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Advent und Weihnacht

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Liebe Leserin, lieber Leser,

„Hören Sie mich? ... Teilnehmer, Teilnehmer!“ Ein Ruf aus grauer Vorzeit, manchmal mit Verzweiflung in der Stimme. Und zum Beginn der neuen Telefontechnik wurde das Fräulein vom Amt noch gebeten, doch wieder die Verbindung herzustellen zwischen zwei Teilnehmern. Heute sagen wir „Funkloch“ und warten, bis uns ein kleines Symbol wieder die Erreichbarkeit signalisiert.

Verstehen im Sinne von Erfassen und Aufnehmen ist nur im ersten Moment ein technisches Problem. Doch allein dafür geben wir heute schon weltweit Milliarden aus: für Compu-ter und Netzwerke, für Frequenzen, Leitungen, Satelliten, für alle Arten der elektronischen Nachrichtenverbreitung und der Informationsspeicherung. Wir wissen so viel mehr, wir kom-munizieren auch viel mehr und widmen immer mehr berufliche und freie Zeit dem Sammeln und Austauschen von Informa-tionen.

Aber verstehen? „Die Erfindung baut Klassenschranken ab und demokratisiert die Gesellschaft, sie verringert die Einsam-keit in ländlichen Gemeinden und verbessert das gesellschaft-liche Zusammenleben. Aber: das Familienleben kann unter den Anforderungen leiden, der häusliche Frieden wird gestört, wir erleben einen Verlust der Privatsphäre, es ermöglicht un-moralische Kontakte. Wir kennen heute nicht einmal mehr die Menschen, mit denen wir in einem Haus leben …“ schreibt ein Soziologe. Er notierte dies nicht etwa über das Internet, sondern schon vor einhundert Jahren mit kritischem Blick auf das Telefon.

Die Verkabelung der Welt führte ganz sicher zu mehr Ver-ständigung. Wir sehen und hören heute ein Vielfaches mehr, als Generationen vor uns. Aber Verstehen, Einsicht nehmen, Hineinhören bleiben technisch unlösbare und dennoch lebenswichtige Aufgaben für unser Menschsein. „O dass mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites Meer, / dass ich dich möge fassen!“ wünscht sich Paul Gerhardt 1653 in einem der bekanntesten Weihnachtschoräle und schaut dabei auf das neugeborene Kind im Stall, auf die Menschwerdung Gottes.

Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre dieses Heftes zur Ad-vents- und Weihnachtszeit frohe und nachdenkliche Stunden, auch tiefere Einsichten und Verstehen, manche Anregung zum Weiterdenken und zum Gespräch. Und wenn Sie etwas nicht verstehen: Fragen Sie Ihren Nachbarn, Familie, Freunde oder die Suchmaschine ihres Vertrauens. Verstehen Sie?

Das Marketingteam der Diakonie Mitteldeutschland

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Ich wünsche Ihnen in diesen Tagen genügend Gelegen-heiten, die Wirklichkeit in der Welt zu sehen und im Herzen zu bewegen.

Ich wünsche Ihnen das Geschenk der Erfahrung der Wirklichkeit Gottes in dieser weihnachtlichen Welt.

Bleiben Sie in ihr behütet.

Ihr Eberhard Grüneberg, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

Was ist wirklich?Oder: Kann jeder sehen, der sehen kann?

Es ist nicht so einfach wie gedacht. Man kann eine Sa-che von innen oder außen betrachten. Von außen sehen heißt: genau beobachten, vergleichen, zählen, messen. Dazu helfen Brillen, Lupen oder auch Mikroskope, Computer.

Von innen sehen heißt: ruhig werden, schweigen, im Herzen bewegen. Man braucht dazu keine Geräte. Nicht einmal eine Brille.

Wer die Welt von außen betrachtet, kann sie sich zu-nutze machen und wird an Erkenntnis gewinnen. Wer sie auch von innen sieht, lernt sie lieben und verstehen.

Was ist wirklich?Oder: Kann jeder sehen, der sehen kann?

Ein Stall, Tiere, Stroh – ein zweifelhafter Kreißsaal für eine Erstgebärende, aber immer noch besser als gar nichts. Oder doch etwas ganz Anderes, Einmaliges?

Lukas erzählt uns die Geschichte von der Geburt des göttlichen Kindes aus der Sicht seiner Mutter Maria. So wird Ihre Wirklichkeit zu unserer, zu unserem Glauben.

Was ist wirklich?Oder: Kann jeder sehen, der sehen kann?

Ein Holzpferd, so heißt es, lebte länger im Kinderzimmer als irgendjemand sonst. Es war so alt, dass sein brauner Stoffüberzug ganz abgeschabt war. „Was ist wirklich?“, fragte eines Tages die Stoffeule, als sie Seite an Seite lagen. „Wirklich“, antwortete das Holzpferd, „ist nicht, wie man gemacht ist. Es ist etwas, was an einem geschieht. Wenn ein Kind dich liebt für eine lange, lange Zeit, nicht nur, um mit dir zu spielen, sondern wenn es dich wirklich liebt, dann wirst du wirklich.“

„Tut es weh?“, fragte die Stoffeule. „Manchmal“, antwortete das Holzpferd. „Wenn du wirklich bist, dann hast du nichts dagegen, dass es weh tut.“

„Geschieht es auf einmal?“

„Es geschieht nicht auf einmal“, sagte das Holzpferd. „Du wirst. Es dauert lange. Das ist der Grund, warum es nicht oft an denen geschieht, die leicht brechen oder die schön gehalten werden müssen. Im Allgemeinen sind dir, wenn du wirklich geworden bist, die Augen ausgefallen; du bist wackelig und sehr hässlich. Aber diese Dinge sind überhaupt nicht wichtig, denn wenn du wirklich bist, kannst du nicht hässlich sein, ausgenommen in den Augen von Leuten, die keine Ahnung haben.“

„Ich glaube, du bist wirklich“, meinte die Stoffeule. Und dann wünschte sie, sie hätte das nicht gesagt – das Holzpferd könnte empfindlich sein. Aber das Holzpferd lächelte nur…

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Wen die Wurzel trägt

Eines der schönsten Weihnachtslieder beginnt mit den Worten: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wur-zel zart.“ Der Text ist aus dem Jahre 1587. Niemand weiß, wer die Worte gedichtet hat. Das Lied wird in den nächsten Tagen an vielen Orten gesungen. Im al-ten Brauchtum verwurzelt, kann Neues entstehen. Die Rose aus der Wurzel. Blüte und Dornen. Schönheit gibt es nicht ohne Schmerz. Die „Wurzel“ kommt fünfmal im Neuen Testament vor. Hier will ein Zusammenhang hergestellt werden.

Zuerst erscheint das Wurzelwort bei Johannes dem Täufer – und Cousin von Jesus. Er sagt: „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt“. Wer nicht zur Besinnung kommt, fällt. Es ist ein harter Satz, jedes Jahr in den Advent gesprochen.

Im Gleichnis vom Saatgut aus dem Matthäusevange- lium geht etliches im Leben nicht auf, weil es keine Wurzel hat. Es verdorrt. Das Fest der Weihnacht entfal-tet seine tragenden Zusagen aus der tiefen Wurzel un-seres Kulturgrundes. Geschenke, Gänse und Grünkohl sind dabei eine angenehme Nebenwirkung – allerdings mit Verfallsdatum. Gerade die Kinder sind es, die im Überfluss den Überdruss spüren. Viele Ältere erinnern sich an Weihnachtsfeste in Schlicht- und Kargheit.

Wenn sie mir davon erzählen, haben ihre Augen einen besonderen Glanz. Ein bisschen weniger würde uns al-len sehr viel mehr bringen.

Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man 2012 nach Christus die Worte aus dem 1. Timothesusbrief liest, die um das Jahr 50 notiert wurden: „Geldgier ist eine Wurzel alles Übels“. Zur Wurzelbehandlung braucht man keinen Schirm, liebe Eurorettungschirm-wortgebraucher.

Der Hebräerbrief warnt die Leser: „Seht zu, dass nicht etwa eine bittere Wurzel in euch aufwachse und Unfrie-de anrichte“. Verbitterung wiegt in diesen Tagen und auch Nächten besonders schwer.

Die fünfte neutestamentliche Wurzel steht im Römer-brief: „Bedenke, dass nicht du die Wurzel trägst, son-dern die Wurzel trägt dich“.

Kraft wächst zu. Ich wünsche viel Kraft für alles, was beglückt und bedrückt. Und Freude an einer einzelnen Rose.

