. 10% der Erkrankten werden vom Suchthilfesystem erreicht und erhalten Therapie

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Entstehung einer Abhängigkeit

• Genetische Faktoren:

Wirkung und Verträglichkeit

von Alkohol (Acetaldehyd-

Dehydrogenase),

Persönlichkeitsvariablen

• Frühe Lernerfahrung, erhöhte

Vulnerabilität durch

Fehlregulation der

Stresshormon-Achse

• Gesellschaftliche Faktoren:

Verfügbarkeit, soziale

Anerkennung

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Entwicklung einer

Abhängigkeitserkrankung

• 1. süchtige Fehlhaltung: Bemühen des Betroffenen, sich aus einer unerträglich erscheinenden Realität in eine

Betäubung zu flüchten (ungelöste Konflikte, schwierige familiäre Bedingungen, Unzufriedenheit bei hohen Ansprüchen an sich selbst und/ oder die Umgebung)

Im Laufe von Monaten bis Jahren

• 2. Gewöhnung: Feste Rituale entwickeln sich, der/ die Betroffene verlernt immer mehr, schwierige

Situationen ohne Suchtmittel zu bewältigen

Im Laufe von Monaten bis Jahren

• 3. Abhängigkeit: Bei dem Versuch der Abstinenz treten Suchtdruck und körperliche

Entzugserscheinungen auf.

24.10.2017 Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

Mesolimbisches System

„Belohnungszentrum“

• Dopaminerge Bahnen vom ventralen

Tegmentum in den Ncl. Accumbens

• Das Suchtgedächtnis funktioniert mit

„Lernen durch Belohnung“ (positive

Verstärkung)

• werden lebensnotwenige Bedürfnisse

(Essen, Schlafen, Sex) befriedigt, führt

dies zu Wohlbefinden

• Alkohol aktiviert dieses System, indem es

das endogene Opioidsystem aktiviert

(Dopaminausschüttung um bis zu 100%

mehr als durch natürliche Auslöser)

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Wirkung des Alkohols und

Angriffspunkte der Medikamente

Freisetzung von β-Endorphin

(opioiderg-dopaminerg/

Belohnungssystem): • Verstärkereffekt bezüglich der weiteren

Einnahme

• Adaption des Systems

• Konditionierung auf Umgebungsreize

(Aktivierung des Belohnungssystems

durch Antizipation/ Erwartung)

Opiatantagonisten mindern die

Aktivierung des Verstärkersystems

GABAerg/ antiglutamerger

Mechanismus (angstlösende

und entspannende

Alkoholeffekte): • Bei regelmäßiger Alkoholeinnahme

wird gegenreguliert (löst körperlichen

Entzug aus)

• Konditionierung auf Umgebungsreize

(Aktivierung kann subklinisches

Pseudoentzugssyndrom auslösen)

Glutamat-Antagonisten mindern die

Übererregung des Gehirns

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Präparatübersicht Präparat Wirkweise Indikation Dosierung -

Kosten

Nebenwirkungen Effekt

Acamprosat

(Campral®)

Glutamat-

Antagonist

Beginn nach

Erreichen der

Abstinenz

3x2Tbl. à

333mg –

71€/ Monat

Diarrhöe, Übelkeit,

Erbrechen, Juckreiz,

Hautausschlag

NNT 12

Naltrexon

(Adepend®)

Opiat-

Antagonist

Abstinente

alkoholabhän-

gige Patienten,

Opioidfreiheit

50mg –

125€/

Monat

Übelkeit, Erbrechen,

Durchfall,

Potenzstörungen,

Transaminasenerhöhung

NNT 20

Nalmefen

(Selincro®)

Opiat-

Antagonist

Reduktion des

Alkoholkonsums

bei Konsum im

hohen

Risikonveau

18mg bei

Bedarf (1-2

Stunden vor

antizipierte

m Konsum

– 80€/

Monat

Schwindel, Übelkeit,

Schlafstörungen, Kopf-

schmerzen,

Entzündungen im

Nasen-Rachen-Raum

Reduktion

von

Trinkmenge

und

Trinktagen

Disulfiram

(Antabus®)

Aldehydde-

hydrogenase-

hemmer

Seit 2013 in

Deutschland

nicht mehr

zugelassen

200mg/d –

15€/ Monat

Starke Unverträglich-

keitsreaktion in Kom-

bination mit Alkohol

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Acamprosat

• Glutamatrezeptorantagonist – dämpft die durch Glutamat ausgelöste

Übererregbarkeit des Gehirns

• Seit März 1996 in Deutschland zugelassen

• Pat. soll vor der ersten Einnahme abstinent sein, Behandlung sollte für ca. 1

Jahr erfolgen

• Nur im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes

• Pharmakokinetik von Alkohol wird nicht verändert, keine anderen

Wechselwirkungen

• UW: Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, Hautausschlag, Libidoverlust

