12
Diplomica Verlag Anika Hillmann Analysiert anhand der Romane Hærværk, Rand, Röda Rummet, Sult und Stuk Die Großstadt in der skandinavischen Literatur

Anika Hillmann Die Großstadt in der skandinavischen Literaturdownload.e-bookshelf.de/download/0002/2796/48/L-G...1 Bang, Stuk S.48 2 Bang, Stuk S.71 . 8 auf verschiedene Art und Weise

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Diplomica Verlag

    Anika Hillmann

    Analysiert anhand der Romane Hærværk, Rand,Röda Rummet, Sult und Stuk

    Die Großstadt in derskandinavischen Literatur

  • Hillmann, Anika: Die Großstadt in der skandinavischen Literatur: Analysiert anhand der Romane Hærværk, Rand, Röda Rummet, Sult und Stuk, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2013 Buch-ISBN: 978-3-8428-9778-6 PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-4778-1 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2013 Covermotiv: © Dennis Becher Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

    Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und die Diplomica Verlag GmbH, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.

    Alle Rechte vorbehalten © Diplomica Verlag GmbH Hermannstal 119k, 22119 Hamburg http://www.diplomica-verlag.de, Hamburg 2013 Printed in Germany

  • Inhalt

    1 Einleitung ............................................................................................................................. 7

    2 Die Ausgangssituation ....................................................................................................... 11 2.1 Industrialisierung und Urbanisierung ........................................................................... 11

    2.2 Die Moderne ................................................................................................................. 12

    2.3 Die Postmoderne Großstadt .......................................................................................... 14

    2.4 Konzepte ....................................................................................................................... 15

    3 Das Personeninventar der Großstadt .............................................................................. 19 3.1 Die Protagonisten der verschiedenen Werke ................................................................ 19

    3.1.1 Röda Rummet ....................................................................................................... 19 3.1.2 Stuk ....................................................................................................................... 21 3.1.3 Sult ........................................................................................................................ 23 3.1.4 Hærværk ............................................................................................................... 25 3.1.5 Rand ..................................................................................................................... 27

    3.2 Skurrile Persönlichkeiten .............................................................................................. 28

    3.3 Der Flaneur ................................................................................................................... 29

    3.4 Die Frau in der Großstadt ............................................................................................. 33

    3.4.1 Agnes Rundgren/ Beda Pettersson ....................................................................... 34

    3.4.2 Mathilde Stern ...................................................................................................... 35

    3.4.3 Ylajali ................................................................................................................... 36

    3.4.4 Johanne Jastrau und Anna Marie Jensen .............................................................. 37

    3.4.5 Ingeborg ............................................................................................................... 39

    4 Verdoppelung und Wiederholung .................................................................................... 41 4.1 Das Spiegelmotiv .......................................................................................................... 45

    5 Der Großstadtraum ........................................................................................................... 49 5.1 Die Stadt als Kulisse ..................................................................................................... 49

    5.1.1 Das Victoria-Theater ............................................................................................ 53

    5.1.2 Das Einkaufszentrum ........................................................................................... 54

    5.2 Die Stadt als Rückzugs- oder Sehnsuchtsort ................................................................ 56

    5.2.1 Röda Rummet ....................................................................................................... 56 5.2.2 Stuk ....................................................................................................................... 58 5.2.3 Sult ........................................................................................................................ 59 5.2.4 Hærværk ............................................................................................................... 60

  • 5.2.5 Rand ..................................................................................................................... 61 5.3 Die Stadt als hässlicher Ort (Ästhetik des Hässlichen) ................................................ 62

    5.4 Die Stadt als gottloser Ort ............................................................................................. 66

    6 Symptome der Belastung .................................................................................................. 73 6.1 Ennui ............................................................................................................................. 73 6.2 Alkoholexzesse ............................................................................................................. 76

    6.3 Anonymität und Entfremdung ...................................................................................... 79

    6.4 Das nervöse Bewusstsein .............................................................................................. 82

    6.5 Hunger .......................................................................................................................... 86

    7 Die Großstadt als Thema .................................................................................................. 91 7.1 Expressionistische und impressionistische Darstellungsmöglichkeiten ....................... 91

    7.2 Sprache und Umgangssprache ...................................................................................... 94

    7.3 Helligkeit und Dunkelheit in der Stadt ......................................................................... 96

    7.4 Die Stadt als Gegenort zum Land ............................................................................... 100

    8 Das Bild der Großstadt ................................................................................................... 105

    9 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 113

  • 7

    1 Einleitung

    „Her er Jord for en Verdensstad.

