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Agentenschule Cerrgoor

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Nr. 280

Agentenschule Cerrgoor

Der Magnortöter ergreift Atlans Partei - die Umwelt hat ihn

verstoßen

von Kurt Mahr

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft erbittert um seine bloße Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegan­gen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbanaschol ih­ren Anfang nehmen, ist Kraumon.

Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen.

Um dieses Zieles willen hatte Atlan ein Spiel mit höchstem Einsatz begonnen – und verloren, ohne allerdings sein Leben einzubüßen, wie es üblicherweise das Schicksal der Unterlegenen in den Amnestie-KAYMUURTES zu sein pflegt.

Wieder nach Kraumon zurückgekehrt, sinnt der Kristallprinz nach neuen Wegen, wie Orbanaschol beizukommen sei. Klinsanthor, der Magnortöter, verhilft dem Kri­stallprinzen dabei zu einem neuen Vorstoß gegen den Usurpator. Dieser Vorstoß führt über die AGENTENSCHULE CERRGOOR …

3 Agentenschule Cerrgoor

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz zeigt Anflüge von Pessimismus.Klinsanthor - Der Magnortöter meldet sich erneut.Mana-Konyr - Der KAYMUURTES-Sieger wird übernommen.Orbanaschol III. - Der Imperator ist ungehalten.Grek-1 - Chef der Agentenschule Cerrgoor.Nithrea - Eine Frau, für die sich Mana-Konyr interessiert.

1.

Die energetische Entladung erschütterte ihn bis in die Grundfesten seiner Existenz. Es war, wie wenn ein organisches Wesen in vollem Lauf gegen eine stählerne Wand ge­prallt wäre.

Halb benommen sammelte er seine Sinne und blickte sich um. Ihn umgab ein fremder Raum, eine fremde Zeit. Er war seinem Ziel um keinen Schritt näher gekommen. Dies war der zwölfte Versuch. Mehr als zwölf Versuche waren nicht erlaubt.

Da erkannte er, daß er gescheitert war. Er hatte gegen die Gesetze des Unseins versto­ßen, denen er von Beginn seiner Existenz an unterworfen war. Er hatte gezaudert, er hatte sich zulange in der Fremde umhergetrieben. Und was noch schlimmer war: Er hatte be­gonnen, Gedanken des Seins zu denken, und damit gegen die eigene Natur verstoßen, die dem Unsein entstammte.

Zum ersten Mal empfand er Angst. Er war ein Ausgelieferter, ein Fremdkörper in die­sem Universum, das von den Gesetzen des Seins beherrscht wurde. Wohin er sich wandte, er würde zurückgestoßen werden. Schon jetzt glaubte er zu spüren, wie der fremde Kosmos seine Kräfte in sich aufsog. Er wurde schwächer. Irgendwann in naher Zukunft würde er aufhören zu existieren.

Er schwebte im Nichts zwischen den Kontinuen und kämpfte gegen die Furcht. Er bezwang sie, indem er sich klarmachte, daß sein Schicksal unabänderlich sei. Angst vor etwas Unabänderlichem aber ist sinnlos. Furcht ist die Triebkraft, die Alternativen entwickelt. Gibt es keine Alternativen, dann kann es auch keine Furcht mehr geben.

Schließlich wurde er ruhig. Die Gesetze des Unseins hatten ihn verdammt. Er würde niemals zur Skärgoth zurückkehren. Er hatte nur noch kurze Zeit zu existieren. Er konnte hierbleiben und warten, bis das fremde Uni­versum den letzten Rest seiner Kräfte aufge­saugt hatte und nichts mehr von ihm übrig war. Oder er konnte die Kraft, die noch in ihm stak, nützen, um Taten zu vollbringen.

Er entschloß sich für das letztere. Er war konsequent. Gedanken des Seins

waren es, die ihm den Rückweg zu den ener­getischen Gärten der Skärgoth verschlossen. Gedanken des Seins waren der Grund, wa­rum der Kosmos des Unseins ihn nicht mehr aufnahm.

Gedanken des Seins würde er bis an das Ende seiner Existenz von nun an denken.

Er, Klinsanthor, der Magnortöter, wollte Gutes tun!

*

Sie saßen auf der obersten Terrasse des Hauses, das Fartuloon gehörte. Es war Nacht, die samtene, von den Lauten der In­sekten erfüllte Nacht von Kraumon. Sie hat­ten oft hier gesessen. Mancher ihrer Pläne war auf dieser Terrasse entwickelt worden. Es gab freundliche Erinnerungen an diese höchste Rampe des Trichterhauses, deren Brüstung so viele Blumen und Ranken und Lianen trug, daß das Material des Bauwerks darunter verschwand.

Dieser Abend würde sich niemals in Ge­stalt einer freundlichen Erinnerung wieder­finden. Die Stimmung war gedrückt. Atlans Becher stand unberührt. Nur der Bauchauf­schneider führte den seinen ab und zu zum Mund.

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»Betrübnis ist gesund«, sagte der Alte. »Sie reinigt die Seele.«

»Da gibt es nichts mehr zu reinigen«, ant­wortete Atlan mit dumpfer Stimme. »Ich ha­be versagt.«

»Du hast eine Schlacht verloren, mein Junge. Aber der Krieg geht weiter.«

»Ich bin ein Schwächling gewesen!« wi­dersprach der Kristallprinz. »Ich bin von Mana-Konyr besiegt worden. Ich bin ausge­zogen, um die KAYMUURTES zu gewin­nen. Ich wollte in den Genuß der Amnestie kommen, nach Arkon zurückkehren und den Mörder Orbanaschol vom Thron stürzen.«

Er blickte den Alten an und spreizte die Hände.

»Und was habe ich jetzt?« fragte er. »Du hast einen mächtigen Stützpunkt, von

dem aus du den Kampf gegen den Usurpator fortsetzen kannst. Und du hast Freunde.«

Atlan senkte den Kopf. »Wie lange noch?« fragte er. »Wer folgt

einem Feldherrn, der nichts als Niederlagen bezieht?«

Fartuloon ließ sich Zeit. Erst nach einer Weile sagte er:

»Ich bin ein alter Mann, mein Junge. Ich habe gelernt, mich nicht über jeden Unsinn aufzuregen. Aber jetzt, bei allen Göttern«, seine Stimme war mit einemmal zornig ge­worden, »möchte ich dich am liebsten bei den Schultern packen und solange schütteln, bis wieder Verstand in dein verdüstertes Ge­hirn kommt. Kennst du deine Freunde so schlecht? Empfindest du keine Scham, wenn du ihnen vorwirfst, sie würden dich verlas­sen, nur weil du einen Fehlschlag erlitten hast?«

Atlan machte eine abwehrende Geste mit beiden Händen.

»Verzeih«, bat er. »Ich wollte niemand Übles nachsagen.«

Er ergriff den Becher und nahm einen tie­fen Zug.

»Es geht weiter!« sagte Fartuloon mit be­schwörender Stimme. »Der Tyrann muß ge­stürzt werden!«

»Wie geht es weiter, frage ich dich?«

Kurt Mahr

»Es ist erst ein paar Stunden her, seit wir auf Kraumon gelandet sind«, hielt Fartuloon ihm vor. »Große Pläne entstehen nicht in Stunden. Warte, bis die Betrübnis dir die Seele gereinigt hat, dann wird dir schon von selbst einfallen, wie es weitergehen soll!«

*

Auf dem Raumhafen von Hirc stand das Riesenschiff LASEER. Energiebarrieren und Kordons von Kampfrobotern schützten den Startplatz des Raumschiffs. Jenseits der Ab­sperrung lagerte die erregte Menge, die ge­kommen war, um den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES zu feiern, Mana-Konyr, den »Töter mit der Fingerspitze«, wie er auf Hirc nun genannt wurde. An verschiedenen Stellen waren Bildflächen errichtet worden, auf denen die hagere Gestalt des KAYMU­URTES-Kämpfers zuweilen erschien. Mana-Konyr selbst befand sich längst an Bord der LASEER. Er feierte dort das Fest seines Ab­schieds. Morgen früh würde das Raumschiff starten – Kurs Arkon. Auf der Heimatwelt der Arkoniden, mit einer Umarmung durch den Imperator, würde Mana-Konyrs Ruhm einen weiteren Höhepunkt erreichen.

Mana-Konyr, der einstige Gefangene, hat­te sich erstaunlich rasch in das freie Leben und die Genüsse des Ruhms gefunden. Von einem Tag zum andern entwickelte er eine fast weltmännische Art, die nur dann einen Knacks erlitt, wenn er in die Nähe eines po­sitronischen Geräts kam. Dann packte ihn von neuem die unbeherrschte Wut, die Teil seiner Seele war. Dann bedurfte es Dutzen­der von kräftigen Wächtern, die ihn zurück­halten mußten, und manch einer der Wäch­ter war unter Mana-Konyrs nervenlähmen­den Griffen schreiend vor Schmerz zusam­mengebrochen.

Der Sieger der KAYMUURTES hatte rasch begriffen, daß er einen Vertrauten brauchte, der ihn vor Unheil bewahrte und ihn auf den komplizierten Pfaden des Le­bens in der Freiheit führte. Hunderte von Männern und Frauen hatten sich ihm als Be­

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schützer, Berater, Agenten und dergleichen angeboten. Mana-Konyr hatte sich schließ­lich für Pedar dom Khaal entschieden. Pe­dar, einem alten Adelsgeschlecht entstam­mend, war eine äußerst würdevolle Erschei­nung, von mittlerem Alter, hochgewachsen, mit lang herabwallendem Weißhaar und leuchtend roten Augen: der Urtyp des adli­gen Arkoniden, ein Mann, der überall Ein­druck machte.

Kaum einer wußte, daß der Zweig der Fa­milie, dem Pedar angehörte, schon vor Jahr­hunderten vom Geschlecht der dom Khaals ausgestoßen worden war. Abgeschnitten vom Ruhm und den Machtmitteln des Klans, hatten die Ausgestoßenen ihr Leben mehr recht und schlecht zu fristen verstanden und waren dabei in Beschäftigungssparten über­gewechselt, in denen man arkonidische Ad­lige normalerweise nicht findet. Pedar dom Khaal war berufsmäßiger Intrigant, Schwarzhändler, Waffenschieber, Spion und noch einige andere unrühmliche Dinge mehr. Unter seinem würdevollen Gebaren verbarg sich ein eiskalt berechnender Ver­stand. Pedar war mit den Wassern der Unter­welt gewaschen. Mana-Konyr wußte davon. Trotzdem hatte er aus den Hunderten Pedar dom Khaal als seinen Vertrauten ausge­wählt.

An diesem Abend sah Pedar zu, daß sein Schützling nirgendwo in die Nähe einer Po­sitronik geriet. Er sorgte für einen ordentli­chen Verlauf des Abschiedsfestes an Bord der LASEER und bewirkte, daß Mana-Konyr in regelmäßigen Abständen vor die Aufnahmegeräte trat, um sich der Menge am Rand des Raumhafens zu zeigen.

Als aber Mana-Konyr, der plötzlich seine Liebe für Frauen und berauschende Geträn­ke entdeckt hatte, in angetrunkenem Zustand eine Berichterstatterin der staatlichen Nach­richtenagentur aus dem Kreis der Feiernden zu entführen suchte, da war Pedar ebenfalls zur Stelle. Er drängte den Töter ab und zog ihn mit sich hinaus in einen leeren Korridor. Die Maske der Würde war ihm vom Gesicht geglitten. Die Augen sprühend, die Fäuste

geballt, herrschte er seinen Schützling an: »Willst du uns alles verderben, du besof­

fenes Stück Vieh? Du kannst Wein und Frauen haben, soviel du willst. Aber nur dann, wenn ich sie dir bringe!«

Das Merkwürdige geschah: Mana-Konyr ließ die Arme hängen und senkte den Blick schuldbewußt zu Boden.

Von da an verlief das Fest ohne Zwi­schenfälle.

*

Der feiste Mann, in kostbare Gewänder gekleidet, an den Händen mit einer Überzahl funkelnder Ringe geschmückt, musterte aus kleinen Augen die Schar der Höflinge, die in untertäniger Haltung vor ihm verharrten. Der Anblick tat ihm gut. Zu oft hatte er in letzter Zeit spüren müssen, daß die Welt draußen keineswegs nur mit Ehrfurcht seiner gedachte, als daß ihn das Bild der vornüber­geneigten Höflinge nicht mit Befriedigung hätte erfüllen müssen.

»Horfiz, du Fettwanst von einem Nichts­nutz«, keifte der Feiste, »was weißt du über die LASEER?«

Einer der Männer richtete sich auf und be­gegnete dem Blick des Fragers mit unver­hohlener Furcht. Er war nicht annähernd so korpulent wie der, der ihn einen Fettwanst genannt hatte.

»Die LASEER wird in wenigen Stunden starten, Erhabener«, antwortete er mit zit­ternder Stimme. »Sie hat Anweisung, so schnell wie möglich …«

»Warum erst in wenigen Stunden?« fiel ihm der Feiste wütend ins Wort. »Warum ist sie nicht schon längst unterwegs?«

»Der Sieger, Mana-Konyr, bestand dar­auf, noch ein Abschiedsfest zu feiern, Erha­bener«, antwortete Horfiz.

»Wessen Wort gilt hier?« schrie der Fei­ste mit sich überschlagender Stimme. »Das des Imperators, oder das eines Namenlosen, der vor ein paar Wochen noch im Kerker war?«

Horfiz war in die Haltung der Unterwür­

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figkeit zurückgesunken und betrachtete die Frage nicht als an sich gerichtet. Bevor ihn der Imperator eines Besseren belehren konn­te, meldete sich ein anderer Höfling zu Wort, ein alter, hochgewachsener Mann, dem der Schmerz über die Würdelosigkeit seines Daseins im Gesicht geschrieben stand.

»Deine Güte erlaube, erhabene Majestät, daß ich das Wort an dich richte«, bat der Al­te.

Der Imperator blickte den Sprecher über­rascht an. Entrüstung spiegelte sich in dem feisten Gesicht, dessen Hauptbestandteil ein Paar hellrot geäderter Hängebacken bildete. Trotzdem gestattete er dem Alten zu spre­chen.

»Das Wort des Imperators hat immer und überall Gewicht«, erklärte der Höfling. »Das Wort des Imperators steht über allem. Aber es war dein Plan, Erhabener, dem Volk den unübertrefflichen Glanz deiner Gnade da­durch zu zeigen, daß du dich herabließest, den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES wie einen Bruder zu empfangen. Deswegen, erhabene Majestät, muß man unterlassen, was so aussieht, als wollest du Mana-Konyr im Augenblick seines höchsten Triumphes Befehle erteilen.«

»So, man muß!« keifte der Imperator mit verletzendem Hohn. »Nur deinem Alter und deinem Schwachsinn hast du es zu verdan­ken, Kuuzmir, daß du nicht schon längst in einem Desintegratorofen verschwunden bist! Was wagst du, mich in meiner eigenen Poli­tik zu unterweisen? Glaubst du nicht, ich hätte das alles gewußt? Ich wollte die Ant­wort von Horfiz hören. Aber der Fettwanst weiß nicht, warum er den Start der LASEER nicht schon längst erzwungen hat. Er handelt richtig, aber er weiß nicht, warum.«

Dem Herrscher ging bei seiner Tirade die Luft aus. Er hielt kurz inne, dann fuhr er mit wütender Stimme fort:

»So aber seid ihr alle, geistlos, dumm, überheblich und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Schert euch fort, bevor mir von eu­rem Anblick übel wird!«

Kurt Mahr

Sie wandten sich um und schlichen ge­bückt hinaus. Orbanaschol aber feixte hä­misch hinter ihnen drein. Derartige Auftritte, früh am Morgen genossen, stärkten ihn für den Rest des Tages.

Klinsanthor … Atlan … Mana-Konyr … Orbanaschol … Sie waren über die unendlichen Weiten

des Kosmos verteilt. Aber das Schicksal hat­te begonnen, Fäden zu spinnen. Wenn die Zeit reif war, würden sich die Fäden zu ei­nem Netz verdichten, in dem sie sich alle fingen.

2.

»Atlan …!« Sanft drang der Ruf aus dem Empfänger

des Bildsprechgeräts und schreckte den Kri­stallprinzen aus dem ohnehin unruhigen Schlaf. Er fuhr auf und blickte auf die Zif­fern der Leuchtuhr. Der Morgen brach an. Er schaltete das Sprechgerät ein. Auf der Bildfläche erschien Corpkors besorgtes Ge­sicht.

»Verzeih, daß ich dich wecke«, bat der ehemalige Kopfjäger, »aber es ist etwas Wichtiges im Gang.«

»Was ist es?« wollte Atlan wissen. »Dein Vater wird unruhig.« Da sprang Atlan von seinem Lager auf.

Die Beleuchtung flammte auf. »Ich komme!« rief der Kristallprinz. Wenige Minuten später war er unterwegs.

Mit einem kleinen Gleiter verließ er die Stadt, die sie Gonozal genannt hatten, und flog das breite Tal entlang. Etliche Kilome­ter nördlich der Stadtgrenzen bog er nach Westen ein und flog in ein schmales Seiten­tal, das sich schließlich zu einem Talkessel mit steil ansteigenden, dichtbewaldeten Wänden weitete. In diesem Kessel war in jüngster Zeit ein Hospital mit medizinischen Forschungseinrichtungen entstanden. Die Bevölkerung des Stützpunkts Kraumon nahm ständig zu. Mit der Zahl der Bewohner wuchsen auch die Anforderungen, die an die

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Versorgung Kranker zu stellen waren. Die­ser Entwicklung hatten Atlan und Fartuloon durch die Errichtung dieser Anlage Rech­nung getragen.

Die rote Sonne schickte ihre ersten Strah­len über die Kämme der Berge, als Atlan vor einem niedrigen, aber geräumigen Anbau an das Hauptgebäude des Hospitals hielt. Corp­kor kam ihm entgegen. Atlan überschüttete ihn mit Fragen, aber Corpkor wiegte nur den Kopf.

»Drinnen sind Ärzte«, sagte er. »Sie wer­den dir berichten.«

Durch einen Korridor gelangte der Kri­stallprinz in einen weitläufigen Raum, in dem ein angenehm warmes Licht herrschte. Der innere Teil des Raumes war auf traditio­nelle Weise eingerichtet. Die Anlage eines arkonidischen Trichterhauses wurde dadurch simuliert, daß man auf der einen Seite des Gelasses hellere, sonnenähnliche Lampen installiert und Zierpflanzen angebracht hatte.

Das war der Raum, in dem der kranke Gonozal sich tagsüber aufhielt. Was er nicht wußte, war, daß die rückwärtige Wand sei­nes Gemachs nicht wirklich eine Wand, son­dern eine einseitig durchsichtige Energiebar­riere war, von der aus die Ärzte ihn unbe­merkt beobachten konnten.

Seit Monaten kümmerten sich die Fach­leute intensiv um den ehemaligen Imperator. Gonozal aber, durch eine Lebenskapsel vom Tod zurückgeholt, zeigte nicht die geringste Spur von Besserung. Er war ein lebender Leichnam, eine Hülle ohne Inhalt, ein Kör­per ohne Seele. Er verhielt sich den ganzen Tag über reglos und starrte aus blicklosen Augen vor sich hin. Wenn ihn Müdigkeit be­fiel, dann erhob er sich und ging in sein Schlafgemach – mit den mechanischen Schritten einer Maschine. Drei menschliche Diener standen ihm zur Verfügung, die ihn an- und auskleideten, fütterten und wuschen. Er nahm ihre Gegenwart überhaupt nicht wahr.

Atlan trat hinter die Energiebarriere. Die anwesenden Ärzte wandten sich ihm zu und begrüßten ihn respektvoll. Atlans Blick aber

war in das Innere des Gemachs gerichtet. Er erkannte sofort, daß sich eine drastische Än­derung vollzogen hatte. Sein Vater kauerte nicht wie üblich in einem der bequemen Sessel, die in der Mitte des Raumes zu einer Gruppe aufgestellt waren. Er war aufgestan­den und schritt hin und her, wie von einer inneren Erregung beseelt. Er bewegte den Mund und gab Laute von sich, die dumpf und gequält klangen und keinen Sinn erga­ben. Manchmal blieb er stehen, ballte die Fäuste und blickte in die Höhe. Seine Augen waren nicht mehr tot. Ein unheimliches, fremdartiges Leben beseelte sie.

Atlan wandte sich an die Ärzte. »Seit wann ist er so?« fragte er knapp. »Seit etwa zwei Stunden«, antwortete ei­

ner der Fachleute. »Habt ihr eine Erklärung für die Verände­

rung?« »Nein. Wir ließen dich rufen und warten

auf deine Entscheidung. Wenn wir Näheres erfahren wollen, müssen wir zu ihm hinein.«

»Ich gehe mit euch«, entschied der Kri­stallprinz.

*

Gonozal war erwacht – aber er nahm sei­ne Umgebung noch immer nicht wahr. Die Ärzte umringten ihn. Sie brachten winzige Sonden auf seiner Haut, besonders am Schä­del, an. Gonozal bemerkte von alldem nichts. Wenn er ausschritt, mußten sich die Ärzte mit ihm in Bewegung setzen, wenn er stehenblieb, hielten auch sie an. Mit Hilfe kleiner Monitoren, die die Meßergebnisse der Sonden registrierten, verfolgten sie den Verlauf des Experiments. Atlan hielt sich zunächst im Hintergrund.

Schließlich kam einer der Ärzte auf ihn zu.

»Wir stellen eine überaus intensive Ge­hirntätigkeit fest«, sagte er. »Aber es läßt sich nicht ermitteln, wodurch sie ausgelöst wird.«

»Besteht die Möglichkeit, daß mein Vater zu sich selbst zurückkehrt?« wollte Atlan

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wissen. Ein Schatten fiel über das Gesicht des

Arztes. »Man darf sich keine falschen Hoffnun­

gen machen, Kristallprinz«, antwortete er. »Wir sind noch nicht in der Lage, den jetzi­gen Zustand deines Vaters zu beurteilen. Aber er macht eher den Eindruck eines Gei­steskranken.«

Atlan richtete den Blick auf Corpkor. Der Kopfjäger verstand die unausgesprochene Bitte.

»Ich bin dazu ungeeignet, Atlan«, erklärte er. »Mir gehorchen die Tiere. Ich kann sie beeinflussen und lenken. Mein menschliches Bewußtsein gebietet ihren kleinen, engen tierischen Bewußtseinen. An Menschen ver­sage ich. Besonders aber an dem Imperator.«

»Warum besonders an ihm?« »Weil er – weil er überhaupt kein Be­

wußtsein hat!« Fast schroff wandte der Kristallprinz sich

ab. Er trat auf die Gruppe der Ärzte zu. In diesem Augenblick blieb sein Vater stehen, ballte die Hände und richtete den Blick in die Höhe. Ein Strom unverständlicher Laute quoll ihm über die Lippen. Atlan drängte die Ärzte auseinander und trat vor den Kranken hin.

»Vater, hörst du mich?« fragte er mit lau­ter Stimme.

Da ging eine merkwürdige Veränderung mit dem Imperator vor. Die geballten Hände entkrampften sich. Der Blick wurde unstet und richtete sich schließlich auf den Kristall­prinzen. Der unaufhörliche Strom der Laute versiegte. Eine Zeitlang waren die Lippen still. Dann aber begannen sie sich von neu­em zu bewegen. Gonozal hatte seinen Sohn scharf ins Auge gefaßt. Er musterte sein Ge­sicht, und in seinem Blick spiegelte sich die verzweifelte Anstrengung, zu erkennen, was er sah.

Schließlich begann er von neuem zu re­den. Er sprach schnell und hastig, spie die Worte nur so hervor, als wohne in ihm eine Kraft, die ihm die Laute über die Lippen trieb.

Kurt Mahr

Aber die Worte waren die einer fremden Sprache.

»Bringt mir einen Translator!« rief Atlan.

*

Corpkor eilte davon und kehrte wenige Augenblicke später mit einem kleinen Translatorgerät zurück. Atlan befestigte es um den Hals. Inzwischen sprach Gonozal weiter. Der Translator blieb aber still. Der Kristallprinz nahm eine Reihe von Neuein­stellungen vor. Manchmal geschah es, daß das Gerät eine vertraute Lautfolge zu erken­nen glaubte und die entsprechende arkonidi­sche Übersetzung von sich gab. Aber es er­gaben sich nur wenige solcher Gelegenhei­ten, und die Worte, die der Translator her­vorbrachte, hatten keinen Zusammenhang.

Ratlos gab Atlan schließlich auf. Er trat zurück und überließ den Ärzten das Feld. In dem Augenblick, in dem er dem Blick des Kranken entschwand, ballte dieser von neu­em die Fäuste und blickte in die Höhe.

