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"Aspekte einer europäischen Medienethik“
Seminararbeit im Rahmen der Lehrveranstaltung
"FOSE"
(220 174)
bei Prof. Dr. Horst Pöttker
Universität Wien
Fakultät für Sozialwissenschaft
Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Eingereicht von:
Gernot Rieder, Bakk. Phil.
Matr. Nr.: 0305053
Studienkennzahl: 066-841
Wien, 18.02.2008
1
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung .. Seite 2
II. Die akademische Diskussionen zur Medienethik im deutschen Sprachraum .. Seite 3
III. Unlimitierte Meinungsäußerung als Grundlage einer europäischen Medienethik .. Seite 7
IV. Von harten Grenzen und ersten Lichtblicken .. Seite 12
V. Konkrete Modelle .. Seite 17
VI. Konklusion .. Seite 25
VII. Literatur .. Seite 28
2
I. Einleitung
Diese Arbeit entstand im Rahmen eines Forschungsseminars unter der Leitung von Prof. Dr. Horst
Pöttker an der Universität Wien im Wintersemester 2007/ 2008. Im Seminar wurden die verschiedenen
Pressekodizes ausgewählter Länder behandelt, um im Anschluss darüber zu diskutieren, ob eine
europäische Perspektive für die Medienethik in naher Zukunft vorstellbar sein könnte. Die hier
vorliegende Arbeit greift diesen Gedanken auf und möchte sich anhand von vier übergeordneten
Fragestellungen der Thematik annähern. Diese Fragestellungen finden im weiteren Text keine
Erwähnung mehr, sie sind jedoch das Gerüst und Fundament dieser Arbeit, alle Teilbereiche sind
unmittelbar mit ihnen verbunden.
Zunächst soll danach gefragt werden, ob über eine europäische Medienethik sowohl im
wissenschaftlichen als auch öffentlichen Kontext nachgedacht wird und ob es eine andauernde Debatte
zur Thematik gibt. Um diese Frage beantworten zu können wird der Text Entwicklung der Medienethik
im deutschen Sprachraum von Rüdiger Funiok einer genaueren Analyse unterzogen werden.
In einer zweiten Fragestellung soll skizziert werden, was die Grundlagen einer solchen europäischen
Medienethik sein könnten. Der Artikel Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsfreiheit als Grundlage
einer europäischen Medienethik von Karsten Weber soll dabei helfen sich dieser Fragestellung
anzunähern.
Marlis Prinzings Text Harte Grenzen. Warum gegenwärtig mit einer europäischen Professionsethik im
Journalismus nicht zu rechnen ist., wird in Hinsicht auf die Frage nach den Problemen einer zukünftigen
europäischen Medienethik untersucht werden.
Abschließend soll noch versucht werden einen Blick in die praktische Umsetzung zu wagen. Roger Blum
hat mit seinem Aufsatz Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen? erste Ansätze
dafür geliefert, wie ein Modell einer europäischen Medienethik aussehen könnte.
In einem letzten Kapitel werden abschließend die Ansätze der einzelnen Autoren nochmals kurz
besprochen und in einer Konklusion auf den Punkt gebracht. Diese Arbeit versteht sich als kritische
Literaturrecherche, einerseits ist es ein Anliegen die Kernaussagen der besprochenen Artikel möglichst
3
klar zusammenzufassen, andererseits sollen die Aussagen und Theorien auch reflektiert und auf ihre
Stichfestigkeit hin überprüft werden.
Bevor nun gleich der erste Artikel von Rüdiger Funiok vorgestellt wird, sei an dieser Stelle noch darauf
verwiesen, dass die kleine Auswahl der hier besprochenen Artikel keinesfalls den Anspruch auf
Vollständigkeit erheben möchte. Die Thematik der Medienethik ist umfassend und diese Arbeit daher
nur ein winziger Teilbereich einer großen und lebendigen Diskussion. Der Autor dieser Zeilen hofft
trotzdem, dass durch die Fokussierung des Gegenstandsbereichs auf eine europäische Medienethik das
Ziel, einige Teilaspekte einer breiten Thematik etwas genauer abbilden zu können, erreicht werden
konnte.
II. Die akademische Diskussionen zur Medienethik im deutschen Sprachraum
In diesem ersten Kapitel wollen wir, bevor es dann in der Folge um konkrete Modelle und Perspektiven
einer zukünftigen europäischen Medienethik geht, noch einmal das gesamteuropäische Terrain
verlassen und uns auf den deutschen Sprachraum konzentrieren. Es gilt in diesem Abschnitt ein Gefühl
für jene wissenschaftlichen Debatten zu entwickeln, die im Zusammenhang mit medienethischen
Überlegungen im Verlauf der letzten Jahrzehnte in Deutschland, Österreich und der Schweiz geführt
wurden. Der Abschnitt folgt hierbei weitgehend den Ausführungen Rüdiger Funioks, der in seinem
Artikel Entwicklung der Medienethik im deutschen Sprachraum nicht nur eine umfangreiche Übersicht zu
wissenschaftlichen Publikationen zur Thematik erstellt, sondern zudem auf einige Aspekte der
Diskussion in den letzten Jahrzehnten eingeht.
Den Anfang macht Funiok mit dem Hinweis, dass sich die Diskussion zur Medienethik in Amerika bereits
einer längeren Tradition erfreut als dies im deutschsprachigen Raum der Fall ist. In den USA etablierten
sich neben den Codes of Ethics in der journalistischen Ausbildung bereits Ende des 19. Jahrhunderts die
Mass Communication Ethics als akademischer Beitrag zur Thematik. Eine breite interdisziplinäre Debatte,
etwa zwischen Kommunikationswissenschaftlern und Philosophen, konnte jedoch auch in Übersee noch
nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Dieses Problem einer nur schwer zu erreichenden
4
institutionellen Verankerung lässt sich ähnlich auch im deutschen Sprachraum wiederfinden.1 So zitiert
Funiok Noelle-Neumann und Schulz in ihrer Aussage von 1970, dass
„Das derzeit geringe – oder allenfalls äußerst partielle – Interesse für ethische Fragen hat in den letzten
zwei Jahrzehnten keine neuen Arbeiten zum Thema Ethik des Journalismus entstehen lassen.“2
Und auch noch Mitte der 80-er Jahre konstatieren Rühl und Saxer, dass
„die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft die Frage der Ethik von Journalismus und
Massenkommunikation mit ihren spezifischen, eben mit kommunikationswissenschaftlichen
Erkenntnismittel noch kaum angegangen hat.“3
Erste Beiträge zur Thematik kamen vor allem von Boventer mit Publikationen wie Ethik des Journalismus,
Medien und Moral. Ungeschriebene Regeln des Journalismus oder Pressefreiheit ist nicht grenzenlos.
Einführung in die Medienethik. oder Rühl und Saxer mit ihrer Bestandsaufnahme 25 Jahre deutscher
Presserat. Ein Anlass für Überlegungen zu einer kommunikationswissenschaftlich fundierten Ethik des
Journalismus und der Massenkommunikation. Gerade zu Beginn der Debatte waren es auch oftmals
Theologen die sich zu medienethischen Fragen, mit dem Anspruch als autonome Moral und mit
christlicher Soziallehre soziale Strukturen untersuchen zu wollen, zu Wort meldeten.4
In der Folge erstellt Funiok einen umfangreichen Literaturindex der zeigt, dass sich die Publikationen seit
Anfang der Diskussion in den 80-ern stark gehäuft haben und gegenwärtig von einem aktiven
akademischen Feld gesprochen werden kann. Bei der Durchsicht des Publikationsindex lässt sich schnell
feststellen, dass Veröffentlichungen die sich explizit mit der Frage nach einer europäischen Medienethik
auseinandersetzen noch äußerst rar gesät sind. Die nach der Jahrtausendwende stark steigende Zahl von
Artikeln die sich mit einer Internetethik auseinandersetzen lässt jedoch die Vermutung zu, dass sich
auch die Debatte zur Medienethik immer mehr auf internationales Terrain begibt. Was in den 80-er
Jahren mit dem Satellitenfernsehen begann, wird seit Mitte der 90-er vom Internet in noch stärkerer
Ausprägung verwirklicht: Die Etablierung einer regional unabhängigen Mediensphäre die in der Lage ist,
1 Vgl. Funiok (2007), 54
2 Zit. nach Funiok (2007), 54
3 Zit. nach Funiok (2007), 54
4 Vgl. Funiok (2007), 54
5
Inhalte ohne geographische Barrieren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da sich die
Medientechnologien zunehmend als ortsunabhängig behaupten und die Wissenschaft zugleich
aufgefordert ist, sich mit diesen neuen Wegen der Inhaltsdistribution auseinanderzusetzen, ist es wohl
nur noch eine Frage der Zeit bis sich Veröffentlichungen zur Medienethik mit den Herausforderungen
einer transnationalen Plattform für medienethische Problemstellungen auseinandersetzen. Der für diese
Arbeit als Literaturvorlage dienende Sammelband der Zeitschrift für Kommunikationsökologie und
Medienethik ist bereits Produkt einer solchen Neuorientierung.
