126

Canetti Marrakesch

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Canetti Marrakesch
Page 2: Canetti Marrakesch
Page 3: Canetti Marrakesch
Page 4: Canetti Marrakesch

Über dieses Buch Der Zufall führte Canetti 1954 als Begleitereines Filmteams in ein bestürzend fremdartiges Land – nachMarrakesch. Erst aus der Distanz, nach seiner Rückkehr nachLondon, skizzierte er die Eindrücke dieser Reise. Die Aufzeich-nungen sind kein Reisebericht im klassischen Sinn. Es sindMiniaturen von atmosphärischen Erscheinungen einer orientali-schen Großstadt. Canetti streift durch die arabischen und jüdi-schen Viertel der Stadt, atmet die seltsamen Gerüche, beobachtetdie feilschenden Händler in den Suks und die Verkäuferinnenduftenden Brotes, vernimmt die Stimmen der Blinden, Bettlerund zungenlosen Krüppel in den Slums, spürt die hilflose Krea-türlichkeit und Nähe des Todes vor den Kamelen mit ihrenSchlächtern, staunt über die vielen Gesichter armer Juden in derMellah, wird Zeuge intimster menschlicher Verhältnisse, siehtBosheit, Armut und Prostitution und spürt überall nur die eineSehnsucht, die Sehnsucht nach einem besseren Leben. In diesenProsastücken von verhaltener Subjektivität lauscht der präziseBeobachter auf Stimmen, die hinter der Realität die letztenDinge offenbaren.»›Die Stimmen von Marrakesch‹ ist jenes Buch, durch das EliasCanetti dem Leser zu so etwas wie einem vertrauen Freundwird, und in dem aus allen Schilderungen von Elend, orientali-scher Großstadtmisere am Rande menschlichen Daseins, eineArt Freude an allem Menschlichen und Brüderlichkeit gegen-über dem Fremdesten strahlt.« François Bondy

Der Autor Elias Canetti wurde am 25. Juli 1905 in Rustschuk/Bulgarien geboren. Übersiedlung der Familie nach Wien, Abiturin Frankfurt, Studium der Naturwissenschaften in Wien, Pro-motion zum Dr. phil. 1938 Emigration nach London. 1972wurde Elias Canetti mit dem Georg-Büchner-Preis, 1975 mitdem Nelly-Sachs-Preis, 1977 mit dem Gottfried-Keller-Preisund 1981 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.Im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen neben dem berühm-ten frühen Roman ›Die Blendung‹ (Bd. 696) noch folgendeWerke: ›Die Provinz des Menschen‹ (Bd. 1677), ›Die geretteteZunge‹ (Bd. 2083), ›Masse und Macht‹ (Bd. 6544), ›Dramen.Hochzeit/Komödie der Eitelkeit/Die Befristeten‹ (Bd. 7027) unddie Essaysammlung ›Das Gewissen der Worte‹ (Bd. 5058).

Page 5: Canetti Marrakesch

ELIAS CANETTI

DIE STIMMEN VON MARRAKESCH

AUFZEICHNUNGEN NACH EINER REISE

FISCHER TASCHENBUCH VERLAG

Page 6: Canetti Marrakesch

Ungekürzte AusgabeFischer Taschenbuch Verlag

1.-I5. Tausend Juli 198016.-22. Tausend November 1980

23.-35.Tausend Mai 198130.-45. Tausend Oktober 1981

40.-55. Tausend November 198156.-70. Tausend März 1982

Umschlagentwurf: Jan Buchholz / Reni HinschFischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigungdes Carl Hanser Verlages, München und Wien

© 1967 Elias Canetti, London© 1978 Carl Hanser Verlag, München und Wien

Gesamtherstellung: Hanseatische Druckanstalt GmbH, HamburgPrinted in Germany

58O-ISBN-3-596-22103-X

scan by párducö 2002

Page 7: Canetti Marrakesch

Für Veza Canetti

Page 8: Canetti Marrakesch

BEGEGNUNGEN MIT KAMELEN

Dreimal kam ich mit Kamelen in Berührung und esendete jedesmal auf tragische Weise.»Ich muß dir den Kamelmarkt zeigen«, sagte meinFreund, bald nach meiner Ankunft in Marrakesch. »Erfindet jeden Donnerstag am Vormittag statt, vor derMauer beim Bab-el-Khemis. Es ist ziemlich weit, aufder anderen Seite der Stadtmauer, ich fahre dich ambesten hinaus.«Der Donnerstag kam und wir fuhren hin. Es war schonspät; als wir am großen, freien Platz vor der Stadtmau-er anlangten, war es Mittag geworden. Der Platz warbeinahe leer. Am anderen Ende, einige zweihundertMeter von uns entfernt, stand eine Gruppe von Men-schen; aber wir sahen keine Kamele. Die kleinen Tiere,mit denen die Leute sich abgaben, waren Esel, und vonEseln war die Stadt ohnehin voll; sie trugen alle Lastenund wurden so schlecht behandelt, daß man es schongar nicht mehr sehen mochte. »Wir sind zu spät ge-kommen«, sagte mein Freund. »Der Kamelmarkt istvorbei.« Er fuhr in die Mitte des Platzes, um michdavon zu überzeugen, daß wirklich nichts mehr zusehen war.Aber bevor er hielt, sahen wir eine Schar von Men-schen auseinanderstieben. In ihrer Mitte stand ein Ka-mel auf drei Beinen, das vierte war ihm hinaufgebun-den worden. Es hatte einen roten Maulkorb an, einStrick war ihm durch die Nüstern gezogen worden,und ein Mann, der sich in einiger Entfernung hielt,

