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Beraten Frauen Anders / ProFamilia-Themenheft1988

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Beratungscouch mit lila DeckeSie verstehen doch, was ichz meineWenn Maenner Frauen beratenFrauen sind auch und besonders'Weibliche Verhaltensweisen' - in dersozialen Arbeit unverzichtbarWir bleiben doch auch als Aerztinnen FrauenZaubern statt ZaudernDen eigenen Koerper nicht an andere abgebenFaehrte MannEs war einmalAngst vor der SchuldBuchbesprechungen

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Mar/Juni D[/ 6 50

3/BBs 4483 F

profamilia magazin

-�wfuwffitrWffisefu€€fuffiffiffi x Kerm*exe Wrmex&el nxlders?

Inhalt,,8eratungscouch" mit lila Decke?

,,Sie verstehen doch, was ich meine!?"

Wenn Männer Frauen beraten

Frauen sind oder auch besonders

..Weibliche Verhaltensweisen" - in der

sozialen Arbeit unverzichtbar

,,Wir bleiben doch auch

Zatbern statt Zaudern

als Arztinnen Frauen"

Den eigenen Körper

Die Fährte..Mann"

nicht an andere abgeben

Es war einmal . . .

Angst vor der Schuld

Buchbesprechungen

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Probleme und Chancen demographischer Entwicklung

in der dritten Welt

Lebensbegriff und Tötungsvorwurf

Termine - Kurz berichtet

Pro Familia InformationenKommentar: Mitglieder -wer braucht die denn?

Pro Familia Vertriebsgesellschaft: Auswahl der Produkte -

Pro Familia-Yertriebsgesellschaft eröffnet Geschäftsräume -

Elektronische Fertilitätskontrolle

Anna Luise Prager zum Geburtstag

Adressen der Landesverbände

Impressum

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Zu diesem Heft..Konflikte werden uns erst bewußt, wenn wir uns leisten können,

sie zu bewältigen. Unsere Lage als Frau sehen wir differenzierter,seitdem wir die Gelegenheit haben, sie zu verändern. Wir befindenuns alle auf unerforschtem Gebiet und sind uns noch weitgehendselbst überlassen. Wir suchen nach neuen Lebensweisen, im Priva-ten und in der Gesellschaft."

Als die DDR-schriftstellerin Maxie Wander in ihrem Vorwort zu

,,Guten Morgen, Du Schöne" (1980) diese Zeilen schrieb, hattenauch die Frauen hierzulande begonnen, nach neuen Lebensweisenzu suchen, hatten sie Fragen an ihre Geschichte, an ihre Identität

und an Wege zur Umgestaltung der unterdrückenden gesellschaftli-chen Verhältnisse gestellt. So entstanden an den Hochschulen Frau-enseminare, Frauenringvorlesungen, Frauenforschungsprojekte..Aus der Gesundheits- und Selbsthilfebewegung gingen Frauenge-sundheitszentren, Selbsterfahrungsgruppen und feministischeTherapiekonzepte hervor. Der Kampf gegen den $ 218 StGB wurdevon der Gründung autonomer Beratungsstellen begleitet. In vielenGroßstädten richteten Gruppen der Frauenbewegung Bildungs- undInformationszentren von Frauen für Frauen ein.

Die breite Diskussion über den ,,weiblichen Lebenszusammen-hang" - diesen Begriff prägte damals Ulrike Prokop - wirkte sich un-gemein stärkend auf die Frauen aus. Immer lö-sten die Emanzipa-tionsbestrebungen aber auch Verunsicherung' Angste, Gefühle von

Verlust und Überforderung aus. Beide Seiten sind bis heute wirk-sam und spürbar.

Anders als unter Gewerkschafterinnen, Parteifrauen und der1979 gegründeten Demokratischen Fraueninitiative waren sich dieautonomen Frauen weithin darin einig, daß es in erster Linie das Pa-

triarchat ist, dessen Institutionen, Normen und spezifische Formender Arbeitsteilung Frauen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung be-vormunden, beschränken, beschneiden. Und diese Sicht - das zei-gen auch die Beiträge von Cora S. Rohlf-Grimm und Joan Murphyin diesem Heft - ging in zahlreiche feministische Selbsthilfeprojekteund Beratungsansätze ein. Programmatisch wird 1986 auch von derArbeitsgruppe ,,Frauen in der psychosozialen Versorgung" inner-halb der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT)

e.V. erklärt: ,,Frauenprobleme sind alters- uind schichtabhängig.Dennoch lassen sich für alle Frauen gleichartige Erfahrungen von

Unterdrückung und Diskriminierung feststellen, die psychische Stö-rungen hervorrufen können. Die Sozialisation, der Mädchen in un-serer Gesellschaft unterworfen sind, verhindert nachweislich eine

Entwicklung zur psychisch stabilen, autonomen Frau."So zutreffend diese These in ihrer Allgemeinheit gewiß ist und so

nutzbringend sie sich in Beratungen und Therapien bisher aus-

wirkte, so sehr brachte sie doch zugleich die Gefahr mit sich, dieRolle der Frau im Geschlechterstreit auf die des Opfers zu verengen'Als handelnde, Verantwortung tragende und auf ihre Art selbstauch aggressive Person gerät die Frau schnell aus dem Blick. AllesZerstörerische, Lärmende, Diktierende, Brutale, so scheint es' pro-

duzieren stets nur Männer.Die .,Fährte ,Mann"', so Karin Windaus-Walser, erweist sich

nachgerade als fatal, wenn es um die Aufarbeitung etwa einer kindli-

chen Mißhandlung oder gescheiterten Ehe, um die Ursachen von

Partnerkonflikten oder sexuelle Störungen im Rahmen von Bera-tungs- und Therapiegesprächen geht. Die Solidarisierung nämlichmit der Klientin hält die weiblichen Anteile an jeder schmerzhaftverlaufenen Beziehungsgeschichte verdeckt und blockiert so eine

kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht. Die

,,Fährte ,Mann"' greift ferner auch dort zukuz, wo Frauen - wennauch völlig zurecht - ihre mangelhaften Zutrittsmöglichkeiten zuqualifizierten beruflichen Positionen etwa in Krankenhäusern und

Kliniken beklagen. Einerseits wird ihnen zwat det Aufstieg zur

Chefärztin, die Teilhabe an medizinischer Grundlagenforschungund die Mitwirkung in vermeintlichen Männerdisziplinen, wozu üb-

rigens besonders auch die Gynäkologie gehört, erschwert. Anderer-seits bevorzugen viele Frauen von sich aus immer wieder solche Tä-tigkeitsfelder, die als typisch weibliche Domänen im psychosozialen

Dienstleistungssektor gelten. Mit einzelnen Aspekten dieses Wider-spruchskomplexes beschäftigen sich Annegret Klevenow, Brigitte

Gregor und Susanne Zeller.Beraten Frauen anders? Zu dieser Frage ließen sich mannigfaltige

Überlegungen anstellen - freilich mehr als in diesem Heft. Dennochhoffen wir, mit den vorgestellten Positionen, Spekulationen, Ein-

drücken und Erfahrungen wichtige Anstöße zur weiteren Reflexionzu geben.

Das ..Schwanenmädchen" auf dem Titel, eine Lithographie des

holländischen Malers Jan Toorop (1358-1929), regt vielleicht dazu

an, Frauen vermehrt in ihrem aktiven und gestalterischen Schaffenzu begreifen, statt sie immer wieder nur, wie auch das ,,Schwanen-mädchen" suggeriert, als einfühlsame und auf sich selbst bezogeneWesen zu sehen. Kristine von Soden

pro familia magazin tr Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

,,Beratungscouch" mit lila Decke?Kuschelige Frauennischen, windgeschützt vor dem unberechenbaren Patriarchat. Genau

das will die Autorin dieses Beitrapes nicht.

Brigitte Gregor

Beraten Frauen anders?Natürlich, möchte ich sagen - sage es auch

-, aber wie soll ich das erklären? Ich habedie Ankündigung des Themasimpro familiamagazin 1/88 gelesen - und seltsamerweisegeht es mir nicht mehr aus dem Kopf.

Ich formuliere eine klare Antwort undweiß nicht warum?

Natürlich bin ich kein Neutrum - sonderneine Frau - bin auch in den Beratungen alsFrau anwesend.

Aber wie sieht es mit meinen männlichenAnteilen aus?

Die lasse ich doch nicht etwa außen vor?Habe ich sie nicht in jahrelanger Fortbil-dung, Selbsterfahrung, Therapie und Super-vision kennengelernt - und habe ich nichtauch gelernt, diese bei mir zuzulassen und zuintegrieren ?

Natürlich habe ich mich auch mit demZattberwort,,androgyn"

.auseinanderge-

setzt; mich mit der Frage beschäftigt, obnicht der ,,wahre" Mensch androgyn seinsollte (womit auch der Geschlechterkriegbeendet werden könnte). Es versteht sichvon selbst, daß dann auch die Beratungen,,androgyn" durchgeführt werden könnten.Männliche und weibliche Anteile kämengleichermaßen zu ihrem Recht (wie es' jabeispielsweise auch in der Paarberatung oft-mals praktiziert wird: ein männlicher Bera-ter und eine weibliche Beraterin, oder ein/e..androgyne( r)"?).

Natürlich schicken mir männliche Kolle-gen oftmals Frauen, insbesondere, wenn esw Frauenthemen geht:

Sexuelle Gewalt, sexueller Kindesmiß-brauch, sexuelle Störungen, Menstruations-probleme, Abtreibung und Vergewaltigung;oftmals mit dem Hinweis: ..da kann fraudoch von Frau zu Frau . . "

Natürlich entsteht da bei mir manchmalOeiEilOtuct, ,,da möchten sich die HerrenKollegen nicht schmutzig machen - mit denblutigen Themen nichts zu tun haben wol-len", und natürlich will Frau sich auch liebervon Frau beraten lassen. ,,Ich bin ja so froh,daß Sie eine Frau sind, mit meinem Arzt undmeinem Mann kann ich da gar nicht richtigdarüber sprechen." Also bitte keine weite-ren Anmaßungen.

Ich mache Beratungen von Frau zu Frau,von Frau zu Mann, von Frau zu Paar, vonFrau zu Lesbe, von Frau zu Schwul, von

Frau zu Transsexuell, also weiblich zu weib-lich, weiblich zu männlich.

Natürlich merke ich manchmal, daß ichmeine Weiblichkeit zurücknehme und in derSupervision wieder heraushole.

Frage: Geht das überhaupt? Wie macheich das?

Ist meine Beratungsarbeit am Ende weib-lich? Selbst die Armut ist weiblich. Noch im-mer beschäftigen wir Frauen uns nicht ingleichem Maße wie die Männer mit Compu-tern, Politik, Forschung; besetzen noch im-mer nicht paritätisch Führungs- und Lei-tungspositionen. Statt dessen sitzen wir inden Beratungsstellen, Institutionen undFrauenläden und -häusern, hören zu,bera-ten, kümmern uns um innerfamiliäre Be-lange; denn da kennen wir uns ja ars. Zie-hr wir uns noch auf den fürsorgenden undheifenden Part zurück, weil bequem und si-cher?

Natürlich frage ich auch eine Kollegin:Beraten Frauen anders? Sie stutzt, schnalztmit der Ztnge, verdreht die Augen und sagtnach einer Minute:

Natürlich - und spricht von einer Frauen-domäne.

Natürlich - historisch bedingt und damitauch belegbar, die Frauen sind im Bera-tungsbereich überrepräsentiert. Da würdeich gerne eine Statistik haben, auch sehenwollen, hat sich etwas verändert, was dieStellenbesetzungen betrifft.

Natürlich auch sehen wollen, wievieleMänner und wieviele Frauen von der Bera-tungserwerbsarbeit leben, wieviele es nebenFamilie und Hausarbeit tun, zwecks Sinner-füllung in ihrem Leben oder um die Haus-haltskasse aufzubessern, oder,,ehrenamt-lich" arbeiten.

Da könnte man natürlich spekulieren, wiediese Statistik aussehen könnte.

Natürlich fange ich an, über ,,weiblicheArbeitsformen" nachzudenken und ziehefür mich, in meinem stillen Kämmerlein,eine Art Bilanz. Beleuchte meine Beschäfti-gungsverhältnisse und untersuche die Häu-figkeit sowie Entwicklung meiner Zusam-menarbeit mit männlichen und weiblichenKollegen.

Meine eigene Entwicklung: von der Ju-gend- und Erwachsenenbildung zur *218-Arbeit, Frauenselbsterfahrungsgruppenund Beratungen; bis hin zur freiberuflichenBeratungstätigkeit.

Fazitl. der Anteil der männlichen Kolle-

gen hat immer mehr abgenommen, der An-teil von weiblichen Ratsuchenden, Klientin-nen hat immer mehr zugenommen. Wenwundert's? Meine Themenschwerpunktewurden eben immer weiblicher. Habe ichmir das so eingerichtet?

Natürlich, aber ich befinde mich dochauch innerhalb eines ganz bestimmten ge-sellschaftlichen Kontextes, der mir in mei-ner Rolle und meinen Fähigkeiten auch be-stimmte Themenstellungen anpreist.

Natürlich bin ich doch auch seit ungefährfünfzehn Jahren sehr frauenbewegt undmöchte mich und andere Frauen darin un-terstützen, etwas für die Gleichstellung vonFrau und Mann zu tun.

Natürlich sind auch die Gleichstellungs-beauftragten weiblich.

Jetzt nähere ich mich lanssam meinerAntwort.

Natürlich beraten Frauen anders, und siesollen und müssen es doch auch, geht esschließlich und endlich um Defizite, die auf-gedeck t , au fgeho l t werden müssen.

Natürlich sehe ich auch die Gefahren, ichkann mich gut zurückziehen auf die kusche-ligen Frauentage, gemütlichen Frauen-forumsrunden und meine,,Beratungs-couch" mit einer lila Decke verschönern,aber das will ich nicht.

Wenn Frauen und Männer unterschied-lich beraten, dann sollten wir diese Unter-schiedlichkeiten analysieren, und natürlichfür unsere Arbeit nützlich machen.

Es bleibt noch anzumerken:Natürlich - wünsche ich mir auch männli-

che Klienten, die die Pille vergessen habenoder sich vielleicht über ihre Doppelbela-stung Beruf/Haushalt mal aussprechen wol-len.

Schwangerer Mann - was nun?!

Brigitte Gregor, 32Jahre, Dipl. Soz.-päd.,8jährige Tätigkeit ProFamilia - Beratungs-stelle Schwelm, freibe-rufliche Tätigkeit in ei-gener Praxis.

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,,Sie verstehen doch, was ich meine!?"

Die ,,Frauenberatungsstelle" e. V. in Hamburg-Uhlenhorst ßt ein in Eigeninitiative entstan-denes Beratungs- und Therapieprojekt, das ausschlielSlich von Frauen gemacht und fürFrauen gedacht ist. Cora S. Rohlf-Grimrn, eine der fünf dort tötigen Diplom-Psychologinnen,beschreibt ihre Arbeit.

Cora S. Rohlf-Grimm

Leise erzählt Frau M. von ihrem Leid. Dieperlonbestrumpften Beine gekonnt überein-andergeschlagen versucht sie, möglichst we-nig Platz auf ihrem Sessel einzunehmen.Wie ungewohnt, daß ihr jemand so lange zu-hört! Frau M., Anfang 50, hat über ihreTochter von uns erfahren, die schon längereZeit in Einzeltherapie bei meiner Kolleginist. Erst habe sie ja gedacht, sie sei zu alt fürsowas, aber dann sind die Sorgen so groß ge-worden, daß sie schließlich doch zum Tele-fonhörer gegriffen hat. Jetzt sitzt sie mir ge-genüber. Frau M. weiß gar nicht, wo sie an-fangen soll. 20 Jahre Ehe, eine Tochter,zwei Söhne, ein Ehemann, der sie in dem ei-nen Satz seelisch mißhandelt und im näch-sten eigentlich ganz nett ist. Vor einem Jahrhat sie einen anderen kennengelernt, mitdessen Unterstützung sie den Absprung ge-schafft hat. Inzwischen lebt sie mit den min-derjährigen Söhnen in einer eigenen Woh-nung, die Scheidung läuft; danach will sie ih-ren neuen Freund heiraten - oder dochnicht?

Frau M. erzählt von ihren Zweifeln, ihrenSchuldgefühlen und den psychosomatischenBeschwerden. Soll sie nicht doch lieber zudem Ehemann zurückgehen? Wahrschein-lich war alles nur ihre eigene Schuld. Viel-leicht, wenn sie sich einfach etwas mehr zu-sammenreißt und nicht mehr so empfindlichist, vielleicht geht er dann auch anders mitihr um. ,,Ich hab solche Angst, einen Fehlerzu machen!" sagt sie, während ein selbstkri-

tischer Blick ihren Nagellack begutachtet.

,,Sie verstehen doch, was ich meine!?"Ja, ich verstehe! Schließlich gehöre auch

ich dem Geschlecht an. dem die Selbstzwei-fel, das Mißtrauen in die eigenen Fähigkei-ten und das typisch weibliche angeknacksteSelbstbewußtsein in die Wiege gelegt wur-den. Das alte China machte keinen Hehldaraus: Den Mädchen wurden die Füße ein-gebunden, damit sie sich nicht frei entfaltenkonnten - der Westen hat saubere Metho-den: Statt der Füße wird das Bewußtseineingebunden, auch heute noch. Die Ebe-nen, auf denen dies geschieht, sind viel-schichtig und die Prozesse subtil. Zugrundeliegt eine gesellschaftlich verankerte Frau-enverachtung, die mit frauenfeindlicherSprache beginnt und mit Vergewaltigungund Pornographie noch längst nicht aufhört.

Frauenunterdrückung -Aus gan gs p unkt feminis tis cherBeratungsarbeit

Seit Beginn der Neuen Frauenbewegungbelegt eine wahre Flut von Literatur, daßwir nicht als Mädchen geboren, sonderndazu gemacht werden. Sensibilität, Abhän-gigkeit und Passivität sind keine Anhängselbestimmter Chromosomen, sondern Ergeb-nis weiblicher Sozialisation, deren verhäng-nisvollster Aspekt wohl darin besteht, denMädchen den Aufbau einer eigenständigen,unabhängigen Identität zu verwehren. Eineentscheidende Rolle in diesem Drama soielt

die Mutter, die hier allerdings nicht persön-lich zur Rechenschaft gezogen werden soll,sondern vielmehr als verlängerter Arm desPatriarchats zu verstehen ist. Mütter fungie-ren als Medien einer patriarchalen Frauen-verachtung, deren Kern dem weiblichenSäugling schon im frühesten Alter auf sub-tile Weise eingepflanzt wird. Der Ausgangs-punkt ist eine in ihrem tiefsten Innern identi-tätslose Mutter, d.h. eine Frau, die von ih-ren ureigenen Stärken, Bedürfnissen undPotentialen abgeschnitten ist und stattdes-sen nach äußeren Richtlinien lebt, deren,,innen" und ,,außen" also nicht identischsind.

Wie es zt dieser Identitätslosigkeitkommt, möchte ich an Frau M.'s Tochter er-läutern.