Da sagte eine vertraute Stimme neben dem Kristallprinzen:

»Kommt dir der Fall nicht bekannt vor?« Atlan fuhr herum. Fartuloon stand neben

ihm. Atlans erstaunten Blick beantwortete der Bauchaufschneider mit den Worten:

»Corpkor benachrichtigte auch mich.« »Was erscheint dir bekannt?« entfuhr es

Atlan. »Gonozal erwachte schon einmal plötz­

lich zum Leben, erinnerst du dich?« Der Kristallprinz erinnerte sich. Schon

einmal war sein Vater unversehens aus sei­ner Starre erwacht und aktiv geworden. Mit Bitterkeit erinnerte er sich der Begeisterung, die damals in ihm erwacht war. Er hatte ge­glaubt, daß Gonozal die Grenzen des Todes­reiches endgültig hinter sich gelassen habe und sich nun zu seinem ursprünglichen Selbst zurückentwickeln werde. Die Enttäu­schung war niederschmetternd gewesen. Nicht Gonozal war es, der durch Gonozals Mund sprach, sondern ein Fremder.

»Du glaubst, er sei zurückgekehrt?« fragte

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er Fartuloon. »Es hat den Anschein«, bejahte der Alte. »Warum aber?« »Wir wissen es nicht. Wir müssen es er­

fahren.« »Wie?« »Schick die Ärzte fort«, sagte Fartuloon.

»Und du geh mit ihnen!« »Warum ich? Ich bin der erste, der ein

Recht hat, hier zu sein.« »Es geht hier nicht um Recht. Irgendwo

im Gehirn deines Vaters gibt es einen winzi­gen Rest Eigenbewußtsein. Normalerweise schläft dieser Rest. Erst wenn eine fremde Macht in Gonozal eindringt, erwacht er zum Leben. Dann streitet er sich mit dem Frem­den. Er macht Wahrnehmungen und sieht, daß er von Unbekannten umgeben ist. Nie­mand aber kennt deinen Vater besser als ich – nicht einmal du selbst. Wenn ich allein ihm gegenüberstehe, wird er sich beruhigen. Dadurch erhält der Fremde Gelegenheit zu sprechen.«

Widerwillig sah Atlan ein, daß der Bauch­aufschneider Recht hatte. Er wies die Ärzte an, zu ihren Stationen zurückzukehren, und verließ selbst den Raum.

*

Knapp eine Stunde verging. Dann kam Fartuloon zum Vorschein. Die Sorge stand ihm im Gesicht geschrieben.

»Es ist Klinsanthor, wie ich vermutete«, sagte er. »Er kann hier nicht sprechen. Er möchte, daß wir an Bord eines Raumschiffs gehen und uns ein paar Lichtstunden weit von Kraumon entfernen.«

»Was dann?« »Er hat eine wichtige Botschaft. Er klingt

nicht mehr so, wie wir es gewöhnt sind. Er scheint am Ende seiner Kräfte.«

»Warum zögerst du? Wir können in einer halben Stunde starten! Die PFEKON ist heu­te nacht gelandet.«

Fartuloon machte die Geste des Mißbeha­gens.

»Es könnte eine Falle sein«, gab er zu be­

denken. »Vergiß nicht, daß Orbanaschol den Magnortöter gerufen hat.«

»Er hat sich von Orbanaschol losgesagt, nicht wahr?« hielt Atlan ihm erregt entge­gen. »Er nimmt den Auftrag des Mörders nicht an!«

»Woher wissen wir das? Aus seinem eige­nen Mund. Oder vielmehr dem deines Va­ters, durch den er spricht. Er bezeichnet sich selbst als ein Geschöpf der Unwelt, als einen Diener des Unseins. Wie sollen wir glauben, daß wir uns auf seine Worte verlassen kön­nen?«

»Wir können Sicherheitsvorkehrungen treffen«, antwortete der Kristallprinz nach kurzem Überlegen.

»Du weißt nicht, was du sagst!« erwiderte Fartuloon grimmig. »Er ist in den Körper deines Vaters gefahren. Wenn du ihn aus­schalten willst, mußt du Gonozal töten. Bist du bereit dazu?«

Atlan hielt dem forschenden Blick stand. »Ja«, antwortete er. Und als er das Erstaunen im Gesicht des

Alten erkannte, fuhr er fort: »Wie lange haben sich die besten Ärzte

um meinen Vater bemüht? Welchen Erfolg haben sie erzielt? Keinen. Ich habe oft dar­über nachgedacht. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es falsch war, Gonozal von den Toten zurückzuholen. Er wird, solange seine körperliche Hülle existiert, ein leeres Gefäß sein, ein Schatten ohne eigenes Be­wußtsein. Wir müssen unseren Fehler eines Tages wiedergutmachen. Wir haben kein Recht, dem Reich der Toten einen der seinen vorzuenthalten.«

Fartuloons Staunen wuchs eher noch, als daß es geringer wurde.

»Du sprichst große Worte, Kristallprinz«, sagte er ernst. »Und richtige Worte. Aber vielleicht wirst du dich eines Tages eines an­deren besinnen. Du bist bereit, den Tod dei­nes Vaters in Kauf zu nehmen, falls Klinsan­thor Verrat plant?«

»Ich bin es!« »Dann laß uns die Vorbereitungen zum

Start treffen!«

10

*

Fünfzehn Mann Besatzung gingen an Bord des Einhundertmeterschiffs PFEKON. Die PFEKON hatte den Sträfling Darbeck, hinter dessen Maske sich Atlan verbarg, zu den KAYMUURTES im Dubnayor-System gebracht. Auf dem Strafplaneten Setamuur, von dem Darbeck angeblich kam, gab es in der Tat einen Gefangenentransporter dieses Namens. Eines Tages würde dieses Raum­schiff den Namen wieder annehmen, den es getragen hatte, bevor es Atlan zu den Spie­len brachte. Einstweilen aber trug es noch die Bezeichnung seines Doppelgängers.

Die PFEKON ging auf Fahrt, ließ Krau­mon hinter sich und materialisierte nach ei­ner kurzen Transition an einem Ort, der mit­ten im Nichts lag – elf Lichtstunden von der Stützpunktwelt entfernt. Kraumons rote Sonne war nur noch ein heller Lichtpunkt unter Millionen anderen.

In einem mittelgroßen Raum abseits vom Kommandostand befanden sich Fartuloon, Atlan und Gonozal. Zu diesem Raum gab es drei Zugänge. An jedem hatte der Bauchauf­schneider zwei Schwerbewaffnete postiert – draußen, jenseits der geschlossenen Schotte. Es bedurfte nur eines Signals, dann flogen die Schotte auf, und sechs Mann traten ge­gen Klinsanthor an – falls dieser Verrat im Sinn führte.

Gonozal hatte die Transition auf einer Liege ruhend verbracht. Als er hörte, daß die Triebwerke des Schiffes auf Minimallast ge­fahren wurden, richtete er sich auf. Der Blick der roten Augen war klar und zielbe­wußt. Der ehemalige Imperator bewegte sich ursprünglich steif, gewann jedoch bald eine gewisse Gewandheit. Er musterte zunächst Atlan, dann den Bauchaufschneider.

»Ich kenne euch«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Wir sind einander früher begeg­net!«

Ein Stich fuhr dem Kristallprinzen durchs Herz. Einen unvernünftigen Atemzug lang hatte er gehofft, es werde vielleicht doch

Kurt Mahr

sein Vater sein, der sich da von der Liege aufrichtete und mit unsicheren Schritten auf ihn zukam. Die Stimme brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Es war eine fremde Stimme – die Stimme eines Wesens, das einst gewohnt war, kraftvoll zu sprechen, aber den größten Teil seiner Kraft bereits verloren hatte.

»Du hast eine Botschaft für uns«, erinner­te Fartuloon das fremde Bewußtsein, das in Gonozals Körper lebte.

»Ich habe eine wichtige Botschaft für euch«, drang es aus dem Mund des Impera­tors. »Klinsanthor, der Magnortöter, ist zur Auflösung verdammt. Ich habe gezaudert und wider meinem Auftrag gehandelt. Ich habe wirkliche Gedanken gedacht, nicht die unwirklichen der Unwelt. Ich habe gegen die Gesetze des Unseins verstoßen. Der Weg zur Skärgoth ist mir versperrt. Ich bin kein Geschöpf dieses Universums. Wenn ich ge­zwungen bin, mich hier aufzuhalten, wird meine Substanz von dem Fremden ringsum aufgezehrt.«

Betroffen und zugleich erschüttert hörte Atlan die Worte des Magnortöters.

»Warum berichtest du uns das?« fragte er. »Weil ich dem. Sein dienen will – von

jetzt an bis zum Augenblick des Todes!« Atlan glaubte zu verstehen. Das Unsein –

das war die Welt, aus der Klinsanthor kam. Das Unsein, das Böse. Gegen die Gesetze des Unseins hatte der Magnortöter versto­ßen. Zum Beispiel damals, als er sich wei­gerte, Orbanaschols Auftrag auszuführen. Er hatte das Gesetz des Bösen verleugnet und damit – automatisch – etwas Gutes getan.

Das Gute: Er nannte es das. Sein. Ihm wollte er sich von nun an verpflichten, ob­wohl eben die verbotenen Gedanken des Seins es waren, die ihm den Rückweg zu seiner Welt versperrten. Die Götter mochten wissen, was in einem Bewußtsein wie dem Klinsanthors vorging. Aber auf mystische Art und Weise hatte der Wahnsinn, dem er sich hingab, Methode.

»Wie kannst du dem. Sein dienen?« woll­te Atlan wissen.

11 Agentenschule Cerrgoor

»Indem ich dem Unsein schade. Indem ich mich an demjenigen räche, der mich zu­letzt von den Skärgoth fortgeholt hat.«

»Das ist Orbanaschol!« rief der Kristall­prinz.

»Er ist es!«

*

»Orbanaschol lebt in der Festung Arkon«, wandte Fartuloon ein, nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte. »Es ist schwer, sich an ihm zu rächen.«

»Ich werde zu ihm gelangen!« versprach Klinsanthor. »In der Gestalt eines Vertrau­ten, den er nicht verdächtigt.«

»Es gibt viele Vertraute. Ein paar kann ich dir nennen«, schlug der Bauchaufschnei­der vor.

»Längst nicht jeder kommt in Frage«, schränkte der Magnortöter ein. »Der Men­sch, in dessen Gestalt ich erscheine, muß ein Knecht des Unseins oder ein Geschöpf ohne Bewußtsein sein – wie das, aus dem ich zu euch spreche!«

Ein Mensch, der vom Bösen erfüllt war, oder ein Seelenloser, übersetzte Atlan. Plötzlich kam ihm ein aberwitziger Gedan­ke.

»Orbanaschol selbst bietet sich als Zielge­stalt!« entfuhr es ihm.

»Orbanaschol ist tabu«, widersprach Klinsanthor. »Die Gestalt dessen, der mich gerufen hat, kann ich nicht annehmen.«

»Du machst uns die Sache schwer!« be­klagte sich Fartuloon.

»Die Wahl ist euer«, wehrte Klinsanthor den Vorwurf ab. »Ich stelle mich in den Dienst des Seins. In wessen Gestalt ich es tun soll, ist eure Entscheidung.«

»Wir können Huccard nach Arkon schicken«, überlegte der Bauchaufschneider.

»Es muß Bessere geben«, meinte Atlan. »Huccard kann man wohl kaum einen Ver­trauten des Imperators nennen.«

Huccard war der verräterische Agent, der Atlans Betreuung bei den KAYMUURTES übernommen hatte. Zwar hatte er seinen

Schützling bei den gefährlichen Spielen von Sieg zu Sieg geführt, aber im letzten, ent­scheidenden Kampf war Atlan durch Huc­cards Machenschaften Mana-Konyr unterle­gen. Man hatte bald erkannt, was hinter Huccard steckte. Er arbeitete für den kaiser­lichen Geheimdienst. Des Kristallprinzen hatte er sich nur angenommen, weil er ihn nach seiner Niederlage gegen Mana-Konyr nach Arkon bringen wollte, um sich den Kopfpreis zu verdienen, den Orbanaschol III. auf seinen Neffen ausgesetzt hatte. Im letzten Augenblick war es Fartuloon und Karmina Arthamin gelungen, die DOPE­STON, Huccards Schiff, aufzubringen und Atlan zu befreien. Der Verräter war mitsamt seinem Fahrzeug nach Kraumon gebracht worden. Auf Kraumon hielt man Huccard gefangen. Atlan meinte, man werde sich sei­ner eines Tages für einen wichtigen Zweck bedienen können.

Beim Nachdenken über Huccards Eig­nung war dem Kristallprinzen ein neuer Ge­danke gekommen. Eine Idee entstand in sei­nem Bewußtsein, faszinierend und Erfolg versprechend zugleich. Es gab einen, der wie kein anderer dazu geeignet war, Klinsanthor als Wirt zu dienen.

»Ich habe den Mann«, verkündete er ent­schlossen. »Mana-Konyr!«

Fartuloon gab einen beifälligen Laut von sich.

»Wer ist das?« fragte der Magnortöter. Atlan erklärte ihm, wer Mana-Konyr war. »Wir wissen, daß er sich bis vor kurzem

noch auf Hirc aufgehalten hat«, fügte er hin­zu. »Orbanaschol will ihn auf Arkon begrü­ßen – um sein Ansehen bei der Bevölkerung aufzubessern. Er hat Mana-Konyr ein Raum­schiff gesandt, das ihn zur Residenz bringen soll. Soviel wir wissen, ist es die LASEER.«

Klinsanthor zögerte eine Weile. Dann ließ er Gonozal die Geste der Zustimmung ma­chen.

»Mana-Konyr ist mein Ziel«, sagte er. »Deine Beschreibung war gut, Kristallprinz. Ich werde den Mann ohne Mühe finden. So­bald sich eine Möglichkeit bietet, breche ich

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auf.«

*

Die PFEKON kehrte nach Kraumon zu­rück. Die Mannschaft ging von Bord, auch Fartuloon. Nur Atlan und der Magnortöter blieben zurück.

»Empfindest du die Bewußtseine derer, in deren Körper du eindringst?« fragte der Kri­stallprinz das mächtige Wesen von der Un­weit.

»Ich empfinde sie«, bestätigte Klinsan­thor. »Sie wehren sich gegen mich, wenn ich sie unterwerfe.«

»Was für ein Bewußtsein empfindest du in dem Körper, in dem du dich jetzt befin­dest?«

»Dieser Körper ist seelenlos«, lautete die Antwort des Magnortöters.

Die Enttäuschung drohte, Atlan zu über­mannen. Er raffte sich zu einer letzten Frage auf:

»Ganz und gar seelenlos?« Mit Spannung erwartete er Klinsanthors

Antwort. Der Magnortöter begann: »Es gibt einen winzigen Rest von Seele.

Er kauert im hintersten Winkel des Gehirns und kann sich aus eigener Kraft nicht be­merkbar machen. Erst wenn …«

Die Stimme brach plötzlich ab. Eine merkwürdige Veränderung ging mit Gono­zal vor. Vor einem Augenblick zum anderen verloren die Augen ihren Glanz. Die Arme sanken an den Seiten herab, die Schultern sanken ein, die Gestalt wurde starr. Dann wandte sie sich um und bewegte sich mit mechanischen Schritten in Richtung der Lie­ge, auf der sie sich niederließ.

Da wußte Atlan, daß der Magnortöter sich auf den weiten Weg gemacht hatte.

3.

Pedar dom Khaal registrierte mit Befriedi­gung, daß seine Taktik sich Erfolg verspre­chend anließ. Am Morgen nach der Ab­schiedsfeier, als die LASEER bereits unter-

Kurt Mahr

wegs war, erinnerte sich Mana-Konyr an ei­ne junge Frau, die ihm am vergangenen Abend aufgefallen war. Er hatte sich eine Zeitlang mit ihr unterhalten, ihren Namen infolge der Trunkenheit jedoch vergessen.

»Gefiel sie dir?« wollte Pedar wissen, als Mana-Konyr die Sache bei der Morgen­mahlzeit zur Sprache brachte.

Der Töter mit der Fingerspitze lächelte – ein wenig töricht, ein wenig verlegen.

»Weißt du, ich erinnere mich nicht mehr an viel«, antwortete er. »Aber ich glaube, sie hat mich fasziniert.«

»Wie sah sie aus?« »Etwa fünfeinhalb Fuß groß, weißes, lan­

ges Haar mit einem unbeschreiblichen kup­fernen Schimmer, große Augen, großer Mund …«

»Hm«, machte Pedar. »Weißt du, wer sie ist?« fragte Mana-

Konyr eifrig. Pedar antwortete nicht direkt. »Trug sie einen Ring an der rechten

Hand? Ein auffällig großes Stück mit einem grünblauen Thaspis-Stein?« erkundigte er sich.

Mana-Konyr fürchte die Stirn. »Ich glaube, ja. Sie trug aber nicht einen

Ring, sondern zwei! Beide mit großen Thas­pis-Steinen. Einen an der linken und einen an der rechten Hand!«

Pedar dom Khaal war zufrieden. Die Identifizierung war eindeutig.

»Das war Nithrea«, erklärte er. »Wer ist sie?« »Eine reiche Frau, die sich mit Reisen be­

schäftigt.« Mana-Konyr sah aus träumenden Augen

vor sich hin. Pedar hütete sich, seinen Traum zu stören. Er hatte sich dem Töter mit der Fingerspitze als Agent, als Manager angeboten, weil er sich davon Gewinn ver­sprach. Mana-Konyr war im Handumdrehen zu einer Berühmtheit geworden. Er würde Reichtümer sammeln, von denen Pedar dom Khaal seinen Teil haben wollte. Es ließ sich leicht ausrechnen, wie lange Mana-Konyrs Ruhm dauern würde: bis zu den nächsten

13 Agentenschule Cerrgoor

KAYMUURTES. Solange mußte ihn Pedar an sich ketten, wenn er das Potential aus­schöpfen wollte. Er mußte der Gefahr vor­beugen, daß Mana-Konyr ihn kurzfristig aus seinen Diensten entließ.

Zum Abschiedsfest des gestrigen Abends hatte Pedar mehr als ein Dutzend junger, hübscher Frauen eingeladen, die ihm ver­pflichtet waren. Er hatte gehofft, daß Mana-Konyr sich in eine von ihnen vernarren wür­de.

Pedars Rechnung war aufgegangen, nach­dem er die Berichterstatterin kaltgestellt hat­te. Er sah die Sehnsucht in Mana-Konyrs Augen. Der Töter fragte:

»Kannst du Verbindung mit ihr aufneh­men? Ich möchte sie wiedersehen.«

»Ich werde sehen, was sich tun läßt«, ant­wortete Pedar unverbindlich.

Es fiel ihm leicht, seinen Triumph zu ver­bergen: Er war es gewöhnt, eine Maske zu tragen. Nithrea war ihm – aus Gründen, die niemand etwas angingen – hörig. Sie würde sich dem Töter hingeben oder sich ihm ver­sagen, wie Pedar es verlangte. Es kam jetzt nur noch darauf an, Mana-Konyrs Begierde zu schüren, bis sie zur Besessenheit wurde. Dann würde Pedar niemand mehr aus seiner Position verdrängen können.

Kurze Zeit später ging die LASEER durch die erste Transition.

Mana-Konyr hatte sich in seine Schlaf­kammer verkrochen. Für ihn war die vor­übergehende Entstofflichung noch immer ein furchterregender Vorgang. Er barg das Gesicht in den Polstern der Liege und blick­te erst wieder auf, als die letzten Nachwehen des Transitionsschmerzes verebbt waren.

Da hörte er das Summen des Türmelders. Er stand auf und fragte verwundert:

»Wer ist da?« Er bekam keine Antwort. Da trat er auf

die Tür zu, die in sein Wohngemach führte, bis sie sich von selbst vor ihm öffnete. Sprachlos vor Staunen musterte er die Frau, die vor ihm stand. Er streckte die Hand aus und berührte sie an der Schulter, um sich zu überzeugen, daß er nicht nur ein Traumbild

vor sich hatte. »Nithrea …!« stammelte er, als er die

Sprache wiederfand.

*

Danach wurde Mana-Konyr, der Töter mit der Fingerspitze, einen halben Tag lang nicht mehr gesehen. Die LASEER vollführte inzwischen eine zweite Transition und geriet in ein Gebiet hyperenergetischer Wirbel, die sie zu einem aufwendigen Ausweichmanö­ver zwangen. Die Fahrt nach Arkon, deren Dauer ursprünglich auf zweieinhalb Tage veranschlagt war, würde sich dadurch um wenigstens vierzig Stunden verlängern.

Pedar dom Khaal konnte es nur recht sein. Je mehr Zeit der Töter hatte, sich mit Ni­threa abzugeben, desto enger würde sie ihn an sich fesseln. Nithrea war eine Frau, die sich in den Künsten der Liebe auskannte.

Unterdessen genoß Mana-Konyr das, was er als Sträfling so lange hatte entbehren müssen, in vollen Zügen. Schließlich fiel er in einen tiefen Schlaf. Aber so heftig war seine Begierde, daß er nach wenigen Stun­den aus lauter Angst, Nithrea könne ihn in­zwischen verlassen haben, wieder erwachte. Erleichtert atmete er auf, als er die Kupfer­haarige zu Füßen seines Lagers kauern sah.

Er streckte die Arme nach ihr aus. Sie er­hob sich und kam auf ihn zu. Aber noch be­vor er die Umarmung vollziehen konnte, ge­schah etwas Merkwürdiges.

Es fuhr wie ein Ruck durch Mana-Konyrs Bewußtsein. Er fühlte sich benommen. Die gewohnte Umgebung hatte plötzlich ein fremdartiges Aussehen. Die Arme, die sich Nithrea entgegengereckt hatten, sanken her­ab. Die junge Frau blieb stehen und musterte den Töter irritiert.

Mana-Konyr fragte sich verwundert, was das Weib hier zu suchen habe. Er versuchte, sich zu erinnern, wie sie hierhergekommen war. Aber sein Gedächtnis war blockiert. Ir­gend etwas Fremdes hatte sich in sein Be­wußtsein eingeschlichen und hinderte ihn am Denken.

14

»Was tust du hier?« kam es ihm über die Lippen.

Nithrea wurde ärgerlich. »Ich bin deine Geliebte«, antwortete sie. Der Gedanke war Mana-Konyr widerwär­

tig. Was hatte er mit einer Frau zu schaffen? »Scher dich davon!« fuhr er sie an. Nithrea wich zurück, als hätte sich eine

Schlange vor ihr aufgerichtet. »Was sagst du?« rief sie schrill. Mana-Konyr stand auf. Nithrea rührte

sich nicht. Die Wandlung kam ihr zu überra­schend. Sie begriff die Gefahr nicht, in der sie schwebte. Mana-Konyr packte sie am Arm und drückte ihr den Daumen in die Achselhöhle. Der Schmerz war so intensiv, daß Nithrea zu Boden ging und einen Au­genblick das Bewußtsein verlor. Als sie wie­der zu sich kam, stand Mana-Konyr neben der geöffneten Tür und wies mit ausge­streckter Hand hinaus.

»Geh – und laß dich nie mehr blicken!« herrschte er sie an.

Nithrea richtete sich zögernd auf. Sie war überzeugt, daß der Töter den Verstand ver­loren hatte. Vorsichtig bewegte sie sich auf die offene Tür zu und ließ Mana-Konyr da­bei nicht aus den Augen. Dann sprang sie mit einem wilden Satz durch die Öffnung und rannte schreiend davon.

Mana-Konyr trat von der Tür zurück, so daß sie sich wieder schloß. Er hockte sich auf den Rand der Liege. Er begriff nicht, was mit ihm vorging. Eine Frage drängte sich ihm auf die Lippen.

»Wer bist du?« Gleich darauf kam die Antwort. Derselbe

Mund sprach sie aus. »Ich bin Klinsanthor, der Magnortöter.

Du bist mir Untertan!«

*

Klinsanthor begriff, daß er einen Fehler begangen hatte.

Als er in Mana-Konyrs Erinnerung ein­drang, las er, daß der Töter voll Begierde nach der jungen Frau namens Nithrea gewe-

Kurt Mahr

sen war. Es ließ sich vermuten, daß sein Verhältnis zu Nithrea auch anderen an Bord der LASEER bekannt war. Um so mehr mußte die heftige Reaktion auffallen. Man würde sich fragen, warum Mana-Konyr die Frau plötzlich verstoßen hatte.

Der Begriff der Liebe entstammte der Do­mäne des Seins. Im Reiche des Unseins gab es keine derartige Emotion. Klinsanthor hat­te, als er in Mana-Konyrs Körper eindrang, instinktiv reagiert. Er hatte das, was der KAYMUURTES-Sieger empfand, für wi­derlich und abscheulich gehalten. Seine Re­aktion war durch lange Gewöhnung an die Gesetze der Umwelt konditioniert.

Er mußte danach trachten, den Fehler wiedergutzumachen.

Wenig später wurde Pedar dom Khaal an­gemeldet. Der Magnortöter ließ ihn ein. Aus Mana-Konyrs Bewußtseinsinhalt wußte er, welche Rolle Pedar spielte.

»Was fällt dir ein?« fuhr Pedar ihn an. »Ich reiße mir einen Arm aus, um dir die Frau deiner Träume zu beschaffen – und du bringst sie fast um!«

Klinsanthor verteidigte sich in Mana-Konyrs Rolle.

