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"Aspekte einer europäischen Medienethik“ Seminararbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung "FOSE" (220 174) bei Prof. Dr. Horst Pöttker Universität Wien Fakultät für Sozialwissenschaft Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft Eingereicht von: Gernot Rieder, Bakk. Phil. Matr. Nr.: 0305053 Studienkennzahl: 066-841 Wien, 18.02.2008

Aspekte einer europäischen Medienethik“20...Medienethik ist bereits Produkt einer solchen Neuorientierung. Konzentrieren wir uns nun aber wieder auf die Ausführungen Funioks. Für

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  • "Aspekte einer europäischen Medienethik“

    Seminararbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung

    "FOSE"

    (220 174)

    bei Prof. Dr. Horst Pöttker

    Universität Wien

    Fakultät für Sozialwissenschaft

    Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft

    Eingereicht von:

    Gernot Rieder, Bakk. Phil.

    Matr. Nr.: 0305053

    Studienkennzahl: 066-841

    Wien, 18.02.2008

  • 1

    Inhaltsverzeichnis

    I. Einleitung .. Seite 2

    II. Die akademische Diskussionen zur Medienethik im deutschen Sprachraum .. Seite 3

    III. Unlimitierte Meinungsäußerung als Grundlage einer europäischen Medienethik .. Seite 7

    IV. Von harten Grenzen und ersten Lichtblicken .. Seite 12

    V. Konkrete Modelle .. Seite 17

    VI. Konklusion .. Seite 25

    VII. Literatur .. Seite 28

  • 2

    I. Einleitung

    Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Forschungsseminars unter der Leitung von Prof. Dr. Horst

    Pöttker an der Universität Wien im Wintersemester 2007/ 2008. Im Seminar wurden die verschiedenen

    Pressekodizes ausgewählter Länder behandelt, um im Anschluss darüber zu diskutieren, ob eine

    europäische Perspektive für die Medienethik in naher Zukunft vorstellbar sein könnte. Die hier

    vorliegende Arbeit greift diesen Gedanken auf und möchte sich anhand von vier übergeordneten

    Fragestellungen der Thematik annähern. Diese Fragestellungen finden im weiteren Text keine

    Erwähnung mehr, sie sind jedoch das Gerüst und Fundament dieser Arbeit, alle Teilbereiche sind

    unmittelbar mit ihnen verbunden.

    Zunächst soll danach gefragt werden, ob über eine europäische Medienethik sowohl im

    wissenschaftlichen als auch öffentlichen Kontext nachgedacht wird und ob es eine andauernde Debatte

    zur Thematik gibt. Um diese Frage beantworten zu können wird der Text Entwicklung der Medienethik

    im deutschen Sprachraum von Rüdiger Funiok einer genaueren Analyse unterzogen werden.

    In einer zweiten Fragestellung soll skizziert werden, was die Grundlagen einer solchen europäischen

    Medienethik sein könnten. Der Artikel Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsfreiheit als Grundlage

    einer europäischen Medienethik von Karsten Weber soll dabei helfen sich dieser Fragestellung

    anzunähern.

    Marlis Prinzings Text Harte Grenzen. Warum gegenwärtig mit einer europäischen Professionsethik im

    Journalismus nicht zu rechnen ist., wird in Hinsicht auf die Frage nach den Problemen einer zukünftigen

    europäischen Medienethik untersucht werden.

    Abschließend soll noch versucht werden einen Blick in die praktische Umsetzung zu wagen. Roger Blum

    hat mit seinem Aufsatz Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen? erste Ansätze

    dafür geliefert, wie ein Modell einer europäischen Medienethik aussehen könnte.

    In einem letzten Kapitel werden abschließend die Ansätze der einzelnen Autoren nochmals kurz

    besprochen und in einer Konklusion auf den Punkt gebracht. Diese Arbeit versteht sich als kritische

    Literaturrecherche, einerseits ist es ein Anliegen die Kernaussagen der besprochenen Artikel möglichst

  • 3

    klar zusammenzufassen, andererseits sollen die Aussagen und Theorien auch reflektiert und auf ihre

    Stichfestigkeit hin überprüft werden.

    Bevor nun gleich der erste Artikel von Rüdiger Funiok vorgestellt wird, sei an dieser Stelle noch darauf

    verwiesen, dass die kleine Auswahl der hier besprochenen Artikel keinesfalls den Anspruch auf

    Vollständigkeit erheben möchte. Die Thematik der Medienethik ist umfassend und diese Arbeit daher

    nur ein winziger Teilbereich einer großen und lebendigen Diskussion. Der Autor dieser Zeilen hofft

    trotzdem, dass durch die Fokussierung des Gegenstandsbereichs auf eine europäische Medienethik das

    Ziel, einige Teilaspekte einer breiten Thematik etwas genauer abbilden zu können, erreicht werden

    konnte.

    II. Die akademische Diskussionen zur Medienethik im deutschen Sprachraum

    In diesem ersten Kapitel wollen wir, bevor es dann in der Folge um konkrete Modelle und Perspektiven

    einer zukünftigen europäischen Medienethik geht, noch einmal das gesamteuropäische Terrain

    verlassen und uns auf den deutschen Sprachraum konzentrieren. Es gilt in diesem Abschnitt ein Gefühl

    für jene wissenschaftlichen Debatten zu entwickeln, die im Zusammenhang mit medienethischen

    Überlegungen im Verlauf der letzten Jahrzehnte in Deutschland, Österreich und der Schweiz geführt

    wurden. Der Abschnitt folgt hierbei weitgehend den Ausführungen Rüdiger Funioks, der in seinem

    Artikel Entwicklung der Medienethik im deutschen Sprachraum nicht nur eine umfangreiche Übersicht zu

    wissenschaftlichen Publikationen zur Thematik erstellt, sondern zudem auf einige Aspekte der

    Diskussion in den letzten Jahrzehnten eingeht.

    Den Anfang macht Funiok mit dem Hinweis, dass sich die Diskussion zur Medienethik in Amerika bereits

    einer längeren Tradition erfreut als dies im deutschsprachigen Raum der Fall ist. In den USA etablierten

    sich neben den Codes of Ethics in der journalistischen Ausbildung bereits Ende des 19. Jahrhunderts die

    Mass Communication Ethics als akademischer Beitrag zur Thematik. Eine breite interdisziplinäre Debatte,

    etwa zwischen Kommunikationswissenschaftlern und Philosophen, konnte jedoch auch in Übersee noch

    nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Dieses Problem einer nur schwer zu erreichenden

  • 4

    institutionellen Verankerung lässt sich ähnlich auch im deutschen Sprachraum wiederfinden.1 So zitiert

    Funiok Noelle-Neumann und Schulz in ihrer Aussage von 1970, dass

    „Das derzeit geringe – oder allenfalls äußerst partielle – Interesse für ethische Fragen hat in den letzten

    zwei Jahrzehnten keine neuen Arbeiten zum Thema Ethik des Journalismus entstehen lassen.“2

    Und auch noch Mitte der 80-er Jahre konstatieren Rühl und Saxer, dass

    „die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft die Frage der Ethik von Journalismus und

    Massenkommunikation mit ihren spezifischen, eben mit kommunikationswissenschaftlichen

    Erkenntnismittel noch kaum angegangen hat.“3

    Erste Beiträge zur Thematik kamen vor allem von Boventer mit Publikationen wie Ethik des Journalismus,

    Medien und Moral. Ungeschriebene Regeln des Journalismus oder Pressefreiheit ist nicht grenzenlos.

