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7|2001 Das Jahrhundert der finnischen Architektur

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Das Jahrhundert derfinnischen Architektur

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Das Jahrhundert der

Architektin Marja-Riitta NorriDirektorin des Finnischen Muse-ums für Architektur

finnischen ArchitekturIm Juni 2001 wurde demGebäude der finnischenBotschaft in Berlin der

World Architecture Award verlie-hen. Für das Architektentrio Rau-no Lehtinen, Pekka Mäki undToni Peltola war das Botschafts-gebäude die erste in die Praxisumgesetzte Arbeit; nur einer derDreien hatte zum Zeitpunkt derBaufertigstellung sein Studiumabgeschlossen. Den Auftrag hat-ten sie über einen Ausschrei-bungswettbewerb ergattert. Diesist in Finnland der übliche Wegfür Jungarchitekten, an Aufträgeheranzukommen. Wettbewerbenverdankt die Architektur hier zuLande ihre Vitalität und oft auchihre internationale Resonanz.

Die gut funktionierende In-stitution der Architektenwettbe-werbe ist aus der Praxis der finni-schen Architektur nicht wegzu-denken. Doch die Wesensmerk-male der finnischen Architekturbeschränken sich nicht auf prak-tische Aspekte, ebenso wesentlichCharakteristiken, die in der Form,im Inhalt und ganz besonders inHintergrundfaktoren zu findensind. Der Frage, ob die finnischeArchitektur eine eindeutige Iden-tität habe, versuchte man oft

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Lehtinen-Mäki-Peltola: FinnischeBotschaft, Berlin 1999. (Links)

Berger & Parkkinen: SkandinavischesBotschaftsgebäude, Berlin 1999.(Mitte)

Altstadt von PorvooFoto: Susanne Salin (Unten)

durch Negationen beizukommen,in dem man als fremd empfun-dene Aspekte aus dem Begriff aus-grenzte. Eine andere Herange-hungsweise ist es, den allgemei-nen Bezugsrahmen der finnischenArchitektur zu skizzieren. »...einzentrales Element der Architekturist stets das Streben nach Ord-nung: In der finnischen Architek-tur spiegelt sich die Ordnung desLandes«, schrieb Pekka Suhonenin den 1960er Jahren. »Die fin-nische Architektur ist das, was fin-nische Architekten hervorbrin-gen«, merkte wiederum KristianGullichsen in den 1980er Jahrenan.

Gebaute Kultur

Wir schreiben das Jahr 1957, undin London wird eine Ausstellungüber die zeitgenössische finnischeArchitektur eröffnet. Sie ist dieerste Präsentation im Ausland, dievon dem im Vorjahr gegründetenMuseum für Finnische Architek-tur ausgerichtet wird. Als ihrKommissar fungiert der jungeArchitekt Osmo Lappo, der vondem britischen Publikum enthu-siastisch gefeiert wird. Die Felsenund Kiefern auf den Ausstellungs-paneelen werden von britischenKritikern als ebenso relevant emp-funden wie die mitten in der Na-tur platzierten Gebäude. Im Ver-lauf des Abends läuft der Ausstel-lungskommissar Gefahr, seineStrickkrawatte zu verlieren: Auchdas finnische Design findet rei-ßenden Absatz

Der Wiederaufbau nach demZweiten Weltkrieg und insbeson-dere die 1950er Jahre bedeuteten

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für die moderne finnische Archi-tektur endgültig den internatio-nalen Durchbruch. Das Entré aufder Weltbühne der Architekturkam indes nicht von ungefähr: Eswar mehr als ein halbes Jahrhun-dert lang fundiert worden, in ei-ner Zeit, in der sich die Architek-ten in ihren Werken auch mit demnationalen Schicksal und demStreben nach einer eigenen natio-nalen Identität auseinander ge-setzt hatten. Der britische Archi-tekturkritiker J.M. Richardsbrachte dafür schon währendFinnlandreisen in den 1930erJahren Belege bei, die durch sei-ne Bücher weite Verbreitung fan-den. Richards hat seinen Stand-punkt jedoch nicht auf die Mo-derne beschränkt, wie der Titeleines seiner wichtigsten Werkezeigt: »800 Years of Finnish Ar-chitecture«.