7

Page 9: Canetti Marrakesch

suchte es daran fortzuziehen. Es rannte ein Stück vor-wärts, blieb stehen und sprang dann überraschend aufseinen drei Beinen in die Höhe. Seine Bewegungenwaren so unerwartet wie unheimlich. Der Mann, der esführen sollte, gab jedesmal nach; er fürchtete sichdavor, dem Tier zu nahe zu kommen und war nichtganz sicher, was es als Nächstes unternehmen würde.Aber nach jeder Überraschung zog er wieder an und esgelang ihm, sehr langsam, das Tier in eine bestimmteRichtung zu zerren.Wir blieben stehen und ließen das Fenster des Wagensherunter; bettelnde Kinder umringten uns, über ihrenStimmen, die um Almosen baten, hörten wir dasSchreien des Kamels. Einmal sprang es mit solcherKraft zur Seite, daß der Mann, der es zog, den Strickverlor. Die Menschen, die sich in einiger Entfernunghielten, rannten noch weiter davon. Die Luft um dasKamel war von Angst geladen; am meisten Angst hattees selbst. Der Führer rannte ein Stück mit und packteblitzrasch den Strick, der am Boden schleifte. DasKamel sprang mit einer wellenartigen Bewegung seit-lich in die Höhe, aber es riß sich nicht mehr los; eswurde weitergezerrt.Ein Mann, den wir nicht bemerkt hatten, trat hinter dieKinder, die unseren Wagen umstanden, schob sie bei-seite und erklärte uns in gebrochenem Französisch:»Das Kamel hat die Tollwut. Es ist gefährlich. Manführt es ins Schlachthaus. Man muß sehr achtgeben.«Er machte ein ernstes Gesicht. Zwischen jedem seinerSätze hörte man das Schreien des Tieres.Wir bedankten uns bei ihm und fuhren traurig davon.Während der nächsten Tage sprachen wir oft vom

8

Page 10: Canetti Marrakesch

tollwütigen Kamel, seine verzweifelten Bewegungenhatten uns einen tiefen Eindruck gemacht. Wir warenauf den Markt gegangen in der Erwartung, Hundertevon diesen sanften, kurvenreichen Tieren zu sehen.Aber auf dem riesigen Platz hatten wir ein einzigesgefunden, auf drei Beinen, gefesselt, in seiner letztenStunde, und während es um sein Leben kämpfte, fuh-ren wir davon.Einige Tage später kamen wir an einem anderen Teileder Stadtmauer vorbei. Es war Abend, der rote Glanzauf der Mauer war am Verlöschen. Ich behielt dieMauer, solange ich konnte, im Auge und freute michan dem allmählichen Wechsel ihrer Farbe. Da sah ich,in ihrem Schatten, eine große Karawane von Kamelen.Die meisten hatten sich auf ihre Knie niedergelassen,andere standen noch; Männer mit Turbans auf demHaupte gingen geschäftig und doch ruhig unter ihnenumher, es war ein Bild des Friedens und der Dämme-rung. Die Farbe der Kamele ging in der der Mauer auf.Wir stiegen aus und mischten uns selbst unter dieTiere. Je ein gutes Dutzend von ihnen kniete in einemRing um einen Berg von aufgeworfenem Futter. Siestreckten die Hälse vor, zogen das Futter in den Mund,warfen den Kopf zurück und kauten ruhig. Wir be-trachteten sie eingehend und siehe, sie hatten Gesich-ter. Sie waren sich ähnlich und doch so sehr verschie-den. Sie erinnerten an alte englische Damen, die wür-devoll und scheinbar gelangweilt den Tee zusammeneinnehmen, aber die Bosheit, mit der sie alles um sichherum betrachten, nicht ganz verbergen können. »Dasist meine Tante, wirklich«, sagte mein englischerFreund, den ich taktvoll auf die Ähnlichkeit mit seinen

