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Argumentative Lehr-Lern-Prozesse: Sequenzmuster in Argumentationen aufdecken
Dorothee Gronostay
Vortrag im Rahmen der IZfB-Ringvorlesung04.12.2018
Gliederung
1 Videostudie Argu e tati e Lehr-Lern-Prozesse2 Theoretischer Hintergrund: Argumentative Lehr-Lern-Prozesse
Rahmenmodell von Angebot und Nutzung
Unterschiedliche Diskussionsformate
IRE-Muster und Analogien im argumentativen Diskurs
Modell argumentativer Abwägung
3 Forschungsfrage(n)
4 Methode
5 Ergebnisse
6 Diskussion
1 Videostudie
Argu e tative Lehr-Lern-Prozesse
Videostudie „Argu e tative Lehr-Lern-Prozesse
• Videographie einer standardisierten U terri htslektio Partei er ot i Fa h Politik an Gymnasien in NRW
• 50 Unterrichtsstunden in zehn Schul-klassen mit ca. 250 Schüler/-innen
• begleitende Fragebögen f. Schüler/-innen
• Fokus: schülerzentrierte kontroverse Diskussion mit Positionsvorgabe (pro/con)
Studie 1
Beschreibung der sequentiellen Struk-tur der Diskussionen
(Sequenzanalyse)
Gronostay, 2016
Studie 2
Förderbarkeit der Qualität des argumen-
tativen Diskurses (Quasi-Intervention)
Gronostay, 2017
Studie 3
Einflussfaktoren der Diskussionsbeteili-gung (Regression,
Pfadmodell)
Gronostay, 2018
2 Theoretischer Hintergrund:
Argumentative Lehr-Lern-Prozesse
Perspektiven auf das Argumentieren
Argumentieren
als formales Schließen; a er: ei politis he Diskussio e „ill-defined problems : ur provisorische Akzeptanz von Schlussfolgerungen (Kienpointer, 1983, S. 72)
als funktionales Gefüge: z.B. Konklusion, Prämisse(n), Schlussregel(n) (Toulmin, 1996)
als „ver al and so ial a tivity“, die auf die Stärkung (oder Schwächung) der Akzeptanz eines kontroversen Standpunkts zielt (van Eemeren, et al., 1996, S. 5)
Aufbau einer Argumentation (Toulmin, 1996, S. 95f.)
Datum (D) Operator (O), Konklusion (K)
Schlussregel (SR) Ausnahmebedingung (AB)
Stützung (S)
Beispiel:„Politik ist spa e d [K],
weil sie Auswirkungen auf jede o u s hat [D].
Rolle des Argumentierens in Lehr-Lern-Prozessen
(in Anlehnung an Schwarz, 2009, S. 92)
Argumentative Lehr-Lern-Prozesse
„learning to argue -Ansatz
Mündliche Unter-richtsbeteiligung
„arguing to learn -Ansatz
Argumentations-kompetenz
z.B. kommunikative politische Handlungs-kompetenz (Detjen et al., 2012)
Fachliches Lernen durch Argumentieren
z.B. Wissensgenerierung, Fundierung eines Urteils (Mittelsten-Scheid, 2009; Riemeier et al., 2012)
Argumentieren als soziale Sprachhandlung
z.B. Teilnahme an einer Pro-Contra-Debatte im Unterricht
Angebots-Nutzungs-Modell unterrichtlicher Wirkungen als
Rahmenmodell (Helmke, 2015)
Theoretisches Rahmenmodell der empirischen Unterrichts-forschung
Heuristische Funktion
Argumentieren als Lernaktivität
(Nutzung)
Helmke, 2015, S. 71
Diskursive Unterrichtsgestaltung und argumentative Lehr-Lern-
Prozesse als Qualitätsmerkmal von Unterricht (?)
Normative Sicht: Beutels-bacher Konsens (Wehling, 1977, 2017)
Ähnlichkeit zum Konzept der kognitiven Aktivierung (z.B. Kunter & Trautwein, 2013; Lipowsky, 2015; Praetorius et al., 2014, 2016)
Diskursiver Unterrichtsstil (Angebot) zeigt positive Zusammenhänge mit poli-tischem Fachwissen und demokratischen Einstellungen (Ertrag), z.B. Schulz et al., 2010; Torney-Purta et al., 2001; Watermann, 2003
Black Box: Welche Lernaktivitäten sind mit dieser hypothetischen Wirkkette
verbunden? (Videostudie) Und: Welche Theorie erklärt die empirischen
Befunde? ( Theoriearbeit)
Warum wird argumentiert?
