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TREFFPUNKT FORSCHUNG | führt [1]. Der Patientin wurde Blut entnommen und die daraus angerei- cherten T-Lymphozyten wurden ex vivo mit einem retroviralen Gen- transfer-Vektor transduziert, der ein „therapeutisches“ ADA-Gen trug (Abb. 1). Seitdem geht es der Patien- tin, wie auch anderen bis heute be- handelten ADA-SCID-Patienten, inso- weit gut, als sie eine Verbesserung der Zahlen von T-Zellen, B-Zellen und NKs zeigen und ihr Immunsys- tem soweit hergestellt wurde, dass sie ein normales Leben führen können. Ob dieser klinische Erfolg jedoch allein auf die Gentherapie zurückge- führt werden kann, wurde lange be- zweifelt, da die Patienten in der Re- gel weiter auf die Gabe von PEG-ADA angewiesen waren. Die Zweifel an der Effektivität der ADA-SCID-Gen- therapie wurden jedoch in einer ak- tuellen Studie [2] zerstreut: Insge- samt sieben Patienten wurden mit ei- nem modifizierten Protokoll behan- delt, in dem nicht periphere Lym- phozyten, sondern Blutstammzellen genetisch verändert wurden und au- ßerdem nach dem retroviralen Gen- transfer bewusst auf die Supplemen- tation mit PEG-ADA verzichtet wur- de. Scheinbar führte dies zu einem signifikant besseren Anwachsen der „therapierten“ Blutstammzellen und einer wesentlich effektiveren Rekon- stitution des zellulären Immunsys- tems der Patienten. Hervorzuheben ist, dass alle Patienten von der Thera- pie profitierten, also ein 100 %iger Therapieerfolg beobachtet wurde! Die erfolgreiche Gentherapie der X-SCID wurde erstmals im Jahr 2000 publiziert [3]. In dieser Studie wur- den zehn Kinder mit einem retrovira- len Gentransfer-Vektor behandelt, der das IL2RG-Gen trug. Auch hier wurden autologe Blutstammzellen ex vivo mit dem therapeutischen Gen ausgestattet, so dass die genetisch veränderten Zellen das zelluläre Im- munsystem rekonstituieren konnten (Abb. 2). In bislang zwei klinischen Studi- en [3, 4] wurden insgesamt 20 Kin- der behandelt, und auch in diesen 204 | Pharm. Unserer Zeit | 3/2009 (38) www.pharmuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Kinder, die an SCID (Severe Combi- ned Immunodeficiency) leiden, nei- gen zu rezidivierenden Infektionen, weil sich die Lymphozyten der spezi- fischen Immunabwehr nicht korrekt ausbilden. Die Patienten müssen le- benslang in einer sterilen Umgebung leben; unbehandelt führt die Krank- heit zum Tode. Als Ursache für die autosomal- rezessiv vererbte ADA-SCID nimmt man an, dass das Fehlen des Enzyms Adenosin-Deaminase (ADA) zu einer Akkumulation von dATP in der Zelle führt, was wiederum durch die Hem- mung der Ribonukleotid-Reduktase – das Enzym reduziert Ribose-haltige Nukleotide am 2'-C-Atom und produ- ziert 2'-Desoxyribonukleotide – die DNA-Synthese unterdrückt. Betroffen von diesem Effekt sind also beson- ders die schnell proliferierenden Zel- len des Immunsystems wie B- und T-Zellen, die dann nicht vollständig ausreifen können. Therapiert werden an ADA-SCID leidende Patienten durch Applikation eines pegylierten, bovinen ADA-Enzyms (PEG-ADA). Diese Therapie kann zwar die meta- bolischen Symptome, nicht aber das unzureichende Immunsystem der Pa- tienten verbessern. Ursache für die X-SCID ist der X- chromosomal vererbte Defekt der ge- meinsamen Rezeptor-Untereinheit γ der Rezeptoren der Interleukine IL-2, IL-4, IL-7, IL-9, IL-15 und IL-21. Diese gemeinsame Rezeptor-Untereinheit wird auch als IL-2-Rezeptor-γ-Kette oder IL2RG bezeichnet. Die Folge des Fehlens des IL2RG-Proteins ist ein Block der Differenzierung insbe- sondere von T-Zellen und Natürli- chen Killerzellen (NKs). Als optimale Therapie der X-SCID – aber auch der verschiedenen ande- ren SCID-Formen – gilt die Stamm- zelltransplantation von gewebever- träglichen Knochenmark-Spendern. Wenn kein geeigneter Spender gefun- den werden kann, gilt die Genthera- pie mittlerweile aufgrund der viel versprechenden klinischen Erfolge als eine alternative Behandlungsopti- on sowohl für ADA-SCID als auch für X-SCID. Die erste Gentherapie überhaupt wurde im Jahr 1990 an dem damals vierjährigen, an ADA-SCID leidenden Mädchen Ashanti de Silva durchge- MEDIZIN | Aktueller Stand der Gentherapie der schweren Immundefizienz Obwohl noch nicht routinemäßig in der Klinik eingesetzt, hat der „somatische Gentransfer“ als kausale Therapie von Erbkrankheiten ein immenses Potenzial. Eine Modellerkrankung für die Etablierung der Gentherapie ist die schwere kombinierte Immundefizienz (SCID) – hier zeigen sich Erfolge, aber auch Probleme. ABB. 1 FUNKTION RETROVIRALER GENTRANSFER- ARZNEIMITTEL mRNA Transgen zelluläre DNA Fusion Freisetzung des Capsids dsDNA Reverse Transkription Integration Transkription Translation Gentransfer- Vektor rekombinantes Protein 1 2 3 4 Die Transduktion einer Zelle mit einem retroviralen Gentrans- fer-Vektor läuft in den ersten Schritten genauso ab wie in ei- nem normalen retroviralen Infektionszyklus. Der Gentrans- fer-Vektor (das „Virus“) bindet an die Zelloberfläche (1), die retrovirale Hüllmembran verschmilzt mit der Zellmembran und das Virus-Capsid wird freigesetzt (2). Nun wird das retro- virale Genom, das als RNA vorliegt, in DNA kopiert (3) und in das Genom der Zelle integriert (4). Aus Gründen der Produkt- sicherheit werden für den retroviralen Gentransfer nur Gen- transfer-Vektoren eingesetzt, die frei von retroviralen Genen sind. Der integrierte Gentransfer-Vektor wird transkribiert und das therapeutische Protein wird gebildet.