    – Hvorpaa venter Skandinavien, [...] paa hvem venter man? Norden venter paa København,

    [...].”1

    „HERRE, FORLAD DEM, THI DE VIDE IKKE, HVAD DE GØRE.”2

    Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Darstellung der Großstadt in ausgewählten

    skandinavischen Texten. Hierbei werden zum einen die Auswirkungen der Stadt auf die

    jeweiligen Protagonisten hervorgehoben und zum anderen die Stadt aus der Perspektive der

    zentralen Figuren betrachtet.

    Bei der ausgewählten Literatur handelt es sich um August Strindbergs Röda Rummet, Herman

    Bangs Stuk, Knut Hamsuns Sult, Tom Kristensens Hærværk und schließlich Jan Kjærstads

    Rand. Diese Werke aus der Gattung Großstadtliteratur eignen sich, um einen Einblick in die

    verschiedenen skandinavischen Hauptstädte zu gewinnen und bieten die Möglichkeit zu

    umfassenden Vergleichen. Es handelt sich bei den jeweiligen Hauptpersonen um Charaktere

    aus dem kreativen Milieu, die in ihrem Umfeld genauer analysiert werden.

    Im Laufe der Analyse werden weiterhin verschiedene Begriffe geklärt, die in Zusammenhang

    mit der Stadt und ihren Bewohnern stehen. Die Stadt wird aus Sicht der Einwohner reflektiert

    um am Ende mit ihrer Hilfe ein charakteristisches Bild der Großstadt entstehen zu lassen.

    Dabei werden mögliche Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten der Stadtdarstellung in den

    jeweiligen Werken herausgearbeitet.

    Zunächst wird jedoch ein kurzer Überblick zum Großstadtroman sowie zur jeweiligen Zeit, in

    die die hier bearbeiteten Texte einzugliedern sind, gegeben. Dazu zählen die Moderne und die

    Postmoderne, die in dem folgenden zweiten Abschnitt erläutert werden. Gleiches gilt für die

    Begriffe der Urbanisierung und Industrialisierung. Im Anschluss daran werden in kurzer Form

    die jeweiligen Konzepte zur Großstadt von Simmel, Hellpach, Milgram und Benjamin

    vorgestellt, um auf eine mögliche Problematik der Großstadt hinzuweisen.

    Das daran anschließende dritte Kapitel ist den Personen aus den in diesem Rahmen untersuch-

    ten Romanen gewidmet. Begonnen wird mit der Analyse der jeweiligen Hauptprotagonisten.

    Im Zusammenhang mit ihnen werden auch einige abseits stehende Charaktere erwähnt, die

    1 Bang, Stuk S.48 2 Bang, Stuk S.71

  • 8

    auf verschiedene Art und Weise das Leben dieser Helden beeinflussen. Das Personeninventar

    wird nach dem jeweiligen Romanen gegliedert. Selbiger Abschnitt befasst sich weiterhin mit

    den skurrilen Persönlichkeiten, die die Großstadt mit sich bringt, wozu u.a. Obdachlose oder

    Prostituierte zählen. Im Anschluss wird das Motiv des Flaneurs erläutert, welches eine ganz

    eigene Rolle spielt und dem Leser die Stadt aus neuen Perspektiven schildert. Der letzte

    Passus dieses Abschnitts beschäftigt sich mit der Rolle der Frau in den hier untersuchten

    Großstadtromanen. Die weibliche Person erscheint zwar in erster Linie nur als Randfigur, hat

    aber eine wichtige Bedeutung, die an entsprechender Stelle erörtert werden soll.