Dialogformen (in Anlehnung an Walton, 1989)
Art des Dissenses I der Ausga gssituatio … Ziele und Funktionen
1 Diskussion persuasion
liegt eine Meinungsver-schiedenheit vor.
überzeugen, einen Konsens/Verständnis herbeiführen
2 Untersuchung inquiry
besteht die Notwendigkeit einer Beweisführung.
eine Hypothese testen, Evidenzfinden/prüfen
3 Verhandlung negotiation
liegt ein Interessenkonflikt vor. Interessen durchsetzen, eine Einigung herbei führen
4 Informationsgesprächinformation-seeking
besteht die Notwendigkeit, Informationen zu erlangen.
Informationen erhalten und austauschen
5 Deliberationdeliberation
besteht die Notwendigkeit einer Kollektiventscheidung.
Ziele und Handlungsoptionen koordinieren, die beste Option wählen
6 Streitgespräch eristic
liegt ein persönlicher Konflikt vor.
andere bloßstellen/angreifen; den tieferen Konfliktgrund offenlegen
Die Art der Argumentation wird entscheidend von der jeweiligen Dialogform bzw. der Funktion und Zielsetzung des Argumentierens beeinflusst.
Einfluss des Diskussionsformats auf den argumentativen
Diskurs
Kooperative Kontroverse Kompetitive Kontroverse
Merkmale (Johnson & Johnson, 2009; Reinhardt, 2014)
Vorliegen konträrer Sichtweisen, kooperative Zielstruktur
Vorliegen konträrer Sichtweisen, kompetitive Zielstruktur
Interaktionstyp (Mercer, 1996;2008)
Tendenz zu kritisch-konstruktivem Diskurs (explorative talk)
Tendenz zu unreflektierter Konfrontation (disputational talk)
Diskursmodi und Sprechakte (Feltonet al., 2015)
Gleichermaßen Ko-Konstruktion und Opposition sowie integrative Sprechakte
Übergewicht von Sprechakten der Opposition, kaum integrative Sprechakte oder Ko-Konstruktion
Potential für kognitive Aktivierung
Hohes Potential durch kritisches Hinterfragen von Sichtweisen, aber auch Integration von Wissens-beständen
Mittleres Potential durch kritisches Hinterfragen von Sichtweisen; jedoch hemmt die Überzeugungsabsicht die Integration von Wissensbeständen
Unterschiedliche Diskussionsformate verfügen über ein unterschiedliches Lernpotential
Arten rationaler Dissense (in Anlehnung an Holzinger, 2001;
Levinson, 2006)
Art des Dissenses Beschreibung
1 bedingt durch eine ungenügende Datenlage
a) Mangel an belastbaren Datenb) Vorliegen widersprüchlicher Daten
2 bedingt durch unter-schiedliche Interessen
Interessenskonflikte, Machtkonstellationen
3 bedingt durch Unterschiede in den Urteilskriterien
a) Interpretation der Urteilskriterienb) Priorisierung der Urteilskriterienc) Relevanz der Urteilskriterien
4 bedingt durch unter-schiedliche Ideologien
Weltanschauliche Differenzen
Nur Dissense der Kategorie 1 lassen sich mittels Methoden der Falsifikation beilegen. Argumentative Lehr-Lern-Prozesse können eine oder mehrere Kategorien rationaler Dissense betreffen
.
Logik politischer/kritischer Diskussionen
Initiale Plausibilität i
der Pro-Position
Dialogtheorie: überzeugungsorientierte
Diskurse persuasion dialogue (Walton 1989)
Initiale Plausibilität j
der Contra-Position
Finale Plausibilität l
der Contra-Position
Finale Plausibilität k
der Pro-Position
Diskussion:Sequenz argumentativer Züge
Prämissen von A
Prämissen von B
Konklusion von B
Konklusion von A
Schluss-folgerungen
Be
we
isla
st v
on
A
Be
we
isla
st v
on
B
Konzept der Beweislast (Walton 1989, S. 177; 2008, S. 5)
Zentrale Bedeutung der Transaktivität, defi iert als „reasoning that operates on thereasoning of another Berko itz & Gi s, , S.