Aktueller Stand der Gentherapie der schweren Immundefizienz

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Page 1: Aktueller Stand der Gentherapie der schweren Immundefizienz

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

führt [1]. Der Patientin wurde Blutentnommen und die daraus angerei-cherten T-Lymphozyten wurden ex vivo mit einem retroviralen Gen-transfer-Vektor transduziert, der ein„therapeutisches“ ADA-Gen trug(Abb. 1). Seitdem geht es der Patien-tin, wie auch anderen bis heute be-handelten ADA-SCID-Patienten, inso-weit gut, als sie eine Verbesserungder Zahlen von T-Zellen, B-Zellen und NKs zeigen und ihr Immunsys-tem soweit hergestellt wurde, dass sie ein normales Leben führenkönnen.

Ob dieser klinische Erfolg jedochallein auf die Gentherapie zurückge-führt werden kann, wurde lange be-zweifelt, da die Patienten in der Re-gel weiter auf die Gabe von PEG-ADAangewiesen waren. Die Zweifel ander Effektivität der ADA-SCID-Gen-therapie wurden jedoch in einer ak-tuellen Studie [2] zerstreut: Insge-samt sieben Patienten wurden mit ei-nem modifizierten Protokoll behan-delt, in dem nicht periphere Lym-phozyten, sondern Blutstammzellengenetisch verändert wurden und au-ßerdem nach dem retroviralen Gen-transfer bewusst auf die Supplemen-tation mit PEG-ADA verzichtet wur-de. Scheinbar führte dies zu einemsignifikant besseren Anwachsen der„therapierten“ Blutstammzellen undeiner wesentlich effektiveren Rekon-stitution des zellulären Immunsys-tems der Patienten. Hervorzuhebenist, dass alle Patienten von der Thera-pie profitierten, also ein 100 %igerTherapieerfolg beobachtet wurde!