    Im darauffolgenden vierten Abschnitt geht es um das Motiv der Wiederholung, welches in

    nahezu allen Werken anzutreffen ist. Besonders deutlich wird die Wiederholung in Form

    eines Spiegels erläutert. Welche Auswirkungen dieser Gegenstand auf die Protagonisten hat,

    wird ebenfalls geklärt.

    Das fünfte Kapitel bildet neben dem sechsten den zentralen Teil der Studie. Hier wird die

    Stadt als Raum, als Kulisse, als Ort der Städter erläutert. Zunächst wird sie als allgemeiner

    Hintergrund betrachtet, welcher ein Sammelort der Menschen ist, wobei besonders auf das

    Etablissement Einkaufszentrum und auf das stuckverzierte Victoria-Theater eingegangen

    wird. Darauf folgt eine Betrachtung der Stadt als Sehnsuchts- bzw. Rückzugsort. Dieser

    Aspekt wird ausführlich an jedem der Werke analysiert. Im nächsten Passus wird erläutert,

    wovor sich mitunter zurückgezogen werden muss. Hier wird das Hässliche der Stadt zum

    Ausdruck gebracht. Einen Schritt weiter geht schließlich der letzte Abschnitt dieses Kapitels,

    in dem die Gottlosigkeit in der Großstadt angenommen und an markanten Stellen der Werke

    bewiesen wird.

    Nach diesen negativen Aspekten erörtert Kapitel sechs die Auswirkungen und Symptome, die

    diese auf die Protagonisten haben können. Dazu zählen der ennui-Gedanke, Alkoholmiss-

    brauch, Anonymität, Nervosität und Hunger, der sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Mit

    diesen Phänomenen haben die meisten Helden zu kämpfen.

    Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Stadt in den Romanen explizit

    thematisiert wird. Hierfür wird zunächst nach expressionistischen und impressionistischen

    Darstellungsmöglichkeiten gesucht. Im Anschluss erfolgt eine Analyse der Sprache der

    Großstadt und des Gegensatzes von Helligkeit und Dunkelheit. Abschließend wird der häufig

    wiederkehrende Diskurs zwischen Stadt und Land erläutert.

  • 9

    Damit ist die Betrachtung abgeschlossen, die im letzten Kapitel nach einer kurzen Zusam-

    menfassung der wichtigsten Punkte zu einem Fazit führt. Eine zentrale Frage dabei ist die

    nach der Funktion der Stadt. Weiterhin wird ein Bezug zur angenommenen Intention der

    Autoren hergestellt. Warum hat sich der Schriftsteller für die Großstadt entschieden und was

    ist das zentrale Thema? Warum stellt er die Stadt auf diese Weise dar?

    Bevor begonnen wird, ist noch darauf hinzuweisen, dass nicht jedes Kapitel jeden Roman

    behandelt. Gewisse Aspekte kommen nicht in jedem Werk vor bzw. andererseits in reichhal-

    tiger Form, sodass sich eine Zusammenfassung anbietet. Es werden die wichtigsten Punkte

    zum Thema aus den jeweiligen Texten herausgegriffen, wobei einige weniger bedeutsame

    Aspekte mangels Umfang außen vor bleiben müssen.

    Nach diesem Hinweis folgt nun der Einblick in die Ausgangssituation, die diesen Romanen

    vorausgeht bzw. ihren Aufbau ermöglicht.

  • 11

    2 Die Ausgangssituation

    An dieser Stelle werden zunächst die unterschiedlichen geschichtlichen Hintergründe der

    Romane erläutert. Da ein Großteil der Texte gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschien, soll

    zunächst die Industrialisierung und die damit verbundene Urbanisierung erläutert werden. Im

    Anschluss daran wird der Begriff der Moderne und der des Modernen Durchbruchs geklärt.

    Daran schließt sich ein kurzer Blick auf die Situation in der Postmoderne bzw. Gegenwart, da

    der Roman Rand in diese Zeit einzuordnen ist. Am Ende werden vier wissenschaftliche

    Konzepte zur Untersuchung der Großstadt erläutert.