»Die Abscheu kam plötzlich über mich. Ich wollte sie nicht verletzen. Der Griff ge­schah unabsichtlich.«

»Du wirst sie um Verzeihung bitten!« for­derte Pedar wütend.

Klinsanthor wägte ab. In Mana-Konyrs Bewußtsein gab es keinen klaren Hinweis, wie der Töter seinem Vertrauten gegenüber gestanden hatte. War es denkbar, daß der von aller Welt bewunderte Sieger der KAY­MUURTES sich einen solchen Ton gefallen ließ?

»Ich werde tun, was ich für richtig halte«, antwortete Klinsanthor durch Mana-Konyrs Mund. »Dazu gehört nicht, daß ich mich bei Nithrea entschuldige.«

»Du wolltest sie haben!« geiferte Pedar. »Ich hab's mir anders überlegt«, erklärte

Klinsanthor kühl. Pedar trat einen Schritt zurück und mu­

sterte sein Gegenüber. Klinsanthor versuch­

15 Agentenschule Cerrgoor

te, in seinem Blick zu lesen. Aber Pedars Gesicht war wie aus Stein. Es war nicht zu erkennen, was er dachte. Der Zorn, der ihn noch vor wenigen Sekunden beseelt hatte, war verdrängt.

»Ich bin in deinen Dienst getreten, um dich in der Art der gebildeten Welt zu unter­weisen. Du aber bestehst darauf, dich wie ein Barbar zu benehmen. Du läßt dich ent­weder von mir belehren, oder du wirst zum Gespött der arkonidischen Gesellschaft!«

Klinsanthor hielt es für besser einzulen­ken.

»Ich lasse mich belehren«, sagte er. »Aber halt mir die Weiber vom Leib!«

*

Pedar dom Khaal war sehr nachdenklich, als er Mana-Konyr verließ.

Zu einem Zeitpunkt, da er alles Recht ge­habt hatte, an den Erfolg seines Planes zu glauben, war ein entscheidender Fehlschlag eingetreten. Er hatte Mana-Konyr falsch be­urteilt. Dabei hielt Pedar sich auf seine um­fassende und durchdringende Menschen­kenntnis einiges zugute.

Die Frauen an Bord zu bringen und den Kommandanten der LASEER zu veranlas­sen, daß sie die Reise nach Arkon mitma­chen durften, hatte ihn einen Großteil seiner Finanzmittel gekostet. Zum Beispiel hatte er den Frauen zugesagt, daß er für ihre Passage von Arkon aus aufkommen werde. Aus dem guten Dutzend, hatte er geglaubt, würde sich Mana-Konyr eine aussuchen, die ihm gefiel. Wenn er Manns genug war, womöglich so­gar zwei oder drei. Der Rest mußte wieder in die Heimat transportiert werden. Die Ko­sten gingen in die Zehntausende. Pedar hatte sich darauf eingelassen, weil er sicher war, daß er auf dem Weg über die Frau, für die sich Mana-Konyr entschied, das Geld zu­rückerhalten würde. Wie aber sah die Sache jetzt aus, da der KAYMUURTES-Sieger sich entschlossen hatte, alle Frauen für wi­derwärtig zu halten?

Ein solcher Fall war Pedar dom Khaal in

seiner langen Praxis noch nicht vorgekom­men. Er war ratlos.

Im Geist ging er noch einmal die Überle­gungen durch, die er angestellt hatte, bevor er sich Mana-Konyr als Agent anbot. Er hat­te den Mann mehrere Tage lang studiert. Er war zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei Mana-Konyr um den typischen Fall des spezialisierten Primitiven handele. Der Mann, der einstmals Arzt hatte werden wol­len, war darauf verfallen, das menschliche Nervensystem zu studieren. Die Erkenntnis­se, die er aus dem ursprünglich aus reiner Neigung betriebenen Studium gewann, setz­te er alsbald in praktische Anwendungen um. Er wurde zum Kämpfer, der seine Geg­ner besiegte, indem er mit tausendfach geüb­ten Griffen Nervenreaktionen auslöste, die den Körper des Widersachers lähmten.

Abgesehen von seiner Besessenheit war Mana-Konyr, so hatte Pedar zu erkennen ge­glaubt, ein einfacher Charakter. Geistig ge­sund und durchschaubar. Nur aufgrund die­ser Erkenntnis hatte Pedar sich entschlossen, in den Töter mit der Fingerspitze erhebliche Summen zu investieren – zum Beispiel mit den Frauen, die er an Bord der LASEER ge­bracht hatte und für deren Rücktransport von Arkon er würde bezahlen müssen. Er war fest überzeugt gewesen, seinen Schützling so lenken zu können, daß er das Investierte hundertfach wieder wettmachte.

Und jetzt das! Pedar fragte sich, ob er, der Menschen­

kenner, sich wirklich so sehr habe irren kön­nen. Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam es ihm vor.

Ein absurder Gedanke schoß ihm durch den Kopf.

Mana-Konyr war ausgetauscht worden! Es gab keinen vernünftigen Grund, wa­

rum irgend jemand einen solchen Austausch hätte vornehmen sollen. Und dennoch kam Pedar dom Khaal von dem Gedanken nicht mehr los.

Er beschloß, Mana-Konyr auf die Probe zu stellen.

16

*

Mit einer unplanmäßigen Transition ent­kam die LASEER der Randzone des hype­renergetischen Wirbels. Sie war jetzt weiter von Arkon entfernt als im Augenblick des Starts. Der Kommandant verfluchte die Tücke des Schicksals und ließ seine Leute und den Bordrechner auf Hochtouren arbei­ten, um wenigstens einen Teil der verlore­nen Zeit wieder wettzumachen.

Wenige Minuten nach der Transition suchte Pedar dom Khaal seinen Schützling auf.

»Wir müssen miteinander sprechen«, sag­te er würdevoll. »Mir scheint, die hastige Entwicklung der vergangenen Tage hat dich ein wenig durcheinander gebracht. Bevor wir auf Arkon landen, mußt du bis in die letzte Einzelheit wissen, worum es geht.«

Klinsanthor, der Mana-Konyrs Bewußt­sein inzwischen vollends unterjocht hatte, war mißtrauisch. Andererseits sah er keinen Grund, Pedars Anliegen zurückzuweisen.

»Setz dich und sprich!« forderte er den Agenten auf.

»Nicht hier«, wies Pedar das Angebot zu­rück. »Ich habe in meinem Quartier eine kleine Präsentation vorbereitet. Du solltest mit mir kommen.«

Jetzt war Klinsanthor vollends sicher, daß der Arkonide Heimtücke im Sinn hatte. Aber wiederum gab es keinen plausiblen Grund, warum er sich hätte sträuben sollen.

»Ich bin bereit«, antwortete er. »Laß uns gehen, wenn es dir jetzt paßt.«

Pedar dom Khaals Quartier lag auf der Backbordseite des Hauptdecks. Zwischen Mana-Konyrs Suite und der Unterkunft des adligen Arkoniden befand sich der Kom­mandostand. Der kürzeste Weg führte un­mittelbar durch die Zentrale. Klinsanthor er­kannte, daß Pedar diesen Weg einschlug.

Mana-Konyr, dessen Bewußtsein der Ma­gnortöter in einen abgelegenen Sektor des Gehirns zurückgedrängt und dort abgekap­selt hatte, wurde unruhig. Aber die Abkapse-

Kurt Mahr

lung war so kräftig, daß Klinsanthor nicht erkennen konnte, was der Anlaß der Erre­gung war. Sein Mißtrauen erreichte den Hö­hepunkt. Wie immer die Falle aussehen mochte, die Pedar dom Khaal für ihn berei­tet hatte – er befand sich unmittelbar vor ihr.

Würde er sie erkennen können? Das breite Schott des Kommandostands

öffnete sich vor den beiden Männern. Pedar trat als erster ein. Er wandte sich halb zur Seite, und Klinsanthor bemerkte seinen ste­chend scharfen Blick. Mana-Konyrs Be­wußtsein rebellierte in dem abgelegenen Ge­hirnsektor. Es strahlte harte Impulse der Ag­gressivität aus, aber der Magnortöter wußte nicht, worauf sich die Impulse richteten.

In der Kommandozentrale herrschte der übliche Betrieb eines modernen Raumschiffs auf Fernfahrt. Niemand schien von den bei­den Männern Notiz zu nehmen. Aus den Au­genwinkeln aber sah Klinsanthor, daß man­cher respektvolle Blick den Töter mit der Fingerspitze streifte.

Nahe dem gegenüberliegenden Ausgang stand eine Steuereinheit des Bordrechners. Klinsanthor hatte soviel mit Mana-Konyrs rebellischem Bewußtsein zu tun, daß er vor­übergehend der Umgebung nicht mehr so­viel Beachtung schenken konnte, wie er es gerne getan hätte. Er schloß den Kreis um das abgekapselte Fremdbewußtsein noch en­ger und machte die Kapsel so undurchdring­lich, wie er konnte. Danach hatte er Ruhe.

Inzwischen aber hatte Pedar dom Khaal den gegenüberliegenden Ausgang erreicht. Anstatt ihn zu öffnen, blieb er stehen und wandte sich dem Magnortöter zu. Sein Blick war eisig.

»Du bist nicht Mana-Konyr«, sagte er. Es war eine Feststellung, keine Frage.

Klinsanthor bewegte Mana-Konyrs Gesicht zu einem spöttischen Lächeln.

»Du solltest weniger trinken«, riet er Pe­dar. »Wer sollte ich sonst sein?«

Pedar blieb kalt. »Mana-Konyr kann keine Positronik se­

hen, ohne sich auf sie zu stürzen. Er haßt Positroniken, wie die Götter die Teufel has­

17 Agentenschule Cerrgoor

sen. Du aber stehst kaum zwei Schritte vor einer positronischen Steuereinheit und zeigst keinerlei Reaktion. Wer bist du?«

Klinsanthors Verstand arbeitete fieber­haft. Jetzt, da es zu spät war, hatte er die Falle erkannt. Niemand durfte ahnen, daß sich ein fremdes Bewußtsein in Mana-Konyrs Körper breitgemacht hatte. Er mußte Pedar hinhalten. Er durfte es nicht zulassen, daß einer der Männer im Kommandostand diese Unterhaltung mithörte.

»Dir ist anscheinend der Verstand abhan­den gekommen«, beantwortete er Pedars Fragen scheinbar gelassen. »Vielleicht soll­ten wir uns darüber in deinem Quartier un­terhalten.«

Pedar verlor allmählich die Beherrschung. »Wer bist du?« zischte er. Der Magnortöter war bereit, ihn einfach

stehenzulassen und vorauszugehen. Da trat ein Ereignis ein, das ihn vorläufig aller Sor­gen enthob – obwohl es auf lange Sicht sei­ne Erfolgsaussichten drastisch verringerte.

Jaulend und kreischend erwachten die Alarmsirenen zum Leben. Klinsanthor fuhr herum und sah auf einem der großen Orter­schirme ein halbes Dutzend grünlich leuch­tender Punkte, die sich um den Mittelpunkt der Bildfläche gruppierten.

Über den Lärm der Sirenen hinweg dröhnte eine Stimme:

»Die Methans greifen an!«

4.

Chaos folgte. Die LASEER war ein Kriegsschiff; aber

niemand hatte damit gerechnet, daß dieser Flug Feindberührung bringen würde. Der Kurs der LASEER war ursprünglich auf sol­chen Routen geplant, die fest in der Hand des Großen Imperiums waren. Erst das Aus­weichmanöver vor dem hyperenergetischen Wirbel hatte das Raumschiff in Gegenden verschlagen, in denen von Zeit zu Zeit auch der Gegner aktiv wurde.

Für die große Menge der Passagiere an Bord der LASEER war die Fahrt nach Ar­

kon ein Vergnügen. Das unerwartete Auf­tauchen feindlicher Raumschiffe versetzte sie in Panik. Sie stürmten schreiend durch die Decksgänge und behinderten die Besat­zung, die sonst womöglich noch eine Chan­ce gehabt hätte, die LASEER in einen ver­teidigungsbereiten Zustand zu versetzen.

So jedoch gelang nichts mehr. Als der er­ste Funkspruch der Methans eintraf, der den Kommandanten der LASEER aufforderte, ein Prisenkommando an Bord zu nehmen, da war noch nicht einmal das Kraftwerk weit genug hochgefahren, daß man die Schirm­felder hätte anlegen können.

Der arkonidische Kommandant versuchte zu verzögern. Er erkundigte sich nach der Identität der fremden Einheiten. Die Me­thans aber durchschauten seine Taktik. Sie setzten der LASEER einen Schuß vor den Bug, der das Schiff zum Schwanken brachte und im peripheren Triebwerkssektor eine Reihe kleiner Explosionen auslöste.

Da gab die LASEER klein bei. Der Kom­mandant erklärte sich zur Übernahme eines Prisenkommandos bereit. Man sah, wie eine der Methan-Einheiten ein Beiboot aus­schleuste, das wenige Minuten später in einen der Hangars der LASEER einflog.

Klinsanthor hatte die Verwirrung genützt, um sich zu entfernen. Er besaß genug Infor­mationen über den immerwährenden Krieg zwischen Arkoniden und Maahks, um zu wissen, daß seinem Vorhaben hier ein ernst­haftes Hindernis in den Weg gelegt wurde. Er hielt es für angebracht, die weitere Ent­wicklung im Verborgenen abzuwarten. Es gab für ihn keinen Zweifel, daß die Methans Besatzung und Passagiere der LASEER ge­fangen nehmen würden. Für ihn ging es dar­um, diesem Schicksal vorerst zu entgehen. Danach würde er weitersehen.

Die Panik an Bord war so groß, daß nie­mand des berühmten Siegers der Amnestie-KAYMUURTES achtete, der sich gegen den Strom der Dahineilenden stemmte. Während die entsetzten Passagiere zumeist in Rich­tung der Gemeinschaftsräume hasteten, suchte Klinsanthor die entlegeneren Teile

18

des Schiffes auf. Er gelangte schließlich in die Nähe des Kraftwerks. In einem Ersatz­teillagerraum suchte er sich ein Versteck zwischen zwei Lagergestellen.

Unmittelbare Gefahr bestand für ihn nicht. Er war jederzeit in der Lage, Mana-Konyrs Körper zu verlassen und an anderem Ort Zuflucht zu suchen – zum Beispiel bei Gonozal. Das aber würde bedeuten, daß er den Plan, für den Rest seines Daseins Gutes zu tun, indem er Orbanaschol III. beseitigte, fürs erste aufgeben mußte. Danach stand ihm nicht der Sinn. Er hatte Mana-Konyrs Identität angenommen und wollte sie behal­ten, solange noch die geringste Aussicht be­stand, daß er unter dieser Maske nach Arkon und in die Nähe des Imperators gelangen konnte.

Indem er sich versteckte, ging er ein Risi­ko ein. Darüber war er sich im klaren. Was, wenn die Methans die Gefangenen von Bord brachten und die LASEER danach zerstör­ten? Dann blieb ihm immer noch der Aus­weg in einen anderen Körper. Aber Mana-Konyr würde mit dem Schiff zugrunde ge­hen.

Er wartete. Manchmal hörte er Geräusche aus anderen Teilen des Schiffes. Aber sie waren zu verworren, als daß er ihnen hätte entnehmen können, was an Bord der LA­SEER vor sich ging. Er bedachte die Mög­lichkeit, kurzfristig in einen anderen Körper zu schlüpfen, um besser beobachten zu kön­nen. Pedar dom Khaal war, soweit er das be­urteilen konnte, ein Mensch, der den Forde­rungen des Unseins in nahezu idealer Weise entsprach. Pedar war ohne Zweifel ein ge­eigneter Zielkörper. Schließlich aber ver­warf der Magnortöter den Gedanken wieder. Wenn er Mana-Konyr verließ, mochten Komplikationen entstehen, die ihn daran hinderten, die Rolle des KAYMUURTES-Sie­gers ein zweites Mal anzunehmen.

Allmählich wurde es ruhig an Bord der LASEER. Klinsanthor wartete gespannt auf ein Anzeichen, daß das Raumschiff sich in Bewegung setzte. Oder daß die Methans das Feuer eröffneten. Aber es geschah nichts. Es

Kurt Mahr

blieb ruhig, über zwei Stunden lang. Dann aber öffnete sich plötzlich das

Schott des Lagerraums. Aus seinem Ver­steck hervor gewahrte der Magnortöter die riesigen Gestalten von drei Methans in ihren unförmigen Raumanzügen, die sie vor der giftigen Sauerstoffatmosphäre der LASEER schützten.

Hinter den Maahks kam eine menschliche Gestalt – hager und hochgewachsen, und dennoch nur ein Zwerg im Vergleich zu den zyklopischen Fremden: Pedar dom Khaal. Er warf einen Blick in die Runde, dann kam er geradeswegs auf Klinsanthors Versteck zu. Triumphierend wies er in die Lücke zwi­schen den beiden Gestellen und verkündete:

»Hier ist er – wie ich es gesagt habe!« Einer der drei Methans schob sich nach

vorne. Hinter der Sichtscheibe des mächti­gen Helms sah Klinsanthor einen monströ­sen, mit vier grünlichen Augen bewehrten Schädel mit schuppiger Haut. Die Atmo­sphäre im Innern des Raumanzugs war neb­lig-trüb. Sie bestand, wie der Magnortöter wußte, in der Hauptsache aus Wasserstoff mit Beimengungen von Methan, Ammoniak und anderen Gasen.

Der Koloß trug irgendwo einen Transla­tor. Aus einem Sprechgerät ertönte auf Ar­konidisch die Frage:

»Bist du Mana-Konyr?« »Der bin ich«, bestätigte der Magnortöter. »Er ist einer der Vertrauten des Impera­

tors!« mischte Pedar sich ein. »Ist das wahr?« wollte der Methan wis­

sen. »Nein.« Der Maahk war nicht beeindruckt. »Aus dem Verhör wird sich die Wahrheit

ergeben. Du kommst mit uns.« Klinsanthor kam aus einem Versteck her­

vor. Die Methans waren bewaffnet. Er wuß­te, daß er fürs erste alles über sich ergehen lassen mußte. Pedar dom Khaal musterte ihn mit haßerfülltem Blick. Der Magnortöter schritt dicht an ihm vorbei. Dabei sagte er:

»Du weißt besser als jeder andere, daß ich nicht der Vertraute des Imperators bin. Ich

19 Agentenschule Cerrgoor

warne dich: Eines Tages werde ich mit dir abrechnen!«

*

Die beiden Arkoniden mußten Raumanzü­ge anlegen und wurden in ein Beiboot der Maahks gebracht. Auf dem Weg zum Han­gar sah Klinsanthor, daß eine Gruppe von Gegnern den Kommandostand der LASEER besetzt hatte. Anscheinend sollte das Schiff als Beute mitgenommen werden.

An Bord des Beiboots herrschte eine mör­derische Schwerkraft, wie sie die Methans gewohnt waren. Pedar dom Khaal sank als­bald zu Boden und verlor wenige Augen­blicke später das Bewußtsein. Klinsanthor gelang es mit einiger Willensanstrengung, wach zu bleiben. Das Beiboot flog eines der Methanraumschiffe an. Fremde Roboter er­schienen und transportierten die beiden Ar­koniden ab – Pedar, weil er ohnmächtig war, und Klinsanthor, weil dessen Gastkörper un­ter der entsetzlichen Gravitation nicht mehr genug Kraft hatte, sich zu bewegen.

Die Tortur hatte jedoch bald ein Ende. Das Raumschiff war für die Aufnahme arko­nidischer Gefangener eingerichtet. Durch ei­ne Schleuse wurden die beiden Männer in einen Gang gebracht, in dem normale Schwerkraft herrschte. Daß es hier auch eine atembare Atmosphäre gab, erfuhr Klinsan­thor, als die Roboter ihm den Raumanzug abnahmen, indem sie ihn einfach aufschnit­ten. Durch ein schweres, stählernes Schott wurde der Magnortöter in einen engen, grell erleuchteten Raum gestoßen. Bevor sich das Schott wieder schloß, sah er, daß man den bewußtlosen Pedar dom Khaal weiterbeför­derte.

Im hintersten Winkel der Kammer er­blickte er eine in sich zusammengesunkene Gestalt.

»Heh, wer bist du?« fragte er. Die Gestalt richtete sich auf. Er erkannte

Nithrea. Sie sah ihn zornig an. »Es konnte den Maahks nichts Besseres

einfallen, als ausgerechnet uns zwei zusam­

menzusperren!« zischte sie ihn an. Plötzlich empfand er die Lage als ko­

misch. Er fing an zu lachen. Nithrea wurde noch zorniger.

»Du bist ein eingebildeter, überheblicher Affe!« schrie sie unbeherrscht.

Das Lachen tat gut. Klinsanthor empfand es mit Verwunderung. Auch das Lachen war ein Begriff aus der Domäne des Seins. In der Welt des Unseins wurde nicht gelacht. Er gab sich dem Gefühl der Erleichterung hin. Nithrea ballte die Fäuste und sah eine Weile so aus, als wollte sie sich auf ihn stürzen. Schließlich aber kehrte sie in ihre Ecke zu­rück und hockte sich auf den Boden. Den Kopf neigte sie nach vorne, so daß ihr das lange, rötlich-weiße Haar ins Gesicht fiel. Das war der Vorhang, durch den sie zu er­kennen gab, daß sie für ihren Mitgefangenen nicht zu sprechen war.

Klinsanthor hielt es für richtig einzulen­ken.

»Wir sitzen zusammen in derselben Pat­sche, Mädchen«, ermahnte er Nithrea. »Du tust gut daran, deinen verletzten Stolz zu überwinden und mit mir zusammenzuarbei­ten.«

Nithrea reagierte nicht. »Ich bin überzeugt«, unternahm der Ma­

gnortöter einen zweiten Versuch, »daß jeder andere Mann im Großen Imperium einen Arm und ein Bein dafür geben würde, dich zu besitzen. Deine Schönheit ist so groß, wie sie die Götter nur besonders Auserwählten schenken. Weder du noch die Götter können dafür, daß Mana-Konyr für solche Gaben unempfänglich ist.«

Nithrea hob den Kopf. Das lange Haar glitt ihr zu beiden Seiten über die Schultern.

»Was ist anders an Mana-Konyr?« fragte sie.

»Er hat sich an ein Gelübde erinnert«, log Klinsanthor. »An das Gelübde, das ihm Macht und Ruhm gebracht hat; Frauen und berauschende Getränke nicht anzurühren.«

Mit einemmal lächelte das Mädchen. »Ein paar Tage lang ist sein Gelübde ganz

schön in Vergessenheit geraten«, spottete

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sie. »Das ist ihm klargeworden. Um so drin­

gender war es für ihn, daß er zu seinen frü­heren Lebensgewohnheiten zurückkehrte.«

Nithrea legte den Kopf schräg auf die Sei­te.

»Sprichst du immer so von dir? So mit ›er‹ und ›Mana-Konyr‹ anstatt mit ›ich‹?«

Klinsanthor machte eine verneinende Ge­ste.

»Nicht oft«, antwortete er und lächelte da­zu. »Nur wenn ich besonders ernst bin.«

Sie musterte ihn aufmerksam. Es war leicht zu erkennen, daß sie darüber nach­dachte, wie Mana-Konyr dazu gebracht wer­den könnte, seinem Gelübde abermals un­treu zu werden.

»Hast du eine Ahnung, wohin die Me­thans uns bringen und was sie von uns wol­len?« fragte Klinsanthor, um sie auf andere Gedanken zu bringen.

»Ich glaube, ja«, antwortete sie in belang­losem Tonfall, als sei es ganz selbstver­ständlich, daß eine junge Frau über die Ab­sichten des Todfeinds informiert war. »Unser Ausweichmanöver führte in einen Randsektor des Großen Imperiums, der un­ter dem Namen Ullishtan bekannt ist. Es gibt Gerüchte, daß die Methans einen geheimen Stützpunkt irgendwo im Ullishtan-Sektor eingerichtet hätten. Die übliche Art von Stützpunkt: eine Sonne mit mindestens ei­nem Wasserstoff-Planeten, der gewöhnlich einen großen Mond mit einer Sauerstoffat­mosphäre hat.«

Klinsanthor machte aus seiner Verwunde­rung keinen Hehl.

»Woher weißt du das alles?« fragte er. »Ich reise viel. Hat Pedar das nicht er­

wähnt?« Pedar hatte eine solche Bemerkung ge­

macht, erinnerte sich der Magnortöter. Ni­threa fuhr fort:

»Man hat den Geheimstützpunkt noch nicht gefunden. Trotzdem glaubt man zu wissen, daß es sich um ein System namens Cerrgoor handelt und daß die Methans dort gefangene Arkoniden sammeln, die sie als

Kurt Mahr

Spione ausbilden.« »Spione?« »Ja. Die Methans sind darauf angewiesen,

sich ihre Informanten aus unseren Reihen zu beschaffen. Das leuchtet ein, nicht wahr? Wie sollte sich ein Maahk auf Arkon als Spion betätigen?«

Klinsanthor spürte, wie der Boden zu vi­brieren begann. Das war das Zeichen, daß das Raumschiff sich in Bewegung gesetzt hatte.

