Bruck, Arthur Moeller Van Den - Das Dritte Reich (1933, 190 S., Text)

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    Moeller van den Bruck

    Das dritte ReichInhalt:

    Revolutionr

    Sozialistisch

    Liberal

    DemokratischProletarisch

    Reaktionr

    Konservativ

    Das dritte Reich

    An Heinrich von Gleichen

    Lieber Gleichen,

    als der Weltkrieg mit Zusammenbruch endete, da gingen wir bei unserer Arbeit, die wir amanderen Tage aufnahmen, von der berzeugung aus, da alles Elend deutscher Politik vonden Parteien kommt. Und als wir dieser Arbeit im Juni 1919, am Tage nach Versailles, diebestimmte politische Richtung gaben, da fanden wir auf unserem Wege berall Deutsche, diesich parteilos nannten, die von parteifrei sprachen, die sich auf einen berparteilichenStandort zu stellen suchten. Aber der Gedanke der Parteiberwindung erfate immer nur denEinzelnen. Die Parteien sind geblieben. Und die Parlamente blieben der Sprechart unseres po-

    litischen Lebens, statt ihr Tatwort zu werden. Wer zu Ttigkeit in politischer ffentlichkeitgelangen wollte, der mute sich einer Partei anschlieen. Und er mute in die Parlamente ge-hen, auch wenn er dem Systeme feind war. Im Volke gibt es zwar ein sehr verbreitetes Ge-fhl, das nicht die geringste Achtung vor den Parlamenten aufbringt, aber als Masse findensich die Menschen immer wieder in den Parteien zusammen. Und wenn wir das Schauspielansehen, das diese Parteien namentlich im Deutschen Reichstage geben, dann wre durchauszu denken, da wir, wofern wir untergehen sollen, in Parteien untergehen werden, da dieParteien bereits der Ausdruck dieses Unterganges sind und der Deutsche Reichstag derSchicksalsort sein wird, an dem er sich vollzieht.

    Was kann geschehen? Es bleibt nur brig, die Parteien von der Seite der Weltanschauung her

    zu zertrmmern.Was ist so eine politische Partei! Sie ist alles, indem sie nicht ist. Sie ist liberal und sozial undselbstverstndlich auch national. Keine Partei wird darauf verzichten, diejenigen Tugenden zu

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    besitzen, die ihre Nachbarpartei fr sich in Anspruch nimmt. In den Parteiprogrammen sindalle Versprechungen nachzuspielen, die man einem Volke zur machen kann. Aber keine Par-tei kann ihre Versprechungen halten, mit denen die eine die andere zu berbieten sucht. Undmit den Parteiprogrammen braucht man sich nicht erst zu beschftigen, wenn man von denParteien spricht. Sie alle haben sich immer weiter von der Idee entfernt, die ihnen ursprng-

    lich zu Grunde lag. Sie hrten lngst auf, Kampfparteien zu sein. Sie fhren nur noch Schein-gefechte um des Vorteils der Fraktion willen. Das parlamentarische System, in dem sie sicheinrichteten, hat ein stillschweigendes bereinkommen mit sich gebracht, das berall die In-nenpolitik voranstellt, und hier wieder die Parteipolitik. In diesem Systeme kann keine Parteifr sich alleine die Macht erringen, aber es gibt ihnen die Mglichkeit, sich untereinanderber eine innenpolitische Machtverteilung zu verstndigen, an der dann eine jede ihren par-lamentarischen Anteil nimmt. In der Richtung auf Mitte und Vermittelung und eine Koaliti-onspolitik, die Kompromipolitik ist, begegnen sich alle Parteien. Diejenigen der Linken hof-fen, einmal die Linke selber zur Mitte machen zu knnen. Und auch die Parteien der Rechten,die den Parlamentarismus bekmpfen, sttzen sich auf sein verderbtes und verderbendes Sy-stem. Sie alle glauben, ihn benutzen zu mssen, und merken nicht, wie sie von ihm abgenutztwerden. Sie haben sich in ihn eingelebt. Sie fhlen sich wohl in seinen Wandelgngen. Undhier wird zu keiner Stunde versprt, was im Volke vor sich geht.

    Dieses Buch enthlt eine Kritik der Parteien. Und es wendet sich an die Deutschen in allenParteien. Es setzt sich mit ihren Ideologien auseinander, und mit den Menschen als Parteity-pen.

    Der Versuch, der in diesem Buche gemacht wurde, war nur von einem Standpunkte aus mg-lich, der keiner Partei verschrieben ist, vielmehr die ganze Spanne der Probleme einbezieht,die durch die Politik unserer Zeit gehen, von der uersten Linken bis zur uersten Rechten:nur von einem dritten Standpunkte aus, der jeden anderen einschliet, den Parteideutsche ha-

    ben knnen - von dem Standpunkte einer dritten Partei aus, die es bereits gibt. Nur ein solcherVersuch konnte sich, indem er die Partei angriff, ber sie hinaus an die Nation wenden. Nurein solcher Versuch konnte die deutsche Zerrttung und Zwieschaft aufzeigen, die aus langenVerhngnissen von den Parteien her, und durch sie, in unser politisches Leben getragen wor-den sind. Nur ein solcher Versuch konnte wieder die geistige Ebene politischer Anschauungfeststellen, die von der Parteipolitik verlassen worden ist und die gleichwohl um der Nationwillen gehalten, konservativ behauptet, revolutionr erstrmt werden mu.

    Wir setzen an die Stelle der Parteibevormundung den Gedanken des dritten Reiches. Er ist einalter und groer deutscher Gedanke. Er kam mit dem Verfalle unseres ersten Reiches. Er wur-de frh mit der Erwartung eines tausendjhrigen Reiches verquickt. Aber immer lebt in ihm

    noch ein politischer Gedanke, der sich wohl auf die Zukunft, doch nicht so sehr auf das Endeder Zeiten, als auf den Anbruch eines deutschen Zeitalters bezog, in dem das deutsche Volkerst seine Bestimmung auf der Erde erfllen werde.

    Wir haben in den Jahren, die auf den Zusammenbruch unseres zweiten Reiches folgten, unse-re Erfahrung mit Deutschen gemacht. Wir haben in diesen Jahren zum anderen Male erlebt,da die Nation ihren Feind in sich selbst hat, in ihrer Vertrauensseligkeit, in ihrer Unbekm-mertheit, in ihrer Gutglubigkeit und, wenn wir diese seelischen Eigentmlichkeiten auf eineweltanschauliche Formel bringen wollen, in einem angeborenen, einem beraus verhngnis-vollen und , wie es scheint, durch nichts zu erschtternden Optimismus. Kaum war das deut-sche Volk niedergeschlagen, wie noch nie ein geschichtliches Volk niedergeschlagen worden

    ist, als in seinen Menschen eine Stimmung aufkam: wir werden schon wieder hochkommen!Wir hrten die deutschen Toren versichern: um Deutschland ist uns nicht bange! Und wir sa-hen den deutschen Trumer dazu nicken: mir kann nichts geschehen.

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    Wenn wir zu diesem Volke von einem dritten Reiche sprechen, dann mssen wir uns eine kla-re und kalte Rechenschaft darber geben, da auch nicht die geringste Gewiheit darber be-steht, die mit ihm verbunden wre. Der Gedanke des dritten Reiches ist ein Weltanschau-ungsgedanke, der ber die Wirklichkeit hinaushebt. Nicht zufllig sind die Vorstellungen, dieschon bei dem Begriffe sich einstellen, bei dem Namen des dritten Reiches, und ebenso bei

    einem Buche, das von ihm den Titel empfngt, von vornherein ideologisch blogestellt, sindseltsam wolkig, sind gefhlvoll und entschwebend und ganz und gar jenseitig. Das deutscheVolk ist nur zu geneigt, sich Selbsttuschungen hinzugeben. Der Gedanke des dritten Reichesknnte die grte aller Selbsttuschungen werden, die es sich je gemacht hat. Sehr deutschwrde sein, wenn es sich auf ihn verliee, und wenn es sich bei ihm beruhigte. Es knnte anihm zugrunde gehen.

    Dies mu hier gesagt sein. Der Gedanke des dritten Reiches, von dem wir, als unserem hch-sten und letzten Weltanschauungsgedanken, nicht lassen knnen, kann fruchtbar nur als einWirklichkeitsgedanke werden: wenn es gelingt, ihn dem Illusionistischen zu entrcken undganz in das Politische einzubeziehen - so realistisch, wie die Bedingungen unseres staatlichen

    und nationalen Lebens sind, unter denen wir als europisches Volk leben sollen, und so skep-tisch und pessimistisch, wie es uns im Angesichte dieser Gegenwart zukommt.

    ES gibt Deutsche, die von dem neuen Reiche versichern, das in Trmmern aus den Vorgn-gen des neunten November entstand, es sei bereits das dritte Reich, demokratisch und repu-blikanisch und damit logisch-vollendet. Es sind unsere Opportunisten und Eudmonisten. Esgibt andere Deutsche, die ihre Enttuschung nicht leugnen, aber auch jetzt noch der Vernunftder Geschichte vertrauen. Es sind Rationalisten Pazifisten. Sie alle ziehen die Schlufolge-rungen ihrer, je nachdem, parteipolitischen oder utopischen Wnsche, aber nicht diejenigender Wirklichkeit, die uns umgibt, und mchten nicht wahrhaben, da wir eine gebundene undmihandelte Nation sind, die vielleicht dicht, ganz nahe und unmittelbar vor ihrer Auflsung

    steht. Aber unsere Wirklichkeit heit: Triumph aller Vlker der Welt ber die deutsche Nati-on. Unsere Wirklichkeit heit: berbietung des Parlamentarismus in unserem Lande nachdem Vorbilde des Westens. Unsere Wirklichkeit heit: Herrschaft der Parteien. Das dritteReich, wenn es je sein wird, schwebt nicht in Wohlgefallen hernieder. Das dritte Reich, dasden Unfrieden endet, wird nicht in einem Frieden erstehen, der sich weltanschaulich verwirk-licht. Das dritte Reich wird ein Reich der Zusammenfassung sein, die in den europischen Er-schtterungen uns politisch gelingen mu.

    Das ist ein Ausblick auf Zukunft, den die Deutschen des neunten November nicht in ihre par-teipolitische Rechnung eingestellt haben. Erst die Vorgnge, die zum Ruhreinbruch fhrten,und die, welche sich darananschlossen, bewirkten eine Wandlung, nicht in den Parteien, aber

    in den Menschen. Erst jetzt wurde die Nation stutzig. Es gab Deutsche, die an dem Gleichmu-te irre wurden, mit dem sie bis dahin alle Schlge hingenommen hatten. Und es gab wiederDeutsche, die sich zur Wehr setzten. Deshalb htte der Ruhrkampf eine Wende werden kn-nen. Er erffnete noch einmal eine Aussicht auf Befreiung der betrogenen Nation. Er schieneine Erfllungspolitik enden zu wollen, die mit dem Anscheine von Auenpolitik ganz Par-teipolitik gewesen war. Er berantwortete uns wieder der eigenen Entschlukraft. Und er gabuns den Willen zurck. Die alten Parteien freilich waren am wenigsten der Erregungen teil-haftig, die seit diesem Tage durch die aufgerttelte Nation gingen. Immer ruht auf ihnen derVerdacht, da sie abermals versagen knnten, wie sie stets versagt haben. Der Parlamentaris-mus ist zu einer Einrichtung des ffentlichen Lebens geworden, die als ihre besondere Aufga-be empfangen zu haben scheint, im Namen des Volkes alle politischen Forderungen und na-

    tionalen Leidenschaften nach Mglichkeit abzuschwchen. Und ihm trauen wir zu, da er ei-ne nchste Gelegenheit ergreifen und seine schlechtesten Hnde zu einer Verstndigung bie-ten knnte, die uns immer wider um unsere Mglichkeiten betrgt.

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    Als die Revolution den Krieg berstrzte, als sie alle Hoffnungen begrub, und jeden Ausblickzu verschtten schien, da fragten wir uns nach dem Sinn der Begebenheiten. Und wir fandenihn, mitten im Unsinn, in dem Gedanken an die Politisierung deutscher Nation, auf die esnunmehr, und nachtrglich, ankommen werde.

    Wir sagten und damals, da dieser Krieg unser Erziehungskrieg gewesen sei. Wir fragen unsheute im Zweifel: war er es wirklich?

    Wir hoffen mit Erbitterung: er wird es gewesen sein!

    In dieser Zuversicht

    Moeller van den Bruck.

    Berlin, im Dezember 1922.