Die erfolgreiche Gentherapie derX-SCID wurde erstmals im Jahr 2000publiziert [3]. In dieser Studie wur-den zehn Kinder mit einem retrovira-len Gentransfer-Vektor behandelt,der das IL2RG-Gen trug. Auch hierwurden autologe Blutstammzellen exvivo mit dem therapeutischen Genausgestattet, so dass die genetischveränderten Zellen das zelluläre Im-munsystem rekonstituieren konnten(Abb. 2).

In bislang zwei klinischen Studi-en [3, 4] wurden insgesamt 20 Kin-der behandelt, und auch in diesen

204 | Pharm. Unserer Zeit | 3/2009 (38) www.pharmuz.de © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Kinder, die an SCID (Severe Combi-ned Immunodeficiency) leiden, nei-gen zu rezidivierenden Infektionen,weil sich die Lymphozyten der spezi-fischen Immunabwehr nicht korrektausbilden. Die Patienten müssen le-benslang in einer sterilen Umgebungleben; unbehandelt führt die Krank-heit zum Tode.

Als Ursache für die autosomal-rezessiv vererbte ADA-SCID nimmtman an, dass das Fehlen des EnzymsAdenosin-Deaminase (ADA) zu einerAkkumulation von dATP in der Zelleführt, was wiederum durch die Hem-

mung der Ribonukleotid-Reduktase –das Enzym reduziert Ribose-haltigeNukleotide am 2'-C-Atom und produ-ziert 2'-Desoxyribonukleotide – dieDNA-Synthese unterdrückt. Betroffenvon diesem Effekt sind also beson-ders die schnell proliferierenden Zel-len des Immunsystems wie B- und T-Zellen, die dann nicht vollständigausreifen können. Therapiert werdenan ADA-SCID leidende Patientendurch Applikation eines pegylierten,bovinen ADA-Enzyms (PEG-ADA).Diese Therapie kann zwar die meta-bolischen Symptome, nicht aber dasunzureichende Immunsystem der Pa-tienten verbessern.

Ursache für die X-SCID ist der X-chromosomal vererbte Defekt der ge-meinsamen Rezeptor-Untereinheit γder Rezeptoren der Interleukine IL-2,IL-4, IL-7, IL-9, IL-15 und IL-21. Diesegemeinsame Rezeptor-Untereinheitwird auch als IL-2-Rezeptor-γ-Ketteoder IL2RG bezeichnet. Die Folgedes Fehlens des IL2RG-Proteins istein Block der Differenzierung insbe-sondere von T-Zellen und Natürli-chen Killerzellen (NKs).

Als optimale Therapie der X-SCID– aber auch der verschiedenen ande-ren SCID-Formen – gilt die Stamm-zelltransplantation von gewebever-träglichen Knochenmark-Spendern.Wenn kein geeigneter Spender gefun-den werden kann, gilt die Genthera-pie mittlerweile aufgrund der vielversprechenden klinischen Erfolgeals eine alternative Behandlungsopti-on sowohl für ADA-SCID als auch fürX-SCID.

Die erste Gentherapie überhauptwurde im Jahr 1990 an dem damalsvierjährigen, an ADA-SCID leidendenMädchen Ashanti de Silva durchge-

M E D IZ I N |Aktueller Stand der Gentherapie derschweren ImmundefizienzObwohl noch nicht routinemäßig in der Klinik eingesetzt, hat der „somatische Gentransfer“ als kausale Therapie von Erbkrankheiten einimmenses Potenzial. Eine Modellerkrankung für die Etablierung derGentherapie ist die schwere kombinierte Immundefizienz (SCID) – hier zeigen sich Erfolge, aber auch Probleme.