9

Page 11: Canetti Marrakesch

Landsleuten aufmerksam machte, und wir fanden baldmanche andere Bekannte. Wir waren stolz, daß wir indiese Karawane geraten waren, von der uns niemandgesprochen hatte, und zählten 107 Kamele.Ein junger Bursche kam auf uns zu und bat uns um eineMünze. Die Farbe seines Gesichtes war ein dunklesBlau, wie die seines Gewandes; er war Treiber undseinem Aussehen nach einer von den ›blauen Män-nern‹, die im Süden des Atlas wohnen. Die Farbe ihrerKleider, so hatte man uns gesagt, teilt sich der Haut mitund so sind sie alle, Männer und Frauen, blau, dieeinzig blaue Rasse. Wir versuchten, von unserem jun-gen Treiber, der für die empfangene Münze dankbarwar, einiges über die Karawane zu erfahren. Aber erbeherrschte nur wenige Worte Französisch: Sie kämenvon Gulimin und seien seit fünfundzwanzig Tagenunterwegs. Das war alles, was wir verstanden. Guli-min war weit im Süden unten, in der Wüste, und wirfragten uns, ob die Kamel-Karawane den Atlas über-quert habe. Wir hätten auch gern gewußt, was ihrweiteres Ziel sei, denn hier unter den Mauern der Stadtkonnte die Wanderung nicht gut zu Ende sein und dieTiere schienen sich für kommende Strapazen zustärken.Der dunkelblaue Bursche, der uns nicht mehr sagenkonnte, gab sich Mühe, uns gefällig zu sein und führteuns zu einem schlanken, großgewachsenen altenMann, der einen weißen Turban trug und mit Respektbehandelt wurde. Er sprach gut Französisch und ent-gegnete fließend auf unsere Fragen. Die Karawane kamvon Gulimin und war wirklich seit fünfundzwanzigTagen unterwegs.

10

Page 12: Canetti Marrakesch

»Und wohin geht es weiter?«»Es geht nicht weiter«, sagte er. »Sie werden hierverkauft, zum Schlachten.«»Zum Schlachten?«Wir waren beide betroffen, selbst mein Freund, der inseiner Heimat ein leidenschaftlicher Jäger ist. Wirdachten an die weite Wanderung der Tiere; ihre Schön-heit in der Dämmerung; ihre Ahnungslosigkeit; ihrfriedliches Mahl; und vielleicht auch an die Menschen,an die sie uns erinnert hatten.»Zum Schlachten, ja«, wiederholte der Alte, seineStimme hatte etwas Schartiges, wie von einem abge-nützten Messer.»Wird denn hier viel Kamelfleisch gegessen?« fragteich. Ich suchte meine Betroffenheit hinter sachlichenFragen zu verbergen.»Sehr viel!«»Wie schmeckt es denn? Ich habe noch nie welchesgegessen.«»Sie haben noch nie Kamelfleisch gegessen?« Er brachin ein höhnisches, etwas dünnes Gelächter aus undwiederholte: »Sie haben noch nie Kamelfleisch geges-sen?« Es war klar, er war der Meinung, daß man unshier nichts als Kamelfleisch vorsetzte, und er gehabtesich sehr überlegen, so als zwinge er uns, es zu essen.»Es ist sehr gut«, sagte er.»Was kostet denn ein Kamel?«»Das ist verschieden. Von 30000 bis 70000 Francs. Ichkann es Ihnen zeigen. Man muß es verstehen.« Erführte uns zu einem sehr schönen, hellen Tier undberührte es mit seinem Stöckchen, das ich erst jetztbemerkte. »Das ist ein gutes Tier. Das ist 70000 Francs

11

Page 13: Canetti Marrakesch

wert. Der Besitzer ist selber darauf geritten. Er könntees noch viele Jahre verwenden. Aber er hat es lieberverkauft. Für das Geld kann er zwei junge Tiere kau-fen, verstehen Sie?«Wir verstanden. »Sind Sie mit der Karawane vonGulimin gekommen?« fragte ich.Er lehnte diese Zumutung etwas verärgert ab. »Ich binvon Marrakesch«, sagte er stolz. »Ich kaufe Tiere undverkaufe sie an die Schlächter.« Er hatte nur Verach-tung übrig für die Männer, die den ganzen weiten Weggekommen waren, und von unserem jungen blauenTreiber sagte er: »Der weiß nichts.«Er aber wollte wissen, woher wir seien und wir sagten,der Einfachheit halber, beide »von London«. Er lächel-te und schien ein wenig gereizt. »Ich war im Krieg inFrankreich«, sagte er. Sein Alter machte es klar, daß ervom Ersten Weltkrieg sprach. »Ich war neben Englän-dern. – Ich kam nicht gut mit Ihnen aus«, fügte er raschund etwas leiser hinzu. »Aber heute ist der Krieg keinKrieg mehr. Es ist nicht der Mann, der zählt, dieMaschine ist alles.« Er sagte noch einiges über denKrieg, das sehr resigniert klang. »Das ist kein Kriegmehr.« Darüber einigten wir uns mit ihm und er schienes so zu verwinden, daß wir aus England kamen.»Sind alle Tiere schon verkauft?« fragte ich noch.»Nein. Alle können nicht verkauft werden. Die übrigbleiben, gehen weiter, nach Settat. Kennen Sie Settat?Das ist auf dem Wege nach Casablanca, 160 Kilometervon hier. Dort ist der letzte Kamelmarkt. Da werdendie übrigen verkauft.«Wir bedankten uns. Er entließ uns ohne jede Feierlich-keit. Wir gingen nicht mehr unter den Kamelen herum,