    2.1 Industrialisierung und Urbanisierung

    In der Zeit zwischen 1860 und 1910 lässt sich in Skandinavien die Industrialisierung am

    stärksten beobachten. Sie beinhaltet eine schnelle Verbreitung der Arbeitsteilung und der

    Spezialisierung in der Gesellschaft. Es bietet sich eine Möglichkeit der Massenfertigung von

    Waren, die sich als preiswerter als die manuelle Produktion erweist. Bereits im 18. Jahrhun-

    dert kam es in Europa zum ersten Industrialisierungsprozess, welcher von Bedeutung für die

    Moderne war. Es kam hierbei vermehrt zum Einsatz von Wasserkraft und Maschinen, später

    zum Einsatz von Dampfkraft und elektrischer Energie. Die Frachtkosten sanken und ein

    größeres Absatzgebiet ermöglichte günstigeren und schnelleren Warentransport. Die Indust-

    riearbeit wurde immer effektiver und somit musste auch die Produktivität der Arbeiter

    wachsen. Dies brachte verstärkt Konflikte zwischen Arbeitern und Arbeitgebern in Bezug auf

    die Löhne und die Arbeitsbereitschaft. Es entwickelte sich eine Zweiklassengesellschaft. Auf

    der einen Seite standen die Industriellen und auf der anderen Seite die Industriearbeiter. Mit

    der Arbeitsteilung und Spezialisierung kam es zur Urbanisierung, welche mit der Wirtschaft

    verknüpft war. Zu Beginn der Industrialisierung siedelten sich Industriegebiete in ländlichen

    Gegenden an, in der Nähe der jeweiligen Rohstoffe, die verarbeitet wurden. Die sinkenden

    Transportkosten ermöglichten einen Ausbau der Industrie innerhalb der Stadt. Das brachte

    den Vorteil, dass die Unternehmen nun näher an den Abnehmern waren und eine gute

    Geschäftskommunikation zu neuen Kontakten führen konnte. Die Arbeiter verfügten über

    eine bessere Ausbildung als diejenigen auf dem Land. Eine bessere soziale Organisation

    wurde möglich, zusätzlich ersparten die Arbeitgeber die Kosten für die Unterbringungen ihrer

    Arbeiter und deren Familien. Allerdings traten gleichermaßen Nachteile hervor. Es mussten

  • 12

    höhere Löhne gezahlt werden und die Grundstückspreise waren höher als auf dem Land und

    es gab Schwierigkeiten bei der sozialen Kontrolle der Arbeiter. Die Urbanisierung erwies sich

    als ein Teil des allgemeinen Strebens nach Arbeitsteilung und Spezialisierung. Dies kenn-

    zeichnet den Industrialisierungsprozess.3

    Mit der industriellen Revolution wurde das Leben bunter, lauter, eindrucksvoller und vielsei-

    tiger. Das brachte allerdings auch viele negative Faktoren mit sich. Es herrschte ein regelrech-

    ter sozialer Krieg, jeder kämpfte gegen jeden, es gab eine starke Kritik an den politischen

    Verhältnissen und dem Geld wurde eine größere Bedeutung beigemessen. Das Geld wurde

    u.a. verantwortlich gemacht für die Moral bzw. Unmoral, die vorherrschte. Es wurde keine

    Rücksicht mehr auf Mitmenschen genommen, und somit kam es zum Verfall des häuslichen

    Lebens.4

    2.2 Die Moderne

    Im Verlauf der Periode, in der einige der hier untersuchten Romane entstanden, änderte sich

    das Leben drastisch. Ab 1870 bzw. 1871 gab es einen Einschnitt in der skandinavischen

    Literatur. Diese Zeit wurde als Moderner Durchbruch bezeichnet. Hierbei wurde sich mit den

    Gegebenheiten beschäftigt, die das neue Leben mit sich brachte. Er ist eine Reaktion auf den

    Modernisierungsschub in der Gesellschaft, welcher wiederum durch Industrialisierung und