Von der Mutter lernt sie, sich die Weltnicht direkt zu erobern, sondern den Um-weg über andere Menschen zu nehmen. Sielernt, den Zugangzu ihren eigenen Quellenzu verschütten und die Fühler nach außenauszustrecken. Sie lernt, sich über die Bezie-hung zu anderen Menschen zu definieren.Die Folgen sind ein tiefsitzendes Gefühl vonMinderwertigkeit und der ewigwährendeVersuch, sich über die Bedeutung für an-dere Menschen aufzuwerten. Erschwerendhinzu kommt die Identifizierung der Muttermit ihrer Tochter. Vom ersten Atemzug ansieht sie im weiblichen Säugling eine ArtAbziehbild ihrer Selbst, eine Miniaturaus-gabe der eigenen Person. Diese Identifizie-rung hat zwei zunächst paradox erschei-nende Folgen; Ztm einen ist die Mutterständig darum bemüht, ihr kleines Abbild(und dadurch sich selbst) zurechtzurückenund zu vervollkommnen? um die eigeneMinderwertigkeit zu überdecken - zum an-deren, und dadurch wird das Dilemma der

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pro farnilia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

Tochter perfekt, darf sich der Sproß nicht zuweit von seinem Ursprung entfernen, son-dern muß in der Symbiose bleiben. Der Be-griff,,Symbiose" soll in diesem Zusammen-hang übrigen_s nicht zu der Annahme verlei-ten, daß es sich bei der Mutter-Tochter-Bin-dung unbedingt um ein körperlich nahesVerhältnis handelt. Im Gegenteil: Es gibtwissenschaftliche Untersuchungen, dienachweisen, daß Mütter im Durchschnittmehr Körperkontakt zu männlichen Säug-lingen aufnehmen als zu den weiblichen. Be-wußt oder unbewußt werden die zaghaftenIndividuationsversuche des Mädchens un-terbunden, denn eine autonome selbstbe-wußte Tochter wäre zu bedrohlich für dieidentitätslose Mutter und würde ständig anden eigenen Mangel erinnern. So irrt dieTochter zwischen den widersprüchlichenBotschaften ,,Du bist nicht gut genug!" und..Du darfst es nicht anders machen als ich!"hin und her und entwickelt dabei die er-staunliche Gabe, es der geliebten Personselbst in einem so aussichtslosen Fall wiediesem double-bind rechtzumachen. DieTochter lernt darüber hinaus in der Sym-biose das, was sie später zu einer ,,richtigen"Frau macht. Dadas eigene Glück eng mitdem der Mutter verwoben ist, entwickelt sieals erstes jene seismographischen Außenan-tennen, die ihr genauen Bericht über denGefühlszustand der Mutter (und später an-derer Menschen) erstatten. Fällt dieser Be-richt negativ aus, so ist es natürlich Töchter-chens Schuld undanderZeiL sich etwas ein-fallen zu lassen, was dieses beruhigende Lä-cheln zurück auf Mutters Gesicht zaubernkönnte. Hier wird der Grundstein dafür ge-legt, was wir im Positiven als weibliches Ein-fühlungsvermögen kennen und was im Ne-gativen den Aufbau einer eigenständigen in-nengeleiteten Identität verhindert.

Auch Frau M.'s Tochter ist, wie ihre Mut-ter, durch diese Schule gegangen und hat da-bei einige gängige Symptome weiblicher So-zialisation entwickelt. Was sie zur,,Frauenberatungsstelle "

gebracht hat, sindtiefsitzende Zweifelan ihrem persönli-chen Wert, überhöhteAnsprüche an sich

selbst, um dieses ,,Manko" auszugleichen,und schließlich eine Tendenz, sich durch denVersuch einer Aufuertung über andereMenschen in diesen zu verlieren. Die Spu-ren des weiblichen Lernprogrammes sindzwar nicht mehr ganz so tief in ihre Seele ein-gegraben wie indie der Mutter - ein Erfolgder allgemeinen Emanzipationsbestrebun-gen in den letzten Jahrzehnten. Doch wirdes wohl noch eine Weile dauern, bis all dieErkenntnisse über weibliche Sozialisationtatsächlich zu veränderten Entwicklungsbe-dingungen für Mädchen führen.

Hinter alldem stecken gesellschaftlicheInteressen. Identitätslose Frauen sind dieSäulen des Patriarchats. Bei uns muß keineinziger Frauenfuß eingebunden werden.Selbstzweifel, Schuldgefühle und andereselbstzerstörerische Mechanismen sorgen..von innen" dafür. daß Frauen in den für sievorgesehenen Bahnen bleiben. Und, nochschlimmer: Die Frauen sorgen selbst dafür;nicht selten sind sie Komplizinnen der eige-nen Unterdrückung. Neue Wege sind ris-kant und fordern Verantwortung - alte sindso schön bequem und wohlvertraut. Allzuoft fällt eine Entscheidung an dieser Kreu-zung zugunsten des Altbekannten aus, auchwenn dies Unzufriedenheit, Leid, sogar De-pression mit sich bringt. Zu groß scheint dieAngst davor, Verantwortung für sich zuübernehmen und Regisseurin des eigenenLebens zu werden, anstatt sich weiterhin alsMarionette von fremden Händen bewegenzu lassen. Es ist zu einfach zu sasen. daß

Frauen nur Opfer ihrer Sozialisation sind -sie arbeiten oft Hand in Hand mit ihren Un-terdrückern. Und es ist auch zu einfach zttsagen, daß sie halt anfangen müssen, ihreUnabhängigkeit zu leben - die Fallen funk-tionieren subtiler, ihre Netzte sind auf denverschiedensten psychischen Ebenen ausge-legt. Frau M. ist ein Beispiel hierfür. Wieviele Frauen bekommt sie es bei der Aus-sicht auf ein selbstbestimmtes Leben mit derAngst zu tun. Unabhängigkeit, so ist ihr undallen Geschlechtsgenossinnen eingeimpftworden, geht immer auf Kosten der Verbun-denheit mit anderen Menschen, also des Le-bensglücks schlechthin. So ,,kippt" sie lieberzurück in Selbstverkleinerungstendenzen,entwickelt Schuldgefühle statt Aggressio-nen und meint. noch nicht alles Menschen-mögliche versucht zu haben, das berühmteLächeln diesmal auf des Ehemannes (undnicht der Mutter) Gesicht zu zaubern. So-lange diese Mechanismen greifen, brauchensich weder Herr M. noch das Patriarchat zusorgen.

Zur Arbeit der Hamburger ,,Frauenberatungsstelle" e.V.

Diese selbstzerstörerischen Mechanismen zu stoppen, den Aufbau einergesunden Beziehung zu sich selbst zu fördern und dadurch verschütteteKräfte zu wecken sind die erklärten Ziele der Frauenberatungsstelle e. V..Wir fünf Besründerinnen dieser Einrichtuns haben uns während unseres

pro familia magazin n Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

Psychologie-Studiums an der UniversitätHamburg kennengelernt, uns schwerpunkt-mäßig mit Frauenproblemen beschäftigtund Diplomarbeiten über frauenspezifischeThemen verfaßt. Schon vor Abschluß desStudiums haben wir erste Schritte unter-nommen. Konsequenzen aus unseren Er-kenntnissen zu ziehen. Wir gründeten denVerein ,,Frauenberatungsstelle", in dem wirnach dem Examen auch praktisch arbeitenwollten. Am 1. April 1985 war es dann so-weit: Wir eröffneten die inzwischen ange-mieteten Räume in Hamburg-Uhlenhorst.Gleich in die erste Beratung kamen mehrereFrauen aus dem Stadtteil. Dieser Faden istbis heute nicht abgerissen; unsere drei psy-chologischen Beratungstermine pro Wochesind meist gut besucht: durchschnittlichsiebzig Frauen und ein ständig klingelndesTelefon. Die Palette reicht von der Fragenach einer guten Frauenärztin bis zum Auf-rollen einer ganzen Lebensgeschichte. Siereicht von der vereinzelten Hausfrau, dieeinfach Kontakt zu anderen Frauen sucht bishin zuder attraktiven Büroangestellten, diesich im Gespräch als Selbstmordkandidatinentpuppt. Sie reicht von der 17-jährigenSchülerin bis zur 86-jährigen Großmutterund von der ungelernten Aushilfskraft biszur gut verdienenden Akademikerin. VonAnfang an war es unser Bestreben, dieserbreitgefächerten Nachfrage ein möglichstvielfältiges Angebot entgegenzusetzen: Psy-chologische Beratung (zweimal im Monatfür lesbische Frauen), offene Nachmittagezum Kennenlernen und Klönen,Yoga- undT'ai Chi-Kurse, Vermittlung und Unterstüt-zung von Selbsthilfegruppen. Frauen, dieüber längere Zeit psychologische Begleitungsuchen, können bei uns in Einzel- oderGruppentherapie gehen. Zusätzlich zu lun-serem Psychologie-Studium haben wir hier-für Ausbildungen in Gestalt- oder Körper-therapie absolviert und uns in anderen Psy-chotherapieformen fortgebildet. Für dietherapeutischen Angebote verlangen wireine nach dem Einkommen sestaffelte Be-

zahlung, womit ein heikles Thema ange-schnitten ist: die Finanzierung. Nach an-fänglichen tiefen Griffen in die eigene Ta-sche, die nötig waren, um unsere Utopie ausdem Boden zu stampfen, genießen wir zurZeit staatliche Unterstützung durch einigeABM-Stellen, die es uns ermöglichen, un-sere therapeutischen Angebote auch für so-zial Schwächere zugänglich zu machen - einallerdings trügerisches Zwischenhoch, dennwenn die Maßnahmen im nächsten Jahr aus-laufen, werden wir vor die allesamt unschö-nen Alternativen gestellt, die Beratungs-stelle zuschließen, auf Sterntaler zu wartenoder unser soziales Engagement zugunsteneines Gemeinschaftspraxischarakters inclu-sive entsprechender Preiserhöhungen auf-zugeben. Die einzige Lösung wären festeStellen, um die wir uns seit Bestehen unsererEinrichtung bemühen - bisher erfolglos.

Im Mittelpunkt:G es cheiterte Lö sungsv er s ucheunertr öglich gew or denerLebenssituationen

,,Wozu aber bloß diese ständige Abgren-zung von den Männern?" mag sich die bishierher vorgedrungene Leserschaft langsamfragen, ,,Ist Beratung oder Therapie ,vonFrauen für Frauen' denn wirklich andersoder sogar qualitativ besser?". Als Antwortauf diese Fragen möchte ich beschreiben,was die Arbeit von Frauenberatungs- undTherapieprojekten, die wie unseres aus derautonomen Frauenbewegung entstandensind, so speziell macht. Es ist genau jenerpolitische Hintergrund, dem sie entspringt,dieses Wissen um eine patriarchale Frauen-verachtung, die sich im Innern jeder Frauwiderspiegelt und als Selbstzweifel, Depres-sion oder psychosomatische Erkrankung ih-ren Weg nach außen sucht. FeministischeBeratung und Therapie tut psychische Pro-bleme von Frauen nicht als individuelle..Macken" ab. sondern betrachtet sie auf

dem Hintergrund weiblicher Sozialisationund den Lebensbedingungen von Frauen ineiner patriarchalen Gesellschaft. In her-kömmlicher Beratung wird einem gesell-schaftlichen Zusammenhang mit den Pro-blemen von Frauen kaum Rechnung getra-gen; kaum ein Therapieansatz berücksich-tigt die besondere Lage von Frauen. Femini-stische Beratung und Therapie reduziertpsychische Probleme und ihre körperlichenAquivalente nicht auf persönliches Versa-gen, sondern sieht sie als gescheiterte Lö-sungsversuche unerträglich gewordener Le-benssituationen. Eßsucht z. B. wird auf die-sem Hintergrund zu einer Verweigerung dertraditionellen Frauenrolle, Depression zueiner nach innen gekehrten Auflehnung ge-gen krankmachende Lebensumstände. DieKunst besteht darin, einen Blick für all diefeinen Auswirkungen der weiblichen Sozia-lisation zu entwickeln und darüber hinausdie konkreten Lebensbedingungen vonFrauen in dieser Gesellschaft im Auge zu ha-ben. Als Frauen, die ja mit ersterem selbstaufgewachsen und mit dem zweiten tagtäg-lich konfrontiert sind, bringen wir für beideFähigkeiten gute Voraussetzungen mit. Vormittlerweile zehn Jahren haben konse-quente Vorreiterinnen diesen Gedanken zuEnde gedacht und die ersten bundesdeut-schen Therapieprojektä ,,von und fürFrauen" aufgebaut. Inzwischen gibt es in al-len größeren Städten der BRD mindestensein Frauentherapieprojekt. Alljährlich wer-den auf dem mehrtägigen Frauentherapie-kongreß Erfahrungen ausgetauscht, Fragenaufgeworfen und das Modell einer Femini-stischen Therapie weiterentwickelt. Was Fe-ministische Therapie von anderen psycho-therapeutischen Ansätzen unterscheidet,sind nicht so sehr die Methoden - sie inte-griert die für Frauen brauchbaren Bestand-teile aus herkömmlichen Richtungen wieetwa der Gestalttherapie - sondern ihreZiele: Als ein entscheidendes möchte ichhier formulieren. daß Frauen den Zusam-menhang von verinnerlichter Frauenverach-

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pro familia magazin n Sexualpädagogik und Familienplanung 3/8E

Gruppenbild mit Palme

tung, von Angst, Depression und Selbst-zweifeln und einer real existierenden Re-pression von außen entdecken und die Un-terstützung der eigenen Unterdrückung be-enden. Es geht darum, das gegen die eigenePerson gewandte Auflehnungspotential indie Veränderung der Lebensumstände um-zuleiten. Oder, um auf Frau M. zurückzu-kommen, den selbstkritischen Blick auf den

eigenen Nagellack in ein angstfreiesSchauen in die selbstgestaltete Zuk:unft zuverwandeln. Was Frau M. auf dem Weg vomeinen zum anderen braucht, ist eine Beglei-tung, die die zahlreichen Irrwege, Sackgas-sen und hauchdünn gespannten Fallstrickeauf dem Pfad aus eigener Erfahrung kennt.

Sie verstehen doch. was ich meine!?

Cora S. Rohlf-Grimm, 29 Jahre, Di-plom-Psychologin,

Psychotherapeutin,

Mitbegründerin undMitarbeiterin der

,,Frauenberatungs-ste l le" e.V. in Ham-burg.

AdressenNachfolgend einige Adressen vonFrauengesundheitszentren (FFZG),Frauen-Therapiezentren und ähn-lichen Einrichtungen (nicht vollstän-dig):

O Feministisches Frauen-GesundheitsZentntm e.V., Bamberger Str. 51,l Berlin 30, Tel. 03012139597.

O Frauenselbsthilfeladen ..im L3.Mond", Hagelbergstr. 52, 1 Berlin 6I,'1e1.03017 864047 .

O Frauengesundheitszentrum, Graf-Waldersee-Str. 40, 2800 Bremen, Tel.042U443540.

O Frauengesundheitsladen e.V., Prin-zenstr. 20a, 3400 Göttingen.

O Frauengesundheitsladen.,,Haga-zussa", Zülpicherstr. 177, 5000 Köln41, Tel. 02211427176.

O Frauenselbsthilfeladen, Marktstr.27, 2000 Hamburg 6, Tel. 0401439 5389.

O FFGZ Nürnberg, Fürther Str. 154,Hinterhaus, 8500 Nürnberg 80, Tel.09ru328262.

O Frauengesundheitszentrum e.V.,Schwarze Bärenstr. L, 8400 Regens-burg, Tel. 0941154376.

O Frauengesundheitszentrum Mün-chen. Güllstr. 3/I. 8000 München 2.

O FFGZ Stuttgart e.V., Kernerstr. 31,7000 Stuttgart, T el. 07 tt 129 6492.

O Frauengesundheitsgruppe, Gnei-senaustr. 18,23 Kiel.

a FFGZ e.V., Dortmunder Str. 11,4400 Münster.

O FFGZ Frankfurt, Hamburger Allee45, 6 Frankfurt/M., Tel. 0691439 5389.

a PSIFF (Psychosoziale Initiative fürFrauen e.V.), Horstweg2T, I Berlin19, Tel. 03018542434.

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Wenn Männer Frauen beraten

In derProFamilia-Beratungsstelle Bielefeld sindneben elf festangestellten Mitarbeiterinnen(Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen) such vier Männer als Berater tötig - darun-

ter Detlef Kunert und Rtidiger Stephan-Gerson. Sie schildern im folgenden Gespräch einige

ihrer Erfahrungen und Umgangsweisen in der Beratung von Frauen.

pro familia magazin: Sie gehören zu denwenigen Männern, die bei Pro FamiliaFrauen beraten. Was hat Sie zu dieser Tätis-keit motiviert?

Detlef Kunert: Die ausschlaggebendeMotivation liegt für mich jetzt ca. 18 Jahrezurück und ist begründet durch die eigeneErfahrung einer ungewollten Schwanger-schaft bei meiner damaligen Freundin. Wirwandtgn uns damals, d. h. 1970, an eine ProFamilia Beratungsstelle, ohne dort aller-dings für uns sinnvolle Hilfe zuerhalten.

Die gesamte Abtreibungssituation warderzeit ja wesentlich anders als heute, so daßwir eine Reise nach England unternehmenmußten, für die wir sehr viel Geld zahlten.Die gesamten Bedingungen für einenSchwangerschaftsabbruch waren für unsbeide damals sehr schwierig und unange-nehm. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich

mich dann auch während meines Studiumsintensiv mit Fragen der Sexualität, desSchwangerschaftsabbruchs und seinerDurchführungsmöglichkeiten beschäftigt.Etwa 1973 nahm ich dann Kontakt zu ProFamilia auf, wurde Mitglied im Verbandund hatte t976 im Zrge der Reform des

$218 die Möglichkeit, eine Stelle in der ProFamilia Beratungsstelle zu bekommen. ImVerlauf meiner beratenden Tätigkeit wurdemir dann allerdings sehr schnell deutlich,daß ich mit dem Rüstzeug meines Studiumsvon Soziologie und Pädagogik in keinerWeise für beraterische Tätigkeiten befähigtwar, und ich entschloß mich, die Z]u'satzar.J.s-bildung als Ehe- und Sexualberater, wie sievon Pro Familia angeboten wurde, zu ma-chen.

Rüdiger Stephan-Gerson: Es gibt fürmich einen persönlichen und einen berufli-chen Aspekt. ln der Zeit von 1972 bis 1978habe ich in einer WG gelebt und war dortauch mit Fragestellungen von Sexualität undPartnerschaft sowohl in bezug auf meine ei-gene Sexualität und Partnerschaft als auchallgemein gesellschaftlich konfrontiert undhabe mich dort auch sehr mit den Männernund Frauen auseinandergesetzt und ausein-ander setzen müssen. Das hat mich moti-viert, diese Fragestellungen auch in meinem

Psychologiestudium aufzugreifen und michauf den Bereich der praxisorientiertenSchwerpunktausbildung in Münster, hierden Bereich Sexualtherapie und Partner-schaftstherapie, einzulassen und den Tätig-keitsbereich Beratung und Therapie zu wäh-len. Während des Studiums habe ich dannversucht, einen Praktikumsplatz in diesemBereich zu bekommen und da war es nahe-liegend, mich an die Pro Familiazuwenden.Das war vor 12 Jahren.

p.fm: Beratung von Frauen zu Fragen derSexualität im weitesten Sinne hat auch immermit männlicher Dominanz zu tun. Wie wirddieses Problem in Beratungsgespröchen the-matisiert oder reflektiert? Wie gehen Sieselbst damit um?