A B B . 1 F U N K T I O N R E T ROV I R A L E R G E N T R A N S F E R-

A R Z N E I M I T T E L

mRNA

Transgen

zelluläreDNA

Fusion

Freisetzungdes Capsids

dsDNAReverse

Transkription

Integration

Transkription

Translation

Gentransfer-Vektor

rekombinantesProtein

1

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Die Transduktion einer Zelle mit einem retroviralen Gentrans-fer-Vektor läuft in den ersten Schritten genauso ab wie in ei-nem normalen retroviralen Infektionszyklus. Der Gentrans-fer-Vektor (das „Virus“) bindet an die Zelloberfläche (1), dieretrovirale Hüllmembran verschmilzt mit der Zellmembranund das Virus-Capsid wird freigesetzt (2). Nun wird das retro-virale Genom, das als RNA vorliegt, in DNA kopiert (3) und indas Genom der Zelle integriert (4). Aus Gründen der Produkt-sicherheit werden für den retroviralen Gentransfer nur Gen-transfer-Vektoren eingesetzt, die frei von retroviralen Genensind. Der integrierte Gentransfer-Vektor wird transkribiertund das therapeutische Protein wird gebildet.

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Studien wurde 100 % Therapieerfolggesehen!

Also alles prima – oder? Obwohlinsbesondere die französische X-SCID-Studie [3] als der lang ersehnteDurchbruch für die klinische Anwen-dung der Gentherapie gefeiert wur-de, hat eben diese Studie auch Fra-gen nach der Sicherheit retroviralerGentransfer-Arzneimittel aufgewor-fen.

In den zwei nun vorliegenden kli-nischen Studien zur X-SCID habenfünf der 20 behandelten Kinder eineT-Zell-Leukämie entwickelt – einesder Kinder konnte trotz sofort durch-geführter Chemotherapie nicht geret-tet werden. Was war geschehen?

Retrovirale Gentransfer-Systemesind „entschärfte“ Retroviren, d.h. eswurden alle retroviralen Gene ent-fernt und durch das „therapeutische“Gen ersetzt. Diese Gentransfer-Syste-me können eine Zelle infizieren undintegrieren die therapeutische DNAanschließend in das Genom dertransduzierten Zelle, ohne allerdings

infektiöse Viren bilden zu können(Abb. 1). Eine Integration der thera-peutischen DNA wird heute als eineVoraussetzung für eine lang anhalten-de Expression des Gens und damitden klinischen Erfolg der Therapieangesehen.

Problematisch ist allerdings, dassdie für die Gentherapie adaptiertenRetroviren bevorzugt an Stellen desGenoms integrieren, an denen Geneaktiv transkribiert werden. Man mussalso davon ausgehen, dass Retrovirenund auch die davon abgeleiteten the-rapeutischen Gentransfer-Systemepotente Mutagene sind. In Studien anMäusen wurde gefunden, dass bis zu50 % aller Integrationen in Gene er-folgen. Wenn man nun weiß, dass bei einer üblichen Gentherapie ca.5 × 106 transduzierte Stammzellenpro kg Körpergewicht refundiertwerden, kann man sich leicht vorstel-len, dass diese Form der Therapie eingroßes Potenzial zum Auslösen vonSekundärerkrankungen haben muss.Dass diese bislang kaum beobachtet

wurden, liegt nach Meinung vonFachleuten einerseits daran, dass nurein Bruchteil der refundiertenStammzellen anwächst und zur Blut-bildung beiträgt, und andererseitsMutationen selten zu Wachstumsvor-teilen der mutierten Zellen – sprichzum Auftreten unkontrollierter Proli-feration und damit zu einem Tumor –führen.

Da bei dieser Form der Genthera-pie Blutstammzellen genetisch verän-dert werden, ist die Konsequenz ei-ner solchen unkontrollierten Prolife-ration gegebenenfalls eine Leukämie.In verschiedenen Publikationen wur-den die Ursachen der in den X-SCID-Studien aufgetretenen T-Zell-Leukä-mien untersucht. Man hat gefunden,dass die retroviralen Vektoren in derNähe bekannter Protoonkogene inte-griert hatten und dadurch die Expres-sion dieser Protoonkogene in patho-logischer Weise verändert wurde [4].Aber auch andere Gene, deren Gen-produkte an der Regulation des Zell-zyklus beteiligt sind, wurden durchVektorintegrationen beeinflusst [5].