    Einführung in die Medienethik. oder Rühl und Saxer mit ihrer Bestandsaufnahme 25 Jahre deutscher

    Presserat. Ein Anlass für Überlegungen zu einer kommunikationswissenschaftlich fundierten Ethik des

    Journalismus und der Massenkommunikation. Gerade zu Beginn der Debatte waren es auch oftmals

    Theologen die sich zu medienethischen Fragen, mit dem Anspruch als autonome Moral und mit

    christlicher Soziallehre soziale Strukturen untersuchen zu wollen, zu Wort meldeten.4

    In der Folge erstellt Funiok einen umfangreichen Literaturindex der zeigt, dass sich die Publikationen seit

    Anfang der Diskussion in den 80-ern stark gehäuft haben und gegenwärtig von einem aktiven

    akademischen Feld gesprochen werden kann. Bei der Durchsicht des Publikationsindex lässt sich schnell

    feststellen, dass Veröffentlichungen die sich explizit mit der Frage nach einer europäischen Medienethik

    auseinandersetzen noch äußerst rar gesät sind. Die nach der Jahrtausendwende stark steigende Zahl von

    Artikeln die sich mit einer Internetethik auseinandersetzen lässt jedoch die Vermutung zu, dass sich

    auch die Debatte zur Medienethik immer mehr auf internationales Terrain begibt. Was in den 80-er

    Jahren mit dem Satellitenfernsehen begann, wird seit Mitte der 90-er vom Internet in noch stärkerer

    Ausprägung verwirklicht: Die Etablierung einer regional unabhängigen Mediensphäre die in der Lage ist,

    1 Vgl. Funiok (2007), 54

    2 Zit. nach Funiok (2007), 54

    3 Zit. nach Funiok (2007), 54

    4 Vgl. Funiok (2007), 54

  • 5

    Inhalte ohne geographische Barrieren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da sich die

    Medientechnologien zunehmend als ortsunabhängig behaupten und die Wissenschaft zugleich

    aufgefordert ist, sich mit diesen neuen Wegen der Inhaltsdistribution auseinanderzusetzen, ist es wohl

    nur noch eine Frage der Zeit bis sich Veröffentlichungen zur Medienethik mit den Herausforderungen

    einer transnationalen Plattform für medienethische Problemstellungen auseinandersetzen. Der für diese

    Arbeit als Literaturvorlage dienende Sammelband der Zeitschrift für Kommunikationsökologie und

    Medienethik ist bereits Produkt einer solchen Neuorientierung.

    Konzentrieren wir uns nun aber wieder auf die Ausführungen Funioks. Für die Zeit ab Mitte der 80er

    Jahre konstatiert dieser wie bereits oben beschrieben einen kontinuierlichen Anstieg bei den

    Publikationen die sich mit Fragen zur Medienethik beschäftigen. Zudem kommt es nicht nur zu

    vermehrten Veröffentlichungen wissenschaftlicher Beiträge, sondern es lässt sich des Weiteren auch

    eine Zunahme der Selbstkontrollgremien feststellen. So entstanden seit den 1980-er Jahren etwa der

    Deutsche Werberat (1972), der Deutsche PR-Rat (1987), die freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (1993),

    die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (1994) und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia

    Dienstanbieter (1997). Neben den Gremien gab es auch eine deutliche Zunahme bei den Vereinigungen

    die sich mit Medienethik auseinandersetzen. An wissenschaftlichen Vereinigungen wären hierbei das

    Netzwerk Medienethik und die Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen

    Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft zu nennen. Andere Vereine ohne

    akademischen Hintergrund sind beispielsweise Der Verein zur Förderung der publizistischen

    Selbstkontrolle, die Initiative Qualität im Journalismus, das Netzwerk Recherche, die Nachrichten-

    Aufklärung oder der Ethikrat de Akademie für Publizistik. 5

    Die Zunahme an Publikationen, Gremien und Vereinen, sagen jedoch noch nichts über eine mögliche

    Verbesserung der Qualität in den Debatten zur Medienethik aus. Funiok orientiert sich bei der Frage

    nach der Qualität nochmals an Saxer und Rühl, greift drei Forderungen die die beiden in den 80-ern für

    die Medienethik formulierten auf, und überprüft wie es um diese Forderungen gegenwärtig steht:

    a.) Saxer postulierte, dass Ethik nicht zur Ideologie verkommen dürfe. Die von Journalisten geforderte

    Wertepluralität solle nicht von politisch-wirtschaftlichen oder kirchlichen Kreisen beeinflusst werden

    und Journalistenverbände dürften nicht in Selbstherrlichkeit aufgehen. Mit einem Blick in die

    5 Vgl. Funiok (2007), 58

  • 6

    journalistische Gegenwart meint Funiok, dass diese Anforderung von der deutschsprachigen

    Medienethik weitestgehen erfüllt wurde. Er erkennt demnach keine übermäßig starken

    Abhängigkeitsverhältnisse oder ideologische Beeinträchtigungen im Bereich der Medienethik.

    b.) Medienethik muss auf einer ausreichenden wissenschaftlichen Fundierung basieren. Aktuelle

    fachwissenschaftliche Differenzierungen des komplexen Medienkommunikationsprozesses müssten

    angedacht, Routinen des Journalismus und das journalistisches Rollenbild ebenso wie das Verhältnis

    zwischen der journalistischen Recherche und den Public-Relations einer ständigen Evaluation

    unterzogen werden. Auch in Bezug auf diese Forderungen spricht Funiok von einer durchaus positive

    Gegenwart: Die Moralphilosophie hätte dabei geholfen, Medienethik durch sozial- und strukturethische

    Modelle zu ergänzen. Vielfalt, Wahrhaftigkeit und der Rezipient als aktiver Akteur wurden als

    Grundlagen anerkannt und eine demokratische Medienkultur zur Konsensfindung wurde als Idealbild

    akzeptiert.

    c.) Rühl und Saxer forderten, dass die Moral als eine anerkannte Steuerungsressource für

    Mediensysteme wahrgenommen wird, etwa auf gleicher Ebene mit anderen Steuerungsmitteln wie die

    gesetzliche Basis, die staatliche und die Selbstregulierung, als auch die redaktionsinternen

    organisatorischen Normen. Funiok beschreibt, dass dies eine Forderung sei die auch mehr als zwanzig

    Jahre nach ihrer Formulierung noch einer bindenden Umsetzung bedarf. Zwar werden mit dem

    individuellen oder kollektiven Ethos gewisse Verpflichtungen formuliert und zumeist auch anerkannt,

    die Einhaltung jener normierten Werte wird jedoch oftmals mit dem Verweis auf Ausnahmen oder

    Sonderfälle umgangen. Gesellschaftliche Moral und Journalismusethik bleiben somit ein relativ

    schwaches Instrument der Steuerung.6

    Abschließend lassen sich die folgenden Punkte als für das übergeordnete Thema einer europäischen

    Medienethik relevant zusammenfassen:

    a.) Die wissenschaftlichen Publikationen und Veröffentlichungen haben seit Mitte der 80er Jahre die

    Diskussion zur Medienethik belebt und vorangetrieben. Die akademische Debatte läuft seitdem

    engagiert und auf hohem Niveau.

    6 Vgl. Funiok (2007), 59f.

  • 7

    b.) Neben den wissenschaftlichen Publikationen haben neue Gremien und Vereine dabei geholfen, zu

    einer verbesserten Wahrnehmung medienethischen Problemfelder beizutragen.

    c.) Neue Kombinationen aus staatlichen bzw. Selbstkontrolleinrichtungen und die Mischung aus

    Selbstkontrolle und einem gewissen gesetzlichen Freiraum, haben das Bewusstsein für gesellschaftliche

    Verantwortung in der Medienbranche verstärkt.

    d.) Trotz einer weitgehend positiven Entwicklung ist es der Medienethik noch nicht gelungen, sich als

    kontinuierlich fortlaufende Debatte im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. Kurzfristige

    Aufmerksamkeit bei besonderen Medienereignissen können über diesen Missstand nicht

    hinwegtäuschen.7

    Das Ziel der Besprechung des Artikels von Rüdiger Funiok ist es gewesen, in einer ersten

    Bestandsaufnahme die Situation des Medienethikdiskurses im deutschsprachigen Raum etwas genauer

    erfassen zu können. In der Folge werden wir nun versuchen, uns zunehmend auf die europäische Ebene

    vorzuwagen.

    III. Unlimitierte Meinungsäußerung als Grundlage einer europäischen Medienethik

    Dieser Abschnitt befasst sich mit dem Artikel Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsäußerung als

    Grundlage einer europäischen Medienethik. Europäische Medienethiken? Europäische Medienethik! von

    Karsten Weber. In seinem Aufsatz geht es Weber vor allem um die Besprechung zweier Problemfelder:

    Zunächst begibt er sich auf die Wortebene und vertritt den Standpunkt, dass im allgemeinen

    Sprachgebrauch nicht von „europäischen Medienethiken“, sondern von einer „europäischen

    Medienethik“ die Rede sein sollte. Im weiteren Verlauf des Artikels bespricht er dann die schwierige

    Thematik bezüglich einer freien Meinungsäußerung. Dieser Abschnitt beabsichtigt Webers

    Argumentationslinien darzustellen um sie in der Folge einer kurzen Reflexion zu unterziehen.