    Vorwort zur dritten Auflage

    Dieses Buch ist bisher kaum verstanden und ausgeschpft und doch zu einem Stck Ge-schichte geworden. Die Politiker haben es sich am wenigsten zu Nutze gemacht, aber derGang der Ereignisse schaffte ihnen Not und zwingt sei heute, nach Mitteln und Formen zu su-chen. Fr alle Suchenden aber hat das dritte Reich eine legendarische Kraft.

    Doch werden die vielen, die dem dritten Reich entgegenschreiten mchten, sich Rechenschaftgeben mssen, was dieses Reich denn sei und worin es sich von anderen unterscheide und obes nicht sich mit einem Schein von Schwrmerei verbrme und der Wirklichkeit fremd bleibe.Sie werden diese Arbeit an sich und den Verhltnissen nur lsen, wenn sie weniger unbe-

    kmmert hinnehmen, was zuerst mit Moeller unter sie trat, sondern es mitsamt seinen politi-schen und geistigen Hintergrnden durchdringen.

    Es wre mglich, da mancher darber problematisch wird, weil er sich mit Problemen zu be-schftigen htte. Wer davor Furcht hat oder schwach wird, der soll sich an die Gegenwart hal-ten und die Hnde und Gedanken vom dritten Reich lassen. Wer sich jung und stark genugdagegen fhlt, wird sich Moellers Buch vornehmen und sich und seine politische Umweltneu- und umdenken lernen.

    Als Moeller van den Bruck Das dritte Reich schrieb, waren Spenglers Thesen vom Unter-

    gang des Abendlandes auf der Hhe ihres Ruhmes. Sei erschtterten durch ihre tragische Er-kenntnis, sie schmerzten durch ihre Sachlichkeit. Wir sahen uns, das geschlagene Volk, dannmitsamt der Epoche der kulturellen Vergreisung entgegeneilen. Was besagte uns der Weit-

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    blick, der uns in das Ganze zur Universalgeschichte stellte, wenn uns nur noch eine letzte gro-e Zusammenfassung des Geleisteten gegeben wurde? Damals herrschte bei vielen die Stim-mung der letzten Goten und manche gaben sich kaum noch Mhe, auf Neues zu sinnen, dennsie sahen im Zuge des Schicksals nur das Ende der Geistesgeschichte.

    In diese Stimmung hinein warf Moeller sein Buch vom dritten Reich, dem neuen Gebilde,das sich hinter der politischen Not der Gegenwart ber Deutschland hinaus zu formen ver-sprach. Und in diesem Augenblick gab es in Deutschland wieder einen Anfang.

    Jetzt standen wir nicht mehr unter dem Gesetz der Zeit wie die faustischen, uhrenaufziehen-den Menschen bei Spengler. Wir fanden uns vielmehr dem Beharrungsvermgen eines Rau-mes gegenber und entdeckten hinter der Vlkeratomisierung der Friedensdiktate neue rum-liche Zusammenschlsse, neue geistige Mglichkeiten. Solche Entdeckungen lieen sichnicht relativieren, sie waren absolut, je mehr sie Leistung und Tat verlangten, sei setzten dieBesinnung auf absolute Werte voraus, die neu zu empfangen waren, und dieser Wille zu Wer-ten war wie der Wille zur Tugend wieder die Aufgabe der Nation.

    Darum zndete das, was von Moeller ausging. Denn es traf den Menschen dort, wo er Glau-ben suchte, wie Spengler ihn dort getroffen hatte, wo er das Ende witterte.

    Und ein Geschlecht, das von Spenglers grandiosen Gesichten noch wie betubt war, wandtesich langsam Moeller zu. Es verschmerzte fast zu leicht den Niederbruch des zweiten Reichesder Deutschen, das Bismarck geschaffen hatte, doch glaubte es dafr an sich selbst, wenn esfr das dritte Reich zu arbeiten begann.

    Jede Arbeit verlangt ihre Sachlichkeit. Moellers Drittes Reich besa diese Sachlichkeit, ei-ne kritische Sachlichkeit, die dennoch aus jenem berschwang kam, an dem sich die Jugend

    aller Lnder geheim erkennt.

    Moeller verschwieg nicht den allgemeinen Abstieg der Epochen zum geistigen und politi-schen Dilettantismus. Nur lie er sich dadurch nicht beirren, seine innere Welt dieser uerenentgegenzusetzen. Die uere Welt war durch das Gesetz der Folge von Ursache und Wir-kung an den zeitlichen Verfall gebunden, die innere Welt behielt den willen zur Freiheit undden Glauben an das Unvorhergesehene, das jeden Augenblick durchbrechen mute. DieserDurchbruch bedingte, was sich dem Willen verschliet: Entstehen - weil es wieder Voraus-setzungslosigkeit gab. Darum lieen sich geschichtliche Katastrophen nur bejahen, weil siedie Menschen wieder bis zur Voraussetzungslosigkeit aufwhlten und zu neuem Leben freimachten, und wenn schon alles wiederzukehren schien, so kehrt es doch anders wieder. Darin

    liegt unsere Freiheit vor der Geschichte, die keine festgelegte Vergangenheit bleiben kann,solange wir sie schpferisch und geistig als unseren Weg in die Zukunft sehen.

    Moeller hat damit manchen Ansto erregt. Man hat ihn romantisch, literarisch, ungeschicht-lich, philosophisch genannt, um die eigene Bequemlichkeit vor dem Nachdenken und Um-denken zu behten. Das dritte Reich ist dennoch unter den Menschen gewachsen, war mitWarnungen nicht aufzuhalten. Moeller, der nach seiner Erziehung ein deutscher Skeptikerhtte werden knnen, lie den Relativismus der Epoche hinter sich, als er sich mit Bewut-sein fr den Weg des politischen Menschen entschied. Er gab dem Glauben sein gestaltendesRecht und der Voraussetzungslosigkeit ihren Spielraum zurck.

    Wir knnten auch sagen: der Primitivitt. Wer Moellers Werk berblickt, kennt seine Vorlie-be, dort anzusetzen, wo er Primitivitt als Versprechen eines Aufstiegs, eines Werdens, einerErstgeburt von Vlkern und Stilen zu finden glaubte. Italien, Ruland und Preuen waren sei-

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    ne Beispiele, um die Welt, die er heraufsteigen fhlte, vorzudeuten. Italien, Ruland undPreuen waren die bestimmenden Faktoren der neuen Geschichte fr ihn, soweit sie sich ge-gen den Westen abhob und dem europischen Kern, gegenber dem bisherigen bergewichtseiner Rnder, eine moderne Rolle zuzuweisen schien.

    Diese Vorschau bedrngte Moeller. Er hatte sie als Auslandsdeutscher erworben, sie war ihmelementares Erlebnis geworden und sie suchte nach elementarer Resonanz. Er sah den italie-nischen, russischen und preuischen Menschen als Vorlufer eines neuen europischen ber-schwanges und bewertete ihn als Zndstoff fr die Gegenwart. So wurde er Nationalist, derfr andere Nationen mitdachte, ein Frsprecher der berbevlkerten Nationen und ihres Um-sturzes, und weiter das Weltbild, bis wir wieder berechtigt waren, uns aus Welt-Anschauungeine vlkerverbindende europische Rolle zusammen mit unserem Wiederaufbau zuzutrauen.

    Die Parolen des dritten Reiches, vor allen anderen jene, da wir die Revolution gewinnenmten, haben stndig Boden erobert. Wer die politische Publizistik unserer Tage verfolgt,

    wird berall die Spuren von Worten Moellers finden, in Formulierungen wie: von der Kraft inGegenstzen zu leben, in der Abkehr vom Liberalismus als dem Sterben der Vlker, in derNationalisierung des Sozialismus und Sozialisierung des Nationalismus, im revolutionrenKonservativismus, in der These vom Rechte der jungen Vlker. Die Nationalsozialisten nah-men den Ruf nach dem dritten Reich auf, der Bund Oberland benannte seine Zeitschrift da-nach, die Volkskonservativen belegten ihre Einstellung mit Zitaten Moellers, der Kreis zumZehrer in der Tat hat den Geist Moellers auf sich wirken lassen.

    uere Umstnde kamen hinzu, den Einflu zu steigern. Der wirtschaftliche Optimismusnach der berwindung der Inflation ist einer neuen Depression gewichen. Je strker man sichin Krisen verstrickt fhlt, je enger man sich in den Kreis des katastrophischen Lebens einbe-

    zogen sieht, um so erstaunlicher wchst Moeller, um so eindeutiger hebt sich aus der allge-meinen Verlegenheit die Linie der deutschen Politik heraus, die Moeller zuerst gezeigt hat.

    Diese Linie war schon vor dem Weltkrieg gegeben. Sie htte uns auf ihn vorbereiten mssen,unseren Kriegszielen Schwung und Weite, Besinnung und Aufruhr zugleich zu geben, stattda sie jetzt zunchst zum Ausgang eines Widerstandes gegen einen faulen Frieden werdenmute.

    Der Auslandsdeutsche Moeller hatte vor dem Kriege die allgemeine Wandlung in Europa be-merkt und nach der deutschen Idee gefragt, die in dieser Grung sich zur Herrin der Lage

    machte. Er sah die Vlker sich rsten und alle auer dem deutschen schufen sich geistige Zie-le, mit der sie der alten Geschichte ein Ende und sich selbst zum Wendepunkt der neuen zumachen gedachten.

    Dabei schien uns die Zukunft offen zu liegen. Wir waren technisch entwickelt, von bervl-kerung bedrngt, von Arbeit besessen, praktisch und diszipliniert und geistig nach unserer Er-ziehung. Lieen wir diese Eigenschaften ber Deutschland hinaus wirken, so muten sie beider allgemeinen sozialen Aushhlung der europischen Vlker und bei unserem gerechtenAnspruch auf Raum zur Idee eines neuen konservativen Sozialismus fhren. In ihm verban-den sich menschliche Nte mit politischen Lsungen, die nicht nur Deutschland angingen, erwar die gegebene Bereitschaft eines Volkes ohne Raum.

    Doch der Krieg kam ber Deutschland, ehe wir dieses Bewutsein gestaltet hatten, das suchder Arbeiterschaft ihren Platz und ihr Recht an der deutschen Nation gegeben htte. So verlo-ren wir den Krieg in der politischen Idee, obwohl wir ihn militrisch gewonnen hatten, und

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    sein Ausgang benahm und jede Illusion ber den deutschen Menschen, soweit er sich fr ei-nen politischen Menschen hielt.

    Denn die deutsche Revolution, die sich zu einem neuen Vlkerbunde htte entwickeln ms-sen, schlug nach innen zurck, und ihre Haltlosigkeit bewies, da sie so wenig ein Ziel besa

    wie die deutsche Kriegsfhrung, der sie diesem Mangel vorgeworfen hatte. Der Sozialismuspaktierte schmhlich mit dem Liberalismus und lie sich von seinen eigenen Fhrern ad ab-surdum fhren. Nicht einmal der Spartakusaufstand fand die auenpolitische Parole fr dieNation: Zum Rhein!, und der Rest Kommunismus, der sich noch wild gebrdete, wurde sobrgerlich wie aller Durchschnitt im nachrevolutionren Deutschland.

    In dieser Krise, die alles fraglich machte, fielen Moellers Gedanken ber das dritte Reich. Ei-gentlich verffentlichte er damals nur einen ersten Band und starb vor der Vollendung desGanzen. Dieser erste Teil war wesentlich kritisch, obschon er auch die auenpolitischen,staatlichen, rumlichen, werteschaffenden Errterungen alles anschnitt.

    Der erste Band hatte ursprnglich Die dritte Partei heien sollen. Sein jetziger Titel weistber den Inhalt noch weit hinaus und verfhrt manchen, zu bersehen, da die wichtigste Fra-ge fr den Bestand der Nation, fr die Begrndung des dritten Reiches die Frage der Fhrungsein mute.

    Als konservativer Revolutionr, der er war, schied Moeller dabei zuvrdertst alle liberalenElemente, Doktrinen, Vorurteile und Staatsformen aus, weil diese einer alten Welt unablsbargeistig verpflichtet waren.

    Dagegen sah er im Sozialismus Mglichkeiten, altes konservatives Gut zu erneuern: in sei-nem krperschaftlichen Denken, das Gemeinwerte schaffen und darstellen will, die sich dem

    Aufschwung der Nation verpflichten. Er scheute sich nicht, diesen Proze im Rte- wie imStndegedanken aufzuspren, falls es nur gelang, ihnen die rechte Richtung zu geben, unddazu wiesen straffe Disziplin und Wille zur Selbstverwaltung ebenso die Wege wie Solidari-tt und Autoritt. Denn Revolutionen machen das Angeborene frei, das verehren will, und esliegt nur an ihren Fhrern, ob sie in ihre konservative Phase eintreten. Das hie fr Moellerdie Revolution bejahen, um sie zu gewinnen.