12

Page 14: Canetti Marrakesch

die Lust dazu war uns vergangen. Es war beinahedunkel, als wir die Karawane verließen.Das Bild der Tiere ließ mich nicht los. Ich dachte mitScheu an sie, aber doch, als wären sie mir seit langemvertraut. Die Erinnerung an ihre Henkersmahlzeit ver-band sich mit jenem Gespräch über Krieg. Der Gedan-ke, den Kamelmarkt am nächsten Donnerstag zu besu-chen, blieb in uns lebendig. Wir beschlossen, früh amMorgen zu fahren, und vielleicht hofften wir, diesmaleinen weniger düsteren Eindruck von ihrem Dasein zugewinnen.Wir kamen wieder vor dem Tor EL-Khemis an. DieZahl der Tiere, die wir vorfanden, war nicht allzu groß:Sie verloren sich in der Weite des Platzes, der schwerauszufüllen wäre. Auf einer Seite waren wieder dieEsel. Wir gingen nicht zu ihnen hinüber, wir bliebenbei den Kamelen. Es waren nie mehr als je drei odervier von ihnen beisammen; manchmal stand ein Jungesallein neben seiner Mutter. Sie schienen uns erst alleruhig. Das einzig Laute waren kleine Gruppen vonMännern, die heftig feilschten. Aber es kam uns so vor,als ob die Männer manchen unter den Tieren nichttrauten; sie gingen an diese nicht zu nahe heran odernur, wenn es wirklich notwendig war.Es dauerte nicht lange und wir wurden auf ein Kamelaufmerksam, das sich gegen etwas zu wehren schien, esknurrte und brummte und drehte den Kopf heftig nachallen Seiten. Ein Mann versuchte, es auf die Knie zuzwingen, da es nicht gehorchte, half er mit Stockhiebennach. Unter den zwei oder drei anderen Leuten, die zuHäupten des Tieres standen und sich an ihm zu schaf-fen machten, fiel einer besonders auf: Es war ein star-

13

Page 15: Canetti Marrakesch

ker, gedrungener Mensch mit dunklem, grausamemGesicht. Er stand fest da, seine Beine waren wie in denBoden verwurzelt. Mit energischen Bewegungen derArme zog er einen Strick durch die Nasenwand desTieres, die er durchbohrt hatte. Nase und Strick färb-ten sich rot von Blut. Das Kamel zuckte und schrie,bald brüllte es laut; schließlich sprang es, nachdem esniedergekniet war, nochmals auf und versuchte sichloszureißen, während der Mann den Strick immerfester zog. Die Leute gaben sich alle erdenkliche Mühe,es zu bändigen, und sie waren noch damit beschäftigt,als jemand an uns herantrat und in gebrochenem Fran-zösisch sagte:»Es riecht. Es riecht den Schlächter. Es ist zumSchlachten verkauft worden. Es kommt jetzt insSchlachthaus.«»Aber wie kann es das riechen?« fragte mein Freundungläubig.»Das ist der Schlächter, der dort vor ihm steht«, und erzeigte auf den festen, dunklen Mann, der uns aufgefal-len war. »Der Schlächter kommt aus dem Schlachthausund riecht nach Kamelblut. Das hat das Kamel nichtgern. Ein Kamel kann sehr gefährlich sein. Wenn es dieTollwut hat, kommt es bei Nacht und tötet die Leuteim Schlaf.«»Wie kann es die Leute töten?« fragte ich.»Wenn die Leute schlafen, kommt das Kamel, knietsich auf sie und erstickt sie im Schlaf. Man muß sehrachtgeben. Bevor die Leute aufwachen, sind sie er-stickt. Ja, das Kamel hat eine sehr gute Nase. Wenn esnachts neben seinem Herrn liegt, wittert es Diebe undweckt den Herrn. Das Fleisch ist gut. Man soll das