Wie geht man mit dieser Informa-tion um? Ist die beobachtete Vektor-induzierte Leukämogenese nur einProblem der Behandlung der X-SCIDmit dem IL2RG-Gen oder stellen re-trovirale Gentransfer-Systeme gene-rell ein Risiko für die Patienten dar?Um es vorweg zu nehmen: Diese Frage wird momentan kontrovers dis-kutiert und es ist noch keine ab-schließende Bewertung möglich. Auf-fällig ist, dass bisher keine Vektor-induzierte Leukämogenese in den ADA-SCID-Studien beobachtet wurde,obwohl das Verteilungsmuster derVektor-Integrationen in den ADA-SCID- und X-SCID-Studien sehr ähn-lich war [6]. Allerdings sind die Pa-tientenzahlen wohl zu gering, alsdass man das Nichtauftreten von Leu-kämien in den ADA-SCID-Patientengegenüber X-SCID-Patienten als statis-tisch signifikant betrachten könnte.Derzeit wird die Hypothese bevor-zugt, dass das Fehlen des IL2RG-Pro-teins, das Wachstums- und Differen-zierungssignale in die Zelle vermit-telt, die betroffenen Blutstammzellen

A B B . 2 R E KO N S T I T U T I O N E I N E S F U N K T I O N E L L E N I M M U N S YS T E M S

D U RC H I L 2 RG - G E N T R A N S F E R

3500

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

400

0

50

150

200

250

300

350

100

NK-Zellen/µL

CD3

CD16/56

CD4CD8

CD19

-15 15 6045300 1651501351201059075 180 270

Tage nach Gentherapie

B- und T-Zellen/µL

Entwicklung der Zellzahlen von T-Zellen (CD3+, CD4+, CD8+), B-Zellen (CD19+) undNKs (CD16+, CD56+) nach erfolgter Gentherapie. Modifiziert nach [3].

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genetisch instabil macht, weil dieZellen nicht in die terminale Diffe-renzierung gehen können. Diese Zel-len würden dann anfälliger für eineEntartung sein, nachdem durch Ein-führen des IL2RG-Gens das Überle-ben und die Proliferation der „thera-pierten“ T-Zellen wiederhergestelltwurde. Die Adenosin-Deaminase, aufder anderen Seite, ist ein Enzym imMetabolismus und führt nicht direktzu einem Überlebensvorteil der the-rapierten Zellen. Zudem reguliert dieADA keine Genexpressionsvorgänge,die zu vermehrter Proliferation füh-ren würden.

Auch wenn die in der X-SCID-Therapie beobachtete Leukämogenese

möglicherweise durch das in die Zel-len eingebrachte Gen (mit)verursachtwird, bleibt die durch retroviraleGentransfer-Systeme induzierte Inser-tionsmutagenese ein Problem für diebreitere Anwendung der Gentherapiein der Klinik. Hier müssen zweifellosAnstrengungen unternommen wer-den, um die Sicherheit der eingesetz-ten Gentransfer-Arzneimittel durchgerichtete Integrationsmechanismenzu verbessern.

[1] Blaese, R.M., et al.: T Lymphocyte-DirectedGene Therapy for ADA- SCID: Initial TrialResults After 4 Years. Science 470 (1995),475–480.

[2] Aiuti, A., et al.: Gene therapy for immuno-deficiency due to adenosine deaminase

deficiency. N. Engl. J. Med. 360 (2009),447–458.

[3] Cavazzana-Calvo, M., et al.: Gene therapyof human severe combined immunodefi-ciency (SCID)-X1 disease. Science 288(2000), 669–672.

[4] Howe, S.J., et al.: Insertional mutagenesiscombined with acquired somatic mutati-ons causes leukemogenesis following genetherapy of SCID-X1 patients. J. Clin. Invest.118 (2008), 3143–3150.