    Technisierung im 19. Jahrhundert zustande kam.5 Seit den 1880er Jahren begann in Skandi-

    navien die Großstadtliteratur, kaum dass es dort überhaupt Großstädte gab. Die Autoren

    schildern hierin einerseits eine fiktionale, von ihnen erschaffene Welt, andererseits lassen sich

    die Texte als Sozialstudien verstehen. Die Schriftsteller waren häufig auch journalistisch tätig

    und waren in das zeitliche Geschehen involviert, somit selbst von der Situation betroffen.6

    Von den hier untersuchten Werken fallen Röda Rummet, Stuk und Sult in diese Zeit.

    Mit der Modernisierung kam es zur Urbanisierung. Die Menschen zogen vom Land in die

    Städte, die daraufhin regelrecht explodierten. Dies hatte große Auswirkungen auf die Wohn-

    und Verkehrslage sowie auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Plötzlich wurden aus

    provinziell wirkenden Hauptstädten Metropolen. Die bedeutsamsten Innovationen, die dafür

    von Bedeutung waren, sind die elektrische Beleuchtung sowie der Ausbau von Verkehrs- und

    3 Vgl.: Gustafson, Industrialismens storstad S.8ff 4 Vgl.: Riha, Die Beschreibung der „Großen Stadt“ S.78ff 5 Vgl.: Heitmann, Die Moderne im Durchbruch S.183f 6 Vgl.: Dennis, Cities in Modernity S.80

  • 13

    Telefonnetz, Läden, Schaufenstern und Flaniermeilen, außerdem die Entwicklung der

    öffentlichen Vergnügungs- und Café-Kultur.7

    Es ist verständlich, dass das explosive Wachstum der Städte psychische Auswirkungen auf

    die Einwohner hatte. Die Verstädterung brachte Geschwindigkeit, Masse, Lärm und Unruhe

    mit sich, was zur Anonymisierung, Fragmentarisierung und schließlich zu Nervenkrankheiten

    führen konnte.8 An dieser Stelle soll gesagt sein, dass die Größe der Stadt im eigentlichen

    Sinne keine Rolle spielt. Mit ihren knapp über 200.000 Einwohnern ist Kristiania gerade eine

    Mittelstadt, von einer Großstadt weit entfernt, dennoch wird im Folgenden weiterhin von

    Großstadt gesprochen. Dies liegt daran, dass sich die in den Romanen beschriebene Situation

    nicht an Einwohnerzahlen messen lässt, vielmehr geht es um das Gefühl Großstadt, um die

    Art des Erlebens der Stadt.9 Dieses Gefühl wird auch in Hærværk umgesetzt. Der Roman ist

    etwa vierzig Jahre nach den drei zuvor genannten Werken entstanden und ist damit nicht mehr

    in den Modernen Durchbruch einzuordnen, wohl aber in die Klassische Moderne. Die Zeit

    zwischen den Kriegen ist geprägt von der Auseinandersetzung mit Organisationsformen

    sozialer Gemeinschaften. Weiterhin ist der Klassenkampf ein wichtiges Thema.10 Thematisch

    passt der Text allerdings zu den bisher erwähnten Werken, da er ihnen sehr ähnlich ist.

    Bevor mit der Postmoderne forgefahren wird, werden an dieser Stelle in aller Kürze zwei

    Begriffe geklärt.

    Das Wort Metropole bedeutet wörtlich übersetzt „Mutterstadt“, wird allerdings eher mit

    „Weltstadt“ erklärt. Eine Metropole gilt als Mittelpunkt, ein Zentrum. Genau genommen ist

    dieser Begriff allerdings eher ein Marketingkonzept und dient der Vermarktung der Städte.11

    Im weiteren Verlauf der Studie wird dieser Begriff synonym zu dem Begriff der Großstadt

    verwendet.