    Zunächst konzentriert sich Weber auf den Ausdruck „europäische Medienethiken“ und meint hierzu

    folgendes: Ist die Rede von „europäisch“ oder „Europa“ muss zunächst geklärt werden, wodurch sich

    diese europäische Gemeinschaft definiert und abgrenzt. Da eine geographische Bestimmung kaum zu

    7 Vgl. Funiok (2007), 59f.

  • 8

    befriedigenden Ergebnissen führt, ist die Konzentration auf gemeinsame Werte und Normen bei der

    Festlegung des gemeinschaftlichen europäischen Raumes eine gangbare Alternative. Legt man jedoch

    diesen auf gemeinsamen Normen und Werten basierenden europäischen Raum mit dem

    grammatikalischen Plural „Medienethiken“ zusammen, so wird schnell klar, dass sich aus dieser

    Gegenüberstellung ein Problem ergibt. Wie kann die Rede von mehreren Medienethiken sein, wenn sich

    Europa überhaupt erst durch die Idee einer gemeinschaftlichen Wertebasis als Raum erfassen lässt?

    Oder einfacher: Wie passt ein ethischer Pluralismus (Medienethiken) mit dem Versuch einen

    werthomogenen Raum zu erfassen zusammen? Der Gedanke an eine Wertepluralität steht in einem

    gewissen Widerspruch zu der Vorstellung an einen europäischen moralischen Minimalstandard. Aus

    diesem Grund spricht sich Weber dafür aus, nicht von „europäischen Medienethiken“ sondern von einer

    „europäischen Medienethik“ zu sprechen.8

    Webers Überlegungen sind wohl durchdacht, da durch sie die Diskussion von einer nationalstaatlichen

    auf eine europäische Ebene verlegt wird. Zwar ist die Diskussion zur Medienethik ein Themenbereich

    der zurzeit noch vor allem von regionalen Fragestellungen in den einzelnen Ländern geprägt wird, mit

    der Problematisierung einer europäischen Medienethik muss jedoch auch zunehmend ein Augenmerk

    auf eine mögliche gemeinsame Plattform, ein länderübergreifendes Forum gelegt werden.

    Selbstverständlich darf der Gedanke an einen staatenübergreifenden Raum auch nicht dazu führen, dass

    regionale Eigenheiten übersehen und negiert werden. Webers Ansatz beabsichtigt eine solche

    Vereinfachung der Komplexität jedoch auch nicht, sondern ist lediglich ein Ausdruck für die

    Notwendigkeit die Idee der Gemeinschaft nicht schon im sprachlichen Ausdruck von Anfang an zu

    unterwandern. Wenn an einer europäischen Medienethik gearbeitet werden soll, so ist es im Sinne

    dieses Vorhabens, schon in der verwendeten Terminologie die transnationalen Aspekte der

    Fragestellung zu beachten. Webers Text beruht demnach auf der Voraussetzung, dass es nicht

    „europäische Medienethiken“ gibt, sondern eine „europäische Medienethik“. 9

    In einem zweiten Gedankengang spricht sich Karsten Weber dafür aus, dass ein unlimitiertes Recht auf

    freie Meinungsäußerung Basis einer solchen europäischen Medienethik sein sollte. Zunächst beschreibt

    Weber anhand einiger Beispiele wie etwa den Mohammed-Karikaturen, den Protesten von Muslimen als

    Reaktion auf die Rede von Papst Benedikts XVI., den katholischen Forderungen nach einem Verbot der

    8 Vgl. Weber (2007), 35

    9 Vgl. Weber (2007), 35f.

  • 9

    MTV-Serie Popetown, usw., dass die freie Meinungsäußerung als Grundrecht einer Gesellschaft weltweit

    unter Druck geraten ist. Ein weiteres Beispiel sind Berichte der Reporter ohne Grenzen in denen

    festgehalten wird, wie massiv Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert und bedroht, aber

    auch verletzt oder gar getötet werden. Auffällig ist nach Weber hierbei, dass sich bei all den oben

    angeführten Themen der politische und öffentliche Aufruhr in Grenzen hielt. Im Gegensatz dazu sind es

    oftmals verhältnismäßig triviale von Boulevardblättern groß gemachte Thematiken, die zu einer

    öffentlichen Auseinandersetzung mit der Meinungsfreiheit anregen. Weber schließt aus dieser

    Beobachtung, dass Meinungsfreiheit nur hochgehalten wird, solange sie bequem ist und den politischen

    Alltag nicht stört. Kaum entstehen durch die Ausübung der Meinungsfreiheit jedoch Probleme, wird der

    Ruf nach Grenzen und Gesetzen laut.10

    In der Folge kommt es zu einer Kollision zweier Standpunkte: Auf der einen Seite stehen die Verfechter

    jener Position die besagt, dass der Meinungsfreiheit keine Grenzen gesetzt werden sollten. Als

    intellektuelle Vorreiter dieser Auffassung sind etwa Thomas Nagel, der dafür plädiert, dass das Recht auf

    freie Meinungsäußerung keiner Gesetzgebung unterworfen werden sollte, oder John Stuart Mill der

    davon ausgeht, dass die freie Rede zum Nutzen der Gesellschaft beiträgt, zu nennen. Demgegenüber

    stehen die Befürworter einer gewissen Regulierung der Inhalte. Gewisse Aussagen sollen auch in einer

    Gesellschaft die eigentlich dem Prinzip der freien Meinungsäußerung aufbaut, verhindert und strafbar

    gemacht werden. Weber weißt darauf hin, dass beide Haltungen mit erheblichen Problemen verbunden

    sind. Einerseits macht das Verbot gewisser Inhalte wie etwa die Verleugnung der Holocaust oder die

    Nutzung von Nazisymbolen durchaus Sinn, auf der anderen Seite ist das Festsetzen solcher Grenzen

    immer mit der Schaffung einer Instanz verbunden. Diese entscheidet aufbauend auf gewisse Kriterien,

    ob eine Äußerung die gesetzten Grenzen überschreitet oder nicht. Die Formulierung jener Grenzen

    müsse jedoch kontextfrei passieren, was in der Folge dazu führen kann, dass Entscheidungen schwierig

    und willkürliche Gegendarstellungen möglich gemacht werden. Bereits auf nationalstaatlicher Ebene ist

    die Findung solcher Richtlinien alles andere als einfach, auf europäischer Ebene unter Einbeziehung

    verschiedener Kulturen, Rechtssysteme und Moralvorstellungen, noch um vieles schwieriger. 11

    Die Alternative ist, wie oben bereits beschrieben, die Aufhebung jeglicher Beschränkungen der freien

    Rede. Damit aufkommende Probleme sind jedoch bereits vorprogrammiert und auch am Beispiel

    10

    Vgl. Weber (2007), 36. 11

    Vgl. Weber (2007), 37f.

  • 10

    Amerikas ablesbar. Soll es eine Gesellschaft zulassen, dass Glaube, Ethnie, sexuelle Orientierung oder

    Behinderungen gänzlich schutzlos der Agitation preisgegeben werden? Weber argumentiert, dass nicht

    nur physische Akte Menschen verletzen und schädigen, sondern auch Worte eine solche Wirkung

    besitzen können.

    Trotz dieses bleibenden Dilemmas spricht sich Weber klar für eine unlimitierte Redefreiheit als Basis

    einer europäischen Medienethik aus. Er argumentiert nach Thomas Nagel, dass die Einschränkung der

    Meinungsfreiheit unausweichlich eine Verminderung der Freiheit des Sprechens, Zuhörens und

    Abwägens mit sich bringen, und somit einen Einschnitt in die Autonomie des Individuums bedeuten

    würde. Weber ist hierbei darauf bedacht, eine starke Trennlinie zwischen der Rede und der physischen

    Handlung zu ziehen. Er tritt für eine uneingeschränktes Recht auf freie Meinungsäußerung ein, erinnert

    jedoch zugleich daran, dass es für Taten wie Schlagen, Verletzen und Töten bereits wirksame

    bestehende Gesetze gibt. Weber appelliert an dieser Stelle an die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft:

    Anstatt nach einer politischen bzw. staatliche Regelung zu rufen, solle sich jeder selbst bewegen und

    aktiv zu einem verbesserten Miteinander beitragen. Intoleranz und Hass sei eine Sache die jeder

    persönlich zu bekämpfen aufgefordert ist. Die erste Forderung die Weber somit an eine europäische

    Medienethik stellt, ist ein unlimitiertes Recht auf freie Rede zu sichern. Die Kontrolle gewisser

    moralischer Grundsätze liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Mitgliedes einer Gesellschaft.12

    Der Artikel von Karsten Weber hat uns an die Problematik einer europäischen Medienethik ein ganzes

    Stück näher gebracht. In einer kurzen Besprechung sollen nun die Ansätze Webers reflektiert und auf

    ihren Gehalt hin überprüft werden.