Das neue Millenium hat hin-sichtlich der symbolischen Funk-tion der Architektur keine großenVeränderungen mit sich gebracht:Sie vermittelt nach wie vor einGesamtbild vom Wesen der fin-nischen Kultur. Kenneth Framp-ton schätzte sie 1998 anlässlichder Feierlichkeiten zum 100. Ge-burtsjahr von Alvar Aalto so ein:»...es dürfte nicht leicht fallen, inder Welt ein weiteres Land miteiner solch homogenen Kulturund Architektur zu finden, diedennoch zugleich von einer sogroßen Vielfalt und Qualität ge-prägt sind.« Frédéric Eldelmann,Kritiker bei Le Monde, befand ineinem im Herbst 2000 erschiene-nen Artikel über eine Ausstellungder finnischen Architektur des 20.Jahrhunderts gar, dass in Finn-

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land, bezogen auf die Einwohner-zahl, am meisten architektonischeGenies vom Schlage Alvar Aaltoszu finden sind. Und fährt fort,dass die Finnen, ähnlich wie dieSpanier in der Franco-Ära, es ver-standen haben, Gefühlsüber-schwang mit Zurückhaltung zuverbinden. Welche Faktoren stan-den im Hintergrund dieses Phä-nomens?

Natur versus Tradition

Unter finnischer Architektur ver-steht man hauptsächlich moder-ne Architektur oder zumindest diein den letzten hundert Jahren be-baute Umwelt. Das ergibt sich ausder simplen Tatsache, dass derBaubestand durchgängig jung ist:Nur 13 % der heutigen Gebäudewurden vor den 1920er Jahrenerrichtet. Für Bauten, die aus derZeit vor dem 19. Jahrhundertstammen, liegen so gut wie keineBaupläne vor, und für Gebäudevom Anfang des 19. Jahrhundertexistieren nur wenige Skizzen.Von einer Tradition im akademi-schen Sinne kann mithin keineRede sein, zumindest nicht voneiner vergleichbaren Tradition wiein Mitteleuropa.

Das Fehlen einer akademi-schen Tradition hatte indes auchden Vorteil, dass man hierzulan-de bereitwillig neue Einflüsse as-similierte. Es herrschte in der Ar-chitektur eine unvoreingenom-mene Einstellung vor: Man woll-te der modernen, dynamischenNation durch eine neue Form-sprache für die öffentlichen Ge-bäude Ausdruck verleihen. Alsdann Ende des 19. Jahrhunderts

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Oben: Holzkirche in PetäjävesiFoto: Tero Pajukallio

Alvar Aalto: Villa Mairea, Noormarkku1938-1939. Foto: Kari Hakli

die Ausbildung von Architektenbegann, wurden von Anfang anauch Frauen zugelassen. So ist Si-gne Hornborg eine der ersten aus-gebildeten Architektinnen derWelt (nur in den Vereinigten Staa-ten hatte es eine Architektin frü-her geschafft), und die FinninViwi Lönn zählte Anfang des 20.Jahrhunderts zu den bedeutend-sten Architekten der Welt.

Finnland ist mit einer durch-schnittlichen Bevölkerungsdichtevon weniger als 17 Personen proQuadratkilometer ein dünn besie-deltes Land. Ursprüngliche Naturbeherrscht die Landschaft: 70 %der Landfläche sind unbebauterWald, 10 % Wasserfläche. Selbstin den Kernbereichen der finni-schen Hauptstadt hat die Vegeta-tion einen beträchtlichen Anteil,was dem weitsichtigen Bebau-ungsplan aus dem 19. Jahrhun-dert zu danken ist. Die niedrigeBesiedlungsdichte ermöglichteeine relativ lockere Bebauung, oft-mals in mehr oder weniger natur-belassener Umgebung. Die Struk-turierung und Maßstäbe der Na-tur konnten einbezogen werden.