    Und das lie eine neue Fhrerschicht verlangen, weil er die gestrige der Geburt und der Intel-ligenz mit einer alternden Welt von Vorurteilen und Einrichtungen beladen sah, die sie demLeben absterben lieen. Die alten Parteien mute er daher, wie ihren Parlamentarismus, er-barmungslos verwerfen. Sie waren alle der liberalen Demokratie erlegen. Die neuen Fhrer

    muten aus einer geistigen Wiedergeburt unseres Volkes kommen, die sich nur dort vollzie-hen konnte, wo sich konservative Anstze in einer neuen Gesamtauffassung der Pflichten undKrfte des Menschen entdecken lieen.

    Diese Anstze lagen fr Moeller bei den politischen Flgelgruppen der Nation. Er rechnetedaher mit einer zunehmenden Radikalisierung des deutschen Lebens und suchte die Men-schen inzwischen heranzubilden, die aus getrennten Lagern kommen und den gemeinsamenWillen zum Gehorsam und zur auenpolitischen Wendung in einem Bewutsein klren soll-ten, das sich entwickeln mute, wenn die Bewegungen von rechts und links nicht unfruchtbarzu zielvergessen aufeinander prallen sollten.

    Das hie den Sozialismus in eine neue Etappe drngen, wo er sich dem Nationalsozialismusverband, hie den Nationalismus in dem krperschaftlichen Denken von der Familie bis zuden Vlkern von seinem brgerlichen Imperialismus befreien, hie ihn jenen Sozialismus der

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    Vlker finden, der fr Moeller zur deutschen Idee im Osten wurde, aus der sich ein Reichsge-danke entwickeln lie: das dritte Reich.

    Ausgangspunkt war nicht nur der einzelne Mensch, sondern zugleich die Gerechtigkeit fr je-ne Vlker, die verstmmelt waren und nach Revision verlangten, und fr andere, die des

    Schutzes bedurften, eine mhsam erworbene Freiheit zu verteidigen. Das war nicht ber Genfzu erreichen, das mute die deutsche Fhrung aus sich selbst leisten, indem sie so dachte undauftrat, da man auch auerhalb Deutschlands begriff, da sich das alte Reich liquidiert habe,um einem neuen Platz zu machen, das auf die vielen Fragen der weithin erschtterten und er-regten Vlker neue Antworten htte.

    Und diese deutsche Fhrung sollte sich in der dritten Partei sammeln und sollte als Partei berden Parteien stehen. Nicht in der Konzession an die Mitte konnte ihre Gestaltung liegen, son-dern sie mute von den politischen Rndern her und ihrer die Mitte zermrbenden Radikali-sierung ausgehen, mute wie der berspringende Funke dort aus dem Hufeisen schlagen, wosich seine Enden einander nahebiegen! Diese Fhrerschicht mit einem konservativ-revolutionren Sozialismus verbinden hie eine neue sozialaristokratische Regierung fordern.

    Moeller wute, da kein politisches Gebilde aus dem Nichts entsteht, sondern seine Erschei-nung im Vorzeichen ankndigt. Er dachte an Preuen, wenn er an die dritte Partei dachte.Dort war ihre letzte Form verwirklicht worden: in den Knigen, die ihre soziale Revolutionvon oben durchgefhrt hatten, in den Denkern, die einen konservativen Sozialismus der Kro-ne zu denken gewagt hatten, in den Staatsmnnern, die wie Stein mitten in der Niederlage dieStaatsreform als Waffe gegen den Feind durchgesetzt hatten. Diesem Preuen hatte er seinSchlukapitel im Preuischen Stil geschrieben.

    Er sah aber in Preuen sowohl eine neue Rasse wie einen neuen Raum, die beide ber dashistorische Deutschland hinausreichten und beide zu den Vorformen des dritten Reicheskraft seiner Wendung nach Osten gehrten, eine Wendung, die mit einer reaktionren Auen-politik nicht mehr zu erreichen war. Wie wre er begeistert gewesen, htte er noch die heutigeBewegung im nahen Osten und mittleren Europa erlebt; denn sie htte seinem starken, seinembaumeisterlichen Raumsinn die Greifbarkeit seines Planes besttigt.

    Die Ereignisse haben Moeller Recht gegeben. Die Radikalisierung des deutschen Volkes istfortgeschritten, neue Fhrerschichten melden ihren Anspruch an, fr die deutsche Geschichtezu wirken. Lst sich die innenpolitische Verkrampfung? Finden die sozialen und nationalen,

    die bervolklichen und berzeitlichen Fragen endlich einander in den Menschen derselbenVerantwortung?

    Moellers drittes Reich war eine Vorschau, war eine Abgrenzung gegen den Westen, ein Ab-stand vom weiteren Osten. Es will kein Bucherlebnis sein, sondern soll sich in menschlicheEnergien umsetzen. Das dritte Reich darf nicht an Schwrmer geraten, ber die sich dieWitzbltter zu lachen erlauben. Das dritte Reich, wie es Moeller sah, ist eine harte und nch-terne Sache, die nur denen anvertraut werden kann, denen noch berschwang zu Taten durchdas Blut klopft.

    Das dritte Reich und das Recht der jungen Vlker gehren zusammmen. Die dritte Partei

    soll beides vorbereiten. Sie wird sich klar sein, da sie heute und vor solchen Hintergrndenin Moellers Sinne ber unsere staatlichen Grenzen hinausreicht, da sie sich nicht einmal imgrodeutschen Raume erschpfen darf.

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    Es sei hier noch nachgetragen, da diese Neuausgabe aus Grnden stilistischer Zusammenfas-sung und zeitgeschichtlicher berholung einige Streichungen erfahren hat. Sie haben nirgendetwas an Moellers Gesamtauffassung verndert.

    Berlin, im November 1933.

    Hans Schwarz.

    RevolutionrWir wollen die Revolution gewinnen!

    I.

    Ein Krieg kann verloren werden. Ein unglcklicher Krieg ist niemals unwiderruflich. Der rg-

    ste Friede ist niemals endgltig.Aber eine Revolution mu gewonnen werden.

    Eine Revolution ist einmalig. Eine Revolution ist keine Angelegenheit, die ein Volk mit ande-ren Vlkern austrgt. Eine Revolution ist die ureigenste Angelegenheit einer Nation, die dasbetreffende Volk nur mit sich selbst auszumachen hat und von deren Ausgange die Rich-tungsbahn abhngt, die es in Freiheit seinen Geschicken zu geben versteht.

    Wir haben in unserer Geschichte noch keine politische Revolution gehabt. Es ist wohl einZeichen, da wir erst in der Mitte unserer Geschichte stehen. Die Englnder haben die from-me und haben die glorreiche Revolution hinter sich, und die Franzosen die ihre. Beide Vlker

    sind lter als wir. Sie sind erfahren, geprft und durchgebildet in ihren Menschen. Sie sinddurch ihre Revolutionen zu politisierten Nationen geworden. Sie haben verstanden, aus dernationalen Selbsterschtterung ihres Lebens die politische Grundlage ihrer Weiterentwick-lung zu machen. Und wir erfuhren an uns, wie sicher, wie vorbedacht und ganz unbeirrbar siesich in einer Weltangelegenheit zu benehmen wuten: wie berechnend sie, die den Weltkriegherbeigefhrt hatten, alle seine Schlge mit dem einzigen Ziele hinnahmen, ihn am Ende zugewinnen - und wie sie alsdann den heimgebrachten Sieg mit einem kalten und hhnisch-berlegenen Verstande fr einen Friedensvertrag benutzten, aus dessen Bedingungen sich ih-nen wieder neue Mittel fr neue Zwecke in der zu ihren Gunsten vernderten Weltlage erga-ben.

    Wir verloren den Krieg gegen den bewuten politischen britischen Geist, den die Englnderseit der englischen Revolution besitzen, und gegen den bewuten politischen gallischen Geist,der ber die Franzosen mit der franzsischen Revolution kam. Wir sind jnger als beide Vl-

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    ker. Wir haben vor ihnen die Mglichkeiten eines unfertigen, aber auch unerschpften Volk-stums voraus, das noch nicht zu seinem nationalen, geschweige denn politischen Ich kam. Wirbesitzen jetzt keine Gegenwart, und unsere Vergangenheit ist wie abgerissen, so da wir insvllig Ungewisse hineintreiben. Aber wir sind an den Wendepunkt gelangt, an dem sich ent-scheiden mu, ob wir ewig dieses kindhafte Volk bleiben, das seine Zukunft solange leicht

    nimmt, bis es vielleicht keine mehr hat - oder ob wir willens und fhig werden, nach dieserletzten Erfahrung, die wir mit uns selbst machten, unserem politischem Dasein die nationaleGestalt zu geben.

    Eine Revolution ist ein niemals wiederkehrender Augenblick in der Lebensgeschichte einesVolkes. Auch unsere Revolution ist ein solcher Augenblick. Ergreifen wir ihn? Oder verfeh-len wir ihn? Es sind jetzt Jahre seit unserem Zusammenbruche vergangen. Wir haben dieseJahre damit zugebracht, die Nation immerfort ber ihr Schicksal zu beruhigen. Aber wir ha-ben in diesen Jahren nichts getan, um von uns aus unser Schicksal zu ndern.

    Die Revolution geht weiter. Sie geht in den Geistern weiter, und ob sie als ein Vorgang, dernoch nicht tief genug griff, auch in den Ereignissen wieder ausbrechen wird, das wissen wirnicht. Aber was wir wissen knnen, in jedem Falle, so oder so, das ist: da sie als Bewegung,die gar nicht eher zur ruhe kommen kann, als bis die von ihr entbundenen Krfte zu einemabermals bindenden Ergebnis gelangen, die letzte, die uns vorbehaltene, die sich immer nochbietende Gelegenheit bedeutet, um durch Revolution zu gewinnen, was wir im Kriege verlo-ren

    - um zu erkennen, warum wir diesen Weltkrieg, den wir militrisch gewannen, politisch ver-loren haben -

    - um danach zu handeln.

    II.

    Die Revolution hat eine sozialistische, eine wirtschaftspolitische, eine marxistisch-chiliastische Seite: von ihr wird zu sprechen sein.

    Aber vor allem hat sie diese deutsche Seite: da wir, whrend den Rndern ihres Kraters zu-nchst nur Schlagworte, Lehrmeinungen und Tagesforderungen entpurzelten, in der Tiefe ei-nen unterirdischen Strom flieen sehen, der seine Richtung zu verndern sucht - den gewalti-gen Strom deutscher Geschichte, der unter der Auswirkung unseres Zusammenbruches wiederin eine Richtung abdrngt, die wir zu unserem Unheile verlassen hatten.

    Unsere Geschichte ist irre gegangen. So gelingt uns nichts mehr in der Welt, weder heutenoch gestern, und wenn wir zurckrechnen, schon seit einem Menschenalter nichts mehr. DasLetzte, was uns gelang, war die Grndung des zweiten Reiches. Und es ist nicht nur ein un-willkrlicher Selbsterhaltungstrieb, der uns jetzt um den Gedanken dieses Reiches zusam-mendrngt, als um das einzige Gut, das wir noch besitzen. Es ist vielmehr politische ber-zeugung, die uns an ihm festhalten lt, berzeugung von Revolutionren sogar, die sonst inradikaler Opposition zu allem stehen, was deutlich ist, die sich aber dem Gedanken an dasReich unwillkrlich beugen, als dem letzten, das uns blieb.