    Wie bereits oben beschrieben, ist die terminologische Unterscheidung Webers zwischen „europäische

    Medienethiken“ und „europäischer Medienethik“ zu begrüßen. Die Widersprüchlichkeit der beiden

    Begriffe wird durch das Weglassen der Plural-Form weitestgehen entschärft, zudem ermöglicht die

    singuläre Nennung der Medienethik eine Fokussierung auf den eigentlich wichtigen Aspekt: Die Idee an

    einen gemeinschaftlichen Raum der trotz kultureller Diversität an einer übergreifenden Basis festhält.

    Auch Webers zweiter Ansatz, dass die Grundlage einer solchen europäischen Medienethik auf dem

    Prinzip der freien Meinungsäußerung aufbauen sollte ist eine sinnvolle Forderung. Kritischer zu

    12

    Vgl. Weber (2007), 38

  • 11

    betrachten ist jedoch schon Webers Argumentation, dass diese Kontrolle ausschließlich eine vom

    Individuum ausgehende sein sollte. Webers Position in diesem Fall ist nicht nur eine, wie er selbst sagt,

    liberale oder liberitäre, sondern sie ist vor allem eine idealistische. Sein Aufruf, dass wir uns alle aktiv

    gegen Intoleranz und Hass wenden sollen ist selbstverständlich zu unterstützen, es ist jedoch

    anzunehmen, dass das bloße Postulat alleine zu keiner signifikanten Verbesserung der Situation führen

    wird. Auch der Gedankengang, dass ein sehr hoher Grad an Freiheit nur durch eine möglichst geringe

    Regulierung erreicht werden kann ist kritisch zu beurteilen. In vielen Fällen sorgen Gesetze und

    Richtlinien dafür, dass gewisse Freiheiten geschützt und verteidigt werden. Die Qualität eines Gesetzes

    kann nicht daran festgemacht werden, dass es ein Gesetz ist. Weber selbst schreibt in seinem Artikel

    davon, dass eine gänzlich unkontrollierte Meinungsfreiheit den Weg für neue Agitationen und

    Diffamierungen ebnen würde, sein Rezept dagegen ist ein höherer Grad an Mitmenschlichkeit. Man

    sollte sich jedoch vor Augen führen, dass öffentliche Diffamierung bestimmter Bevölkerungsgruppen im

    Grunde ebenso eine Einschränkung der Freiheit darstellt wie es Weber den Gesetzen vorwirft. Wenn

    bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht mehr vor Verfolgung und Ächtung geschützt werden, ist das

    unmittelbare Resultat eine Einschränkung der Freiheit eben dieser Gruppen. An einem kurzen Beispiel

    erörtert: Was ist zu bevorzugen? Das Einschränken der freien Meinungsäußerung durch gesetzliche

    Maßnahmen wie etwa dem Verbot der NS-Wiederbetätigung oder aber der Umstand, dass durch den

    fehlenden rechtlichen Schutz, Minderheiten keinerlei Rechtsgrundlage haben, sich vor sozialer Ächtung

    zu schützen

    Ein zweiter Kritikpunkt scheint bei Webers Gegenüberstellung Freiheit gegen staatliche Überwachung

    angebracht. Gerade der Bereich der Medienethik ist ein gutes Beispiel für eine mehr oder weniger

    gelungene Selbstkontrolle abseits einer staatlichen Oberaufsicht. Viele der Presseräte Europas

    verstehen sich eben nicht als staatliche Institutionen, ihre Geschichte ist oftmals durch den Versuch

    geprägt, durch Selbstkontrolle eine drohende staatliche Kontrolle abzuwenden. Die in vielen Ländern

    vorhandenen Kontrollmechanismen sind eine bewusste Reaktion gegen eine gesetzliche Regulierung.

    Weber stellt in seinem Artikel zwei Varianten gegenüber, zum einen das uneingeschränktes Recht auf

    freie Meinungsäußerung und zum anderen die staatliche Kontrolle. Er übersieht in seiner Argumentation

    jedoch, dass es Möglichkeiten der Selbstkontrolle gibt die einerseits gewisse Leitlinien für

    Medienunternehmen vorgeben, zudem aber auch unabhängig von staatlichen Behörden agieren können.

  • 12

    Nachdem Karsten Webers Artikel die Thematik zu einer europäischen Medienethik vor allem aus einem

    philosophischen theoretischen Standpunkt heraus betrachtete, soll in der Folge mit der Besprechung

    eines Aufsatzes von Marlis Prinzing der Fokus stärker auf eine konkrete Umsetzbarkeit gelenkt werden.

    IV. Von harten Grenzen und ersten Lichtblicken

    Dieses Kapitel setzt sich mit Marlis Prinzings Artikel Harte Grenzen. Warum mit einer europäischen

    Professionsethik im Journalismus nicht zu rechnen ist. auseinander. Wie der Titel schon suggeriert, steht

    Prinzing einer baldigen gemeinsamen Basis für eine europaweite Journalismusethik äußerst skeptisch

    gegenüber. Unter Journalismusethik versteht Prinzing die Findung von Konsens bezüglich bestehender

    Werte, die Suche nach unverrückbaren Massstäben für die Berichterstattung, ein übereinstimmendes

    beruflichen Selbstverständnis und korrespondierende persönliche Haltungen.

    Eine erste These Prinzings lautet, dass man annehmen könnte, es komme durch die fortschreitende

    Globalisation und die sich schnell verändernden Formen der Übermittlung zu einer europäischen

    Journalismuskultur und in der Folge vielleicht sogar zu einer globalen Journalismusethik. Diesem

    Gedankengang folgend, bestimmt Prinzing ihre forschungsleitende Fragestellung folgendermaßen: Gibt

    es eine Bewegung hin zu einer stärker vereinheitlichen journalistischen Professionsethik und gibt es

    Angleichungen bei den Fragen was die grundlegenden Normen und Werte einer solchen beruflichen

    Basis darstellt?13

    Anhand einer Sekundäranalyse aktueller Studien sucht Prinzing nach möglichen Antworten für die

    obigen Fragen. Sie konzentriert sich in ihrer Erhebung auf drei empirische Schauplätze: Erstens

    beobachtet sie Mediensysteme in der Zeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme, zweitens untersucht sie

    journalistische Kulturen in Hinsicht auf Ausbildung und Professionalisierung und drittens versucht sie in

    einem Ländervergleich, Eigenheiten der jeweiligen länderspezifischen Kodizes herauszustreichen.

    a.) Mediensysteme im Kapitalismus

    Zunächst konstatiert Prinzing, dass sich der Kapitalismus, also das Ermöglichen eines freien Austauschs

    der Waren, in beinahe allen Ländern durchgesetzt habe. Für die jeweiligen Mediensysteme bedeutet

    13

    Vgl. Prinzing (2007), 14

  • 13

    dies, dass es zu großen länderübergreifenden Fusionen kommt. Laut einer Studie des Europäischen

    Parlaments, fallen die Kontrollen für die Medienkonzentration sehr unterschiedlich aus. Die Studie

    kommt zum Schluss, dass sich Mediensysteme entlang und als Reaktion auf die besonderen Eigenheiten

    nationaler Märkte entwickelt hätten und so in jedem Land spezifische Charakteristika aufweisen. Diese

    Studie als Argumentationsgrundlage nehmend postuliert Prinzing, dass mit einer Harmonisierung jener

    staatengebundener Regelungen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, sich jedoch erste Annäherungen

    feststellen lassen. Trotz dieser langsamen Aufweichung der „Harten Grenzen“ schreibt Prinzing, dass die

    jeweiligen Kommunikationssysteme trotz der Globalisierung weitgehend national geblieben seien.