Rüdiger Stephan-Gerson: Ich kann dieseFrage so erst einmal nicht stehen lassen undmerke, daß ich sie umformulieren möchte.Beratung von Frauen durch Männer hatnichts unmittelbar mit männlicher Domi-rarz zrr tun. Ich denke. daß in unserer Ge-sellschaft Sexualität immer etwas mit männ-licher Dominarz ztr tln hat. Und wenn esum Sexualität geht im Sinne von Rollenver-halten zwischen Männern und Frauen, dannspielt Dominanz sicherlich eine große Rolle.Hierbei muß Dominanz nicht unbedingt im-mer auf der männlichen Seite vorherrschen.Es gibt genügend Partnerschaften, wo dieDominanz bei der Frau liegt. Ich selber spre-che solche Themen auch beim Rollenverhal-ten bei Männern an. Problematisiert wirddiese Situation in Beratungsgesprächenschon allein dadurch, daß vor dem Gesprächabgeklärt wird, ob die Konstellation FrauMann, also Ratsuchende und Berater, indieser Situation akzeptiert wird von der be-treffenden Ratsuchenden. Ich selbst kann,wenn die betreffende Frau sich darauf ein-läßt, ganz gut damit umgehen. Unsicher binich nur dann, wenn ich merke, daß die Tat-sache, daß der Frau ein Mann gegenüber-sitzt, zur Irritation führt. Das nehme ichdann meist zum Anlaß, über die SituationMann/Frau zu sprechen.

'Detlef Kunert: Für mich ist die Beantwor-tung dieser Frage eigentlich recht schwierig.

Beratungssituationen, und zwar gleichgül-tig, ob es sich dabei um die Beratung einerFrau oder die eines Mannes handelt, sindfürmich insofern immer von einem Ungleichge-wicht geprägt, als die Kommunikation in derBeratungssituation nie gleich ist im Sinne ei-ner Reziprozität.

Diese Ungleichgewichtigkeit von Kom-munikation in Beratungen kann verstärktwerden, wenn die Ratsuchende eine Frau,der Berater ein Mann ist. Ungleichgewich-tigkeit tritt häufig dann auf, wenn ich männ-lich orientiertes Sprachverhalten an den Taglege, ohne die hierin liegenden Machtver-hältnisse zu reflektieren und in den Bera-tungsprozeß thematisch einzubeziehen. DieProblematik des geschlechtsspezifischenUngleichgewichtes zwischen Mann undFrau liegt für mich weniger in der Mann/Frau Konstellation selbst begründet. alsvielmehr in der Verleugnung und Nichtbe-achtung dieses Ungleichgewichtes in derkonkreten Beratungssituation.

Ebenso kann es für mich schwierig undbelastend sein, wenn die Klientin ihre nega-tiven sexuellen Erfahrungen mit und Verlet-zungen durch Männer auf mich projiziert.Ich merke dann, wie auf der emotionalenEbene bei mir Schuldgefühle und die Ab-wehr dieser Gefühle. aber auch Arger. Mit-gefühl oder Unverständnis angesprochenwerden. In diesen Situationen versuche ich,die bei mir ausgelösten gefühlsmäßigen Re-aktionen selbst wieder als eine Art Katalysa-tor zu verwenden und sie, soweit es mir mQglich ist und ich es in der konkreten Situätionfür geboten halte, thematisch in den Bera-tungsprozeß mit einzubeziehen.

Wichtig ist für mich in diesem.Zusammen-hang, daß ich jederzeit die Möglichkeithabe, die aus dieser Konstellation entste-henden Probleme innerhalb meines Teamsund innerhalb der Superversion zu bespre-chen und zu bearbeiten. Die zweite Ebeneist die, daß ich im Erstgespräch mit einerKlientin unter anderem auch frage, ob siesich vorstellen kann, eine Beratung oderTherapie mit mir als Mann durchzuführenoder ob sie lieber mit einer Frau arbeitenmöchte. Voraussetzung hierfür ist aller-dings, das wir in Bielefeld eine strukturelleSituation geschaffen haben, die die poten-tielle Wahl der Klientin zwischen männli-chem Berater oder weiblicher Beraterin ge-stattet.

pro fantilia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

pfm: Gibt es Eindrücke, Erfahrungen odervielleicht sogür Auswertungen darüber, wieratsuchende Frauen Beratung durch Sie emp-

finden und beurteilen, positiv wie negativ?

Detlef Kunert: Auf diese Frage kann ichkeine allgemeinverbindliche Antwort ge-ben. Ich will aber versuchen, einige unter-schiedliche Reaktionen aufzuzeigen. Ich er-lebe es häufiger, daß Frauen, wenn ich sie zueinem Erstgespräch in mein Zimmer bitte,in der einen oder anderen Weise erstauntdarauf reagieren, daß sie das Gespräch mitmir als Mann führen. Ich spreche dann un-mittelbar die Frauen auf ihr Erstaunen undihre Reaktion an, frage sie, was es für sie be-deutet, mit mir als Mann zu arbeiten, undmache ihre unmittelbare Situation zumThema. Obwohl ich ihnen auf Grund derBesetzung in unserer Beratungsstelle eineWahl zwischen Beraterin und Berater frei-stellen kann, mache ich aber doch immerwieder die Erfahrung, daß sich in den mei-sten Fällen die Frauen auf das Erstgesprächmit mir als Mann einlassen und daß es ex-trem selten ist, daß im Anschluß an dieseGespräche die Frauen den Wunsch äußern,die Beratung mit einer Kollegin fortzufüh-ren. Ich erlebe aber auch immer wieder, daßmanche Frauen den Berater einer Beraterinvorziehen. Sie geben dann häufig an, daß siesich bei einem Berater besser ,aufgehobenund verstanden' fühlen. Wenn es um eineSexualberatung geht, scheint mir in der Ab-lehnung einer Beraterin durch die Klientinauch die Angst in bezug auf die eigenen les-bischen Anteile eine Rolle zu spielen. DieseAngst kommt bei mir als Berater natürlichnicht zum Tragen. Ebenso spielt auch dasbewußte oder unbewußte Vermeiden vonKonkurrenzsituationen zwischen Beraterinund Klientin eine Rolle für die Wahl einesmännlichen Beraters.

In den Gesprächen zum 5218 StGB ist esgar nicht so selten, daß sich Frauen positivdarüber äußern, mir als Mann gegenüber zusitzen, da sie sich nicht vorstellen können,daß ihr Entschluß zum Schwangerschaftsab-bruch von einer anderen Frau akzeptiertwerden könnte. Gesellschaft l ich vermittelteSchuldgefühle sind dann anscheinend beimir als Mann geringer, als wenn die Klientineiner Frau gegenübersäße. Häufig äußernFrauen am Schluß eines Gespräches ihreÜberraschung, daß sie vor dem Gesprächnicht geglaubt hätten, ihr Anliegen, ihreProbleme mit mir als Mann besprechen zukönnen, sowie sie es dann tatsächlich getanhaben. In den 12 Jahren meiner Tätigkeitbei d,er Pro Familia inBielefeld habe ich erstvier oder fünf Gesprächssituationen erlebt,in denen eine Frau sich nach dem Gesprächmit mir entschieden hat, bei einer Kolleginvon mir eine Beratuns fortzuführen.

Rüdiger Stephan-Gerson: SystematischeAuswertungen zu den Erfahrungen habenwir nicht in unserer Beratungsstelle erho-ben. Es gibt Eindrücke und Tendenzeulndem Bereich der sozialen Beratung ist dasaus meiner Erfahrung ziemlich unproblema-tisch. Ich selbst habe im Bereich der S218-Pflichtberatung einige Male erlebt, daßFrauen überrascht waren, dort auf mich alsMann zu treffen. Wenn ich diese Überra-schung merke, spreche ist sie direkt an.Ahntlctr wie Detlef Kunert kann ich sagen,daß eine Frau sich auch bei mir konkret ent-scheiden kann, ob sie von mir oder von einerKollegin beraten werden will. Dies ge-schieht aber relativ selten. Die Fälle kannich wirklich an einer Hand abzählen. ZlBe-ginn meiner Beratungs- und Therapietätig-keit habe ich eigentlich häufiger erwartet,daß Frauen daran Anstoß nehmen, von ei-nem Mann beraten zu werden. und dies the-matisieren. In allgemeinen Gesprächen mitKolleginnen ist uns von diesen schon Kritikan der Beratungsarbeit zugetragen worden,daß eben allgemein kritisiert wird, daß dieBeratungstätigkeit und speziell die $ 218-Be-ratungen von Männern gemacht werden hierin unserer Beratungsstelle. Direkt, das heißtvon den Frauen selbst, ist es nur in wenigenFällen thematisiert worden. Positiv sindmeine Erfahrungen dann, wenn sich eineFrau auf ein Beratungsgespräch einlassenkann, wenn es über das Sprechen von undmit einem Partner geht und der erste Ver-such auch mit einem Berater sich ganz er-folgreich anläßt.

pfm: Welchen besonderen Zugang im Un-terschied zu einer Beraterin haben Sie zuFrauen? Löl3t sich dieser an einem konkretenB eisp iel v er ans chaulichen?

Rüdiger Stephan-Gerson: Ich denke mal,daß ich keinen besonderen Zlugang zuFrauen habe. Ich nehme die Fragestellungder Ratsuchenden und des Ratsuchendengleich ernst und wichtig. Die Tatsache, daich als Mann meine Sexualität erlebe, emp-finde ich bei der Arbeit nicht als hinderlich.

Detlef Kunert: Ich denke, was für mich alsMann in der Beratungssituation sehr wichtigist, ist, daß ich davon ausgehe, daß Frauen inihren Erfahrungen und in ihren Phantasienin bezug auf Männer ein konkretes, meistnegativ geprägtes Bild haben. Was ich ihnenals männlicher Berater vermitteln kann,sind Verhaltensweisen wie zuhören können,aussprechen lassen können, zurückhaltendsein und nicht unmittelbar auf Außerungenzu reagieren. Es ist mir sehr wichtig, denFrauen zu vermitteln, daß ich sie als Personso akzeptiere, wie sie zu mir kommen unddaß ich ihre Schwierigkeiten und Probleme,deretwegen sie ja die Beratungsstelle aufsu-

chen, durchaus als etwas Sinnvolles im psy-chodynamischen Sinne ansehe. Ich versuchemit ihnen gemeinsam den Sinngehalt derProblemsituation, vor allem dann, wenn esum sexuelle Schwierigkeiten geht, nr ent-schlüsseln. Des weiteren unterstütze ich dieKlientin dabei, sich ihrer eigenen Stärkengewahr zu werden und diese für sich - unddas heißt in der Praxis oft, gegen ihren Mannoder Freund - auszugestalten und weiterzu-entwickeln. Insofern denke ich, daß ichmich in der Tat von den (Ehe-)Männern die-ser Frauen, wie sie sie tagtäglich erleben,unterscheide, und in diesem Unterschiedsehe ich erst die Voraussetzung für Verän-derungen.

Diese Erfahrungen kann eine Klientin tat-sächlich nur mit einem männlichen Beratermachen. Bei Beraterinnen werden auch inder Phantasie von Seiten der Klientin an-dere Voraussetzungen antizipiert. Das heißtnicht, daß sie besser oder schlechter sind,sondern daß sie schlichtweg anders sind.

pfm: |2L8-Beratung ist sicher ein zuge-spitzter Fall von Beratung. Wie würden Siehier lhre Rolle definieren oder kennzeich-nen?

Detlef Kunert: Die $ 218-Beratung ist fürmich keine Beratung im oben genanntenSinne, weil alle wesentlichen Grundmerk-male von Beratung fehlen, so z. B. die Frei-willigkeit, in die Beratungssituation zu kom-men. Die Frauen sind auf Grund der gesetz-lichen Lage gezwungen, sich von mir bera-ten zu lassen. Zum Teil ist es so, daß der Be-ratungsinhalt vorgeschrieben ist. Daherhandelt es sich bei der $218 Zwangsbera-tung um ein völlig gesondertes Gebiet, fürdas man sinniger Weise den Begriff ,,Bera-tung" überhaupt nicht verwenden sollte.Meine Rolle sehe ich hier, den Frauen dienotwendigen Informationen und die Be-scheinigung über die erfolgte soziale Bera-tung zu geben und ihr trotz dieser erzwunge-nen Kommunikationssituation meinerseitsein Angebot zum Gespräch zu machen,wenn sie dies will und sofern sie dieswünscht. Ansonsten ist für mich allergrößteZurückhaltung geboten, d. h. für mich aberauch, daß ich auf der anderen Seite dieZwangssituation zur Beratung beim $218nicht für politische Agitationen nutze. Dieshat in der Beratung, denke ich, nun einmalnichts zu suchen, sondern muß an anderenStellen geführt werden.

Rüdiger Stephan-Gerson: Ich stimmeDetlef Kunert in der Einschätzung der $ 218Pflichtberatung zu. Sie ist eine Zwangsbera-tung, und daher kann man sie gar nicht echteBeratung nennen. Ich versuche in dieser Si-tuation möglichst sensibel zu sein für dieFrauen und ihnen dadurch, daß ich ihnen als

familia ! Sexua und Familie

Mann gegenübersitze, die Situation nicht zuerschweren. In diesen Beratungen wieder-hole ich auch erneut das Angebot, sich voneiner Kollegin beraten zu lassen. Aber nurverhältnismäßig wenig Frauen machen da-von Gebrauch. Außerungen von den betrof-fenen Frauen, wie, mein Frauenarzt ist einMann, sie sind auch ein Mann, und der Arzt,der den Abbruch durchführt, ist auch einMann, sind für mich nicht gerade ermuti-gend.

Mit Detlef Kunert und Rüdiger Stephan-Gerson sprach für die Redaktion des pro fa-milia magazin' Kristine von Soden.

Detlef Kunert (links), 37 Jahre, Studium derSoziologie und Pädagogik, Ausbildung zum Ehe-und Sexualberater, seit 1976 Mitarbeiter der ProFami l ia-Beratungsstel le Bie lefe ld. Betr iebsob-mann.

Rüdiger Stephan-Gerson, 41 Jahre, Dimplom-Psychologe mit dem Schwerpunkt Sexualbera-tung, Mitarbeiter der Pro Familla-BeratungsstelleBielefeld von 1978 bis Aoril 1988.

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Frauen sind undoder auch besonders

Ärztinnen, Beraterinnen und Therapeutinnen werden vielfach in Randgebiete abgedrängt.Zusleich suchen sie sich diese Gebiete aber auch selbst aus.

Annegret Klevenow

Sind Frauen andere oder bessere Thera-peutinnen. Beraterinnen. Arztinnen?

Was tun mit dieser Frage, die mich schondeshalb ärgert, weil sie eigentlich falsch ge-stellt und in ihrem Kern frauenfeindlich ist?Oder anders: Es ist eine Männerfrage, undsie impliziert bereits die (Männer-)Antwort:Sie müßte doch eigentlich besser sein - bei-spielsweise im Umgang mit Patienten. Ist siees nicht, so hat sie versagt. Zu,erst muß ichalso das Thema umformulieren. Streichenwir das ,besser'- auf die Gefahr hin, daß dieLeserlnnbn von nun an nicht mehr weiterle-sen, sondern stattdessen weiterblättern.Frauen sind nicht oer se bessere Beraterin-nen oder bessere Arztinneir nur weil sieFrauen s ind, denn Frauen s ind nun mal n ichtgrundsätzlich bessere Menschen als Män-ner. Frauen denken und handeln aber oftanders als Männer; nicht aufgrund einer bio-logischen Andersartigkeit, sondern weil sieandere Lebenszusammenhänge, einen an-deren Erfahrungshintergrund haben alsMänner. Will sagen: Frauen haben die Mög-lichkeit, Probleme anders anzugehen alsMänner.

Ich komme nun also doch zur Fiage: obund wie sind Frauen anders alsMdnner? Ztdiesem Streitpunkt habe ich eine sehr ambivalente Einstellung. Einerseits habe ichschon lange darüber nachgedacht; immernur ansatzweise, was sicher kein Zufall ist.Andererieits drücke ich mich auch immergern vor diesem Gegenstand; denn wer ver-brennt sich schon gern freiwillig die Finger?Und ein wenig geht es mir vielleicht so. wiees Simone de Beauvoir in ihrer Einleitune zu..Das andere Geschlecht" beschreibt: .. lchhabe lange gezögert, ein Buch über die Frauzu schreiben. Das Thema ist ärgerlich. be-sonders für die Frauen; außerdem ist die Sa-che nicht neu". Die Sache ist nicht neu, ge-nau. Was also fällt uns auf, wenn wir die Si-tuation der Frau als Beraterin und als Arztinhistorisch betrachten? Die Heilkunde ist jabekanntermaßen kein neuer Bereich TürFrauen. Frauen waren Heilkundige und Ge-burtshelferinnen (,,Hexen und Hebam-men"), bis ihnen diese Bereiche von Män-nern genommen wurden. Sie durften esnicht mehr sein, als diese Bereiche profes-sionalisiert, institutionalisiert und zur Wis-

senschaft gemacht wurden. Das heißt das,was die Frauen vorher aus ihrem sonstigenLebenszusammenhang heraus betrieben,war für die männlichen Arzte der einzigeoder zumindest der hauptsächliche Lebens-inhalt. Dies mußte Form und Inhalt von Be-ratung und Behandlung verändern. Frauenhatten und haben es schwer, das ihnen ge-nommene Terrain wieder zu betreten. DerZtgang zum Medizinstudium blieb ihnenlange verwehrt, ebenso die Arbeit in Kran.kenhäusern. Die Behandlung von Männerndurch Frauen war ein Tabu. (Ich weiß nicht,ob das heute so sehr viel anders ist.) VieleFrauen machten aus der Not eine Tugend.Sie erwarben ihr medizinisches Wissen au-ßerhalb der medizinischen Fakultäten: inder Praxis, bei ihren Vätern oder Brüdern,bei Kräuterweibern. Ihre Patienten kamenvor allem aus Randgruppen. Oft waren esSlumbewohner, die Armsten der Armen,Prostituierte. Dies bedeutete natürlich vielunentgeltliche Arbeit. Es führt aber auchdazu, daß diese Arztinnen die sozialen Be-dingungen von Gesundheit und Krankheitnatürlich nicht ignofieren konnten. Sie ver-banden also die ärztliche Berufstätigkeit mitdem, was von ihnen als Frauen erwartetwurde - der Fürsorge für die Armen. Eineähnliche - wenn auch zum Teil ihnen aufge-zwutrgene - Lösung für ihre Rollenkonflikte,war auch die Behandlung von Kindern. Diössind nur einige Beispiele für ein Phänomen.das wir auch heute noch kennen: Frauenwerden in Randbereiche abgedrängtl sie su-chen sich diese aber auch aus. Diese Berei-che bedeuten für Frauen Eröffnung neuerMöglichkeiten einerseits und Einschrän-kung auf weibliche Rollenstereotype ande-rerseits. Dies heißt auch, in vielen Berei-chen der Medizin weniger Einfluß zu haben.So kam es zu den Veränderungen in der Ge-burtshilfe in den letzten Jahren mehr aufDruck der Patientinnen als auf Druck der -wenigen - Gynäkologinnen. Die ärztlicheVersorgung von Frauen durch Männer isthäufig, die von Frauen durch Frauen schonviel seltener (siehe Gynäkologie). Noch sel-tener ist die Behandlung von Männerndurch Frauen (siehe Urologie, Andrologie).In der Pädiatrie, einer von Frauen begrün-deten Disziplin, sind Frauen wohlgelitten.Besonders in den operativen Fächern schei-nen Frauen hingegen nicht so sehr er-

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wünscht zu sein. Es drängt sie aber oft auchnicht so sehr dorthin. In diesen Sparten ge-fragte Eigenschaften und Handlungsweisen,wie beispielsweise das Treffen schnellerEntscheidungen, sind dissonant zu weibli-chem Rollenverhalten. Auch wissen wir aussozialwissenschaftlichen Untersuchungen,daß Frauen sich im Umgang mit technischenApparaten oft weniger zutrauen als Män-ner. Sie halten sich oft für technisch unbe-gabt. Ich denke auch, daß Frauen Technik inder Medizin oft anders benutzen als Männeres tun. Frauen begreifen die Medizin im Ge-gensatz zu Männern eher als Sozialwissen-schaft denn als Naturwissenschaft. Sie be-nutzen beispielsweise ein Ultraschallgerätnur als Hilfsmittel. Männliche Arzte dage-gen schieben gewissermaßen den Apparatzwischen sich und die Patientlnnen. DieTechnik hilft ihnen dabei, die Patientlnnenzum Objekt zu machen und sich selbst mehrDistanz zu ihnen zu verschaffen. Die Psy-chiaterin Sabine Wedel berichtet aus ihrerKonsiliartätigkeit, daß Internistinnen sichmehr auf psychosoziale Probleme ihrer Pa-tienten einlassen, während ihre männlichenKollegen sich mehr auf die medizinischeProblematik beschränken und alles andereden Psychiatern oder Psychosomatikernüberlassen. Frauen übernehmen also auchhier oft die Bereiche, die ihnen in Gesell-schaft und Familie zugewiesen werden: Siesind zuständig für das Emotionale, für dieBeziehungsarbeit. Mittlerweile stellen bei-spielsweise Chefärzte in der Gynäkologie,die früher weibliche Bewerber auf Assi-stenzarztstellen mit der Begründung ,,dieGynäkologie ist nichts [ür Frauen" (fraulasse sich diesen Lapsus auf der Zunge zer-gehenl) grundsätzlich ablehnten, ganz gern-.mal eine Frau" ein. Das sieht die weibliche,,Kundschaft" nämlich ganz gern, und beider will Mann ja auch einen guten Eindruckmachen, damit sie nicht woanders hingeht.,,Und außerdem können die Kolleginnensich ja ein bißchen um die psychischen Pro-bleme der Patientinnen kümmern; das kön-nen sie ja ganz gut." Da haben wirs dann.Ansonsten wird uns ja meist nicht so viel zu-getraut. Wir übernehmen also wieder dieMutterrolle. Damit perpetuieren wir natür-lich auch die bisherige Rollenverteilung.