Konzentrieren wir uns nun aber wieder auf die Ausführungen Funioks. Für die Zeit ab Mitte der 80er
Jahre konstatiert dieser wie bereits oben beschrieben einen kontinuierlichen Anstieg bei den
Publikationen die sich mit Fragen zur Medienethik beschäftigen. Zudem kommt es nicht nur zu
vermehrten Veröffentlichungen wissenschaftlicher Beiträge, sondern es lässt sich des Weiteren auch
eine Zunahme der Selbstkontrollgremien feststellen. So entstanden seit den 1980-er Jahren etwa der
Deutsche Werberat (1972), der Deutsche PR-Rat (1987), die freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (1993),
die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (1994) und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia
Dienstanbieter (1997). Neben den Gremien gab es auch eine deutliche Zunahme bei den Vereinigungen
die sich mit Medienethik auseinandersetzen. An wissenschaftlichen Vereinigungen wären hierbei das
Netzwerk Medienethik und die Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen
Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft zu nennen. Andere Vereine ohne
akademischen Hintergrund sind beispielsweise Der Verein zur Förderung der publizistischen
Selbstkontrolle, die Initiative Qualität im Journalismus, das Netzwerk Recherche, die Nachrichten-
Aufklärung oder der Ethikrat de Akademie für Publizistik. 5
Die Zunahme an Publikationen, Gremien und Vereinen, sagen jedoch noch nichts über eine mögliche
Verbesserung der Qualität in den Debatten zur Medienethik aus. Funiok orientiert sich bei der Frage
nach der Qualität nochmals an Saxer und Rühl, greift drei Forderungen die die beiden in den 80-ern für
die Medienethik formulierten auf, und überprüft wie es um diese Forderungen gegenwärtig steht:
a.) Saxer postulierte, dass Ethik nicht zur Ideologie verkommen dürfe. Die von Journalisten geforderte
Wertepluralität solle nicht von politisch-wirtschaftlichen oder kirchlichen Kreisen beeinflusst werden
und Journalistenverbände dürften nicht in Selbstherrlichkeit aufgehen. Mit einem Blick in die
5 Vgl. Funiok (2007), 58
6
journalistische Gegenwart meint Funiok, dass diese Anforderung von der deutschsprachigen
Medienethik weitestgehen erfüllt wurde. Er erkennt demnach keine übermäßig starken
Abhängigkeitsverhältnisse oder ideologische Beeinträchtigungen im Bereich der Medienethik.
b.) Medienethik muss auf einer ausreichenden wissenschaftlichen Fundierung basieren. Aktuelle
fachwissenschaftliche Differenzierungen des komplexen Medienkommunikationsprozesses müssten
angedacht, Routinen des Journalismus und das journalistisches Rollenbild ebenso wie das Verhältnis
zwischen der journalistischen Recherche und den Public-Relations einer ständigen Evaluation
unterzogen werden. Auch in Bezug auf diese Forderungen spricht Funiok von einer durchaus positive
Gegenwart: Die Moralphilosophie hätte dabei geholfen, Medienethik durch sozial- und strukturethische
Modelle zu ergänzen. Vielfalt, Wahrhaftigkeit und der Rezipient als aktiver Akteur wurden als
Grundlagen anerkannt und eine demokratische Medienkultur zur Konsensfindung wurde als Idealbild
akzeptiert.
c.) Rühl und Saxer forderten, dass die Moral als eine anerkannte Steuerungsressource für
Mediensysteme wahrgenommen wird, etwa auf gleicher Ebene mit anderen Steuerungsmitteln wie die
gesetzliche Basis, die staatliche und die Selbstregulierung, als auch die redaktionsinternen
organisatorischen Normen. Funiok beschreibt, dass dies eine Forderung sei die auch mehr als zwanzig
Jahre nach ihrer Formulierung noch einer bindenden Umsetzung bedarf. Zwar werden mit dem
individuellen oder kollektiven Ethos gewisse Verpflichtungen formuliert und zumeist auch anerkannt,
die Einhaltung jener normierten Werte wird jedoch oftmals mit dem Verweis auf Ausnahmen oder
Sonderfälle umgangen. Gesellschaftliche Moral und Journalismusethik bleiben somit ein relativ
schwaches Instrument der Steuerung.6
Abschließend lassen sich die folgenden Punkte als für das übergeordnete Thema einer europäischen
Medienethik relevant zusammenfassen:
a.) Die wissenschaftlichen Publikationen und Veröffentlichungen haben seit Mitte der 80er Jahre die
Diskussion zur Medienethik belebt und vorangetrieben. Die akademische Debatte läuft seitdem
engagiert und auf hohem Niveau.
6 Vgl. Funiok (2007), 59f.
7
b.) Neben den wissenschaftlichen Publikationen haben neue Gremien und Vereine dabei geholfen, zu
einer verbesserten Wahrnehmung medienethischen Problemfelder beizutragen.
c.) Neue Kombinationen aus staatlichen bzw. Selbstkontrolleinrichtungen und die Mischung aus
Selbstkontrolle und einem gewissen gesetzlichen Freiraum, haben das Bewusstsein für gesellschaftliche
Verantwortung in der Medienbranche verstärkt.
d.) Trotz einer weitgehend positiven Entwicklung ist es der Medienethik noch nicht gelungen, sich als
kontinuierlich fortlaufende Debatte im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. Kurzfristige
Aufmerksamkeit bei besonderen Medienereignissen können über diesen Missstand nicht
hinwegtäuschen.7
Das Ziel der Besprechung des Artikels von Rüdiger Funiok ist es gewesen, in einer ersten
Bestandsaufnahme die Situation des Medienethikdiskurses im deutschsprachigen Raum etwas genauer
erfassen zu können. In der Folge werden wir nun versuchen, uns zunehmend auf die europäische Ebene
vorzuwagen.
III. Unlimitierte Meinungsäußerung als Grundlage einer europäischen Medienethik
Dieser Abschnitt befasst sich mit dem Artikel Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsäußerung als
Grundlage einer europäischen Medienethik. Europäische Medienethiken? Europäische Medienethik! von
Karsten Weber. In seinem Aufsatz geht es Weber vor allem um die Besprechung zweier Problemfelder:
Zunächst begibt er sich auf die Wortebene und vertritt den Standpunkt, dass im allgemeinen
Sprachgebrauch nicht von „europäischen Medienethiken“, sondern von einer „europäischen
Medienethik“ die Rede sein sollte. Im weiteren Verlauf des Artikels bespricht er dann die schwierige
Thematik bezüglich einer freien Meinungsäußerung. Dieser Abschnitt beabsichtigt Webers
Argumentationslinien darzustellen um sie in der Folge einer kurzen Reflexion zu unterziehen.