    Nationale Regierungen beeinflussen weiterhin die Charakteristika der Mediensysteme und die

    Nationalität bewirkt vielfältige Unterschiede, beispielsweise bei Sprache, Kultur oder dem politischen

    System. Nach Prinzing sind es demnach vor allem nationalstaatliche Eigenschaften die als wichtige

    Faktoren die Formung des journalistischen Selbstverständnisses mitbestimmen. Auch wenn durch die

    Europäische Union gewisse länderübergreifende Regelungen geschaffen werden, so ist es doch die

    unterschiedliche Ausprägung nationaler Kulturen, die weiterhin einen dominanten Einfluss auf das

    journalistische Selbstverständnis ausübt.14

    b.) Professionalisierung und Ausbildung

    Anfang der 90er war die Annahme, dass eine gemeinsame Ausbildung der Journalisten auf die

    Schreibkultur vereinheitlichend wirkt, weit verbreitet. Marlis Prinzing stellt sich gegen die Annahme und

    betont, dass es immer wieder Versuche gab Journalismuspraktiken eines Kulturkreises in andere Länder

    zu exportieren. Dies sei jedoch zumeist fehlgeschlagen und man kann aus diesen Misserfolgen den

    Schluss ziehen, dass es zwar möglich ist durch eine standardisierte Ausbildung die Form der

    Aufbereitung der Inhalte also die visuelle und produktionstechnische Aufbereitung zu ändern, wenn es

    jedoch um die eigentlichen Inhalt des Medienprodukts geht, so lässt sich nur ein relativ kleiner Einfluss

    einheitlicher Ausbildungssysteme feststellen. Laut Prinzing ist es empirisch nachprüfbar, dass historische

    Unterschiede auf das Rollenverständnis der Journalisten eine viel größere Rolle spielen als die konkrete

    Ausbildung. Der Leitgedanke in diesem Abschnitt ist also, dass sich zwar das Aussehen der

    Medienprodukte relativ leicht beeinflussen lässt, der Inhalt der Nachricht jedoch stark kulturspezifisch

    geprägt ist und sich aus diesem Grund nur schwer verändern lässt. Die lokal aufwachsenden Journalisen

    14

    Vgl. Prinzing (2007), 14f.

  • 14

    sind in gewissen Kulturen geprägt worden und haben sich durch diesen Prozess ein sehr spezifisches

    Rollenbild der journalistischen Arbeit angewöhnt.15

    c.) Professionsethik im Ländervergleich

    Prinzing gibt an, dass Professionsethiken ein Herzstück der journalistischen Kultur sind. In fast allen

    Ländern dieser Erde gibt es Kodizes. Anhand des Karikaturenstreits demonstriert Prinzing wie

    unterschiedlich das Vorgehen im Umgang mit solchen Themen allein schon bei den europäischen

    Kodizes ist. Sie schlussfolgert daraus, dass es große Unterschiede bei der Auffassung und Durchführung

    der journalistischen Tätigkeit gibt. Ein weiteres Argument für diese Sichtweise ist der Umstand, dass

    auch Vertreter aus der Praxis ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Beim investigativ arbeitenden

    Journalismus etwa berichten viele Journalisten, dass es oftmals zu Schwierigkeiten bei der

    Zusammenarbeit mit Kollegen kommt, da anders gearbeitet und mitunter auch unterschiedliche Punkte

    im Vordergrund stehen. Prinzing postuliert, dass die Annahme Journalismus sei über alle Grenzen

    hinweg kompatibel, sich in der Praxis als eine trügerische herausstellt. Übereinstimmungen gibt es

    jedoch vor allem dort, wo sich die politischen Kulturen ähneln.16

    Zusammenfassend schreibt Marlis Prinzing, dass eine gemeinsame journalistische Professionsethik

    zumindest in absehbarer Zeit noch nicht in Sicht ist, weder im europäischen, noch im globalen Rahmen.

    Journalisten handeln kontextgeprägt, bezogen auf ihr Mediensystem (gemäß der Konditionen der

    jeweiligen Medienstrukturen in denen sie sozialisiert wurden) welches eng verbunden ist mit den

    Gegebenheiten im jeweiligen Land. Die Grenzen sind für Prinzing hart, sie sind aber nicht

    unüberwindbar - zur Aufweichung kommt es vor allem durch drei Entwicklungen:

    a.) Die Entwicklung hin zu grenzübergreifenden, transnationalen Medien

    Gemäß dem Abschnitt Mediensysteme im Kapitalismus, darf der Einfluss solcher Entwicklungen nicht

    überschätzt werden. Auch wenn in der Medienberichterstattung eine globale Perspektive anvisiert wird,

    so operieren Nachrichtensender doch noch immer aus einem spezifischen kulturellen Kontext heraus.

    15

    Vgl. Prinzing (2007), 15 16

    Vgl. Prinzing (2007), 15f.

  • 15

    b.) Bewegung durch EU-Korrespondenten

    Hier ist zu beachten, dass die Journalismuskultur auf EU-Ebene vor allem auf einer Ebene einen

    gemeinsamen Nenner hat: Es geht immer um das Verhältnis zwischen dem Journalismus und den Public

    Relations. Laut einer Studie basieren fast 50% der Artikel die über die Europäische Union veröffentlicht

    werden auf PR-Aktivitäten. Auch für die EU-Korrespondenten gilt, dass zumeist in Hinsicht auf nationale

    Interessen berichtet wird. Themensetzung und Umfang der Berichte orientieren sich in der Regel an der

    im Land üblichen Haltung gegenüber der EU. Selbst wenn sich also der Schreibstil aller EU-

    Korrespondenten angleichen würde, würde dies kaum etwas bewirken. Der nationale Filter ist stark, die

    Journalisten berichten nicht in Hinsicht auf ein Europabild, sondern orientieren sich an den Bedürfnissen

    der eigenen, nationalen Bevölkerung.

    c.) Bewegung durch interaktiven Journalismus

    In diesem vielleicht etwas kurz geratenem Absatz geht es darum, dass Pressefreiheit ein Schlüssel für

    eine europäische oder gar eine globale Professionsethik sein könnte. Auch das generelle Recht auf freie

    Meinungsäußerung spielt hierbei eine wichtige Rolle, sie ist Voraussetzung dafür, dass auch der

    Journalismus frei und ohne Verfolgung agieren kann. Einen letzten Gedanken verwendet Prinzing für die

    Einbeziehung moderner Kommunikationstechnologien. Sowohl das Satellitenfernsehen als auch das

    Internet haben die technischen Hürden der Informationsverbreitung überwunden. Laut Prinzing ist der

    Weg die kulturellen Barrieren zu durchbrechen vor allem durch einen verstärkten Dialog zu erreichen.17

    Betrachtet man Prinzings Artikel im Nachhinein so fällt schnell auf, dass für sie die kulturelle Diversität,

    die Unterschiede der spezifischen Kulturen in den EU-Mitgliedsstaaten der Grund dafür ist, dass die

    Grenzen hin zu einer europäischen Medienethik hart und beinahe unüberwindbar scheinen. Das soll nun

    so aber nicht im Raum stehen gelassen werden. Erstens ist anzumerken, dass kulturelle Diversität kein

    Zustand ist der bloß zwischen einzelnen Ländern festgestellt werden kann. Globalisierung aber auch

    ganz normale seit Jahrhunderten stattfindende Prozesse der Bevölkerungsmigration sorgen dafür, dass

    Staaten eben keine kulturell geschlossenen Systeme sind. Im Gegenteil, sie sind, abhängig von gewissen

    politischen und rechtlichen Grundlagen, mehr oder weniger komplexe kulturelle Systeme, die sich

    zunehmend durch Vermischung und Verwischung von Grenzen auszeichnen. Für den einen mag dies ein

    17

    Vgl. Prinzing (2007), 16f.

  • 16

    Problem sein, für den anderen eine Chance – das ist hier nicht das Thema. An dieser Stelle sei nur

    entgegen den etwas linearen Aussagen Prinzings die Meinung vertreten, dass kulturelle

    Unterschiedlichkeit nicht nur auf Nationalstaaten bezogen werden sollte, sondern auch innerhalb der

    Staatsgrenzen als wichtiger Faktor wahrgenommen wird. Insofern scheint das Argument Prinzings, dass

    die kulturelle Diversität Grund für die harten Grenzen ist nur schwer nachvollziehbar. Es kann vielleicht

    stimmen, dass eine höhere Unterschiedlichkeit in der Bevölkerungszusammensetzung zu weiteren

    Problemen führen kann wenn es darum geht einheitliche Richtlinien zu finden. Ein solcher Standpunkt

    macht jedoch nur als graduelle Aussage Sinn. Schwarz – Weiss Denken, also das postulieren von

    kultureller Homogenität für das Inland und die Betonung großer kultureller Brüche auf internationaler

    Ebene, scheint einfach nicht zeitgemäß.