Das gravierendste Naturele-ment im Norden ist das Licht. ImWinter macht es sich rar, im Som-mer ist es im Überfluss vorhan-den. Und auch dann ist es vonanderer Beschaffenheit als dasLicht des Südens, das in einemsteileren Winkel einfällt und Ge-bäude samt Details mit kurzen,

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Aarne Ervi: Das Kraftwerk Pyhäkoski,1944-1949

Alvar Aalto:Gemeindehaus von Säynätsalo,1949-1952.Foto: Kari Hakli

scharfen Schatten konturiert. Im Norden sind die Schatten lang, unddas Licht ist brüchiger, transparenter und schemenhafter. Licht wirktsich maßgeblich auf die Konturierung von Räumen, auf die Texturenvon Fassaden, auf Farbnuancen und das Atmosphärische von Inte-rieurs aus. Die Wechselwirkung von Licht und Raum ist ein zentralesElement der Architektur des Nordens.

Finnland ist auch eines der abgelegensten Länder Europas, es liegtim Grenzbereich zwischen der östlichen und westlichen Kultur. Diefinnischen Bauleute haben sich nicht durch Erfindungen und Innova-tionen hervorgetan, ausgenommen eine konstruktive Neuerung, dieauf der lokalen Schiffsbautradition basierte, sowie eine neue Pfeiler-konstruktion, die Baumeister im Küstengebiet des Bottnischen Meer-busens für Holzkirchen aus dem 17. Jahrhundert adaptierten. NeueStilrichtungen und Innovationen wurden in alten Kulturländern kre-

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Aulis Blomstedt: Asunto Oy Ketju (DasKettenhaus), Tapiola, Espoo, 1954.

Foto: Kari Hakli

ganze Stadt«. Der Verkehr lief undläuft auch in die Gegenrichtung.Ein Beispiel ist Eliel Saarinen, der1922 den zweiten Preis bei einerAusschreibung der Chicago Tri-bune gewann und im folgendenJahr von seinem Wildnis-AtelierHvitträsk mit der ganzen Familieauf Dauer in die Vereinigten Staa-ten umsiedelte.

Lokale Adaptionen

Neue architektonische Tendenzenwurden indessen nicht unbesehenübernommen, sondern für dashiesige Klima und die Umweltadaptiert und, entsprechend derzur Verfügung stehenden Mittel,variiert. Die so entstandenen lo-kalen Modifikationen unterschie-den sich oftmals erheblich vonihren Originalen. Alvar Aaltopflegte ausländische Kollegen zuverblüffen, indem er ihnen vonüber 70 gotischen Kathedralen inFinnland erzählte. Damit meinteer die grauen Feldsteinkirchen, dieaufgrund ihres schwer zu bearbei-tenden Baumaterials Granit we-sentlich schmuckloser ausfielenals ihre mitteleuropäischen Vor-bilder. Mit Kathedralen haben siewenig gemein, aber auch in derSchnörkellosigkeit von Feldstein-kirchen drückt sich das Bestrebenaus, ein Teil der europäischenKultur zu sein.

Ähnlich gelagert ist das Ver-hältnis der finnischen Architekturzum klassischen Erbe. Maßstäbe,Proportionen und das Dekor derklassischen Architektur wurdenübernommen und fanden eben-so in herrschaftlichen Gutshöfenwie in bescheidenen Bauernhäu-

re Architekturzeitschriften hinzu.Von Studienreisen nach verschie-denen europäischen Ländernbrachten finnische ArchitektenAnregungen mit, die nach derRückkehr flugs in die Praxis um-gesetzt wurden.