Zunächst konzentriert sich Weber auf den Ausdruck „europäische Medienethiken“ und meint hierzu
folgendes: Ist die Rede von „europäisch“ oder „Europa“ muss zunächst geklärt werden, wodurch sich
diese europäische Gemeinschaft definiert und abgrenzt. Da eine geographische Bestimmung kaum zu
7 Vgl. Funiok (2007), 59f.
8
befriedigenden Ergebnissen führt, ist die Konzentration auf gemeinsame Werte und Normen bei der
Festlegung des gemeinschaftlichen europäischen Raumes eine gangbare Alternative. Legt man jedoch
diesen auf gemeinsamen Normen und Werten basierenden europäischen Raum mit dem
grammatikalischen Plural „Medienethiken“ zusammen, so wird schnell klar, dass sich aus dieser
Gegenüberstellung ein Problem ergibt. Wie kann die Rede von mehreren Medienethiken sein, wenn sich
Europa überhaupt erst durch die Idee einer gemeinschaftlichen Wertebasis als Raum erfassen lässt?
Oder einfacher: Wie passt ein ethischer Pluralismus (Medienethiken) mit dem Versuch einen
werthomogenen Raum zu erfassen zusammen? Der Gedanke an eine Wertepluralität steht in einem
gewissen Widerspruch zu der Vorstellung an einen europäischen moralischen Minimalstandard. Aus
diesem Grund spricht sich Weber dafür aus, nicht von „europäischen Medienethiken“ sondern von einer
„europäischen Medienethik“ zu sprechen.8
Webers Überlegungen sind wohl durchdacht, da durch sie die Diskussion von einer nationalstaatlichen
auf eine europäische Ebene verlegt wird. Zwar ist die Diskussion zur Medienethik ein Themenbereich
der zurzeit noch vor allem von regionalen Fragestellungen in den einzelnen Ländern geprägt wird, mit
der Problematisierung einer europäischen Medienethik muss jedoch auch zunehmend ein Augenmerk
auf eine mögliche gemeinsame Plattform, ein länderübergreifendes Forum gelegt werden.
Selbstverständlich darf der Gedanke an einen staatenübergreifenden Raum auch nicht dazu führen, dass
regionale Eigenheiten übersehen und negiert werden. Webers Ansatz beabsichtigt eine solche
Vereinfachung der Komplexität jedoch auch nicht, sondern ist lediglich ein Ausdruck für die
Notwendigkeit die Idee der Gemeinschaft nicht schon im sprachlichen Ausdruck von Anfang an zu
unterwandern. Wenn an einer europäischen Medienethik gearbeitet werden soll, so ist es im Sinne
dieses Vorhabens, schon in der verwendeten Terminologie die transnationalen Aspekte der
Fragestellung zu beachten. Webers Text beruht demnach auf der Voraussetzung, dass es nicht
„europäische Medienethiken“ gibt, sondern eine „europäische Medienethik“. 9
In einem zweiten Gedankengang spricht sich Karsten Weber dafür aus, dass ein unlimitiertes Recht auf
freie Meinungsäußerung Basis einer solchen europäischen Medienethik sein sollte. Zunächst beschreibt
Weber anhand einiger Beispiele wie etwa den Mohammed-Karikaturen, den Protesten von Muslimen als
Reaktion auf die Rede von Papst Benedikts XVI., den katholischen Forderungen nach einem Verbot der
8 Vgl. Weber (2007), 35
9 Vgl. Weber (2007), 35f.
9
MTV-Serie Popetown, usw., dass die freie Meinungsäußerung als Grundrecht einer Gesellschaft weltweit
unter Druck geraten ist. Ein weiteres Beispiel sind Berichte der Reporter ohne Grenzen in denen
festgehalten wird, wie massiv Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert und bedroht, aber
auch verletzt oder gar getötet werden. Auffällig ist nach Weber hierbei, dass sich bei all den oben
angeführten Themen der politische und öffentliche Aufruhr in Grenzen hielt. Im Gegensatz dazu sind es
oftmals verhältnismäßig triviale von Boulevardblättern groß gemachte Thematiken, die zu einer
öffentlichen Auseinandersetzung mit der Meinungsfreiheit anregen. Weber schließt aus dieser
Beobachtung, dass Meinungsfreiheit nur hochgehalten wird, solange sie bequem ist und den politischen
Alltag nicht stört. Kaum entstehen durch die Ausübung der Meinungsfreiheit jedoch Probleme, wird der
Ruf nach Grenzen und Gesetzen laut.10
In der Folge kommt es zu einer Kollision zweier Standpunkte: Auf der einen Seite stehen die Verfechter
jener Position die besagt, dass der Meinungsfreiheit keine Grenzen gesetzt werden sollten. Als
intellektuelle Vorreiter dieser Auffassung sind etwa Thomas Nagel, der dafür plädiert, dass das Recht auf
freie Meinungsäußerung keiner Gesetzgebung unterworfen werden sollte, oder John Stuart Mill der
davon ausgeht, dass die freie Rede zum Nutzen der Gesellschaft beiträgt, zu nennen. Demgegenüber
stehen die Befürworter einer gewissen Regulierung der Inhalte. Gewisse Aussagen sollen auch in einer
Gesellschaft die eigentlich dem Prinzip der freien Meinungsäußerung aufbaut, verhindert und strafbar
gemacht werden. Weber weißt darauf hin, dass beide Haltungen mit erheblichen Problemen verbunden
sind. Einerseits macht das Verbot gewisser Inhalte wie etwa die Verleugnung der Holocaust oder die
Nutzung von Nazisymbolen durchaus Sinn, auf der anderen Seite ist das Festsetzen solcher Grenzen
immer mit der Schaffung einer Instanz verbunden. Diese entscheidet aufbauend auf gewisse Kriterien,
ob eine Äußerung die gesetzten Grenzen überschreitet oder nicht. Die Formulierung jener Grenzen
müsse jedoch kontextfrei passieren, was in der Folge dazu führen kann, dass Entscheidungen schwierig
und willkürliche Gegendarstellungen möglich gemacht werden. Bereits auf nationalstaatlicher Ebene ist
die Findung solcher Richtlinien alles andere als einfach, auf europäischer Ebene unter Einbeziehung
verschiedener Kulturen, Rechtssysteme und Moralvorstellungen, noch um vieles schwieriger. 11
Die Alternative ist, wie oben bereits beschrieben, die Aufhebung jeglicher Beschränkungen der freien
Rede. Damit aufkommende Probleme sind jedoch bereits vorprogrammiert und auch am Beispiel
10
Vgl. Weber (2007), 36. 11
Vgl. Weber (2007), 37f.
10
Amerikas ablesbar. Soll es eine Gesellschaft zulassen, dass Glaube, Ethnie, sexuelle Orientierung oder
Behinderungen gänzlich schutzlos der Agitation preisgegeben werden? Weber argumentiert, dass nicht
nur physische Akte Menschen verletzen und schädigen, sondern auch Worte eine solche Wirkung
besitzen können.
Trotz dieses bleibenden Dilemmas spricht sich Weber klar für eine unlimitierte Redefreiheit als Basis
einer europäischen Medienethik aus. Er argumentiert nach Thomas Nagel, dass die Einschränkung der
Meinungsfreiheit unausweichlich eine Verminderung der Freiheit des Sprechens, Zuhörens und
Abwägens mit sich bringen, und somit einen Einschnitt in die Autonomie des Individuums bedeuten
würde. Weber ist hierbei darauf bedacht, eine starke Trennlinie zwischen der Rede und der physischen
Handlung zu ziehen. Er tritt für eine uneingeschränktes Recht auf freie Meinungsäußerung ein, erinnert
jedoch zugleich daran, dass es für Taten wie Schlagen, Verletzen und Töten bereits wirksame
bestehende Gesetze gibt. Weber appelliert an dieser Stelle an die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft:
Anstatt nach einer politischen bzw. staatliche Regelung zu rufen, solle sich jeder selbst bewegen und
aktiv zu einem verbesserten Miteinander beitragen. Intoleranz und Hass sei eine Sache die jeder
persönlich zu bekämpfen aufgefordert ist. Die erste Forderung die Weber somit an eine europäische
Medienethik stellt, ist ein unlimitiertes Recht auf freie Rede zu sichern. Die Kontrolle gewisser
moralischer Grundsätze liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Mitgliedes einer Gesellschaft.12
Der Artikel von Karsten Weber hat uns an die Problematik einer europäischen Medienethik ein ganzes
Stück näher gebracht. In einer kurzen Besprechung sollen nun die Ansätze Webers reflektiert und auf
ihren Gehalt hin überprüft werden.