    Auch die von Prinzing konstatierten unterschiedlichen Professionsauffassungen bei Journalisten können

    wohl kaum als Argument gegen eine europäische Medienethik zur Geltung kommen. Es mag sein, dass

    sich gewissen Strategien der Berufsausübung in bestimmten Ländern unterscheiden, jedoch lässt sich

    dies auch für Journalisten mit ähnlicher kultureller Prägung feststellen. Ist das Ziel weiterhin eine

    gesamteuropäische Medienethik so stellt sich die Frage, was das größere Problem darstellt:

    Französische, englische und deutsche Journalisten auf einheitliche ethische Grundprinzipien für

    bestimmte Artikelformate einzuschwören, oder einen solchen gemeinsamen Kriterienkatalog für

    Redakteure der Bild Zeitung- bzw. der Zeitung Die Zeit zu erstellen. Das Argument scheint hier klar:

    Kulturelle Diversität spielt in den diversen Professionsethiken sicherlich eine wichtige Rolle, es gibt

    jedoch noch eine Vielzahl anderer Kriterien die ebenso beachtet werden müssen.

    Dem Ansatz Prinzings, dass freie Meinungsäußerung eine wichtige Voraussetzung für eine zukünftige

    europäische Medienethik sein könnte ist unbedingt beizupflichten, hier befinden wir uns auch wieder in

    argumentativer Nähe zu dem Aufsatz von Karsten Weber. Das Internet als Grenzen auflösende

    Kommunikationstechnologie erwähnt Prinzing erst ganz zum Schluss ihres Aufsatzes. Schade eigentlich

    ist es doch so, dass eine genauere Analyse der Eigenschaften des Netzes einige Thesen und Ansätze

    Prinzings vielleicht nicht widerlegt, zumindest aber relativiert hätte.

  • 17

    V. Konkrete Modelle

    Roger Blum setzt sich in seinem Artikel Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen

    mit den verschiedenen Infrastrukturen der Medienethiksysteme in Europa auseinander. Anhand eines

    neunteiligen Strukturmodells zeigt er, wie es um die aktuelle Situation von Presseräten und

    Ombudsleuten steht.

    Blum konstatiert, dass sich die Strukturen der Selbstregulierung der Medien seit Beginn des 20.

    Jahrhunderts aus systemtheoretischen und demokratietheoretischen Überlegungen entwickelt haben.

    Systemtheoretische Gründe für die Selbstregulierung ergaben sich aus dem Strukturwandel der

    Öffentlichkeit. In der Folge der Ablösung der bürgerlichen Öffentlichkeit in den Cafés, Salons und Clubs

    durch die Massenmedien kam es in einem weiteren Schritt zu einer Abkopplung zwischen Medien und

    Parteien was dazu führte, dass sich immer stärker autonome Mediensysteme herausbildeten. Diese

    Trennung zwischen der Berichterstattung und der politischen Kultur mit derer bürgerlich-liberalen,

    katholischen oder sozialistischen Gesinnung förderte das Entstehen einer eigenen Berufsethik.18

    Demokratietheoretische Gründe waren vorhanden, da eine strenge Regulierung der Medien das

    Demokratieprinzip ad absurdum geführt hätte. Laut Blum bedarf die Demokratie als System einer freien

    Medienkultur in der in der weitestgehen ohne staatliche Regulierung agiert werden kann.

    Systemtheoretische und demokratietheoretische Überlegungen sind also der Grund für die beginnende

    Selbstregulierung im 20. Jahrhundert. Eine solche Selbstregulierung kommt jedoch nicht ohne eine

    passende Infrastruktur aus. Die Infrastruktur der Selbstregulierung sind in vielen Ländern die Presseräte

    und Ombudsmänner.19

    18

    Vgl. Blum (2007), 77 19

    Vgl. Blum (2007), 77

  • 18

    Kontinent (mit Anzahl der Länder)

    Länder mit Presseräten Länder mit Ombudsmännern

    Europa (50)

    27

    13

    Nordamerika (2)

    2

    2

    Lateinamerika (29)

    2

    2

    Ozeanien (13)

    2

    1

    Afrika (54)

    15

    0

    Asien (37)

    15

    0

    Anhand der obigen Grafik lässt sich erkennen, dass es in Afrika und Asien nur Presseräte oder

    Medienbeobachtungsstellen jedoch keine Ombudsleute gibt. In Lateinamerika und Ozeanien gibt es

    sowohl Presseräte als auch Ombudsleute, beide Formen der Selbstregulierung sind jedoch relativ gering

    vertreten. Auch in Europa und Nordamerika sind sowohl Presseräte als auch Ombusleute im Einsatz, in

    Relation zu den anderen Kontinenten sind sie hier auch sehr häufig vorhanden. Im weiteren Verlauf der

    Analyse konzentriert sich Blum aus diesem Grund auf diese beiden Kontinente.20

    Bevor Blum jedoch genauer auf die Verteilung in den Kontinente eingeht, erstellt er ein neunteiliges

    Strukturmodell.

    20

    Vgl. Blum (2007), 77

  • 19

    Mediation (Ombudsmann)

    Mischung (Ombudsmann und Presserat)

    Dezision (Presserat)

    Dezentral (familial)

    1a Familiale Ombusleute

    1b Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte

    1c Regionale Presseräte

    Kombiniert (familial und national)

    2a Familiale und nationale Ombudsleute

    2b Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte

    2c Regionale und nationale Presseräte

    Zentral (national)

    3a Nationaler Ombudsmann

    3b Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat

    3c Nationaler Presserat

    1a) das dezentral-heterogene Mediationssystem mit ausschließlich familialen Ombudsleuten

    1b) das dezentral-heterogene Mischsystem mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten

    1c) das dezentral-heterogene Dezisionssytem mit ausschließlich regionalen Presseräten

    2a) das kombiniert-heterogene Mediationssystem mit familialen Ombudsleuten und einem nationalen

    Ombudsmann

    2b) das kombiniert-heterogene Mischsystem mit familialen Ombudsleuten oder einem nationalen

    Ombudsmann und mit regionalen Presseräten oder einem nationalen Presserat

    2c) das kombiniert-heterogene Dezisionssystem mit regionalen Presseräten und einem nationalen

    Presserat

    3a) das zentral-homogene Mediationssystem mit einem nationalen Ombudsmann

    3b) das zentral-homogene Mischsystem mit einem nationalen Presserat und einem nationalen

    Ombudsmann

    3c) und das zentral-homogene Dezisionssystem mit einem nationalen Presserat

  • 20

    Das obige Modell ist eine Idealskizze, für die Praxis muss jedoch festgehalten werden, dass vier dieser

    Typen in keinem Land vorkommen.21 Übrig bleiben aus diesem Grund nur die folgenden fünf Typen22:

    Mediation (Ombudsmann)

    Mischung (Ombudsmann und Presserat)

    Dezision (Presserat)

    Dezentral (familial)

    Familiale Ombusleute

    Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte

    Kombiniert (familial und national)

    Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte

    Zentral (national)

    Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat

    Nationaler Presserat

    In einem nächsten Gedankenschritt ergänzt Blum das obige Strukturmodell mit den dazugehörigen

    Ländern.23

    21

    Vgl. Blum (2007), 78 22

    Vgl. Blum (2007), 79 23

    Vgl. Blum (2007), 79

  • 21

    Mediation (Ombudsmann)

    Mischung (Ombudsmann und Presserat)

    Dezision (Presserat)

    Dezentral (familial)

    Familiale Ombusleute Frankreich, Italien, Brasilien, Kolumbien

    Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte USA, Kanada, Spanien

    Kombiniert (familial und national)

    Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte Schweiz, Finnland, Schweden, Dänemark, Grossbritannien, Niederlande, Deutschland, Spanien, Portugal, Türkei, Australien

    Zentral (national)

    Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat Schweden, (Österreich)

    Nationaler Presserat Belgien Luxemburg, Norwegen, Island, Griechenland, Malta, Zypern, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Slowakei, Bulgarien, Ukraine, Russland, Estland, Litauen, Peru, Neuseeland

    Die obige Grafik kommentierend lässt sich feststellen:

    1.) Das System mit ausschließlich familialen Ombudsleuten kommt nur in wenigen Ländern Europas und