    Die Grndung des Reiches besttigte abermals, da alle groen Gedanken im Grunde einfa-che Gedanken sind. Nur die Verwirklichung ist schwer. Aber wir besaen damals einen

    Staatsmann, der mit seinem Willen horchend an demjenigen des Schicksals lag und aus des-sen Stimmen die Kraft zog, selber Schicksal zu sein. Bismarck setzte sich gegen alle Wider-stnde durch: gegen diejenigen der Staatenlage, die er in Europa vorfand und die noch von

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    der heiligen Allianz, von Rheinbunderinnerungen und wiederum vom Jahre 1848 her mannig-fach und gegenstzlich bestimmt war - aber auch, wenn es sein mute, gegen die Widerstndein unserem eigenen querkpfigen Volkscharakter, der manchmal durchaus nicht will, da unsgeholfen werden soll. Er wartete auf den richtigen Augenblick: und wenn der Augenblicknicht kam, dann fhrt er ihn herbei. Er brauchte Anlsse: und wenn die Anlsse sich nicht

    einstellten, dann zauderte er nicht, auch sie herbeizufhren. Er zwang die Verhltnisse in sei-ne Dienste; und zwang sie so, da sein Werk am Ende nicht zum wenigsten das seiner Gegnerwar, denen alles, was sie unternahmen, zu seiner Absicht geriet. Die Grndung des Reicheswar in ihren Bedingungen vorbereitet, in Spannungen, die sich entluden, in Hoffnungen, diesich erfllten. Bismarck verwirklichte, womit die Entwrfe der Doktrinre sich abplagten undworan die Trume der Romantiker zerschumten. Er kannte die Krfte seines Volkes, dessenTchtigkeit, Lenkbarkeit, Opferfhigkeit. Er fand, da es zu gut sei, um in politischer Zurck-setzung zu leben, zu gut, um zu den schlecht weggekommenen Nationen der Erde zu gehren.Also fate der den Ehrgeiz fr dieses Volk, aus ihm wieder ein groes Volk zu machen. DieEinigung der Deutschen wirkte wie ein Naturereignis, das gar nicht aufzuhalten war und dasdie Nationen, die Kabinette, die Diplomaten hinnehmen muten, ob sie wollten oder nicht.Dies wurde damals ohne Vorbehalte von einer Welt anerkannt, die stimmungsmig fr unswar, whrend sie spter gegen uns war. Bismarck hatte das Gegebene getan.

    Und doch fliet sein Werk ins Leere. Er fand die Menschen nicht, die es aufnahmen und wei-tergaben. Der Schritt, den er vor ihnen her tat, war zu ausschreitend, als da sie ihn einzuhal-ten vermochten. So ist etwas Wahres an der Betrachtung, die man nach unserem Zusammen-bruche angestellt hat, da der bergang vom Deutschen Bunde zum Deutschen Zollvereineund wieder zum Norddeutschen Bunde und schlielich zum Deutschen Bundesstaat ebensoviele Staffeln bedeutete, wie einzelne Jahrhunderte ntig gewesen wren, um die mit ihnenverbundenen Ideen auszutragen, statt sie auf ein einziges Zeitalter zusammenzudrngen. Aberdiese Weisheit kommt ebenso zu spt, wie die Feststellung, da Bismarck keine berliefe-

    rung hinterlie, die sein Werk ber ihn hinaus sicherte, da er keine politische Schule machte,und keine diplomatische. Es ist nur zu wahr, da er dies alles nicht tat. Aber es erklrt nichts.Es mu vielmehr selbst erst erklrt werden. Es fllt auf diese nachbismarckschen Deutschenzurck, die so gar keine bismarckschen Menschen waren. Schon in den Grnderjahren wur-den Erschpfungsanzeichen deutlich. Wir wollen hier nicht von gesellschaftlichen Erschei-nungen sprechen, die nur auf eine bergangserkrankung hinzudeuten brauchten, von der eineNation in ihrem Glcke angefallen sein mochte, die vordem so manches Unglck ertragenhatte. Mit ihren Geschmacklosigkeiten war immerhin ein Unternehmungswille verbunden,derselbe Wille, der hernach in wilhelminischer Zeit die einzigen Leistungen hervorgebrachthat, die wir berhaupt noch in Anspruch fr Deutschland nehmen konnten. Aber von der gei-

    stigen Erschpfung mssen wir sprechen. Von ihr ging unser Verhngnis aus.Deutschland war jetzt ohne Idee. Es besa die Idee seiner Einigung. Aber sie war eine nun-mehr verwirklichte Idee. Und verwirklichte Ideen sind matte Bilder, vielleicht aufgemalte Er-innerungen an ruhmvolle Gewesenheiten, doch ganz ohne Wirklichkeitskraft, wofern sie nichtwieder und wieder errungen werden. Wir aber errangen nicht mehr. Wir beruhigten uns beiuns selbst. Wir wurden die materialistischen Menschen eines sich materialisierenden Zeital-ters. Und nur noch zur Beschnigung dieser seelischen Wandlung beriefen wir uns wohl auf

    jenen deutschen Idealismus, der vor hundert Jahren unser Ruhm vor der Welt gewesen war.Aber wir waren undurchdrungen auch von ihm. Wir waren ganz Nachgeborene, die ihrePflicht getan zu haben glaubten, wenn sie ihre Erbe akademisch pflegten. Wir nahmen als Na-

    tion keinen Anteil an den geistespolitischen Bewegungen, die auch durch dieses Zeitalter gin-gen. Wir berlieen vielmehr die politische Ideenausbildung den anderen Vlkern, ob sie nundem Revanchegedanken lebten, den sie in einer nationalen Mystik begrndeten, oder dem

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    Irredentagedanken, dem sie ein rabiates Ethos gaben, das alsbald berall unter den Vlkernwerdend umging, oder dem Gedanken der angelschsischen Superioritt oder der panslavisti-schen Universalitt: politischen Gedanken auf weltanschaulichem Untergrunde, und, wie wirhernach zu unserm Schrecken erfahren sollten, auf weltgeschichtlichem Hintergrunde. Wirkonnten ihnen immer nur unsere verjhrte Idee entgegensetzen: jene Idee des ersiegten Sie-

    ges, wenn wir sie so nennen drfen. Wir bezogen sie wohl noch auf unsere Gegenwart undderen Erfolge, die wir auf weltwirtschaftlichem Gebiete davontrugen. Wir borgten uns in derFolge eine Romantik, die wir unserem berlieferten Idealismus schuldig zu sein glaubten. Ja,wir steigerten sie zu einem Imperialismus, der aber bei uns nicht eigentlich aus einer Ideekam, sondern mehr die Zurschautragung der sich in unserem Reiche anstapelnden Machttat-sachen war. Wir begrndeten diesen Imperialismus nicht ideenmig, als einen Anspruch, einVorrecht und eine Lebensnotwendigkeit der geeinten Nation, indem wir ihn aus der berbe-vlkerungstatsache entwickelten, mit dem Werte unserer Arbeit rechtfertigten und die Vlkervon vornherein an die mit ihm verbundenen machtpolitischen Vorstellungsreihen gewhnten.Wir sprachen immer nur groartig von unseren Leistungen in der Welt, aber der Weltpolitik,die wir aus ihnen ableiteten, dienten wir ganz als Dilettanten, die alles, was sie tun, halb, un-zureichend und unfolgerichtig tun - genau so, wie wir Dilettanten unseres Idealismus warenund ihm als Epigonen dienten. Wir lieen die Ideen unserer Gegner gro werden und merktennicht oder wollten nicht merken, wie sich aus ihnen allmhlich ein gegen uns gerichtetes Sy-stem bildete, das die deutsche Idee so, wie wir sie vertraten, umkreiste und durchkreuzte undniederzuschlagen bereit war. Was fr Menschen waren wir doch in diesem letzten Menschen-alter geworden, das unserm Zusammenbruche vorausging! Was fr starre Menschen, versteif-te Menschen, in denen so gar nichts mehr war, das noch forderte! Durch ihre Sachlichkeitverhrtete Menschen, die durch die ihnen zuteil gewordene Disziplinierung und Brokratisie-rung jede Schmiegsamkeit verloren hatten! Menschen, die auf Traditionen trumpften und nurnoch aus Konvention handelten, wofern sie sich nicht in einer emporkmmlingshaften Viel-

    gewandtheit benahmen, die es auch gab, und die allerdings neu war! Was fr selbstzufriedeneund doch irgendwie unsichere Menschen, allzu erzogen oder gar nicht erzogen, kleinlich undgrospurig zugleich! Grundlos von sich eingenommene Menschen, die alles erreicht zu habenglauben, was Menschen erreichen knnen! Menschen des wilhelminischen Zeitalters, gest-tigte Menschen eines mechanisierten und paragraphierten und gleichzeitig renommierendenLebens, das arm bei allem Reichtume, hlich bei allem Aufwande war, und, wie es ein mi-lungenes Leben blieb, auch als weltgeschichtliche Epoche am Ende scheitern und den kata-strophischen Tag erleben mute, an dem seine Erfolge durchstrichen wurden!

    Mit dem Reiche war uns das Letzte gelungen. Aber im Reiche milang uns alles. Von unsernberlieferungen hatte sich rein und in einer inneren Unzerstrtheit nur die militrische, solda-

    tische, strategische erhalten. Deshalb siegten wir im Weltkriege auf allen Schlachtfeldern.Aber im Bereiche des Politischen gab es berall Dinge, die nicht nachgeholt werden konnten:Dinge, die sich auf Gebiete bezogen, auf die jene geistige Vernachlssigung des letzten Men-schenalters bergriff und vor denen whrend des Krieges auch der strkste Feldherrnverstandversagte, weil die Voraussetzung fehlte, die Vorstellung, das Erlebnis, die Vertrautheit vonAnbeginn, und aus ihr folgend der Takt, die Griffigkeit, die Behandlungsgabe. Ganz ebensoblieben wir auch als revolutionre Menschen immer noch wilhelminische Menschen: dilettie-rende Menschen, die sich nicht mehr romantisch gaben, sondern tumultuarisch, unzulnglicheMenschen, mit einem falschen Selbstbewutsein, das zugleich berheblich und zaghaft war,Menschen, die durch Halbheit ihre Ziele verfehlten. Nicht anders empfingen diejenigen Deut-schen, die nach der Revolution unsere Politik machten, ihre Einstellung noch ganz von der

    berkommenen Geistesverfassung. Ob sie Sozialisten, ob sie Demokraten waren, sie schlepp-ten noch alle Belastungen des wilhelminischen Zeitalters mit. Sein Verhngnis haftete an demKanzler der Waffenstillstandszeit, wie es sich an den der Erfllungszeit heftete. Auch Er, und

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    gerade Er, war als verlogener Idealist ein noch ganz wilhelminischer Mensch mit allen Merk-malen des Typs. Sie alle waren dem Geiste unseres Unheils verfallen, und sind es noch. Siemgen beginnen, was immer sie wollen - wir knnen von vornherein berzeugt sein, da esvergeblich sein wird. Sie mochten noch so ernsthaft glauben, eine Sache ganz richtig zu ma-chen - und sie machten sie mit Sicherheit ganz falsch. Ihre beste Absicht half ihnen so wenig,

    wie unsere berhmte Sachlichkeit, an der wir nachgerade zu Grunde gegangen sind. Und un-ser politisches Wohlmeinen, das wir vertrauensvoll gegen jedermann aufbringen, der unsereKreise nicht sprbar strt, ntzte uns so wenig, wie unser politisches Wohlverhalten, das wirehemals gegenber dem eigenen Staate bewhrten und das wir nunmehr gegenber unserenFeinden zu bewhren bereit waren.