[5] Hacein-Bey-Abina, S., et al.: Insertional on-cogenesis in 4 patients after retrovirus-mediated gene therapy of SCID-X1. J. Clin.Invest. 118 (2008), 3132–3142.

[6] Aiuti, A., et al.: Multilineage hematopoieticreconstitution without clonal selection inADA-SCID patients treated with stem cellgene therapy. J. Clin. Invest. 117 (2007),2233–2240.

Thomas Winckler, Jena

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M E D IZ I N |Humane Antikörper aus RindernMit der XenoMouse® oder der HuMAb-Mouse® wurde der Grundsteingelegt, humane Antikörper gegen bestimmte Antigene zu generieren:Die murinen Immunglobulin-Gene wurden „einfach“ durch die mensch-lichen Genorte ersetzt. Anschließend konnte man über die klassischeHybridoma-Technik den gewünschten Antikörper gewinnen. Mit Vectibix® (Panitumumab) ist der erste derartige Antikörper zugelassen.Nun hat man sich am Rind versucht [1, 2] – aber für polyklonale Anti-körper.

Nach wie vor sind polyklonale Serenbei einigen (Infektions-)Krankheitenund vor allem bei Patienten mitAgamma- oder Hypogammaglobulin-ämie lebensrettend. Allerdings ist dieGewinnung humaner polyklonalerAntikörper nicht unproblematisch.Entweder sucht man in Blutspendenmühsam nach Chargen mit natürli-cherweise hohen Antikörpertiterngegen ein bestimmtes Antigen, oderaber man immunisiert Freiwillige –was sich für einige Antigene absolutverbietet und selbst bei „harmlosen“Antigenen nur recht limitierte Men-gen liefert.

Nachdem transgene Mäuse rechterfolgreich für die Herstellung mono-klonaler, humaner Antikörper ver-wendet werden können, war derWeg für neue Quellen bereitet. Aller-

dings ist die gewinnbare Blutmengeaus Mäusen offensichtlich recht ge-ring; insofern lag der Gedanke nahe,ähnliches mit großen Nutztieren wieZiegen, Schafe oder Rinder auszupro-bieren. Bereits 2002 [1] wurde vonden ersten Kälbern berichtet, diekomplett humane Immunglobuline,allerdings mit ca. 10 µg/mL in sehrgeringer Konzentration bildeten. Nunerschien kürzlich von den gleichenArbeitsgruppen wieder in NatureBiotechnology ein Artikel, in demdeutlich höhere Konzentrationen er-reicht wurden und auch gezielt einSerum gegen Anthrax hergestelltwerden konnte [2].

Was brachte den Durchbruch?Während bei Mäusen und Menschenrecht viel über Anordnung und Funk-

tion der Immunglobulin-Gene be-kannt ist, war bislang das Wissen umdie entsprechenden Genorte bei Rin-dern recht dürftig. Sowohl bei Mäu-sen als auch beim Menschen codiertein Gen für die schwere Kette derIgM-Antikörper (IGHM). Dieses Anti-körpergen ist das Erste, das währendder frühen B-Zell-Entwicklung expri-miert wird und ist wesentlich an derkorrekten Entwicklung der B-Zellenbeteiligt. In Schafen, Ziegen und Rin-dern hat man zusätzlich zum IGHM-Genort ein zweites Gen entdeckt,das als IgM-like (IGHML1) bezeich-net wurde und von dem nicht klarwar, inwieweit es wirklich aktivtranskribiert wird. Somit konnte mangleichzeitig mit der Etablierung ent-sprechender Knockout-Tiere untersu-chen, welche Funktion die beidenGene im Rind haben.

Wie ging man vor, um die Genorte für den IgM-Antikörperzu zerstören? Bei vorangegangenen Knockout-Ver-suchen wurde eine Rinder-Fibro-blastenzelllinie mit einem Vektortransfiziert, der den IgM-Genort zer-störte und gleichzeitig ein Resistenz-gen gegen Puromycin einbrachte [3].So konnten heterozygote Knockout-Zellen selektioniert werden. Kernederartiger Zellen wurden dann in be-