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KULTURÜBERBLICK EDITORIAL Austrian Hospice Nr. 7 · März 2011 V nern sich an die beiden treuen Hospiz- Hunde aus der Ära der Ehrwürdigen Schwes- tern aus Vöcklabruck. Am 9. Februar fanden zwei Pilgerinnen aus Niederösterreich einen kleinen Hundewelpen unterhalb der Pater Noster Kirche auf dem Ölberg, zitternd und frierend im Straßengraben. Die beiden Tier- freunde Maria Jedlicka und Margarethe Kosik erbarmten sich der Kleinen und nahmen sie mit ins Hospiz in der Hoffnung, dass wir Rat wüssten. Insbesondere Hunde sind in der arabischen Welt keine allzu große Selbstverständlichkeit. Schwester Bernadette und ich überlegten hin und her, her und hin; im Grunde hatten wir beide sehr schnell geahnt: Hier wurde uns eine Entschei- dung abgenommen, ob wir wieder einen Hund im Haus haben wollten. Hier war er plötzlich und sollte nicht mehr weggeschickt werden! Noch am selben Abend such- ten wir nach einem passenden Namen für unseren Zuwachs: Das Internet bietet erstaunlich lange Listen mit Hundena- men. Lesen, blättern, stöbern, ausprobieren, besprechen, ver- werfen – es dauerte eine Weile bis mein Blick auf „Tiarael. Verwunderlich; sollte der Ver fasser um die kirchliche Bedeutung dieses Wortes wissen? Wahrscheinlicher ist eine An- lehnung an das italienische „Chiara“, das sich auch in der Liste fand. In der katholi- schen Welt aber bezeichnet Tiara die seit Paul VI. nicht mehr verwendete dreifache Krone des Papstes, die sich im Wappen des Hl. Vaters angedeutet ndet. Tiara brauchte einige Zeit, um sich an ihr neues Zuhause zu gewöhnen; anfangs wollte sie sich kaum streicheln las- sen und wich verängstigt zu- rück. Der Schock ihrer ersten Lebenswochen sitzt tief; Tiara braucht viel Zuwendung – und sie schenkt uns Momente der Freude und Überraschung. Sie ist bereits jetzt – ganz im Hospiz-Sinne – eine kleine Brücken bauerin“: Sie lechzt nach Streicheleinheiten und effnet so ganz unkompliziert das Gespräch mit unseren Gästen. Das „Brückenbauenhat sie wohl von ihrem Namens-Schirmherren, dem Pontifex Maximus. Rektor Markus St. Bugnyar Verehrte Freunde des Österreichischen Hospizes! Tiara mit zwei ihrer Paten Johannes Paul II. bekam diese Tiara 1981 vom ungarischen Volk geschenkt; getragen hat er sie nie Tiara – mittlerweile hat sie ihre Ängstlichkeit verloren 24. und 27. März 2011 Marcus G. Patka, Österreichische Freimaurer im National- sozialismus. Treue und Verrat. Buchpräsentation an der Hebrew University und im Österreichischen Hospiz 25. April 2011 Ithay Khen – Faszination Cello Ein Programm mit Werken für Cello Solo durch die Jahrhunderte. J.S. Bach, Paganini, Piatti, Z. Kodály 14. Mai 2011 New Baroque Ensemble 6. Juni 2011 In Kooperation mit der Oper Tel Aviv: Meeting Cleopatra – Arias by Händel, Mattheson and Hasse Baroque Trio (directed by Eithan Schmeisser) English Baroque – works by Dowland, Purcell and Händel

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K U L T U R Ü B E R B L I C K E D I T O R I A L