• NNT: 6-12 nur geringfügige Effekte im Vergleich zu Placebo,

widersprüchliche Datenlage

• Annahme: manche, aber nicht alle Behandelten profitieren von der

Behandlung, Einflusskriterien müssen noch ermittelt werden

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Naltrexon • Opiatrezeptor-Antagonist – besetzt die Opiatrezeptoren, um den rauschartigen Effekt

des Belohnungssystems zu dämpfen

• Seit Mai 2010 in Deutschland zugelassen

• Zur Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit im Rahmen eines

Gesamtbehandlungsplans

• Pat. muss vor der Behandlung opioidfrei sein, ansonsten kann ein akutes

Entzugssyndrom ausgelöst werden

• UW: Schlafstörungen, Ängste, Übelkeit, Erbrechen, Gelenk- und Muskelschmerzen,

Kopfschmerzen, Potenzstörungen

• Vorsicht bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion

• NNT: 9-20 nur geringfügige Effekte im Vergleich zu Placebo, widersprüchliche

Datenlage

Leitlinienempfehlung: „nach Berücksichtigung von und Aufklärung über mögliche Risiken

sollte bei Alkoholabhängigkeit in der Postakutbehandlung außerhalb der stationären

Entwöhnung eine pharmakotherapeutische Behandlung mit Acamprosat oder Naltrexon im

Rahmen eines Gesamttherapieplanes angeboten werden“ (S3-Leitlinie, 2015)

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Nalmefen • Opiatrezeptor-Antagonist, ähnlich dem Naltrexon

• Günstigeres Nebenwirkungsprofil, weniger Leberschädigung

• seit März 2014 in Deutschland zugelassen

• Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit,

deren Alkoholkonsum sich auf hohem Risikoniveau befindet (Männer > 60mg/d, Frauen

> 40g/d), ohne körperliche Entzugserscheinungen, für die keine sofortige Entgiftung

erforderlich ist

• Nur in Verbindung mit einer psychosozialen Unterstützung, die Therapieadhärenz und

Reduktion des Alkoholkonsums verfolgt

• Medikament soll einmal täglich bei Bedarf eingenommen werden, ein bis zwei

Stunden, bevor der Patient sich gefährdet sieht, Alkohol zu trinken

• Nur geringe Effekte in der Reduktion von Trinkmenge und Trinktagen

Leitlinienempfehlung: „Wenn das Ziel die Trinkmengenreduktion ist, kann nach

Berücksichtigung von und Aufklärung über mögliche Risiken bei Alkoholabhängigkeit in der

Postakutbehandlung außerhalb der stationären Entwöhnung eine pharmakotherapeutische

Behandlung mit Nalmefen im Rahmen eines Gesamttherapieplanes angeboten werden“ (S3-

Leitlinie, 2015)

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Disulfiram • Aldehyddehydrogenase-Hemmer – Abbau von Acetaldehyd, einem

Abbauprodukt von Alkohol, wird blockiert: bei gleichzeitigem

Konsum von Alkohol kommt es zu einer Vergiftung mit Acetaldehyd

mit Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwitzen, Herzrhythmusstörungen

• Wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in der Gummiherstellung benutzt,

bei Arbeitern wurde eine „Alkoholunverträglichkeit“ festgestellt

• Engmaschiger Arzt-Patient-Kontakt, Einnahme unter Aufsicht, Gabe

nur an eigenverantwortliche und zuverlässige Patienten

• Zulassung wurde in Deutschland 2013 nicht mehr verlängert

Leitlinienempfehlung: „Nach Berücksichtigung von und Aufklärung über mögliche Risiken

kann bei Alkoholabhängigkeit in der Postakutbehandlung außerhalb der stationären

Entwöhnung eine pharmakotherapeutische Behandlung mit Disulfiram im Rahmen eines

Gesamttherapieplanes angeboten werden, wenn andere zugelassene Therapieformen nicht

zum Erfolg geführt haben“ (S3-Leitlinie, 2015)

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Baclofen • 1962 erstmals als Antiepileptikum eingesetzt, im Verlauf

als Muskelrelaxans

• 2009 Selbstversuch eines französischen Arztes (Oliver

Ameisen) zur Überwindung seiner eigenen

Alkoholabhängigkeit

• Hohe Nachfrage nach veröffentlichtem Buch „Das Ende

meiner Sucht“

• Noch keine aussagekräftigen, eher widersprüchliche

Studien

• Keine offizielle Zulassung, keine Erwähnung in den

Leitlinien

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Fazit

• Alkoholabhängigkeit als vielschichtige und

komplexe Erkrankung (psychische, biologische

und soziale Faktoren) – kann dies alles rein

medikamentös behandelt werden?

• Weitere Forschung notwendig – welches

Medikament hilft welchem Patienten

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017

Diskussion

Pro

• Medikamente greifen spezifisch

am Suchtgedächtnis und

Belohnungssystem an

• bei schwerer chronischer

Erkrankung sollten alle möglichen

Therapiemethoden ausgenutzt

werden

• Bei manchen Patienten zeigten

sich positive Effekte

Contra

• Negative Auswirkung auf die

Selbstwirksamkeitserwartung

• Abwägung von Nebenwirkungen,

Kosten und Nutzen

• Andere Therapieformen

(insbesondere

Entwöhnungsbehandlung) können

durch Medikamente nicht ersetzt

werden

Sucht, komorbide psychische Störungen

und Psychopharmakotherapie

24.10.2017