Prozess der argumentativen Abwägung in kompetitiven
Diskussionsformaten
IRE-Zyklen im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch Sinclair & Coulthard 1975, Mehan
1979, zu den vielen Varianten von IRE-Mustern s. Molinari, Mameli & Gnisci 2012
Initiation Response Evaluation
Beispiel (Politikunterricht, Jg. 8/9):
Lw: Welche Institution kann in Deutschland eine Partei verbieten? Wer erinnert sich?
Sm: Das Bundesverfassungsgericht.
Lw: Genau. Richtig.
Prozess der argumentativen Abwägung in kompetitiven
Diskussionsformaten
IRE-Zyklen im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch Sinclair & Coulthard 1975, Mehan 1979,
zu den vielen Varianten von IRE-Mustern s. Molinari, Mameli & Gnisci 2012
Initiation Response Evaluation
IRF-Muster …
als o ologis hes „recitation script Tharp & Gallimore, 1988), das dialogischen Unterrichtsgesprächen konträr gegenübergestellt wird
Kritik von Molinar & Gnisci (2011, S. 415f.):
auch dialogische Gespräche weisen IRF-Muster auf
IRF-Muster lediglich triadischer Kern
Methode der Sequenzanalyse dem Gegenstand angebracht
Ausweitung der Analyse-Einheit auf interaktive Sequenzen (sequence = nuclear triadic exchange and one or more bound exchanges, S. 416)
Prozess der argumentativen Abwägung in kompetitiven
Diskussionsformaten
IRE-Zyklen im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch Sinclair & Coulthard 1975, Mehan 1979, zu den vielen Varianten von IRE-Mustern s. Molinari, Mameli & Gnisci 2012
Initiation Response Evaluation
AOR-Zyklen im kompetitiven argumentativen Diskurs Gronostay 2016, in Anlehnung an Leião 2000
Argument Opposition Response
Einseitige Argumentation
Kontroverse Argumentation
Responsive Argumentation
Modell argumentativer Abwägung (Leitão, 2000, S. 335)
.
A reply – the pie e of the speakers’ argu e tatio that sho s ho they rea t to a ou ter-argument – is the crucial element in argumentation that allows us to capture the impact of ou terargu e t o the arguers’ thoughts a d to follo o e t to o e t tra sfor atio s i
their k o ledge. Leitão, 2000, p. 356, Hervorhebung DG)
Aber: Studien zum argumentativen Diskurs zeigen die Tendenz, Argumente der Gegenseite zu ignorieren (Kuhn & Udell 2007, Thormann 2012)
Forschungsfrage(n)
Forschungsfragen
Ziel: Beschreibung des argumentativen Diskurses moderat kompetitiver Diskussionen mit
Positionsvorgabe
1. Wie gestaltet sich die quantitative Verteilung derunterschiedlichen argumentativen Züge (z. B. Widerspruch,Einwand) in Prozessen argumentativer Abwägung?
3. Wie gestaltet sich die Komplexität der Argumentationen(Anzahl argumentativer Züge je Argument)? Wie gestaltetsich die quantitative Verteilung der verschiedenen Typenvon Argumentationen (einseitig, kritisch/responsiv)?
2. Welche Sequenzmuster argumentativer Abwägung (z. B.Argument → Widerspruch) lassen sich identifizieren?
Argumentationen (Makro-Ebene)
Argumentative Züge (Mikro-Ebene)
Sequenzen (Meso-Ebene)
Methode
Stichprobe und methodisches Vorgehen
Unterrichtsvideos
Transkriptionen
Segmentierung
Grob-Kodierung
Fein-Kodierung
Reliabilitätsprüfung
Arbeitsschritte:
Vier Schulklassen der 8./9. Jgst. Gymnasium in NRW
Unterrichtslektion zum Parteiverbot in der Demokratie und zu Extremismus (4x45 Min.)