Wie bereits oben beschrieben, ist die terminologische Unterscheidung Webers zwischen „europäische
Medienethiken“ und „europäischer Medienethik“ zu begrüßen. Die Widersprüchlichkeit der beiden
Begriffe wird durch das Weglassen der Plural-Form weitestgehen entschärft, zudem ermöglicht die
singuläre Nennung der Medienethik eine Fokussierung auf den eigentlich wichtigen Aspekt: Die Idee an
einen gemeinschaftlichen Raum der trotz kultureller Diversität an einer übergreifenden Basis festhält.
Auch Webers zweiter Ansatz, dass die Grundlage einer solchen europäischen Medienethik auf dem
Prinzip der freien Meinungsäußerung aufbauen sollte ist eine sinnvolle Forderung. Kritischer zu
12
Vgl. Weber (2007), 38
11
betrachten ist jedoch schon Webers Argumentation, dass diese Kontrolle ausschließlich eine vom
Individuum ausgehende sein sollte. Webers Position in diesem Fall ist nicht nur eine, wie er selbst sagt,
liberale oder liberitäre, sondern sie ist vor allem eine idealistische. Sein Aufruf, dass wir uns alle aktiv
gegen Intoleranz und Hass wenden sollen ist selbstverständlich zu unterstützen, es ist jedoch
anzunehmen, dass das bloße Postulat alleine zu keiner signifikanten Verbesserung der Situation führen
wird. Auch der Gedankengang, dass ein sehr hoher Grad an Freiheit nur durch eine möglichst geringe
Regulierung erreicht werden kann ist kritisch zu beurteilen. In vielen Fällen sorgen Gesetze und
Richtlinien dafür, dass gewisse Freiheiten geschützt und verteidigt werden. Die Qualität eines Gesetzes
kann nicht daran festgemacht werden, dass es ein Gesetz ist. Weber selbst schreibt in seinem Artikel
davon, dass eine gänzlich unkontrollierte Meinungsfreiheit den Weg für neue Agitationen und
Diffamierungen ebnen würde, sein Rezept dagegen ist ein höherer Grad an Mitmenschlichkeit. Man
sollte sich jedoch vor Augen führen, dass öffentliche Diffamierung bestimmter Bevölkerungsgruppen im
Grunde ebenso eine Einschränkung der Freiheit darstellt wie es Weber den Gesetzen vorwirft. Wenn
bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht mehr vor Verfolgung und Ächtung geschützt werden, ist das
unmittelbare Resultat eine Einschränkung der Freiheit eben dieser Gruppen. An einem kurzen Beispiel
erörtert: Was ist zu bevorzugen? Das Einschränken der freien Meinungsäußerung durch gesetzliche
Maßnahmen wie etwa dem Verbot der NS-Wiederbetätigung oder aber der Umstand, dass durch den
fehlenden rechtlichen Schutz, Minderheiten keinerlei Rechtsgrundlage haben, sich vor sozialer Ächtung
zu schützen
Ein zweiter Kritikpunkt scheint bei Webers Gegenüberstellung Freiheit gegen staatliche Überwachung
angebracht. Gerade der Bereich der Medienethik ist ein gutes Beispiel für eine mehr oder weniger
gelungene Selbstkontrolle abseits einer staatlichen Oberaufsicht. Viele der Presseräte Europas
verstehen sich eben nicht als staatliche Institutionen, ihre Geschichte ist oftmals durch den Versuch
geprägt, durch Selbstkontrolle eine drohende staatliche Kontrolle abzuwenden. Die in vielen Ländern
vorhandenen Kontrollmechanismen sind eine bewusste Reaktion gegen eine gesetzliche Regulierung.
Weber stellt in seinem Artikel zwei Varianten gegenüber, zum einen das uneingeschränktes Recht auf
freie Meinungsäußerung und zum anderen die staatliche Kontrolle. Er übersieht in seiner Argumentation
jedoch, dass es Möglichkeiten der Selbstkontrolle gibt die einerseits gewisse Leitlinien für
Medienunternehmen vorgeben, zudem aber auch unabhängig von staatlichen Behörden agieren können.
12
Nachdem Karsten Webers Artikel die Thematik zu einer europäischen Medienethik vor allem aus einem
philosophischen theoretischen Standpunkt heraus betrachtete, soll in der Folge mit der Besprechung
eines Aufsatzes von Marlis Prinzing der Fokus stärker auf eine konkrete Umsetzbarkeit gelenkt werden.
IV. Von harten Grenzen und ersten Lichtblicken
Dieses Kapitel setzt sich mit Marlis Prinzings Artikel Harte Grenzen. Warum mit einer europäischen
Professionsethik im Journalismus nicht zu rechnen ist. auseinander. Wie der Titel schon suggeriert, steht
Prinzing einer baldigen gemeinsamen Basis für eine europaweite Journalismusethik äußerst skeptisch
gegenüber. Unter Journalismusethik versteht Prinzing die Findung von Konsens bezüglich bestehender
Werte, die Suche nach unverrückbaren Massstäben für die Berichterstattung, ein übereinstimmendes
beruflichen Selbstverständnis und korrespondierende persönliche Haltungen.
Eine erste These Prinzings lautet, dass man annehmen könnte, es komme durch die fortschreitende
Globalisation und die sich schnell verändernden Formen der Übermittlung zu einer europäischen
Journalismuskultur und in der Folge vielleicht sogar zu einer globalen Journalismusethik. Diesem
Gedankengang folgend, bestimmt Prinzing ihre forschungsleitende Fragestellung folgendermaßen: Gibt
es eine Bewegung hin zu einer stärker vereinheitlichen journalistischen Professionsethik und gibt es
Angleichungen bei den Fragen was die grundlegenden Normen und Werte einer solchen beruflichen
Basis darstellt?13
Anhand einer Sekundäranalyse aktueller Studien sucht Prinzing nach möglichen Antworten für die
obigen Fragen. Sie konzentriert sich in ihrer Erhebung auf drei empirische Schauplätze: Erstens
beobachtet sie Mediensysteme in der Zeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme, zweitens untersucht sie
journalistische Kulturen in Hinsicht auf Ausbildung und Professionalisierung und drittens versucht sie in
einem Ländervergleich, Eigenheiten der jeweiligen länderspezifischen Kodizes herauszustreichen.
a.) Mediensysteme im Kapitalismus
Zunächst konstatiert Prinzing, dass sich der Kapitalismus, also das Ermöglichen eines freien Austauschs
der Waren, in beinahe allen Ländern durchgesetzt habe. Für die jeweiligen Mediensysteme bedeutet
13
Vgl. Prinzing (2007), 14
13
dies, dass es zu großen länderübergreifenden Fusionen kommt. Laut einer Studie des Europäischen
Parlaments, fallen die Kontrollen für die Medienkonzentration sehr unterschiedlich aus. Die Studie
kommt zum Schluss, dass sich Mediensysteme entlang und als Reaktion auf die besonderen Eigenheiten
nationaler Märkte entwickelt hätten und so in jedem Land spezifische Charakteristika aufweisen. Diese
Studie als Argumentationsgrundlage nehmend postuliert Prinzing, dass mit einer Harmonisierung jener
staatengebundener Regelungen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, sich jedoch erste Annäherungen
feststellen lassen. Trotz dieser langsamen Aufweichung der „Harten Grenzen“ schreibt Prinzing, dass die
jeweiligen Kommunikationssysteme trotz der Globalisierung weitgehend national geblieben seien.