Jörg Uhle-Wettler, Bad Düben

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Überraschungskünste

Weihnachten feiern wir, weil Gott uns seinen Sohn ge-schenkt hat, Gottes Sohn in Jesus in die Welt gekom-men ist. Das für Kinder gewiss Spannendste an Heilig-abend sind die zu erwartenden Geschenke. Aber was hat Jesu Geburt mit meinen Geschenken zu tun? Mutter hatte mir das einst so erklärt: Wenn jemand Geburtstag hat, möchte man ihm eine Freude machen und darum bekommt er ein Geschenk. Und wenn jemand „kleine“ Geschwister hat, bekommen diese dann auch etwas, da-mit sie sich auch an diesem Geburtstag freuen können. Weihnachten feiern wir Jesu Geburtstag, und weil wir Jesus nicht mit einem Geschenk eine Freude machen können, schenken wir (als „Jesu kleine Geschwister“) uns in seinem Gedenken gegenseitig etwas.

Und die Adventszeit ist Zeit der Vorfreude auf Weih-nachten, Zeit der Fragen: Womit kann ich meinen Lie-ben eine Freude bereiten, und was wird Heiligabend für mich auf dem Gabentisch liegen? Ich kannte keinerlei Vorahnung, womit ich, der etwa Neunjährige, in die-sem Jahr (um 1952) bedacht werden sollte.

Eines Tages entdeckte ich auf dem Bücherschrank hin-ter der Bücherreihe einen Karton, der bis vor Kurzem nicht dort gestanden hatte. Mein Herz schlug schneller. Das könnte das vor mir versteckte Geschenk sein, ja, fast bin ich mir darinnen sicher, dass es das ist.

Ob ich wohl mal ...? Die Neugierde siegt. Kurz ent-schlossen steige ich auf den herbeigeholten Stuhl, hole das Paket herunter und nehme den Deckel ab.

Ich bin zutiefst erschrocken und beglückt zugleich. Erschrocken, weil ich ein Geheimnis gebrochen, zer-stört habe, und erfreut, weil in dem Paket für meine Vorstellungen ausgesprochen wunderschöne Kasper-theaterpuppen lagen, schöner und zahlreicher, als ich es mir hätte je erträumen können. Das Gefühl vor dem Öffnen des Paketes hatte mich also nicht getäuscht: es war das Geschenk, das für mich bestimmt war. Hastig schloss ich den Karton wieder und stellte ihn auf den alten Platz. Doch, nachdem ich meine Neugier befrie-digt hatte, fühlte ich, dass ich mich selbst betrogen hatte, dass ich mich um die große Weihnachtsfreude selbst gebracht hatte. Ja, dass ich meine Eltern, die mit einem sichtbaren Ausbruch der Freude gewiss rech-nen würden, enttäuschen müsste, ihnen die Freude am Freudebereiten unterkühlen, was sich wiederum in ih-rer künftigen Zuwendung auf mich negativ auswirken könnte. Und die Moral von der Geschicht’: Lüfte ein Geheimnis nicht!

Und so spielte ich am Heiligen Abend zunächst ein we-nig die Rolle des Überraschten, glücklich Beschenkten, doch, so vermute ich jedenfalls, wohl so dezent, dass

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Engel im Schnee

Ich erwache um 8 Uhr, es ist Sonntag. Alles ist still, meine Familie schläft noch. Schnell spring ich in mei-ne Hausschuhe und schaue aus dem Fenster: Herrlich, alles ist weiß draußen, so hell, dass es blendet!

Ich geh eine Treppe tiefer, füttere die Katzen, die sich schnurrend an meine Beine schmiegen und dann hinaus wollen. Ich öffne die Haustür, der Nachtwind hat den Schnee bis an die Türkante geweht, die Fuß-matte ist nicht mehr zu sehen und meine Katzen hin-terlassen erste Spuren im Schnee. Ich freue mich, jetzt fängt es wieder an zu schneien und ich beschließe, vor dem Frühstück eine kleine Runde durch den noch stil-len Morgen zu drehen.

Wenige Minuten später bin ich unten, dick und warm eingepackt, atme tief die schneeklare Luft und fege un-seren Gehweg bis zur Straße frei. Und dann zieh ich los.

Schnell raus aus dem Dorf über einen Feldweg bis an den Waldrand. Der Schnee knirscht bei jedem Schritt und ich bin die Erste, die den schneeweißen Teppich betritt. Meine schwarze Jeanshose, die ein krasser Kon-trast zum Schnee war, ist nun unten wie mit Puderzu-cker bestreut, meine grünen Stiefel versinken bei jedem Schritt mal mehr, mal weniger auf dem unebenen Weg.

es glaubwürdig wirkte. Und schließlich freute ich mich ja auch tatsächlich, nunmehr endlich in den Besitz der Handpuppen gekommen zu sein. Und zur (gespielten?) Freude aller Beteiligten konnte ich dann eine erste Kas-perpuppengeschichte aus dem Märchenalltag über die Wohnzimmertischaufbaubühne gehen lassen, wobei natürlich der Kasper die Hauptrolle spielte. „Tri – tra – trallala, das Geschenkefest ist wieder da!“

Johannes Anbau, Eisenach

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Wieder auf dem Feldweg angelangt, blicke ich über diese schöne schneebedeckte, makellose weiße Fläche. Der Wind der vergangenen Nacht hat feine Wellen da-rüber gelegt. Ich bin allein, niemand zu sehen. Soll ich? Ich bin fast fünfzig ... Schnell, bevor ich es mir anders überlege, geh ich in die Knie und lasse mich vorsichtig nach hinten fallen. Langsam bewege ich meine Arme von unten nach oben, so weit wie es geht. Langsam steh ich wieder auf und drehe mich um. JA! Eine Engels-figur ziert nun das Feld. Ich klopfe mir den Schnee von Hose und Jacke und betrachte meinen Engel. Einfach schön! Das Kind in mir lächelt.

Glücklich stapfe ich zurück in unser Dorf. Nun die vie-len unterschiedlichen Häuser mit ihren Vorgärten und Zäunen, mit ihren Schneeschiebern und Besen aller Ar-ten im Blick, die neben den Haustüren an den Wänden lehnen. Jetzt habe ich Lust auf ein gemütliches Früh-stück, einen heißen Kaffee, warme Semmeln, ein Ei. Nichts wie rein!

Monika Benetschik, bei Jena

Jetzt habe ich den Wald erreicht, ich höre die Roda rau-schen und halte mich links. Am Wegrand erkenne ich Spuren, von Kaninchen? An einer Stelle kreuzen sich zwei dieser Spuren. Ob die beiden Tiere einander be-gegnet sind, oder zeitlich versetzt ihre Spuren hinter-lassen haben? In meiner Vorstellung sehe ich sie, auf-recht sitzend, neugierig ihre Nasen aneinander reiben. Ist es nicht toll, was wir uns, nur so in Gedanken, in unser Kopfkino zaubern können?

Ein Vogel zwitschert, ich blicke hoch in die Bäume, kann ihn aber nicht entdecken. Sein Gesang begleitet mich weiter und ich kann mich satt sehen an diesem schneebedeckten Bachidyll. Angenehm still ist es jetzt, windstill, die Sonne hinter grauen schneegefüllten Wolken verborgen. Ich drehe mich um und wandere zurück, denselben Weg nun aus anderem Blickwinkel. Ich schaue auf meine Spuren und finde sie klein, dabei habe ich Schuhgröße 41. Wahrscheinlich liegt das an der unterschiedlichen Schneehöhe auf dem Weg, oder an der weiten weißen Fläche? Oder daran, dass es keine anderen Spuren zum Größenvergleich gibt?

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Eisige Zeiten

Die weihnachtliche Zeit ist in unseren Breitengraden mit der kalten und dunklen Zeit des Jahres verbunden. Vom eisigen Wind bewegt und von der Schneelast ge-beugt wirken die Tannen dennoch feierlich und stark.

Das Licht durchbricht die Dämmerung und weckt die erstarrten Zeiten zu lebendiger Hoffnung. Das Weih-nachtsgeschehen, die Geburt Christi, heißt Anbruch des Lichtes.

Nicht nur die Hirten von damals, auch wir heute wer-den von der Klarheit des Herrn umleuchtet.(Die Bibel: nach Lukas 2,9)

„Geöffneter Himmel“, Aquarell-Pastell,Sr. Christa Otto, Elbingerode

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Marias Bekenntnis

Allein schon der Fremde, der plötzlich in meinem Zim-mer stand: jederzeit hätte ihn jemand bei mir entdecken können, und mein einziges Kapital, mein guter Ruf, wäre dahin. Wie hätte ich’s Josef erklären können?