Internationale Wechselwir-kungen haben in der finnischenArchitektur Tradition. Carl Lud-wig Engel, ein gebürtiger Deut-scher, der 1816 von St. Petersburgnach Helsinki übersiedelte undalle Monumentalbauten im Zen-trum der neuen Hauptstadt Finn-lands schuf, erbaute »allein eine

iert. Nach Finnland gelangten siemit Verspätung und in vielen Fäl-len via Schweden. Die wichtigstearchitektonische Informations-quelle um die letzte Jahrhundert-wende war die Zeitschrift TheStudio, später kamen auch ande-

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Juha Leiviskä: Kirche von Männistö,Kuopio,1992.Foto: Jussi Tiainen

sern Eingang. Die konsequenteArchitektur der erhaltenen,hauptsächlich aus dem 19. Jahr-hundert stammenden Gebäudeführt auf ihre eigene, reduzierteWeise die Tradition des Klassizis-mus fort. Impulse erhielt der nor-dische Klassizismus der 1920erJahre sowohl von Italienreisennordischer Architekten, insbeson-dere von mediterranen Alltagsge-bäuden, der architettura minore,als auch von einheimischen Bau-ernhäusern, und der klassischeEinfluss wirkte später auch in denfunktionalistischen Werken der-selben Architekten nach. Auf die-se Weise erlangte der Klassizismusder 1920er Jahre, der mitunter als»Schatten eines Schattens«, als dieReflexion einer das antike Erbetradierenden Renaissance inter-pretiert wurde, große Bedeutungals eine eigenständige architekto-nische Periode und als Vermittlerder Tradition bis zum heutigenTag.

Die Prinzipien der klassi-schen Architektur lassen sichdurchgängig an den EntwürfenAlvar Aaltos ablesen, von den er-sten, klassizistisch geprägten Ge-bäuden bis zu den letzten Reali-sationen, indem antike Grund-themen mit der Formsprache dermodernen Architektur eine Ein-heit eingehen.

Eine zentrale Qualität derfinnischen Architektur ist dennauch Aufgeschlossenheit gegen-über externen Einflüssen, die ein-her geht mit einem ausgeprägten

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Laiho-Pulkkinen-Raunio/Ola Laiho,Mikko Pulkkinen: Kunstakademieund Konservatorium, Turku, 1994.Foto: Ola Laiho

Streben nach Kontextualität, nacheinem Ausdruck der spezifischenGegebenheiten und der Nutzungeigener Ressourcen. Ein gutes Bei-spiel dafür ist die Nationalroman-tik der Jahrhundertwende, dietrotz ihres bodenständigen Na-mens eine direkte Adaption deseuropäischen Jugendstils bzw. derArt nouveau ist. Die Nationalro-mantik übernahm verschiedenar-tige Elemente aus Amerika undanderen Ländern, so die nord-amerikanische squared rubble-Steinmetztechnik, und verbandinternationale Trends mit Propor-tionen und der Materialsprachefinnischer Feldsteinkirchen undrustikaler Blockhausbauten. Her-ausgekommen ist dabei eine un-verwechselbare, als national emp-fundene Architektur, deren aus-geprägteste Periode freilich kurzausfiel. Eliel Saarinen hingegen,teils motiviert durch die Kritik ander Ausschreibung für denHauptbahnhof von Helsinki, ge-lang es, seine Herangehensweisein eine rationale Richtung fortzu-entwickeln, so dass seine Werke,indem sie den Funktionalismusantizipierten, den Charakterkünftiger Bauvorhaben erkennenließen.

In den Bauten der 1950erJahre wiederum ist eine Synthesezwischen einer rationalen undorganischen Herangehensweiseunübersehbar. Ihr Ausgangspunktwar die internationale Moderne,

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Kaira-Lahdelma-Mahlamäki/ Rainer Mahlamäki,Ilmari Lahdelma, Juha Mäki-Jyllilä: FinnischesForstmuseum und ForstwissenschaftszentrumLusto, Punkaharju, 1994. Foto: Jussi Tiainen

die in Finnland bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, insbe-sondere in den Arbeiten Alvar Aaltos und Erik Bryggmans,plastischere, taktilere und naturnähere Züge annahm.

Auch wenn die Strukturen und die Maßstäbe der NaturAusgangspunkte der Architektur sind, verschmelzen die Ge-bäude nicht mit ihrem Umfeld. Ein bebautes Milieu setztsich stufenweise von der Natur ab und schafft einen umgrenz-ten Bereich, den Juha Leiviskä als »schützenden Wohnbe-reich« bezeichnet hat. So wurden schon die Hofbereiche tra-ditioneller Bauernhäuser in ihrem eigenen spontanen Rhyth-mus bebaut.