Kontroverse Diskussion mit Positionsvorgabe zum Abschluss der Unterrichtslektion
Schüler/-innen gaben an, den videografiertenUnterricht als überwiegend authentisch wahrzunehmen (Gronostay, Neumann & Manzel, 2015)
Kategoriensystem: Argumentative Transaktivität (in Anlehnung
an Felton et al., 2015)
Diskursmodus Argumentativer Zug
Externalisierung Argument
Ko-Konstruktion Zustimmung
Vervollständigung
Elaboration
Kritik Widerspruch
Gegenargument
Einwand
Integration Integration
Kategoriensystem
Transkriptbasierte Kodierung anhand von Kodierungstabellen
Segmentierung in Rede-beiträge
Grob-Kodieru g: „off-topi s. „o -topi Cohen´s Kappa: .90
Fein-Kodierung: Argumen-tative Transaktivität
Kappa: . < κ < .75
Sequenzanalyse argumentativer Diskurse
Genereller Ansatz:
Nicht nur Auszählung von Häufigkeiten verschiedener Kategorien von Sprechakten (z.B. x% Argumente, x% Zustimmung, x% Gegenargument), sondern auch Berücksichtigung
von Sequenzmustern (z.B. Argument Zustimmung oder Argument Gegenargument)
Typische Fragestellungen:
Wie wahrscheinlich erfolgt in einem bestimmten Diskursformat auf einen bestimmten Sprechakt eine Reaktion?
Welche Arten von Sprechakten folgen typischerweise als Reaktion auf einen gegebenen Sprechakt?
Und schließlich: Entsprechen die beobachteten Sequenzen den theoretisch bzw. normativ gewünschten Sequenzen?
Sequenzanalyse argumentativer Diskurse: Beispiele der
Datendatei und der Häufigkeitsmatrix
Beispiel Datendatei
Kodierungskategorie Diskurs-Ebene
Beispiel Frequenzmatrix (Jeong, 2005a, S.370)
Ergebnisse
Ergebnisse: Mikro-Ebene argumentativer Züge
(Forschungsfrage 1)
Ergebnisse: Mikro-Ebene argumentativer Züge
(Forschungsfrage 1)
Externalisierung: Pro- oder Contra-Argument
Kritik: • Widerspruch• Gegenargument• Einwand
Ko-Konstruktion: • Zustimmung• Elaboration• Vervollständigung
Integration: Integration von Kritik
Ergebnisse: Makro-Ebene der Argumentationen
(Forschungsfrage 3)
Argumentation:
MW = 4.01 (SD = .78) argumentative Züge
MED: 2 Züge
Höhere Varianz innerhalb der Klassen als zwischen den Klassen
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
56
46
21
1113
17
11
16
421
9
50
38
38
17
22
46
11 9
2213
63
Wider-
spruch
24>18
Ko-Kon-
struKtion
15>8
Argu-
ment
34>24
Inte-
gration
20>18
Gegen-
argument
58>56
Einwand
18>11
56
Exemplarisches Sprechaktübergangsdiagramm der Klasse A
Lesehilfe:
Die Werte in den runden Feldern geben die Gesamtzahl der Sprech-akte der jeweiligen Kategorie sowie die Anzahl von Sprechakten, die auf diese Bezug nehmen, an. Die Werte auf den Pfeilen sind Über-gangswahrscheinlichkeiten. Blaue Pfeile zeigen Übergangswahr-scheinlichkeiten an, die signifikant höher als erwartet ausfallen (z-Wert > 1.96, Alpha < 0.05). Das Diagramm wurde mit dem Discussion Analysis Tool (DAT, Jeong, 2005b) erstellt.