*

Einige Stunden vergingen völlig ereignis­los. In der kleinen Zelle war es heiß. Ge­sprochen wurde nicht viel. Nithrea unter­nahm ein paar Versuche, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Aber sie merkte bald, daß ihr Gegenüber mit seinen eigenen Ge­danken beschäftigt war, und gab auf. Klinsanthor analysierte Handlungsalternati­ven. Seine Aufgabe war die Rache an dem Mörder Orbanaschol. Mana-Konyr, der Sie­ger der Amnestie-KAYMUURTES, war ei­ner freundlichen Aufnahme durch den Impe­rator sicher – nicht, weil Orbanaschol eine Schwäche für Athleten hatte, sondern weil er den taufrischen, weltweiten Ruhm des Töters brauchte, um sein eigenes ramponier­tes Ansehen zu verbessern.

Wie lange aber war Mana-Konyr, so groß sein Ruhm auch sein mochte, für den Impe­rator von Bedeutung? Dessen Ruf nämlich war so miserabel wie noch nie zuvor, und wenn die Ankunft des KAYMUURTES-Sie­gers sich nennenswert verzögerte, dann wür­de er in aller Eile nach einem anderen Effekt haschen müssen, um die Talfahrt seiner Be­liebtheit bei den Massen zu bremsen. Ein Mana-Konyr, der erst in vier oder fünf Wo­chen auf Arkon eintraf, um sich mit ihm zu zeigen, nützte ihm nichts.

Dem Magnortöter blieb also nicht viel Zeit. Natürlich hatte er die Möglichkeit, in einem anderen Körper Zuflucht zu suchen – und es war ihm überlassen, sich einen sol­chen Körper zu suchen, der sich derzeit

21 Agentenschule Cerrgoor

nicht in der Gewalt der Methans, sondern ir­gendwo in der Nähe des Imperators befand. Mit hoher Wahrscheinlichkeit allerdings würde sein neuer Wirt nicht einer von denen sein, die ständigen Zutritt zu Orbanaschol hatten. Das bedeutete für Klinsanthor, daß er den Wirtskörper ein zweites und womöglich ein drittes Mal würde wechseln müssen.

Das kam für ihn nicht in Frage. Jeder Wechsel verringerte seine Kräfte. Im Ver­gleich zu seinem früheren Selbst war er oh­nehin nur noch ein Schatten. Es war drin­gend notwendig, jegliche Schwächung zu meiden.

Solange er sich in Mana-Konyrs Körper befand, war er auf die Methans angewiesen. Es kam darauf an, wie lange sie brauchten, um einen gefangenen Arkoniden in einen Spion zu verwandeln, den sie auf das Große Imperium loslassen konnten. Sicherlich kannten sie Methoden, um auch den glü­hendsten Anhänger des Imperators in einen Agenten zu verwandeln, um dessen Loyali­tät sie sich nicht zu sorgen brauchten. Psy­chochemische Drogen, Hypnose und Sugge­stion spielten dabei eine Rolle. Im Großen und Ganzen würde die Dauer des Verwand­lungsprozesses auch von der Mentalität des einzelnen abhängen: Einer, der Orbanaschol ohnehin haßte, würde sich leichter zum Spi­on machen lassen als ein Anhänger des Im­perators.

Selbst im günstigsten Fall jedoch, meinte Klinsanthor, würden ein paar Monate verge­hen, bevor der frischgebackene Informant von den Methans wieder auf die Reise ge­schickt wurde.

Das aber war für ihn viel zu lange. Da er sich entschlossen hatte, auch wei­

terhin Mana-Konyrs Rolle zu spielen, be­deutete diese Erkenntnis für ihn, daß er die Dinge nicht einfach über sich ergehen lassen durfte. Er mußte in den Entscheidungspro­zeß der Methans eingreifen. Er mußte sie da­zu bewegen, etwas zu tun, was sie noch nie zuvor getan hatten: einen Gefangenen schon nach wenigen Tagen als zuverlässigen Spion wieder in den Einsatz zu schicken.

*

Nach gut zehn Stunden setzte das Raum­schiff zur Landung an. Klinsanthor merkte es an dem An- und Abschwellen der Trieb­werkstätigkeit. Nach der Landung kamen Roboter, um die Gefangenen aus ihren Zel­len zu holen und zusammenzutreiben. Der Magnortöter spürte, daß die Schwerkraft ge­ringer geworden war. In dem Gang, durch den sie getrieben wurden, war es empfind­lich kalt. Er mündete unmittelbar auf eine große Schleuse, die in der Mitte des Schiffes lag und von der aus ein Steg nach unten führte.

Aus der Höhe der Schleusenöffnung blickte Klinsanthor über eine trostlose Welt. Eine von graugrünem Stoppelgras bewach­sene Ebene streckte sich bis an die Grenzen des Sichtkreises. Nicht ein Baum, nicht eine Bodenerhebung unterbrach die Eintönigkeit. Unter einem violettgrauen Himmel strichen dünne, längliche Wolkenfetzen rasch dahin. Die fremde Sonne stand zur Linken, ein kleiner, aber ungemein greller Glutball. Die Farbe der Sonne war ein helles Blau. Sie er­zeugte viel Licht, aber wenig Wärme.

Ein stetiger Wind blies den Gefangenen ins Gesicht. Die Luft war kalt und dünn. Die Roboter trieben die Leute den Steg hinab. Der Boden der fremden Welt war hart, und das Gras zerbröckelte unter den Schritten. Die Maschinenwesen führten den Zug der Gefangenen um den Rumpf des Schiffes herum. Da bekam Klinsanthor zum ersten Mal die Gruppe von Baracken zu sehen, die mitten in der Einöde standen: langgestreck­te, graue Gebäude mit winzigen Fensteröff­nungen und plattem Dach. Sie standen in Reih und Glied, immer drei nebeneinander, und die Reihe war sieben Gebäude lang. Ins­gesamt einundzwanzig Baracken also. Au­ßer durch ihre Position unterschied sich kei­ne von der andern.

Das Bild hatte etwas Groteskes an sich. Als Gestalt gewordene Einöde hätte die graugrüne Ebene manchem romantischen

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Gemüt womöglich noch ein Gefühl der Er­griffenheit abgelockt. Aber die Baracken zerstörten den Eindruck. Sie zerrissen die Szene. Sie zeugten davon, daß intelligente Wesen in die Unberührtheit dieser Natur eingegriffen hatten, ohne Sinn für Harmo­nie. Man hätte sagen können, die einund­zwanzig Hütten seien eine Sünde wider die Schöpfung, und es wäre niemand eingefal­len, das zu bestreiten.

In einem langen, traurigen Zug marschier­ten die Gefangenen auf die Baracken zu. Die Roboter verteilten sie auf die einzelnen Ge­bäude. Sie zählten einfach ab und wiesen je zwölf Leuten eine der Unterkünfte zu. Auf persönliche Präferenzen wurde keine Rück­sicht genommen. Einer der Gefangenen ver­suchte zu meutern. Mit harten Schlägen ih­rer metallenen Fäuste trieben ihn die Robo­ter in die Baracke, die sie ihm zugewiesen hatten.

Klinsanthor und Nithrea blieben beisam­men. Gemeinsam mit zehn anderen Arkoni­den bezogen sie die Unterkunft, die die Ro­boter ihnen angewiesen hatten. Das Innere bestand aus einem langgestreckten Raum, in dem primitive Liegen aufgereiht waren, und einigen kleineren Gelassen im Hintergrund, die nach Klinsanthors Ansicht Zwecken der Hygiene dienten. Die Roboter kümmerten sich nicht mehr um die Gefangenen, nach­dem sie sie einmal in eine Baracke getrieben hatten. Der Magnortöter eilte zu einem der kleinen Fenster, von dem aus er das Raum­schiff des Methans sehen konnte. Er beob­achtete, wie die Roboter wieder an Bord gin­gen, nachdem sie alle Gefangenen unterge­bracht hatten. Kurz darauf startete das Fahr­zeug mit singenden Feldtriebwerken. Es stieg in den violettgrauen Himmel hinauf und verschwand.

Klinsanthor wandte sich vom Fenster ab und sah seine Mitgefangenen auf den primi­tiven Liegen hocken, die Köpfe gesenkt, den Blick zu Boden gerichtet. Da überkam ihn aufs neue der Drang zu lachen. Ein paar Leute sahen auf, als sie sein Gelächter hör­ten. Die anderen waren so in ihre Niederge-

Kurt Mahr

schlagenheit versunken, daß nichts mehr sie aufstören könnte.

»Ihr braucht die Köpfe nicht hängenzulas­sen!« rief der Magnortöter in die Runde. »Was die Methans an uns versuchen, ist ein psychologischer Trick. Sie wollen uns weich machen. Es liegt an uns, ihnen eine Überra­schung zu bereiten!«

*

Er ging von der Annahme aus, daß Ni­threa Recht hatte. Diese Welt war Cerrgoor. Die Maahks wollten aus den gefangenen Ar­koniden Spione machen. Sie rechneten da­mit, daß die Gefangenen von dieser Absicht nichts wußten.

Die Einöde von Cerrgoor würde ihre Wir­kung auf die Arkoniden nicht verfehlen. In ein paar Wochen, vielleicht sogar schon in ein paar Tagen würden die Gefangenen Wahnvorstellungen über warme, blühende Welten entwickeln. Dann war es einfach, sie zum Agentendienst zu überreden.

Was Klinsanthor interessierte, war, wie die Methans herausfanden, wann die Zeit reif war. Es war nur ein einziges Schiff auf Cerrgoor gelandet – zumindest in dieser Ge­gend. Die übrigen Fahrzeuge und die LA­SEER hatten entweder an einem weit entle­genen Ort oder auf einem anderen Planeten aufgesetzt. Der Magnortöter erinnerte sich an Nithreas Schilderung, wonach der typi­sche vorgeschobene Stützpunkt der Methans aus einem Wasserstoffriesen und dessen mit Sauerstoffatmosphäre ausgestattetem Satelli­ten bestand. Wenn Cerrgoor wirklich nur ein Mond war, dann mußte der Planet, um den er kreiste, irgendwann einmal sichtbar wer­den. Womöglich waren die anderen Methan-Schiffe mitsamt der LASEER dort gelandet.

Wie immer dem auch war – scheinbar be­fand sich zu diesem Zeitpunkt kein einziger Methan mehr auf Cerrgoor. Wie also wollte der Feind feststellen, wann die Gefangenen jenes Stadium der Verzweiflung erreicht hatten, in dem es leicht war, sie zu Spionen zu machen? Klinsanthor untersuchte die Ba­

23 Agentenschule Cerrgoor

racke eingehend, fand aber kein Anzeichen dafür, daß es hier Sicht- oder Abhörgeräte gab.

War es nicht viel wahrscheinlicher, daß die Methans sich irgendwo in der Nähe ver­steckt hielten?

Je länger Klinsanthor darüber nachdachte, für um so wahrscheinlicher hielt er es, daß seine Vermutung richtig war.

Inzwischen hatten andere Gefangene die rückwärtig gelegenen Räume untersucht und festgestellt, daß einer davon eine Art Auto­matenküche war. Stundenlang hatte man versucht, die Geräte in Gang zu bringen. Das gelang jedoch erst, als die Sonne nur noch ein paar Fingerbreit über dem Horizont stand. Es sah aus, als wollten die Methans ihre Gefangenen zum Einhalten bestimmter Mahlzeiten zwingen. Was die Automaten produzierten, reichte, um Hunger und Durst zu stillen und den Nährstoffbedarf des Kör­pers zu decken. Das war alles.

Gegen Sonnenuntergang verließ Klinsan­thor zum ersten Mal die Baracke und suchte der Reihe nach die Hütten auf, in denen die anderen Gefangenen untergebracht waren. Er ließ verlauten, daß eine Stunde nach Son­nenuntergang in seiner Baracke eine Bera­tung stattfinde, an der möglichst jeder teil­nehmen solle. Dann sah er sich weiter um und stellte fest, daß die nicht mit Gefange­nen belegten Baracken in der Tat leer waren und offenstanden. Insgeheim hatte er ge­hofft, irgendwo auf eine verschlossene Tür zu stoßen. Das wäre ein Hinweis darauf ge­wesen, daß sich der Feind in der Nähe ver­barg.

*

Zur Beratung erschienen alle. Klinsanthor trug seine Hypothese vor. Er schloß mit den Worten:

»Wir dürfen nicht einfach warten und die Köpfe hängen lassen. Verzweiflung oder so­gar Wahnsinn wären die unvermeidlichen Folgen. Wir müssen den Feind zum Handeln zwingen. Wir müssen die Methans aufspü­

ren, die sich irgendwo hier in der Nähe ver­steckt halten. Indem wir ihr Versteck auf­spüren, beweisen wir ihnen, daß wir nicht die hilflosen Narren sind, für die sie uns ge­halten haben.«

Er verschwieg, was er für sich behalten wollte: daß die Suche nach dem Versteck, selbst wenn es keines gab, nützlich sein wür­de, weil nur zielbewußte Tätigkeit die Ge­fangenen daran hinderte, ins Grübeln und damit in die Verzweiflung zu verfallen.

Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Womit er hinter dem Berg halten wollte, brachte Pedar dom Khaal als zweiter Redner rücksichtslos ans Tageslicht. Und noch einiges mehr.

»Man muß sich fragen«, begann er süffi­sant, »woher einer, der den größten Teil sei­nes Lebens abseits der Menschheit in Straflagern verbracht hat, plötzlich soviel Verständnis für Strategie und Taktik haben will, daß er sich erdreistet, uns hier Ratschläge zu erteilen. Ich meine, ein Sieg bei den KAYMUURTES macht noch lange keinen Feldherrn. Sosehr wir Mana-Konyrs Tapferkeit und Tüchtigkeit bei den Spielen bewundern, so sehr müssen wir uns anderer­seits fragen, ob er wirklich der geeignete Mann ist, uns in dieser Lage ein Verhalten vorzuschreiben.«

Er machte das sehr geschickt, mußte Klinsanthor ihm zugestehen. Er wußte, daß der KAYMUURTES-Sieger die Bewunde­rung der Gefangenen genoß. Er machte ihn nicht einfach schlecht. Im Gegenteil: Er wies auf die Bewunderung hin, die ihm ge­bührte, und wies dann die Grenzen auf. Ein ehemaliger Strafgefangener hatte keine Fä­higkeit, Anführer zu sein.

»Mana-Konyrs Vorschläge«, fuhr Pedar fort, »würden uns, wenn wir sie verwirklich­ten, geradeswegs ins Verderben führen. Wir alle wissen, daß einem Arkoniden, der von den Methans gefangen wird, eins von zwei Schicksalen droht: Er wird entweder zum Sklaven gemacht, oder man bildet ihn als Spion aus. Es hat den Anschein, als sei uns das letztere Los zugedacht. Das ist gut.

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Denn ein Sklave hat so gut wie keine Aus­sicht mehr, seinem Schicksal zu entkom­men. Uns dagegen wird man, wenn man un­ser sicher zu sein glaubt, wieder entlassen, damit wir im Großen Imperium für die Me­thans spionieren. Was wir aus diesem Auf­trag machen, bleibt uns und unserem Gewis­sen überlassen.

Wenn wir die Entwicklung stören, wird der Feind sich die Sache wahrscheinlich an­ders überlegen. Wenn wir Initiative zeigen, die den Interessen der Methans zuwiderläuft, wird er darauf verzichten, uns zu Spionen auszubilden, und uns stattdessen zu Sklaven machen.

Das ist es, worauf Mana-Konyrs Plan hin­ausläuft.

Im Grunde genommen, glaube ich nicht, daß der KAYMUURTES-Sieger sich über diese Dinge nicht im Klaren ist. Er will et­was Gutes, nämlich uns beschäftigt halten, damit wir nicht dem Trübsinn anheimfallen. Aber die Tätigkeit, die er uns aufschwatzen will, ist eine gefährliche. Wir müssen uns ei­ne andere einfallen lassen.«

Er schwieg. Die Leute waren nachdenk­lich geworden. Klinsanthor sah, daß die Mehrzahl auf Pedar dom Khaals Seite neig­te. Er hatte überzeugend gesprochen. Er hat­te dem KAYMUURTES-Sieger den nötigen Respekt bezeigt und ohne Beleidigung durchblicken lassen, wo Mana-Konyr seine Grenzen hatte.

Da geschah etwas Überraschendes. Eine helle, klare Frauenstimme war plötz­

lich zu hören. Jedermann sah auf. Es war Ni­threas Stimme. Sie sagte:

»Wer hätte gedacht, Pedar dom Khaal, daß du ein solcher Feigling bist!«

5.

Das gab den Ausschlag. Klinsanthor er­griff noch einmal das Wort. Danach hatte er rund siebzig Prozent der Gefangenen auf seiner Seite. Der Rest hielt weiterhin zu Pe­dar dom Khaal und teilte seine Befürchtun­gen. Der Magnortöter schlug vor, daß man

Kurt Mahr

sofort die nächsten Schritte besprechen sol­le. Daraufhin ließ Pedar hören, daß er und seine Anhänger von solchen Schritten nichts wissen wollten und daher nicht die Absicht hätten, an der Beratung weiter teilzunehmen. Unter den verächtlichen Rufen der Zurück­bleibenden zog Pedar dom Khaal mit seiner Mannschaft ab.

Klinsanthor stand in der Nähe des Aus­gangs. Als Pedar an ihm vorüber wollte, hielt er ihn fest. Mit halblauter Stimme sagte er:

»Für einen, der genau weiß, daß ich nicht Mana-Konyr bin, hast du diesen Namen recht häufig gebraucht!«

Pedars Reaktion war so heftig, daß er sich Klinsanthors Griff entriß. Aus weiten Augen starrte er den Magnortöter an, und sein Ge­sicht wurde grün vor Furcht. Nach ein paar Sekunden besann er sich und eilte wie ge­hetzt durch die offene Tür in die kalte Nacht hinaus.

Klinsanthor beriet mit den Leuten, die zu­rückgeblieben waren. Er sprach offen zu ih­nen. Er gestand, daß Pedars Argumente zum Teil richtig waren. Sein Plan konnte dazu führen, daß die Methans die Gefangenen als Spione für untauglich hielten und sie zur Sklaverei verurteilten.

»Allerdings müßt ihr euch überlegen«, sagte er, »ob das wirklich ein so sehr viel schlimmeres Los ist. Oder meint ihr, daß der Feind, nachdem er euch zu Spionen ausge­bildet hat, euch völlig ohne Aufsicht entlas­sen wird? Es wird Kontrollen und Kontakte geben. Die Methans unterhalten ein engma­schiges Spionagenetz im Großen Imperium. Die wichtigsten Agenten sind dem Feind treu ergeben. Mit ihnen werdet ihr es zu tun haben. Ihr könnt nicht einfach ins Imperium zurückkehren und den ganzen Zwischenfall vergessen. Man wird euch daran erinnern, daß ihr versprochen habt, für die Methans zu arbeiten. Wenn ihr euer Versprechen nicht haltet, werden sich andere Agenten euer an­nehmen. Und eines Tages wird man irgend-wo eure Leichen finden.«

Das überzeugte sie. Klinsanthor setzte

25 Agentenschule Cerrgoor

durch, daß mit der Suche nach dem Versteck der Methans noch in dieser Nacht begonnen wurde. Es bildeten sich vier Gruppen, je­weils aus drei Leuten bestehend. Der Magn­ortöter schlug vor, man solle erst die leeren Baracken und dann die Umgebung des La­gers durchsuchen. Die Sucher machten sich alsbald auf den Weg. Die übrigen Teilneh­mer der Beratung kehrten in ihre Baracken zurück.

Als Klinsanthor kurze Zeit später nach­denklich auf der Kante seines primitiven La­gers saß, kam Nithrea zu ihm.

»Du willst einfach hier warten?« fragte sie.

»Nein. Ich versuche, wie ein Methan zu denken und zu ermitteln, wo ich mich auf dieser Welt verstecken würde, wenn ich ein Methan wäre.«

»Hast du Erfolg dabei?« Klinsanthor machte eine verneinende Ge­

ste. »Nicht besonders. Ein Gefühl sagt mir,

daß der Feind sich in diesem Lager aufhält. Wahrscheinlich unterirdisch. Es muß eine Anlage geben, in der die Methans ihre gifti­ge Atmosphäre und die Schwerkraftverhält­nisse geschaffen haben, an die sie gewöhnt sind. Der Zugang liegt wahrscheinlich in ei­ner der leeren Baracken.«

»Willst du suchen?« »Ja.« »Nimmst du mich mit?« Klinsanthor sah sie überrascht an. »Fürchtest du dich nicht?« »Doch. Aber trotzdem möchte ich mit­

kommen.«

*

Die Nacht war bitter kalt. Unterwegs be­gegneten sie zwei Suchtrupps, die zähne­klappernd ihr Vorhaben aufgegeben hatten. Ohne Erfolg. Klinsanthor begann mit der vordersten Barackenreihe – der also, die dem verlassenen Landeplatz des Methan­schiffs am nächsten lag. Die Tür des ersten Gebäudes ließ sich mühelos öffnen, aber

drinnen war es finster. Der Magnortöter und das Mädchen suchten die Wände in der Nä­he des Eingangs ab. Nithrea fand schließlich einen Schalter, mit dem sich eine Art Notbe­leuchtung einschalten ließ: zwei Dutzend winziger, aber grellweißer Lichtquellen, die unter der Decke angebracht waren. Das gab genug Helligkeit, das Innere der Baracke sichtbar zu machen.

Es sah hier nicht anders aus als in dem Bau, in dem die Gefangenen untergebracht waren. Lange Reihen primitiver Liegen streckten sich von der Vorder- bis zur Rück­wand. In der Rückwand gab es mehrere Tü­ren, die zu einer Art Hygienezelle und zu den Küchenräumen führten, in denen sich die Gefangenen ihre eigenen Mahlzeiten be­reiten konnten.

Auf dem Boden lag Staub, den der ewige Wind durch die Fugen hereingetrieben hatte. Die Luft roch schal. Diese Baracke war seit langer Zeit nicht mehr benützt worden.

»Hier finden wir nichts«, sagte Klinsan­thor mißmutig.

Sie schalteten das Licht ab und gingen hinaus. In der zweiten Baracke bot sich ih­nen dasselbe Bild. Auch hier gab es den cha­rakteristischen Geruch, der darauf hinwies, daß sich in diesem Bau seit langem niemand mehr aufgehalten hatte. Klinsanthor begnüg­te sich damit, die verlassene Szene mit ei­nem Blick zu überfliegen. Dann wandte er sich wieder dem Ausgang zu.

Sein nächstes Ziel war die letzte Baracke in der vordersten Reihe, die am linken Flü­gel. Er öffnete die Tür und wandte sich nach rechts, wo üblicherweise der Schalter für die Notbeleuchtung zu finden war. Er fand ihn auch jetzt. Aber als er den Schalter kippte, geschah nichts. Es blieb finster.

»Was bedeutet das?« fragte Nithrea flü­sternd.

»Wahrscheinlich weiter nichts, als daß ir­gendwo ein Kontakt unterbrochen ist«, dämpfte der Magnortöter ihren Eifer.

Dann aber ließ er sich auf die Knie nieder und suchte den Boden ab. Er war eine Zeit­lang beschäftigt. Nithrea hörte ihn sich auf

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allen vieren bewegen. Er kroch hierhin und dorthin. Schließlich kehrte er zurück und richtete sich auf.

»Vielleicht bedeutet es doch mehr«, sagte er, und seine Stimme hatte einen merkwür­digen Klang.

»Wie meinst du?« »Es liegt kein Staub auf dem Boden!«

*

Das Jagdfieber hatte sie gepackt. Aber die Finsternis machte ihnen die Sache schwer. Klinsanthor versuchte abzuwägen, ob es nicht besser sei, bis zum nächsten Morgen zu warten. Aber erstens wußte er nicht, wie lange die Nächte auf dieser Welt waren, und zweitens brachte jede verlorene Stunde sei­nen Plan in zusätzliche Schwierigkeiten. Er war noch unentschlossen, als er plötzlich einen fahlen Lichtschimmer bemerkte, der zur linken Hand durch die Reihe kleiner Fenster kam. Auch Nithrea war aufmerksam geworden. Vorsichtig schritt sie zu den Fen­stern hinüber. Auf den Zehenspitzen ste­hend, blickte sie hinaus. Klinsanthor hörte, wie sie hastig aufatmete.

Das Bild des Nachthimmels hatte sich verändert. Im Südosten stand ein schmaler, langer Streif mattweißer Helligkeit über dem Himmel. Während die beiden Späher beob­achteten, wurde er breiter und länger. Man konnte erkennen, daß sein oberer Rand re­gelmäßig gekrümmt war.