Steht also dieser fremde Mann im Zimmer, tut recht vertraulich, sagt „Holdselige“ zu mir. Das wäre Josef nie eingefallen. Das wünschte ich mir zwar einmal zu hören, aber doch nicht von einem Fremden. Dann fügt er gleich hinzu, ich sei „gebenedeit unter den Wei-bern“. Hat der eine Ahnung. Sie halten mich für jung und dumm, ich zähle nicht. Doch dann geschieht etwas Entsetzliches: er kündigt mir eine Schwangerschaft an. Von Josef als Vater ist nicht die Rede, aber von einer großen Zukunft meines Sohnes. Auf dem Stuhl von König David würde er sitzen, Sohn des Höchsten würden sie ihn nennen. Erst sprach ich kein Wort, aber dann habe ich schnippisch zu dem Mann gesagt: „Wie denn das? Ich habe mit keinem Mann derart zu tun, und von nichts kommt nichts.“

Der Fremde hat sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ein Heiliger Geist würde über mich kommen. Das Kind, das ich dann gebären würde, solle ich Jesus nennen, und es sei heilig. Da wurde mir merkwürdig zumute. Selbst wenn der Mann ein Verrückter wäre,

wie hat er mich gefunden? Denn dieses eine war immer in mir: die Sehnsucht nach dem Heiligen, nach Lebens-sinn und Geist und Zukunft mit Gott. Aber nun gleich Gottes Sohn bekommen? Das war nicht nur eine Num-mer zu groß für mich, das war Millionen Nummern zu groß.

Der Mann muss meinen Zweifel gespürt haben. Denn er berichtete, dass meine Freundin Elisabeth, bisher ungewollt kinderlos, auch schwanger sei. Nun wurde alles nachprüfbarer. Ich ging übers Gebirg, ich brauchte Gewissheit, ich besuchte Elisabeth, und sie war wirk-lich unübersehbar schwanger. Fasse es, wer kann: wir beide sind Auserwählte, der Mann war ein Bote Gottes, ein Engel.

Erst dort hat es mich so richtig gepackt, und der Freun-din konnte ich erzählen, was ich Josef bisher nicht sa-gen konnte. Ich war voller Begeisterung: „Von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder“, sagte ich, obwohl ich doch eigentlich sehr wenig wusste. Ich wür-de später alles Mögliche und sehr viel sein: die „Mutter der Armen“, ein Vorbild, eine Königin, die Heilige der Zigeuner, die Schutzmantelmadonna des Volkes. Aber das wusste ich damals nicht, und unerklärliche Ah-nungen bedrängten mich.

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Drei Monate blieb ich bei Elisabeth, bis ich mich auf den Heimweg traute. Zwar verstieß mich Josef nicht, denn auch er hatte die sonderbare Nachricht von mei-ner Schwangerschaft erhalten. Aber im fernen Rom hatte der mächtige Kaiser Augustus bestimmt, dass alle Welt geschätzt würde, damit er endlich einmal wüsste, wie viele Untertanen er hat. Wir machten uns also in Nazareth/Galiläa auf den Weg, denn Josef stammte aus dem jüdischen Land. Der Weg war lang und unbequem. Manchmal durfte ich auf dem Esel reiten, manchmal nicht. Mein Bauch war längst zu sehen, ich schleppte mich dahin. „Das geht den meisten Frauen so“, sagte Josef. Zeit für zärtliche Worte hatte er nicht, eigent-lich nie. Es galt, voranzukommen. Ich wurde immer erschöpfter. Sollte ich etwa den „Sohn des Höchsten“ auf der Landstraße bekommen? Das Kind würde über-leben, aber ich? Ging es nur um das Kind?

Wo Josef dann auch anklopfte, jedes Haus war überfüllt. Geht weiter, hieß es, das Boot ist voll beziehungsweise: wir haben nichts für euch übrig. Ich konnte ihre selbst-zufriedenen Spießer-Gesichter nicht mehr anschauen. Das passt nicht ins Bild von der frommen Maria, ich weiß. Es passt noch viel mehr nicht ins Bild. Denn ich konnte einfach nicht fassen, dass ich, ausgestattet mit so großen Verheißungen, wie ein überflüssiger alter Topf auf der Straße herumkugelte. Warum hatte Gott

uns keinen warmen Platz reserviert? Es kam mir wie Hohn vor, als endlich einer sich erbarmte und uns ein Stückchen Stall zuwies. Mein Kind sollte in einem Fut-tertrog liegen. Es gab keine saubere Wäsche. In einer Ecke stand ein Fass voll Wasser. Als ich Josef schlafend glaubte, wollte ich meinen Kopf tief hineinstecken. Ich hatte genug vom Leben, von den Versprechungen, von der ganzen Auserwähltheit. Ich, gebenedeit unter den Weibern? Nicht, dass ich wüsste.

Josef hat mich vom Fass gezogen, dann kamen schon die Wehen. Die Wärme der Tiere wurde zu meiner Wärme. Als das Kind sich durchgekämpft hatte, wurde es hell in meiner Seele und hell im Stall. Eine nie zuvor erlebte Freude breitete sich in mir aus. Gott hat sich uns geschenkt, uns allen, auch mir, in Gestalt meines Kin-des. Wie hatte ich nur an ihm zweifeln können?

Ich, Miriam von Nazareth, 14 Jahre alt, habe Jesus ge-boren, und Jesus heißt „Gott ist Rettung“.

Erika Ruckdäschel, Neuendettelsau

Weihnachtszeit

Es kommt eine Zeit,da duftet es nach Plätzchen,da riecht es nach Kerzen,da riecht es gut nach Weihnachten.

Es kommt eine Zeit,da hört man die Engel singen,da höre ich die Glöckchen klingeln,da hört man den Schnee rieseln.

Es kommt eine Zeit,da erleuchtet das Kerzenlichtda sehe ich ganz viele Weihnachtsmänner,da sieht man Engel.

Es kommt eine Zeit,die sich anfühlt wie Weihnachten.

Neele Unrau, Wolfenbüttel

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Späte Annäherung

Der Weg führt an einer Mauer entlang durch Niemands-land. Er ist nicht im Stadtplan verzeichnet; vielleicht wegen des Naturschutzgebietes, vielleicht, weil sich niemand Unbefugtes der Garnison nähern soll.

Es wird immer schlammiger, ich muss ins Gras auswei-chen. Ein Fasan flieht durchs Gebüsch.

Ich steige auf alte Kisten, die an einer Stelle der weiß-getünchten Mauer aufeinandergetürmt sind und blicke hinüber auf graue Baracken und Garagen, grüne Last-wagen, Exerzierplätze, Kasernen, Wohnhäuser.

Kein Mensch ist zu sehen. Krähen fliegen in Scharen auf und sammeln sich in kahlen Baumkronen.

Drei Jahre ist Deutschland wieder vereint und hier ist immer noch eine Grenze. Eine bewachte Grenze, denn es hatte Feindseligkeiten zwischen Deutschen und Rus-sen gegeben.

Irgendwo bellen Hunde. Ich gehe weiter, vorbei an Betonteilen, ausgebrannten gepanzerten Fahrzeugen, Kanistern, Stacheldrahtrollen. Briefe liegen verstreut, Postkarten: Daragie Igor, Towaritschi... Sowjetischer Müll, ostdeutscher und westdeutscher: Trabbiwracks,

Kartons voller Werbezettel für den Weihnachtsmarkt, Uniformjacken, Matratzen, Farbbüchsen, Tonbandspu-len, Akkus, ein Schweinskopf...

Neben einem schief in den Angeln hängenden, mit ei-ner Kette verschlossenen Tor stehen zwei Soldaten. Sie halten Gewehre in den Händen, und vor der Brust bau-meln ihnen Dolche.

Straßtwuidje. Sie grüßen zurück. Ich lächle verlegen, weil ich nichts zu sagen weiß, trotz langen Russisch-unterrichts.

Wie hieß gleich das russische Neujahrsfest?

Die beiden Posten lächeln auch.

Auf einmal sind Sprachkenntnisse parat, aus dem ers-ten Lehrbuch Russki jasyk: Wie heißt du, wo wohnst du, wie alt bist du, das Wetter ist schlecht.

Wasja fragt, ob ich was zu rauchen hätte. Njet.

Alexander sagt, dass sie lange hier stehen.

Wir verabreden uns für zwei Stunden später.