    Lateinamerikas vor (Frankreich, Italien, Brasilien und Kolumbien)

  • 22

    2.) Das System mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten kommt nur in wenigen Ländern

    Nordamerikas und Europas vor (USA, Kanada und Spanien)

    3.) Das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten findet sich in

    vielen Ländern Europas und Ozeaniens

    4.) Das System mit einem nationalem Ombudsmann und einem nationalem Presserat existiert nur in

    europäischen Ländern (Schweden, Österreich)

    5.) Das System mit ausschließlich einem nationalem Presserat ist stark vertreten (vor allem Europa, aber

    auch lateinamerikanischen und ozeanischen Ländern)

    Aufbauend auf den bisherigen Ausführungen formuliert Roger Blum drei Thesen:

    1. These

    Bei allen Systemen außer jenem welches auf regionale oder nationale Ombudsmännern und nationalen

    Presseräten aufbaut, überwiegen die Nachteile:

    a.) System mit ausschließlich familialen Ombudsmännern:

    Ein Vorteil an diesem System ist die Möglichkeit, die Institutionsethik gut auf die lokalen Erfordernisse

    zuschreiben zu können und so auch adäquate Lösungen für die einzelnen Medien sicherzustellen. Als

    Nachteil kann genannt werden, dass einerseits viele Medien über gar keine Ombusleute verfügen und

    andererseits keine einheitliche Spruchpraxis existiert.

    b.) System mit ausschließlich einem nationalem Presserat

    Der Vorteil an diesem System ist die einheitliche Spruchpraxis. Der Nachteil ist, dass auf die speziellen

    Situationen der einzelnen Medien kaum berücksichtigt werden können. Zudem kann es vorkommen,

    dass die Presseräte überlastet werden.

  • 23

    c.) System mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten

    Dieses System kann sich durch regionale Professionsethik (Presserat) und Institutionsethik

    (Ombudsmann) leicht an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen. Dafür ist die Spruchpraxis nur selten

    einheitlich da eine übergeordnete Instanz fehlt.

    d.) System mit einem nationalem Ombudsmann und einem nationalem Presserat

    Hier liegen die Vorteile in der einheitlichen Spruchpraxis und der Entlastung des Presserates durch den

    Ombudsmann. Der Nachteil an diesem System ist der Umstand, dass es nicht sehr anpassungsfähig ist

    und der Ombudsmann ständig Gefahr läuft überfordert zu werden.

    e.) System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten

    Bei diesem System gibt es nur Vorteile: Ombudsleute wirken nahe am Medium (Institutionsethik) und

    entlasten den Presserat. Der Presserat übernimmt die schwierigen Fälle und sorgt so für eine

    einheitliche Spruchpraxis (Professionsethik).24

    2. These

    Das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten entwickelt sich

    aus dem System mit ausschließlich einem nationalem Presserat. Hierdurch entsteht ein europäisches

    Strukturmodell der Ethikinstitutionen bestehend aus den folgenden Punkten:

    a.) Jedes Land verfügt über einen Presserat, der als Ethikinstitution für sämtliche aktuelle

    Medien fungiert.

    b.) Jedes Medium oder jede Mediengruppe verfügt über einen Ombudsmann, der

    Publikumsbeschwerden behandelt

    c.) Die Ombudsstellen werden offensiv publik gemacht – damit sich das Publikum in erster Linie

    an sie wenden

    24

    Vgl. Blum (2007), 80

  • 24

    d.) Ombudsleute und Presserat arbeiten zusammen mit dem Ziel, die Spruchpraxis zu

    harmonisieren

    e.) Die Ombudsleute entlasten der Presserat, damit dieser sich auf Grundsatzfragen

    konzentrieren kann25

    3. These

    Roger Blum erklärt, dass der Weg hin zu einem europäischen Strukturmodell noch lange und hart ist. Als

    Begründung für diese Aussage gibt er an, dass sich die Ombudsmann-Idee noch nicht wirklich

    durchgesetzt hat, die Ombudsstellen zu wenig publik gemacht werden, die Ombudsstellen ihre Fälle

    nicht überall nach einheitlichen ethischen Kriterien behandeln, viele der Ombudsleute branchenfremd

    sind, Presseräte und Ombudsleute zu wenig zusammenarbeiten und, dass es gegenwärtig noch oftmals

    so ist, dass Institutionsethik und Professionsethik miteinander konkurrieren anstatt sich zu ergänzen.26

    Roger Blums Ansätze und Ausführungen sind die bei weitem konkretesten von allen im Rahmen dieser

    Arbeit besprochenen Artikel. Blum hält sich nicht lange mit weichen Beschreibungen und Anekdoten auf,

    sondern kommt schnell zur Sache. Das von ihm erstellte Strukturmodell gibt in der Folge einen guten

    Überblick über die Situation der Presseselbstkontrolle in den einzelnen Ländern der europäischen Union.

    Zwar konnte in einer Seminarbesprechung festgestellt werden, dass Blums Zuteilungen nicht immer

    ganz korrekt sind, so ist etwa die Einteilung Deutschlands als kombiniertes System mit familialen

    Ombudsleuten und nationalen Presseräten nur schwer nachvollziehbar, ein wirkliches Problem für die

    Verwendbarkeit des Modells stellen diese kleinen Unachtsamkeiten jedoch nicht dar.

    Die Argumentation Blums, dass das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und

    nationalen Presseräten das einzige ist, das keine wirklichen Nachteile in sich birgt, scheint schlüssig und

    nachvollziehbar. Die Teilung in Institutionsethik (Ombudsleute) und Professionsethik (Presseräte)

    scheint auch unter dem Blickwinkel sinnvoll, dass Institutionsethiken mitunter weitreichender formuliert

    werden können als die zumeist allgemein gehaltenen Pressekodizes. Auf regionaler/ familialer Eben

    haben die Ombusleute damit die Chance eine für das jeweilige Medium ein ideal angepasstes

    Ethikgerüst zu entwickeln. Die Ombudsleute entlasten in der Folge die Presseräte und sind zudem

    25

    Vgl. Blum (2007), 80 26

    Vgl. Blum (2007), 80f.

  • 25

    verantwortlich für eine intensivere Leser-Blatt/Redaktion-Interaktion. Warum ein solches System gerade

    in Deutschland (und auch Österreich) auf großes Interesse stoßen könnte ist Teil der abschließenden

    Betrachtung.

    VI. Konklusion

    Eine Konklusion zu einer europäischen Medienethik kann an dieser Stelle nur fragmentarisch und in

    Ansätzen erfolgen. Zu weitläufig ist die Thematik, zu eingeschränkt der Platz den diese Arbeit zu

    Verfügung hatte. Eine Konklusion kann sich aus diesem Grund nur auf die oben besprochenen Artikel

    beziehen, die wiederum ihrerseits nur einen kleinen Teil der bereits verfügbaren Literatur zum Thema

    darstellen.

    Bei Rüdiger Funiok konnten wir erfahren, dass die Debatte zu einer europäischen Medienethik seit

    Beginn der 80-er Jahre zunehmend aktiv geführt wird und als Problematik zunehmend an Bedeutung

    gewinnt. Indizien für eine solche Entwicklung waren einerseits die ansteigende Zahl an

    wissenschaftlichen Publikationen und andererseits die Etablierung neuer Einrichtungen der

    Medienselbstkontrolle. Der Umstand, dass viele dieser Selbstkontrolleinrichtungen in den einzelnen

    Ländern in einem gewissen gesetzlichen Freiraum bestehen, hat in der Medienbranche ein Bewusstsein

    der gesellschaftlichen Verantwortung entstehen lassen. Ein Problem das Funiok aufzeigt, ist die noch

    immer unzureichende Verankerung der Thematik in der breiten Öffentlichkeit. Was ein Steckenpferd der

    Akademiker ist, lässt den Arbeiter vor dem Fernseher zu oft noch kalt.