Nationale Regierungen beeinflussen weiterhin die Charakteristika der Mediensysteme und die
Nationalität bewirkt vielfältige Unterschiede, beispielsweise bei Sprache, Kultur oder dem politischen
System. Nach Prinzing sind es demnach vor allem nationalstaatliche Eigenschaften die als wichtige
Faktoren die Formung des journalistischen Selbstverständnisses mitbestimmen. Auch wenn durch die
Europäische Union gewisse länderübergreifende Regelungen geschaffen werden, so ist es doch die
unterschiedliche Ausprägung nationaler Kulturen, die weiterhin einen dominanten Einfluss auf das
journalistische Selbstverständnis ausübt.14
b.) Professionalisierung und Ausbildung
Anfang der 90er war die Annahme, dass eine gemeinsame Ausbildung der Journalisten auf die
Schreibkultur vereinheitlichend wirkt, weit verbreitet. Marlis Prinzing stellt sich gegen die Annahme und
betont, dass es immer wieder Versuche gab Journalismuspraktiken eines Kulturkreises in andere Länder
zu exportieren. Dies sei jedoch zumeist fehlgeschlagen und man kann aus diesen Misserfolgen den
Schluss ziehen, dass es zwar möglich ist durch eine standardisierte Ausbildung die Form der
Aufbereitung der Inhalte also die visuelle und produktionstechnische Aufbereitung zu ändern, wenn es
jedoch um die eigentlichen Inhalt des Medienprodukts geht, so lässt sich nur ein relativ kleiner Einfluss
einheitlicher Ausbildungssysteme feststellen. Laut Prinzing ist es empirisch nachprüfbar, dass historische
Unterschiede auf das Rollenverständnis der Journalisten eine viel größere Rolle spielen als die konkrete
Ausbildung. Der Leitgedanke in diesem Abschnitt ist also, dass sich zwar das Aussehen der
Medienprodukte relativ leicht beeinflussen lässt, der Inhalt der Nachricht jedoch stark kulturspezifisch
geprägt ist und sich aus diesem Grund nur schwer verändern lässt. Die lokal aufwachsenden Journalisen
14
Vgl. Prinzing (2007), 14f.
14
sind in gewissen Kulturen geprägt worden und haben sich durch diesen Prozess ein sehr spezifisches
Rollenbild der journalistischen Arbeit angewöhnt.15
c.) Professionsethik im Ländervergleich
Prinzing gibt an, dass Professionsethiken ein Herzstück der journalistischen Kultur sind. In fast allen
Ländern dieser Erde gibt es Kodizes. Anhand des Karikaturenstreits demonstriert Prinzing wie
unterschiedlich das Vorgehen im Umgang mit solchen Themen allein schon bei den europäischen
Kodizes ist. Sie schlussfolgert daraus, dass es große Unterschiede bei der Auffassung und Durchführung
der journalistischen Tätigkeit gibt. Ein weiteres Argument für diese Sichtweise ist der Umstand, dass
auch Vertreter aus der Praxis ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Beim investigativ arbeitenden
Journalismus etwa berichten viele Journalisten, dass es oftmals zu Schwierigkeiten bei der
Zusammenarbeit mit Kollegen kommt, da anders gearbeitet und mitunter auch unterschiedliche Punkte
im Vordergrund stehen. Prinzing postuliert, dass die Annahme Journalismus sei über alle Grenzen
hinweg kompatibel, sich in der Praxis als eine trügerische herausstellt. Übereinstimmungen gibt es
jedoch vor allem dort, wo sich die politischen Kulturen ähneln.16
Zusammenfassend schreibt Marlis Prinzing, dass eine gemeinsame journalistische Professionsethik
zumindest in absehbarer Zeit noch nicht in Sicht ist, weder im europäischen, noch im globalen Rahmen.
Journalisten handeln kontextgeprägt, bezogen auf ihr Mediensystem (gemäß der Konditionen der
jeweiligen Medienstrukturen in denen sie sozialisiert wurden) welches eng verbunden ist mit den
Gegebenheiten im jeweiligen Land. Die Grenzen sind für Prinzing hart, sie sind aber nicht
unüberwindbar - zur Aufweichung kommt es vor allem durch drei Entwicklungen:
a.) Die Entwicklung hin zu grenzübergreifenden, transnationalen Medien
Gemäß dem Abschnitt Mediensysteme im Kapitalismus, darf der Einfluss solcher Entwicklungen nicht
überschätzt werden. Auch wenn in der Medienberichterstattung eine globale Perspektive anvisiert wird,
so operieren Nachrichtensender doch noch immer aus einem spezifischen kulturellen Kontext heraus.
15
Vgl. Prinzing (2007), 15 16
Vgl. Prinzing (2007), 15f.
15
b.) Bewegung durch EU-Korrespondenten
Hier ist zu beachten, dass die Journalismuskultur auf EU-Ebene vor allem auf einer Ebene einen
gemeinsamen Nenner hat: Es geht immer um das Verhältnis zwischen dem Journalismus und den Public
Relations. Laut einer Studie basieren fast 50% der Artikel die über die Europäische Union veröffentlicht
werden auf PR-Aktivitäten. Auch für die EU-Korrespondenten gilt, dass zumeist in Hinsicht auf nationale
Interessen berichtet wird. Themensetzung und Umfang der Berichte orientieren sich in der Regel an der
im Land üblichen Haltung gegenüber der EU. Selbst wenn sich also der Schreibstil aller EU-
Korrespondenten angleichen würde, würde dies kaum etwas bewirken. Der nationale Filter ist stark, die
Journalisten berichten nicht in Hinsicht auf ein Europabild, sondern orientieren sich an den Bedürfnissen
der eigenen, nationalen Bevölkerung.
c.) Bewegung durch interaktiven Journalismus
In diesem vielleicht etwas kurz geratenem Absatz geht es darum, dass Pressefreiheit ein Schlüssel für
eine europäische oder gar eine globale Professionsethik sein könnte. Auch das generelle Recht auf freie
Meinungsäußerung spielt hierbei eine wichtige Rolle, sie ist Voraussetzung dafür, dass auch der
Journalismus frei und ohne Verfolgung agieren kann. Einen letzten Gedanken verwendet Prinzing für die
Einbeziehung moderner Kommunikationstechnologien. Sowohl das Satellitenfernsehen als auch das
Internet haben die technischen Hürden der Informationsverbreitung überwunden. Laut Prinzing ist der
Weg die kulturellen Barrieren zu durchbrechen vor allem durch einen verstärkten Dialog zu erreichen.17
Betrachtet man Prinzings Artikel im Nachhinein so fällt schnell auf, dass für sie die kulturelle Diversität,
die Unterschiede der spezifischen Kulturen in den EU-Mitgliedsstaaten der Grund dafür ist, dass die
Grenzen hin zu einer europäischen Medienethik hart und beinahe unüberwindbar scheinen. Das soll nun
so aber nicht im Raum stehen gelassen werden. Erstens ist anzumerken, dass kulturelle Diversität kein
Zustand ist der bloß zwischen einzelnen Ländern festgestellt werden kann. Globalisierung aber auch
ganz normale seit Jahrhunderten stattfindende Prozesse der Bevölkerungsmigration sorgen dafür, dass
Staaten eben keine kulturell geschlossenen Systeme sind. Im Gegenteil, sie sind, abhängig von gewissen
politischen und rechtlichen Grundlagen, mehr oder weniger komplexe kulturelle Systeme, die sich
zunehmend durch Vermischung und Verwischung von Grenzen auszeichnen. Für den einen mag dies ein
17
Vgl. Prinzing (2007), 16f.
16
Problem sein, für den anderen eine Chance – das ist hier nicht das Thema. An dieser Stelle sei nur
entgegen den etwas linearen Aussagen Prinzings die Meinung vertreten, dass kulturelle
Unterschiedlichkeit nicht nur auf Nationalstaaten bezogen werden sollte, sondern auch innerhalb der
Staatsgrenzen als wichtiger Faktor wahrgenommen wird. Insofern scheint das Argument Prinzings, dass
die kulturelle Diversität Grund für die harten Grenzen ist nur schwer nachvollziehbar. Es kann vielleicht
stimmen, dass eine höhere Unterschiedlichkeit in der Bevölkerungszusammensetzung zu weiteren
Problemen führen kann wenn es darum geht einheitliche Richtlinien zu finden. Ein solcher Standpunkt
macht jedoch nur als graduelle Aussage Sinn. Schwarz – Weiss Denken, also das postulieren von
kultureller Homogenität für das Inland und die Betonung großer kultureller Brüche auf internationaler
Ebene, scheint einfach nicht zeitgemäß.