Austrian Hospice

Nr. 7 · März 2011

V nern sich an die beiden treuen Hospiz-Hunde aus der Ära der Ehrwürdigen Schwes-tern aus Vöcklabruck. Am 9. Februar fanden zwei Pilgerinnen aus Niederösterreich einen kleinen Hundewelpen unterhalb der Pater Noster Kirche auf dem Ölberg, zitternd und frierend im Straßengraben. Die beiden Tier-freunde Maria Jedlicka und Margarethe Kosik erbarmten sich der Kleinen und nahmen sie mit ins Hospiz in der Hoffnung, dass wir Rat wüssten.Insbesondere Hunde sind in der arabischen Welt keine allzu große Selbstverständlichkeit. Schwester Bernadette und ichüberlegten hin und her, her und hin; im Grunde hattenwir beide sehr schnell geahnt:Hier wurde uns eine Entschei-dung abgenommen, ob wir wieder einen Hund im Haushaben wollten. Hier war er plötzlich und sollte nicht mehr weggeschickt werden!Noch am selben Abend such-ten wir nach einem passendenNamen für unseren Zuwachs:Das Internet bietet erstaunlich lange Listen mit Hundena-men. Lesen, blättern, stöbern,ausprobieren, besprechen, ver-werfen – es dauerte eine Weilebis mein Blick auf „Tiara“ fi el. Verwunderlich; sollte der Ver fasser um die kirchliche Bedeutung dieses Wortes wissen? Wahrscheinlicher ist eine An-lehnung an das italienische „Chiara“, das sich auch in der Liste fand. In der katholi-

schen Welt aber bezeichnet Tiara die seit Paul VI. nicht mehr verwendete dreifacheKrone des Papstes, die sich im Wappen des

Hl. Vaters angedeutet fi ndet.Tiara brauchte einige Zeit,um sich an ihr neues Zuhausezu gewöhnen; anfangs wolltesie sich kaum streicheln las-sen und wich verängstigt zu-rück. Der Schock ihrer erstenLebenswochen sitzt tief; Tiarabraucht viel Zuwendung – und sie schenkt uns Momente der Freude und Über raschung. Sie ist bereits jetzt – ganz imHospiz-Sinne – eine kleine„Brü cken bauerin“: Sie lechzt nach Streicheleinheiten und eröffnet so ganz unkompliziert das Gespräch mit unserenGästen. Das „Brückenbauen“ hat sie wohl von ihrem Namens-Schirmherren, dem

Pontifex Maximus.

Rektor Markus St. Bugnyar

Verehrte Freunde des Österreichischen Hospizes!

Tiara mit zwei ihrer Paten

Johannes Paul II. bekam

diese Tiara 1981 vom

ungarischen Volk geschenkt;

getragen hat er sie nie

Tiara – mittlerweile hat sie

ihre Ä ngstlichkeit verloren

24. und 27. März 2011Marcus G. Patka, Österreichische Freimaurer im National-sozialismus. Treue und Verrat.Buchpräsentation an der Hebrew University und im Österreichischen Hospiz

25. April 2011Ithay Khen – Faszination CelloEin Programm mit Werken für Cello Solo durch die Jahrhunderte. J.S. Bach, Paganini, Piatti,Z. Kodály

14. Mai 2011New Baroque Ensemble

6. Juni 2011In Kooperation mit der Oper Tel Aviv: Meeting Cleopatra – Arias by Händel, Mattheson and Hasse Baroque Trio (directed by Eithan Schmeisser)English Baroque – works by Dowland, Purcell and Händel

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Zum Gebet vereintEnas Massalha und Yael Karethvon Pamela Hickman

E nas Massalah wurde in Israel geboren und absolvierte die Aka-

demie für Musik und Tanz in Jerusa-lem. Sie arbeitete bereits mit der Berli-ner Staatsoper Unter den Linden, mit arabischen Musikern sang sie in der Carnegie Hall in New York. Zu ihren aktuellen CD-Einspielungen gehören u.a. Aharon Harlap’s Psalmen.

Die in Jerusalem geborene Yael Kareth studierte an der Universität Tel Aviv und in London. Nach ihrem Umzug nach Berlin arbeitete sie mit Daniel Barenboim und Dimitry Bashkirov.

Enas Massalhas Gedanken kreis-ten lange um ein maßgebendes The-ma für ihr neues Konzertprogramm. Für sie sind Gebete Stimmungen, persönliche Emotionen, eine Weise mit sich selbst zu kommunizieren; ein spiritueller Weg, Menschen ver-schiedener Provenienz zu verbinden. Weniger bekannte Stücke sollten andiesem Abend erklingen; sie alle be-rühren verschiedenste Aspekte des Lebens: Freude, Stolz, Heirat, Krank-heit, Tod.

Zu Beginn rezitierte Massalha Ge-bete in Arabisch, Englisch und Heb-

räisch. Das musikalische Programm wurde mit „Prayer“ des schwedi-schen Kom po nist en Gunnar de Fru-merie (1908–1987) eröffnet. „Quia respexit“ aus J.S. Bachs „Magnifi cat“ (c. 1731) – die Demut seines Dienst-mädchens diente ihm zum Vorbild – kennzeichnet eine durchdringende Melodie in Moll ebenso wie prägnan-te Abwärtssprünge: Die Mensch-lichkeit der Jung frau Maria sollte zur Darstellung gelangen.