Frauen tun dies aber nicht nur, weil ihnennichts anderes übrigbleibt, sondern auchweil das ihre spezielle Form der Machtaus-übung ist: Die Aneignung des Emotionalenund die Verdrängung der Männer aus die-sem Bereich. Es ist für einen Patienten si-cherlich erheblich schwieriger, sich aus derAbhängigkeit vom Psychotherapeuten zubefreien als aus der vom Somatiker.

Auch innerhalb des Therapiesektors neh-men sich die Frauen der weniger techni-schen Räume an. So finden sich z. B. wenigeFrauen in der Verhaltenstherapie, aber ver-

hältnismäßig viele in der Gesprächspsycho-therapie oder den psychodynamisch orien-tierten Therapien. Dies bedeutet für michnicht nur, daß Frauen sich die Therapiefor-men aussuchen, die am meisten auf die Pa-tientlnnen eingehen; sie suchen sich auchdie am wenigsten zu durchschauenden The-rapien aus. Denn dort ist ihre Macht amgrößten.

Frauen haben möglicherweise ihren Pa-tientlnnen gegenüber ähnliche Omnipo-tenzgefühle wie gegenüber ihren Kindern.Ich habe oben beschrieben. daß Frauen sichoft mehr auf ihre Patientlnnen einlassen,weniger Distanz zu ihnen haben als Männer.Dabei möchte ich nicht so tun, als sei diesunbedingt nur ein Vorteil. Die Distanzschützt ja nicht nur die Therapeutinnen vorden Patientlnnen, sondern auch umgekehrtund verhindert somit zu große gegenseitigeAbhängigkeiten. Nähe und Distanz sind na-türlich auch abhängig von Arbeitsbedingun-gen und Status. Die halbtags arbeitende As-sistenzärztin wird ihre Patientlnnen besserkennen, wird mehr Nähe zu ihnen herstellenkönnen als die auch noch in Lehre und For-schung tätige Chefärztin. Da es die letztereabr, r kaum gibt, sind die Frauen realiter eherfür die Nähe und die Männer eher für die Di-stanz zuständig.

Wird frau Chefärztin, so ist sie oft ein Bei-spiel dafür, daß Frauen eben nicht grund-sätzlich verständnisvoller, einfühlendersind. Frauen erreichen bestimmte expo-nierte Stellungen in der Hierarchie oft nur,

wenn sie männliche Mechanismen, Denk-weisen und Handlungsformen übernehmen.Überanpassung und Identifikation mit demAggressor sind dabei nicht selten. Frauenhaben es nicht nur schwerer auf dem Wegnach oben. Auch wenn sie es geschafft ha-ben, sind sie einem starken Druck ausge-setzt. Von unten wie von oben werden sie oftmißtrauisch beäugt. So fühlen sie sich oftnicht so sicher wie Männer in vergleichbarerPosition und müssen daher ihrerseits mehrKontrolle und Druck ausüben. Aber auchwenn frau nicht ,,Karriere macht", ist siedurch Intra- und Interrollenkonflikte einemständigen Anforderungs- und Überforde-rungsdruck ausgesetzt. Sie soll eine guteArztin und Beraterin und gleichzeitig einegute Mutter und womöglich noch perfekteEhefrau sein. Sie soll ihre Weiblichkeit nichtverleugnen, aber in einem von Männern do-minierten System nicht anecken und mög-lichst wenig auffallen. Sie soll anders seinund darf es andererseits nicht.

Annegret Kleve-now, 35 Jahre, Arztin.

,,W eib liche V erhaltensw eis en"- in der sozialen Arbeit unverzichtbar

Einfühlungsvermögen, Aufopferung und um die Sorgen anderer stets bemüht - das lernen

Frauen in Eltemhaus und Schule. Mtinner müssen, so die Sozialpädagogin Susanne Zeller,

solche,,Basisqualitäten" erst mühsam erwerben.

Susanne Zeller

Es gibt keine eindeutigen Abgrenzungenzwischen dem, was als Beratung und dem,was als Therapie angesehen wird.

Ganz allgemein kann man Beratung undTherapie voneinander differenzieren nachihren jeweiligenZielsetzungen und nach ih-ren unterschiedlichen Intensitätsgraden derBeziehung zwischen den Interaktionspart-nern.

Um diese Interaktionspartner soll es hiergehen, oder besser gesagt, um ganz be-

stimmte Interaktionspartner - die Bera-tungskräfte. Wenn es sich nun bei den Bera-tungskräften um Frauen handelt, sind diesedie ,,besseren" Beratungskräfte? Oder sindunsere sozialpädagogischen, psychologi-schen, therapeutischen Theorie- und Praxis-modelle nicht derart konzipiert, daß es völ-lig gleichgültig ist, ob professionelle Frauenoder Männer die Beratung durchführen? Istes nicht sogar so, daß Berater und Beraterin-nen größten Wert darauf legen, daß nichtdas jeweilige Geschlecht, sondern weitge-hend auch individuelle Eigenheiten undneurotische Dispositionen aus dem Bezie-

prc familia magazin D Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

den die tiefgreifensten Merkmale der Um-welt, mit denen sich Heranwachsende iden-tifizieren müssen. Im Laufe des Sozialisa-tionsprozesses entwickeln sich geschlechts-spezifische Lebensverläufe mit idealtypi-schen Aspekten weiblicher und männlicher,,Normal"-Biographie. Dieser,,weibliche"und,,männliche" Vergesellschaftungspro-zeß von Individuen mündet in der Regel inentsprechende Berufswünsche und Berufs-haltung ein. Insofern - und nur durch unse-ren mehr oder weniger ausgeprägt ge-schlechtsspezifischen Erziehungsprozeß er-klärbar - haben Frauen als Mädchen häufigbesser gelernt oder lernen müssen, Sensibili-tät für andere zu entwickeln. Und nicht im-mer läßt sich diese für den Beratungsberufwesentliche Qualität durch den Erwerb adä-quater Beratungstechniken einfach in derAusbildung nachholen.

Männer in der sozialen Arbeit- heute selb stv erständlich

Männliche Kollegen in der unmittelbarenund professionellen psychologischen Bera-tungsarbeit waren nicht immer selbstver-ständlich. Noch in den zwanziger Jahrenfanden Männer diese ,,weibliche" Bezie-hungsarbeit in der Wohlfahrtspflege, in Or-ganisationen und Beratungsinstitutionenwenig lukrativ und interessant. Ausnahmenbildeten lediglich Fachleute in der therapeu-tischen Arbeit. Erst als Fürsorgerinnen undSozialarbeiterinnen bessere Berufsbedin-gungen erkämpft hatten, das allgemeine ge-sellschaftliche Ansehen eines helfenden Be-rufs stieg, bessere Bezahlung und auch be-dingt Aufstiegsmöglichkeiten lockten, ent-deckten auch Männer zunehmend den hel-fenden Beruf als Existenzperspektive. Siekamen aus dem Bürgertum, aus der Jugend-bewegung oder aus der Arbeiterwohlfahrt.Heute ist die professionelle Arbeit von Män-nern in allen Beratungsinstitutionen und -

organisationen selbstverständlich. Das dieBinnenstruktur von Beratungsstellen immernoch häufig geschlechtsspezifisch organi-siert ist - nämlich Leitung und Supervisionmehr durch Männer, Basisarbeit mehrdurch Frauen - steht auf einem anderenBlatt.

Susanne Zeller, 37Jahre, Krankenpflege-helferin, Sozialpäd-agogin (FH) und pro-movierte Erziehungs-wissenschaftlerin mitdem Schwerpunkt Ge-schichte der Sozialar-beit als ,,Frauen"-Be-ruf . Freiberuflich tätig.

,,Wir bleiben dochauch als Arztinnen Frauen!!"5218 SIGB undVerhütungsberatung in derWeimarer Republik

Kaum war 1908 das Frauenstudium an den deutschen Universitäten eingeführt, da zogen

auch schon Tausende in die Hörsäle ein. Die meisten Studentinnen - fast 30 Prozent - studier-

ten Medizin. Viele Ärztinnen spezialisierten sich auf Schwangerenfürsorge, Geburtshilfe und

Sexualberatung. Viele mischten sich in die S2l8-Debatte ein. Aus diesem erst in Ansätzen er'

forschten Kapitel deutscher Medizin- und Frauengeschichte stellt die Autorin einen Ausschnitt

Cornelie Usborne

Die deutschen Arztinnen machten zwi-schen 1919 und 1933 zahlenmäßig nie mehrals 6o/" der gesamten Arzteschaft aus. IhrEinfluß in der öffentlichen Abtreibungsde-batte und in der ärztlichen Standesvertre-tung war deshalb notwendigerweise be-schränkt. Ihre Ansichten sind dennoch be-achtenswert, da sie sich als Vertreterinnender Frauen in einem von Männern dominier-ten Beruf verstanden und als solche auchvon ihren männlichen Kollegen und ihrenGeschlechtsgenossinnen akzeptiert wurden.Als Akademikerinnen, noch dazu auf natur-wissenschaftlichem Gebiet, hatten sie zu-dem eine symbolische Bedeutung für dieFrauenbewegung. Wirtschaftlich unabhän-gig, beruflich erfüllt und professionell demManne ebenbürtig, stellten sie ein weibli-ches Emanzipationsideal dar. Aber weil dieärztliche Tätigkeit als ein der weiblichenWesensart besonders entsprechender Berufbegrit len wurde. waren Arztinnen nicht nurVertreterinnen der,,außerordentlichen"Frauen, sondern auch der durchschnittli-chen weiblichen Bevölkerung.

Die Anzahl der Arztinnen wuchs von al-len akademischen Berufen am schnellsten,von 82 im Jahre 1909 bis auf beinahe 3000 imJahre 1931". t933 gab es sogar 3376 appro-bierte Arztinnen, mehr als Studienrätinnen,obwohl diese traditionellerweise immer anerster Stelle der weiblichen akademischenBerufe lagen.

Arztinnen kamen mit dem Problem derAbtreibung besonders in Berührung, weilsie zumeisl als niedergelassene Arztinnen inGroßstädten arbeiteten, wo Schwanger-schaftsabbrüche viel häufiger in den Praxenvorkamen als auf dem Land. Viele speziali-sierten sich als Gynäkologinnen und Ge-burtshelferinnen, weil sie als Frauen kaumGelegenheit hatten, eine Kassenpraxis zuübernehmen. Auch weil es bei Männern im-mer noch Ressentiments gegen Arztinnengab, kümmerten sie sich hauptsächlich umFrauen und deren Kinder. Viele Arztinnenarbeiteten auch in der Schwangerenfürsorge

und Sexualberatung, wo Anfragen nachSchwanserschaftsabbrüchen an der Tages-ordnuniwaren. Arztinnen waren auch äes-wegen besonders qualifiziert, über die Pro-bleme der Schwangerschaft zu urteilen, weilviele selbst verheiratet waren und Kinderhatten. Von allen akademischen Frauenbe-rufen besaß der medizinische den größtenAnteil an verheirateten Frauen, was zumTeil damit zusammenhing, daß die meistenArztinnen freiberufl ich arbeiteten. Arztin-nen betrachteten die Abtreibung als ein ty-pisches zeitgenössisches Problem. AlsFrauen und auch weil sie im Durchschnitt er-heblich jünger waren als die männliche Arz-teschaft, standen sie ihr nicht weltfremd ge-genüber und vertraten zum Teil sehr radi-kale Meinungen.

Arztinnen meldeten sich zur Reform des$ 218 schon in den ersten Jahren der Weima-rer Republik, aber ihr Engagement intensi-vierte sich ab Mitte der 20er Jahre. In derzweiten Hälfte der Weimarer Republik ver-öffentlichten sie darüber nicht nur regelmä-ßig in medizinischen Fachzeitschriften, son-dern auch in der Tagespresse und sprachenauf Konferenzen und Versammlungen. ImJahre 1924 gründeten sie den Bund Deut'scher Arztinnen mit einer eigenen Zeit-schrift und verschafften sich somit ein eige-nes Forum und eine eigene Identität als Be-rufsgruppe. Bereits im ersten Jahr seinesBestehens hatte der Bund 600 Mitglieder,was beinahe die Hälfte aller approbiertenArztinnen war. Das Thema Abtreibungspielte von Anfang an eine bedeutendeRolle und wurde auch auf der Jahreskonfe-renz des Bundes 1930 ausführlich behandelt.

Die Diskussion unter den Arztinnenzeigte, daß sie in ihrer Meinung zum $218polarisierter.waren als ihre männlichen Kol-legen. Die Arztinnen, die eine Reform be-fürworteten, waren in ihren Forderungenradikaler und jene, die eine Reform ablehn-ten, reaktionärer als die männliche Arzte-schaft. Die Gegensätzlichkeit im Arztinnen-lager kam besonders 1930 in zwei Eingabenzum $218 an den Strafrechtsausschuß desReichstags zum Ausdruck. In der einen Ein-

t2 pro familia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

gabe, unterzeichnet von 356 Berliner Arz-tinnen, d. h. mehr als drei Viertel aller orts-ansässigen Arztinnen, wurde eine Freigabedes ärztlichen Schwangerschaftsabbruchsohne Fristen- oder Indikationsbeschrän-kung gefordert. Die zweite Eingabe folgteals Reaktion auf die erste und war von derkatholischen Arztin Maria Sül3mann alusBerlin organisiert. Sie wurde von 33 Berli-ner Arztinnen und 367 anderen aus demganzen Reich, hauptsächlich aus katholi-schen Gegenden, unterzeichnet. Darin pro-testierten sie gegen die Legalisierung der so-zialen Indikation und forderten verstärkteKontrollen für jeden ärztlichen Schwanger-schaftsabbruch aus medizinischen Gründen,da dieser ,,auch als Tötung keimenden Le-bens" gedeutet wurde.

Hinterfragt man die Motivation der Arz-tinnen, warum sie ftir oder gegen den $218waren, so zeigten sich durchaus geschlechts-spezifische Positionen, die sie von männli-chen Standpunkten de_utlich unterschieden.

Das Anliegen der Arztinnen unterschei-det sich von den männlichen Denkmusternhauptsächlich in folgenden Punkten:

- Als Frauen sahen sich Arztinnen für dieAbtreibungsfrage besonders zuständig;

- Arztinnen betonten die Gefahren derSchwangerschaft und Geburt und forder-ten für jede Frau das Recht auf Gesund-heit und Lebensfreude;

- Sie lehnten Argumente ab, die auf Volks-vermehrung zielten;

- ebenso die ldee, daß Abtreibung unmo-ralisch sei;

- einige Arztinnen forderten Abtreibungals Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Allein die Tatsache, daß der Bund Deut-scher Arztinnen als Frauenorganisation ge-gründet wurde. bezeugt. daß die Arztinnensich bewußt von ihren männlichen Kollegenabsetzen wollten. Die Satzung besagte, daßder B und sichfür,,Bearbeitung sozial-hygie-nischer Fragen vom Standpunkt der Arztinals Frau" einsetzen wollte. Die erste Vorsit-zende, Hermine Heusler-Edenhuizen, riefim Vorwort der ersten Nummer der Viertel-jahresschrift des Bundes die Arztinnen au[.in Zukunft nicht ..die Art des Mannes nach-zuahmen, sondern immer darauf bedacht(zu) sein. ihre eigene Art zu geben" .2 Heus-ler-Edenhuizen polemisierte in vielen Arti-keln vom Standpunkt der Frau aus gegenden $ 218, den sie als ,,ein Produkt vermänn-lichter Kultur" bezeichnete. Andere Arztin-nen betonten immer wieder ihre Doppel-rolle als Frauen und Arzte, die ihnen beson-deres Verständnis für das Problem uner-wünschter Schwangerschaften gäbe. HerthaNathorff, Leiterin einer Beratungsqtelle inBerlin und mitverantwortlich für die radi-kale Petition von 1930, drückte ihr Mitge-

Hertha NathorJf

fühl für schwangere Frauen so aus:,,Ich bin überzeugt, daß es gleich mir zahl-

lose Arztinnen, zumal als Frauen in ihremInnersten trifft, wenn wir armen, verzweifel-ten Frauen aus Gesetzeszwang unsere Hilfeversagen müssen, und mit gebundenen Hän-den dastehen, wo unser Eingreifen vielleichteine soziaie und sittliche Pflicht wäre".'