Von den finnischen Architekten hat eigentlich nur Rei-ma Pietilä sich konsequent um naturgemäße Formen bemüht.Vorbilder seiner Entwürfe waren u.a. Felsbrocken, das Laub-werk von Bäumen und ihre verschiedenartigen Farbtöne, dieKonturen von Fischen oder eine auf dem Zeichentisch ru-hende Katze. »Mit den Baumaterialien, die wir verwenden,ahmen wir die ursprünglichen Impressionen nach, die wir

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Oben: Mikko Heikkinen,Markku Komonen: FinnischeBotschaft, Washington D.C.,1994.Foto: Jussi Tiainen

Gullichsen, Vormala Arkkitehdit Ky:Asunto Oy Merikannonranta,Helsinki, 1999.Photo: Susanne Salin

von der Natur gewinnen«, schriebReima Pietilä 1960.

Kreislauf des Waldes

Holz ist ein nachwachsenderWerkstoff, der in Finnland inHülle und Fülle vorhanden ist.Holz lässt sich leichter als Steinbearbeiten, und Holz war dennauch hierzulande das erste Bau-material: Der älteste finnischeGebäudetyp war offenbar das ausdünnen Stangen konstruierterunde Lappenzelt (Kota). Das ein-fach zu bearbeitende Holz bot vielSpielraum für die Phantasie. Zuden positiven Vorstellungen überdie traditionelle finnische Holz-baukunst hat nicht zuletzt derUmstand beigetragen, dass nursolide Bauten die Zeitläufte über-dauert haben. Zu ihnen zählenvor allem Holzkirchen aus dem17. und 18. Jahrhundert. DieChronik des Holzkirchenbausumfasst verschiedenartige Phasenund Bautypen, die alle den Erfin-dungsreichtum und die konstruk-tive Phantasie ihrer Erbauer be-zeugen. Als Kuriosität sei hierauch die weltgrößte Holzkirche inKerimäki erwähnt. Schon Anfangdes 19. Jahrhunderts nähertensich die Formen - als Folge wach-sender amtlicher Regulierung desBauens - zunehmend dem klassi-

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schen Stil an und wurden konven-tioneller.

Die vielseitige Nutzung desWerkstoffs Holz basierte nichtnur auf seiner Verfügbarkeit, son-dern auch auf seinen Eigenschaf-ten: Er dämmt bis zu einem ge-wissen Grad Wärme und eignetsich als Außen- und Innenverklei-dung, für die Herstellung vonMöbeln, Gebrauchs- und Zierob-jekten. Aus Holz wurden früherauch Fortbewegungsmittel gefer-tigt: Boote, Schlitten, Karren undSkier sowie zahlreiche Werkzeu-ge. Die erste Begegnung mit Holzerlebten Finnen direkt nach derGeburt, die üblicherweise in derSauna stattfand.

Auch die Städte wurden frü-her fast ausschließlich aus Holz ge-baut. Da Feuersbrünste sie immerwieder in Schutt und Asche leg-ten, wurden im Bebauungsplanzwischen den Holzhäuserviertelnparallele Alleen angelegt, die dasum sich greifende Feuer stoppensollten. Leider lassen sich Holzhäu-ser auch leicht abreißen - wie leicht,zeigte sich in den 1960er Jahren,als der wirtschaftliche Aufstieg denWeg für eine effektivere Gestaltungder Stadtzentren ebnete. Nur we-nige Beispiele dieser für Skandina-vien typischen Holzhäuserstädteüberstanden den Stadtsanierungs-boom.