»Was ist das?« hauchte Nithrea. »Das ist der Planet, dessen Mond diese

Welt ist«, antwortete der Magnortöter. »Er kommt uns gerade recht. In einer halben Stunde wird es hier so hell sein wie mitten am Tag.«

Wortlos beobachteten sie, wie der giganti­sche Planet sich weiter über den Horizont in die Höhe schob. Es war ein faszinierendes und gleichzeitig furchteinflößendes Schau­spiel. Schon nach wenigen Minuten um­spannte der gewölbte Lichtstreif den Hori­zont vom Osten bis zum Süden. Wenn die gewaltige Scheibe zur Gänze am Himmel

Kurt Mahr

stand, schätzte Klinsanthor, dann bedeckte sie wenigstens ein Viertel des Firmaments.

Die riesigen Ausmaße der Planetenschei­be erweckten den Eindruck, die fremde Welt sei ganz nahe. Dennoch waren Einzelheiten der Oberfläche nicht zu erkennen. Stattdes­sen sah Klinsanthor die typischen Streifen, die die Atmosphäre des Planeten in äquator­parallele Zonen einteilten – ein Charakteri­stikum der gigantischen Wasserstoffwelten, auf denen die Methans sich am wohlsten fühlten.

Dort also hatte der Feind seinen Stütz­punkt. Der Mond diente nur als Gefangenen­lager. Und als Schulungsstätte für Spione. Klinsanthor wandte sich vom Fenster ab und sah, daß das Innere der Baracke inzwischen hell geworden war. Das Auge bestätigte, was die tastenden Finger zuvor schon wahr­genommen hatten: auf dem Boden lag kein Staub.

Ansonsten glich der Barackenraum den anderen beiden, die sie vorhin durchsucht hatten: lange Reihen leerer Liegen, im Hin­tergrund ein paar Türen. Klinsanthor schritt die Gänge zwischen den Liegen ab. Wenn es hier einen Zugang zum Versteck der Me­thans gab, dann mußte er irgendwo auf dem Boden zu finden sein. Dieser Boden aber be­stand aus einer fugenlos gegossenen, harten Masse. So hart der Magnortöter auftrat, er fand nirgendwo eine Stelle, an der ein hohler Klang auf einen unterirdischen Hohlraum hingewiesen hätte.

Er durchsuchte die Küche im hinteren Teil der Baracke. Dazu mußte er die Tür of­fenlassen, denn die Küchenräume waren durchweg fensterlos. Er fand auch hier nichts Besonderes. Nithrea war ihm gefolgt. Enttäuschung lag in ihrem Blick.

»Auch hier nichts«, murmelte sie. Er schritt an ihr vorbei und blieb unter der

Tür stehen. In ihm war die Gewißheit, daß es hier irgendwo eine Spur geben müsse. Daß er dem Geheimnis nahe war. Daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um es zu berühren. Und doch …

Dann, plötzlich, fiel ihm etwas auf. Er

27 Agentenschule Cerrgoor

zählte die Liegen. Sie standen in vier Rei­hen. Jede Reihe war zehn Liegen lang. Er lief quer durch die Baracke – so rasch, daß Nithrea ihm kaum folgen konnte. Er rannte durch die offene Tür hinaus auf die Nach­barbaracke zu. Er riß die Tür auf und starrte in den leeren Raum, den das bleiche Licht der Methanwelt erhellte.

»Dreizehn!« stieß er hervor. Dann wandte er sich um und schritt außen

an der Längswand der Baracke entlang. Er brauchte die Schritte nicht zu zählen. Mit dem Augenmaß allein ließ sich bestimmen, daß die beiden benachbarten Baracken gleich lang waren.

Nithrea wußte nicht, worum es ging. »Der Innenraum der Baracke dort drüben

ist kürzer als dieser hier«, erklärte der Ma­gnortöter. »Genau um die Strecke kürzer, die man braucht, um drei Liegen aufzustel­len. Das sind fünf oder sechs Meter.«

»Aber wir haben die Küche durchsucht«, wandte das Mädchen ein. »Es gibt dort nichts Auffälliges. Nach deiner Rechnung müßte sie größer sein als die anderen Kü­chen. Aber …«

»In allen anderen Baracken«, fiel ihr Klinsanthor ins Wort, »ist die Rückwand der Küche gleichzeitig auch die Rückwand der Baracke. Dort drüben aber muß es hinter der Küche noch einen weiteren Raum geben, der fünf bis sechs Meter breit ist. Komm!«

*

Er stand unmittelbar vor dem Ziel, das spürte er. Er suchte die Wand ab, jede Hand­breit davon. Es mußte hier irgendwo einen Durchgang geben, und einen Mechanismus, mit dem er geöffnet und geschlossen werden konnte. Er hatte die Hand eine Zeitlang auf der Wand ruhen lassen, um ihre Temperatur zu ermitteln. Sie war ebenso kalt wie die Umgebung. Das war wichtig zu wissen. Denn wenn durch diese Wand der Weg ins Versteck der Methans führte, dann bestand die Möglichkeit, daß auf der anderen Seite erhöhte Gravitation und die heiße Wasser­

stoff-Ammoniak-Atmosphäre herrschten, in der die Methans sich wohl fühlten. Dann aber hätte die Wand wärmer als die Umge­bung sein müssen.

Er trat von der Wand zurück. Er kannte die Technik der Maahks nicht. Er wußte nicht, wie das Ding aussah, nach dem er suchte. Er versuchte, sich in die Lage eines Methans zu versetzen, der die Küche betrat, um durch den geheimen Ausgang in das Versteck zu gelangen. Wo würde er den Schalter anbringen, mit dem der Öffnungs­mechanismus betätigt wurde? Doch nicht an einem der Küchengeräte, denn dort konnte einer der Gefangenen, die von Zeit zu Zeit hier untergebracht waren, ihn versehentlich betätigen und so durch Zufall dem Geheim­nis der Methans auf die Spur kommen.

Klinsanthor bemerkte den Denkfehler im selben Augenblick, in dem er ihn beging. In dieser Baracke wurden niemals Gefangene untergebracht! Wie hätten die Methans sonst ungehindert ihr Versteck betreten und ver­lassen können. Dieser Bau stand nur zum Schein da! Er maskierte das Versteck!

Der Magnortöter untersuchte die Schalter, mit denen die Küchengeräte bedient wurden. Er erinnerte sich an die unförmigen Gestal­ten der Methans in ihren Raumanzügen, an die klobige Konstruktion der Handschuhe. Der Schalter, den er suchte, mußte größer sein als alle andern, mit einer Fläche groß genug für den plumpen Finger am Hand­schuh eines Methan-Raumanzugs.

Schließlich fand er ihn: eine viereckige Erhebung, eingelassen in den Sockel eines Servierautomaten, leicht zu übersehen, da er dieselbe Farbe hatte wie das Gehäuse des Automaten. Klinsanthor drückte zu. Er muß­te beträchtliche Kraft aufwenden, bis die Fläche unter dem Druck seiner Hand nach­gab. Die Methans waren kräftiger als Men­schen.

Der Schalter knackste leise. Aus dem Hintergrund kam ein leises Surren. Die Rückwand des Küchenraums hatte sich in zwei Teile gespalten. Der Spalt verbreiterte sich, bis er eine Weite von mehr als zwei

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Metern erreicht hatte. Dann erstarb das Summen.

Vorsichtig traten Klinsanthor und das Mädchen näher. Der Magnortöter blickte in einen kahlen Raum, der jedoch nur zwei Drittel der Breite der Baracke einnahm. Zur rechten Hand endete er mehrere Meter vor der Seitenwand des Baus. Dort gab es also eine weitere Kammer, die den eigentlichen Zugang zum Versteck bildete, womöglich eine Schleuse, die den Lebensbereich der Methans von der Umwelt dieses Himmels­körpers trennte.

Nithrea wollte die Kammer betreten. Aber Klinsanthor hielt sie zurück.

»Wir wissen nicht, ob der Zugang sich selbsttätig wieder schließt«, warnte er sie.

»Was haben wir dann erreicht?« fragte das Mädchen »Wir müssen in das Versteck eindringen, wenn wir den Plan der Methans stören wollen!«

Der Magnortöter lächelte. »Ich glaube, das würde uns schwerfallen.

Die Sicherungen werden immer komplizier­ter, je mehr wir uns dem eigentlichen Ver­steck nähern. Wir haben kein technisches Gerät. Wir können nur mit den Händen ar­beiten. Ich glaube nicht, daß es uns gelingen würde, den Zugang durch diese Wand dort zu öffnen.«

Nithrea starrte ihn verwirrt an. »Aber dann …« Er lächelte noch immer und wies zur

Decke hinauf. Sie sah eine Reihe von Un­ebenheiten, rechteckige Auswüchse, die er­staunlich regelmäßig über die Deckenfläche verteilt waren.

»Wir brauchen nicht weiterzugehen«, sag­te der Magnortöter. »Die Methans beobach­ten diesen Raum. Sie wissen, daß wir ihr Versteck gefunden haben.«

*

Die Nacht verging ohne weiteres Ereignis. Klinsanthor und Nithrea waren zu ihrer Ba­racke zurückgekehrt. Ein paar Leute schlie­fen schon. Die andern wollten wissen, ob die

Kurt Mahr

beiden Späher Erfolg gehabt hatten. Der Magnortöter antwortete ausweichend.

»Ich glaube, wir haben eine Spur gefun­den. Sie liegt in einem der Küchenräume, wo das Licht des Methanplaneten nicht hin­dringt. Wir müssen warten, bis morgen früh die Sonne aufgeht.«

Die Lage war ruhig. Das Auftauchen der riesigen Planetenscheibe am Nachthimmel hatte die Leute zunächst erschreckt. Aber es waren einige unter ihnen, die solche Vor­gänge schon des öfteren erlebt hatten. Sie beruhigten die anderen. Von Pedar dom Khaal und seinem Häuflein Getreuer hatte man nichts mehr gehört. Klinsanthor ging zur Ruhe. Er verstärkte die Sicherheitsvor­kehrungen, durch den Mana-Konyrs Be­wußtsein im hintersten Winkel des Gehirns eingekapselt wurde. So war er sicher, daß der KAYMUURTES-Sieger die Kontrolle nicht an sich reißen konnte, während sein Bezwinger schlief.

Mühelos glitt der Magnortöter in das Reich des Gottes der Schläfer hinüber.

Die Geräusche der Baracke weckten ihn am nächsten Morgen. Durch die kleinen Fenster sah der violettgraue Himmel der fremden Welt herein. Die kleine, grelle Son­ne stand schon eine Handbreit hoch und die gespenstische Scheibe des Riesenplaneten war verschwunden. Die Leute hatten festge­stellt, daß die Küchengeräte wieder funktio­nierten. Sie waren dabei, sich zu bedienen.

Klinsanthor erhob sich. Mit einer bauchi­gen Schüssel in der Hand kam Nithrea auf ihn zu.

»Nimm und iß!« forderte sie ihn auf. »Du wirst alle Kraft brauchen, um die Neugierde der Leute zu befriedigen.«

Er sah sich um und bemerkte, daß die Blicke fast aller Gefangenen auf ihn gerich­tet waren.

»Habt Geduld!« rief er ihnen zu. »Es wird sich bald etwas tun!«

Mit der Hand langte er in die Schüssel und führte die breiige Masse zum Mund. Sie schmeckte nach nichts, aber sie füllte den Magen und löschte gleichzeitig den Durst.

29 Agentenschule Cerrgoor

Während er aß, überlegte er, wie er weiter vorgehen solle. Er hatte damit gerechnet, daß die Methans auf die Entdeckung ihres Verstecks sofort reagieren würden. Daß sie das nicht getan hatten, brachte ihn ein wenig aus dem Konzept. Sollte er die Leute in die Tarnbaracke führen und ihnen zeigen, was er gefunden hatte? Würden die Methans rea­gieren, wenn sie sahen, daß es nicht nur zwei Einzelgänger waren, die um die Exi­stenz ihres Verstecks wußten?

Klinsanthor leerte die Schüssel und stellte sie beiseite. In diesem Augenblick flog die vordere Barackentür mit einem Knall auf. Unter der Öffnung erschien die unförmige Gestalt eines Methans im Raumanzug. Mit dröhnenden Schritten kam er ein paar Meter weit in den Barackenraum herein. In der rechten Armbeuge trug er eine schwere Strahlwaffe. Über den Translator, der in den Helm seiner Montur eingebaut war, erscholl seine mächtige, dröhnende Stimme:

»Man hat euch hierhergebracht, damit ihr eine Reihe von Prüfungen besteht. Durch diese Prüfungen sollte ermittelt werden, ob ihr mehr als Sklavenmaterial seid. Ihr habt schon die erste Prüfung nicht bestanden. Ein Transporter wird in wenigen Stunden hier landen. Er bringt euch nach Thulinn. Ich bin sicher, ihr habt alle schon von Thulinn ge­hört.«

6.

Klinsanthor sah die Leute ringsum erstar­ren. Ja, sie hatten von Thulinn gehört. Nicht weil es jemals einem Sklaven gelungen wä­re, von der Welt der Unmenschlichkeit zu entrinnen und darüber zu berichten, sondern weil die Kriegspropaganda der Methans sich nicht genug tun konnte, die Abscheulichkei­ten des Sklavendaseins auf Thulinn immer und immer wieder zu schildern. Dem Geg­ner sollte dadurch der Mut genommen, die Moral der arkonidischen Truppen ge­schwächt werden.

Der Methan wandte sich ab und wollte gehen. In diesem Augenblick rief der Magn­

ortöter: »Du begehst einen schweren Fehler,

Fremder!« Einen Atemzug lang bangte er um den Er­

folg seines Manövers. Der Methan setzte in seiner schwerfälligen Art einen Fuß vor den andern. Er ging zwei, drei Schritte und schi­en den Zuruf überhaupt nicht gehört zu ha­ben. Dann jedoch, fast schon unter der Tür, blieb er stehen und drehte sich um.

»Wer sagt das?« dröhnte seine Frage durch den Raum.

Klinsanthor trat vor. »Ich sage es!« »Du bist der Vertraute des Imperators!« »Das sagt Pedar dom Khaal. Er lügt. Ich

weiß um die Wege und Gedanken des Impe­rators. Ich bin sein Feind, nicht sein Vertrau­ter.«

Der Magnortöter glaubte zu sehen, wie die Augen des Methans die Anwesenden überflogen.

»Diese Leute halten zu dir?« »Sie sind mein Gefolge. Kennst du meine

Geschichte?« »Ich kenne sie.« »So, wie Pedar sie dir erzählt hat«, spotte­

te Klinsanthor. »Er kennt meinen Plan. Er läßt nichts unversucht, mich aus dem Weg zu räumen. Hör zu, Fremder! Ich war einst ein Mächtiger in meinem Volk. Meine Macht mißfiel dem Imperator Orbanaschol, denn meine Pläne waren andere als die sei­nen. Durch Intrigen brachte er mich in Ver­ruf. Schließlich beschuldigte er mich des Mordes an meinem besten Freund, den in Wirklichkeit seine Schergen umgebracht hatten. Es kam zur Verhandlung. Zu jener Zeit hatte ich fast keine Freunde mehr. Die Stimmung im Reich war gegen mich. Ich wurde des Mordes für schuldig befunden, enteignet und in ein Straflager in die Ver­bannung geschickt. Es gab für mich nur eine Möglichkeit, jemals wieder die Freiheit zu erlangen. Ich nahm an den KAYMUURTES teil, den Großen Spielen, von denen du ge­hört hast. Ich siegte in der schwersten aller Kategorien. Ich war auf dem Weg nach Ar­

30

kon, um meine Rache zu vollziehen, als eure Flotte unser Schiff aufbrachte.«

»Ich höre, daß der Imperator dich als Hel-den feiern wollte«, sagte der Methan.

»Gewiß. Sein Stern ist im Sinken! Der KAYMUURTES-Sieger kann ihm einen Teil seines Ansehens zurückgewinnen.«

»Auch wenn dieser Sieger sein ärgster Feind ist?«

Der Magnortöter lachte verächtlich. »Methan, du hältst mich für dumm! Orba­

naschol wird mich nicht erkennen. Weder Gesicht noch Gestalt, weder Stimme noch Ausdrucksweise sind die des Mannes, den der Imperator einst in die Verbannung ge­schickt hat. Ich habe Mittel gefunden, mein Äußeres zu verändern. Für Orbanaschol bin ich ein Fremder.«

Der Methan schwieg eine Weile. Als er endlich wieder zu sprechen begann, da ka­men die Worte langsamer als bisher – so, als müsse er sich jedes einzelne genau überle­gen.

»Und warum glaubst du, daß ich einen Fehler begehe, wenn ich euch nach Thulinn schicke?«

»Auf dieser Welt werden Agenten ausge­bildet«, antwortete Klinsanthor. »Arkoniden, die für euch wichtige Informationen aus dem Großen Imperium besorgen sollen. Ihr müßt vorsichtig sein. Die Leute, die hier ausgebil­det werden, bedürfen ständiger Überwa­chung. Ihr könnt sie nur dorthin schicken, wo eine solche Überwachung möglich ist – also zum Beispiel nicht nach Arkon selbst, wo ihr nicht genug zuverlässige Spezialisten im Einsatz habt. Uns aber steht der Weg nach Arkon offen. Uns brauchst du auch nicht zu konditionieren. Wir sind Feinde des Imperators. Mein Plan ist, ihn aus dem Weg zu räumen. Ich bin bereit, in eurem Interesse zu handeln – nicht, weil ich euren Zielen dienen will, sondern weil ich eine Rache verfolge.«

Ein zweites Mal ließ der Methan eine ge­wisse Zeit verstreichen, bevor er antwortete. Inzwischen sorgte sich Klinsanthor um den Ausgang dieser Unterhaltung. Er hatte kräf-

Kurt Mahr

tig auf den Busch geklopft, als er behaupte­te, die Methans hätten nicht genug zuverläs­sige Leute auf Arkon. Er konnte nur hoffen, daß es wirklich so war.

»Du bist ein gefährlicher Mensch«, sagte der Methan schließlich. »Wenn deine Ge­schichte nicht wahr ist, wäre selbst Thulinn zu gut für dich. Du dürftest Cerrgoor nicht lebend verlassen.«

Mit diesen Worten schritt er endgültig da­von. Die Tür schloß sich hinter ihm. In der Baracke aber richteten sich die Blicke der Männer und Frauen fragend auf den Magn­ortöter. Er hatte einen Sieg errungen; aber sie wußten nicht, wohin der Weg von jetzt an führte.

*

Der Transporter ließ sich nicht blicken. Der Tag verging, ohne daß ein Raumschiff in der Nähe des Gefangenenlagers landete. Klinsanthor wertete das als Erfolg. Wenn die Methans die Gefangenen hätten nach Thulinn bringen wollen, dann wäre dies längst geschehen.

Die Leute bedrängten den Magnortöter mit Fragen. Sie wollten wissen, wieviel Wahres an seiner Geschichte war.

»Gar nichts«, antwortete er freimütig. »Ich habe sie erfunden, um uns das Schick­sal der Sklaverei zu ersparen.«

»Sie werden dich verhören«, warnte Ni­threa. »Sie kennen Methoden, um die unter­sten Schichten deines Bewußtseins an den Tag zu bringen.«

»Um mich macht euch keine Sorgen«, riet Klinsanthor. »Es ist viel wichtiger, daß ihr das Richtige denkt. Denn auch ein paar von euch werden verhört werden. Ihr kennt mei­nen Plan nicht, habt erst heute von ihm er­fahren. Das ist die Wahrheit. Ihr seid trotz­dem mein Gefolge. Denn ihr alle haßt den Imperator – der eine mehr, der andere weni­ger. Auf jeden Fall aber seid ihr meinetwe­gen auf dem Weg nach Arkon. Ich bin der Gegenstand eurer Bewunderung, auch das ist richtig. Solange ihr euch an diese Wahr­

31 Agentenschule Cerrgoor

heiten haltet, kann euch das Verhör nichts anhaben.«

Gegen Mittag beobachtete man, daß vier Methan-Roboter zwei Gefangene aus der an­deren Baracke holten, in der Pedar dom Khaal mit seinen Leuten hauste. Die beiden waren Pedar selbst und ein junger Mann, den er seinen Sekretär zu nennen pflegte. Die Roboter führten die Gefangenen zur vordersten Barackenreihe und verschwanden dahinter. Auf diese Weise, schloß Klinsan­thor, war Pedar dom Khaal der erste, der das unterirdische Versteck der Methans zu sehen bekam.

Es vergingen ein paar Stunden, dann brachte man die beiden zurück. Pedar wurde getragen. Das Verhör hatte ihm anscheinend derart zugesetzt, daß er nicht mehr auf den Beinen stehen konnte. Der Sekretär bewegte sich noch aus eigener Kraft; aber auch ihm sah man an, daß er mitgenommen war. Klinsanthors Spannung wuchs. Es war nahe­zu sicher, daß er als nächster an die Reihe kam. Tatsächlich richteten die vier Roboter, nachdem sie Pedar und den Sekretär in ihren Bau zurückgebracht hatten, die Schritte auf die Baracke des Magnortöters. Die Tür flog auf. Eine Robotstimme schnarrte:

»Der Mensch namens Mana-Konyr soll kommen!«

Klinsanthor folgte ohne Zögern. Die Ro­botwachen brachten ihn in die Baracke, in der er vergangene Nacht den geheimen Zu­gang entdeckt hatte. Die Rückwand des Kü­chenraums stand offen, und auch in der seit­wärts liegenden Wand gab es eine breite Öffnung. Die Roboter stießen Klinsanthor hindurch. Er befand sich in einem Antigrav­schacht, durch den er gemächlich in die Tie­fe sank. Am Ende des Schachtes stellte er fest, daß es mehrere Ausgänge gab. Sie wa­ren alle, bis auf einen, verschlossen. Dieser eine führte hinaus in einen kahlen Korridor, der sich im Licht grellweißer Lampen etli­che hundert Meter weit erstreckte. Klinsan­thor machte sich auf den Weg, weil er an­nahm, daß sein Ziel irgendwo am Ende des Ganges lag. Die vier Roboter waren zurück­

geblieben und konnten ihm keine Anweisun­gen mehr geben.

Am Ende des Korridors führte ein Aus­gang, der die Form eines Bogens hatte, seit­wärts in einen Raum, der mit primitiven Mö­beln ausgestattet war. Das Mobiliar war in schlecht imitiertem arkonidischem Stil aus­geführt. Es gab drei klobige Sessel und einen Tisch. Die Beleuchtung des Raumes bestand aus einer einzigen Lampe, die ange­nehmes, gelbliches Licht erzeugte. Das war ein Zugeständnis der Methans an die Ge­wohnheiten ihrer Gefangenen, die das grell­weiße Licht, das die Methans bevorzugten, irritierte. All dies nahm Klinsanthor mit ei­nem einzigen Blick wahr. Dann richtete er die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund des Raumes, wo es wesentlich interessantere Dinge zu sehen gab.

Durch die Mitte des Gelasses lief eine un­sichtbare Trennwand, wahrscheinlich eine Energiebarriere. Hinter der Barriere war die Luft trübe. Die Lichtkegel mehrerer greller Lampen zeichneten sich in dem Dunst deut­lich ab. Der Raum jenseits der Energie­schranke besaß nur zwei Einrichtungsgegen­stände – ein Schaltpult und ein weiteres Mö­belstück, das Klinsanthor zögernd als einen überdimensionalen Thronsessel einstufte.

Ganz im Hintergrund entstand Bewegung. Die riesige Gestalt eines Methans schälte sich aus dem Dunst. Der Methan war unbe­kleidet bis auf einen breiten Gürtel, der sei­nen Leib umspannte, in dem er außer einer Strahlwaffe mancherlei technisches Gerät trug. Hinter der Barriere herrschten also Le­bensbedingungen, wie sie die Methans ge­wohnt waren.

Das riesige Geschöpf ließ sich in dem mächtigen Sessel nieder. Eine sechsfingrige Hand nahm mehrere Schaltungen auf der Kontrolltafel vor. Die ersten Worte des Me­thans klangen auf:

»Du sollst wissen, Mensch, daß wir deine Lügen durchschaut haben und du diesen Raum nicht lebendig verlassen wirst.«

*

32

Klinsanthors Verstand arbeitete fieber­haft. Der Methan hätte ihn einfach von sei­nen Robotern beseitigen lassen können. Er brauchte ihn nicht hierherzurufen, um ihm seinen Entschluß kundzutun. Also war er seiner Sache nicht sicher, und über Leben oder Tod des Körpers, in dem der Magnortö­ter stak, war das letzte Wort wohl auch noch nicht gesprochen.

»Ich bin Mana-Konyr, der Sieger der KAYMUURTES«, erklärte Klinsanthor mit dem hochfahrenden Stolz, der dem echten Mana-Konyr zu eigen war. »Und wer ist der Narr, der solch ungereimten Worte zu mir spricht?«

»Wähl deine Worte mit Sorgfalt!« warnte ihn die dröhnende Stimme des Methans. »Ich bin der Grek-1 dieses Stützpunkts und weiß, was ich sage.«

Klinsanthor wußte, daß die Maahks die Ränge ihres militärischen Dienstes mit »Grek« bezeichneten. Die Zahl, die dem Wort Grek unmittelbar folgte, nannte die Rangstufe. Die Stufe war um so höher, je niedriger die Zahl. Der Grek-1 war jeweils der höchstrangige Methan am Ort.