Auch die von Prinzing konstatierten unterschiedlichen Professionsauffassungen bei Journalisten können
wohl kaum als Argument gegen eine europäische Medienethik zur Geltung kommen. Es mag sein, dass
sich gewissen Strategien der Berufsausübung in bestimmten Ländern unterscheiden, jedoch lässt sich
dies auch für Journalisten mit ähnlicher kultureller Prägung feststellen. Ist das Ziel weiterhin eine
gesamteuropäische Medienethik so stellt sich die Frage, was das größere Problem darstellt:
Französische, englische und deutsche Journalisten auf einheitliche ethische Grundprinzipien für
bestimmte Artikelformate einzuschwören, oder einen solchen gemeinsamen Kriterienkatalog für
Redakteure der Bild Zeitung- bzw. der Zeitung Die Zeit zu erstellen. Das Argument scheint hier klar:
Kulturelle Diversität spielt in den diversen Professionsethiken sicherlich eine wichtige Rolle, es gibt
jedoch noch eine Vielzahl anderer Kriterien die ebenso beachtet werden müssen.
Dem Ansatz Prinzings, dass freie Meinungsäußerung eine wichtige Voraussetzung für eine zukünftige
europäische Medienethik sein könnte ist unbedingt beizupflichten, hier befinden wir uns auch wieder in
argumentativer Nähe zu dem Aufsatz von Karsten Weber. Das Internet als Grenzen auflösende
Kommunikationstechnologie erwähnt Prinzing erst ganz zum Schluss ihres Aufsatzes. Schade eigentlich
ist es doch so, dass eine genauere Analyse der Eigenschaften des Netzes einige Thesen und Ansätze
Prinzings vielleicht nicht widerlegt, zumindest aber relativiert hätte.
17
V. Konkrete Modelle
Roger Blum setzt sich in seinem Artikel Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen
mit den verschiedenen Infrastrukturen der Medienethiksysteme in Europa auseinander. Anhand eines
neunteiligen Strukturmodells zeigt er, wie es um die aktuelle Situation von Presseräten und
Ombudsleuten steht.
Blum konstatiert, dass sich die Strukturen der Selbstregulierung der Medien seit Beginn des 20.
Jahrhunderts aus systemtheoretischen und demokratietheoretischen Überlegungen entwickelt haben.
Systemtheoretische Gründe für die Selbstregulierung ergaben sich aus dem Strukturwandel der
Öffentlichkeit. In der Folge der Ablösung der bürgerlichen Öffentlichkeit in den Cafés, Salons und Clubs
durch die Massenmedien kam es in einem weiteren Schritt zu einer Abkopplung zwischen Medien und
Parteien was dazu führte, dass sich immer stärker autonome Mediensysteme herausbildeten. Diese
Trennung zwischen der Berichterstattung und der politischen Kultur mit derer bürgerlich-liberalen,
katholischen oder sozialistischen Gesinnung förderte das Entstehen einer eigenen Berufsethik.18
Demokratietheoretische Gründe waren vorhanden, da eine strenge Regulierung der Medien das
Demokratieprinzip ad absurdum geführt hätte. Laut Blum bedarf die Demokratie als System einer freien
Medienkultur in der in der weitestgehen ohne staatliche Regulierung agiert werden kann.
Systemtheoretische und demokratietheoretische Überlegungen sind also der Grund für die beginnende
Selbstregulierung im 20. Jahrhundert. Eine solche Selbstregulierung kommt jedoch nicht ohne eine
passende Infrastruktur aus. Die Infrastruktur der Selbstregulierung sind in vielen Ländern die Presseräte
und Ombudsmänner.19
18
Vgl. Blum (2007), 77 19
Vgl. Blum (2007), 77
18
Kontinent (mit Anzahl der Länder)
Länder mit Presseräten Länder mit Ombudsmännern
Europa (50)
27
13
Nordamerika (2)
2
2
Lateinamerika (29)
2
2
Ozeanien (13)
2
1
Afrika (54)
15
0
Asien (37)
15
0
Anhand der obigen Grafik lässt sich erkennen, dass es in Afrika und Asien nur Presseräte oder
Medienbeobachtungsstellen jedoch keine Ombudsleute gibt. In Lateinamerika und Ozeanien gibt es
sowohl Presseräte als auch Ombudsleute, beide Formen der Selbstregulierung sind jedoch relativ gering
vertreten. Auch in Europa und Nordamerika sind sowohl Presseräte als auch Ombusleute im Einsatz, in
Relation zu den anderen Kontinenten sind sie hier auch sehr häufig vorhanden. Im weiteren Verlauf der
Analyse konzentriert sich Blum aus diesem Grund auf diese beiden Kontinente.20
Bevor Blum jedoch genauer auf die Verteilung in den Kontinente eingeht, erstellt er ein neunteiliges
Strukturmodell.
20
Vgl. Blum (2007), 77
19
Mediation (Ombudsmann)
Mischung (Ombudsmann und Presserat)
Dezision (Presserat)
Dezentral (familial)
1a Familiale Ombusleute
1b Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte
1c Regionale Presseräte
Kombiniert (familial und national)
2a Familiale und nationale Ombudsleute
2b Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte
2c Regionale und nationale Presseräte
Zentral (national)
3a Nationaler Ombudsmann
3b Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat
3c Nationaler Presserat
1a) das dezentral-heterogene Mediationssystem mit ausschließlich familialen Ombudsleuten
1b) das dezentral-heterogene Mischsystem mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten
1c) das dezentral-heterogene Dezisionssytem mit ausschließlich regionalen Presseräten
2a) das kombiniert-heterogene Mediationssystem mit familialen Ombudsleuten und einem nationalen
Ombudsmann
2b) das kombiniert-heterogene Mischsystem mit familialen Ombudsleuten oder einem nationalen
Ombudsmann und mit regionalen Presseräten oder einem nationalen Presserat
2c) das kombiniert-heterogene Dezisionssystem mit regionalen Presseräten und einem nationalen
Presserat
3a) das zentral-homogene Mediationssystem mit einem nationalen Ombudsmann
3b) das zentral-homogene Mischsystem mit einem nationalen Presserat und einem nationalen
Ombudsmann
3c) und das zentral-homogene Dezisionssystem mit einem nationalen Presserat
20
Das obige Modell ist eine Idealskizze, für die Praxis muss jedoch festgehalten werden, dass vier dieser
Typen in keinem Land vorkommen.21 Übrig bleiben aus diesem Grund nur die folgenden fünf Typen22:
Mediation (Ombudsmann)
Mischung (Ombudsmann und Presserat)
Dezision (Presserat)
Dezentral (familial)
Familiale Ombusleute
Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte
Kombiniert (familial und national)
Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte
Zentral (national)
Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat
Nationaler Presserat
In einem nächsten Gedankenschritt ergänzt Blum das obige Strukturmodell mit den dazugehörigen
Ländern.23
21
Vgl. Blum (2007), 78 22
Vgl. Blum (2007), 79 23
Vgl. Blum (2007), 79
21
Mediation (Ombudsmann)
Mischung (Ombudsmann und Presserat)
Dezision (Presserat)
Dezentral (familial)
Familiale Ombusleute Frankreich, Italien, Brasilien, Kolumbien
Familiale Ombudsleute und regionale Presseräte USA, Kanada, Spanien
Kombiniert (familial und national)
Familiale oder nationale Ombudsleute und regionale oder nationale Presseräte Schweiz, Finnland, Schweden, Dänemark, Grossbritannien, Niederlande, Deutschland, Spanien, Portugal, Türkei, Australien
Zentral (national)
Nationaler Ombudsmann und nationaler Presserat Schweden, (Österreich)
Nationaler Presserat Belgien Luxemburg, Norwegen, Island, Griechenland, Malta, Zypern, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Slowakei, Bulgarien, Ukraine, Russland, Estland, Litauen, Peru, Neuseeland
Die obige Grafik kommentierend lässt sich feststellen:
1.) Das System mit ausschließlich familialen Ombudsleuten kommt nur in wenigen Ländern Europas und
Lateinamerikas vor (Frankreich, Italien, Brasilien und Kolumbien)
22
2.) Das System mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten kommt nur in wenigen Ländern
Nordamerikas und Europas vor (USA, Kanada und Spanien)
3.) Das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten findet sich in
vielen Ländern Europas und Ozeaniens
4.) Das System mit einem nationalem Ombudsmann und einem nationalem Presserat existiert nur in
europäischen Ländern (Schweden, Österreich)
5.) Das System mit ausschließlich einem nationalem Presserat ist stark vertreten (vor allem Europa, aber
auch lateinamerikanischen und ozeanischen Ländern)
Aufbauend auf den bisherigen Ausführungen formuliert Roger Blum drei Thesen:
1. These
Bei allen Systemen außer jenem welches auf regionale oder nationale Ombudsmännern und nationalen
Presseräten aufbaut, überwiegen die Nachteile:
a.) System mit ausschließlich familialen Ombudsmännern:
Ein Vorteil an diesem System ist die Möglichkeit, die Institutionsethik gut auf die lokalen Erfordernisse
zuschreiben zu können und so auch adäquate Lösungen für die einzelnen Medien sicherzustellen. Als
Nachteil kann genannt werden, dass einerseits viele Medien über gar keine Ombusleute verfügen und
andererseits keine einheitliche Spruchpraxis existiert.