14

Page 16: Canetti Marrakesch

Fleisch essen. Ça donne du courage. Das Kamel istnicht gern allein. Allein geht es nirgends hin. Wenn einMann sein Kamel in die Stadt treiben will, muß er einanderes finden, das mitgeht. Er muß sich eins auslei-hen, sonst bringt er sein Kamel nicht in die Stadt. Eswill nicht allein sein. Ich war im Krieg. Ich habe eineVerletzung, sehen Sie, hier«, er zeigte auf seineBrust.Das Kamel hatte sich ein wenig beruhigt und ichwandte zum erstenmal den Blick auf den Sprecherselbst. Die Brust schien eingedrückt und der linke Armwar steif. Der Mann kam mir bekannt vor. Er warklein, mager und sehr ernst. Ich fragte mich, wo ich ihnschon gesehen hatte.»Wie tötet man Kamele?«»Man schneidet ihnen die Halsschlagader durch. Siemüssen verbluten. Sonst darf man sie nicht essen. EinMuselman darf sie nicht essen, wenn sie nicht verblutetsind. Ich kann nicht arbeiten, wegen dieser Verletzung.Darum mache ich hier ein wenig den Führer. Ich habeletzten Donnerstag mit Ihnen gesprochen, erinnern Siesich an das tollwütige Kamel? Ich war in Safi, als dieAmerikaner gelandet sind. Wir haben ein wenig gegendie Amerikaner gekämpft, aber nicht viel, dann bin ichin die amerikanische Armee aufgenommen worden.Da waren viele Marokkaner. Ich war in Korsika und inItalien mit den Amerikanern. Ich war überall. DerDeutsche ist ein guter Soldat. Am schlimmsten war dasCasino. Da war es wirklich schlimm. Da hab ich meineVerletzung abbekommen. Kennen Sie das Casino?«Ich begriff allmählich, daß er Monte Casino meinte. Ergab mir eine Schilderung der erbitterten Kämpfe dort,

15

Page 17: Canetti Marrakesch

und wurde, er, der sonst ruhig und gelassen war, solebhaft dabei, als ginge es um die mörderischen Gelüstetoller Kamele. Er war ein redlicher Mann, er glaubte,was er sagte. Aber er hatte einer Gruppe von Amerika-nern mitten unter den Tieren erblickt und wandte sichsehr rasch diesen zu. Er verschwand so geschwind, wieer aufgetaucht war, und mir war es recht; denn ichhatte das Kamel, das nun nicht mehr brüllte, aus Augeund Ohr verloren und wollte es noch einmal sehen.Ich fand es bald. Der Schlächter hatte es stehen gelas-sen. Es kniete wieder. Es zuckte noch manchmal mitdem Kopf. Das Blut aus den Nüstern hatte sich weiterausgebreitet. Ich fühlte etwas wie Dankbarkeit für diewenigen trügerischen Augenblicke, in denen man esallein ließ. Aber ich konnte nicht lange hinsehen, weilich sein Schicksal kannte und schlich mich davon.Mein Freund hatte sich während der Erzählung desFührers abgewandt, er war irgendwelchen Engländernauf der Spur. Ich suchte ihn, bis ich ihn auf der anderenSeite des Platzes fand, er war unter die Esel geraten.Vielleicht fühlte er sich hier weniger unbehaglich.Während der übrigen Zeit unseres Aufenthaltes in derroten Stadt sprachen wir nie mehr von Kamelen.

Page 18: Canetti Marrakesch

DIE SUKS

Es ist würzig in den Suks, es ist kühl und farbig. DerGeruch, der immer angenehm ist, ändert sich allmäh-lich, je nach der Natur der Waren. Es gibt keine Namenund Schilder, es gibt kein Glas. Alles was zu verkaufenist, ist ausgestellt. Man weiß nie, was die Gegenständekosten werden, weder sind sie an ihren Preisen aufge-spießt, noch sind die Preise fest.Alle Gelasse und Läden in denen dasselbe verkauftwird, sind dicht beieinander, zwanzig oder dreißigoder mehr von ihnen. Da gibt es einen Bazar fürGewürze und einen für Lederwaren. Die Seiler habenihre Stelle und die Korbflechter die ihre. Von denTeppichhändlern haben manche große, geräumige Ge-wölbe; man schreitet an ihnen vorbei wie an einereigenen Stadt und wird bedeutungsvoll hineingerufen.Die Juweliere sind um einen besonderen Hof angeord-net, in vielen von ihren schmalen Läden sieht manMänner bei der Arbeit. Man findet alles, aber manfindet es immer vielfach.Die Ledertasche, die man möchte, ist in zwanzig ver-schiedenen Läden ausgestellt und einer dieser Lädenschließt unmittelbar an den anderen an. Da hockt einMann inmitten seiner Waren. Er hat sie alle ganz nahbei sich, es ist wenig Platz. Er braucht sich kaum zustrecken, um jede seiner Ledertaschen zu erreichen;und nur aus Höflichkeit, wenn er nicht sehr alt ist,erhebt er sich. Aber der Mann im Gelaß neben ihm, derganz anders aussieht, sitzt inmitten derselben Waren.