Vor allem Aspekte der Brand-sicherheit haben dazu geführt,dass in den letzten Jahren relativewenige Gebäude - separate Häu-ser, Sommerhäuser, Saunen -durchgängig in Holz ausgeführtwurden. Andere Baumaterialiengewannen entsprechend an Bo-den, in den letzten Jahrzehnten

allem voran Beton. Holz wurdeindessen ständig auch in größe-ren Gebäuden neben anderenMaterialien verwendet - als Ver-kleidung, für Details und für Ein-richtungen -, und zwar in Gebäu-deteilen, in denen MenschenKontakt mit den Materialien ha-ben. Alvar Aalto erkannte schonfrüh die Möglichkeiten des Werk-stoffs Holz für seine Möbelpro-duktion: Gebogenes Sperrholzersetzte gebogene Metallrohre, diein der damals modernen Möbel-produktion vorherrschten. In denletzten Jahren wurde die Verwen-dung von Holz systematisch ge-fördert. Ein Beispiel dafür ist dieaus Holz erbaute Sibelius-Halle inLahti (Architekten Kimmo Lin-tula, Hannu Tikka, 2000).

Doch auch andere Baustoffewerden seit langem in der finni-schen Architektur verwendet.Charakteristisch sind naturechteBaustoffe wie Natursteine undZiegel, mit denen seit dem Mit-telalter gebaut wird. Dem Erschei-nungsbild des Helsinkier Stadt-teils Etu-Töölö verleihen Back-steingebäude zusätzliche Farbe,und auch im Œuvre Alvar Aaltosfindet sich eine Backsteinperiode- sie fiel auf die 1950er Jahre. DasBauen mit Beton begann vor rundhundert Jahren. Die Ergebnissefielen höchst unterschiedlich aus.Beton ist ein wichtiges Baumate-rial und bietet auch Möglichkei-ten zur kreativen architektoni-schen Gestaltung. Glas und Stahlwaren um die Jahrtausendwendedie typischen Fassadenmateriali-en, insbesondere für Gebäude, dieneue Technologien signalisierensollen

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Zweckmäßigkeit und Technik

Hauptanliegen des Wiederauf-baus nach dem Krieg war die Be-reitstellung einer hinreichendenAnzahl von erschwinglichen,funktionellen Wohnungen. DiePlanung wurde anfangs in freiwil-liger Gemeinschaftsarbeit und miteiner gehörigen Portion Experi-mentierlust angegangen: Man ex-perimentierte mit der Wohnungs-dimensionierung, suchte nachneuen flexiblen Grundrisslösun-gen und erarbeitete Standardisie-rungsmodelle. Die Planung derWohnungen, die Schaffung einesprobaten, funktionellen und ge-sunden Wohnumfelds wurde vonden Beteiligten als Herausforde-rung empfunden. Alvar Aalto be-nutzte die Villa Maire als eine ArtLabor, in dem er nach praktischenLösungen für eine breit angelegteWohnungsproduktion suchte. Erstrebte eine »flexible Standardisie-rung« an, für die die Natur alsVorbild diente. Aulis Blomstedtwiederum studierte musikalischeAkkorde, um sie auf ein entspre-chendes Maß- und Proportions-system zu übertragen. Die Wohn-siedlung Tapiola in Espoo beiHelsinki repräsentierte in ihrerursprünglichen Form, bevor neueGeschäftsbauten hinzukamen, dasIdeal des naturnahen, urbanenWohnens. Nach dem Vorbild die-ser Waldstadt wurden in den fol-genden zwanzig Jahren - mitwechselndem Erfolg - finnischeVorstädte gebaut. Die Wohnungs-

frage ist für die Planer eine Dau-erherausforderung. Benötigt wirderschwinglicher neuer Wohn-raum, zugleich aber gilt es, dieWohnsphäre weiterzuentwickelnund neue Wohnformen zu schaf-fen.

Weitere zentrale Bauaufga-ben waren Räumlichkeiten fürAusbildung und Kultur. Vor allemin den 1980er Jahren wurden inverschiedenen Teilen FinnlandsKulturhäuser errichtet, in denendie darstellenden und bildendenKünste sowie Bibliotheken untereinem Dach vereint sind. Schu-len wurden oftmals als Vielzweck-bauten konzipiert, als Kommuni-kationszentren für das sie umge-bende Gemeinwesen.