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Auf dem Heimweg fallen mir Russischstunden ein, Lehrerinnen und Lehrer mit unterschiedlicher Ausspra-che, unbegreifliche Deklinationen, gehasste Lektionen: Leninmausoleum, Allunionsausstellung, eto traktor, eto awtomaschina.

Noch einmal von vorn beginnen können: verstehendes Hören. Schüleraustausch zwischen Kaliningrad und Dresden.

Im Halbmondlicht ist der Weg zu Wasja und Alexander gefährlich. Es gibt offene Kanalschächte und Gullys, Drahtschlingen und den Schweinskopf, über den ich nicht stolpern möchte.

Außer dem Päckchen mit Schokolade und Zigaretten hätte ich eine Taschenlampe mitnehmen sollen.

Dafür bin ich heller im Kopf als vorher: Kurze Nachhil-fe einer Freundin, deren Russischunterricht noch nicht so lange zurückliegt. Roschdestwo heißt Weihnachten, von roschdenie, Geburt, was natürlich in meinem Wör-terbuch von früher nicht steht.

Niemand wacht mehr neben dem Tor.

Ich rufe. Und mit einem Stein schlage ich gegen das Eisen. Es dröhnt laut in der Stille.

Durch einen Spalt sehe ich, wie zwei Soldaten mit ge-schultertem Gewehr über den Hof kommen.

Wasja, rufe ich, und mir wird mit meinem Namen geantwortet, wie bei einer Verschwörung. Sie öffnen das Tor. Ich übergebe das Päckchen, sage Roschdes-two und Present. Sie nicken lachend. Wasja stößt Alexander an, und der greift in seine Brusttasche und holt ein Abzeichen heraus. Goldenes Eichenlaub um-kränzt den roten Sowjetstern mit Hammer und Sichel.

Ich bedanke mich herzlich für die Gabe, ohne recht zu wissen, wie sie gemeint ist.

Die Freundschaft zur Sowjetunion ist nicht mehr „Richtschnur unseres Lebens“. Ostdeutschland gehört zu Westdeutschland.

Aber Wasja und Alexander wissen noch nicht, wann sie nach Hause auf die Krim zurück können. Und morgen ist Weihnachten.

Auf meinem morastigen Heimweg spüre ich in der Manteltasche den Stern.

Aus Christoph Kuhn: Tatjanas Zimmer, Erzählungen.Verlag Sankt Michaelsbund, München

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In der Kirchengemeinde, in der ich aufgewachsen bin, kannte man keine Tradition des Krippenspiels. Dafür aber gab es am Heiligen Abend, bevor der eigentliche Gottesdienst begann, das „Kindersingen“.

Normalerweise gingen die Grundschulkinder nach dem Sonntagsgottesdienst, während die Erwachsenen ihren Schwatz hielten, für vielleicht 20 Minuten zum „Kin-derunterricht“, wo sie in der Regel das Evangelium des Sonntags noch einmal kindgerecht erzählt und erklärt bekamen. An den Adventssonntagen aber fiel der Kin-derunterricht aus. Stattdessen waren alle Kinder von sechs bis zehn Jahren, „die am Heiligabend mitsingen wollen“, wie es immer hieß, auf die Empore eingela-den, wo der Chorleiter Extraproben für den Heiligen Abend hielt.

Ich selbst habe für mein späteres Chorsingen in die-sem Weihnachtskinderchor die ersten Erfahrungen ge-sammelt. Viermal werde ich wohl dabei gewesen sein und in meiner Erinnerung war unser Programm immer gleich. Zu Beginn wurde die Weihnachtsgeschichte des Lukas vorgelesen. Dann waren wir an der Reihe. Wir sangen „Stille Nacht, heilige Nacht“ als erstes Lied, denn das Weihnachtswunder hatte ja in der Stille der Nacht begonnen. Dann war diese Stille jäh zerrissen

worden durch den plötzlichen Auftritt des Engels mit seiner Botschaft: „Siehe, ich verkündige euch eine große Freude!“ So war es folgerichtig, an zweiter Stelle „Vom Himmel hoch da komm ich her“ zu sin-gen (vier Strophen, nämlich nach der ersten „Euch ist ein Kindlein heut‘ gebor‘n“, „Es ist der Herr Christ, unser Gott“ und „Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron“). Und was hatten die Hirten nach dem Lobge-sang der Engel als nächstes getan? Sie waren aufge-brochen und nach Bethlehem zum Stall gekommen. Was lag also näher, als uns ihnen in der Vorstellung anzuschließen? Folglich sangen wir: „Ihr Kinderlein kommet“ (wiederum vier Strophen, nämlich nach der ersten „O, seht in der Krippe im nächtlichen Stall“, „Da liegt es ihr Kinder auf Heu und auf Stroh“ und „O, beugt wie die Hirten anbetend die Knie“). Dass man schließlich, von der Krippe zurückkehrend, „O du fröhliche“ mit seinen drei Strophen singen musste, ver-steht sich fast von selbst. Erst danach kam der „große“ Kinderchor der 10- bis 13-jährigen an die Reihe und zuletzt der Erwachsenenchor.

Unsere vier Lieder mussten wir nicht nur einüben, sondern vor allem auch auswendig lernen, denn den Dirigenten anzusehen, war viel wichtiger, als sich in irgendwelchen Notenblättern zu verlieren, zumal wenn

Eine musikalische Dramaturgie der Weihnachtsgeschichte

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man gerade erst dabei war, das Buchstabenlesen zu ler-nen. So haben wir also insgesamt vierzehn Strophen gelernt und dann auswendig vorgetragen.

Wenn ich mich heute, nach vielen Weihnachtsfesten mit ungezählten Gottesdiensten unterschiedlichster Form und mit zahlreichen neueren Weihnachtsliedern, an diese Heiligabende meiner Kindheit erinnere, dann kommt mir in den Sinn, was wir damals beim Einstu-dieren jener schlichten alten Lieder nebenbei so alles gelernt haben. Zum Beispiel, dass es „O du fröhliche, o du selige“ heißt und nicht etwa: „O du fröhlige, o du seliche“. Oder dass Martin Luther gedichtet hat: „Das soll euer Freud‘ und Wonne sein“ und nicht: „Das soll euer Freund und Wonne sein“, wie es uns zunächst na-heliegend erschien. Oder was das Wörtchen „Mär“ zu bedeuten hat. Daneben natürlich auch, wie wichtig es ist, die Töne zu treffen und sich nach dem Dirigenten zu richten.

Das Wichtigste freilich, was uns überhaupt antrieb, war der Zauber der Weihnacht, der über all dem lag. Dieser Zauber, den man wohl nur in der Kindheit erleben kann und der als Erinnerung doch ein Schatz für das ganze Leben und all seine Weihnachtsfeste ist.

Eberhard Schulz, Halle (Saale)

Advent

Erinnerung,Hoffnung,Sehnsuchtlockenverführerisch durch diese Zeitheim,ganz langsam heim.

Antje Deike, Halberstadt

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willkommen

angekommen im lebengehalten von der liebedeiner elterngeborgenin gottes ja

möge der sanfte friede des neubeginnsder über der geburt jeden kindes schwebtals glückliches lächelnunsere gesichter erleuchtenals wärmende freudeunsere herzen erfüllenund als beschenkte geberunsere hände öffnen

Texte und Grafik (Enkaustik*): Petra Ng‘uni,Schleusingen (S. 28/29)

*Enkaustik ist eine Maltechnik, bei der in Wachs gebundene Farbpigmente heiß auf den Maluntergrund aufgetragen werden.

ein-verstanden-sein

was warund wie es gewesen istwas istund wie es jetzt istwas wirdund wie es sein wird

alles ist gut

in der nachtin die du kommstin jeder nachtin der du ankommstin dieser nachtin der ich ankomme

ist alles gut

wo du ankommstbei mirwo ich ankomme bei mirwo ich ankomme bei dir

formt sichein ja

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Die Geschichte vom Nähkästlein

Gleichmäßig langsam bewegen sich die Räder des Roll-stuhls auf dem holprigen Pflaster. Ich schiebe Mutter seit über zwei Jahren fast täglich durch die Innenstadt Erfurts. Es gibt bei diesen Ausflügen immer viel zu sehen. Manchmal kommen Besucher aus Mutters Hei-mat. Da lassen wir uns natürlich einen kurzen Plausch im original Thüringer-Wald-Dialekt nicht entgehen.