17

Page 19: Canetti Marrakesch

Das geht vielleicht hundert Meter so weiter, zu beidenSeiten der gedeckten Passage. Es wird sozusagen allesauf einmal angeboten, was dieser größte und berühm-teste Bazar der Stadt, des ganzen südlichen Marokkoan Lederwaren besitzt. In dieser Zurschaustellung liegtviel Stolz. Man zeigt, was man erzeugen kann, aberman zeigt auch wieviel es davon gibt. Es wirkt so, alswüßten die Taschen selber, daß sie der Reichtum sindund als zeigten sie sich schön hergerichtet den Augender Passanten. Man wäre gar nicht verwundert, wennsie plötzlich in rhythmische Bewegung gerieten, alleTaschen zusammen, und in einem bunten orgiasti-schen Tanz alle Verlockung zeigten, deren sie fähigsind.Das Gildengefühl dieser Gegenstände, die von allenandersartigen abgesondert beisammen sind, wird vomPassanten für jeden Gang durch die Suks nach seinerLaune wiedergeschaffen. »Heute möchte ich unter dieGewürze gehen‹, sagt er sich und die wunderbareMischung von Gerüchen steigt in seiner Nase auf under sieht die großen Körbe mit dem roten Pfeffer vorsich. ›Heute hätte ich Lust auf die gefärbten Wollen‹und schon hängen sie hoch von allen Seiten herunter, inPurpur, in Dunkelblau, in Sonnengelb und Schwarz.›Heute will ich unter die Körbe gehen und sehen, wiesie sich flechten.‹Es ist erstaunlich, wieviel Würde diese Gegenstände sobekommen, die der Mensch gemacht hat. Sie sind nichtimmer schön, mehr und mehr Gesindel von zweifel-hafter Herkunft schleicht sich ein, von Maschinenerzeugt, aus den Ländern des Nordens eingeführt.Aber die Art, in der sie sich präsentieren, ist immer

18

Page 20: Canetti Marrakesch

noch die alte. Neben den Läden, wo nur verkauft wird,gibt es viele, vor denen man zusehen kann, wie dieGegenstände erzeugt werden. So ist man von Anfangan dabei, und das stimmt den Betrachter heiter. Dennzur Verödung unseres modernen Lebens gehört es, daßwir alles fix und fertig ins Haus und zum Gebrauchbekommen, wie aus häßlichen Zauberapparaten. Hieraber kann man den Seiler eifrig bei seiner Arbeit sehen,und neben ihm hängt der Vorrat fertiger Seile. Inwinzigen Gelassen drechseln Scharen von kleinen Jun-gen, sechs oder sieben von ihnen zugleich, an Holzherum, und junge Männer fügen aus den Teilen, dieihnen von den Knaben hergestellt werden, niedrigeTischchen zusammen. Die Wolle, deren leuchtendeFarben man bewundert, wird vor einem selbst gefärbt,und allerorts sitzen Knaben herum, die Mützen inhübschen und bunten Mustern stricken.Es ist eine offene Tätigkeit, und was geschieht, zeigtsich, wie der fertige Gegenstand. In einer Gesellschaft,die so viel Verborgenes hat, die das Innere ihrer Häu-ser, Gestalt und Gesicht ihrer Frauen und selbst ihreGotteshäuser vor Fremden eifersüchtig verbirgt, istdiese gesteigerte Offenheit dessen, was erzeugt undverkauft wird, doppelt anziehend.Eigentlich wollte ich den Handel kennenlernen, aberüber den Gegenständen, die verhandelt wurden, verlorich ihn, wenn ich die Suks betrat, immer erst aus denAugen. Naiv besehen erscheint es unverständlich, war-um man sich einem bestimmten Kaufmann in Maro-quinleder zuwendet, wenn es daneben zwanzig anderegibt, deren Waren sich kaum von den seinen unter-scheiden. Man kann von einem zum anderen

19

Page 21: Canetti Marrakesch

gehen und wieder zum ersten zurück. Der Laden, indem man kaufen wird, ist nie von vornherein sicher.Selbst wenn man sich diesen oder jenen unter ihnenvorgenommen hätte, man hat jede Gelegenheit, sicheines anderen zu besinnen.Der Passant, der außen vorübergeht, ist durch nichts,weder Türen noch Scheiben von den Waren getrennt.Der Händler, der mitten unter ihnen sitzt, trägt keinenNamen zur Schau und es ist ihm, wie ich schon sagte,ein Leichtes, überall hinzulangen. Dem Passanten wirdjeder Gegenstand bereitwillig gereicht. Er kann ihnlang in der Hand halten, er kann lang darüber sprechen,er kann Fragen stellen, Zweifel äußern, und wenn erLust hat, seine Geschichte, die Geschichte seines Stam-mes, die Geschichte der ganzen Welt vorbringen, ohneetwas zu kaufen. Der Mann unter seinen Waren ist vorallem eines: Er ist ruhig. Er sitzt immer da. Er siehtimmer nah aus. Er hat wenig Platz und Gelegenheit zuausführlichen Bewegungen. Er gehört seinen Waren sosehr wie sie ihm. Sie sind nicht weggepackt, er hatimmer seine Hände oder seine Augen auf ihnen. EineIntimität, die verführerisch ist, besteht zwischen ihmund seinen Gegenständen. Als wären sie seine sehrzahlreiche Familie, so bewacht er sie und hält sie inOrdnung.Es stört und beengt ihn nicht, daß er ihren Wert genaukennt. Denn er hält ihn geheim und man wird ihn nieerfahren. Das gibt der Prozedur des Handelns etwasFeurig-Mysteriöses. Nur er kann wissen, wie nah manseinem Geheimnis kommt und er versteht sich darauf,mit Elan alle Stöße zu parieren, so daß die schützendeDistanz zum Wert nie gefährdet wird. Für den Käufer