Dagegen war Massalhas Interpre-tation von Gabriel Faures „En Priere“ (Im Gebet) (1890) intim und subtil.

Die muslimische israelisch-arabische Sopranistin Enas Massalha präsentierte gemeinsam mit der jüdisch-israelischen Pianistin Yael Kareth am 26. Dezember 2010 ihr Programm: „SING EIN GEBET FÜR MICH“.

K U N S T & K U L T U R

News

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Maurice Ravels „Kaddish“ (eigent-lich der Gebetstext „Chatzi Kaddish“),komponiert 1914, beinhaltet traditi-onelle jüdische Gebetsrituale und andere liturgische Themen.

Opus 8 war die zweite Lieder-sammlung von Sergei Rachmaninoff. In „Prayer“ (1893), dem letzten Stückdes Satzes, das einen Text Goethes verwendet, bittet ein junges Mädchen um Vergebung für die Abweisung derLiebe eines würdigen jungen Mannes,der später stirbt.

Johannes Brahms bezeichnet seinedrei Intermezzi opus 117, späte Kom-positionen des Jahres 1892, als „Wie-genlieder meiner Sorgen“ (seine Schwester Elise und ein guter Freund starben in diesem Jahr). Die Inspira-tion für dieses Stück kam von einem schottischen Gedicht in Herders „Volks-lieder“.

Zur Welt der Oper: Mit der Klage der Gräfi n Almaviva über die Treue-losigkeit ihres Ehemannes eröffnet „Porgi amor“ den zweiten Akt von W.A. Mozarts „Die Hochzeit des Fi-garo“ (1786). Massalha überzeugt bei ihrer wehmütigen Darbietung der Arie in der Verzweifl ung der Gräfi n. Das „Ave Maria“ von Giuseppe Ver-dis „Otello“ (1887), gesungen von Desdemona in ihrem letzten Stun-den, ist ein Gebet für Friede in einerchaotisch gewordenen Welt ihres ei-fersüchtigen Liebhabers Otello.

Herzschmerz und Tragödie wer-den hinweggeschwemmt mit Samuel Barbers skurrilem „The Monk and his Cat: Pangur, White Pangur“ aus „Hermit Songs“ opus 29 no. 8 (1953)zu den Worten von W.H. Auden. Diese heiteren, entspannten Lieder

vergleichen das tägliche Leben, die Sichtweisen und Freuden der beiden.

Nouhad Wadi Haddad ist besser bekannt als Fairouz (geb. 1935); einelibanesische Sängerin und eine der be-kanntesten Künstlerinnen arabischerMusik. „Ya Maryam“, ein strophischesWeihnachtslied aus Fairouzs Werken beschreibt Marias Schönheit und Grö-ße und behauptet, dass ihr Licht hel-ler scheint als Sonne und Mond.

Wir hörten abschließend ein Ar-rangement dreier Spirituals. Die Kla-vierbegleitung von „Sometimes I feel Like a Motherless Child“ mit seinengeschmackvollen, gereiften Bluesak-korden, gefolgt von einer exorbitantenDarbietung von „Ride On, King Jesus“lässt Massalha in ihre hohe Tonlage schweben mit Leichtigkeit, Kraft undfeiner Ausdrucksweise. Bei „He‘s Got The Whole World in His Hand“ ani-mierte sie das Publikum mitzusingen.

Beendet wurde das Konzert mit einem ruhigen Stück von Hugo Wolf, „Gebet“ (1888) mit einem Text von Eduard Mörike.

‚Sende was du willst, mein Herr,Mägen es Liebe oder Sorgen sein,Ich bin willens beidesaus deinen lieben Händen zu em pfangen …‘

Enas Massalha und Yael Kareth präsentierten eine wundervollen und ab wechslungsreichen musikalischenAbend, reich an Ideen und Stilrich-tungen, an einem Ort, der bekannt istfür seine vielen Ausstellungen und mu-sikalischen Ereignisse, für sein Inter-esse am Dialog von Kulturen und Re-ligionen, dem Österreichischen Hospiz.