    Neben dem Begriff der Metropole wird im Laufe der Untersuchung des Öfteren der Begriff

    der Moderne auftauchen, wobei zu betonen ist, dass damit keine epochale Abgrenzung

    vorgenommen wird, sondern lediglich auf den allgemeinen Zustand des modernen, neuartigen

    Lebens hingewiesen wird. Sollte die Moderne einmal in anderem Zusammenhang, als eine

    bestimmte zeitliche Abgrenzung anzusehen sein, so wird dies speziell gekennzeichnet

    werden. Bis auf Weiteres gilt der Begriff der „Moderne“ oder „modern“ als epochenübergrei-

    7 Vgl.: Heitmann, Die Moderne im Durchbruch S. 184ff 8 Vgl.: Heitmann, Die Moderne im Durchbruch S.188 9 Vgl.: Detering, ”Mein Name sei der und der“ S. 47 10 Vgl.: Strauß, Klassische Moderne S.230f 11 Vgl.: Zohlen, Metropole als Metapher S.27ff

  • 14

    fend und in zeitlicher Hinsicht ohne bestimmte Einschränkungen, entscheidend ist allein das

    damit verknüpfte Neuartige.

    2.3 Die Postmoderne Großstadt

    Die Bedeutung der Stadt hat sich im Laufe der Zeit stark verändert, sie ist zu einem gegen-

    sätzlichen Raum geworden. Einerseits wird sie geliebt und gepflegt, andererseits wird sie

    geschmäht und beschimpft. Früher war sie ein Ort, der Schutz versprach, in dessen Mauern

    gehandelt und in Ruhe gelebt werden konnte, nun ist sie ein Ort der Vermarktung geworden.12

    Die Stadt dient mit ihren verschiedenen Vierteln im Laufe der Zeit mehr und mehr dazu, die

    einzelnen Klassen der Gesellschaft hervorzuheben. Durch die Sanierung ganzer Stadtteile

    werden diese an den Dienstleistungs- und Unterhaltungsbereich angepasst und damit zu

    Attraktionen, wie beispielsweise Aker Brygge in Oslo. Hier wird die Stadtkultur als positiv

    gedeutet, die Verstädterung dient dem kulturellen und sozialen Leben. Der Städter bekommt

    durch Beteiligung am öffentlichen Leben und durch die Anwesenheit an angesehenen Orten

    die Möglichkeit, Teil der städtischen Elite zu werden.13 Das Konzept der Stadt variiert je

    nachdem, welche Intention der Autor verfolgt und wie sein Interesse am Kontext lautet. Die

    Figuren in dem Roman der Großstadt sind häufig damit beschäftigt, selbst über die Stadt und

    ihre Wahrnehmung dieser zu schreiben. Sie erforschen gewissermaßen die Stadt und liefern

    dadurch metafiktionale Deutungen, da der Schreibvorgang mit dem Thema Stadt reflektiert

    wird. Die Stadt wird als Text dargestellt, der Text als Stadt. Der Begründer dieses konstrukti-

    vistischen Stadtromans Skandinaviens ist Jan Kjærstad,14 dessen Held über die Großstadt

    nachsinnt. Dies tut er auf sehr abstrakt Weise in einem Labyrinth aus teilweise zusammen-

    hanglosen Textpassagen und Verweisen. Das Labyrinth wird vom Erzähler konstruiert, und

    der Leser muss es entschlüsseln. Die Toten trugen z.B. allesamt Schuhe der Marke ECCO,

    und aus ECCO wird mit der Zeit Umberto Eco, welcher ebenfalls postmoderne Literatur

    hervorbrachte. Kjærstad selbst sagt, er wolle mit dem Konkreten das Abstrakte aufspüren,

    nicht wie üblich vom Abstrakten auf das Konkrete verweisen.15

    Die Postmoderne lässt sich zum einen als eine Epoche begreifen, bedeutet zum anderen

    aber auch bestimmte Gegebenheiten. Im Wesentlichen bezieht sich der postmoderne

    12 Vgl.: Zohlen, Metropole als Metapher S.31f 13 Vgl.: Wischmann, Gegenwart S.342 14 Vgl.: Wischmann, Gegenwart S.342ff 15 Vgl.: Keil, Kjærstad vs. Høeg S.65