Der Park an der Gera erscheint schon lange spätherbst-lich. Wie im Traum kann man jetzt hier die Farbsprit-zer der Natur ganz nah wahrnehmen; das Azurblau des Himmels konkurriert eifrig mit den leuchtenden Farben der Blätter, welche den Boden sacht bedecken. Für einen Moment lugt die Sonne hinter der dunklen Wolke hervor und wirft lange kühle Schatten auf den Fahrweg. Wir laufen jetzt hurtig mit diesen magischen Himmelserscheinungen um die Wette. Als zarter Regen ergießen sich die langsam absterbenden Blütenrispen der Goldrute entlang unseres Weges. Ein hundertstim-miges Konzert erhebt sich plötzlich von der nahen Wie-se jubilierend in die Lüfte.

„Die Vögel ziehen nach dem Süden, die Blätter fallen stets, die müden“. Nun ist es nicht mehr weit, bis der brausende Herbstwind auch hier alle Bäume leergefegt hat und die Natur beim ersten Frost zu schlafen beginnt. Mutter und ich sprechen jetzt oft im Seniorenzentrum

Andreashof über diese eisigen, stürmischen Monate, die wir Jahrzehnte in der Bergwelt Thüringens erlebt haben.

„Der dunkle Wald umrauscht den Wiesengrund, gar düster liegt der graue Berg dahinter. Das dürre Laub, der Windhauch gibt es kund, geschritten kommt all-mählich schon der Winter.“ Als mächtiger Riese stürzte sich über Nacht Väterchen Frost gnadenlos auf unser kleines Bergdorf. Fast täglich begann jetzt zeitig in der Früh an allen Ecken des Ortes das große Schaufeln, be-vor wir Kinder hinter den meterhohen Schneemauern aus Türen und Fenstern der kleinen Schieferhäuser lu-gen konnten. Der alte Lastkraftwagen mit vorgespann-tem Schneeschieber schaffte es nicht alleine, diese Un-mengen an Weiß wegzuräumen. Meine Oma Ida aus Stelzen musste wegen der schlechten Fahrbedingungen auf einem großen Schlitten abgeholt werden, denn der Heiligabend nahte. Laut schnaufend erkämpften sich die stämmigen Forstpferde ihren Weg durch gewaltige Schneewehen über die Höhen des Thüringer Waldes.

„Markt und Straßen stehn verlassen, still erleuchtet je-des Haus, sinnend geh ich durch die Gassen; alles sieht so festlich aus. An den Fenstern haben Frauen buntes Spielzeug fromm geschmückt, tausend Kindlein stehn und schauen, sind so wunderstill beglückt.“

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Wie jedes Jahr putzte unsere Mutter am 24. Dezember bis zur letzten Minute vor der Bescherung die Woh-nung. Nach langem Warten kam dann für mich endlich der erlösende Ausruf von Papa: „Regina, du kannst jetzt kommen!“ Mit klopfendem Herzen schlüpfte ich eilig in das gerüschte Kittelschürzchen und stürzte ge-meinsam mit meiner Freundin Ilona durch den langen Innenflur ins festlich erstrahlende Wohnzimmer. Neben dem großen Doppelfenster waren alle Heimlichkeiten im Kerzenschein des Weihnachtsbaumes wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Meine Augen haben geleuchtet, als sie das ersehnte Weihnachtsgeschenk erblickten. So sehr hatte ich es mir doch gewünscht.

Ein großer Traum ist an diesem Weihnachtsabend in Er-füllung gegangen. Da stand es nun vor mir, mein blaues, mit bunten Blumenranken bemaltes Nähkästlein. Mit ihm verbrachte ich von nun an viele glückliche Stunden im Nähzimmer unserer Schneiderin Hartwig. Ich saß dabei brav auf dem Sofa und die Augen folgten ständig der Nadel, von der ein überlanger seidener Faden he-runterhing. Meine gestrenge Lehrmeisterin registrierte genau, wenn ich manchmal doch der Versuchung nach-gab und einen heimlichen Blick auf die Rückseite des Stoffes warf. Mit jedem Stich, mit dem ich vorne dem Ziel näher kam, wurde oftmals die Rückseite undurch-sichtiger, da sich der Faden immer verhedderte. „Lange Fädchen, faule Mädchen“, ermahnte Frau Hartwig und begann umgehend das Stickwerk wieder aufzutrennen,

wenn es nicht ihren Vorstellungen entsprach. Nach und nach kam die Routine; mit großer Freude fertig-te ich nun Unmengen perlenbestickter Samtkissen und Deckchen für meine kleine Puppenstube. Alle nötigen Utensilien lagen fein geordnet in den Fächern meines Nähkästleins zwischen Fingerhut und Stricklieserl.

Die Puppenstube entdeckte ich kürzlich beim Aufräu-men der Bodenkammer wieder. Einem beiliegenden Zeitungsausschnitt zufolge hatte vor 30 Jahren Mutti diese in einem Karton sicher verpackt.

Die Kindheit ging dahin! Später fristeten Nähkäst-lein, Stickgarne, Nadeln, Fingerhut und Stricklieserl ein langes, trauriges Dasein im dunklen Boden, bis zu dem Tag, an dem von mir ihre kleine Geschichte auf-geschrieben wurde. Das einstige Weihnachtsgeschenk, mein Nähkästlein, habe ich nun wieder ins Leben zu-rückgeholt. Es wird restauriert und erhält jetzt einen gebührenden Platz bei uns zu Hause. Und wenn am Heiligabend weihnachtliche Lieder die Herzen der Menschen erreichen, dann wird auch das alte Holzkäst-lein im einstigen Glanz erstrahlen und mit uns gemein-sam die jahrtausendalte Geschichte von der Geburt Christi hören. Alle Jahre wieder begegnet sie uns aufs Neue: „Welt ging verloren – Christ ward geboren“

Regina Holzhey, Erfurt

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Der Engel in der dritten Reihe

Wieder einmal fuhren wir kurz vor Weihnachten von Thüringen aus ins „Ländle“, nach Baden-Württemberg. In der Familie der Tochter gab es am 24. Dezember viel zu organisieren. Wir, die Großeltern, waren eingeteilt, mit den beiden Mädchen zum musikalischen Krippen-spiel in eine Innenstadtkirche zu gehen. Die Probe be-gann bereits 15.00 Uhr. Wir konnten gute Plätze in der dritten Reihe einnehmen. Die bereits kostümierten Mit-wirkenden drängten sich im Altarraum.

Besonders ins Auge fielen die zahlreichen kleinen Mädchen des „Spatzenchores“, als Engel verkleidet. Da gab es aufregende Kreationen zu bewundern, echte Federflügel, glitzernden Kopfschmuck und Engel, die mehr der Biene Maja ähnelten. Unsere 5-jährige Magdalene sang als Engel im „Spatzenchor“, während ihre ältere Schwester – in Ermangelung eines geeig-neten Jungen – den Josef darstellte.

Endlich hatte der junge Kantor Ruhe in die Menge ge-bracht, die Probe begann. Der Chorgesang klappte gut, auch die Solisteneinsätze kamen an der richtigen Stelle. Bis zum Beginn des Gottesdienstes blieb noch Zeit, und

Magdalene saß bei uns. Inzwischen füllte sich die Kir-che bis auf den letzten Platz. Die Krippenspielteilneh-mer strömten nach vorn, nur Magdalene nicht. Ob sie die vielen Leute ängstigten? Alles Zureden half nichts. Sie blieb auf dem Schoß der Oma sitzen und meinte, sie könne ja auch von diesem Platz aus mitsingen. Und tatsächlich war bei den Chören ab und zu ein dünnes Kinderstimmchen aus der dritten Reihe zu hören.

Nach dem Ende der Christvesper gibt es jedes Mal für die mitwirkenden Kinder ein kleines Geschenk, so auch in diesem Jahr. Magdalene zog es zur Geschenkaustei-lung. Nach einiger Zeit kam sie weinend zurück. Ich ahnte, was geschehen war. Nicht der gutmütige Kantor, sondern die ältere Schwester hatte sie zurückgedrängt nach dem Motto: „Nicht gesungen, kein Geschenk!“ Jetzt trat die Oma auf den Plan, verwarnte die Schwes-ter, und Magdalene konnte ihre Gabe entgegennehmen. Der umfassenden Weihnachtsfreude stand nun nichts mehr im Wege.

Heide Schödl, Sondershausen

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Macht hoch die Tür, die Tor macht weit

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ steht nicht nur als erstes Adventslied in unserem Gesangbuch, sondern dieser Liedanfang verziert schwungvoll als Band den Adventskalender „Adventspforte“ des Frei-berger Künstlers Helmut Rudolph. Unschwer sind da-bei seine Bezüge zur Goldenen Pforte im Freiberger Dom St. Marien zu erkennen.