    Unsere Dinge kommen nicht aus der Geburt. Unsere Entscheidungen fallen nicht in einer sichselbst entrollenden Linie. Unsere Geschehnisse ergeben sich nicht in einem freien Ablaufezusammenstimmenden Lebens. Unsere Dinge sind irgendwie schief eingestellt, und wenn wireines zurechtrcken wollen, dann zerbricht es unter unseren Hnden. Wir finden niemals dasWort, das eine politische Angelegenheit mit politischem Fingerspitzengefhle erfat, und re-

    den stets an der Sache vorbei, um die es sich handelt. Zu unseren Entschlssen mssen wirimmer erst gezwungen werden, und wenn wir endlich einen Willen aufbringen, dann kommter zu frh oder zu spt, aber nicht im richtigen Augenblicke, trifft zu kurz oder zu lang, und in

    jedem Falle daneben. Das war schon vor dem Kriege so, und war whrend des Krieges so. Esist in der Revolution so gewesen, und es ist nach der Revolution so geblieben. ber der Nati-on liegt ein Bann, den, wie es scheint, nur die vorrckende Zeit, das Absterben der immernoch verantwortlichen Generation, der Tod jedes Einzelnen, der ihr angehrt, nach und nachvon uns nehmen kann. Bedeutete nicht jeder deutsche Staatsmann, der hervortrat und sich Po-litik zutraute, alsbald eine neue Enttuschung? Aber verschwand nicht auch, wenn er wiederzurcktrat und aus der Geschichte schied, mit ihm eine Hemmung mehr? Zum mindesten dieletzten Jahre haben wir mit einer so qualvollen Auswechslung zugebracht. Doch wir behielten

    nicht die Zeit, um diesen langsamen Vorgang in einem natrlichen Ablaufe zu vollenden. Diegeschichtliche Zeit lief schneller als die persnliche Zeit. Noch ehe der Generationswechsel,in dessen geistigen Auseinandersetzungen wir stehen, zu einem Abschlusse gelangte, der demneuen Geschlechte bei Lebzeiten des lteren bereits das bergewicht gab, wurde die Nationin ihrer Gesamtheit abermals vor Entscheidungen gestellt. Wann wird sich unter dem Zwangeder Ereignisse die groe Umwandlung der deutschen Nation vollziehen, zu der am neuntenNovember nicht durchgebrochen wurde, der die Revolution hchstens die Bahn freigemachthat, die aber selbst aus sehr viel tieferen und deutscheren Flutungen kommt, als die eintags-haften Oberflchenbewegungen waren, mit denen die Revolutionre das Volk aufrhrten?Werden sich dann auch die Mnner des Geschehenmachens finden, die wieder Deutsch aus

    Gnade, Begabung und Entschlukraft sind?Wir haben den Ausspruch vernommen, den irgendwer irgendwann irgendwo tat: dieses gan-ze Geschlecht ist verflucht! Das Wort gehrte zu den wenigen Aussprchen der Zeit, derenoffenbare Wahrheit von uns allen empfunden wird. Es brachte ein lastendes Bewutsein aufeine knappeste Formel und sprach aus, warum alles, was wir tun, oder auch, was wir nichttun, und wie wir es nicht tun, bereits in der Keimzelle verdorben ist: aus einem unheilvollenGeiste geboren, aus dem die unheilvolle Hand von selbst folgt. Es war ein haftendes Wort. Esmachte den Selbsttuschungen ein Ende, denen wir uns nach unserer Gewhnung immer nochhingeben: der opportunistischen Neigung, uns mit jeder Lage abzufinden, in die wir geraten -und dem optimistischen Bedrfnis, auch noch diese elendeste deutsche Welt, die uns heute

    umgibt, fr die beste aller mglichen Welten zu halten, in der sich nach wie vor leben lt.Aber es war auch ein aufreizendes Wort. Es schnitt alle falschen Hoffnungen, die wir unsnach unserer Gewhnung immer wieder machen, als gnzlich sinnlos und wertlos und belang-

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    los ab: und erffnete dafr als einzigen Ausweg, der blieb, einen letzten Augenblick, der nichtin den Redensarten liegt, mit denen wir uns anlgen, sondern in einer Menschennderung, dieuns nur noch zu retten vermag - auf ein neues und nchstes deutsches Geschlecht, das wiedergutmachen wird, was wir so schlecht gemacht haben.

    Revolutionr ist, wer diesem Geschlecht heute schon angehrt: in seinem Vorgefhle, in sei-ner Geistesverbundenheit, in seiner Schicksalszugehrigkeit - und, worauf es schlielich an-kommen wird, in seiner politischen Willenseinstellung und deren metapolitischen Anschau-ungsgrunde. Wer auch jetzt noch von Erfllung spricht, an Verstndigung denkt und den Ver-trag von Versailles anerkennt, der gehrt diesem Geschlechte noch nicht an. Er steht zwischenden Generationen, und der bergang von der einen, die geht, zu der anderen, die kommt, voll-zieht sich in diesem halben Menschen vorbereitend, doch immer noch hemmend, verzgerndund schlielich zurckhaltend. Aber Revolutionrtum, das mit einem Verhngnis bricht, istniemals dort, wo noch bergnge sind, sondern immer nur dort, wo Anfangsetzung ist.

    Dieses Revolutionrtum, auf das wir warten und das als ein seelischer Vorgang jedem politi-schen vorhergegangen sein mu, hat mit der Revolte nichts mehr zu tun, die hinter uns liegt:aber alles mit einer Revolutionierung, die sich in uns gegen uns selbst kehrt - und die vor unsliegt.

    Unsere Revolution beginnt erst: sie, die als Aufstand heraufkam, der den Staat umwarf, be-ginnt mit einer Auferstehung, die in den Menschen geschieht.

    Sie ist der Durchbruch einer genderten Geistesverfassung und der sie begleitenden Selbster-kenntnis - oder die Revolution ist unser Untergang.

    III.

    Unsere Lage ist freilich so, da sie zu katastrophischen Entscheidungen drngt, die den Au-

    genblick unserer Befreiung herbeizuzwingen, ja ihn vorwegzunehmen suchen.

    Aber auch aktivistische Ausbrche mssen in den politischen Voraussetzungen sichergestelltsein, und nicht eher wiederum werden wir hier als politische Menschen handeln knnen, alsbis wir eine politische Nation hinter uns haben.

    Unsere Lage ist von einer solchen Empfindlichkeit, da sie sogar mit einer uersten politi-schen Behutsamkeit angefat werden mu. Es ist noch immer nicht ausgemacht, ob wir nichtder vlligen nationalen Vernichtung entgegengehen, und mit Bestimmtheit werden wir als eineuropisches Volk, mit dem Europa zugrunde geht, dieses Schicksal erfahren, wenn wir unse-re verbliebenen, unsere wieder erffneten Mglichkeiten nicht mit einer Klugheit behandeln

    lernen, die wir als politischen Gewinn aus unseren revolutionren Erfahrungen davontragen.Was immer von Deutschland aus zu unserer Rettung versucht werden mag: es mu reif sein,es mu ausgetragen sein, es mu vorbereitet in Menschen und Umstnden sein, wie Dingesind, denen vorbestimmt ist, da sie gelingen - wofern wir nicht durch einen derartigen Ver-such vollends in Ohnmacht, in Zermalmung, in ein Nichtmehrvorhandensein geworfen wer-den sollen, und nun nicht fr Jahrzehnte, sondern fr Jahrhunderte.

    Die Novemberrevolutionre waren ohne diese Klugheit. Politisch wird ihre Revolte immereine skulare Dummheit bleiben. Wenn wir zurckblicken, dann erkennen wir, wie deutschsie doch war, wie unselbstndig, und wie unzureichend. Es war wirklich so, als ob wir das al-te Sprichwort wahrmachen wollten: wenn der liebe Gott die Deutschen verderben will, dann

    sucht er sich Deutsche dazu aus. Fr den neunten November suchte er sich deutsche Sozial-demokraten aus, die sich niemals um Auenpolitik gekmmert hatten, deutsche Pazifisten, dieeine Verantwortung dafr bernahmen, da das deutsche Volk seine Waffen aus der Hand

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    legte, deutsche Doktrinre, die gutglubig genug waren, das Land dem Wohlwollen seinerFeinde anzuvertrauen, sich auf deren Versprechungen zu verlassen und auf ihre Uneigennt-zigkeit zu bauen. Also gaben diese Leute das Beispiel einer Revolutionspolitik, die ganz ohneWitterung war, die darauf verzichtete, auch jetzt noch die Krfte abzuwgen, einer unmgli-chen Politik, die sich jeder Richtung begab und keine Stellungen hielt, ja, ein Beispiel von

    Verzicht auf Politik schlichthin, dessen Folgen nunmehr die Nation tragen mu.Wir wollen nicht mit Hohn von der Heilandsmission sprechen, die das deutsche Volk, wieman hinterher sagte, damals auf sich genommen habe, als es den Krieg abbrach. Das deutscheVolk wei nichts von dieser Mission. Es glaubte, was man ihm sagte. Es war ein unpoliti-sches Volk und folgte seinen demagogischen Fhrern. Sie sagten ihm, da ein Volk eben denAnfang machen msse, um das allgemeine Morden zu enden und den Menschen wieder denFrieden zu bringen. Also zog dieses Volk die rote Fahne auf, die eine weie Fahne sein sollte,und war sehr erstaunt, als es in seiner Kiellinie nicht, wie man ihm versichert hatte, alsbaldauch die anderen Vlker mit roten Wimpeln fahren sah, vielmehr ein jedes die Nationalflaggenunmehr als Siegesflagge zeigte. Das deutsche Volk hatte das Vernnftige tun wollen. Und es

    hat das Unvernnftige getan.Mit Hohn wollen wir nur von diesen Intellektuellen sprechen, die das deutsche Volk zu sei-nem Entschlusse berredeten und die nun mit einem dmmsten Gesichte vor dem unerwarte-ten Ergebnis stehen, da ihre Ideologie sie betrog! Von diesen Revolutionsliteraten, die dasSchlagwort einer geistigen Politik erfanden, unter der sie gnzliche Belanglosigkeiten ver-standen, Wahlrechtsdinge und hnliche Gleichgltigkeiten, die mit Worten eben dieses Hein-rich Mann eine wahrhaft befreite Welt verhieen, an deren Stelle wir dann eine versklavtebekamen! Noch immer sind diese intellektuellen Dummkpfe nicht belehrt, die immerfort voneinem Radikalismus des Geistes redeten, von dem hinterher nichts zu verspren gewesenist, oder gar eine weitgehende Verwirklichung des Sozialismus forderten, von der wir jetzt

    weitgehend entfernt sind! Noch immer erheben sie sich als Stehaufmnnchen der Revolution,wenn ein Lrm in der Republik ist, und verteidigen mit geschreiigem Munde an jedem grauenMontag ihre Errungenschaften. Noch immer fahren sie fort, die ewige Gleichgltigkeit dervon ihnen ausgepriesenen Grundstze zu verknden: Weltdemokratie, Vlkerbund und zwi-schenstaatliche Regelung, das Ende aller Kriege und Friede auf Erden und den Geistigen einWohlgefallen. Sie wollen nicht wahrhaben, nicht sehen und hren, da durch ihre Schuld jetztringsum Menschen unter Fremdherrschaft leiden, da die vier Friedensschlsse berall un-glckliche ausgeraubte und heimatlose Menschen geschaffen haben, whrend in der Welt dieKriege dauern. Sie sind unverbesserlich von Natur und bleiben dabei, da sie damals das Ver-nnftigste angeraten haben, und auch jetzt wieder anraten. Sie erkennen den Widerspruchzwischen Vernunft und Verstand nicht, der heute berall in der Welt offenkundig ist, einen

    Widerspruch zwischen einer Vernunft, die den Menschen die Dinge so sehen lt, wie er vor-fassend wnscht, da sie wren, und einem Verstande, der unerbittlich feststellend zeigt, wiesie sind.

    Revolution ist Selbsthilfe. Auch der neunte November war eine deutsche Selbsthilfe. Wieman uns erzhlte: gegen einen rckstndigen Staat. Wie man uns erzhlte: gegen ein System,das nicht mehr zeitgem war und hchst verderblich wirkte. Wie man uns erzhlte, und wo-mit wir unseren Gegnern nach dem Munde sprachen: gegen eine verbrecherische Regierung,die nicht nur die Schuld am Ausbruche des Weltkrieges tragen, sondern in dem kopflosenBestreben, sich an der wankenden Macht zu erhalten, auch seine unntze und berflssigeVerlngerung betrieben haben sollte. Dies alles hat man uns erzhlt. Und dies alles haben wir

    geglaubt. Wir hatten Grund genug, mitrauisch gegen die Menschen zu sein, denen unserSchicksal regierungsmig anvertraut war, die als Beamte vor diesem Schicksal standen, undauch in der Tragdie nicht mehr waren, als Beamte nur sein knnen. Aber wie htten allen

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    Grund gehabt, am mitrauischsten gegen uns selbst zu sein, gegen unsere Vertrauensseligkeit,gegen diese gefhrliche Bereitwilligkeit, mit der wir Ratschlge annahmen, ohne uns die Be-ratenden anzusehen, und gegen diesen verbrecherischen Schwindel, mit dem Leute ohne jedePolitik uns Revolution als Geschichte aufdrangen.

    Auch die Novemberrevolte wird sich in ihrer Auswirkung als eine Handlung der Selbsthilfeherausstellen: aber einer anderen, als wir vermeinten, einer, die sich gegen alles richtet, wasuns aus dem letzten deutschen Zeitalter noch irgendwie anhaftet - einer Selbsthilfe wider un-sere eigene Natur, die zur wilhelminischen Natur geworden war und auch im revolutionrenMenschen und nachrevolutionren Demokraten noch immer unser politisches Leben be-stimmt. Die Revolution wird erst dann einen Sinn bekommen, wenn sie hier durchstt: wennein Wirbel von ihr ausgeht, der den Gesamtkrper erfat, und wenn sie eine Umkehr bewirkt,die aus dem Volke die Krfte emportrgt, in denen noch glhend und flieend vorhanden ist,was in der Schicht, der bis dahin die Fhrung vorbehalten war, erkaltet und verhrtet gewesenist. Die Revolution hat manche Erwartung enttuscht, sozialistische Erwartungen und andere:aber die grte Enttuschung war doch, da aus dem Volke keine Volksmnner hervorgingen,

    und aus der Demokratie keine Staatsmnner, die nunmehr die Sache der Nation als das fhr-ten, was sie ist - keine eudmonistische Angelegenheit, der sich mit Optimismus beikommenlt, sondern eine katastrophische Angelegenheit, in der sich alle Fatalismen erfllen. DieRevolution wird jene Umkehr nur dann bewirken, wenn sie eine Abkehr von allem bedeutet,was in dem letzten Menschenalter besonders deutsch war, und auch heute noch deutsch ist.