P atientinnen v om w eiblichenEmpfinden aus betrachten

Sogar Arztinnen, die gegen die Freigabeder Abtreibung waren, bewerteten ihre Ge-schlechtszugehörigkeit höher als die ideolo-gischen Differenzen in ihren Reihen. EineLandärzlin aus dem katholischen Baden ap-pell ierte an die Solidarität aller Arztinnen:

,,Lassen wir den Streit um den Paragra-phen e ine Wei le ruhen! Wir . d ie Arzte-schaft, wollen die Frauen schützen! Undspeziell wir Arztinnen! Es ist eine unserergroßen Aufgaben, diesen Schutz lebendig zuverkörpern. Jede unserer Betätigungen ge-schehe mit diesem Ziel vor Augen, leiste Po-sitives in diesem Sinne, und die Wichtigkeitdes Paragraphen oder seiner Freigabe sinktin sich zusammen".

Sogar die prominente sozialdemokrati-sche Arztin Martha Wygodzinski, eine aus-gesprochene Gegnerin der Petition zur Auf-hebung des $218, hob hervor: ,,Wir bleibendoch auch als Arztinnen Frauen, und deswe-gen ist es gut und wünschenswert, gewissegerade unsere Geschlechtsgenossinnen an-gehende Fragen auch von unserem weibli-chen Empfinden aus zu betrachten."s C/araBender aus Breslau, die für Reform, abernicht für Abschaffung des $218 war, be-klagte sich vor einer Zuhörerschaft von erz-konservativen Männern, daß ein Thema wieder Schwangerschaftsabbruch,,,das wiekein anderes die tiefsten weiblichen Interes-sen berührt" von Arzten ohne Menschlich-keit und völlig wirklichkeitsfremd diskutiertwerde. Arztinnen selber bemühten sich,ihre Patienten als ,,ganze Menschen" zu be-handeln und besonders Patientinnen gegen-über feinfühlig zu sein, was ihnen auch nachErgebnissen einer Umfrage häufig gelang.

Nach dieser Umfrage unter 134 Patientin-nen u.a. aus Berlin zur Frage, warum sieweibliche Arzte gegenüber männlichen be-vorzugten, gaben 34"/" als Hauptgrund an:das Verständnis der Arztin als Frau für dieFrau; 307o: die Arztin vermag dem Aus-sprachebedürfnis der Patientin am bestengenügen; 20"/": das Schamgefühl wird ge-schont; 8 %: Es wird dem Solidaritätsgefühlder Frauen genügt; die Mehrzahl der Ant-worten betonten, daß die Arztin ihre Patien-tinnen psychisch wie physisch, also ,,in allenmenschlichen Angelegenheiten" berät.'

Im Gegensatz ztr den Medizinern beton-ten die Arztinnen die Gefahren von Schwan-gerschaft und Wochenbett; sie erklärteneine normale Entbindung für die Frau sogardoppelt so riskant wie einen ärztlich einge-leiteten Schwangerschaltsabbruch. Arztin-nen mit praktischer Erfahrung bekräftigten,daß die medizinisch einwandfrei ausge-führte Unterbrechung für die Frau keinenSchaden bedeute, und forderten zugleicheine höhere gesellschaftliche Anerkennungfür die Reproduktionsleitung der Frau.Mutterschaft sollte durch staatliche Für-sorge geschützt, jedoch nicht durch eine,,eherne Faust" erzwungen werden. Nebendem Recht ieder Frau auf Gesundheit for-derten die Arztinnen schließlich auch dasRecht auf Glück und Zufriedenheit. In derEntscheidung, ob eine Schwangerschaft ab-gebrochen werde, sollte das seelische Lei-den der Mutter genau so ernstgenommenwerden wie das körperliche Leiden.

Die meisten Arztinnen lehnten morali-sche Einwände gegen die Reform des $218ab und meinten umgekehrt, das Gesetz seiunmoralisch. Arztinnen hielten die Vorstel-lungen vieler Männer, daß Frauen aus Be-quemlichkeit, Leichtfertigkeit und Laster-haftigkeit abtrieben, für lächerlich. Erfah-rungen in der Sprechstunde und in Bera-tungsstellen bewiesen gerade das Gegenteil.

Keine mo dernen Feministinnen

Viele Arztinnen, die sich für eine Reformdes $218 einsetzten, benutzten schon da-mals Argumente, die als Denkmuster für dieDiskussion in der heutigen Frauenbewe-gung gelten könnten. Sie forderten Gleich-berechtigung: nicht nur in politischer son-dern auch in gesellschaftlicher Hinsicht.

,,In einer Epoche, wo die Frauen mitberu-fen sind, über alle, auch die schwierigstenFragen des öffentlichen Lebens mitzube-stimmen, da muß es als eine Selbstverständ-lichkeit angesehen werden, daß sie dasRecht haben müssen, darüber zu bestim-men, ob sie die körperliche Liebe und dieseelisch-geistige Kraft haben, ein empfang_e-nes Kind zur Welt zu bringen oder nicht."'

Viele Arztinnen, so auch Else Kienle, ver-langten eine neue, positive, rechtlich unter-

familia I Sexua ik und Famil 3/88 13

baute Sexualmoral, die eine ,,wirklicheGleichberechtigung beider Geschlechterauch aufdem Gebiete des Körpers, des Erosund der Sexualität" garantieren sollte. Da-bei betrachteten sie die biologische Misereder Frau als eine natürliche Folge der pa-triarchalischen Gesellschaftsordnung, dievon der,,sexuellen Kulturlosigkeit des Man-nes" beherrscht sei, und die der Frau jahr-tausendelang ein,,sexuelles Minderwertig-keitsgefühl" anerzogen hätte. Sie verhöhn-ten die männlichen ,,Experten", wie Juri-sten, Arzte und Geistliche, die die Frauenermahnten dem Manne ,,sexuell jederzeitzur Verfügung zu stehen".

Nach Auffassung der Arztinnen. die füreine radikale Reform des $218 eintraten,sollte die Abtreibung wie jede andere Ope-ration gehandhabt werden, sie sollte nachbestem medizinischen Wissen ausgeführtwerden, wobei das Entscheidungsrecht derFrau und nicht dem Arzt vorbehalten blei-ben sollte. Der Arzt sollte gleichsam ,,alsWerkzeug" den Willen der Frau ausführen.Deshalb forderten die Medizinerinnen vorallem eine bessere Ausbildung in der Abort-technik und ausreichende Forschungsmittelfür verbesserte Abtreibungsmethoden. Siesetzten sich für eine Verbreitung der Gebur-tenregelung ein, wobei sie die gängigen Ver-hütungsmittel für unzulänglich hielten, dasie für Frauen oft unangenehm, störend undvor allen Dingen gesundheitsschädigend wä-ren. Die Arztinnen legten dabei besondersWert auf die Verbesserung von Präventiv-mitteln für Frauen und auch darauf, daßFrauen im Umgang damit geschult würden.

Trotz der bemerkenswert emanzipatori-schen Gesinnung vleler Arztinnen wäre esfalsch. sie als moderne Feministinnen zu be-zeichnen. So teilten sie etwa die Meinungder Männer. daß Ehe und Mutterschaft die,,höchste Erfüllung der Frau" und derWunsch nach Kindern ein den Frauen ,,inne-wohnender Naturinstinkt" sei.

Natürlich ist die Betonung der biologi-schen Besonderheit der Frauen nicht derAuffassung gleichzusetzen, daß Mutter-schaft eine ,,staatlich erteilte" Aufgabe sei,wie sie viele Arzte vertraten. Aber wennArztinnen von einem ,,Naturinstinkt" spra-chen, so verwechselten sie in gefährlicherWeise biologische Realität mit biologischemDeterminismus. Wenn sogar die radikalstenGegnerinnen des $218 Mutterschaft nichtnur als biologische Befähigung sondern auchals biologische Pflicht der Frau betrachte-ten, dann widersprachen sie nicht nur ihreneigenen Forderungen nach weiblichemSelbstbestimmungsrecht, sondern ebnetenauch den Weg zur faschistischen Ideologieder,,Zwangsmutterschaft ". o

Viele Arztinnen bejahten eine reproduk-tive Auslese nach rassehygienischen Ge-sichtspunkten statt eine Geburtenregelung

nach Gesichtspunkten, die von den Bedürf-nissen der Frauen ausgehen. Sie unterschie-den zwischen Frauen, die gebären sollten,um ihre biologische Aufgabe zu erfüllen,und solchen, die nicht gebären durften, weilsie ,,minderwertig" waren. Im geistigenKlima der Weimarer Zeit, das die Ver-schmelzung von sozial- und rassehygieni-schen Ideen begünstigte, waren die beidenAuffassungen des ,,Frauenideals als Mutter"und der ,,idealen Mutter" nicht Gegensätzesondern verschiedene Versionen des Mut-terkultes.

Zusammenfassend läßt sich konstatieren,daß die Mehrheit der Arzte, ganz gleich obmännlich oder weiblich, politisch links- oderrechtsgerichtet, dafür eintraten, daß alleindie approbierten Arzte für die Abtreibungzuständig seien. Dies bedeutete nicht nurden Versuch, das Gebiet der Geburtenrege-lung als medizinisches Territorium gegen-über den Laienbehandlern wie Hebammenund Naturheilkundigen zu reklamieren,sondern drückte auch den Wunsch der Me-diziner aus, als einzige Instanz überhauptdie Fragen der Reproduktion zu kontrollie-ren . Be ides so l l te den Arz ten e inen unge-heuren Machtzuwachs bescheren, der paraflel.mit einer Entmündigung von Frauen ver-bunden war. Die Problematik der heutigenGentechnologie ist Zeugnis dieser Entwick-lung.'

Anmerkwngent Vgl. hierzu und zu allen folgenden Zahlen: Usborne,

Cornelie, Abtreibung: Mord, Therapie oder weibli-ches Selbstbestimmungsrecht? Der $ 218 im medizini-schen Diskurs der Weimarer Reoublik. in: JohannaCeyer -KordeschrAnner te Kuhn (Hrsg .1 . Frauenkör -

^ per . Med iz in . Sexua l i tä t . Düsse ldor f 1986. 192-236.' Was w i r wo l len ! . in : V ie r te l jahresschr i f t . l . Jg- He[ t l .

1.. }l{lai 1926.1.3 Zum Problem der Geburtenregelung, in: Die Medizi-

nische Welt, Nr. 24,1930.4 Die Arztin, 193L,46.5 Monatsschrift Deutscher Arztinnen, 1930, 183.6 Vgl. Kelchner, M., Die Frau und der weibliche Arzt,

Berlin 1934.- K ien le . E lse . Aus dem Tagehuch e iner Arz t in . Ber l in1932.309.

" Vgl. Bock, Gisela, Zwangssterilisation im Nationalso-zialismus. Köln/Ooladen 1985.

e Vsl. Czarnowski- öabriele: Frauen - Staat - Medizin.Aipekte der Körperpolitik im Nationalsozialismus, in:Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, 14,Frauen zwischen Auslese und Ausmerze,T9*99.

Cornelie Usborne, 45Jahre, promoviefi zurZeit über Bevölke-rungspolitik und Ge-burtenregelung im Er-

sten Weltkrieg und in

der Weimarer Repu-blik, Tutorin an derOpen University inLondon, Redaktions-mitglied der histori-schen Zeitschrift Ger-man History.

Realitöten: Frau, Frauund nochmals Frau

Familienplanungsarbeit ist Frauenarbeitoder besser: verberuflichte Beziehungs-oder Versorgungsarbeit. Diese Arbeit wirdim wesentlichen von Frauen für Frauen er-bracht. Von den insgesamt 885 Mitarbeiternder Pro Familia sind 84 Prozent Frauen.Dies ist nicht verwunderlich, ,,denn schließ-lich handelt es sich im psychosozialen Ar-beitsfeld um einen Bereich, der eine abso-lute Dominanz von Frauen, ja sogar denhöchsten Frauenanteil überhauot auf-weist".2

In der Pro Familia konzentrieren sich au-ßerdem Berufe, die Frauen mit Universi-täts- und Fachhochschulabschluß vorwie-gend wählen: medizinische, pädagogische

Zaubern statt Zaudern:Bekanntes und Spekulatives zur Frauenarbeit in der Pro Familia

Perspektiven der Familienplanungsarbeit sind nicht denkbar ohne diejenigen, die diese Ar-beit tun. In der Pro Familia sind es vorwiegend Frauen. Kann Frauenarbeit in der Pro Familianoch mehr heilSen, als die professionelle Befassung mit dem Unglück der Frauen?

Elke Thoß

Dabei möchte ich mich nicht mit Defin-itionen von Beratung für Frauen aufhaltenoder gar ein neues Frauenprogramm für diePro Familia entwerfen. Vielmehr geht esmir um den unsicheren Prozeß des gemein-samen Erarbeitens einer anderen Praxis undEinstellung zu uns und unserer Arbeit, des-sen Ausgangslage der Umstand ist, daß inder Pro Familia Frauen als Helferinnen undKlientinnen aufeinandertreffen.

Hierzu brauchen wir meiner Meinung nach

,,theoretische und emotionale Fixpunkte alsgrobe Anhaltspunkte, an denen wir den näch-sten Schritt und nur dieien--ausrichten, eineflexible und sensible emotionale Theorie, diein der Lage ist, sich an menschliche Bedürf-nisse und Wünsche anzupassen. wenn sie zudiesen in Widerspruch gerät."t

t4 pro familia magazin tr Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

und soziale Berufe. Die Berufswahl der ProFamilia-Mitarbeiterinnen entspricht alsoder allgemeinen Entwicklung weiblicher Be-rufstätigkeit.

So vielfältig die Arbeitsfelder der Pro Fa-milia sind, so verschieden sind auch dieFrauen, die in ihr arbeiten. Für zwei Grup-pen von Frauen scheint jedoch die Pro Fa-miliabesonders attraktiv zu sein: für Berufs-anfängerinnen (meistens kinderlos) und fürFrauen mit Kindern, die in die Berufstätig-keit wieder einsteigen wollen.

Bewußt oder unbewußt scheinen dieseFrauen die Pro Familia als einen geeignetenOrt zur Einübung oder Wiederaneignungberuflicher Tätigkeit zu betrachten. Hiertun sich Perspektiven weiblicher Berufspoli-tik auf , die wir bisher noch gar nicht gefifizthaben.

Das Klientel der Pro Familia - zu 95 Pro-zent wiederum Frauen - ist zum großen Teil,,mittelschichtig", ledig oder verheiratet,kaum älter als 45 Jahre und unter diesen Ge-sichtspunkten den professionellen Pro Fa-milia-Helferinnen relativ ähnlich. Nur we-nig soziale und kulturelle Nähe hingegengibt es zwischen ausländischen Klientinnenund Pro Familia-Beraterinnen. Dies magzum Teil auch erklären, warum uns bisherkaum etwas zu gemeinsamen kulturellenund politischen Perspektiven mit Migrantin-nen eingefallen ist.

Die Tatsache, daß Pro Familia-Arbeitimwesentlichen Arbeit von Frauen für Frauenist, könnte uns dazu verleiten, zufrieden dieHände in den Schoß zu legen: Das Terrainist feminisiert, Frauen sind unter sich,Frauen helfen Frauen.

Es ist weder neu noch originell darauf zuverweisen, daß die physische Abwesenheitdes Mannes nicht gleichbedeutend ist mitder Aufhebung patriarchalischer Denkmu-ster (in uns und in den Institutionen) undStrukturen (Beratungsstellenorganisation,Be rat ungssetti ng. Untersuchungsve rlau[).Die Frage drängt sich auf, ob wir es für un-sere Arbeit als notwendig erachten, unsauch mit dem ..vermittelten und unsichtba-ren Patriarchaf ' auseinandetzusetzen. lchmeine ja. Nur hierüber können wir heraus-finden, wie weit wir mit unseren Vorstellun-gen von einer Pro Familia-Fratenarbeit ge-hen wollen.

Bilderwelten : ZwischenAufo p ferun g un d Kat as tr o p he

Wenn wir auf die 35 Jahre Pro Familia z:u-rückblicken, dann erscheint sie einerseits alsein lebendiger Verband, der sich von einerkleinen Initiative in kürzester Zeit zu einemmittelgroßen Dienstleistungsbetrieb ent-wickelt hat.

Andererseits begegnen uns immer wieder

die gleichen Bilder: Es sind Bilder vonFrauen, die versorgen, sich sorgen, unter-stützen, klagen und immer ihr Letztes ge-ben. Es sind Frauenbilder, wie sie das Pa-triachat geprägt hat.

Seit Anbeginn kämpfen wir gegen dieKnappheit der Ressourcen und müssen tag-täglich darauf achten, ja uns verordnen, daßdie Knappheit der Mittel nicht zu einerKnappheit der sozialen Phantasie, des Den-kens und der Tat wird.

Die Abwehrkämpfe um die Verschärfungdes Paragraphen 218 StGB und andere kul-turelle Orientierungen der Pro Familia hatdie Pro Familia-Frau im wesentlichen aufdie Rolle der Kämpferin und der sich Auf-opfernden festgeschrieben. Es ist ein Bildvon Frau entstanden, das mit dem Unglückvon Frauen und nicht mit dem Glück undden aufregenden Möglichkeiten von Frauenin Verbindung gebracht wird.

Nun gibt es zahlreiche kluge Erklärungendafür, warum Frauen im psychosozialen Be-reich immer so leidvoll und aufopfernd sind.Diese sind auch nützlich. Doch gleichzeitigkönnen sie auch ein Gefühl der Minderwer-

tigkeit und Schuld erzeugen. Wäre es nichtsinnvoller einmal zr fragen, was die Un-glücksbilder bewirken? Sicher können wirsein - jedenfalls wird dies immer wieder anuns herangetragen - daß ,,Frauen im Un-glück" mit diesen Bildern Hilfe verknüpfen.Dies entspricht auch unserem Selbstver-ständnis. Wir wollen helfen und unterstüt-zen. Allerdings sind wir nicht eine Organisa-tion, die sich zum Beispiel ausschließlich mitSchuldenberatung befaßt. Dann könntenwir die Unglücksbilder stehen lassen. UnserThema ist die Sexualität in all ihren Facet-ten. Die Sexualität, die wir erstreben, ist dieselbstbestimmte, lustbetonte, soziale undmöglichst herrschaftsfreie. Dieses Bild vonSexualität steht im Widerspruch zu demGrundgedanken des Patriarchats - dem desVerzichts und der Aufopferung. Wollen wirletzteres durch die Idee eines lustbetontenund auch gelebten und nicht ,,absolvierten"Lebens ersetzen, stellt sich die Frage nachdem Wie. Ich meine, daß auch die symboli-sche Besiedlung des Raumes und unsererKörper mit Bildern des Vergnügens, derwechselseitigen und geteilten wie auch

I

DIE FRAU IM GXSUNDT]UTSh/ESENProzentualer Aubel l

verd-j-enst der Ärzt(e)imen

Das Patliuchat in d€r Alb€itsilelt

KARRIERE

der in d.er KrmkenpflegeTätigetr

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der Gynäkolog(en)inneu

Arztiuen verdienenim tuchschnitt halbBo viel wie ihremämlichen Kollegen-

So zialarbeiter in)

(Aus: ,,Zur Srtuationvon Klientinnen undHelferinnen", Austel-lungs-Begleitheft derArbeitsgemeinschaft,,Frauen in der psycho-logischen Versorgung"in der Deutschen Ge-sellschaft für Verhal-ten$herapie DGVT,Tübingen.)