Der Maler und Grafiker Helmut Rudolph (1906–1981) gestaltete seit den 50er Jahren 26 Motive für Advents-kalender, die im Wartburg-Verlag Max Kessler erschie-nen. In manchen Familien wurden diese Adventskalen-der gesammelt, da sie eine anspruchsvolle Kostbarkeit mit ihrer biblischen Botschaft und dem erweiterten Heimatbezug darstellen. Diese Kalender mit Themen wie: „Adventskranz“, „Adventsorgel“, „Adventsstall“, „Adventsdorf“ und „Adventsdom“, werden sicherlich manchem älteren Menschen noch in Erinnerung sein. Heute erfreuen sich vielleicht die Enkel daran und es könnte eine ähnliche Geschichte entstehen, wie ich sie manchmal aus meiner Erinnerung erzähle:

Vor einigen Jahrzehnten lernte ich Helmut Rudolph in seinem Freiberger Haus kennen, als ich meine Freundin Gundi zum Weihnachtskartenkauf begleitete. Nicht nur die eigenwillige Gestaltung seiner Karten beeindruckte mich, sondern auch das freundliche Ehepaar Rudolph

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mit seinem feinsinnigen Umgang mit Besuchern. Eine Adventsstimmung der anderen Art nahm ich wahr. Die Karten bedeuteten mir viel. Sie gingen als Geschenk an Freunde, meist als Freiberger Gruß in die Bundesrepu-blik. So ging ich mit „Vorfreude, schönste Freude“ über viele Jahre zu ihm zum Weihnachtskartenkauf.

Durch meine Besuche bei Helmut Rudolph erfuhr ich von seinen Adventskalendern, die nur über Schreibwa-rengeschäfte zu erhalten waren. In Freiberg erstand ich in einem einzigen Geschäft diesen Kalender. Das be-deutete, ab Herbst regelmäßig nach dem Erscheinen zu fragen und gespannt abzuwarten, welchem Thema sich Helmut Rudolph diesmal gewidmet hatte.

Meine Erinnerungen an die Persönlichkeit Helmut Ru-dolphs, an den korrekt wirkenden weißhaarigen Herrn mit aufrechtem Gang und seine künstlerischen Arbei-ten, kommen immer wieder einmal in meine Gegen-wart. Das sind schöne Augenblicke des Innehaltens! Meist beim Auspacken der Weihnachtskisten, beim Erhalt eines Überraschungsbriefes von einem freund-lichen Menschen oder beim Lesen unserer Kirchenzei-tung für Mitteldeutschland „Glaube und Heimat“.

Petra Hinske, Masserberg-Einsiedel

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Schluss mit Herausforderungen

Es stört mich schon seit Jahren: das Wort Herausforde-rung; jedenfalls wenn es zu oft und zu billig oder völlig deplaziert angewandt wird.

„Tja, diese Herausforderung müssen Sie annehmen, Frau Rösch!“ Noch schlimmer: „sich ihr stellen müs-sen“. Bin ich denn der erwischte Täter? Und wem ge-genüber sollte ich mich (auf)stellen? Und was wird sich dann herausstellen? Und dann haben meine Kin-der auch noch „herausforderndes Verhalten“, wenn sie einfach mal frech sind oder müde oder an Menschen geraten, die sie nicht immer liebevoll und gut führen können.

„Weihnachten wird doch Jahr für Jahr eine größere Herausforderung, findest Du nicht auch?“, fragte mich gestern eine Kollegin. Ich erahne ihre Situation und vor allem, dass sie den Dienstplan mit zwei Langzeit- erkrankten über die Feiertage absichern muss. Und wenn sie das hinkriegt, dann wird sie am 24. Dezem-ber nach Dienstschluss abhauen, am späten Nachmit-tag noch ins Auto steigen und mit dem Liebsten und den Skiern in ein schneesicheres Gebiet fahren: schöne Herausforderung.

Nicht diese, aber andere Forderungen gibt’s bei mir auch. Kaum ist nämlich Erntedank vorbei und die braun-rot gemusterten Kastanienservietten sind aufge-braucht, da beginnen Jahr für Jahr die Durchhaltepa-rolen. „Jetzt wird’s noch mal ein straffer Herbst. Aber im Advent machen wir es uns ganz gemütlich. Und in den Weihnachtstagen gibt’s keinen Stress, dieses Jahr. Versprochen!“

Ich lass mich davon herausfordern und versuche, ver-nünftig und zeitig alles zu organisieren. Allerdings: Meine Schwestern wissen noch nicht, wann sie im Dezember mal Zeit haben und wir uns gemeinsam bei den alten Eltern treffen können. Eine Freundin schreibt Anfang Oktober zurück, dass sie leider keinen Freitag-abend im Advent mehr frei habe.

„Lass uns doch lieber später zwischen Weihnachten und Neujahr einen Abend ausmachen“, meinen mei-ne Arztfreunde. „Da haben wir nur Bereitschaft und die Praxis ist zu.“ Klar, weiß ich ja noch vom letz-ten Mal: Es war natürlich ein medizinischer Notfall nach der Vorsuppe und ein weiterer Hausbesuch nach dem Hauptgang zu „versorgen“. Aber immerhin: zum

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Friedenslicht

Weihnachten, wie ich‘s noch nie erlebte,bis auf‘s Tiefste mein Herz erbebteob der großen heiligen Nacht,da Christus uns das Licht gebracht.

Der Friede ist zu uns gekommen,ach hätten wir Menschen ihn angenommen.Doch immer noch gibt es Kriegsgeschrei,der Heiland ist dort nicht dabei.

Christus zu uns Sündern kam,alles Herzleid auf sich nahm.Er ist bei Menschen, die Frieden halten,dort läßt er Gnad‘ und Güte walten.

Rosemarie Stammberger, Hildburghausen;geschrieben 1949nach der Christmette in Lodersleben (Querfurt)

Mitternachtsespresso waren wir alle wieder komplett in meiner Weihnachtsstube. Das müsste doch eigentlich besser hinzukriegen sein, denk ich mal wieder.

Und so mach ich aus der Herausforderung eine He-reinforderung. Ich werde mich nicht heraus-, sondern hereinfordern lassen. Ich mache es in diesem Jahr wie in der Weihnachtsgeschichte, nur besser. Zigmal habe ich es selbst mitgespielt oder später in meinen Gemeinden mit Kindern und Erwachsenen einstudiert: „Ruhe da draußen. Was wollt ihr denn? Keine Zeit! Und hier ist auch kein Platz für euch, tut mir leid ...“ In allen Varianten sagen das der Wirt oder die Wirtin in Bethlehem.

Nein, ich werde die jungen werdenden Eltern keines-falls abweisen, wenn sie vor meiner Herberge ste-hen. Und erst recht nicht das Christkind. Ich werde es hereinfordern und dann öffne ich meine Herzenstür einladend weit. Und sollte mich jemand bitten zu Be-such zu kommen, dann lass ich mich gern hereinfor-dern. Und bring die Weihnachtsgeschichte mit und Zeit.

Eine frohe Advents- und Weihnachtszeit mit überra-schenden und anstrengungslosen Hereinforderungen wünscht

Christine Rösch, Eisenach

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Der Weg zum Friedhof war so tief verschneit, dass kein Schneepflug durchkam. So rief unser Pfarrer im näch-sten Gottesdienst auf, beim Freischaufeln des Weges mitzuhelfen. Der Anblick von damals treibt mir heu-te noch die Tränen in die Augen und ich werde dieses Bild nie mehr vergessen: Da standen 30 Männer vom Dorf in bitterer Kälte und schaufelten den Weg zum Friedhof frei. Mich hat das als damals 17-jährige sehr bewegt und Weihnachten bekam wieder einen ganz tie-fen Sinn, in meinem traurigen Herzen spürte ich einen tiefen Frieden.

Wir sollten nachdenken und fragen, warum wir eigent-lich Weihnachten feiern und ob vielleicht jemand unse-re Hilfe braucht?

Bettina Ludwig, Gotha

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Am Heiligen Abend 1981

Nie werde ich den Heiligen Abend 1981 vergessen, Schneeberge türmten sich so hoch, dass man die Gar-tenzäune darunter nur noch erahnen konnte. Unser Haus lag tief verschneit eingebettet in einer märchen-haften Winterlandschaft.