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Sprechaktübergangsdiagramm: Sequenzen von Diskursmodi (Klasse A/B/C/D)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Nicht transaktive Argumentation
Sw221 (Kontra): […] I h i au h gege ei Ver ot, eil e die NPD verboten werden würde, dann könnte man das Handeln der NPD nicht mehr so gut überschauen. So, sieht man ja, was die machen und was die planen. [Argument]
Sw235 (Pro): Ja, und außerdem werden dadurch dann auch die Kosten gespart. Also vor allem auch aus den staatlichen Töpfen, weil die NPD dieses Geld ja meist für die menschenverachtenden Plakate ausgibt. [Argument]
Sw222 (Kontra): Also die Anhänger der NPD könnten ja auch zu anderen Parteien gehen und dann bekommt diese Partei dann nur mehr Anhänger. [Argument]
(Transkriptionsauszug der Klasse A, Sprechakte 10–12)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Einseitige Argumentation, transaktiv
Sequenzmuster: Ko-Konstruktion Ko-Konstruktion
Sw346 (Pro): Ja, aber es geht ja an sich hauptsächlich um die NPD, es geht ja auch um rechtsextreme Parteien. Und man sollte an sich, finde ich, keine Partei erlauben, in der andere Leute diskriminiert werden aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens oder ihrer Religion. Deswegen sollte man sowas von Anfang an nicht erlauben. [Argument]
Sw330 (Pro): Man hat ja gesehen, wohin das führt. Die Vergangenheit. Als Hitler war. [Elaboration]
(Transkriptionsauszug der Klasse D, Sprechakte 115–116)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Sequenzmuster: Ko-Konstruktion Ko-Konstruktion
Sw325 (Kontra): Ja, es wurden ja schon Parteien verboten und die existiert ja immer noch. [Gegenargument]
Sm339 (Kontra): Dann kommt eine Neue nach, ja. [Elaboration]
Sw325 (Kontra): Dann gründen die eine neue Partei und schließen sich dann anderen Parteien an. [Elaboration]
Sm339 (Kontra): Eben. Es hat keinen Sinn, sie zu verbieten. (.) Da- Da- Da kommen immer wieder neue. [Zustimmung]
(Transkriptionsauszug der Klasse D, Sprechakte 103–106, Betonung in Kursivschrift)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Sequenzmuster: Einwand Integration
Sm80 (Pro): Ja also, sie werden halt nicht mehr vom Staat unterstützt und sie werden auch nicht mehr so leicht Mitglieder anwerben können, weil sie halt weder Werbung machen können, noch können sie irgendwie sich öffentlich treffen. [Argument]
Sw163 (Kontra): Sie können ja selber geheime Werbung machen. [Einwand]
Sm80 (Pro): Ja, aber das dann halt beispielsweise nur auf geheimen Plattformen. Und neue Mitglieder werden diese geheimen Plattformen erst einmal nicht finden. [Integrative Antwort]
(Transkriptionsauszug der Klasse B, Sprechakte 19–21)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Sequenzmuster: Widerspruch Widerspruch
Sm380 (Pro): Ja, aber das Problem ist, jetzt haben die noch nicht so eine starke Macht im Landtag oder im Bundestag. Halt gar nichts, a er […] e Sie rei ko e , ürde das sofort die Abschaffung der Demokratie bedeuten. [Gegenargument]
Sw377 (Kontra): Nein, das würde nicht die Abschaffung der Demokratie bedeuten. [Widerspruch]
Sm380 (Pro): Doch, doch. [Widerspruch]
Sw378 (Kontra): Nein, das würde nicht die Abschaffung der Demokratie bedeuten. Sie würde eine totale Wahlblockade kriegen. Wer von den anderen würde die denn wählen? Wenn du als Partei im Landtag bist, dann hast du nicht sofort die vollkommene Macht, nur weil du drin bist. [Elaboration]
(Transkriptionsauszug der Klasse A, Sprechakte 118–121; Betonung in Kursivschrift)
Ergebnisse: Meso-Ebene der Sequenzen argumentativer Züge
(Forschungsfrage 2)
Sequenzmuster: Argument Gegenargument
Sw106 (Pro): Also wir könnten jetzt vielleicht zu den Zielen mal hin. Also ich meine, im Moment ist die NPD natürlich eine Minderheit. Aber ich überlege jetzt zum Beispiel nach der Ideologie und eines der Ziele ist eigentlich ein völkischer Staat, also ein Führerprinzip. Das ist die Ideologie von denen, wie man einen Staat führen sollte. Und ich wollte euch mal fragen, was denkt ihr denn darüber, über das Führerprinzip? Also ist das demokratisch oder nicht? Also ich glaube, das ist undemokratisch. [Argument]
Sm91 (Kontra):
Was aber nicht erreicht werden kann von der NPD, weil sie einfach zu klein ist dafür. Eine Partei mit 70 000* Mitgliedern im Gegensatz zu einer Partei wie die CDU, die 470 000 hat. [Gegenargument]
(Transkriptionsauszug der Klasse B, Sprechakte 88–89)*Korrekt wäre: 7.000 Mitglieder
Charakteristisch für kompetitive Diskussionssettings: „the goal is to defend a viewpoint and undermine alternatives“ Felton, Garcia-Mila & Gilabert 2009, S. 422
Lernziel der Förderung politischer Urteilsfähigkeit im Falle von Diskussionen mit Positionsvorgabe wenig passgenau, eher Förderung politischer Handlungskompetenz und Konsolidierung von Fachwissen
Differenzierung nach Diskussionsformate bei der Beurteilung von Argumentation und Lernpotential notwendig
Sequenzanalyse ermöglicht Erweiterung der Analyse auf die interaktive Struktur von Argumentationen (Transaktivität)
Zukünftig: Relationierung von Diskursmerkmalen mit Lernergebnissen und Ausweitung der Sequenzanalyse auf Mehr-Event-Sequenzen
Diskussion
Berkowitz, M. W. & Gibbs, J. C. (1983). Measuring the developmental features of moral discussion. Merrill-Palmer Quarterly, 29, 399-410.