    Drfen wir die Revolution, die wir als politischen Vorgang verneinen mssen, um dieser zu-kunftsgeschichtlichen Auswirkung willen bejahen? Unsere Lage ist ein Grauen. Sie ist eineLage der Politik, und wir verdanken sie dem Unvermgen der Revolution. Wir wurden in einKfigdasein gesperrt, vor dessen Gittern die alliierte Menschheit auf unsere Kosten spaziert.Wir durften in einem Frieden unterkriechen, der nur ein Rumpfreich briglie, manche Erde

    des vaterlndischen Bodens nahm, das Wasser unserer Flsse belegte und uns sogar die Luftverbot. Wir bekamen eine Republik, deren Grundlage nicht die Verfassung von Weimar ist,sondern der Vertrag von Versailles. Wir wurden ganz und gar zu Hrigen, und auch an Hri-gengeist fehlte es nicht, Geist von Frankophilen, die in unsere Feinde verliebt und ihrem Den-ken verfallen sind. Wir erlebten jene widerlichste Szene am Pariser Platze, als unser Heernach vier Jahren und aus hundert Schlachten heimkehrte und ihm ein Jude und Advokat, einpazifistischer Volksvertreter und gnzlich unsoldatischer Mensch, der den Zusammenbruchim Rcken hatte vorbereiten helfen, den Dank und Gru der neuen deutschen revolutionrenRegierung mit demagogisch verlogenen, zugleich schmeichelnden und bevormundendenWorten aussprach. Wir erlebten diese Szene: die rgste, die schmhlichste, die schamlosestevon allen...

    Und doch: es ist das ein Etwas in unseren Empfindungen, das ich mit den Tatsachen zwarnicht abfindet, aber sie anders beurteilt. Was wrde geworden sein, wenn wir gesiegt htten?Wrde dann nicht das Wilhleminische seinen uersten, aber auch seinen uerlichsten Tri-umph erlebt haben? Wrde dieser Triumph nicht demselben Volke mit zugefallen sein, dassich am neunten November so unverstndig benahm? Und wrde dieses selbe Volk, das seineselbstbereitete Niederlage erst sehr allmhlich zu begreifen beginnt, den ihm zugefallenenSieg etwa besser vertragen haben? Wer wei, ob wir dann nicht eine andere Szene am Bran-denburger Tor erlebt htten: die unvermeidliche Szene, da Wilhelm der Zweite mit seinen Pa-ladinen einritt und in Denkmalstellung die Glckwnsche der dankbaren Bevlkerung und de-ren ersterbender Vertreter empfing - aber vielleicht auch eine Wiederholung jener politischen

    Szene, die Bismarck in Versailles nicht erspart blieb und die, wenn schon der vornehme Sinndes alten Kaisers sich nicht von krnkenden Menschlichkeiten frei hielt, bei dem selbstgewis-

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    sen Enkel noch ganz andere Formen einer betonten Bevorzugung hier, betonten Zurckset-zung dort, angenommen haben wrde.

    Es ist da ein Etwas...Es kann sich nicht beruhigen...Es fragt und will Antwort haben...Und wirgedenken des Wortes, das unser groer und alter Feldherr zu der so gedemtigten Nation

    sprach: Wer wei, wozu es gut ist!

    IV.

    Das Volk hat die Revolution nicht gewollt. Aber es hat sie gemacht.

    Also bekamen wir den Revolutionsstaat. Also bekamen wir die revolutionren Staatsmnner.Also bekamen wir den revolutionren Staatsfrieden.

    Jetzt setzt sich die Kette dieser Zwangslufigkeiten fort: in einem Leben, von dem sich nichtabsehen lt, wie es sich je wieder ndern soll - es sei denn, da unter dem Joche der Fremd-

    herrschaft, unter dem das deutsche Volk nunmehr geht, sich die Wandlung zu einem nationa-lisierten Volke vollzieht, und zu einer politisierten Nation, die frei sein will. Wir mssen in-zwischen unser Leben tragen und ingrimmig des Augenblicks harren, in dem an den Reibun-gen dieser Gegenwart, an den Unertrglichkeiten unserer Zustnde, an der Unwrde unseresDaseins sich wieder das Genie der Nation entzndet: ein politischer Geist, der ihr eine An-wartschaft auf Zukunft erfllt, die ihr ganz gewi niemand zu nehmen vermag - wofern siesich diese Zukunft und Anwartschaft nicht selbst nimmt.

    Auch die deutsche Revolution hatte, wie jeder Bruch mit Vergangenheit, immer noch groeMglichkeiten, politische Mglichkeiten, auenpolitische Mglichkeiten. Als der Betrug sichherausstellte, den die Entente vorbereitete und in den Wilson einwilligte, da bekam sie die

    grte Mglichkeit eines gefhrten Staates: in dem enttuschten Volke eine ungeheure Erre-gung auszulsen und durch eine aufrasende Bewegung unseren Feinden den Wortbruch in dasAntlitz zurckzuwerfen - den Frieden zurckzuweisen, den sie uns in Versailles boten, nebstder Anklage der Schuld, auf der sie ihn grndeten. Aber die Revolutionre glaubten besondersklug zu handeln, wenn sie den Meineid der Entente, nachdem er nun einmal offenbar gewor-den war, ohne ernsthaften Widerspruch hinnahmen. Also suchten sie unsere Feinde nicht zureizen, sondern zu schonen, und taten ihnen und sich selbst den Gefallen, mit der Schuld amAusbruche des Krieges die gestrzte Regierung zu belasten, um dafr Die, welche sie gestrzthatten, also sich selbst, zu entlasten. So ntig hatte die Revolution ihre Rechtfertigung! Sie,die alles versumte, begab sich freiwillig ihres Ethos. Und mit Bitterkeit mssen wir feststel-len, da diese Menschen einer rgsten Versumnis die Anhnger einer materialistischen Ge-

    schichtsauffassung waren, welche sich immer gegen den Vorwurf verwahrt hat, da sie keinesittlichen Gesichtspunkte anerkenne, und welche hier ihren Vertretern gestattete, sich bereben diese sittlichen Gesichtspunkte hinwegzusetzen. Und doch schlo die Mglichkeit, dawir unseren Kampf um unser knftiges deutschen Dasein im Namen der ausgezeichnetenGrundstze fhrten, mit denen der amerikanische Prsident uns gelockt hatte, alle anderenMglichkeiten ein, auf die wir verzichteten, wenn wir darauf verzichteten, die Entente beimWorte ihrer Grundstze zu nehmen und auf deren Heiligung durch den verheienden Welt-frieden zu bestehen. Vor dem Hintergrunde dieses politisch-ethischen Kampfes, den wir ht-ten aufnehmen mssen, wre es mglich gewesen, die Welt vor die Tatsachen des vollzoge-nen Anschlusses von sterreich zu stellen, das grodeutsche Problem mit einem revolution-ren Schlage zu lsen und darber hinaus den Ausblick auf eine mitteleuropische Politik zuerffnen, die nun von einer sich immer weiter entfernenden Zukunft nachgeholt werden mu.Aber wir verstanden den Augenblick nicht. Wir nutzten nicht den entscheidenden Tag, unddas entscheidende Jahr lieen wir vorbergehen. Es kam alles, wie es nach Magabe der

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    Menschen kommen mute, mit denen wir zu tun hatten. Die Dinge nahmen ihren schicksals-gemen Gang. Wir waren nicht frei in unseren Entschlssen, vielmehr festgelegt in dieserfalschen und halben Revolution. Wir gaben uns wild und waren ganz zahm. Wir wagten nochnicht einmal, der Korruption ein Ende zu machen, die nunmehr aufkam. Von der Einfhrungeiner neuen Wirtschaftsform war nicht die Rede, und selbstverstndlich gehrte der Sozialis-

    mus zu den Dingen, die der Revolution nicht gelangen, obwohl sie nicht nur eine politischeRevolution war, sondern auch eine sozialistische sein wollte. Aber unsere merkwrdigen So-zialisten machten als noch merkwrdigere Politiker immer nur fremde Ideen nach, unter de-nen sie sich fr die westlich-parlamentarischen entschieden, whrend sie vor den stlich-diktatorisch-terroristischen zurckschreckten. Wir verzichteten auf alle eigenen deutschen re-volutionren Ideen, sobald es sich um mehr als die theoretische Errterung handelte, in derwir wieder gro waren, vielmehr um die praktische Anwendung, in der wir sehr klein wurden.Nur auf die eine Idee verzichteten wir niemals: uns preiszugeben.

    Die deutschen Revolutionre werden zu ihrer Entschuldigung sagen, da sie eine Erbschaftbernahmen. Darauf ist zu entgegnen: Wenn das alte System die Verantwortung fr den Zu-

    sammenbruch trgt, dann trgt das neue System die Verantwortung fr den Frieden. Die Re-volution hat ihrer Herrschaft mit dem Schlagworte angetreten, da nunmehr die Bahn demTchtigen frei sei, der seine Stellung keinem Herkommen verdanke, sondern seiner Bega-bung, seiner Gesinnung, seiner Kraft aus eigenem Rechte, so, wie es Demokraten geziemt.Also durfte man von der Revolution, und von der Republik, die aus ihr hervorging, Tchtig-keit ihrer Mnner erwarten. Aber Revolutionre und Revolutionsrepublikaner haben im be-sten Falle nur eine redliche Mittelmigkeit bewiesen, eine treuherzige Unentschlossenheit,eine ergebene und geflissene Halbheit. Revolution und Republik haben kein Genie hervorge-bracht, sondern Kompromiler: Geduldmenschen, nicht Tatmenschen: Gestoene, nicht Sto-ende: Langmut, nicht Wagemut: Gehenlassen, nicht Inangriffnahme - und niemals Schp-fung. Die Revolutionsrepublik wurde eine Abschrift der abgestandenen Ideen des neunzehn-

    ten Jahrhunderts, in deren Verfassung sich auer dem hinterher als hchst unerwnscht be-fundenen Volksentscheid kein deutscher Gedanke findet. Und zu dem Kommunismus muman hinabsteigen, um in einem Wust von marxistischen Theorien und bolschewistischenDogmen wenigstens in der Andeutung einige deutsche Begriffe zu finden, krperschaftlicheVorstellungen in syndikalistisch-anarchistischer Form, mittelalterliche Gedankengnge, Bau-ernkriegideen, Thomas-Mntzer-Gedanken, und was der Versuche mehr sind, Spuren vonVorlufern aufzunehmen und so die Welt gleichzeitig aufzuwhlen und zu verwurzeln. Dasdeutsche Demokratentum dagegen, das durch die Revolution schlielich zur republikanischenHerrschaft gelangte, blieb ganz im Demagogischen befangen: und dem Nichtgenie dieser Re-volutionsrepublikaner, die unfhig waren, den westlichen oder auch den stlichen Ideen die

    deutschen Probleme so berzeugt wie berzeugend entgegenzusetzen, verdanken wir das tra-gische und doch so banale Schicksal, das sich an uns in diesen Jahren erfllt.