Unsere Familie war wie jedes Jahr zusammen gekom-men, um nach dem Gottesdienst gemeinsam zu essen und sich zu beschenken. Es war ein fröhliches Mit- einander und nie hätten wir uns vorstellen können, dass dieser Abend so endet. Ich merkte, dass es unserem Vater nicht gut ging, kurz darauf brach er in der Diele zusammen. Es gab keine Rettung mehr und auch der herbeigerufene Notarzt konnte nichts mehr tun. Es war, als würde uns der Schmerz zerreißen. Der Verstand sagte uns, dass unser Vater nicht mehr lebt, aber das Herz nicht.

In dieser Nacht leuchtete der Herrnhuter Stern in un-serem Fenster bis zum nächsten Morgen. Unsere Her-zen waren voll Trauer und Verzweiflung, gleichzeitig haben wir viel Hilfe von lieben Menschen erlebt, viel Trost und Kraft durch das Gebet und den Glauben an Gott. Die Nachricht sprach sich im Dorf schnell herum und die Betroffenheit war groß; als immer fröhlicher Schuhmachermeister war mein Vater überall beliebt.

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Durchgedreht

Die Weihnachts-Pyramide auf unserem Tisch benimmt sich doch etwas absonderlich: Sie singt! Und ich höre es deutlich, wenn sieerst einmal in Schwung ist, erklingen, immer und immer wieder die ersten drei Töne von„Wiener Blut“.

Jede andere Pyramide dreht schweigend vor sich hin. Die Heilige Familie mit den Königenim Kreise, als wären sie schon auf der Fluchtvor Herodes, mal schnell, mal langsamer, ganznach der Kraft der Kerzen. Ebenso die Hirtenmit ihren Schafen, die rückwärts drehen, undganz oben die Engel mit ihren Instrumenten.

Aber wer sagt denn, dass sie das falsche Liedspielt? Vielleicht hat Petrus, nachdem er einige hundertausendmal „O du fröhliche“ und„Ich steh an deiner Krippe hier“ und „Lasst uns das Kindlein wiegen“ und „Großer Gott, wir loben dich“ und all die anderen Lieder mit seinenhimmlischen Chören gesungen hat, einfach maletwas anderes aufgelegt und angestimmt im Takt des Walzers: „Wiener Blut…“?!

Martin Steiger, Weimar

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Weihnachtsworte

Es wird Weihnachten. Wir entdeckenwieder den Stift, das Papier, den Briefumschlag, die Briefmarke,den Briefkasten. Wir entdecken wieder das Wort, das wireinander schreiben wollen als das kostbare Geschenk. Was bedeutender Ring oder das Kleid gegenüber solchen Worten wie„ich habe dich lieb“ und „weißt du, wie oft ich an dich denke?“Keine leeren Worte, die Weihnachtsworte, denn so unverfälschtmachen sie sich nur einmal im Jahr aus vollen, weit geöffneten Herzenauf den Weg zu dir, zu mir .. .

Orla Danz, Mühlhausen

Fröhliche Weihnachten

Auf einmal waren die Hirten von unzähligen Engeln umgeben, die lobten Gott: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen ...“Aus der Guten Nachricht nach Lukas 2,13+14

Müde stapfte er davon. Weihnachten war das Schlimms-te. Immer fand er ein stilles Plätzchen in dieser verfal-lenden Kirche. Immer war sie leer. Nur Weihnachten nicht. Da kamen sie alle. Zuerst stopften sich alle in die alten Holzbänke hinein. Anschließend stopften sich alle wieder durch den spärlich beleuchteten Ausgang hinaus. Schließlich stopften sie den Weihnachtsbraten in sich hinein. Deshalb konnte er ausgerechnet Weih-nachten nicht seinen Lieblingsaufwärmplatz nutzen. Eine Veranstaltung folgte der anderen. Lange musste er frieren. Schließlich war auch die Mitternachtsmette vorbei. Jetzt hatte er die Kirche bis zum Morgengot-tesdienst für sich. Zum Ausgleich für das lange Frieren war sie heute besonders warm. Bald dämmerte er in ei-nen tiefen Schlaf hinüber.

*Müde stapfte er herein. Weihnachten war das Schlimms-te. Fünf Gottesdienste an einem einzigen Nachmittag. Mehr Hände geschüttelt als sonst ein ganzes Jahr. Zahl-lose leere Wünsche ausgetauscht. Und schon wieder

auf den Beinen zum Morgengottesdienst. Fassungslos nahm seine Nase den Alkoholgeruch wahr. Fassungs-los stierten seine müden Augen auf den schnarchenden Bettler. Fassungslos schaute er auf die vom Alkohol durchtränkte Weihnachtskrippe.

Sakrileg. Entweihung. Und in einer Stunde Weih-nachts-Fest-Gottesdienst. Unschöne Gedanken jagten durch sein Hirn. Da bewegte sich der große geschnitzte Engel über dem Altar und die Kirche erdröhnte: „Frie-de für alle Menschen. Damit ehrt ihr Gott!“

Der Bettler und der Pfarrer zuckten zusammen. Wer hatte geschlafen? Wer hatte gewacht? Der Pfarrer hörte sich sagen: „Friede sei mit dir, mein Bruder.“ Und der Bettler murmelte: „Und Friede mit dir. Ich werde ein bisschen beim Aufräumen helfen, wenn‘s recht ist.“

Da schallte der Klang des alten Liedes, der fromme Wunsch der Engel, noch einmal mächtig durch die Kir-che: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen!“

Thomas Günzel, Bad Blankenburg

*

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Zeit zum Warten

Für meinen Mann und mich ist es Tradition geworden, im Laufe des Jahres, bei Erkundungen in Thüringen oder im Urlaub ein geeignetes Fotomotiv für unsere Weihnachtspost zu suchen. Dazu schreiben wir eine kleine Meditation und Gedanken, die sich für uns da-mit verbinden. Bild und Text verschicken wir dann mit dem Weihnachtsrundbrief an die Familie und Freunde.So berührt uns schon das Jahr über die Stimmung der Erwartung im Advent und es wird leise und still im Herzen.

In diesem Jahr ist es ein farbenfroher Briefkasten, der unser Augenmerk bekommt. Wir haben ihn bei einem Spaziergang in der Gegend bei Einbeck/Niedersachsen entdeckt: Willkommen(s)-Post. Die runde Form, grün als hoffnungsvolle Grundfarbe, die goldene Blätter-ranke rundum, Blume, Schmetterling und Haltering machen Lust, schöne Post einzuwerfen und auch Lust, in den Kasten zu sehen, ob sich ein persönlicher Brief oder eine Karte darin findet. Hätte ich nur auch so einen schönen Briefkasten!

Advent und Weihnachten ist die Zeit, wo die Menschen vermutlich die meisten Briefe mit der Hand schreiben und auch selbst erhalten, neben den Geburtstagen. Per-sönlich muss es ein, fantasievoll, farbenfroh und mit Sinn!

Im Advent warte ich auf Post, sehnsuchtsvoll. Jeden Tag sehe ich in den Briefkasten, ob ein Brief kommt. Dieses lange Warten kenne ich nur im Advent. Die Fenster und die Wohnung werden jeden Tag ein wenig mehr geschmückt. Advent ist auch die Zeit der Erinne-rung. Als unser Sohn noch klein war. Weihnachtsbas-teleien. Plätzchenbacken. Als ich selbst noch ein Kind war. Mir die Welt groß und geheimnisvoll schien.

Jetzt mit 50 Jahren warte ich auch noch. Auf Post im Advent. Persönliche Grüße und ein paar Worte wie das Jahr verlaufen ist, von denen, die ich nicht so oft sehe. Einen tiefen Sinn finde ich im Warten. Corrie ten Boom sagt: „Du verlierst keine Zeit, wenn du auf Gott war-test.“ Für mich ist es wichtig, tief in mir drinnen einen Platz frei zu halten für Gott, der an Weihnachten als Kind in die Welt kam. Ein Platz der mir Raum schafft für Gottes Nähe, der meinem Warten Sinn gibt.

Gabriele Schmidt, Eisenach

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Weihnachtszeit

Kaum beginnt die Weihnachtszeitist es wieder mal soweit.So manche sich nun denken, was soll ich bloß verschenken.Deshalb beginnen sie an so vielen Tagen, den Geschenken nachzujagen.Die größten, schönsten GabenSollen die Liebsten haben.Und so startet ein Hasten und ein Rennen,noch eh’ die ersten Kerzen brennen.Keiner nimmt sich mehr die ZeitFür die weihnachtliche BesinnlichkeitZwar die frohen Lieder klingen,nicht in unser Ohr sie dringen.Ist vergessen der Weihnachtssinn,Wo ist bloß der Glaube hin? An die heilig’ Weihnachtsnacht,die uns Jesus hat gebracht.Doch es geht nur noch um Kommerz. Hat denn niemand mehr ein Herz?