»So weißt du also, was du sagst«, antwor­tete Klinsanthor verächtlich. »Dann laß uns keine weiteren Worte verlieren. Tu, was du tun mußt!«

Das kam dem Grek-1 zu überraschend. »Du wirfst dein Leben fort?« »Ich werfe es nicht fort, sondern du willst

es mir nehmen«, verbesserte ihn der Magn­ortöter. »Ich kann mich gegen dich nicht wehren. Also töte mich!«

Der Methan war sichtlich in Verlegenheit. »Du gestehst, den Grek-4 angelogen zu

haben?« »Wer ist der Grek-4?« »Der Offizier, der am Morgen dieses Ta­

ges zu euch sprach.« »Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.« »Wir haben zwei von euch verhört. Beide machen gänzlich andere Aussagen

als du.« »Das kann sein. Dann lügen eben sie.« »In unserem Verhör lügt man nicht!«

Kurt Mahr

Klinsanthor machte die Geste des Nicht­wissens.

»Was haben sie gesagt?« »Der Ältere kennt deine Pläne nicht. Du

aber hast dem Grek-4 heute morgen wörtlich erklärt: Pedar kennt meinen Plan.«

Der Magnortöter lächelte. »Du sprichst angenehme Worte. Ich habe

Pedar auf Hirc als meinen Berater angestellt. Ein Mensch, der so wie ich angeblich aus dem Nichts kommt, braucht einen Berater. Denn die Welt der adeligen Gesellschaft von Arkon ist kompliziert. Pedar sollte mir hel­fen, mich darin zurechtzufinden. Es wäre den Menschen verdächtig vorgekommen, wenn ich mir keinen Berater genommen hät­te. Seit aber Pedar mein Vertrauter wurde, hatte ich alle Mühe, meine wahren Absich­ten vor ihm geheimzuhalten. Vor wenigen Tagen änderte er sein Verhalten mir gegen­über – scheinbar ohne irgendeinen Grund. Das heißt: Er behauptete, ich sei nicht mehr ich. Ich deutete das so, daß er hinter meine Pläne gekommen sei. Ich beschloß, ihn noch vor der Landung auf Arkon zu beseitigen und mir einen neuen Berater auszusuchen. Aber dann kamt ihr mir dazwischen.«

Von den vier Augen des Maahks ruhten drei mit starrem Blick auf dem Gefangenen. Klinsanthors Spannung war fast unerträg­lich. Wenn Pedar dom Khaal wirklich aus­gequetscht worden war, dann konnte er kaum etwas vorgebracht haben, was der Schilderung des Magnortöters widersprach. Höchstens war er ein wenig eindringlicher auf den Identitätswechsel eingegangen, der sich in Mana-Konyr nach seiner Ansicht vollzogen hatte. Die Aussagen des Sekretärs vollends konnten Klinsanthor überhaupt nicht gefährlich werden. Der junge Mann war bei keinem der Gespräche zwischen Pe­dar und dem KAYMUURTES-Sieger zuge­gen gewesen.

Die Nachdenklichkeit des Methans auf der anderen Seite der Energiebarriere schien zu einem gewissen Resultat geführt zu ha­ben.

»Ist es wahr, daß du ein anderer Mensch

33 Agentenschule Cerrgoor

bist als der, der Pedar auf Hirc als Berater angestellt hat?«

Klinsanthor lachte hell auf. »In der Tat, es ist wahr, Grek-1! Aber

nicht auf die verrückte Art, wie Pedar es sich vorstellt! Jahrelang war ich der niedrig­ste, verachtetste unter meinen Mitmenschen. Jahrelang leistete ich menschenunwürdige Sklavendienste für ein Verbrechen, das nicht ich, sondern vielmehr derjenige begangen hatte, auf dessen Geheiß ich verurteilt wor­den war. Jahrelang war mein Trachten nur darauf gerichtet, wie ich meine Rache voll­ziehen könnte. Dann kam die Vorbereitung zu den Spielen, eine Zeit der Tortur – denn alle außer dem Sieger verlieren das Leben. Und da wundert sich Pedar, daß nach den Spielen, als die fürchterliche Spannung end­lich aus mir wich, ein anderer aus mir wur­de? Ich fing an, die Freiheit zu genießen. Dafür und für meine Rache hatte ich die lan­gen Jahre der Erniedrigung ertragen. Hat dir Pedar nicht berichtet, daß Mana-Konyr die Frauen und den Wein haßte? Und wie er beim Abschiedsfest den Wein plötzlich krü­geweise in sich hineinschüttete und eine Frau in sein Bett zu zerren versuchte?«

Der Grek-1 hielt die Augen lange Zeit ge­schlossen. Als er wieder aufblickte, wußte Klinsanthor, daß er gewonnen hatte. Viel­leicht hatte die Erinnerung an die Abschluß­feier den Ausschlag gegeben. Dieselbe Epi­sode mußte auch Pedar dom Khaal berichtet haben, wenn er gefragt worden war, wann er zum ersten Mal eine Veränderung in Mana-Konyrs Verhalten festgestellt habe.

»Ich gestehe, daß du in mir Zweifel ge­weckt hast«, erklärte der Grek-1. »Sie lassen sich ausräumen. Du und ein paar Leute aus deinem Gefolge werden sich einem Verhör unterziehen.«

Klinsanthor machte nachlässig die Geste der Zustimmung.

»So sei es!« sagte er.

*

Wenige Augenblicke später waren die

Roboter wieder zur Stelle. Klinsanthor wur­de abgeführt. Der Weg ging zunächst den Korridor zurück, durch den er gekommen war. Auf dem Boden des Antigravschachts hatte sich inzwischen einer der anderen Aus­gänge geöffnet. Die Roboter trieben den Ge­fangenen dort hinein. Nach kurzem Marsch gelangte er abermals in einen Raum, der durch eine Energiebarriere in zwei ungleich große Teile getrennt war. Der vordere Teil enthielt eine Menge technischer Geräte, de­ren Funktion Klinsanthor nicht erkennen konnte. Im Hintergrund saßen vor einem ge­waltigen Schaltpult zwei Methans, die den Gefangenen mit mäßigem Interesse muster­ten.

Wiederum waren die Roboter zurückge­blieben. Die Tür jedoch, die in den Gang hinausführte, blieb offen.

Aus dem Boden glitt ein Liegegestell in die Höhe.

»Streck dich darauf aus!« befahl einer der Maahks.

Klinsanthor kam dem Befehl nach. Er selbst, der Magnortöter, brauchte sich vor dem Verhör nicht zu fürchten. Auf Klinsan­thor, das Geschöpf der Unwelt, konnte kein mentaler Zwang ausgeübt werden. Die Frage war, wie Mana-Konyrs Körper sich den Ver­hörmethoden gegenüber verhielt. Es war denkbar, daß sie ihm schadeten. Das war ein Risiko, das der Magnortöter auf sich neh­men mußte. Der Gewinn, der ihm im Fall des Erfolgs winkte, war ungewöhnlich hoch: Er würde die Methans überzeugt haben, daß er die Wahrheit sprach.

Kaum hatte er sich ausgestreckt, da gerie­ten die Geräte ringsum in Bewegung. Sir­rend und summend gruppierten sie sich um die Liege. Ein unerträglich grelles Licht flu­tete dem Gefangenen entgegen, so daß er die Augen schließen mußte. Augenblicke später spürte er auf Stirn und Schläfen die Berüh­rung kleiner, metallener Gegenstände. Das waren Sonden, schloß er, die seinen Be­wußtseinsinhalt erforschen sollten.

Das Verhör begann ohne Übergang. Ein Stromstoß zuckte durch Mana-Konyrs Kör­

34

per. Klinsanthor, der das Unterbewußtsein des Arkoniden zwar abgekapselt, aber nicht eigentlich unter seiner Kontrolle hatte, muß­te zulassen, daß Mana-Konyr einige Sekun­den lang konvulsivisch zuckte. Undeutlich empfand er den Schmerz, den der Stromstoß ausgelöst hatte.

»Wer bist du?« lautete die erste Frage. »Mein Name ist Mana-Konyr. Ich bin der

Sieger der Amnestie-KAYMUURTES.« Ein zweiter Stromstoß, um ein Vielfaches

heftiger als der erste. Diesmal aber hatte Klinsanthor sich vorgesehen. Er war in Ma-na-Konyrs Unterbewußtsein eingedrungen und fing den mörderischen Schmerz ab. Er zuckte auch diesmal, aber das war kein Re­flex, sondern eine bewußt ausgelöste Bewe­gung, um die Methans zu täuschen.

»Wer bist du?« wurde die Frage wieder­holt.

Klinsanthor antwortete wie beim ersten Mal. Darauf wurde er ein drittes Mal ge­schockt – diesmal mit solcher Wucht, daß Mana-Konyrs Körper vermutlich ernsthaften Schaden davongetragen hätte, wenn die Wir­kung des Stromstoßes nicht von Klinsanthor abgefangen worden wäre. Dann wurde die Frage ein drittes Mal gestellt.

Stöhnend antwortete der Magnortöter: »Ich bin Minaar kel Falthor, dritter Frie­

denslord von Falthaym.« Das war der Mann, der hinter seiner er­

fundenen Leidensgeschichte stehen sollte. Nithrea hatte ihm den Namen genannt. Mi­naar kel Falthor hatte in der Tat ein ähnli­ches Schicksal erlitten wie jenes, das Klinsanthor für Mana-Konyr erdichtet hatte. Es gab Unterschiede im Detail. Klinsanthor hoffte, daß die Kenntnisse der Methans nicht soweit reichten.

Es folgten andere Fragen zu seiner Identi­tät. Immer wieder wurde er durch energeti­sche Schocks dazu ermuntert nachzudenken, ob er vielleicht nicht doch eine »wahrere« Antwort auf Lager habe. Klinsanthor be­merkte bald, daß die Methans ihn aufs Gera­tewohl schockten, wie es ihnen einfiel. Auf die meisten ihrer Fragen wußten sie die rich-

Kurt Mahr

tige Antwort nicht. Sie waren darauf ange­wiesen, den Gefangenen durch Schmerzein­wirkung dazu zu bewegen, daß er mit der Wahrheit herausrückte. Jeweils die Antwort, die durch den Schock der höchsten Intensität ausgelöst wurde, hielten sie anscheinend für korrekt.

Aber noch eine andere Feststellung mach­te Klinsanthor, und sie überraschte ihn zu­tiefst. Indem er die Energie der Schocks ab­sorbierte, kehrte ein Teil seiner alten Kraft zu ihm zurück. Es war fast, als könne er sich mit Hilfe der Stromstöße wiederaufladen. Er spürte, wie sein Bewußtsein kräftiger und rascher zu pulsieren begann. Er fühlte seine Fähigkeiten zurückkehren, die er solange nicht mehr hatte einsetzen können. Er hätte in diesem Augenblick Mana-Konyrs Körper mühelos verlassen und als körperloses Be­wußtsein weiterexistieren können. Es lag in seiner Macht, einen Teil der Energien, die er in sich speicherte, wieder in die Verhörma­schine zurückzuleiten und diese zu zerstö­ren.

Der Gedanke war ihm kaum gekommen, da faßte er einen Plan …

*

Die Kette der Fragen riß nicht ab. Selten akzeptierten die Methans schon die erste Antwort. Meistens ermunterten sie den Ge­fangenen durch wenigstens einen Elektro­schock, sich noch etwas anderes einfallen zu lassen. Klinsanthor war dazu übergegangen, bei jedem Schock laut aufzuschreien. So, fühlte er, hätte Mana-Konyr reagiert, wenn er ohne die Hilfe des Magnortöters hier ge­legen hätte.

Die Fragen konzentrierten sich auf Mana-Konyrs angeblichen Racheplan.

»Warum erfordert die Ausführung des Plans solche Eile?«

»Die Lage des Imperators ist bedenklich. Sein Ansehen unter der Bevölkerung ist so gering wie nie zuvor. Er braucht etwas, wo­mit er sich rasch wieder beliebt machen kann. Wenn es nicht Mana-Konyr ist, muß

35 Agentenschule Cerrgoor

er sich etwas anderes einfallen lassen. Ein Mana-Konyr, der erst in ein paar Wochen auf Arkon eintrifft, wird von Orbanaschol nicht mehr empfangen werden.«

Wieder ein Stromstoß! Klinsanthor sog die Energie in sich auf. Er war bis zum Ber­sten geladen. Wenn das Verhör nicht bald zu Ende war, würde er seinen Plan vorzeitig ausführen müssen!

Er wiederholte seine Antwort, nachdem er einen spitzen Schmerzensschrei ausgestoßen hatte. Diesmal wurde sie als gültig akzep­tiert.

»Auf welche Weise beabsichtigst du, dei­ne Rache zu vollenden?«

»Das weiß ich noch nicht«, lautete die ge­quälte Antwort. »Das muß sich aus der Lage ergeben.«

Das genügte den Methans nicht. Der Ge­fangene erhielt einen kräftigen Schock, und dann noch einen, da er bei seiner Antwort blieb. Klinsanthor spürte, wie das Energiere­servoir sich füllte. Viel konnte er nicht mehr aufnehmen, dann mußte er Energie ablassen. Er hatte vorgehabt, damit so lange zu war­ten, bis die Methans ihre letzte Frage gestellt hatten und von seiner Wahrhaftigkeit end­gültig überzeugt waren. So aber, wie die Dinge lagen, hatte er nicht mehr viel Zeit.

»Wer bist du?« erscholl plötzlich die al­lererste Frage von neuem.

»Minaar kel Falthor«, ächzte Klinsanthor, »dritter Friedenslord … von … Faltnayn.«

Die Methans aber wollten es ganz sicher wissen. Der nächste Elektroschock brachte den Damm zum Bersten. Die aufgestaute Energie schlug durch, unmittelbar in die Maschine, deren Sonden am Schädel des Gefangenen saßen. Es knisterte und zischte. Der Geruch von Ozon machte sich bemerk­bar. Einer der Methans gab einen Laut des Erstaunens von sich. Klinsanthor öffnete die Augen und sah blaue Funken über die Auf­bauten der Maschinen tanzen. Das grelle Licht war erloschen. Einer der Gerätekasten explodierte mit lautem Knall. Der Magnor­töter saß aufrecht auf der Verhörliege. Plötz­lich wurde ihm klar, daß er mit der Freigabe

der Energie eine größere Gefahr heraufbe­schworen hatte, als ihm lieb war.

Die Energiebarriere hatte sich verfärbt. Wie Schlieren liefen bunte Bahnen darin auf und ab. Die zwei Methans waren aufge­sprungen. Entsetzt beobachteten sie die Sze­ne der Zerstörung.

Eine weitere Explosion brachte Klinsan­thor endgültig auf die Beine. Metallsplitter fuhren ihm durch die Kleidung in die Haut. Der Verhörraum stand plötzlich in Flam­men. Die Energiebarriere war am Zusam­menbrechen. Mit sich überschlagender Stim­me rief der Magnortöter den beiden Methans zu:

»Rettet euch! Es gibt eine Katastrophe!« Er konnte nicht mehr feststellen, ob sie

ihn hörten. Die Energieschranke brach end­gültig zusammen. Explosionsartig ergoß sich ein Schwall heißen Wasserstoffs, mit Methan und Ammoniak gemischt, in den Raum mit der Liege. Die mörderische Druckwelle riß Klinsanthor von den Beinen. Er wurde durch die Öffnung hinaus in den Korridor geschleudert. Das war seine Ret­tung. Automatische Sensoren hatten die be­drohliche Entwicklung blitzschnell erkannt und sorgten dafür, daß der Zugang zum Ver­hörraum mit einem schweren Stahlschott verschlossen wurde.

Um ein Haar wäre es für den Magnortöter zu spät gewesen. Er raffte sich auf und woll­te davoneilen, da hörte er durch das schwere Schott das Krachen und Dröhnen einer fürchterlichen Explosion. Wasserstoff und Sauerstoff hatten sich zu Knallgas vermischt und an den Flammen entzündet. Das Schott hielt stand. Aber der Gang wurde von der Wucht der Detonation fast zum Einsturz ge­bracht. Schwere Gesteinsstücke brachen aus Decke und Wänden.

Eines davon traf Klinsanthor mit voller Wucht am Schädel. Er ging augenblicklich zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, war der wider­liche Gestank von Ammoniak noch immer in seiner Nase. Er hielt die Augen zunächst geschlossen. Er hörte Stimmen und wollte

36

wissen, wo er war, bevor er zu erkennen gab, daß er das Bewußtsein wiedererlangt hatte.

Eine der Stimmen in seiner Nähe war die Nithreas. Beim Gedanken an das Mädchen erinnerte er sich an die Explosion in der Verhörkammer, und tiefe Befriedigung er­füllte ihn. Er hatte nicht nur die teuflische Maschine, sondern obendrein auch alles Zu­behör vernichtet, das die Methans brauchten, um ihre Gefangenen zu verhören. Wenn sie auf Cerrgoor nicht alles Gerät in doppelter Ausfertigung besaßen, dann würde es in ab­sehbarer Zeit keine Verhöre mehr geben. Das war sein Plan gewesen. Er war gelun­gen. Allerdings wäre es ihm dabei um ein Haar an den Kragen gegangen.

Plötzlich hörte er eine fremde, dröhnende Stimme:

»Der weibliche Mensch braucht keine Sorge zu haben, der Gefangene wird bald wieder zu sich kommen. Er hat ein zähes Leben.«

Klinsanthor war erstaunt. Das war die Stimme eines Methans, wie sie aus dem Translator drang. Also hatte er sich den Am­moniakgeruch nicht nur eingebildet. Er schlug die Augen auf und sah zuerst Nithre­as besorgtes Gesicht, dann die riesenhafte Gestalt eines Methans im Raumanzug. Diese Monturen rochen stets nach dem widerwärti­gen Gas.

Nithrea stieß einen Freudenschrei aus und fiel dem Magnortöter um den Hals. Aber mitten in der Begeisterung erinnerte sie sich, wie derselbe Mann sie vor wenigen Tagen behandelt hatte, als sie noch seine Geliebte war.

»Verzeih«, murmelte sie und wandte sich ab.

Klinsanthor stellte fest, daß er auf seiner eigenen Liege in der Gefangenenbaracke ruhte. Der Methan blickte aus der Höhe auf ihn herab.

»Ich sehe, daß meine Prophezeiung rich­tig war. Du wirst dich rasch erholen«, sagte er. »Dein seltsames Verhalten unter der Ver­hörmaschine hat einem meiner besten Spe-

Kurt Mahr

zialisten das Leben gekostet. Aber ich glau­be nicht, daß du dafür verantwortlich ge­macht werden kannst. Deine Aussagen im Verhör haben meine Zweifel beseitigt. Du sprichst die Wahrheit. Du hast es eilig, hast du uns berichtet. Du willst dich an Orbana­schol rächen. Beides paßt in unsere Pläne. Morgen um diese Zeit werden wir die Ein­zelheiten besprechen.«

Er wandte sich ab und ging. Voller Stau­nen nahm Klinsanthor zur Kenntnis, daß der Grek-1 es für nötig befunden hatte, ihn, den Gefangenen, an seinem Krankenlager in der Gefangenenbaracke zu besuchen. Wie vielen Arkoniden vor ihm mochte eine solche Ehre widerfahren sein?

Zögernd gruppierten sich die übrigen Ge­fangenen um Klinsanthors Liege. Die Wiß­begierde leuchtete ihnen aus den Augen.

»Es wird alles gut!« sagte er zu ihnen. Dann griff er zur Seite und faßte Nithreas

Hand. »Komm zu mir, Mädchen, und sag mir,

wie lange ich hier gelegen habe!« forderte er sie auf.

»Sie brachten dich vorgestern abend«, antwortete Nithrea.

»Und jetzt ist es welche Tageszeit?« »Nachmittag.« »Zwei Tage also«, murmelte Klinsanthor.

7.

Kurz nach Mittag am nächsten Tag wurde er zum Grek-1 geholt. Diesmal bestand sei­ne Eskorte nur noch aus zwei Robotern. Klinsanthor wertete das als gutes Zeichen.

Gestern Abend und am Morgen hatte sich der Magnortöter von seinen Mitgefangenen berichten lassen. Am Tag, als er zum Verhör geholt wurde, hatte es etwa zwei Stunden später so etwas wie ein Erdbeben gegeben. Man hatte dumpfes Grollen gehört und in der Zeit danach eine ungewöhnliche Aktivi­tät der Methan-Roboter beobachtet. Die ver­schiedensten Vermutungen wurden laut, was geschehen sein könne. Von Pedar dom Khaals Baracke kamen ein paar Leute her­

37 Agentenschule Cerrgoor

über und erkundigten sich, was man wisse. Von den Methans hatte sich keiner blicken lassen.

Später dann nahm die Sorge über Mana-Konyr überhand. Am nächsten Tag versuch­te eine Delegation, geführt von Nithrea, bis zum Versteck der Methans vorzudringen und Aufklärung zu erhalten. Sie wurde je­doch nicht vorgelassen. An diesem Tag wur­den Pedar dom Khaal und drei Begleiter von Robotern abgeholt und nach mehreren Stun­den wieder zurückgebracht. Daraufhin schickte Nithrea zwei Männer zu Pedars Ba­racke, damit sie Erkundigungen einzögen. Pedar jedoch gab keine Auskunft.

Gegen Mittag am dritten Tag endlich er­schienen zwei Roboter, die den bewußtlosen Mana-Konyr auf einer Bahre trugen. Sie gingen behutsam mit ihm um, als sei ihnen aufgetragen worden, den Gefangenen nach Möglichkeit zu schonen. Man sah Mana-Konyr an, daß er in ärztlicher Behandlung gewesen war. Die Methans verstanden es of­fenbar, auch Menschen zu behandeln. Er hatte eine schwere Kopfverletzung, die je­doch fast schon wieder verheilt war. Kurz bevor Mana-Konyr wieder zu sich kam, er­schien der Grek-1, um sich nach dem Zu­stand des Bewußtlosen zu erkundigen.

Für Klinsanthor bedeutete das, daß er sein Spiel gewonnen hatte. Der Grek-1 hatte nicht nur davon abgesehen, ihn zu töten. Er hatte sich im Gegenteil äußerste Mühe gege­ben, ihn am Leben zu erhalten.

Die Unterredung mit dem Kommandanten der Methans fand in demselben Raum statt, den der Magnortöter bereits von der ersten Begegnung her kannte. Auf der Sohle des Antigravschachts hatte er sich aufmerksam umgesehen, jedoch keinerlei Spuren der Ex­plosion entdeckt, die durch sein Verschulden vorgestern hier stattgefunden hatte.

Der Grek-1 war bereits zur Stelle. Mit ei­ner knappen Geste wies er auf einen der drei klobigen Sessel. Klinsanthor nahm Platz. Alsbald erklang die Stimme des Methans:

»In dir haben wir entweder den trefflich­sten Verbündeten oder den gefährlichsten

Saboteur gefunden. Ich möchte, daß du weißt, daß wir uns darüber noch nicht ganz im klaren sind. Bei alledem, was du für uns tust, mußt du dir vor Augen halten, daß wir dich beobachten.«

*

Klinsanthor atmete auf. Das war die Be­stätigung: Die Methans waren seinem Täu­schungsmanöver aufgesessen.

»Ich bin euer Verbündeter«, antwortete er mit fester Stimme. »Ich werde ein um so besserer Verbündeter sein, je mehr eure und meine Ziele miteinander übereinstimmen.«

»Du schuldest mir eine Erklärung«, sagte der Grek-1. »Du hast unsere Verhöranlage derart ruiniert, daß hier auf absehbare Zeit kein Verhör mehr durchgeführt werden kann. Einer meiner Leute ist bei der Explosi­on ums Leben gekommen, der andere wurde schwer verletzt. Wie hast du das gemacht?«

Klinsanthor war auf diese Frage vorberei­tet. Er hatte sich die Antwort sorgfältig zu­rechtgelegt. Trotzdem zögerte er eine Weile und tat, als müsse er zuerst nachdenken.

»Ich habe es nicht bewußt getan«, begann er schließlich. »Ich habe mir selbst darüber den Kopf zerbrochen und meinte zuerst, daß es sich um einen Fehler in eurer Anlage han­deln müsse. Dann aber kamen mir andere Gedanken. Du weißt, womit Mana-Konyr seine Triumphe bei den KAYMUURTES er­rang?«

»Man hat mir darüber berichtet. Du bist ein Kenner des menschlichen Nervensy­stems und schaltest deine Gegner aus, indem du ohne viel Kraftaufwand ihre Nerven durcheinanderbringst und ihnen unerträgli­che Schmerzen zufügst.«

»Das ist richtig«, bestätigte Klinsanthor, »aber die Sache hat zwei Seiten. Nicht nur lernte ich die verwundbaren Stellen des menschlichen Nervensystems kennen, ich trachtete auch danach, diese Stellen in mei­nem Körper unverwundbar zu machen. Sonst hätte mir einer meine Kampftechnik absehen und mich mit meinen eigenen Me­

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thoden besiegen können.« »Ich verstehe«, flocht der Methan ein, um

zu zeigen, daß er der Erklärung mit Interesse folgte.