20

Page 22: Canetti Marrakesch

gilt es als ehrenvoll, sich nicht betrügen zu lassen, aberein leichtes Unternehmen ist das nicht, da er immer imdunklen tappt. In Ländern der Preismoral, dort wo diefesten Preise herrschen, ist es überhaupt keine Kunst,etwas einzukaufen. Jeder Dummkopf geht und findet,was er braucht, jeder Dummkopf, der Zahlen lesenkann, bringt es fertig, nicht angeschwindelt zuwerden.In den Suks hingegen ist der Preis, der zuerst genanntwird, ein unbegreifliches Rätsel. Niemand weiß ihnvorher, auch der Kaufmann nicht, denn es gibt auf alleFälle viele Preise. Jeder von ihnen bezieht sich auf eineandere Situation, einen anderen Käufer, eine andereTageszeit, einen anderen Tag der Woche. Es gibt Preisefür einzelne Gegenstände und solche für zwei odermehrere zusammen. Es gibt Preise für Fremde, die nureinen Tag in der Stadt sind, und solche für Fremde, diehier schon drei Wochen leben. Es gibt Preise für Armeund Preise für Reiche, wobei die für die Armen natür-lich die höchsten sind. Man möchte meinen, daß esmehr verschiedene Arten von Preisen gibt als verschie-dene Menschen auf der Welt.Aber das ist erst der Anfang einer komplizierten Affä-re, über deren Ausgang nichts bekannt ist. Es wirdbehauptet, daß man ungefähr auf ein Drittel des ur-sprünglichen Preises herunterkommen soll, doch dasist nichts als eine rohe Schätzung und eine jener schalenAllgemeinheiten, mit denen Leute abgefertigt werden,die nicht willens oder außerstande sind, auf die Feinhei-ten dieser uralten Prozedur einzugehen.Es ist erwünscht, daß das Hin und Her der Unterhand-lungen eine kleine, gehaltreiche Ewigkeit dauert. Den

21

Page 23: Canetti Marrakesch

Händler freut die Zeit, die man sich zum Kaufe nimmt.Argumente, die auf Nachgiebigkeit des anderen zielen,seien weit hergeholt, verwickelt, nachdrücklich underregend. Man kann würdevoll oder beredt sein, ambesten ist man beides. Durch Würde zeigt man aufbeiden Seiten, daß einem nicht zu sehr an Kauf oderVerkauf gelegen ist. Durch Beredsamkeit erweichtman die Entschlossenheit des Gegners. Es gibt Argu-mente, die bloß Hohn erwecken, aber andere treffenins Herz. Man muß alles ausprobieren, bevor mannachgibt. Aber selbst wenn der Augenblick gekom-men ist nachzugeben, muß es unerwartet und plötzlichgeschehen, damit der Gegner in Unordnung gerät undeinem Gelegenheit bietet, in ihn hineinzusehen. Man-che entwaffnen einen durch Hochmut, andere durchCharme. Jeder Zauber ist erlaubt, ein Nachlassen derAufmerksamkeit ist unvorstellbar.In Läden, die so groß sind, daß man eintreten undumhergehen kann, pflegt der Verkäufer sich gern miteinem zweiten zu beraten, bevor er nachgibt. Derzweite, der unbeteiligt im Hintergrund steht, und eineArt geistliches Oberhaupt über Preise, tritt zwar inErscheinung, aber er feilscht selbst nicht. Man wendetsich an ihn nur, um letzte Entscheidungen einzuholen.Er kann, sozusagen gegen den Willen des Verkäufers,phantastische Schwankungen im Preis genehmigen.Aber da er es tut, der selbst nicht mitgefeilscht hat, hatsich niemand etwas vergeben.