b.) System mit ausschließlich einem nationalem Presserat
Der Vorteil an diesem System ist die einheitliche Spruchpraxis. Der Nachteil ist, dass auf die speziellen
Situationen der einzelnen Medien kaum berücksichtigt werden können. Zudem kann es vorkommen,
dass die Presseräte überlastet werden.
23
c.) System mit familialen Ombudsleuten und regionalen Presseräten
Dieses System kann sich durch regionale Professionsethik (Presserat) und Institutionsethik
(Ombudsmann) leicht an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen. Dafür ist die Spruchpraxis nur selten
einheitlich da eine übergeordnete Instanz fehlt.
d.) System mit einem nationalem Ombudsmann und einem nationalem Presserat
Hier liegen die Vorteile in der einheitlichen Spruchpraxis und der Entlastung des Presserates durch den
Ombudsmann. Der Nachteil an diesem System ist der Umstand, dass es nicht sehr anpassungsfähig ist
und der Ombudsmann ständig Gefahr läuft überfordert zu werden.
e.) System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten
Bei diesem System gibt es nur Vorteile: Ombudsleute wirken nahe am Medium (Institutionsethik) und
entlasten den Presserat. Der Presserat übernimmt die schwierigen Fälle und sorgt so für eine
einheitliche Spruchpraxis (Professionsethik).24
2. These
Das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und nationalen Presseräten entwickelt sich
aus dem System mit ausschließlich einem nationalem Presserat. Hierdurch entsteht ein europäisches
Strukturmodell der Ethikinstitutionen bestehend aus den folgenden Punkten:
a.) Jedes Land verfügt über einen Presserat, der als Ethikinstitution für sämtliche aktuelle
Medien fungiert.
b.) Jedes Medium oder jede Mediengruppe verfügt über einen Ombudsmann, der
Publikumsbeschwerden behandelt
c.) Die Ombudsstellen werden offensiv publik gemacht – damit sich das Publikum in erster Linie
an sie wenden
24
Vgl. Blum (2007), 80
24
d.) Ombudsleute und Presserat arbeiten zusammen mit dem Ziel, die Spruchpraxis zu
harmonisieren
e.) Die Ombudsleute entlasten der Presserat, damit dieser sich auf Grundsatzfragen
konzentrieren kann25
3. These
Roger Blum erklärt, dass der Weg hin zu einem europäischen Strukturmodell noch lange und hart ist. Als
Begründung für diese Aussage gibt er an, dass sich die Ombudsmann-Idee noch nicht wirklich
durchgesetzt hat, die Ombudsstellen zu wenig publik gemacht werden, die Ombudsstellen ihre Fälle
nicht überall nach einheitlichen ethischen Kriterien behandeln, viele der Ombudsleute branchenfremd
sind, Presseräte und Ombudsleute zu wenig zusammenarbeiten und, dass es gegenwärtig noch oftmals
so ist, dass Institutionsethik und Professionsethik miteinander konkurrieren anstatt sich zu ergänzen.26
Roger Blums Ansätze und Ausführungen sind die bei weitem konkretesten von allen im Rahmen dieser
Arbeit besprochenen Artikel. Blum hält sich nicht lange mit weichen Beschreibungen und Anekdoten auf,
sondern kommt schnell zur Sache. Das von ihm erstellte Strukturmodell gibt in der Folge einen guten
Überblick über die Situation der Presseselbstkontrolle in den einzelnen Ländern der europäischen Union.
Zwar konnte in einer Seminarbesprechung festgestellt werden, dass Blums Zuteilungen nicht immer
ganz korrekt sind, so ist etwa die Einteilung Deutschlands als kombiniertes System mit familialen
Ombudsleuten und nationalen Presseräten nur schwer nachvollziehbar, ein wirkliches Problem für die
Verwendbarkeit des Modells stellen diese kleinen Unachtsamkeiten jedoch nicht dar.
Die Argumentation Blums, dass das System mit familialen oder nationalen Ombudsleuten und
nationalen Presseräten das einzige ist, das keine wirklichen Nachteile in sich birgt, scheint schlüssig und
nachvollziehbar. Die Teilung in Institutionsethik (Ombudsleute) und Professionsethik (Presseräte)
scheint auch unter dem Blickwinkel sinnvoll, dass Institutionsethiken mitunter weitreichender formuliert
werden können als die zumeist allgemein gehaltenen Pressekodizes. Auf regionaler/ familialer Eben
haben die Ombusleute damit die Chance eine für das jeweilige Medium ein ideal angepasstes
Ethikgerüst zu entwickeln. Die Ombudsleute entlasten in der Folge die Presseräte und sind zudem
25
Vgl. Blum (2007), 80 26
Vgl. Blum (2007), 80f.
25
verantwortlich für eine intensivere Leser-Blatt/Redaktion-Interaktion. Warum ein solches System gerade
in Deutschland (und auch Österreich) auf großes Interesse stoßen könnte ist Teil der abschließenden
Betrachtung.
VI. Konklusion
Eine Konklusion zu einer europäischen Medienethik kann an dieser Stelle nur fragmentarisch und in
Ansätzen erfolgen. Zu weitläufig ist die Thematik, zu eingeschränkt der Platz den diese Arbeit zu
Verfügung hatte. Eine Konklusion kann sich aus diesem Grund nur auf die oben besprochenen Artikel
beziehen, die wiederum ihrerseits nur einen kleinen Teil der bereits verfügbaren Literatur zum Thema
darstellen.
Bei Rüdiger Funiok konnten wir erfahren, dass die Debatte zu einer europäischen Medienethik seit
Beginn der 80-er Jahre zunehmend aktiv geführt wird und als Problematik zunehmend an Bedeutung
gewinnt. Indizien für eine solche Entwicklung waren einerseits die ansteigende Zahl an
wissenschaftlichen Publikationen und andererseits die Etablierung neuer Einrichtungen der
Medienselbstkontrolle. Der Umstand, dass viele dieser Selbstkontrolleinrichtungen in den einzelnen
Ländern in einem gewissen gesetzlichen Freiraum bestehen, hat in der Medienbranche ein Bewusstsein
der gesellschaftlichen Verantwortung entstehen lassen. Ein Problem das Funiok aufzeigt, ist die noch
immer unzureichende Verankerung der Thematik in der breiten Öffentlichkeit. Was ein Steckenpferd der
Akademiker ist, lässt den Arbeiter vor dem Fernseher zu oft noch kalt.
Karsten Weber brachte im Anschluss an die Ausführungen Funioks erstmals eine europäische Sichtweise
in die Arbeit ein. Seine begriffliche Unterscheidung zwischen „europäischen Medienethiken“ und
„europäischer Medienethik“ machte Sinn und bestätigt wieder einmal die Wichtigkeit der
terminologischen Exaktheit. Weber trat für die freie Meinungsäußerung als oberstes Prinzip und
Grundlage einer europäischen Medienethik ein, vertrat hierbei jedoch eine sehr liberale Position. In der
Besprechung habe ich argumentiert, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung jedoch nicht mit dem
Gedanken an eine rechtsfreie Sphäre zusammenpasst. Für eine solche trat Weber auch nicht ein, seine
Ausführungen basierten jedoch auf der Argumentation, dass ein hoher Grad an Freiheit nur durch einen
möglichst geringen Grad der Regulierung erreicht werden könnte. Weber übersah in diesem
Zusammenhang jedoch, dass es oftmals erst die Regulierungen sind, die gewisse Freiräume überhaupt
26
erst ermöglichen. In einem weiteren Punkt stellte Weber die Freiheit der staatlichen Überwachung
gegenüber und berücksichtigte dabei den Umstand nicht, dass sich gerade im Bereich der Medienethik
in vielen Ländern ein System einer weitgehend staatsunabhängigen Selbstkontrolle durchgesetzt hat.