    Die deutschen Revolutionsdemokraten sind sogar noch stolz auf dieses Nichtgenie. Sie rh-men sich, durch ihre Nachgiebigkeit nach allen Seiten hin die Revolution geendet zu haben.Und sie rechnen sich als Verdienst an, zu jedem Ansinnen, das an uns gestellt wurde, einJA! gesprochen zu haben. Dann schlichen wir von einer Erfllung zur anderen. Wir besch-wichtigten und wir beschwichtigen noch. Wir warnten vor politischer Leidenschaft. Wir batenum deutsche Geduld. Wir konnten nicht leugnen, da wir vor Forderungen von Unmglichemstanden, die unsere Feinde aus dem von uns unterschriebenen Friedensvertrage geltend mach-ten. Aber noch immer versuchten wir, dem Unmglichen dadurch zu begegnen, da wir we-

    nigstens in einem Mglichkeitsteile nachgaben. Wir hielten fr Politik, wenn wir aus Unmg-lichem dort und Mglichem hier ein Geschft machten. Wir brachten nicht den Mut zu demGestndnisse auf, da dann, wenn Unmglichkeiten die Grundlage von Forderungen bilden,

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    auch den Mglichkeiten die Voraussetzung fehlt. Wir stellten nicht das Notwendige voran.Wir schoben vielmehr von Tag zu Tag eine Aussprache hinaus, die von Grund auf gewesenwre und mit einem Nein! htte beginnen mssen. Wir nahmen inzwischen alle Zumutun-gen hin. Wir lieen uns drngen, und erst dann, wenn wir an eine letzte Wand gedrngt wa-ren, vor der es kein Ausweichen mehr gab, zeigten wir den Feinden, die ihre Rechnungen

    vorwiesen, verlegen unsere leeren Taschen: leer an Geld - und leer an Gedanken.Die Revolutionsdemokratie gab nicht zu, da ihre Politik ein Irrtum gewesen war. Sie suchte

    jede Stimme zu unterdrcken, die sich gegen diese ihre Politik erhob. Sie verfolgte die natio-nale und die radikale Opposition, statt sich ihrer gegen den gemeinsamen Feind deutscher Na-tion zu bedienen. Und wenn sie einmal ein Wort wagte, eine angeschrfte Note hinausgehenlie, einen halben Schritt in die Freiheit ihres Handelns tat, dann konnte man gewi sein, dasie diesen ersten Schritt alsbald mit einem zweiten wieder zurcknahm. Sie hoffte auf dieZeit, auf die wachsende Weltvernunft und auf irgendeinen verbesserten Vlkerbund, statt sel-ber die Zeit herbeizufhren.

    Wir fuhren fort, unsere Pflicht zu tun, wie wir sie zu tun gewohnt sind. Wir zogen eine Appa-rat auf. Wir trieben sogar Propaganda. Und wir schrieben Noten auf Noten. Wir machten inBravheit. Wir machten in Korrektheit. Wir machten in politischer Brokratie. Und wir mach-ten, wie dies nachgerade nicht anders sein kann, in politischem Dilettantismus.

    Aber wo war der Genius der Nation? Und wo war ihr Dmon?

    V.

    Die Revolution kann nicht rckgngig gemacht werden.

    Man kann eine Revolution bekmpfen, solange es noch Zeit ist und man den Glauben hat, dadie Hilfe, die einer Nation in ihrer Not gebracht werden soll, immer noch am ehesten von der-jenigen Staatsform kommt, die bis dahin ihre beste Schutzform gewesen ist. Aber sobald eineRevolution einmal Tatsache ist, bleibt dem Menschen, der politische und geschichtlich zu-gleich denkt, nur brig, von ihr als einer neuen Gegebenheit auszugehen, auer der es nun-mehr keine andere gibt.

    Man kann die Auswirkung der Revolution dann wieder bekmpfen, wenn man Grund zu demGlauben hat, da die Not der Nation auch auf dem neuen Wege, den sie einschlug, nicht en-den, im Gegenteil, sich nur steigern werde. Aber man kann die Revolution selbst nicht unge-schehen machen, so, als ob sie niemals gewesen wre. Auch sie wird schlielich wieder das

    groe konservative Lebensgesetz besttigen, das nicht ein Beharrungsgesetz ist, wie man ge-meinhin glaubt, vielmehr ein Bewegungsgesetz, nach dem alles Dasein in einer Stetigkeitwchst, die auch durch Erschtterungen nicht unterbrochen wird, vielmehr nur die Erschei-nungen wandelt, sie neu, sie anders erscheinen lt, vermehrt um die Sonderbedingungen ei-nes jeden Zeitalters.

    Wir sind vor dem Kriege der, wie wir meinten, begrndeten Ansicht gewesen, da es so etwaswie eine Revolution in Deutschland niemals geben werde. Eine deutsche Revolution: diesschien ein Widerspruch zu sein - ein Widerspruch in sich. Die deutsche Geschichte war eineunrevolutionre Geschichte. Sie ist, wenn man will, eine Geschichte von Reformen gewesen,von Wiederaufnahmen, Herstellungen und Erneuerungen, die weither und langehin das deut-

    sche Leben beeinfluten und das europische sehr viel geistiger bestimmt haben, als ein revo-lutionrer Bruch dies htte tun knnen. Wir gingen immer wider den Dingen auf den proble-matischen Grund, ob es sich um das Verhltnis der weltlichen und geistlichen Gewalten han-

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    delte, um Fragen der irdischen Weltordnung, oder um die der seelischen Grundtatsachen, umFragen des Staates und der Macht, oder um die des Glaubens und der Erkenntnis. Wir knpf-ten an. Und wir stellten ab. Aber wir strzten nicht eigentlich um. Alle revolutionren Zuk-kungen gingen infolgedessen vorber, ohne berdauernde Spuren zu hinterlassen. Unseregrte revolutionre Bewegung fiel in die Lutherzeit, die freilich auch die Sickingenzeit war.

    Aber ihr glhender Drang verkam im Dunkel, wie Hutten sagte, und ging der Nation verlo-ren. Der Bauernkrieg vollends, der aus ihr hervorging, war voll von Dmonen und hineinwet-ternder Genialitt, aber ganz ohne Politik. Seine Auswirkung war nicht im mindesten revolu-tionr, sondern eher konservativ insofern, als in der Folge unter religiser, und zwar prote-stantischer wie katholischer Einwirkung, unser ehemals geschundenster Stand sich zu unse-rem gesundetsten, am meisten gefesteten und am meisten geachteten wandelte. Ein dreiig-

    jhriger Krieg, aber keine englische Revolution und keine franzsische Revolution, wurde dasgroe Ereignis unserer neueren Geschichte. Nicht um Probleme der Verfassung, sondern umdas Problem der Vorherrschaft in Deutschland, um diejenige von Preuen oder sterreich,gingen hernach unsere politischen Kmpfe, und allerdings war Preuen ein revolutionrerStaat, aber einer von pflichtdurchdrungener Kraft. Auch die Achtundvierziger wollten nichteigentlich Umsturz, sondern Erneuerung, und alles, was revolutionr an ihnen war, verhinder-te eher, da die deutschen Entscheidungen, die in ihr Zeitalter fielen, von ihnen selbst herbei-gefhrt wurden. Sei muten die deutsche Fahne wieder einrollen und die deutsche Einigungihren reaktionren, aber immerhin politischeren berwindern berlassen. Mit der Grndungdes Reiches aber, dieses fabelhaften Ordnungsstaates, den man nach allen Seiten hin als kon-servativ gesichert ansah, schien dann vollends jede Aussicht auf Revolution in Deutschlandversunken zu sein.

    Es ist anders gekommen. Wir muten wohl auch unsere Revolution haben! Und wir suchtenuns den ungeeignetesten Augenblick fr sie aus, in dem wir auenpolitisch so bedroht waren,wie niemals ein Volk bedroht gewesen ist. Vor dieser hchsten Gefahr suchten wir innenpoli-

    tisch auszubiegen, glaubten an ihr vorbeizukommen, hofften ihr zu entrinnen, wenn wir denStaat umwarfen. Jetzt stehen wir im Angesichte eines Verderbens, das auch die, welche esherbeifhrten, nicht leugnen knnen. Und es bleibt nichts anderes brig, als den Versuch zumachen, ob sich diese verunglckte Revolution nicht wenigstens umstellen lt, indem wirsie, die ein innenpolitischer Vorgang war, nun wieder in einen auenpolitischen Vorgang um-deuten: indem wir sie von einem deutschen Vorgang zu einem weltpolitischen Vorgang erhe-ben - und fruchtbar machen.

    Die Revolutionre selbst knnen dies nicht. Sie haben versagt, sind blogestellt durch Un-vermgen, und es wird nachgerade Zeit, da sei in die Bedeutungslosigkeit zurcktreten, ausder sie hervorgingen. Es bleibt nur brig, den Revolutionren die Revolution aus der Hand zu

    nehmen. Sollen wir die Revolution weiter treiben? Nein! Wir mssen sie in unsere Geschichteeinbeziehen! Eine Revolution ist immer Wendepunkt. Was an ihr Notwendigkeit war, dasvergeht nicht, das bleibt vielmehr, das verndert das Denken eines Volkes fr alle Zeiten. Diedeutsche Revolte und der neunte November werden freilich diese berlieferungschaffendeMacht von sich aus niemals ausben knnen. Sie werden immer eine Widerwrtigkeit derdeutschen Geschichte bleiben, die nur das Schweigen verdient, mit dem wir sie bedeckenwollen. Wir werden sie vielmehr immer, wenn wir auf eine Politisierung der deutschen Nati-on durch deren Prfungen hoffen, in einen Zusammenhang mit dem ungeheuren Erleben derJahre bringen mssen, die hinter uns liegen. Die Revolutionre haben sich umgekehrt alleMhe gegeben, diese Erleben im Volke vergessen zu machen. Und wirklich: wenn wir nach

    dem Anscheine urteilen, dann hat es nicht den geringsten Eindruck hinterlassen. Es kam eineZeit, in der wir sogar die Erinnerung zu scheuen schienen. Wir hatten auch die Siege hinteruns und machten kein Aufhebens von ihnen. Wir hatten als Volk getan, was der Staat von uns

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    verlangte. Aber jetzt wollten wir nichts mehr davon wissen. Es schmerzte. Man sollte nichtdaran rhren. Wir wollten leben, so gut oder so schlecht, und mglichst so gut, wie wir nurkonnten. Wir gaben uns sehr viel oberflchlicher, als wir sind, und ob es nun die Scham einesaufdmmernden Revolutionsgewissens sein mochte, die hineinspielte, es war doch auch dasZeichen einer sich verkennenden Kameradschaft, das wir ablegten, wenn wir keinen unbe-

    kannten Soldaten das symbolische Grabmal eines dankbaren Gedchtnisses errichteten. Unse-re zwei Millionen Tote von der Marne, von der Somme und in Flandern, von Ruland, Finn-land und Polen, von Italien, Rumnien, Kleinasien und in allen Meeren schienen nicht nurvergeblich fr die Nation gestorben, sondern auch von der Nation vergessen worden zu sein.Wir antworteten auf die Herabsetzungen, die unsere Feinde noch immer fr uns bereithielten,und auf die Selbstverherrlichungen, die sie sich zuteil werden lieen, nicht mit dem schlich-ten, stolzen und ein wenig verchtlichen Hinweis, da Wir doch das Volk des Weltkriegesgewesen sind und vor der Geschichte bleiben werden. Wir machten nicht wieder die Rech-nung auf, da wir Einer gegen Zehn gestanden hatten, - noch die andere Rechnung, da wirnur durch die Vorspiegelung von Vlkeridealen zu dieser deutschen Revolution verleitet wa-ren, der die Zehn ihr triumphierendes Finale verdankten. Im Gegenteile, wir lieen zu, davon den deutschen Intellektuellen, die einen, die Pazifisten, uns mit dem Unsinn des gloriavictis zu kommen wagten, dieser rgsten Verhhnung eines unpolitischen Volkes, das siegleichwohl verfhrt hatten, politisch zu handeln - whrend die anderen, die Zyniker, nunmehrihre Witze ber die groe Zeit machen durften, ber die zu groe Zeit, wie ihre Hundean-schauung sie nannte. Nach 1918 hat es viele gegeben, die heute Ungekannte sind, Offiziereder alten Armee und Beamte des alten Staates, die den Zusammenbruch nicht ertrugen unddie still von einer Erde und aus einer Zeit gingen, in der fr sie das Leben keinen Sinn mehrbesa. Aber wir haben von keinem Revolutionr, Demokraten und Pazifisten gehrt, der erstdie Revolution ideologisch mit herbeigefhrt hatte und dann den Betrug von Versailles nichtzu berleben vermochte, weil mit ihm das Reich seiner Verheiungen in Tuschungen und