    Karsten Weber brachte im Anschluss an die Ausführungen Funioks erstmals eine europäische Sichtweise

    in die Arbeit ein. Seine begriffliche Unterscheidung zwischen „europäischen Medienethiken“ und

    „europäischer Medienethik“ machte Sinn und bestätigt wieder einmal die Wichtigkeit der

    terminologischen Exaktheit. Weber trat für die freie Meinungsäußerung als oberstes Prinzip und

    Grundlage einer europäischen Medienethik ein, vertrat hierbei jedoch eine sehr liberale Position. In der

    Besprechung habe ich argumentiert, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung jedoch nicht mit dem

    Gedanken an eine rechtsfreie Sphäre zusammenpasst. Für eine solche trat Weber auch nicht ein, seine

    Ausführungen basierten jedoch auf der Argumentation, dass ein hoher Grad an Freiheit nur durch einen

    möglichst geringen Grad der Regulierung erreicht werden könnte. Weber übersah in diesem

    Zusammenhang jedoch, dass es oftmals erst die Regulierungen sind, die gewisse Freiräume überhaupt

  • 26

    erst ermöglichen. In einem weiteren Punkt stellte Weber die Freiheit der staatlichen Überwachung

    gegenüber und berücksichtigte dabei den Umstand nicht, dass sich gerade im Bereich der Medienethik

    in vielen Ländern ein System einer weitgehend staatsunabhängigen Selbstkontrolle durchgesetzt hat.

    Bei Marlis Prinzing konnte nachgelesen werden, dass die kulturelle Unterschiedlichkeit in den einzelnen

    Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein beinahe unüberwindbares Problem für eine gemeinsame

    Professionsethik darstellen könnte. Sie übersah jedoch in ihren Ausführungen, dass kulturelle

    Vielfältigkeit heute nicht mehr nur ein zwischenstaatliches sondern auch ein innerstaatliches Phänomen

    ist. Diversität kann sowohl als Chance als auch als Problem gesehen werden. Mag es auch stimmen, dass

    kulturelle Unterschiede eine einheitliche Medienethik erschweren könnten, so ist es doch gerade dieser

    Hauch des Unmöglichen der jegliche Unternehmungen auf europäischer Ebene begleitet. Da Prinzing

    auch bei der Unterschiedlichkeit der Professionsethiken einen ähnlichen Standpunkt vertritt hab ich die

    Frage in den Raum gestellt, ob es nicht vielleicht doch einfacher ist eine gemeinsam Medienethik für

    Zeitungen wie beispielsweise Le Monde und die Süddeutsche Zeitung zu finden, als dies etwa für die

    Süddeutsche und die Bild-Zeitung möglich wäre? Der Knackpunkt der Überlegung hierbei war, dass es

    vielleicht gar nicht die unterschiedlichen Kulturen sind welche die größten Schwierigkeiten bei der

    Findung einheitlichen Medienethikrichtlinien darstellen, sondern die Spezifika des Periodikums in

    Hinsicht auf Marktsituation und Blattlinie.

    Roger Blum stellte in seinem Artikel ein Strukturmodell vor das zeigte, wie Systeme der

    Selbstregulierung unabhängig von Land und Kultur aufgebaut sein könnten. Blum sprach sich in diesem

    Zusammenhang für ein System mit regionalen bzw. familialen Ombudsmännern und nationalen

    Presseräten aus. Das System hat nach seiner Argumentation nur Vorteile: Die Ombusleute können nahe

    am Medium arbeiten und somit eine fundierte Institutionsethik ermöglichen, eine Strategie, die auch zu

    einer gewissen Entlastung der Presseräte führen könnte. Die nationalen Presseräte andererseits würden

    für eine einheitliche Spruchpraxis sorgen und somit zu einer übergeordneten Professionsethik beitragen.

    Ein letzter Punkt sei noch angemerkt und er betrifft sowohl die Ausführungen Marlis Prinzings als auch

    die Roger Blums. Bei Blum wurde zuvor oben die Frage offen gelassen, warum ein solches System der

    Zweiteilung in regionale und nationale Stellen der Selbstkontrolle in Deutschland und Österreich von

    Interesse wäre. Die Beantwortung dieser Frage ist aus der Praxis heraus ablesbar und spielt auf die

    Argumentation Marlis Prinzings an die meinte, dass das Internet bereits heute die transnationale

  • 27

    Kommunikation beflügelt. Auch dass Ombudsmänner auf regionaler Ebene eine Bereicherung wären

    zeigt sich ganz deutlich – man muss nur im Internet nach Beispielen suchen. Aufgrund fehlender

    Institutionen sind im Netz Selbsthilfegruppen wie etwa die Webseite call-in-tv.de entstanden. Die

    Betreiber der Seite untersuchen auf Grundlage der Leitlinien die die Landesmedienanstalten für

    Fernsehgewinnspiele festgelegt haben Call-In-TV-Sendungen und decken als Reaktion auf fehlende

    Institutionen der Kontrolle mögliche Vergehen und Versäumnisse dieser Programme auf. Ein weiteres

    Beispiel wären die Seiten blidblog.de oder spiegelkritik.de. Beide Seiten haben es sich zur Aufgabe

    gemacht, Fehler und Versäumnisse der beiden Publika aufzuzeigen. Das Internet bietet die geeignete

    Plattform um dies ohne horrende Kosten durchführen zu können. Auch in diesen Fällen kann die

    Tätigkeit der kritischen Beobachtung als Reaktion auf fehlende Öffentlichkeitsarbeit der Zeitungen

    zurückgeführt werden. Folgt man dem Gedanken, dass Journalismus eigentlich der Herstellung von

    Öffentlichkeit dienen sollte, könnte eigentlich angenommen werden, dass die Zeitungen selbst daran

    interessiert sind ihre Inhalte zur Diskussion freizugeben. In der Folge könnten es Ombudsmänner und als

    übergeordnete Instanz Presseräte sein, welche die Vermittler- und Mediatorenrolle bei solchen

    Debatten zwischen Leserschaft und Redaktion einnehmen.

    Wie Marlis Prinzing richtig konstatiere, haben die neuen Kommunikationstechnologien Räume und

    Grenzen geöffnet. Was in ihrem Aufsatz fehlt ist die unbedingte Konsequenz dieses Faktums: Der Abbau

    von Grenzen führt automatisch zu einer verstärkten Interaktion. Vielleicht passiert dies nicht sofort

    sondern langsam und über einen langen Zeitraum hinweg, dafür aber kontinuierlich. Die Sogkraft des

    europäischen Gedankens mag vielleicht noch nicht bis in die letzten Ecken des Alltags vorgedrungen sein,

    doch es ist nur eine Frage der Zeit bis sich die gemeinsame transnationale Ebene nicht nur politisch

    sondern auch kulturell als gemeinsame Vision durchsetzt. Es ist davon auszugehen, dass auch der

    Journalismus immer stärker diese europäische Perspektive berücksichtigen wird müssen. Im Versuch

    eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit zu unterstützen, spielt der Journalismus oftmals eine

    Vorreiterrolle. Seiten wie etwa eurotopics.net sind erste Versuch dem Journalismus ein europäisches

    Forum zu geben.

    Wir sind nun am Ende dieser kleinen Literaturrevue zur Medienethik angekommen. „Ende“ bedeutet

    jedoch in diesem Zusammenhang nur das Ende von diesem Text, nicht aber das Ende der noch

    Diskussion und der noch anstehenden Arbeit. Eine europäische Medienethik ist eine vielleicht gar nicht

    mehr so ferne Zukunftsvision zu deren Umsetzung es aber auf jeden Fall noch eine Vielzahl von

  • 28

    Diskussionen, Vorschlägen und Projekten bedarf. Einen Beginn könnten einerseits weitere

    Literaturrecherchen darstellen, beispielsweise gäbe es auch noch einige Artikel in der Zeitschrift für

    Kommunikationsökologie und Medienethik die ohne Zweifel einen genaueren Blick wert wären. Ziel

    könnte hierbei sein den wissenschaftlichen Austausch noch zu verstärken. Ein weiterer Schritt könnte

    vielleicht ein Kongress sein, welcher dann Ausgangspunkt für weitere Projekte wäre. Wie auch immer es

    letztlich kommen mag, die Debatte zu einer europäischen Medienethik ist gegenwärtig lebendig und

    ihre Bedeutung nimmt kontinuierlich zu.

    VII. Literatur

    Blum, Roger. Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen? in: Zeitschrift für

    Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 76-82.

    Funiok, Rüdiger. Entwicklung der Medienethik im deutschen Sprachraum. in: Zeitschrift für

    Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 54-61.

    Prinzing. Marlis. Harte Grenzen. Warum gegenwärtig mit einer europäischen Professionsethik im

    Journalismus nicht zu rechnen ist. in: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster,

    Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 14-20.

    Weber, Karsten. Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsfreiheit als Grundlage einer europäischen

    Medienethik. in: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London:

    Lit.-Verlag, 2007. S. 35-39.