Die Ehe(mit und ohne Kind)is ir eln Karr iere-hind.ernis für Frauen.

der do . de . .derVe.he i re te ten Verh€ i la t€ ten Cescb iedenen AUeins tehendenn i t K id (e !n ) ohne K ind

le l tugsposit ionen (am Beispiel d.er

pro familia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88 15

selbstbezogenen Lust dazugehört. Wir soll-ten die Wirksamkeit der eigenen Lebendig-keit nicht unterschätzen. Angesichts maro-der und überholter Strukturen ist dies zu-weilen bereits selbst ein oolitischer Akt(Ilona Kickbusch).

Knap p he it un d Ü b erflulS

Ein zentraler Begriff für die Arbeit impsychosozialen Bereich ist der Begriff

,,Knappheit der Mittel". Dies gilt auch fürdie Pro Familia-Arbeit. Die Knappheit derRessourcen, wie zu wenig Geld und zu we-nig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist im-mer Teil unserer Arbeit gewesen. Selbst inPhasen großzügigerer öffentlicher Zu�wen'dungen konnte Knappheit nicht immerüberwunden werden.

Vielfältige und zum Teil rigide Zuwen-dungsbestimmungen schließen bestimmteArbeitsfelder (zum Beispiel Sexualbera-tung) in manchen Bundesländern von derFörderung schlichtweg aus.

Mit den Jahren hat sich in uns ein Begriffvon Ressourcen entwickelt, der sich im we-sent l i chen an Ge lds t römen, an der Ökono-mie, an den vermeintlichen Möglichkeitendes Staates und damit auch des Patriarchatsorientiert. Diese Sichtweise wird noch ver-stärkt durch unsere richtige und notwendigeForderung, daß Frauenarbeit angemessenbezahlt und abgesichert sein soll.

Dies wiederum hat dazu geführt, daß wiraufopfernd bis pfiffig und hausfraulich mitden knappen Mitteln umgehen können;aber auch dazu, daß Neues ohne finanzielleAbsicherung kaum noch denkbar oder garmachbar erscheint.

Ressourcen auf Geldströme reduzieren,erstickt die ,,Lust auf viel", schneidet uns abvon der Welt als Ressource, die nicht nur ei-ner Hälfte der Menschheit, sondern auchder anderen Hälfte zusteht.

Wie könnten wir die Dinge wieder in Be-wegung bringen und die Enge und Phanta-sielosigkeit der Knappheit der Mittel auf-brechen? Allein durch unsere Sicht derMöglichkeiten und Mittel!

Ein von Frauen definierter Begriff vonRessourcen wäre ein sozialer Begriff, dersich über Geldströme hinaus auf die vielfäl-tigen Möglichkeiten und Fähigkeiten vonFrauen bezieht, auf die in den letzten Jahrenentstandenen und von Frauen geschaffenensozialen Strukturen. der auf kollektives undkooperatives Handeln statt auf individuelleSelbstaufopferung setzt. Elemente eines so-zialen Begrif ls von Ressource wären zumBeispiel:die Welt ahRessource

Beratungsgespräche

Ausweiten der Arbeit durchWeitergebenvonldeen

Träumen

.,let'sdance" $att..letitbe"

Netzwerke von Frauen

Erkenntnisse der Frauenforschung

Andere nächen lassen können

Freundschallen

Spekulierenund natdrlich die Celdströme.

Forever and together:Helferinnen und Klientinnen

Helferinnen und Klientinnen verbindetneben dem Frausein die Funktion und dieBedingungen von Frauenarbeit in unsererGesellschaft nämlich daß ,,Frauen die abso-lute Mehrheit des bezahlten und unbezahl-ten Gesundheitspersonals stellen, ohnewirkliche gesellschaftliche Macht auf Defi-nition und Behandlung von Krankheit aus-zuüben".' Die mangelnde Macht vonFrauen hängt nicht nur damit zusammen,daß Frauen innerhalb der Berufshierarchiein untere Positionen gedrängt werden. Trotzzunehmender Qualifizierung von Frauen,entscheiden sie sich eher für Berufe in den

,,unteren Rängen" der Hierarchie. Alleinihr Anteil an Berufen wie Krankenschwe-stern, Sozialarbeitern und Sozialpädagogenhat sich in den letzten zehn Jahren verdop-pelt.

Inwieweit die Zunahme gesellschaftlicherMacht von Frauen ausschießlich von derAnzahl der Frauen in Leitungsfunktionenabhängig ist, ist äußerst fraglich. Das hierar-chische gesellschaftliche Machtgefüge mußsich dadurch nicht automatisch ändern.noch die Definitionen, was für Frauen zumBeispiel gesundheitsfördernd oder -schäd-

lich ist. Dies wäre erst der Fall, wenn wir unsvon Vorstellungen, die die Welt in ,,unten"und ..oben" einteilen. also von Vorstellun-gen einer Welt der Macht über Menschenallmählich lösen könnten. Feministinnenwie Marilyn French plädieren überzeugendfür eine horizontale Strategie der Gewin-nung von Terrain im Sinne von Entwicklungund Entfaltung, der Bildung von Netzwer-ken, statt einer Strategie des Umsturzes.Die Stärke dieser eher kulturellen Strategiebesteht darin, daß sie viele verschiedene,aber gleichgewichtige Zentren hat, von de-nen sich Frauen fortbewegen.

Das Ziel ist nicht, Macht über etwas zu er-langen (,,power over", M.F.), sondern Befä-higung zu etwas zu entwickeln (,,power to",M.F.) und zwar gemeinsam. So besehenkönnte die Pro Familia trotz Abhängigkeitvon staatlichen Zuwendungen und relativgeringer inst i tut ionel ler Macht ein r i ' icht igesZentrum unter vielen sein, von dem ausFrauen ihre Netze knüpfen und auswerfen.

Fir Pro Familiabedetttet das Zusammen-treffen von ratsuchenden und beratendenFrauen in den Betratungsstellen vor diesemHintergrund, daß sie auch ein Ort für Frau-enförderung und Frauenpolitik sein muß,wenn sie Ungleichheit als eine der wesentli-chen Ursachen psychosozialer Problemevon Frauen anerkennt. Diese Forderungbe-trifft Helferinnen und Klientinnen gleicher-maßen.

Genügt es aber, um dieser Forderung ge-

recht ztt werden, daß wir uns bereits mitFrauenthemen betassen? Dies tun mittler-weile Frauengleichstellungsstellen jeglicherpolitischer Couleur. Wenn wir hingegen ge-sellschaftliche Verhältnisse für uns Frauen -

Helferinnen und Klientinnen - verändernwollen, müssen wir auch unsere Arbeit, un-ser politisches Handeln und Leben verän-dern. ,,Dadurch, daß wir unser eigenes Le-ben neu gestalten, tragen wir zur Neugestal-tung der Gesellschaft bei"." Jedoch Neuesentwickelt sich nicht aus Gleichem, auchwenn es sich frauenorientiert nennt. Neuesbedarf anderer kultureller Orientierung alsdie der hierarchischen Machtzentriertheit,Aufopferung und Selbstverleugung. Mögli-che Gegenwerte sind bereits genannt: ent-fesseln statt beschränken, expandieren stattusurpieren, netzwerken, integrieren undnicht isolieren, statt Aufopferung die Lustam eigenen Leben und dem Leben andererMenschen visionieren, Neues in die Weltsetzen und nicht immerzu verwalten undkämpfen. Darüber hinaus geht es auch umdie Fähigkeit, Solidarisierungsangebote ma-chen zu können, um Herrschaft über Frauensubversiv zu unterwandern. ,,Die Einsicht,daß unsere Arbeit durchgängig politisch ist,hat sich trotz jahrelanger Bemühungen kei-neswegs schon wirksam in der täglichen Pra-xis umgesetzt. Wäre es uns selbstverständ-lich, in den Frauen (und Männern), mit de-nen wir es zu tun haben, mögliche Kompli-zen praktischen Handelns zu sehen, hättensich Selbstverständnis und Struktur von Be-ratung schon entscheidender gewandelt, alsdas bisher zu beobachten ist".'

Die Klientin als Komplizin hieße, unteranderem, die Asymetrie zwischen Helferinund Klientin aufzuheben. An welchen The-men könnten sich Solidarisierungsangeboteorientieren und welcher Art könnten siesein?

Für mich gehören hierzu die Vermittlungder Ideen der Frauenbewegung, insbeson-dere für jüngere Frauen und Ausländerin-nen, expertenunabhängige Gruppenange-bote zur Sexualität und Gesundheitsförde-rung, ein Pille-danach-Service wie die Mög-lichkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Indiesem Zusammenhang werden wir unsauch nicht davor drücken können, ernsthaftdie Zurückgabe der Anerkennung nach$218 StGB zu überlegen und zu klären, inwelchem Ausmaß wir bereit sind, im staatli-chen Interesse über Frauen Herrschaft aus-zuüben.

Es ist nun einiges über kulturelle Umo-rientierungen, politisches Einmischen undGemeinsamkeiten von Helferinnen undKlientinnen gesagt worden. Was fehlt, sindVorschläge, wie wir den beschriebenen Pro-zeß in die Wege leiten könnten. Mit unsererherkömmlichen Fort- und Weiterbildungläßt sich dies sicherlich nicht herstellen. Sie

1,6 pro familia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88

könnte allerdings um Elemente erweitertwerden, die professionellen Helferinnen er-möglicht Abgrenzungsfähigkeiten und da-mit auch Berufsidentität zu entwickeln, umdas kontinuierliche Wechselbad zwischenberuflichen und privaten Helfen nicht nurals Verwirrung und Belastung zu erleben. Eshandelt sich vielmehr um verschiedene Be-zugssysteme, welche aber nur im Zusam-menhang gedacht uns fachliche und politi-sche Einmischung ermöglichen. Denkbarwäre auch eine Frauenschule für Helferin-nen, die die Komplizenschaft von Helferin-nen und Klientinnen zum Thema hat. Diesemüßte nicht unbedingt eine Pro Familia ei-gene sein. Es gibt mittlerweile zahlreicheFrauenschulen, die wir für gemeinsame Pro-jekte nutzen könnten.

Ich möchte nochmals auf das wichtigeThema des Vergnügens im eigenen Tun ein-gehen. Im Sinne von Marilyn French han-delt es sich hierbei nicht um luxurierendeExtras für bessere Zeiten oder den selbstbe-zogener Rückzug aus Arbeit und Politik. Esist vielmehr eine Strategie gegen die wesent-lichen Orientierungen des Patriachats wieder Machtzentriertheit und des Verzichts.Diese haben dazu beigetragen, Frauen ihreLebendigkeit zu nehmen und sich selbst zuverleugnen. Vergnüglichkeit im eigenenTun, die Lust am gemeinsamen Prozeß derSuche und Veränderung befriedigt nichtnur, sie macht uns auch beruflich und poli-tisch glaubwürdiger und wirksamer !

Klageweiber mögen ihren Sinn und Platzauf Beerdigungen haben. VergnüglicheWeiber leben! Mal stellen sie die Welt aufden Kopf, mal gehen sie auch unter. Malverzaubern sie Patriarchen, mal sind sie er-schöpft und leiden schrecklich. Was zählt,ist ihre ansteckende Lust am Tun und ihrBeitrag an einer ,,sich fortsetzenden Reali-tät" (Marilyn French).

Anmerkungen1 Marylin French: Jenseits der Macht, Frauen, Männer

und Moral, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg,

- 1985, S .779." Birgit Rommelspacher: Zukunft des Helfens - Zu-

kunft der Frauen. Zur professionellen Identität vonFrauen in psychosozialen Berufen, in: Dieter Kleber,Birgit Rommelspacher (Hrsg.), Die Zukunft des Hel-fens, Psychologie Verlagsunion - Beltz, Weinheim/

- München 1986, S. 162.' Ilona Kickbuscft : Familie als Beruf -Beruf als Familie,

in:' Dieter Kleber/Birgit Rommelspacher (Hrsg.),a .a .O. , S . 177.

* Marilyn French.'a.a.O., S. 874.s lürpen Heinricäs: Bericht des Präsidenten auf der Mit-

gliederversammlung 1982 in Rummelsberg.

W eiter e v erw endet e Liter aturIlona KickbwchlBarbara Rtedmüller: Die armen Frauen- Frauen und Sozialpolitik, edition suhrkamp, Band 156,Frankturt/Main 1984.Ulrich Beck: Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eineandere Moderne, edition suhrkamp, Band 365, Frank-turt,&4ain 1986.Frauenakademie München e.V. (Hrsg.) : Konferenzbe-richt: Involvement and Identity - Women and the Wo-men's Movement in Science and Politics, München, 1987.

EIke Thol3, Diplomsoziologin, Geschäftsführe-

rin des Bundesverbandes der Pro Familia.

Joan Murphy

O Agnes ist neu nach Berlin gezogen. Sie ruft bei

uns im FFGZ an und will ,,einen guten Frauen-

arzt" wissen oder empfohlen haben.

O Ihre chronische Pilzinfektion behandelt Sybille

nun seit dreieinhalb Jahren mit dem Breitband-

Animyot ikum,,Canesten". , ,Die Beschwerdenhabe ich eigentlich, seitdem ich die Pille nehme",

erwähnt sie nebenbei. .,Mein Frauenarzt meint

aber, das habe damit nichts zu tun. Stimmt das?"

fragt sie skeptisch.

O Monika nimmt an einer Gruppenberatung zur

Menstruation teil und stellt sich den anderen

Frauen vor. Nebst Namen, Alter und Beruf er-

wähnt sie ihre vom Frauenarzt festgestellte ,,Hor-monstörung", als gehöre diese auch selbstver-

ständlich zu ihrem Selbstbild.O Bevor wir mit der Selbstuntersuchung der Va-

gina beginnen, gibt Lisa etwas zögernd zu, ihre

Frauenärztin habe festgestellt, sie würde einen

.,Gebärmutterknick" haben. Dabei wirkt sie wie

bei der Beichte.

O Susan entschuldigt sich, daß sie soviel Ausfluß

habe, während wir gemeinsam mit Spekulum, Ta-

schenlampe und Spiegel in ihre Vagina hinein-

schauen. Auf dem unteren Spekulumlöffel ist

nicht mal ein Teelöffel Ausfluß zu sehen.

O Mansura, Schülerin, kommt mit dem Beipack-

zettel ihres neuen Rezeptes für die Mikropille zur

Verhütungsberatung vorbei. Ihr Frauenarzt

meint, diese Pille wäre harmlos, Mansura könnte

das Präparat bedenkenlos nehmen. ,,Aber diese

aufgelistetenNebenwirkungen . . . ?"

O Monika vereinbart ein Einzelgespräch. Bei ihr

wurden Myome an der Gebärmutter festgestellt.

Da sie in nächster Zeitmit Beginn der Wechsel-jahre rechnet. legt d ie s ie belreuende Arzt in nah.

ihre Gebärmutter jetzt entfernen zu lassen. ,,Daswäre ja zwei Fliegen mit einer Klappe". Denn

ohne Gebärmutter könne man nicht an Gebär-

mutterkrebs erkranken . . . Und wie gefährlich

sei eigentlich diese umstrittene Hormon-Ersatz-

Therapie? . . .O In einer Gruppe mit türkischen Mädchen wird

eifrig über das Thema ,,Jungfernhäutchen" ge-

sprochen. Fragen tauchen auf wie: ,,Stimmt es,

daß das Jungfernhäutchen wie ein dünnes Zwie-

belhäutchen aussieht? Stimmt es, daß es beim

Reiten, Rückenschwimmen oder Spagat kaputt-

gehen kann?"O Eine Schwangere kommt völlig aufgelöst vor-

bei. Sie hat doch ein Ultraschallbild machen lasse

und nun meint ihre , ,betreuende- ' Arzt in, mi t

dem Köpfchen sei etwas nicht in Ordnung. Sie

müsse auch eine Fruchtwassetuntersuchung ma-

chen lassen.

Alltag im Feministischen Frauen Gesund-heits Zentrum (F.F.G.Z.) e.V. in Westber-lin, eine Anlaufstelle für viele um Rat su-chende Frauen. Die oben geschilderten Bei-spiele geben die Situation vieler Frauen, diesich in gynäkologischer Behandlung befin-den, wieder und verdeutlichen, wie verunsi-chernd und oft auch demütigend Besuchebeim Frauenarzt für viele Frauen sind.

Viele Arztlnnen führen mit ihren Patien-tinnen vor der Untersuchung ein kurzes Ge-spräch. Genügend gynäkologische Praxensind aber noch mit Kabinen ausgestattet, indenen sich Patientinnen, von einander iso-liert, jede in ihrer Zelle mit der Angst al-leine, für den Empfang im Untersuchungs-zimmer den Oberkörper erst frei zu machenhaben.

Früher oder später erfolgt die Untersu-chung auf dem gynäkologischen Stuhl. Eswird an dem Körper der Frau herumhan-tiert. Das Metalspekulum wird in die Vaginageführt, oft nicht unruppig. Es wird geguckt,ein Abstrich gemacht, eventuell noch einpaar Bemerkungen, Fragen. Von einer Er-klärung, was gemacht wird, ist keine Rede.

Frauen werden an Teilen ihres eigenenKörpers untersucht, die für sie fremd undmit Schamgefühlen belastet sind. Ihr ,,Un-terleib" gehört ihnen nicht. Es ist der Ar-beitsplatz des Arztes. Unsere Arbeit bestehthauptsächlich darin, Frauen in ihrem Selbst-bild mit Wissen über den eigenen Körper zustärken. Wir klären Frauen auf.

Zeit

Wir nehmen uns erstmal viel Zeit. EineKleingruppenberatung kann gut 2-3 Stun-den dauern. In vielen Arztpraxen werdenFrauen abgefertigt mit einem: ,,Wie geht'suns denn heute?", ,,Was kann ich für Sietun?". Das Wartezimmer ist voll.

Dann die Behandlung: Diagnose. Rezept.Die Hand gedrückt. Rezeption. Auf Wie-dersehen! Urrs Zeit zu nehmen heißt,

Den eigenen Körper nichtan andere abgebenAus dem Feministischen Frauengesundheits zentrum B erlin

Radikal in ihrer Kritik an der professionellen Medizin - Ärztinnen eingeschlossen - und ge-wilj strittig in ihrem Beratungskonzept sind Selbstverständnß und Arbeitsweise des BerlinerFeministischen Frauengesundheits zentrums ( FFG Z e. V. ).

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Frauen sprechen und sie Fragen stellen lasseund es heißt, ausführlich und verständlicherklären.

Sprache

Wir achten auf Sprache und benutzen kei-nen aufgesetzten medizinischen Fachjar-gon. Medizinerlnnen haben doch zuerstWorte wie,,Gebärmutter",,,Eierstock" und,,Lippen" gelernt. Erst viele Jahre späterwährend des Medizinstudiums sind sie aufBegriffe wie ,,IJterus", ,,Ovar" und,,Vulva"gestoßen. Sollen solche Worte beeindruk-ken? ..Das verstehen Sie sowieso nicht!"

Wir benutzen eine Sprache, die von unsFrauen, nicht aber von Frauenverachtern,geprägt ist. Ausdrücke wie ,,Schamhaare",,,große und kleine Schamlippen" und,,Scheide" werden umgeändert in ,,Venus-haare",,,äußere und innere Lippen" und,,Vagina".

Wir wollen, daß Sprache nicht ausschlie-ßend, sondern einschließend wirkt. Wir wol-len unser Wissen anderen Frauen nicht vor-enthalten, sondern es mit ihnen teilen. Wirdrücken uns einfach aus.