Enas Massalha

und Yael Kareth

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G E S C H I C H T E

NewsArchäologische Rettungsgrabungvon Shua Kisilevitz

J erusalem, auch heute eine konti-nuierlich wachsende Metropole,

wird seit über 5000 Jahren besiedelt. Schicht auf Schicht türmt sich einemassive Ansammlung archäologischerÜberreste menschlicher Aktivitäten. Die Israelische Antiquitätenverwal-tung bewahrt diese archäo logischen Stätten und ihr Erbe; dazu zählt ebenso, die ständigen Bauprojekte und Baustellen in der Stadt kontinu-ierlich zu überprüfen. Wenn archäo-logische Reste gefunden werden, wird umgehend eine Not- bzw. Ret-tungsgrabung anberaumt, an deren Ende die Fundstücke recherchiert, gesichert oder abgedeckt werden. Beigrößeren Funden müssen weitere Ausgrabungsschritte überlegt werden.

Kürzlich hat das Österreichische Hospiz damit begonnen, die nordöst-liche Außenmauer des Areals, die teil-weise 2003 eingestürzt ist, zu sanieren. Während dieser Arbeit wurden archäo-logische Überreste gefunden. In Folge dessen wurde eine Ausgrabung mit einer Fläche von 85 Quadratmetern und fast 4 Metern Tiefe begonnen. Dabei wurden Relikte eines frühosmanischen Gebäudes gefunden und ein großer, gut erhaltener, mittelalterlich gewölbter Raum. Eine beeindruckende Ansam-mlung von im 14. und 15. Jahrhundert importiertem Geschirr (Bruchstücke von Schüsseln aus Italien und dem Fernen Osten) weist darauf hin, dass das Ge-biet die wohlhabende Ober schicht der damaligen Zeit beheimatet hat.

Shua Kisilevitz

im Torbogen

osmanischer Zeit

Eindeutig sind die

einzelnen Schichten

zu unterscheiden

Die strategische Position des Öster-reichischen Hospizes an der Kreuzung der römisch-byzantinischen Haupt-straße (der östliche Cardo von Jeru-salem) und der Via Dolorosa – west-lich des Ecce Homo Triumphbogens (errichtet zu Ehren Kaiser Hadrians bei seinem Besuch im Jahr 135) –weist darauf hin, dass wichtige, wenn nicht sogar monumentale Überreste aus diesen Zeiten auf diesem Areal freigelegt werden müssen.

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G E S C H I C H T E

News

nis, ein paar Kilometer östlich der Hafenstadt Haifa. Eingesperrt im ge-rade einmal ein Dutzend Jahre alten Judenstaat.

Gabriel Bach ist da 34 Jahre alt. Seit einigen Jahren arbeitet er für die israelische Staatsanwaltschaft. Nun soll er helfen, Adolf Eichmann vor Gericht zu stellen.

Anfang April 2011 ist es fünfzig Jahre her, dass die israelische Staats-anwaltschaft Adolf Eichmann vor ein Bezirksgericht in Jerusalem stellte. 15 Anklagepunkte, rund 1.500 Doku-mente, am Ende wartete der Strick. Tag für Tag sahen Millionen Men-schen auf der ganzen Welt die bis zu einstündigen Fernsehübertragungen aus dem Gerichtssaal, lauschten mit Transistorradios auf der Straße. Es war eines der ersten globalen Medie-nereignisse der Weltgeschichte.

Noch heute erkennen ihn seine Landsleute. Bach war jahrelang obers-

ter Richter Israels und vertrat seinLand vor den Vereinten Nationen.

Im Prozess wurde die fast wissen-schaftliche Art gezeigt, in der die Na-zis die Menschen damals in die Irregeführt hatten. Begonnen wird mit den Dokumenten und Berichten ausaller Welt, die Bach mit den runddreißig ermittelnden Polizisten zu-sammengetragen hatte. Am Ende werden gut einhundert Zeugen vor-geladen. Prozesstag für Prozesstag melden sich neue Menschen, die nureines wollen: endlich darüber spre-chen, was damals in den Konzentrati-onslagern von Auschwitz, Bergen-Belsen und Majdanek passiert ist.

Bachs zweieinhalb Jahre alte Toch-ter fragt ihn: Papa, was hat dieser Mann gegen uns? Der Vater weiß kei-ne Antwort.