Gedicht: Anna Tzschichhold & Sabine Angermann, Bild: Tobias Hesse,Kunstzirkel, Werkstatt für behinderte Menschen, Evangelische Stadtmission Halle

Das Försterauto

Andreas (5 Jahre alt) besucht uns Großeltern. Nach der Begrüßung öffne ich eine Tür und sage zu ihm: „Schau mal, Andreas, was für schöne Plätzchen ich für euch gebacken habe!“

„Oh“, sagt Andreas, „da hinten steht das Försterauto, das ich mir so sehr vom Weihnachtsmann wünsche. Oma, darf ich mir das ansehen?“ Ich erlaube es und An-dreas schaut sich den Karton interessiert an und staunt, was alles darin ist. „Na so etwas“, gebe ich mich über-rascht, „wir brauchen doch kein Försterauto“. Andreas sieht mich an und fragt: „Können wir dem Weihnachts-mann einen Zettel schreiben, dass er mir das Förster-auto bringen soll?“ Wir gehen in das Wohnzimmer und schreiben dem Weihnachtsmann. „Lieber Weihnachts-mann, bitte bringe das Försterauto zu mir nach Eich-feld. Ich bin oft auch ganz lieb.“ Andreas unterschreibt A...... Dann geht er nach unten und klebt den Zettel auf den Karton.

Am nächsten Morgen fragt er: „Können wir einmal nachsehen, ob das Försterauto noch da ist?“ Tatsäch-lich, es steht noch da. Andreas entdeckt einen zweiten Zettel auf dem steht: “ Lieber Andreas, mal sehen, was sich machen lässt. Der Weihnachtsmann.“

Am Heiligabend erhält Andreas einen Leuchtturm, den er begeistert mit Papa aufbaut. Spät abends klopft es an der Tür. Ein Paket wird abgegeben. Es ist das Förs-terauto. Ein paar Wochen später besucht uns Andreas wieder. Er sitzt nachdenklich neben mir und sagt plötz-lich: „Ich möchte nur wissen, wie das Försterauto zu mir gekommen ist?“

Gudrun Hofmann, Rudolstadt

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Das Flügelhorn

Ewald war sauer, so richtig sauer. Auf den Pastor. Auf die Kirche. Auf Gott, die Welt – und auf Weihnachten. Das war doch gar kein richtiges Weihnachten heute. Scheppernd rollte die Flasche durch den Rinnstein, die Ewald gerade zur Seite gekickt hatte. Damals, als er noch im Posaunenchor geblasen hatte, ja damals …

Heute spielten die in der Kirche nur noch so moder-ne Sachen, Jesus in der Krippe, der kam im Krippen-spiel überhaupt nicht mehr vor. Stattdessen spielte das Ganze am Ausgabeschalter einer Tafel, einer Essens-ausgabe für die Menschen, die neuerdings „Prekariat“ genannt wurden. Zu Deutsch: für die armen Schlucker. Ein armer Schlucker war er auch, dachte er. Vor ein paar Jahren war die Frau ausgezogen; die Kinder hatte sie mitgenommen. Danach wurde nichts mehr, wie es mal war. Er hatte die Arbeit verloren, weil er ständig verschlafen hatte. Was Neues hier in der Stadt zu be-kommen, war schwierig. Er hätte weggehen müssen.

Aber hier hatte er seine Familie, seine Freunde, „sei-nen“ Posaunenchor. Na ja, den hatte er, solange er ein Instrument hatte. Mit Beklemmung erinnerte er sich an jenen Tag, an dem er auf dem Heimweg noch mal Halt gemacht hatte am Büdchen, um ein Bier zu trin-ken. Damals war er auf einer Parkbank eingeschlafen. Und als er aufwachte, war es weg. Sein Flügelhorn;

sein schönes Goldmessing-Flügelhorn, das ihm Onkel Adolf zur Konfirmation geschenkt hatte. Jetzt konn-te er nicht mehr mitblasen. Dreimal ging er noch zur Übungsstunde. Mit einer alten Neusilber-Trompete aus dem Archivschrank. Aber der Ton des Instrumentes war zu grell, hatte nicht hineingepasst in den Klang des Chores. Deshalb ging er nicht mehr hin. Bis er ein neues Instrument habe, hatte er erklärt. Dass er sich kein neues leisten konnte, das hatte er nicht gesagt. Ein paar Mal hatten sie noch gefragt, ob er wieder kommen würde. Aber irgendwann fragten sie nicht mehr.

Doch er vermisste sie. Er vermisste das Notenständer-geklapper und Blättergeraschel, er vermisste die Er-mahnungen des Kantors, der auch nach 98 Takten noch wusste, wenn einer in Takt 37 eine Terz zu hoch oder zu tief war. Deshalb war er heute zur Christvesper ge-gangen. Um wieder die Freunde zu hören und zu sehen. Aber die waren nicht da. Stattdessen spielte ein junger Spund mehr schlecht als recht Bachsätze auf der Orgel. Und das Krippenspiel, also das Krippenspiel… Er fühl-te sich geradezu verunglimpft mit dieser Karikatur von einem Krippenspiel. Überhaupt nicht feierlich war das.

Ewald blieb stehen und sah sich um. Hier war er schon lange nicht mehr. Und doch erinnerte er sich: Dort drü-ben hinter dem Busch, da hatten sie als Viertklässler

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immer heimlich geraucht. Und dort am Flussufer hatte er als Vierzehnjähriger ganze Nachmittage mit Susanne gesessen. Langsam aber stetig geht Ewald weiter. Dort hinten hatte er gelernt und dann lange Jahre gearbeitet, in der alten Klitsche. Längst war sie geschlossen. Es wurde langsam kalt, Zeit zum Umdrehen. Ewald be-schloss, unten in der Schänke noch ein schnelles Bier zu zischen und dann nach Hause zu gehen. Er ging am Fluss entlang. Da vorne war die Schänke. Die Hände reibend steuerte er darauf zu.

„Hallo, können sie uns mal helfen?“ Ewald sah sich um. Woher kam das? „Hallo, hier sind wir!“ Da drüben in dem Torweg saßen zwei; ein Junge und ein Mädchen zwischen ein paar alten Mülltonnen. „Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Maren ist schwanger; wenn ihr Va-ter das erfährt, schlägt er sie tot.“ Flehend schaute ihn der Junge an. 14 Jahre war er vielleicht alt. Das Mäd-chen fast noch jünger. „Können Sie uns helfen?“

„Ich weiß nicht – kommt erst mal mit!“ Ewald schob die beiden vor sich her die Straße hoch. Wohin könnten sie gehen? Nach Hause, das ging nicht. Die Nachbarn würden sonst was denken. Da fiel ihm ein: Draußen, im Garten seiner Mutter, da war doch das Gartenhaus. Es war zwar nicht groß, aber es gab da eine Klappcouch. Und ein Ofen war auch da. Fürs Erste wäre den bei-den damit geholfen. Und das andere würde sich finden. Schnell war Feuer gemacht. „Ich geh mal, was zu essen

holen“, meinte Ewald. „Hier, nehmen sie den Koffer mit“, sagte das Mädchen. Aber was war das! Der Kof-fer, den sie hinter dem Sofa vorzog – das war doch sein Flügelhornkoffer, der Koffer, der ihm seinerzeit an der Parkbank geklaut worden war! Wie kam der hierher?

Plötzlich fiel es ihm wieder ein: Er war auf dem Nach-hauseweg seinerzeit noch kurz im Garten gewesen, den Salat gießen. Er war in der Hütte, weil der Wasserhahn kaputt war und er die Zange brauchte. Und dann kam erst jenes unglückselige Bier zu viel! Warum war er ihm nicht schon vorher aufgefallen, der Koffer, die vie-len Male, die er hier war? Warum hatte er nie hinter das Sofa geguckt?

Langsam, fast zärtlich öffnete er den Koffer. Da war es: Sein Flügelhorn. Vorsichtig holte er es heraus. Alles war noch in Ordnung. Nur ein wenig angelaufen war das Messing. Er setzte das Instrument an. „Stille Nacht, heilige Nacht“, so klang es ein wenig wacklig, aber doch auch weich und zart durch die Hütte, den Garten, die ganze Gegend. „Das war sehr schön, aber könnten sie uns nicht doch etwas zu essen holen?“ – „Ja, ja“, murmelte Ewald. Er hatte die beiden fast vergessen. Denn wo er morgen hingehen würde, das war ihm im Moment wichtiger als alles andere.

Peter Nietzer, Halle (Saale)

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