Austausch

Für uns ist eine Beratung ein Austauschmit anderen Frauen. Wir verstecken unsnicht hinter einem weißen Kittel, sondernwir bringen uns selbst, unsere Erfahrungenin die Beratung mit hinein. Es ist für unskein Geheimnis vor anderen Frauen, daßwir auch mal abgetrieben haben, daß wir unsselbst befriedigen, daß es bei uns auch mal inder Vagina juckt, daß wir kurz vor Beginnder Menstruation viel Schokolade essen.Wir erzählen von unserer Erfahrung mit derPortiokappe und können Tips zum Einfüh-ren weitergeben. Von teilnehmendenFrauen erfahren wir ebenso, wie Nachtker-zenöl bei Zyklus,,störungen" und Wechsel-jahrbeschwerden helfen soll, wie einige mitOrgasmusbeschwerden umgegangen sind,oder in welchem Krankenhaus Arztlrrnenbehutsamer mit unseren Organen umgehen,wenn es zu einer Operation kommen muß.Das meiste Wissen haben wir somit vonein-ander und von anderen Frauen.

Gruppe

Die meisten Beratungen finden in kleine-ren Gruppen (3-5 Frauen) statt. Das ermög-licht einen Austausch unter den Frauen. Esist oft erleichternd und beruhigend zu wis-sen, nicht die einzige Frau zu sein, die sichmit einer Blaseninfektion herumplagt.Wenn mehrere Frauen das gleiche,,Leiden"haben, ist es einfacher, auf gemeinsame ur-sachen wie L(i)ebensstil, Ernährung, Ar-beits- und -umweltbedingungen einzugehen

sowie von erfolgreich erprobten Kräuter-tees, Knoblauch-Joghurtzubereitungen,Entspannungsübungen zu erfahren.

Außerdem ist in der Gruppe kein Autori-tätsgefälle zwischen beratenden und bera-tungssuchenden Frauen. Dies muntert Teil-nehmerinnen dazu auf, mehr von sich und zuihrem Problem ztt erzählen und Fragen zustellen, ohne das Gefühl zu haben. daß siesich dabei genieren könnten. Frauen sinduntereinander, unter ihresgleichen und fin-den Verständnis. Frauen sind bei uns nichtPatientinnen, sondern Frauen, wie wirselbst.

Atmosphäre

Die Räume im FFGZ sind freundlich undhell. Es riecht nicht nach Desinfektionsmit-tel. Untersuchungen finden auf gemütlichenLiegen statt. Doch nicht wir untersuchenFrauen, sondern sie sich selbst. Den Frauenstehen viele Kissen zur Verfügung, damit siebequem liegen und besser schauen können,wenn sie mit dem Spekulum in ihre Vaginagucken.

Wir benutzen keine Metallinstrumente.sondern ziehen Spekula aus Plastik vor.Diese sind durchsichtig und nie kalt. Derenerschwinglicher Preis (DM 6,-) macht esvielen Frauen möglich, eins zu kaufen undsich zu Hause weiter zu untersuchen. Sie

können die Selbstuntersuchung der Vaginaund des Gebärmutterhalses, die sie imFFGZ lernen. auch anderen Frauen beibrin-gen.

Tasten wir die Vagina einer Frau wegeneiner Diaphragma- oder Portiokappengrößeab, ist immer ein Spiegel dabei, damit dieFrau mit ansehen kann. was wir machen.

Wir erklären jeden Schritt, denn schließ-lich ist es IHR Körper, in den sie uns hinein-läßt.

Manchmal kommt es vor, daß eine FrauSchwierigkeiten mit dem Abtasten hat, weilsie früher als Kind mißbraucht worden istoder schlechte Erfahrungen,beim Frauen-arzt gesammelt hat. Diese Frauen lassen wirdann selbst unsere Hand hineinführen. DieFrauen bestimmen also selbst, wie wir mitIHREM Körper umgehen.

Wir sind die .,Assistentinnen" der Frau.

Von Frau zu Frau

Wir beraten von Frau zu Frau. Und alsFrauen haben wir ja alle mal geblutet. AlsFrauen wissen wir, daß Ausfluß normal undwichtig ist. Ist es nicht daher fragwürdig, daßFrauen ausgerechnet einen Mann, denFrauenarzt aufsuchen, wenn sie Fragen zuihrer Menstruation oder zum Ausfluß ha-ben? Welcher Arzt kann von sich aus sasen.

Blick in die Rätrme des FFZG.

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welchen Tee er bei Mensisbeschwerdentrinkt, welche Entspannungsübungen hel-fen? Welcher Arzt, der niemals im Leben ei-nen Eisprung haben wird, kann einer Fraubeschreiben, wie ihr Ausfluß nt dem Zeir-punkt des Eisprungs aussieht oder woran sieden Eisprung sonst merken kann?

Männer, die sich als Experten in unserenBereich des Frauenkörpers,,fachmännisch"einmischen, ebenso Frauenärztinnen, dievon Männern ausgebildet werden, haben ihrWissen aus Büchern, aus der Pathologie, andem Umgang mit Frauen, die krank sind.Statt zu erkennen, was für uns Frauen nor-mal ist, wird allzuoft etwas vermeintlich Pa-thologisches festgestellt. Es werden schnellCremes, Tabletten, Zäpfchen und Hormoneverschrieben, die nicht ohne gefährliche Ne-benwirkungen und oft völlig unnötig sind.

Wir FFGZ-Frauen klären Frauen über dieSchädlichkeit von Tampons und Deo-Bin-den und vom täglichen Gebrauch von Slip-einlagen auf. Wir erklären, wie wichtig un-ser Ausfluß für den gesunden Zustand derVagina ist, wie er riecht und schmeckt.

Viele Frauen sind vor der Menstruationetwas verstopft, erleben aber, wenn das Blutzu fließen beginnt, richtigen Durchfall. Dasist normal. Alles im Beckenraum entspanntsich, auch der Darm.

Und welche Frau kennt es nicht, kurz vorBeginn der Menstruation mal gereizter alssonst, empfindlich oder traurig oder etwasaufgedunsen zu sein? Oder die Brüste sindangespannt, Pickel treten an der selbenStelle im Gesicht auf, die Haare sind fettig,das Zahnfleisch empfindlicher.

Wenn es vielen Frauen so ähnlich geht,kann diese prämenstruelle Zeit doch keineKrankheit sein, oder?

Unser Bestreben ist es, daß jede Frau ih-ren Körper - Brüste, Sexualität, Eierstöcke,Gewicht, Hormone - als ihren eigenen Kör-per versteht. Mit unserem Wissen und unse-ren Erfahrungen können wir ihr dabei be-hilflich sein. Wir wollen ein positives Ver-hältnis zum Körper aufbauen. Wir wollen,daß Frauen die Verantwortung für ihren ei-genen Körper nicht an andere abgeben, son-dern mitbestimmen.

Beraten Frauen anders? Klar!Denn Frauenkörper, das ist ja Frauensa-

che!

Joan Murphy (39) lebtseit 1976 in Berlin-West und ist Mitarbei-terin im Feministi-schen Frauen Gesund-heits Zentrum e.V.,1 Berlin 30, Bamber-gerstr.51.

Die Fährte ,,Mann"

Als Ziel bewulSter Frauenberatung gilt hciufig, Unterdrückung durch Männer wahrzuneh-men, Wut dagegen zu mobilisieren und auszudrücken, um sich abzugrenzen und unabhöngi-ger zu werden. Das ist gewil3 ein wichtiger Aspekt von Frauenberatung. Genau so wichtig aberist die Auseinandersetzung mit demjenigen Teil der Geschichte und der aktuellen Lebenssitua-tion von Frauen, der nicht im Tun von Männern, sondern im Handeln von Frauen begründetIiest.

Karin Windaus-Walser

Das Geschlechterverhältnis als einseitigmännlich determiniert zu begreifen, statt alseinen Interaktionsprozeß, an dem beide Ge-schlechter einen Anteil haben, bringt in derPraxis der Beratungsarbeit die Gefahr mitsich, daß die Beraterin mit der Klientin einePseudobeziehung eingeht. Aus der Absicht,parteilich mit der Klientin zu sein und in der

Vorstellung, Beraterin und Klientin seienals Frauen Opfer der Männerwelt, kann sichdie Beraterin mit der Klientin oberflächlichverbünden. Das Eigene an der Geschichteund an der aktuellen Lebenssituation derKlientin wie auch die von der Klientin undvon der Beraterin gestaltete Dynamik in derBeratungssituation selbst geraten so nicht inden Blick, werden ausgeblendet.

In meinen Seminaren über ,,Beratungsar-beit mit Frauen" an der Fachhochschule istmir aufgefallen, wie groß die Gefahr fürfrauenbewußte Beraterinnen ist, die Klien-tinnen als Opfer zu sehen und sich vor-schnell auf die Suche nach dem männlichenUrheber für die Probleme zu begeben, mitdenen Frauen in die Beratung kommen.

Ein Beispiel: Erzahlt eine Frau in der Be-ratung davon, sie fühle sich mit der Kinder-erziehung überfordert und alleingelassen,kreisen die Gedanken der Beraterin so-gleich um den Mann, der sich um die Kindernicht kümmern will. Natürlich ist es auchwichtig, was der Mann tut oder nicht tut.Wenn sich aber Beraterin und Klientin dar-auf ausrichten, wie der Mann ist und wie dieKlientin auf ihn reagieren soll, etwa mit Wutstatt mit Unterwerfung, führt das von derKlientin weg. Genau hier aber könnte daseigentliche Problem der Klientin liegen,nämlich daß sie, um an Schmerzliches beisich nicht rühren zu müssen, von sich ablen-ken möchte. Für die Klientin ist es in diesemFall wichtig, daß die Beraterin die Bewe-gung der Klientin ,,weg von sich" wahr-nimmt und diese Bewegung mit ihr bearbei-tet, statt sich von der Fährte ,,Mann" ablen-ken zu lassen. Davon nämlich, daß dieKlientin im Ablenken von sich bestätist

wird, hat sie nicht nur nichts, sondern siewird das Mitgehen der Beraterin auch alsHinweis auffassen, daß es ihr tatsächlich undwie befürchtet nicht zusteht, sich mit sichselbst zu beschäftigen. Die Perspektive..Männer als Täter und Akteure - Frauen alsOpfer und Reakteurinnen" aufzugeben,heißt also keineswegs, Parteilichkeit fürFrauen aufzugeben, sondern nur, sie auszu-dehnen auch auf das, was unter der Oberflä-che verborgen liegt. Ob die Beraterin dem

,,Angebot" der Klientin, sie als Opfer zu se-hen, widerstehen kann, hängt von der Bear-beitung der eigenen Opferthematik durchdie Beraterin ab.

Der verstellte Blick -Beratungsbeispiele

Ich will anhand von Beispielen aus der Ar-beit mit mißhandelten und mißbrauchtenFrauen und Mädchen illustrieren. wie hinterder einseitigen Ausrichtung auf den Mannund Vater als Akteur und Täter der eigeneAnteil von Frauen an ihrer Geschichte undam Schicksal anderer versteckt wird. Zualle-rerst fällt das Ausblenden des mütterlichenAnteils am Schicksal der Töchter auf. EinBeispiel aus einer Untersuchungvon Roswi-tha Burgard, einer feministischen Thera-peutin, die mißhandelte und mißbrauchteFrauen gleichzeitig in Therapie hatte: EineFrau erzählt ihr ,,Ich weiß nicht, ob ich dasletzteMal erzählt habe, das hat mir sehr wehgetan. Daß meine Mutter versuchte, michabzutreiben, daß sie mir das auch gesagthatte. Dann hat sie auch gesagt, sie hättesich statt Kinder zu haben lieber in die Hosegeschissen, die hätte sie auswaschen kön-nen. Sie wollte nie Kinder haben."

Der Kommentar der Therapeutin lautet:

,,Elke fühlte sich sehr früh durch die negati-ven Außerungen über Sexualität durch ihreMutter verschreckt . . . Vier der fünf Ge-sprächspartnerinnen hatten sowohl vor derEhe oder dem Beginn einer sexuellen Bezie-hung zu einem Mann als auch während einerBeziehung oder Ehe Angst vor ungewolltenSchwangerschaften und die entsprechenden

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Verhütungsprobleme."Die Bewegung ,,weg von den Frauen, hin

zum Mann als Urheber" wird im Kommen-tar der Therapeutin deutlich: .,Daß dieFrauen Verhütungsprobleme haben, liegtan den Männern". Der eigentliche Skandal,nämlich das existenzbedrohliche, destruk-tive Agieren der Mutter gegen die Tochter,indem sie ihr erzählt, sie hätte statt ihrer lie-ber ein Stück Scheiße gehabt, wird ausge-blendet. Vermutlich weil das, wie die Klien-tin sagt, ,,sehr weh" tut. Nicht zur Kenntnisgenommen wird weiblicher Haß, folgenrei-che, von Frauen ausgehende Aggression.Und diese Verleugnung weiblicher Aggres-sion setzt sich in der Wahrnehmung derKlientinnen selbst fort.

Schließlich fällt auch dieVerleugnung vonAggression in der Beziehung zwischen Bera-terin und Klientin auf. Dazu wieder ein Bei-spiel aus Burgards Untersuchung:

Die Therapeutin schildert, wie die Frauensie zuweilen mit ihren Problemen überschüt-teten, und wie sie ihr manchmal wenigChance ließen, an ihrem Konzept festzuhal-ten. Daß sich darin vermutlich die Schwie-rigkeit der Frauen ausdrückte, die andereals Gegenüber anzuerkennen, wird von derTherapeutin nicht reflektiert. Aber sie be-richtet davon, daß sie als ein Ergebnis ihrerArbeit mit den Frauen den Entschluß gefaßthabe, einen Selbstverteidigungskurs zu ma-chen. Statt das Bedürfnis der Therapeutinnach Verteidigung des eigenen Selbst, das jain der Arbeit mit den Frauen entstanden ist,mit der Dynamik in der Beratung in Verbin-dung zu bringen, also als Gegenübertra-gungsreaktion zu analysieren, wird die Spurwieder ,,hin zum Mann als Urheber, weg vonden Frauen" gelegt.

Pr o b leme w er den ge glöttetund vereinseitigt

In den Konzepten feministischer Bera-tungsarbeit mit mißbrauchten Mädchen undFrauen fällt ebenfalls auf. wie schwer sichBeraterinnen damit tun. sich dem Anteil derMütter an der Vorgeschichte von Gewaltund Mißbrauch wirklich zu stellen. Zwar se-hen sie, wie wenig die Mütter ihre miß-brauchten Töchter zu schützen in der Lagesind, wie sie oft jahrelang um das Geschehenwissen, aber es nicht wissen wollen. Wenndie Beraterinnen sich aber Gedanken dar-über machen, was für die Mädchen wichtigwäre, erwähnen sie lediglich Wut und Haßauf den Vater, den die Töchter, von den Be-raterinnen unterstützt, zulassen und ausle-ben sollen. Die doch ebenso notwendigeAuseinandersetzung mit der Mutter, die derTochter keinen Schutz gab, bleibt vollkom-men ausgespart. Das Scheitern der Mütterwird bloß in Abhängigkeit vom Mann gese-

hen. Das gegen das Mädchen gerichtete De-struktive und Aggressive daran wird geleug-net. Folgerichtig ist lediglich davon dieRede, die Mütter zu unterstützen, nicht aberdavon, den Mädchen bei der Bewältigungdes mütterlichen destruktiven Agierens ge-gen sie zu helfen. Das aber kann nur zu eineroberflächlichen Solidarisierung zwischenMüttern, Töchtern und Beraterinnen füh-ren, die davon lebt, daß alles Aggressive,Mißbrauchende und Destruktive aus derMutter-Tochter- und aus der Beratungs-Be-ziehung herausbefördert, an den Täter-Mann delegiert und auf ihn projiziert wird.

Ich vermute. daß hinter diesem Ausblen-den das Bedürfnis der Beraterinnen steckt.sich vor der Wiederbelebung der eigenenEnttäuschung mit der Mutter zu schützen.In der einseitigen Ausrichtung auf den ,,Va-ter als Täter" und die Auseinandersetzungmit ihm, wiederholt sich im übrigen genaudas, was für sogenannte Inzestfamilien als sotypisch beschrieben wird, daß nämlich dieMutter sich die Tochter vom Leib hält undsie mit ihren emotionalen Bedürfnissen anden Vater verweist, ja sie ihm häufig regel-recht zuführt. Die Tochter soll sich an denVater halten und sie in Ruhe lassen, bedeu-tet die Mutter. Das Mädchen soll sich mit ih-rer Wut an den Vater halten und die unter-drückte und schwache Mutter mit ihrer Ent-täuschung und ihrer Wut in Ruhe lassen, be-deuten die Beraterinnen.

Die Klientin nureine halbe Person

Es ist also das von einer Frau und einerMutter ausgehende, aggressive und zuwei-len destruktive Agieren, besonders das ge-gen das eigene Geschlecht, das frauenbe-wußten Beraterinnen offenbar schwer er-träglich ist. Wenn sie sich mit den Klientin-nen so versuchen zu verbünden, daß sie allesAggressive und Zerstörerische von vornher-ein im Männlichen lokalisieren, schützen siesich vor bedrohlichen und kränkenden Er-fahrungen mit dem eigenen Geschlecht. Da-mit blenden sie aber nicht nur einen wesent-lichen Teil in der Vorgeschichte und in deraktuellen Lebenssituation der Klientinnenaus und lassen diesen unbearbeitet, sondernauch in der Beratungsbeziehung selbst kannvon den Klientinnen ausgehendes Aggressives, Grenzüberschreitendes, Entwertendesund können die entsprechenden Gegen-übertragungsreaktionen der Beraterinnennicht wahrgenommen werden. Stoßen so dieKlientinnen aber bei den Beraterinnen insLeere, werden sie enttäuscht. Hatten sie ge-hofft und natürlich auch befürchtet. in derBeratung als Akteurinnen und als ganzePersonen wahrgenommen zu werden, wer-den sie durch die Einseitigkeit in der Blick-richtuns auf den Mann als Täter und Urhe-

ber, auch wenn die Beraterinnen sie zu eineranderen als der bisherigen Reaktion ermun-tern wollen, in der Position der Reagieren-den festgehalten und nur als halbe Personengesehen. Die ausschließliche Sicht des Man-nes als Gewalt-Täter und Unterdrücker hataber vermutlich noch einen weiteren Hinter-grund. Wird nämlich der libidinöse Aspektin der Beziehung zum Mann einfach negiert,läßt sich, für Beraterinnen und Klientinnen,die Wiederbelebung der Enttäuschung auchmit dem Vater vermeiden. Einem, der ohne-hin in die Wüste geschickt gehört, muß manauch nicht nachtrauern. Der Anspruch undder legitime Wunsch von Frauen und Mäd-chen nach einer Beziehung zu einem Mann,der sie respektiert und achtet, gerät so, stattbestärkt zu werden, zwangsläufig zu einer Il-lusion. Für diejenigen, die den Wunsch nacheiner Beziehung zu einem Mann haben,wird die Lage dadurch hoffnungslos. Nur inder Bearbeitung der enttäuschten Liebezum Vater und Mann könnten sie einen in-neren Maßstab für das finden, wonach siesuchen. Ohne ein realistisches Gefühl fürdie Berechtigung ihrer Wünsche und ohnedie Verinnerlichung der Vorstellung einesguten männlichen Objektes aber werden sienur den Mann als Unterdrücker suchen undfinden können.