Bei Marlis Prinzing konnte nachgelesen werden, dass die kulturelle Unterschiedlichkeit in den einzelnen
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein beinahe unüberwindbares Problem für eine gemeinsame
Professionsethik darstellen könnte. Sie übersah jedoch in ihren Ausführungen, dass kulturelle
Vielfältigkeit heute nicht mehr nur ein zwischenstaatliches sondern auch ein innerstaatliches Phänomen
ist. Diversität kann sowohl als Chance als auch als Problem gesehen werden. Mag es auch stimmen, dass
kulturelle Unterschiede eine einheitliche Medienethik erschweren könnten, so ist es doch gerade dieser
Hauch des Unmöglichen der jegliche Unternehmungen auf europäischer Ebene begleitet. Da Prinzing
auch bei der Unterschiedlichkeit der Professionsethiken einen ähnlichen Standpunkt vertritt hab ich die
Frage in den Raum gestellt, ob es nicht vielleicht doch einfacher ist eine gemeinsam Medienethik für
Zeitungen wie beispielsweise Le Monde und die Süddeutsche Zeitung zu finden, als dies etwa für die
Süddeutsche und die Bild-Zeitung möglich wäre? Der Knackpunkt der Überlegung hierbei war, dass es
vielleicht gar nicht die unterschiedlichen Kulturen sind welche die größten Schwierigkeiten bei der
Findung einheitlichen Medienethikrichtlinien darstellen, sondern die Spezifika des Periodikums in
Hinsicht auf Marktsituation und Blattlinie.
Roger Blum stellte in seinem Artikel ein Strukturmodell vor das zeigte, wie Systeme der
Selbstregulierung unabhängig von Land und Kultur aufgebaut sein könnten. Blum sprach sich in diesem
Zusammenhang für ein System mit regionalen bzw. familialen Ombudsmännern und nationalen
Presseräten aus. Das System hat nach seiner Argumentation nur Vorteile: Die Ombusleute können nahe
am Medium arbeiten und somit eine fundierte Institutionsethik ermöglichen, eine Strategie, die auch zu
einer gewissen Entlastung der Presseräte führen könnte. Die nationalen Presseräte andererseits würden
für eine einheitliche Spruchpraxis sorgen und somit zu einer übergeordneten Professionsethik beitragen.
Ein letzter Punkt sei noch angemerkt und er betrifft sowohl die Ausführungen Marlis Prinzings als auch
die Roger Blums. Bei Blum wurde zuvor oben die Frage offen gelassen, warum ein solches System der
Zweiteilung in regionale und nationale Stellen der Selbstkontrolle in Deutschland und Österreich von
Interesse wäre. Die Beantwortung dieser Frage ist aus der Praxis heraus ablesbar und spielt auf die
Argumentation Marlis Prinzings an die meinte, dass das Internet bereits heute die transnationale
27
Kommunikation beflügelt. Auch dass Ombudsmänner auf regionaler Ebene eine Bereicherung wären
zeigt sich ganz deutlich – man muss nur im Internet nach Beispielen suchen. Aufgrund fehlender
Institutionen sind im Netz Selbsthilfegruppen wie etwa die Webseite call-in-tv.de entstanden. Die
Betreiber der Seite untersuchen auf Grundlage der Leitlinien die die Landesmedienanstalten für
Fernsehgewinnspiele festgelegt haben Call-In-TV-Sendungen und decken als Reaktion auf fehlende
Institutionen der Kontrolle mögliche Vergehen und Versäumnisse dieser Programme auf. Ein weiteres
Beispiel wären die Seiten blidblog.de oder spiegelkritik.de. Beide Seiten haben es sich zur Aufgabe
gemacht, Fehler und Versäumnisse der beiden Publika aufzuzeigen. Das Internet bietet die geeignete
Plattform um dies ohne horrende Kosten durchführen zu können. Auch in diesen Fällen kann die
Tätigkeit der kritischen Beobachtung als Reaktion auf fehlende Öffentlichkeitsarbeit der Zeitungen
zurückgeführt werden. Folgt man dem Gedanken, dass Journalismus eigentlich der Herstellung von
Öffentlichkeit dienen sollte, könnte eigentlich angenommen werden, dass die Zeitungen selbst daran
interessiert sind ihre Inhalte zur Diskussion freizugeben. In der Folge könnten es Ombudsmänner und als
übergeordnete Instanz Presseräte sein, welche die Vermittler- und Mediatorenrolle bei solchen
Debatten zwischen Leserschaft und Redaktion einnehmen.
Wie Marlis Prinzing richtig konstatiere, haben die neuen Kommunikationstechnologien Räume und
Grenzen geöffnet. Was in ihrem Aufsatz fehlt ist die unbedingte Konsequenz dieses Faktums: Der Abbau
von Grenzen führt automatisch zu einer verstärkten Interaktion. Vielleicht passiert dies nicht sofort
sondern langsam und über einen langen Zeitraum hinweg, dafür aber kontinuierlich. Die Sogkraft des
europäischen Gedankens mag vielleicht noch nicht bis in die letzten Ecken des Alltags vorgedrungen sein,
doch es ist nur eine Frage der Zeit bis sich die gemeinsame transnationale Ebene nicht nur politisch
sondern auch kulturell als gemeinsame Vision durchsetzt. Es ist davon auszugehen, dass auch der
Journalismus immer stärker diese europäische Perspektive berücksichtigen wird müssen. Im Versuch
eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit zu unterstützen, spielt der Journalismus oftmals eine
Vorreiterrolle. Seiten wie etwa eurotopics.net sind erste Versuch dem Journalismus ein europäisches
Forum zu geben.
Wir sind nun am Ende dieser kleinen Literaturrevue zur Medienethik angekommen. „Ende“ bedeutet
jedoch in diesem Zusammenhang nur das Ende von diesem Text, nicht aber das Ende der noch
Diskussion und der noch anstehenden Arbeit. Eine europäische Medienethik ist eine vielleicht gar nicht
mehr so ferne Zukunftsvision zu deren Umsetzung es aber auf jeden Fall noch eine Vielzahl von
28
Diskussionen, Vorschlägen und Projekten bedarf. Einen Beginn könnten einerseits weitere
Literaturrecherchen darstellen, beispielsweise gäbe es auch noch einige Artikel in der Zeitschrift für
Kommunikationsökologie und Medienethik die ohne Zweifel einen genaueren Blick wert wären. Ziel
könnte hierbei sein den wissenschaftlichen Austausch noch zu verstärken. Ein weiterer Schritt könnte
vielleicht ein Kongress sein, welcher dann Ausgangspunkt für weitere Projekte wäre. Wie auch immer es
letztlich kommen mag, die Debatte zu einer europäischen Medienethik ist gegenwärtig lebendig und
ihre Bedeutung nimmt kontinuierlich zu.
VII. Literatur
Blum, Roger. Ein europäisches Modell für die Struktur der Ethikinstitutionen? in: Zeitschrift für
Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 76-82.
Funiok, Rüdiger. Entwicklung der Medienethik im deutschen Sprachraum. in: Zeitschrift für
Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 54-61.
Prinzing. Marlis. Harte Grenzen. Warum gegenwärtig mit einer europäischen Professionsethik im
Journalismus nicht zu rechnen ist. in: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster,
Hamburg, London: Lit.-Verlag, 2007. S. 14-20.
Weber, Karsten. Plädoyer für eine unlimitierte Meinungsfreiheit als Grundlage einer europäischen
Medienethik. in: Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik. Münster, Hamburg, London:
Lit.-Verlag, 2007. S. 35-39.