Aktuelle Themen sind Sanie-rungen und Renovierungen, de-nen immer jüngere Baubeständeunterzogen werden, die Ökologieder Bauten sowie das Lebenszy-kluskonzept. Für diese Problemegibt es keine simplen Lösungen.Eine solide und niveauvolle Ar-chitektur ist schon per se vomCharakter her ökologisch, da siezeit- und wertbeständig ist.

Die Architekturfrage hatman in Finnland seit jeher ziem-lich pragmatisch angegangen:Entwürfe werden erarbeitet, da-mit sie realisiert werden und nichtzum Zweck theoretischer Gedan-kenspielereien. Dank dieser Pra-xisnähe haben sich Architekturund Technik im Idealfall Seite anSeite weiterentwickelt. (mit Aus-nahme der Vorstadtbauphase in

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Arkkitehtitoimisto Tuomo Siitonen Oy/Tuomo Siitonen, Esko Valkama:Nokia-Forschungszentrum, Ruoholahti, Helsinki, 2000. Foto: Voitto Niemelä

den 1970er Jahren, als die Tras-senführungen der Baukranschie-nen die Architektur der Wohnge-biete bestimmten). Ausgangs-punkt der Formgebung ist die zurVerfügung stehende Technik, diewiederum möglichst flexibel wei-terentwickelt wurde, um neueRaumvariationen und -funktio-nen zu ermöglichen.

Kenneth Frampton hat alsgemeinsamen Hintergrundfaktorder modernen finnischen Archi-tektur ein tektonisches Komposi-tionsprinzip von neoplastizisti-schen und architektonischen Ele-menten ausgemacht, das auf Theovan Doesburg und andere früheholländische Modernisten zu-rückgeht und das teilweise auchdas Œuvre von Mies van der Roheund Frank Lloyd prägte. Durchdie Weiterentwicklung von neo-plastizistischen Ideen ergab sichein frei strukturierter Modus, derauf höchst unterschiedlichte Bau-aufgaben angewendet werdenkonnte. Der Neoplastizismus hatüberdies sehr verschiedene Her-angehensweisen ermöglicht. DieArchitektur hat sich, ohne denBallast förmlicher Stilansprüche,direkt aus ihrem Umfeld und ih-ren funktionellen Ausgangspunk-ten heraus entwickeln können.

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ISSN 1238-173X

ZUR FREIEN VERWENDUNG ALS IN-

FORMATIONSMATERIAL

saksa

Ministerium für Auswärtige Angele-

genheiten, Presse- und Kulturabtei-

lung,

Kanavakatu 3 C, 00160 Helsinki, Finn-

land.

Redakteur: Armi Venermo.

Layout: Leena Neuvonen

Druckerei: Libris Oy.

Namentlich gekenntzeichnete Artikel

geben die Meinung des Autors wieder.

Weitere Information über Finnland:die Finnische Botschaft oder dasKonsulat in Ihrem Land undhttp://virtual.finland.fi

Arkkitehtityöhuone Artto Palo Rossi Tikka Oy/Hannu Tikka, Kimmo Lintula:Sibelius-Halle, Kongress- und Konzertzentrum, Lahti, 2000. Foto: Voitto Niemelä

Titelseite Foto:Arkkitehtityöhuone Artto Palo RossiTikka Oy/Hannu Tikka, Kimmo Lintula:Sibelius-Halle, Kongress- undKonzertzentrum, Lahti, 2000.Foto: Voitto Niemelä

Die Zitate stammen aus folgenden Quellen:

Pekka Suhonen, Schriftsteller und Kritiker. Neue finnische Archi-tektur. Verlag Tammi, Helsinki, 1967Prof. Kristian Gullichsen, Architekt. Privatgespräche.Kenneth Frampton: The Legacy of Alvar Aalto: Evolution and In-fluence.Peter Reed (Editor): Alvar Aalto, Between Humanism and Mate-rialism. The Museum of Modern Art, New York, 1998Frédéric Edelmanns Artikel in Le Monde vom 19.9.2000, Paris

Fotos:Finnische Museum für Architektur: Seite 3, 4, 5, 6 (unten), 7, 8, 10, 11,12 (unten)Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten: Seite 2, 6 (oben),9, 12 (oben)