Literatur

Roswitha Burgard: Mißhandelte Frauen. Weinheim1985.Barbara Kavemannlhryrid Lohtöter a.c.: Sexualität -Unterdrückung statt Entfaltung. Opladen 1985.Verena Botenslcabriele Stenzel: Narban aus der Kind-heit. ln: sozial extra. Dezember 1987.

Karin Windaus-Wal-ser, Dr. phi l . , Jg. 50,vefiritt z.Z. eine Pro-fessur am Fb Sozial-pädagogik der FHSFrankfurt. Einzel- undPaarberatung in freierPraxis. Supervision fürFrauenberatung.

Es war einmal - andersKlaus Mustermann hatte das Flattern im Unterleib.In einer Stunde mußte er zur Krebsvorsorge. Seit übereinem Jahr war er nicht mehr bei der Andrologin' under befürchtete einen leichten Tadel.Vorsichtig packte er sein Glied aus. Sein Blick weiltedarauf. 'Hbffentlich wird alles in Ordnung seinlndachte er leise vor sich hin. Es war noch im Ruhezu-stand, als er es aus dem tiefen Schlaf wecken mußte'um es zu waschen. Denn schließlich durfte er bei derUntersuchung nicht riechen. >Was würde sonst dieArztin meinen?u dachte er und ließ ein SpritzerchenHerrenduft darauf rieseln.Fast startklar sortierte er seine Hoden in den sauberenSchlüpfer. Angst überkam ihn plötzlich. Sie fühltensich dbch so [lamm an! Nur die Aufregung? Odervielleicht Krebs?l Und fühlte sich der linke erst in derletzten Zeitso fest an oderwar erimmerso? ... Tumor?Geschwulsti..Er war schon sPät dran.Schwitzend angekommen, hielt er vor der Praxistüran. Auf dem Schild las er: Praxis Dr. med. Ann Tie-mann. Er holte tief Luft und drückte auf den Klingel-knopf.Kaum hatte er seinen Vorsorgeberechtigungsscheinabgegeben, bekam er zu hören, oKabine drei bitte -

und Oberkörper freimachen!oKläuschen gings von nun an ganz anders. Allein in derKabine. halbnäckt, wartend hörte er auf der anderenSeite im Behandlungsraum fremde Stimmen, gele-gentlich einen Seufzei, etwas Stottern, sogarein deut-liches Auaah.Ruckartig ging auf einmal seine Kabinentür auf. Einmit strenfer Biille versehenes Gesicht schaute auf ihnhinunterl ,Kommen Sie herein. Nehmen Sie bittePlatz!< lautete die ärztliche Begrüßung.Auf dem Hocker wurde nun sein Oberkörper fach-lichst betrachtet: > Ihr Kreuz ist arg schmal für einenErwachsenen. Undeinbißchen stärkeren Haarwuchskönnte Ihr Brustkorb auch vertragen. Die linke Brust-warze liegt etwas tiefer als die rechte. So etwas kannman sich äber heutzutage chirurgisch korrigieren las-sen. Kosmetische Indikation, wissen Sie?... Durch Ihr Übergewicht haben Sie einen Männer-busen bekommen. Höchstwahrscheinlich liegt eineHormonstörung vor. Ich lasse Ihre Werte vom Laborbestimmen.uEndlich durfte Klaus etwas überziehen. >Herrgottsei-dank! Hoffentlich ist sie jetzt fertig!uVon wegen. Frau Doktor forderte ihn nun auf, denSchlüpför auszuziehen und auf den Untersuch.ungg-stuhl äu klettern. Seine Beine möchte er bitte in dieStützen legen, w eit auseinander.Halbnackt-, seine Männlichkeit entblößt, lag er nunauf dem Andro-Stuhl. Seine Augen waren auf denDeckenstuck fixiert. ul-aß diesen Kelch an mirschnell vorübergehen! nDann fuhr sie mit der Untersuchung fort.>Herr Mustermann, thr Glied ist dextrovertiert, hatalso einen starken Knick nach rechts. Sie müssen öf-ters ihren PH2 tragen, damit es schön mittig, also nor-mal, liegt.<

Auf einmal ging Klaus ein Schaudern über den Rük-ken.Frau Doktor holte das von Männern meistgefürchteteInstrument: das Lineal.

uletzt wollen wir mal sehen!( Sie zog an der Vorhautui-ra ni.tt sie an daskalte Meßgerätaus Stahl. (Vorlau-

ter Kastrationsangst hätte er sie am liebsten zusam-

mengezogen.) Beim besten Willen kam's nicht weiter

als auf 82 mm.uDas sind - bei Ihrer Körpergröße - mindestens0,17 mm zu wenig! (Doch war Frau D-oktor mit ihrem Patienten nicht fer-

tie. Der Sack war ietzt dran.Iü"r orüfender Blici< ging auf Entdeckungsreise' uAhal

wai haben wir den-n da?l. rieb sie sich die Hände,,skrotum insuffizienzum vulgarisr mit Testes runzeli-

tes4!u Dabei grinste sie schadenfroh und zupfte frech

an Klaus' t?l',otol. oDas kommt daher, daß Sie wohl lei-

denschaftlicher Taschenbillardspieler sind? u

Klaus' Gesicht wurde nun so rot wie der Verschleiß-fleck, den sie auf seiner Eichel festgestellt hatte'

Außerst peinlich! Wie am Fließband nahm sie als

nächstes einen Abstrich vonl Smegma. Klaus schloß

fast intuitiv die Augen. Nach 30 Sekunden richtete er

sich wieder auf. Alles war noch dran!,Das sieht wie zuviel Ausfluß ans. Ich verschreibeIhnen ein Breitband-Antibiotikum. oKlaus war wirklich alle, als die Untersuchung ein En-

de nahm. Die Andrologin verabschiedete sich mit ei-

nem kalten Händedruck.,Übrisens, sonst war alles in Ordnung, Herr Muster--".rn]Auf wiedersehen ! onAuf Wiedersehen?( schluckte Klaus. nNicht so

schnell! Das nächste Mal gehe ich zum Männer-

arzt . . .<<Aber er fand keinen.Die Männerheilkunde lag nämlich fest in Frauen-

hand.

)oan MurPhY

1 Andrologin = Männerärztin' oAndros< (griechisch) :

Mann2 i;.fi.: Penis-Halter. (aus: oDie Töchter Egaliaso)i süöt". itiuffiti.tttirrn vulgaris: stinknormaler Hän-

gesack+ ii.stät. (eriechisch) : Hoden' T' r': anomale l(räusel-

haut, imaglnärer Begriff

Aus..Cl io" . Nr. 27l19t j7, Zei tschr i f t dcr Fraucn dcs FFGZ Ber l in (s ichc Sei tc 23, 1. Spal tc untcn).

pro fanilia magazin ! Sexualpädagogik und Familienplanung 3/88 2I

Angst vor der Schuld

,,Wiedereinführung des Verschuldensprinzips im Scheidungsrecht" war das Stichwort, un-ter dem ein Gesetz diskutiert wurde, das vor zwei Jahren, am 7. 4. 1986 in Kraft trat: Das Un-terhaltsrechtsänderungsgesetz. Brachte es das befürchtete Roll-Back im Eherecht? Eine vor-läufige Bilanz seiner praktischen Auswirkungen.

Thomas Münster

Man erinnert sich: Am L.7 .1977 wat eineumfassende Anderung des Scheidungs-rechts in Kraft getreten: Das Verschulden-sprinzip wurde durch das Zerrüttungsprin-zip abgelöst. Schon bald wurde Kritik daranlaut. In der Presse wimmelte es plötzlich vonKrankenschwestern, die ihren Ehemannverließen - typischerweise einen hart arbei-tenden und gut verdienenden Chefarzt - undzu ihrem Freund zogen. Das gemeinsameKind nahmen sie mit. Außerdem Unter-haltsansprüche gegen ihren Mann, die ihrden Lebensstandard einer Chefarztgattin bisan ihr Lebensende sicherten.

Nach Auffassung seiner Kritiker produ-zierte das 77-er Scheidungsrecht ,,systema-tisch Unrecht . . . am laufenden Band".,.Erdrückende Lasten" auf der einen Seitestünden ,,oft üppiger Unterhalt und ein un-beschwertes Leben" auf der anderen gegen-über.1)

Die Gegenseite befürchtete ein ,,Roll-Back im Eherecht. Zu den schlimmsten An-derungsvorhaben gehöre die,,Rückkehrzum Verschuldungsprinzip". Es müsse wie-der -,,schmutzige Wäsche" gewaschen wer-den'/, und zwar vor allem zu Lasten derFrauen, die häufiger auf Unterhalt angewie-sen seien.

Die Diskussion wurde sehr lautstark undunter großer Beteil igung der Öffentl ichkeitgeführt. Aber schließlich hatten die Koali-tionsparteien sich geeinigt. Die Mehrheitenim Bundestag waren klar und die Gesetze-sänderung kam, gegen die Stimmen vonSPD und Grünen.

Keine Änderung der Rechtslage

Wie änderte sie die bestehende Rechts-lage im Hinblick auf das Verschuldensprin-zip? Befragt man heute die Parteien dazu, istdie Antwort: Genauso wie man es erhofftoder befürchtet hatte. Bei Rechtsanwältenund Richtern dagegen hört man: Nichts hatsich geändert. Und tatsächlich: Das neueGesetz hat an diesem Punkt im wesentlichennur festgeschrieben, was der Bundesge-richtshof auf Grundlage des alten Gesetzesbereits seit Ende der 70-er Jahre entschie-

den hatte. Dort war die Einschränkung oderder Ausschluß von Unterhaltsansprüchenvorgesehen, wenn sie ,,grob unbillig" wären.Diesen ,,Gummi-Paragraphen" oder - um esjuristisch korrekter zu sagen: - diese Gene-ralklausel hatte der Bundesgerichtshof an-gewandt, um das Verschuldensprinzip imUnterhaltsrecht in begrenztem Umfang wie-der einzuführen (siehe Kasten).

Dementsprechend brachte das 86-iger-Gesetz in der gerichtl ichen Praxis keine An-derung. Das große Schmutzige-Wäsche-Waschen kam nicht. Auch die erwarteteVerfahrensflut blieb aus. Das neue Gesetzhatte nämlich vorgesehen, bereits abge-schlossene Verfahren unter bestimmtenVoraussetzungen wieder aufzurollen, um sieder neuen Gesetzeslage anzupassen. Dashatte vor allem bei den Richtern, die ja dieArbeit gehabt hätten, zu erheblichen Be-fürchtungen geführt. Aber: Nichts geschah.Das spricht im übrigen dafür, daß die Betei-ligten die Ergebnisse, die auf Grundlage desalten Gesetzes erzielt worden waren, im gro-ßen Ganzen akzeptiert hatten. Und schließ-lich: soviele Chefärzte, wie es zunächst denAnschein hatte, gab es offenbar doch nicht.

Was sich änderte

Und trotzdem: Folgenlos ist die ganze Sa-che nicht geblieben. Die Erfahrung mit derrechtlichen Beratung bei Trennung undScheidung zeigt, daß die Unsicherheit vorallem bei Frauen größer geworden ist unddie Furcht, sich etwas zuschulden kommenzu lassen, ohne daß man genau wüßte, worindas Verschulden genau besteht und welcheFolgen es haben kann. Das Gesetzgebungs-verfahren hat nämlich in der Bevölkerung inetwa folgenden Informationsstand produ-ziert: Man weiß, es hat sich etwas geändert,und zwar in Richtung ,,Wiedereinführungdes Verschuldensprinzipes". Worin die An-derung genau besteht, weiß allerdings kaumjemand. Wenn nicht die Unsicherheit überdas, was ,,erlaubt" ist, überhaupt zu völli-gem Stillhalten führt, muß jedenfalls die be-stehende Informationslücke irgendwie ge-füllt werden.

Als Füllung wird gerade im Eherecht oftauf verschwommen-traditionelle Vorstel-lungen zurückgegriffen, die als Recht längst

Zur Rechtslage

Die Frage des Verschuldens spielt nureine Rolle für den Ehegattenunterhalt, istalso uninteressant, wenn beide Ehegattennach Trennung oder Scheidung für sichselbst sorgen können und wollen. Nach derRechtsprechung des Bundesgerichtshofes(BGH) auf Grundlage des alten Rechts(die nach der Gesetzesänderung unverän-dert fortgeführt wurde), ist die Unterhalts-leistung unzumutbar und kann deshalb ein-geschränkt oder ausgeschlossen werden,wenn einem Ehegatten ein schwerwiegen-des und klar einseitiges Fehlverhalten ge-gen den anderen zur Last fällt. Der wichtig-ste Fall ist ,,der einseitige Ausbruch aus ei-ner durchschnittlich verlaufenden Ehe",vor allem wenn der wegen eines oder gar zueinem neuen Partner erfolgt.

Mit der Einseitigkeit hat es dabei so seineSchwierigkeiten. Denn der Partnerwechselist meist offenkundig und leicht beweisbar.Der jahrelange Ehekleinkrieg, die alltägli-chen Lieblosigkeiten, die möglicherweise(natürlich nicht immer) dazu geführt ha-ben, f inden meist unter Ausschluß der Öf-fentlichkeit statt, also ohne Zeugen. Au-ßerdem fehlt ihnen die plakative Plausibili-tät, zumal sie oft eher atmosphärisch, ge-wissermaßen feinstofflich sind.

Wenn der Unterhaltsberechtigte Kinderzu versorgen hat, kommt im allgemeinennur eine Senkung, nicht aber der Aus-schluß des Ehegattenunterhalts in Frage.Nach altem Recht war übrigens auch dieSenkung nicht möglich. Diese Bestimmunghatte aber schon vor der Gesetzesänderungdas Bundesverfassungsgericht für unwirk-sam erklärt.

Nach dem BGH kann Unzumutbarkeitauch vorliegen, wenn eine Beziehung erstnach der Trennung oder Scheidung aufge-nommen wird, vor allem wenn sie als festesoziale Bindung nach außen in Erscheinungtritt. Mit Verschulden hat das natürlichnichts mehr zu tun. Aber der Geschiedenesoll nicht die neue Lebensgemeinschaftmitfinanzieren müssen. Der, der zahlenmuß, kann übrigens tun, was er will, wenner es sich leisten kann. Er muß keinesfallswegen irgendeines Verschuldens mehr zah-len.

Jede Einschränkung der Freiheit nachder Trennung muß der Unterhaltsbedürf-tige allerdings nicht hinnehmen: Der BGHfand, daß es einem geschiedenen Ehemannzumutbar war, für eine Frau zu zahlen, diemit den Kindern in die USA ausgewandertwar, obwohl der Vater die Kinder deshalbkaum noch sehen konnte.

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nicht mehr gültig sind. Ein Beispiel: Fast je-der glaubt beim ,,normalen", - also gesetzli-chen - Güterstand der Zugewinngemein-schaft handele es sich um eine Art Güterge-meinschaft, mit der Folge, daß die Eheleuteautomatisch gegenseitig für ihre Schuldenhafteten, was nicht zutrifft. Eine bedeut-same praktische Auswirkung ist, daß beiKreditaufnahmen dem Wunsch der Bankennach Unterschrift auch des nicht verdienen-den Ehegatten meist bedenkenlos nachge-geben wird. Und dann - aber erst dann - haf-tet er tatsächlich. Und gegen diese Haftunghilft keine Scheidung und keine nachträgli-che Gütertrennung. Die Zugewinngemein-schaft gibt es immerhin seit ungefähr 30 Jah-ren!

Viel spricht dafür. daß auch die lnforma-tionslücke darüber. was es denn mit demVerschulden konkret auf sich hat, mit derartüberlieferten Vorstellungen gefüllt wird.Typisch sind jedenfalls Fragen wie: ,,Mußich meinem Mann noch kochen?" oder

,,Darf ich allein ausgehen?", und zwar selbstdann, wenn die Trennung vom Mann aus-geht. Die traditionellen Vorstellungen vonEhe, die sich hier ausdrücken, gelten wohlso selbstverständlich und unbefragt, daß dieNotwendigkeit rechtlicher Beratung nichteinmal bewußt wird, insbesondere da alsEindruck aus der Diskussion um die Geset-zesänderung zurückgeblieben ist, es sei alleswieder wie früher.

Wie man etwas ändert,ohne etwas zu tindern

Recht soll Verhalten steuern oder jeden-falls regeln. Nun ist bestimmend für dasHandeln natürlich nicht das Recht, sondernzunächst das, was man dafür hält. Hier isteine Verhaltensänderung erreicht worden,ohne daß die tatsächliche Rechtslage geän-dert wurde. und zwar eine Verhaltensände-rung durchaus im Sinn der ,,Wende": Manverhält sich, als habe das ,,Roll-Back imScheidungsrecht" tatsächlich gegeben. DiesErgebnis verdankt sich wesentlich den pro-pagandistischen Bedürfnissen der beteilig-ten Parteien. Die Regierungsparteien hat-ten ein Interesse an der Behauptung, sie hät-ten mit der Gesetzesänderung das Verspre-chen der ,,geistig-moralischen Wende" ein-gelöst, die Opposition an der, unter derWende-Regierung ändere sich alles zumSchlechten. Für beide Seiten war es alsowichtig behaupten zu können, es habe sichtatsächlich etwas geändert. Gerade weildiese Behauptung nicht stimmt, mußten dieParteien die tatsächliche Rechtslagezwangsläufig im Nebel lassen, was das Ent-stehen diffuser Angste natürlich förderte.Genau in diesen Angsten liegt aber daspraktisch wirksame, weil verhaltenssteu-

ernde Ergebnis der ganzen Angelegenheit,ein Ergebnis durchaus im Sinn der

,,Wende". Denn Unsicherheit und Angst

auf der einen bedeuten Macht auf der ande-

ren Seite. Diese Anderung ist paradoxer-weise von denen mitproduziert worden, diesie bekämpft haben. Denn auch sie habenbehauptet, das Gesetz ändere etwas, und

behaupten es heute noch. r )

Die Aufgabe von Beratung

Es liegt auf der Hand, daß Unsicherheitund falsche Vorstellungewn über die tat-

sächliche Rechtslage bei zugespitzten Ehe-

krisen wichtig für die Machtfrage und die

Möglichkeit sind, praktische Vorstellungenüber eine Lösung zu entwickeln oder über-

haupt nur zuzulassen (anstelle des beque-

men resignativen: ,,Es geht sowiesonichts"). Es ist wichtig, das in Beratungssi-tuationen frühzeitg zu erkennen und gege-

benenfalls auf die Notwendiekeit rechtlicher

Beratuns hinzuweisen.

Anmerkungen

1) ISUV-Report Nr. 20. Juli 1984, Seite I (ISUV - Inter-essen- und Schutzgemeinschaft unterhaltspflichtigerVätzer und Mütter)

2) politik, Aktuelle informationen der SPD, August1984

r) z.B. MdB Dr. Herta Däubler-Gemelin, Informatio-nen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktionvom 29. 06.

.1987

Thomas Münster, 34

Jahre, Rechtsanwalt.

seit 1979 freier Mitar-

beiter bei Pro Familia

München. Im Vor-

stand des Ortsvereins.

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