„Wir bekamen einmal eine Liste. Auf ihr standen Nummern, die man den Häftlingen im polnischen Konzen-trationslager Auschwitz bei ihrer An-

Es ist Ende Mai 1960, Gabriel Bach dreht den Kopf zur Tür,

durch die gerade Adolf Eichmann tritt – Obersturmbannführer der Schutz-staffel (SS) im nationalsozialistischen Deutschland. Unter seiner Aufsicht wurden mehr als sechs Millionen Menschen erschossen, vergast, erhängt oder auf andere Weise ermordet. DasZiel: Alle Juden vom Erdboden zu tilgen.

Jetzt sitzt dieser Adolf Eichmann gegenüber von Gabriel Bach, dem Juden. In einem israelischen Gefäng-

Er forderte den Galgen, nicht mehr und nicht weniger: Vor fünfzig Jahren klagte Gabriel Bach in Israel den SS-Mann Adolf Eichmann an. Dass er damit ein ganzes Land verändern würde, konnte er damals nur erahnen.

Im Namen des Volkesvon Christoph Zotter

Prozessakten

Der Eichmann-Prozess.

Der junge Staatsanwalt Gabriel Bach

im Vordergrund

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G E S C H I C H T E

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Impressum:Rektor Markus St. Bugnyar,Österreichisches Hospiz zur Heiligen Familie(Austrian Hospice)Via Dolorosa 37 · P.O.B. 19600 · 91194 Jerusalem · IsraelKonto: Bankhaus Schelhammer & SchatteraBLZ 19190 · Konto 100150127Für Spenden zur Renovierung des Hauses bitte als „Spende“deklarieren; für soziale und caritative Zwecke im Land bitteals „Stipendium“ bezeichnen. Vielen Dank!

kunft in den Arm tätowierte, eine ArtBuchführung. Nur, dass es kein offi -zielles Dokument war, kein Stempel, gar nichts. Als Beweis war dieses Pa-pier unbrauchbar. Ich hatte eineIdee: Wenn wir die Nummern auf den Armen von Überlebenden mit der Liste vergleichen, könnten wir sieals Beweismittel heranziehen. Da steht auf einmal einer der Polizeikom-missare auf, krempelt sich den Ärmelhoch und sagt: ‚Hier ist meine Num-mer.‘ Sie stand auf der Liste. In dernächsten Minuten hat keiner ein Wortherausgebracht.“

Gabriel Bach wird 1927 in Hal-berstadt geboren. Vater Victor ist ei-ner der führenden Aktivisten des Zi-onismus im Land. Zwei Wochen vor der „Reichskristallnacht“ fl üchtet die Familie in Richtung Niederlande. Alsdie deutsche Wehrmacht ein paar Jahre später auch dort einfällt, sitztGabriel Bach schon auf dem Schiff

„Patria“, das in Palästina vor Anker gehen soll. Warum es dieses Israel gibt, habe er erst so richtig verstan-den, als Adolf Eichmann den Ge-richtssaal betrat.

Nach knapp vier Monaten Ver-handlung wird Adolf Eichmann im Winter 1961 zum „Tod durch den Strang“ verurteilt. Am 1. Juni des folgenden Jahres wird er im nahe Tel Aviv gelegenen Ramla gehängt. Bis heute ist er der einzige Mensch, der inIsrael mit dem Tod bestraft wurde.

In den vorangegangenen Monaten des Prozesses zählt Gabriel Bach nochFakten auf, während die Mitarbeiterder Verteidigung in den Nebenraumlaufen und dort in Tränen ausbre-chen. Nur einmal verschlägt es ihm dieStimme. Ein Mann im Zeugenstand er-zählt, wie er im Vernichtungs lager Auschwitz-Birkenau von seiner zwei-jährigen Tochter getrennt wurde. Sie trug einen roten Mantel. „Meine ganze

Familie war ein kleiner roter Punkt, der langsam aus meinem Leben ver-schwand“, sagt der Mann. Bach starrtwortlos geradeaus. Die Kameras zoo-men auf sein Gesicht. Drei Minuten lang sagt er nichts. Er denkt an seine eigene Tochter. Erst vor zwei Wochenhat er ihr einen roten Mantel gekauft.

Die ungekürzte Version dieses Artikels

ist im österreichischen Monatsmagazin

„DATUM – Seiten der Zeit“ erschienen.

Gabriel Bach heute in seinem

Jerusalemer Domizil