»Dadurch muß sich an der nervlichen Struktur meines Körpers manches geändert haben«, fuhr Klinsanthor fort. »Ich bin mei­ner Sache nicht sicher, aber ich möchte fast glauben, daß die Explosion deswegen gesch­ah, weil mein Körper auf eure Verhörmetho­de anders reagiert als ein normaler menschli­cher Körper.«

Der Grek-1 musterte ihn lange und nach­denklich.

»Du bist klug, Mana-Konyr«, antwortete er schließlich. »Eine ähnliche Erklärung ha­ben meine Fachleute vorgebracht.«

Und dann spielte Klinsanthor seinen letz­ten Trumpf aus.

»Übrigens hätte keiner der beiden Spezia­listen verletzt oder gar getötet zu werden brauchen, wenn sie nicht so schwerfällig ge­wesen wären und auf meine Warnung gehört hätten.«

Der Methan war sichtlich verblüfft. »Du hast sie gewarnt?« »Ich sah die Energiebarriere zusammen­

brechen und schrie ihnen zu, sie sollten sich in Sicherheit bringen. Sie aber standen nur da und starrten.«

Der Grek-1 machte eine Geste der Über­raschung.

»Ich werde das feststellen lassen«, sagte er schließlich. »Die Aufzeichnungen sind vorhanden.«

Klinsanthor war befriedigt. Er hatte seine Position abermals um eine Stufe verbessert.

*

»Bist du bereit, deine Anweisungen zu hören?« fragte der Methan nach längerer Pause.

»Ich bin bereit.« »Ich bedaure, daß es eine Übereinstim­

mung unserer und deiner Pläne erst auf län­gere Sicht geben wird, jedoch nicht unmit­telbar. Selbstverständlich haben unsere Plä-

Kurt Mahr

ne den Vorrang. Du wirst Cerrgoor nur dann verlassen, wenn du dich verpflichtest, genau nach meinen Anweisungen zu handeln.«

»Ich bin damit einverstanden.« »Ein direktes Vorgehen gegen den Impe­

rator ist in diesem Augenblick strategisch sinnlos. Es steht mindestens eine Geheimor­ganisation bereit, die Macht im Großen Im­perium sofort zu übernahmen, wenn der Im­perator ausgeschaltet ist. Eine Beseitigung Orbanaschols in diesem Augenblick käme eher einer Stärkung als einer Schwächung des Imperiums gleich. Daran sind wir nicht interessiert.«

»Ich verstehe.« »Unser Vorgehen muß sich im Gegenteil

gegen die Geheimorganisationen richten, die sich anschicken, die Macht im Fall eines Rücktritts oder einer Beseitigung Orbana­schols zu übernehmen. Diese Organisatio­nen müssen ausgeschaltet werden. Erst dann kann man gegen den Imperator selbst vorge­hen.«

»Wird man mir Orbanaschol überlassen, wenn die Geheimorganisationen beseitigt sind?« fragte Klinsanthor.

»Wenn du dich deines Auftrags in zufrie­denstellender Weise entledigst, ja.«

»So nenne meinen Auftrag!« »Die mächtigste der Geheimorganisatio­

nen hat eines ihrer Kontrollzentren auf der Welt Valissa, am jenseitigen Rand des Ullis­htan-Sektors. Valissa war früher eine blü­hende Handelswelt, hat jedoch unter diesem unsinnigen Krieg, den euer Herrscherhaus angezettelt hat, stark gelitten. Die Geheim­organisation benutzt Valissa als Basis, weil sie sich im Falle einer Machtübernahme in erster Linie der Flottengarnison versichern muß, die auf Valissa stationiert ist. Der kommandierende Vertreter der Geheimorga­nisation ist gleichzeitig Flottenoffizier im Range eines Zweifachen Mondträgers. Über ihn sind Informationen zu beschaffen, die uns in die Lage versetzen, den Mann im ent­scheidenden Augenblick unschädlich zu ma­chen. Sein Name ist Pharron.

Deine Aufgabe ist es, ein Beiboot der LA­

39 Agentenschule Cerrgoor

SEER, das wir dir zur Verfügung stellen, in die Nähe von Valissa zu manövrieren und dort um Hilfe zu rufen. Man wird dein Fahr­zeug nach Valissa bringen. Natürlich möch­test du von dort auf dem schnellsten Wege weiter nach Arkon reisen. Aber auf Valissa wirst du erkranken – nicht ernst, aber lang­wierig. Als dem Sieger der KAYMUURTES stehen dir alle Türen offen. Es wird dir ein leichtes sein, die notwendigen Informatio­nen zu beschaffen.«

Klinsanthor nahm sich Zeit, das Gehörte zu überdenken. Nur ein Pilot mit jahrelanger Erfahrung brachte es fertig, ein Beiboot al­leine zu steuern. Man konnte von Mana-Konyr nicht erwarten, daß er solche Erfah­rung besaß. Also konnte man ihn nicht allei­ne schicken. Wer würden seine Begleiter sein?

Die Krankheit, die seine Weiterreise nach Arkon verhindern sollte – mußte er sie vor­täuschen, oder würde sie ihm injiziert wer­den. Sicherlich das letztere. Wo fand die In­jektion statt? Hier oder auf Valissa? Wahr­scheinlich hier. Die Methans mußten auf si­cher gehen. Aber es sollte keine schwere Krankheit sein, nur eine solche, die einen Transport auf längere Zeit als unratsam er­scheinen ließ.

»Hast du Fragen?« erkundigte sich der Grek-1.

»Ja. Wenn ich diesen Auftrag erledigt ha­be – kann ich dann meine Rache vollen­den?«

»Du kannst dann nach Arkon gehen. Das Signal, daß Orbanaschol ausgeschaltet wer­den soll, erhältst du von uns.«

Klinsanthor senkte den Kopf und spielte den Verbitterten.

»Die Zeit wird nicht lang sein«, sagte der Methan. »Du hast jahrelang für die Erfül­lung deiner Rache gearbeitet, wirst du jetzt wegen einiger Monate die Hoffnung aufge­ben?«

Klinsanthor blickte auf. »Du hast recht«, bekannte er. »Ich bin be­

reit, deinen Auftrag anzunehmen. Wer sind meine Begleiter?«

»Erstens dein Ratgeber Pedar, außerdem drei Leute, die ich ausgesucht habe.«

»Ich möchte sie sehen.« »Damit habe ich gerechnet. Sie warten

draußen und sollen sofort hereingebracht werden.«

8.

Die vier Arkoniden traten ein, an ihrer Spitze Pedar dom Khaal. Seine drei Beglei­ter kamen sämtlich aus Pedars Baracke. Wahrscheinlich waren es dieselben, die man gestern beobachtet hatte, wie sie zu dem Grek-1 geholt worden waren.

Pedars Gesicht war undurchdringlich. Bei der letzten Begegnung hatte Klinsanthor Angst in den Augen des Arkoniden gesehen. Jetzt war sie geschwunden.

Der Magnortöter wandte sich in Richtung des Grek-1.

»Deine Wahl ist nicht vorteilhaft«, erklär­te er.

»Warum nicht?« »Es muß dir aufgefallen sein, daß die Ge­

fangenen in zwei Gruppen gespalten sind, die füreinander wenig Sympathie empfin­den. Diese Männer gehören ohne Ausnahme der anderen Gruppe an. Wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten muß, wird es zu Reibe­reien kommen.«

Der Methan machte eine Geste, die Klinsanthor nicht verstand.

»Ich habe dieses Bedenken erwartet. An­dererseits wird es plausibel erscheinen, wenn beim Untergang der LASEER außer dir auch dein Berater gerettet wurde.«

»Pedar mag ruhig mit dabei sein«, ge­stand Klinsanthor dem Methan zu, »aber die anderen drei sollten ersetzt werden.«

»Ich komme dir entgegen«, schlug der Grek-1 vor: »Du darfst zwei der Männer er­setzen. Wen wählst du?«

Klinsanthor war rasch entschlossen. »Das Mädchen Nithrea und einen Mann,

den sie selbst bestimmen soll.« »Ich bin damit einverstanden.« Der Magnortöter wartete auf Pedar dom

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Khaals Einwand. Die Überlegenheit, die zu­erst auf seiner Seite gewesen war, hatte sich zur anderen geneigt. Warum protestierte er nicht? Hatte er zuviel Respekt vor dem Grek-1, oder gab es andere Gründe? Klinsanthor hatte eine Ahnung, daß die be­vorstehende Reise gefährlicher werden wür­de, als er angenommen hatte.

»Wann brechen wir auf?« fragte er den Methan.

»Noch vor Einbruch der Dunkelheit«, lau­tete die Antwort.

»Ich bitte dich, zu bestätigen, daß dieses Kommando unter meinem Befehl steht, bis wir anderweitige Anweisungen von dir er­halten.«

»Ich bestätige!« Klinsanthor wandte sich an Pedar. »Es bleibt dir überlassen, welchen dieser

drei Leute du mitnehmen willst. Wenn du schlau bist, wählst du einen Mann, der mit Beibooten umgehen kann.«

Keine Miene zuckte in Pedar dom Khaals Gesicht. Aber ein gehässiges Funkeln leuch­tete aus seinen Augen. Klinsanthor trat hin­aus in den Gang. Niemand hinderte ihn dar­an. Die Roboter waren verschwunden. Er glitt durch den Antigravschacht hinauf und kehrte zu seiner Baracke zurück.

Die Leute sahen, daß er ohne Eskorte kam.

»Du hast Erfolg gehabt!« rief Nithrea ihm entgegen.

»Ja«, antwortete er einfach. Er hatte einen kräftigeren Ausdruck auf

der Zunge gehabt – etwa »auf der ganzen Li­nie« oder etwas Ähnliches. Aber seitdem er Pedar dom Khaal gesehen hatte, waren ihm Bedenken gekommen. Womöglich war es einfacher gewesen, die Freilassung von Cerrgoor zu erzwingen, als den Rest des Abenteuers zu überstehen.

»Was geschieht nun?« fragte Nithrea. Da erst wurde ihm klar, daß er den Erfolg,

von dem das Mädchen sprach, eigentlich nur für sich selbst und einige wenige errungen hatte. Die große Mehrzahl würde auf Cerr­goor zurückbleiben. Für sie hatte er nicht

Kurt Mahr

mehr gewonnen als die Hoffnung, daß sie nicht nach Thulinn geschickt, sondern hier zu Agenten ausgebildet werden würden. Ahnten sie davon?

Er sprach zu den Leuten. Er setzte ihnen auseinander, was er erreicht hatte und was nicht. Sie senkten die Köpfe und starrten be­drückt zu Boden. Es gab keinen Wutaus­bruch, nur Niedergeschlagenheit. Für ihn war es schlimmer, als wenn sie getobt und geschrien hätten. Sie wandten sich ab und hockten auf den Rändern ihrer Liegen, hoff­nungslose Opfer eines sinnlosen Krieges. Er hatte erwähnt, daß er außer Nithrea einen weiteren Gefangenen mitnehmen dürfe, den das Mädchen aussuchen sollte. Sie hatten nicht einmal mehr genug Kraft, um sich um dieses Vorrecht zu reißen. Sie gaben einfach auf. Keiner von ihnen glaubte daran, daß ausgerechnet er der Glückliche sein könne, auf den Nithreas Wahl fiel.

Nithrea selbst kam das Privileg, das Klinsanthor ihr zugestand, eher ungelegen. Sie entledigte sich ihrer Aufgabe auf unge­wöhnliche Weise. Als draußen das Beiboot der LASEER landete und eine Roboteskorte aufmarschierte, um die fünf Gefangenen an Bord zu bringen, da ging das Mädchen zu­nächst langsam auf die Tür zu; als sie den Ausgang fast schon erreicht hatte, beugte sie sich blitzschnell zur Seite, griff einen jungen Arkoniden beim Arm und zog ihn mit sich.

So wurde der fünfte Teilnehmer der aben­teuerlichen Expedition bestimmt: nicht nach Befähigung, sondern danach, wie weit er von der Tür der Gefangenenbaracke entfernt saß.

*

Im kaiserlichen Palast von Arkon war die Nachricht vom Verschwinden der LASEER wie eine Bombe eingeschlagen. Anhand der Meldungen des Kommandanten hatte man den Kurs des Unglücksschiffs an den Rän­dern der hyperenergetischen Sturmzone ent­lang bis in den Ullishtan-Sektor verfolgen können. Mitten im Ullishtan jedoch hörte

41 Agentenschule Cerrgoor

die Spur auf. Die LASEER meldete sich nicht mehr, noch reagierte sie auf Anrufe.

Der Ullishtan-Sektor war sekundäres Frontgebiet. Es gab kein Rätselraten dar­über, was mit der LASEER geschehen war: Die Methans hatten sie entweder aufge­bracht oder vernichtet.

Horfiz fürchtete sich, die schlimme Nach­richt dem Imperator allein zu überbringen, und versicherte sich der Begleitung Kuuz­mirs. Aber auch so wurde die Sache noch schlimm genug. Orbanaschol erlitt einen Wutanfall. Er raffte ein Zierschwert auf und schleuderte es nach Kuuzmir. Der Alte wur­de am Kopf getroffen und verlor das Be­wußtsein. Horfiz rettete sich, indem er den Ohnmächtigen hinausschleppte.

*

Es sprach für die Güte des geheimen Nachrichtennetzes, das Fartuloon aufgebaut hatte, daß die Meldung vom Verschwinden der LASEER auf Kraumon kaum später ein­traf als im kaiserlichen Palast von Arkon. Atlan selbst nahm sie im Beisein des Bauch­aufschneiders entgegen.

»Da geht unsere letzte Hoffnung«, sagte er mit schwerer Stimme. »Klinsanthor hat nicht mehr genug Kraft, noch einmal den Wirtskörper zu wechseln!«

Fartuloon machte die Geste des Wider­spruchs.

»Ich gewöhne mich allmählich an die Rolle des berufsmäßigen Optimisten«, be­merkte er nicht ohne Spott. »Daher ist es meine Aufgabe, dich darauf hinzuweisen, daß die Methans mit dem Magnortöter nicht so werden umgehen können wie mit einem beliebigen arkonidischen Gefangenen. Selbst im Zustand der Schwäche verfügt Klinsanthor noch über Fähigkeiten, von de­nen der Feind keine Ahnung hat. Überdies ist der Ullishtan-Sektor dafür bekannt, daß dort keine Gefangenen für die Sklavenwel­ten gemacht werden. Wir haben Grund zu glauben, daß alle Arkoniden, die in diesem Bereich gefangengenommen werden, eine

Ausbildung zum Nachrichtenagenten erhal­ten und nach einiger Zeit ins Imperium zu­rückkehren, um dort für die Methans zu ar­beiten. Nicht freiwillig natürlich – oder we­nigstens nicht in der Mehrzahl der Fälle. Sie stehen unter Druck, hypnotischem oder an­derem. Aber gerade diesem Druck wird sich der Magnortöter verhältnismäßig leicht wi­dersetzen können.«

»Du übersiehst, daß die Kombination Ma-na-Konyr & Klinsanthor nur dann wirksam ist, wenn ihr Einsatz auf Arkon in den näch­sten Tagen erfolgt. Bis die Methans den Ma­gnortöter wieder loslassen, ist es viel zu spät.«

»Nein, das übersehe ich nicht«, wider­sprach Fartuloon. »Es kommt in erster Linie auf Klinsanthor an, wie schnell er den Feind überzeugen kann, daß seine Ausbildung zum Spion abgeschlossen ist. Und schließlich bleibt Mana-Konyr auch dann noch ein be­rühmter Mann, wenn er erst in ein paar Wo­chen oder Monaten wiederauftaucht. Es wird ihm dann zwar schwerer fallen, in die Nähe des Imperators vorzudringen. Aber gelingen wird es ihm doch.«

Atlan lächelte matt. »Gegen dich komme ich wirklich nicht

an«, bekannte er. »Du entdeckst an jeder Katastrophenmeldung irgend etwas Erfreuli­ches.«

*

Das Beiboot war vom geräumigen Typ. Es hatte die Form eines doppelten Diskus und bot Raum für die Unterbringung von acht Passagieren. Jedem Passagier stand eine allerdings winzige Wohn- und Schlafzelle zur Verfügung. Außerdem konnten im soge­nannten Fahrgastraum weitere zwanzig Pas­sagiere untergebracht werden. Der kleine Kommandostand befand sich im geometri­schen Zentrum des Fahrzeugs.

Die fünf Gefangenen gingen an Bord. Pe­dar dom Khaals Begleiter hieß Herron Skar­vier und war 2. Navigationsoffizier an Bord der LASEER gewesen. Er war ein kleiner

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Mann mit rotbraunen Augen und unarkoni­disch dunklem Haar. Er trug stets eine ver­kniffene Miene zur Schau und sprach nur dann ein Wort, wenn es unbedingt sein muß­te. Der Junge, den Nithrea sich im letzten Augenblick gegriffen hatte, war von seinem Glück noch so benommen, daß er keinen Ton über die Lippen brachte. Klinsanthor er­innerte sich, daß er ihn Frille hatte nennen hören. Frille war fünfeinhalb Fuß groß und ziemlich stämmig gebaut. Er hatte kurzes weißes Haar und orangerote Augen. Er machte keinen sonderlich intelligenten Ein­druck, aber später stellte sich heraus, daß er eine ganze Menge von Raumfahrttechnik verstand.

Die fünf suchten zunächst den Komman­dostand auf. Sie waren dort kaum eingetre­ten, da meldete sich der Grek-1 von Cerr­goor über Funk.

»Das Fahrzeug startet in kurzer Zeit«, er­klärte er. »Bis zum Zielort sind vier Transi­tionen eingeplant, davon wird die letzte ver­mutlich von Valissa angemessen werden können. Das Fahrzeug ist vorprogrammiert. Ihr braucht euch um nichts zu kümmern. Die erste Transition erfolgt eineinviertel Stunden nach dem Start, in eurer Zeitrechnung.«

Der Empfänger verstummte, der Bild­schirm erlosch. Wenige Sekunden später hob das Kleinraumschiff erschütterungsfrei vom Boden ab und stieg mit rasch wachsen­der Geschwindigkeit in den violettgrauen Himmel hinauf. Die Gruppe der armseligen Baracken schrumpfte schnell und war schließlich nur noch ein matter Fleck in der Einöde von Cerrgoor.

»Jeder sucht sich eine Zelle«, befahl Klinsanthor. »Es hört sich so an, als würden wir mehrere Tage unterwegs sein. Skarvier übernimmt einstweilen die Wache im Kom­mandoraum. Später, wenn wir uns einge­richtet haben und die erste Transition vorbei ist, teilen wir unsere Aufgaben ein.«

Es gab keinen Widerspruch. Eigentlich hätte Klinsanthor befriedigt sein sollen. Aber der Gedanke, daß ein Mann wie Pedar dom Khaal ihm willig das Kommando über-

Kurt Mahr

ließ, erfüllte ihn mit Unbehagen. Die Passagierzellen lagen zu beiden Sei­

ten eines schmalen und kurzen Korridors, je vier auf der linken und der rechten Seite. Ei­ne Zelle war drei Meter lang und zweiein­halb breit. Liege und Sitzmöbel konnten in die Wände geklappt werden, damit sie sich nicht gegenseitig behinderten. Es gab einen Miniatur-Speisenspender, den Klinsanthor sofort ausprobierte. Es stellte sich heraus, daß die Methans den Speisentank mit dem­selben unappetitlichen Brei geladen hatten, der den Gefangenen auf Cerrgoor serviert worden war. Schließlich gab es einen klei­nen Bildschirm und einen Anschluß an die Bordsprechanlage. Das war die gesamte Ein­richtung.

Nithrea, Frille und der Magnortöter wähl­ten ihre Zellen auf der linken Seite des Gan­ges. Es war fast selbstverständlich, daß Pe­dar dom Khaal auf der gegenüberliegenden Seite einzog. Klinsanthor nahm die Zelle zwischen Frille und dem Mädchen. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Die Folgen der Verwundung waren noch nicht ganz über­standen. Die Versuchung, sich einfach hin­zulegen und zu schlafen, war fast unwider­stehlich groß.

Aber Klinsanthor wußte, daß vielfältige Gefahren ihn umgaben. Er zwang sich zum Wachbleiben. Nach der Zeit, die der Grek-1 genannt hatte, ging das Kleinraumschiff durch eine Transition. Der Entzerrungs­schmerz war entnervend. Der Magnortöter brauchte eine Zeitlang, um sein Bewußtsein zu stabilisieren. Dabei stellte er mit Er­schrecken fest, daß Mana-Konyr sich zu rühren begann. Rasch kapselte er das Fremdbewußtsein ab. Dann ging er zum Kommandostand.

Die Aufgaben waren rasch verteilt. Es gab ihrer nicht allzu viele. Jedermann tat fünf Stunden Wache. Skarvier blieb gleich dran, er hatte die beiden ersten Stunden bereits ab­geleistet. Danach kam Nithrea, dann Frille, schließlich Pedar und als letzter Klinsanthor. Die nächste Transition stand in acht Stunden bevor, wie dem Flugplan zu entnehmen war.

43 Agentenschule Cerrgoor

Bis dahin gedachte der Magnortöter, ausge­schlafen und wieder bei Kräften zu sein.

Er kehrte in seine Zelle zurück, klappte die Liege herunter und streckte sich aus. Die Müdigkeit, die vorhin so übermächtig gewe­sen war, floh ihn jetzt. Er hatte Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Er war entschlos­sen, nach der zweiten Transition eine Kurs­änderung herbeizuführen. Es lag ihm nichts daran, von Valissa aus aufgefischt zu wer­den. Sein Ziel war ein vorläufig noch unbe­stimmter Punkt in der Nähe der stark befah­renen Schiffahrtswege am Innenrand des Ul­lishtan-Sektors. Unter zehn Schiffen, die dort vorbeikamen, waren es neun, die entwe­der nach Arkon flogen oder von Arkon ka­men. Von einem dieser Fahrzeuge wollte er aufgenommen werden. Selbst wenn es sich um ein Raumschiff handelte, das von Arkon kam, würde er, der KAYMUURTES-Sieger den Kommandanten leicht zur Umkehr über­reden können.

Um den Kurswechsel zu vollziehen, brauchte er Frilles Hilfe. Aus den wenigen Worten, die der junge Mann bis jetzt gespro­chen hatte, ging hervor, daß er einiges von diesen Dingen verstand. Letztlich ging es nur um eine Umprogrammierung des Kurs­rechners. Das schwierigste daran war, die Koordinaten des Zielorts zu kennen. Viel­leicht konnte er Herron Skarvier dazu zwin­gen, daß er ihm einen Satz passender Koor­dinaten verriet.

Irgendwann nach der zweiten Transition würden also die Sicherheitsmaßnahmen zu wirken beginnen, die die Methans für den Fall getroffen hatten, daß er sich nicht an seine Befehle hielt. Klinsanthor zweifelte nicht, daß Pedar dom Khaal den Auftrag hat­te, über ihn zu wachen. Vielleicht auch Her­ron Skarvier. Pedar konnte er jederzeit aus­schalten. Wenn sich herausstellte, daß Frille genug von der Raumfahrt verstand, dann konnte er auch auf Skarvier verzichten.

Schließlich kehrte die Müdigkeit doch zu­rück. Die Gedanken glitten einfach davon und verschwanden im Nichts.

Er erwachte, weil er eine Gefahr in der

Nähe spürte. Er, das Geschöpf der Unwelt, brauchte keine Übergangszeit, um völlig wach zu sein.

Undeutlich erkannte er die Umrisse der Gestalt, die sich über das Fußende der Liege beugte. Blitzschnell richtete er sich auf und griff zu.

Die Gestalt stieß einen erstickten Schrei aus. Etwas fiel klappernd zu Boden. Der Eindringling setzte sich zur Wehr. Unbe­wußt wendete Klinsanthor die Griffe an, mit denen Mana-Konyr den Sieg bei den KAY­MUURTES errungen hatte. Der Fremde heulte auf. Er wich zurück. Aber das Zellen­schott öffnete sich nicht rasch genug. Klinsanthor setzte dem Fliehenden nach. Er bekam ihm am Hals zu fassen. Fast spiele­risch klemmte er einen Nackenwirbel zwi­schen Daumen und zwei Finger. Der Ein­dringling gab einen ächzenden Laut von sich und sank zu Boden.

Klinsanthor schaltete die Beleuchtung ein. Vorsichtshalber schloß er das halboffene Schott. Der Eindringling war Herron Skar­vier. Er hing halb auf dem Fußende der Lie­ge und starrte mit blicklosen Augen in die Höhe. Sein Gesicht war eine Grimasse des Schmerzes.

Ungläubig betrachtete der Magnortöter seine Hände. War es möglich, daß er mit diesen Fingern einen Menschen getötet hat­te? Fast wurde ihm unheimlich vor dem mörderischen Genie Mana-Konyrs, das er abgekapselt in seinem Bewußtsein trug. Er bettete den Toten vollends auf die Liege. Dann suchte er nach dem Gegenstand, den er hatte klappern hören, als er auf den Boden fiel.