Detjen, J., Massing, P., Richter, D. & Weißeno G. (2012). Politikkompetenz – ein Modell. Wiesbaden: Springer VS.
Felton, M., Garcia-Mila, M. & Gilabert, S. (2009). Deliberation versus dispute: The impact of argumentative discourse goals on learning and reasoning in the science classroom. Informal Logic, 29, 417–446.
Felton, M., Garcia-Mila, M., Villarroel, C. & Gilabert, S. (2015). Arguing collaboratively: Argumentative discourse types and their potential for knowledge building. British Journal of Educational Psychology, 85, 372–386.
Gronostay, D. (2016). Argument, counterargument, and integration? Patterns of argument reappraisal in controversial classroom discussions. JSSE – Journal of Social Science Education, 15(2), 42–56.
Gronostay, D. (2017). Enhancing the quality of controversial discussions via argumentation training: A quasi-experimental study in civiceducation classrooms. Bildung und Erziehung, 70, 75–90.
Gronostay, D. (im Druck). To argue or not to argue? The role of personality traits, argumentativeness, epistemological beliefs andassigned positions for students’ participation in controversial political classroom discussions. Unterrichtswissenschaft.
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Walton, D. N. (2008). Informal logic. A pragmatic approach (2. Aufl.). Cambridge, UK: Cambridge University Press.
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Wehling, H.-G. (2016). Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. Textdokumentation aus dem Jahr 1977. In B. Widmaier & P. Zorn (Hrsg.), Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung (Schriftenreihe der
Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1793, S. 19–27). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Literatur (III von III)
Anhang
Kategoriensystem: Argumentative Transaktivität (in Anlehnung
an Felton et al., 2015)
Kategorie Beschreibung
Externali-sierung
Argument Begründung der Diskussionsposition (Pro- oder Kontra-Argument zur Streitfrage)
Ko-Konstruktion
Zustimmung Zustimmung zu einem vorhergehenden Redebeitrag der gleichen Argumentationsrichtung ohne Angabe von Gründen
Vervollstän-digung
Komplettierung oder Vollendung eines vorhergehenden Redebeitrags der gleichen Argumentationsrichtung
Elaboration Erweiterung oder Elaboration eines inhaltlichen Aspekts eines vorhergehende Redebeitrags der gleichen Argumentationrichtung, wobei etwas Neues hinzugefügt wird
Kritik Wider-spruch
Ablehnung eines vorhergehenden Redebeitrags der anderen Argumentationsrichtung ohne Angabe von Gründen
Gegen-argument
Kritik eines vorhergehenden Redebeitrags der anderen Argumentationsrichtung, bei der ein neuer inhaltlichen Aspekt einführt wird, der Redebeitrag selbst aber nicht direkt adressiert wird
Einwand Direkte Kritik eines vorhergehenden Redebeitrags der anderen Argumentationsrichtung, bei der dieser infrage gestellt oder herausgefordert wird
Integration Integration Ein Argument der eigenen Argumentationsrichtung wird als Reaktion auf Kritik durch weitere Daten oder die Integration von Ausnahmebedingungen gestützt