    Selbsttuschungen zusammensank.Wir wollen nicht vergleichen, was wir als Deutsche vor 1914 waren, und was wir als Deut-sche nach 1918 sind. Wir suchen den dritten Standpunkt: und sehr eigentmlich ist hier, wieauf der Rechten nicht anders, wie auf der Linken, eine Stimmung anwchst, die zu den weni-gen Gemeinsamkeiten gehrt, die wir in der durch die Revolution auseinandergerissenen Na-tion noch haben, eine Stimmung, die allem Wilhelminischen grndlich abgewendet ist undseiner Rckkehr, statt sie innig zu fordern, heftig widerstrebt - aus sehr verschiedenen Grn-den und von einer ganz entgegengesetzten Einstellung her, gewi, aber in einer gleichgerich-teten Wendung. Im Volke ist das Gefhl einer demokratischen Selbstachtung, das sich gegendie Vergangenheit wehrt, weil es wenigstens fr die Zukunft nicht zugeben will, da das, was

    nun einmal nach dem vergeblichen Kriege in Deutschland revolutionr geworden ist, also ir-gendwie notwendig gewesen sein mu, sich gleichfalls als ganz und gar vergeblich heraus-stellen soll. Und unter den Nationalisten sind es sehr zusammengesetzte Empfindungen, dieteils die alldeutsche Kritik an der wilhelminischen Dilettanterei fortsetzen, teils, und dies istwichtiger, auf eine revolutionre Erfassung des konservativen Gedankens hindrngen, allesReaktionre von sich abtun und ganz Politik sein wollen, indem sie Geschichte sind. Restau-rationen als Epochen sind noch immer die leersten gewesen, geduldet und ganz ohne Wertund nicht aus eigener Macht, ein Geschenk fr Emigranten, die sich von ihrem Volkstum ge-trennt haben und sich nun wieder auf verlassene Sthle setzen drfen. Eine wilhelminischeRestauration mte die sinnloseste sein. Wilhelm dem Zweiten wird schon sein Recht vor derGeschichte werden. Er ist Typ und Figur und Reprsentant eines Zeitalters, das von ihm den

    Namen empfing. Er hat es gefhrt, als ein ebenso beweglicher wie unbedachter Herrscher,und braucht, da er immer noch der bedeutendste Ausdruck einer unbedeutenden Umgebungwar, das Urteil der Zukunft weniger zu scheuen, als dasjenige der Gegenwart, das er erfhrt

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    und verdient. Aber fr uns, und ber seine Gestalt hinaus, ist jetzt wahr geworden, was Her-mann Conradi in der tragischen Schrift voraussagte, die er ber die junge Generation und die-sen letzten Kaiser schrieb, ein Jahr nach seinem Regierungsantritte: Die Zukunft wird unsmit Kriegen und Revolutionen berschtten. Und dann? Wir wissen nur: die Intelligenz wirdum die Kultur - und die Armut, das Elend: sie werden um den Besitz ringen. Eines ist gewi:

    sie werden uns zu Hupten ziehen in die geheimnisvollen Zonen dieser Zukunft hinein: dieHohenzollern. Ob dann eine neue Zeit ihrer noch bedrfen wird -? Das wissen wir abermalsnicht. Wenn man Wilhelm den Zweiten nach dem Rumpfreiche zurckfhrte, das er einst alsdeutsches Weltreich beherrschte, und das sich jetzt deutscher Volksstaat nennt, dann wrdenwir den Gegensatz unseres Lebens noch viel schwerer empfinden, als er nunmehr von uns er-tragen werden mu. Wir haben als das unfertige Volk, das wir sind, eine vielleicht noch langeGeschichte vor uns. Wir sind je und je erst auf Umwegen zu uns selbst gekommen. Mit derRevolution endet die Weltgeschichte nicht, wie die Utopisten einer geschichtslosen Weltge-rechtigkeit annahmen, die uns den irdischen Himmel versprachen, in dem alle Menschen undVlker dem Genusse ihres Lebens in einem ewigen Frieden wrden leben knnen. Mit derRevolution, und mit der Enttuschung durch die Revolution, beginnt unsere Geschichte erst:sie setzt auf neuer Stufe ein, wie sie so oft schon auf neuer Stufe anhob - auf der schlichthinentscheidenden Stufe diesmal, auf der wir vor eine hchste und letzte probe gestellt werdenund nunmehr die Nation selbst zum Trger ihres Schicksals geworden ist. Auf dieser Stufewird das deutsche Volk die Erregungen aufnehmen mssen, die mit Politisierung einer Nationverbunden sind, und unter der Auswirkung der Revolution werden auch Wir den Vorgangvollziehen, der zu unserer Nationalisierung fhrt - oder die Nation wird nicht mehr sein. Ja,aus der Kritik an der Revolution werden wir noch einen Gewinn ziehen, der uns so wenig ver-loren gehen darf, wie die Revolution verloren werden darf: und wre es, da wir unterschei-den lernen, was in dem gedemtigten Leben, mit dem die acht Jahre fr uns abschlossen, oderwie viele noch folgen mgen, nun wirklich Verlust ist - und was wirklich Gewinn, und was

    vielleicht beides.Es gibt einen Revolutionsgewinn, der wieder nur stimmungsmig erfat werden kann: undder doch vorhanden ist - sprbar vorhanden. Es wrde sehr schwer fallen, ihn an bestimmtenWerten zu erlutern, ihn vorzuzeigen, ihn nachzuweisen. Im Gegenteile, er wrde sofort inein Nichts zerflattern, wenn wir auch nur den Versuch machen wollten, ihn mit den Wirklich-keiten sogenannter Errungenschaften, geschweige denn mit revolutionren und republikani-schen politischen Erfolgen zu belegen. Trotzdem ist er da. Seit der Revolution ist eine Vern-derung mit uns Allen geschehen. Eine Entscheidung ist gefallen. Das Volk ist jetzt vor Auf-gaben gestellt, die nicht mehr fr das Volk gelst werden knnen, sondern die das Volk selbstlsen mu. Diese Vernderung geht jetzt zwischen den Menschen als eine grere Volklich-

    keit um. Wir drfen sie freilich mit Demokratie schon deshalb nicht verwechseln, weil wirsehr bald auf ein Demagogentum stoen wrden. Aber sie bestimmt seit der Revolution unserffentliches Leben, und dasjenige, welches hinter ihm in den Menschen vorgeht. Sie nahmdiesem Leben bestimmte Hrten, die aus einer mechanisierten Tradition und mechanisieren-den Konvention kamen. Sie rckte die Menschen nher zusammen, und sie gab ihnen unter-einander Beziehungen, die frher von der Gesellschaft aus nicht mglich gewesen waren undin denen sich nunmehr ein erstes Zusammengehrigkeitsbewutsein ankndigt. Der Kriegwirkt hier nach, der Gegenstze aufhob, die wesentlich in Vorurteilen bestanden. Unser Lebenblieb so hlich, wie es immer gewesen war, die Grnderzeit wurde zur Schieberzeit, undnach der Revolution traten uns deren Erscheinungen auf der Strae mit allen Widerwrtigkei-ten einer Lockerung entgegen, die Auflsung war. Aber eine Schicht ist niemals das Volk,

    und hinter diesem ueren Leben haben wir das Recht zu einem verinnerlichten Dasein erhal-ten, das den Deutschen dem Deutschen nahebringt und trotz allem Ha, aller Feindschaft, al-ler Klassenkampfstellung der Parteien in Deutschland unter Deutschen ein schicksalsmiges

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    Verbundenheitsgefhl schafft, in dem wir ahnend zu einem ersten Male verspren, da hierein Volk eine Nation werden will.

    Wenn wir uns eine Rechenschaft geben, dann erkennen wir, da wir mit der Last, die von unsabfiel, den Alp des Dilettantismus meinen, der als ein Fluch deutscher Nation ber dem wil-

    helminischen Zeitalter gelegen hat. Wenn wir den Krieg gewonnen htten, dann wrden wirdiesen Dilettantismus vielleicht aus eigener Kraft allmhlich berwunden haben: auch hiervon der Jugend her, die es schon vor dem Kriege gab und die sich im Kriege bewhrte, voneiner Tugend her, die nunmehr von den Schlachtfeldern das Bewutsein ihrer nationalpoliti-schen Bestimmung mitgebracht htte - und unter dem Zwange der weltpolitischen Aufgaben,die uns mit dem Siege zugefallen sein wrden, an deren Lsung wir nach dem Vorbilde derAuslandsdeutschen nunmehr die Sachlichkeit und Fachlichkeit einer immer erhaltenden tech-nischen, organisatorischen und schlielich auch staatlichen Begabung in Groformen sehenkonnten. Dies ist vorbei. Wir haben die Welt verloren, die der Weltkrieg uns erffnen sollte.Die Revolution hat das Sechzigmillionenvolk in die von allen Seiten her beaufsichtigte Engeeines eingepferchten Daseins zurckgeschleudert. Und doch haben die Ereignisse innerlich

    erneuernd gewirkt und mit Gewaltsamkeit einen seelischen Vorgang herbeigefhrt und be-schleunigt, der aus Deutschen, die zu Laien ihres Vollkommenheitswahnes, ihrer Herkmm-lichkeiten und ihrer Reichtmer geworden waren, wieder Menschen machte, von denen einSchein abfiel.

    Wir sind jetzt ein Volk ohne Wirklichkeit. Wir besitzen nur noch Mglichkeiten, ferne unge-wisse und beinahe verzweifelte Mglichkeiten. Aber von diesen Mglichkeiten glauben wirallerdings, da ihnen die Revolution die Bahn freier gemacht hat, als sie vor der Revolutiongewesen ist - sofern das Volk selbst sich diese Bahn nicht abermals verschttet.

    VI.

    Die Revolutionre von 1918 haben den Krieg von 1914 verloren, weil ihre Revolution keinedeutsche Revolution war. Sie glaubten genug zu tun, wenn sie nur nachmachten, was der We-sten ihnen vorgemacht hatte. Sie begriffen nicht, was die russischen Revolutionre fr ihrLand im Verlaufe der russischen Revolution von Jahr zu Jahr mehr begriffen und wonach seivon Stufe zu Stufe derselben folgerichtig gehandelt haben: da die Revolution eines Volkesnur eine nationale Revolution sein kann.

    Die deutschen Revolutionre machten vielmehr aus der deutschen Revolution eine westliche,eine parlamentarische, eine nach englisch-franzsischen Vorbildern verfassungspolitisch ge-

    richtete Revolution. Aber die Zeit ist seit 1689 und 1789 um Jahrhunderte vorgerckt. DerWesten lebte sich in dieser Zeit in den Liberalismus ein. Er lernte in dieser liberalen Zeit, sei-ne Maximen zu Taktiken zu benutzen, um das Volk zu betrgen. Er nannte diese Demokratie,obwohl sich in dieser demokratischen Zeit herausstellte, wie wenig doch Freiheit und Gleich-heit und Brderlichkeit ein politisches Brot sind, von dem ein Volk leben kann.

    Also blieb die deutsche Revolution eine liberale Revolution. Dies haben die Revolutionrevon 1918 nicht hindern wollen und nicht hindern knnen, obwohl sie sich Sozialisten nann-ten. Der Sozialismus, der in und neben dem Liberalismus heraufkam, will Gerechtigkeit. Aberdiese verhngnisvolle Revolution der deutschen Revolutionre hat die Gerechtigkeit fr Men-schen unverwirklicht gelassen und hinnehmen mssen, da die Gerechtigkeit fr Vlker un-terdrckt wurde. Es geschah dies aus Grnden, die, wie wir sehen werden, in einem Sozialis-mus selber gelegen haben, der sich immer nur um Klassen, aber niemals um Nationen km-merte. Dies fllt jetzt auf den Sozialismus zurck: es gibt keine Gerechtigkeit fr Menschen,

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    wenn es nicht vorher eine Gerechtigkeit fr Vlker gibt. Menschen knnen nur leben, wennihre Vlker leben knnen.

    Eine Revolution ist niemals vergebens. Ihre Probleme bleiben. Auch die Probleme der deut-schen Revolution werden bleiben. Die Probleme des Sozialismus bleiben. Und das Problem

    des deutschen Sozialismus wird bleiben. Wir fassen ihn in das Problem einer neuen Weltord-nung zusammen, die nach dem Willen der Weltgeschichte berufen ist, im Zeitalter der Tech-nik, der berbevlkerung und des von allen Vlkern verlorenen Weltkrieges die Lebensord-nungen des neunzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die Demokratie, den Liberalismusund den Parlamentarismus abzulsen.

    Wir knnen immer nur erwarten, da wir dieses Problem von Deutschland aus fr Deutsch-land lsen werden: und vielleicht noch fr die ihm in mitteleuropischer Reichweite verbun-denen jungen Staaten des Ostens. Wenn wir durchaus nicht von unserer schdlichen Gewohn-heit lassen knnen, weniger an das eigene Volk zu denken, als an andere Vlker, dann mgenwir dies in der beruhigenden berzeugung tun, da alle Lsungen, z