Er fand ihn rasch. Es war eine kleine In­jektionsspritze, deren Zylinder eine glaskla­re, ölige Flüssigkeit enthielt. Klinsanthor be­wahrte das heimtückische Gerät sorgfältig auf.

So also hatte der Grek-1 von Cerrgoor da­für sorgen wollen, daß sein Spion auf Valis­sa auch wirklich krank wurde …

*

44

Klinsanthor rief die Besatzung im Kom­mandoraum zusammen. Inzwischen hatte er Skarviers Leiche in eine der leeren Zellen geschafft.

»Es wird Zeit, daß ich euch meine Pläne eröffne«, begann er. »Ich kenne euer Emp­finden nicht, aber ich weiß, daß bis vor kurz­em wenigstens einer unter uns war, der ge­dachte, den Anweisungen der Methans ge­nau zu folgen. Er wollte mich mit der Krankheit infizieren, die mich auf Valissa festhalten sollte, bis ich die nötigen Informa­tionen gesammelt hatte. Der Verräter lebt nicht mehr.«

Er brauchte den Namen nicht zu nennen. Jeder sah, wer in der Runde fehlte. Klinsan­thor musterte Pedar dom Khaal, aber auch in diesem Augenblick bewegte sich keine Mie­ne in Pedars eisernem Gesicht.

»Ich bin ein Arkonide«, fuhr Klinsanthor fort. »Mein Ziel ist Arkon. Dorthin werde ich gehen – nicht um für den Feind zu spio­nieren, sondern um dem Imperator zu huldi­gen, wie man es von mir erwartet.«

Es war Nithreas Wache. Pedar und Frille kehrten zu ihren Zellen zurück. Klinsanthor blieb im Kommandostand und versuchte zu erfahren, ob Skarvier, als Nithrea ihn ablö­ste, irgendeine verdächtige Äußerung ge­macht hatte. Das war nicht der Fall.

»Glaubst du, daß er der einzige ist?« frag­te Nithrea.

»Ganz sicher nicht. Ich habe Pedar dom Khaal nur ein paar Tage gekannt. Aber ich kann sehen, daß er anders ist als früher. Frü­her hat er sich vor mir gefürchtet, jetzt nicht mehr. Wir müssen damit rechnen, daß er mentalbehandelt wurde.«

Danach kehrte auch er in seine Zelle zu­rück. Er schlief ungestört bis zum Ende von Nithreas Wache. Er wartete ein paar Minu­ten und stieg dann zum Kommandoraum hinauf. Frille saß auf dem Sitz des Piloten.

»Frille, ich habe eine schwierige Aufgabe für dich«, eröffnete er dem jungen Mann.

Frille behandelte den KAYMUURTES-Sie­ger mit Ehrfurcht.

»Ich werde alles tun, was in meiner Macht

Kurt Mahr

steht!« bekannte er. »Nach der nächsten Transition möchte ich

den Kurs ändern«, erklärte der Magnortöter. »Er soll so laufen, daß uns die dritte Transi­tion in die Nähe eines der großen Schiff­fahrtwege am Innenrand des Ullishtan-Sek­tors bringt. Irgendwohin, wo ein nach Arkon bestimmtes Schiff uns aufnehmen kann.«

Frille dachte kurze Zeit nach, dann mach­te er eine zustimmende Geste.

»Das ist nicht so schwierig, wie du denkst, Herr«, sagte er schließlich. »Ich weiß, wie man einen Kursrechner program­miert, und die Koordinaten der Gegend, die du meinst, kann ich errechnen. Sie brauchen schließlich nicht allzu genau zu sein.«

»Nein, das brauchen sie nicht«, bestätigte Klinsanthor. »Wie lange wird das Ganze dauern?«

Frille sah unwillkürlich auf das Chrono­meter.

»Eine gute Stunde, Herr, mehr nicht. Wir warten am besten bis nach der zweiten Tran­sition.«

»Gut. Brauchst du meine Hilfe?« »Wenn du während dieser Zeit die Wache

für mich übernehmen wolltest, Herr …« »Das tu ich!« versprach Klinsanthor.

»Und nenne mich nicht immerzu Herr!« Die zweite Transition fand eine halbe

Stunde später statt. Danach machte sich Fril­le sofort an die Arbeit. Er brauchte nicht län­ger, als er geschätzt hatte.

»Niemand außer uns beiden braucht von dieser Manipulation zu wissen«, sagte Klinsanthor, als Frille wieder an seinen Platz zurückgekehrt war. »Du wirst also schwei­gen!«

»Ich werde schweigen, wie du es be­fiehlst. Aber sie werden es trotzdem bald merken.«

»Warum?« »Nach dem ursprünglichen Plan sollte die

nächste Transition in fünf Stunden stattfin­den. Unser neuer Kurs erfordert jedoch eine Transition schon in zwei Stunden.«

Klinsanthor überlegte. »Das wird Pedar auf den Plan rufen«, sag­

45 Agentenschule Cerrgoor

te er. »Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Ich löse dich ab, Frille. Du kehrst sofort in deine Zelle zurück – oder besser noch in ei­ne andere Zelle!«

»Ist es … so gefährlich?« stotterte der junge Arkonide.

»Pedar handelt wahrscheinlich unter hyp­notischem Zwang«, antwortete der Magnor­töter. »Wir wissen nicht, worauf er program­miert ist.«

Frille zog sich hastig zurück.

9.

Klinsanthor konzentrierte sich auf den be­vorstehenden Schmerz. Die Transition durf­te ihn nicht länger als unbedingt notwendig aus dem Gleichgewicht bringen. Denn Pedar dom Khaal würde rasch zur Stelle sein. Be­sonders intensiv konzentrierte sich der Ma­gnortöter auf Mana-Konyrs Bewußtsein, das in den vergangenen Stunden immer rebelli­scher geworden war und sich mit aller Kraft gegen die Wände des Kerkers stemmte, in den Klinsanthor es gesperrt hatte.

Dann war es soweit. Die Alarmsirenen heulten auf. Zehn Sekunden später setzte der Schmerz ein. Die Umgebung verschwamm vor den Augen des Magnortöters. Er wollte schreien und hatte keinen Mund mehr, um einen Laut hervorzubringen. Er fühlte sich in die Höhe geschleudert und wollte sich an etwas festhalten, aber er hatte keine Arme mehr. Er rotierte in einer Wolke feurigen Schmerzes, und als der Schmerz endlich verebbte, da waren seine Kräfte so gering geworden, daß er um ein Haar bewußtlos ge­worden wäre. Er hing schlaff in den Gurten des Pilotensitzes. Die Koordination der Au­gen funktionierte nicht. Er sah alles doppelt. Aber wenigstens Mana-Konyr hatte diesmal Ruhe gehalten.

Mit schweren Händen löste er die Gurte. Dann blickte er zum Bildschirm auf, um zu sehen, ob sich der Anblick des Sternenhim­mels wesentlich gewandelt hatte. In dieser Sekunde hörte er hinter sich eine Stimme:

»Das ist dein Ende, Verräter!«

Klinsanthor erstarrte. Gedanken schossen in Hundertstelsekunden durch sein Bewußt­sein: Das ist Pedar. Er hat eine Waffe. Er hat die Kursänderung bemerkt. Er steht unter Hypnose. Er wird sofort schießen. Ich muß sofort handeln.

Der Magnortöter warf sich nach vorne. Um Pedar unsicher zu machen, stieß er einen gellenden Schrei aus. Ein Schuß fauchte durch den engen Kommandoraum. Klinsanthor war aus dem Sessel platt auf den Boden gestürzt. Er spannte die Muskeln und schnellte sich empor. Im Sprung warf er sich herum und prallte gegen den völlig überraschten Pedar dom Khaal. Mit dem Lauf der Waffe hatte er Klinsanthors blitz­schnellen Bewegungen folgen wollen. Der Aufprall preßte ihm den Strahler gegen den Leib. Der zum Abziehen bereite Finger wur­de auf den Auslöser gedrückt.

Vor Klinsanthor schoß eine grelle Flam­menwand in die Höhe. Taumelnd fuhr er zu­rück. Wie im Traum sah er Pedar, den Mund noch zum Schrei geöffnet, tot in sich zusam­mensinken. Die Entladung hatte seinen Oberkörper völlig verbrannt.

Zitternd stand der Körper, in dem der Ma­gnortöter wohnte, vor dem entsetzlich zuge­richteten Arkoniden. Er hörte Schritte. Eine Gestalt tauchte auf. Nithrea!

»Was ist …?« stieß sie hervor. Und dann, als sie Pedar sah, schrie sie

gellend auf. Klinsanthor gewann sein Gleichgewicht

zurück. »Es war nicht meine Schuld«, sagte er mit

heiserer Stimme. »Die Methans haben ihm einen Strahler mitgegeben, damit er mich beseitigen kann, wenn ich gegen die Anwei­sungen verstoße. Er hat sich selbst erschos­sen.«

*

Klinsanthor nahm die Waffe an sich. Pe­dars Leiche schob er in den Gang hinaus, der schräg nach unten zu den Quartieren führte. Er fühlte sich unsicher auf den Bei­

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nen. Er zwängte sich auf den Pilotensitz und war gerade mit dem Anschnallen fertig, als die Materieortung ein Warnsignal gab.

Unsicher musterte er die Anzeige. Es schien ein Materiebrocken, ein Asteroid wo­möglich, auf dem Kurs des Bootes zu liegen. Er erschien als greller Lichtfleck auf dem kleinen Orterschirm.

»Ruf Frille!« trug er Nithrea auf. »Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll!«

»Laß mich!« bot sie sich an. »Ich habe solche Fahrzeuge schon gesteuert.«

Er überließ ihr seinen Platz. Es war ihm recht, daß sie die Sache übernahm. Er war matt, und ausgerechnet in diesem Augen­blick begann Mana-Konyrs Bewußtsein wie­der zu toben. Er hatte Mühe, den Gegner zu bändigen. Inzwischen hatte Nithrea Kurs und Geschwindigkeit des kleinen Raum­schiffs so geändert, daß es langsam auf den Felsbrocken zutrieb. Aus ganz geringer Ent­fernung wurde der Asteroid schließlich auch auf dem Bildschirm im Widerschein der Sterne sichtbar.

»Ich habe den Autopiloten beauftragt, dort zu landen«, sagte das Mädchen.

Befremdet musterte Klinsanthor die öde Felswelt. Der Asteroid besaß etwa den zehn­fachen Umfang eines arkonidischen Groß­raumschiffs. Im Vergleich zu dem Beiboot war er ein wahrhaft gigantisches Gebilde. Nithrea verstand offenbar wirklich etwas von solchen Dingen. Mit immer geringer werdender Fahrt näherte sich das Boot dem Felsbrocken und ging schließlich in einer flachen Senke, flankiert von zwei bizarr zer­fressenen Felstürmen, nieder. Der Magnor­töter hörte, wie die Anker ausfuhren und sich im harten Gestein des Asteroiden ver­krallten. Denn die Schwerkraft des kosmi­schen Felsbrockens reichte nicht aus, um das kleine Raumschiff an sich zu binden.

Klinsanthor stand auf. »Ich möchte wissen, warum Frille sich

nicht meldet«, sagte er. »Ich gehe nach ihm sehen.«

Nithrea antwortete nicht. »Schalte du inzwischen den Notrufsender

Kurt Mahr

ein«, trug er ihr auf. Er stieg über Pedar dom Khaals zerschun­

denen Körper hinweg. Unwillkürlich griff er zum Gürtel, um zu sehen, ob er die Waffe sicher verstaut hatte. Er schritt den Gang hinab und gelangte in den Korridor, an dem die Passagierzellen lagen.

»Frille …?« rief er. Keine Antwort. Er suchte zuerst in der

Zelle, die Frille sich ursprünglich ausge­wählt hatte. Dort war niemand. Dann erin­nerte er sich, daß er Frille geraten hatte, eine andere Zelle zu beziehen. Er blickte in eine nach der andern, und schließlich fand er Frille.

Er lag in einer Blutlache auf dem Boden. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschla­gen.

*

Klinsanthor schauderte. Er, das Geschöpf der Unwelt, vom Unsein

verstoßen, war ausgezogen, um Gutes zu tun. Er hatte sich am Geist des Unseins rä­chen wollen. Was aber hatte er bewirkt? Dieses Raumschiff war ein Mörderschiff. Er selbst hatte nur Herron Skarvier umgebracht. Aber gingen nicht auch die anderen Toten auf sein Konto? War er nicht wie der Schat­ten des Bösen, der sich über alle Menschen senkte, die ihm nahe kamen? War er nicht von Anbeginn aller Zeiten dazu bestimmt, den Tod zu bringen?

Mit Mühe drängte er die schwarzen Ge­danken zurück. Jetzt war nicht die Zeit, Wert und Unwert seiner Existenz gegenein­ander abzuwägen. Je mehr er sich mit sol­chen Dingen beschäftigte, desto störrischer wurde Mana-Konyr. Darauf durfte er es nicht ankommen lassen. Er hatte eine Auf­gabe zu erledigen. Es waren Mächte am Werk, die ihn daran hindern wollten.

Er plante seinen nächsten Schritt mit Sorgfalt. Viel hatte er nicht zu befürchten. Er war bewaffnet. Zu schaffen machte ihm eigentlich nur Mana-Konyr – und dann der Wunsch, daß er nicht mehr zu töten brauche.

47 Agentenschule Cerrgoor

Er ließ den toten Frille zurück und trat in die vorderste Passagierzelle zur Rechten des Korridors. Geräuschlos klappte er die Liege herab und setzte sich darauf. Dann wartete er.

Es verging mehr als eine Stunde. Dann hörte er draußen vorsichtige Schritte.

»Mana-Konyr …?« rief eine halblaute Stimme.

Er rührte sich nicht. Die Schritte kamen näher und gingen an seiner Zelle vorbei. Langsam, behutsam drückte er das Schott zur Seite. Die Waffe, die er von Pedar dom Khaal erbeutet hatte, lag ihm fest in der Hand. Er spähte um die Kante des Schottes herum. Da sah er Nithrea, die soeben in die Zelle blickte, in der Frilles Leiche lag.

Sie wandte sich um. Ihr Gesicht drückte Ratlosigkeit aus. Da trat Klinsanthor hinter der Deckung des Schottes hervor und richte­te den Lauf des Strahlers auf sie.

»Du hast ihn getötet!« beschuldigte er sie. Sie erschrak, als sie die Waffe auf sich

gerichtet sah. Aber rasch gewann sie die Fassung wieder.

»Ich mußte ja«, antwortete sie. »Er hätte dir sonst geholfen, den Kurs zu ändern.«

»Das hat er ohnehin«, herrschte Klinsan­thor sie an.

»Ich weiß. Ich kam zu spät.« »Warum hast du ihn getötet? Wer befahl

es dir?« »Ich mußte ihn töten. Er war der einzige

an Bord, der den Befehl des mächtigen Grek-1 nicht kannte.«

Klinsanthor verstand. Der »Befehl« – das war der hypnotische Einfluß, dem die Meht­ans alle seine Begleiter ausgesetzt hatten. Außer Frille. In den zwei Tagen, in denen Klinsanthor in Behandlung oder bewußtlos gewesen wer, hatte der Grek-1 seine Sicher­heitsvorkehrungen getroffen. Es war müßig zu schätzen, wieviele Gefangene er unter hypnotischen Druck gesetzt hatte. Die wich­tigsten gehörten auf jeden Fall dazu: Pedar dom Khaal und der Mann, der ihn auf jeden Fall begleiten würde, Herron Skarvier. Und dann natürlich Nithrea, weil jedermann im

Kreise der Gefangenen wußte, daß Mana-Konyr der jungen Frau zugetan war – auch wenn sie jetzt nicht mehr die Rolle seiner Geliebten spielte. Der Grek-1 hatte seine Wahl ohne jede Sorge treffen können: mit Pedar und Nithrea hatte er Mana-Konyr auf jeden Fall in der Hand.

»Warum hast du Frille mitgenommen?« fragte der Magnortöter.

Nithrea antwortete nicht sofort. Er mußte seine Frage wiederholen.

»Ich konnte … ihre Blicke nicht mehr er­tragen!« stieß sie hervor. »Wie sie mich an­starrten, obwohl sie zu Boden blickten! Wie jeder krampfhaft hoffte, ausgerechnet auf ihn müsse meine Wahl fallen. Ich konnte es nicht aushalten! Ich hätte es nicht ertragen, mich vor ihren Blicken verantworten zu müssen, wenn ich einen aus ihrer Mitte ge­nommen hätte. Ich nahm den letzten vor dem Ausgang. Ich packte ihn am Arm und zerrte ihn hinaus. Da sah ich ihre Blicke nicht mehr. Ich brauchte mich nicht mehr zu verantworten.«

Klinsanthor sah sie lange an. »Komm zu mir!« befahl er ihr. Langsam, als bewege sie sich im Traum,

kam sie auf ihn zu. Er schob die Waffe zu­rück in den Gürtel. Als sie vor ihm stand, streckte er die rechte Hand aus und berührte sie an der Wurzel des Schlüsselbeins. Es war einer von Mana-Konyrs Griffen. Sie zuckte zusammen und sank lautlos zu Boden.

Er stand eine Zeitlang über ihr und be­trachtete sie. Sie hatte die Augen geschlos­sen. Der Ausdruck ihres Gesichts war fried­lich. Sie würde ihn nicht hassen.

Er hatte sie nicht getötet. Er hatte aufge­hört, der Schatten des Todes zu sein.

*

Er kehrte zum Kommandoraum zurück. Nithrea hatte den Notrufsender nicht einge­schaltet. Er holte es nach. Er hatte nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie lange es von nun an dauern würde, bis ein arkonidi­sches Raumschiff ihn fand. In der Zwischen­

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zeit hatte er einiges zu tun. Er saß längst wieder im Kommandoraum,

als der erste Anruf kam. »Frachter MIRADOOR an Notrufsender.

Was liegt an?« Klinsanthor griff nach dem Mikrophon

und schaltete auf Sendung. »Hier Beiboot der LASEER. Wir wurden

von den Methans überfallen. Ich bin der ein­zige, der davongekommen ist.«

»LASEER? War das nicht der Kreuzer, der Mana-Konyr an Bord hatte?«

»Ich bin Mana-Konyr!« Der Rufer wurde formell. »Halten Sie aus, Herr!« sagte er hastig.

»Wir haben Sie im Peilkreuz. Sind in kürze­ster Zeit zur Stelle.«

Die MIRADOOR hielt Wort. Knapp eine Stunde später tauchte sie aus der Schwärze des Alls und ging längsseits des Asteroiden. Ein Transfer-Schlauch wurde ausgefahren und an die Außenschleuse des Beiboots an­geschlossen. Klinsanthor ging an Bord des Frachters. Man begrüßte ihn ehrfurchtsvoll. Man nahm zur Kenntnis, daß er mörderische Strapazen hinter sich hatte, und stellte ihm nur wenige Fragen.

»Lohnt es sich, das Beiboot an Bord zu nehmen?«

»Nein«, antwortete er. »Das Triebwerksy­stem ist explodiert.«

Mochten sie es nachprüfen, sie würden es bestätigt finden. Pedar dom Khaals Strahler hatte ganze Arbeit geleistet.

»Aber die Hülle ist noch intakt?« »Sie ist intakt«, bestätigte er. »Das Not­

kraftwerk arbeitet noch. Proviant ist vorhan­den. Ich hätte es noch wochenlang dort aus­halten können, wenn ihr mich nicht so schnell aufgefischt hättet.«

»Es gibt – Tote an Bord?« »Es gab. Pedar dom Khaal, mein Berater.

Ein Offizier der LASEER namens Herron Skarvier. Ein Passagier mit dem Namen Frille. Ich habe sie dem All übergeben.«

Auch das war richtig. Da es an Bord des Beiboots keinen Raumanzug gab, hatte er einen komplizierten Mechanismus bauen

Kurt Mahr

müssen, mit dem er die Leichen aus der Schleusenkammer schoß. Die geringe Schwerkraft des Asteroiden hatte sie nicht halten können. Sie würden bis in alle Ewig­keit durch die Leere des Raums treiben.

Der Kommandant der MIRADOOR schickte eine Gruppe von drei Leuten an Bord des Beiboots. Die Männer hatten kei­nen Grund, den Aussagen des KAYMUUR­TES-Siegers zu mißtrauen. Deswegen sahen sie sich nur solange um, bis sie bestätigen konnten, daß Mana-Konyr die Lage in der Tat richtig eingeschätzt hatte.

Nithrea, die Klinsanthor unter der Liege in seiner Zelle verborgen hatte, fanden sie nicht.

In spätestens zwei Tagen würde Nithrea wieder zu sich kommen. Solange wirkte der Griff des Töters mit der Fingerspitze. Da­nach konnte sie den Notrufsender in Betrieb nehmen und Hilfe herbeiholen. Man würde sich wundern, daß es an Bord des Beiboots noch einen zweiten Überlebenden gab, von dem Mana-Konyr nichts gewußt hatte. Aber dafür ließ sich mühelos eine Erklärung fin­den.

Die Wahrheit, soviel stand fest, würde Ni­threa auf keinen Fall preisgeben.

Die MIRADOOR nahm Fahrt auf. Sie war auf dem Weg nach Arkon. Allerdings, so gab der Kommandant seinem vornehmen Passagier zu bedenken, war sie nicht das schnellste aller Fahrzeuge.

»Sollte unterwegs ein Kriegsschiff unse­ren Kurs kreuzen, werde ich den Komman­danten bitten, Sie an Bord zu nehmen«, bot er dem KAYMUURTES-Sieger an. »Auf diese Weise kämen sie ein bis zwei Tage früher nach Arkon.«

Klinsanthor war damit einverstanden. Er war überhaupt mit vielem einverstanden, so­lange man ihn nur in Ruhe ließ. Denn inzwi­schen war Mana-Konyrs Bewußtsein wahr­haft rebellisch geworden, und wenn der Ma­gnortöter sein Vorhaben nicht aufgeben wollte, dann mußte er einen beträchtlichen Teil der noch verbleibenden Kraft dafür ein­setzen, das Fremdbewußtsein zu unter­

49 Agentenschule Cerrgoor

drücken.

*

Am kaiserlichen Hof von Arkon wurde die Nachricht von der unerwarteten Rettung Mana-Konyrs mit Begeisterung aufgenom­men. Diesmal getraute sich Horfiz alleine in den Thronraum. Er hatte sich eine Belobi­gung erhofft. Aber Orbanaschol war mür­risch und dankte nur mit einem nicht beson­ders gnädigen Kopfnicken. Horfiz schlich sich hinaus. Der Imperator, schien ihm, wur­de in letzter Zeit von Tag zu Tag unbere­chenbarer. Der Thron Orbanaschols III. wankte. Horfiz überlegte, ob es nicht klüger sei, den Hof zu verlassen und irgendwo Un­terschlupf zu suchen, bis der Kaiser entwe­der gestürzt war oder sein inneres Gleichge­wicht wiedergefunden hatte.

Orbanaschol hatte inzwischen einen win­zigen Geheimsender betätigt und einen Ruf abgesetzt. Es verging kaum eine Viertelstun­de, da öffnete sich eine bisher verborgene Tür in einer Nische des Thronraums, und ein Roboter kam zum Vorschein. Erst als er in den Lichtkreis der Deckenbeleuchtung trat, sah man, daß er ein menschliches Wesen auf dem Rücken trug, einen mißgestalteten, häß­lichen Zwerg mit vorgewölbter Brust, einem ungeheuren Schädel und riesigen Füßen. Das unglückliche Geschöpf hatte große, her­vorquellende Augen und gewaltige abste­hende Ohren. Der Mittelteil des Körpers da­

gegen war so schwächlich ausgebildet wie der eines zehnjährigen Knaben.

Der Roboter vollführte die zeremonielle Verbeugung. Es war nicht klar zu erkennen, ob der Zwerg auf seinem Rücken ebenfalls eine Bezeigung der Ehrfurcht machte oder nur notgedrungen der Bewegung des Robot­körpers folgte.

»Ich nehme an, du weißt, daß Mana-Konyr wiederaufgetaucht ist«, begann der Imperator die Unterhaltung.

»Es ist mir zu Ohren gekommen, kaiserli­che Majestät«, antwortete der Zwerg.

»Ich habe vor, den Sieger der KAYMU­URTES groß herauszubringen«, verkündete Orbanaschol. »Über die Einzelheiten bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Vielleicht sollte er Gast des Hofes sein – vielleicht aber auch nicht. Es kommt alles darauf an, wie verläßlich der Mann ist.«

Der stechende Blick des Imperators rich­tete sich auf den Zwerg.

»An dieser Stelle kommst du ins Spiel, Lebo Axton«, sagte er. »Es ist mein Wille, daß du dich um Mana-Konyr kümmerst, so­bald er auf Arkon landet.«

Abermals verbeugte sich der Roboter. »Der Wille des Imperators ist mir Be­

fehl«, antwortete Lebo Axton. »Ich werde mich um den Mann kümmern.«

E N D E

Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 281: Die Macht der Sonnen von H. G. Francis Die Entscheidung naht – der Usurpator soll getötet werden