Page 24: Canetti Marrakesch

DIE RUFE DER BLINDEN

Ich versuche, etwas zu berichten, und sobald ich ver-stumme, merke ich, daß ich noch gar nichts gesagthabe. Eine wunderbar leuchtende, schwerflüssige Sub-stanz bleibt in mir zurück und spottet der Worte. Ist esdie Sprache, die ich dort nicht verstand, und die sichnun allmählich in mir übersetzen muß? Da warenEreignisse, Bilder, Laute, deren Sinn erst in einementsteht; die durch Worte weder aufgenommen nochbeschnitten wurden; die jenseits von Worten, tieferund mehrdeutiger sind als diese.Ich träume von einem Mann, der die Sprachen der Erdeverlernt, bis er in keinem Lande mehr versteht, wasgesagt wird.Was ist in der Sprache? Was verdeckt sie? Was nimmtsie einem weg? Ich habe während der Wochen, die ichin Marokko verbrachte, weder Arabisch noch eine derBerbersprachen zu erlernen versucht. Ich wollte nichtsvon der Kraft der fremdartigen Rufe verlieren. Ichwollte von den Lauten so betroffen werden, wie es anihnen selber liegt, und nichts durch unzulängliches undkünstliches Wissen abschwächen. Ich hatte nichts überdas Land gelesen. Seine Sitten waren mir so fremd wieseine Menschen. Das Wenige, das einem im Lauf einesLebens über jedes Land und jedes Volk zugeflogenkommt, fiel ab in den ersten Stunden.Aber es blieb das Wort › Allah‹, um dieses kam ich nichtherum. Damit war ich für den Teil meiner Erfahrungausgestattet, der am häufigsten und eindringlichsten,

23

Page 25: Canetti Marrakesch

am nachhaltigsten war, für die Blinden. Auf Reisennimmt man alles hin, die Empörung bleibt zu Haus.Man schaut, man hört, man ist über das Furchtbarstebegeistert, weil es neu ist. Gute Reisende sindherzlos.Als ich voriges Jahr, nach fünfzehnjähriger Abwesen-heit, mich Wien näherte, fuhr ich durch Blindenmarkt,einen Ort, von dessen Existenz ich früher nie etwasgeahnt hatte. Der Name traf mich wie eine Peitsche, erhat mich seither nicht verlassen. Dieses Jahr, als ichnach Marrakesch kam, fand ich mich plötzlich unterden Blinden. Es waren Hunderte, Unzählige, die mei-sten Bettler, eine Gruppe von ihnen, manchmal acht,manchmal zehn, stand dicht beisammen in einer Reiheam Markt und ihr rauher, ewig wiederholter Spruchwar weithin hörbar. Ich stellte mich vor sie hin, regloswie sie, und war nie ganz sicher, ob sie meine Gegen-wart fühlten. Jeder von ihnen hielt eine hölzerne Almo-senschale vor sich hin, und wenn man in eine vondiesen etwas warf, ging die gespendete Münze vonHand zu Hand, jeder fühlte, jeder prüfte sie, bis einer,dessen Amt es war, sie schließlich in die Tasche steckte.Man fühlte zusammen, wie man zusammen murmelteund rief.Alle Blinden bieten einem den Namen Gottes an, undman kann sich durch Almosen ein Anrecht auf ihnerwerben. Sie beginnen mit Gott, sie enden mit Gott,sie wiederholen seinen Namen zehntausendmal amTage. Alle ihre Rufe enthalten seinen Namen in abge-wandelter Form, aber der Ruf, auf den sie sich einmalfestgelegt haben, bleibt immer derselbe. Es sind akusti-sche Arabesken um Gott, aber wieviel eindrucksvoller

24

Page 26: Canetti Marrakesch

als optische. Manche vertrauen auf seinen Namen al-lein und rufen nichts als diesen. Es ist ein schrecklicherTrotz darin, Gott kam mir wie eine Mauer vor, die siean immer derselben Stelle berennen. Ich glaube, dieBettler halten sich mehr durch ihre Formeln als durchdas Erbettelte am Leben.Die Wiederholung desselben Rufes charakterisiert denRufer. Man prägt ihn sich ein, man kennt ihn, er ist nunfür immer da; er ist es in einer scharf umgrenztenEigenschaft, eben seinem Ruf. Man wird nicht mehrvon ihm erfahren, er schützt sich, der Ruf ist auch seineGrenze. An diesem Ort ist er genau das, was er ruft,nicht mehr, nicht weniger, ein Bettler, blind. Aber derRuf ist auch eine Vervielfältigung, die rasche undregelmäßige Wiederholung macht aus ihm eine Grup-pe. Es ist eine besondere Energie des Forderns darin, erfordert für viele und heimst für alle ein. ›Denk an alleBettler, denk an alle Bettler! Gott segnet dich für alleBettler, denen du gibst.‹Es heißt, daß die Armen fünfhundert Jahre vor denReichen ins Paradies eingehen werden. Durch Almo-sen kauft man den Armen etwas vom Paradies ab.Wenn jemand gestorben ist, ›folgt man zu Fuß, mitoder ohne trillernde Klageweiber, sehr schnell zumGrabe, damit der Tote bald zur Glückseligkeit gelange.Blinde singen das Glaubensbekenntnis‹.Ich habe mich, seit ich aus Marokko zurück bin, mitgeschlossenen Augen und untergeschlagenen Beinenin die Ecke meines Zimmers gesetzt und versucht, einehalbe Stunde lang in der richtigen Geschwindigkeitund mit der richtigen Kraft ›Alláh! Alláh! Alláh!‹ zusagen. Ich versuchte mir vorzustellen, daß ich das einen

25

Page 27: Canetti Marrakesch

ganzen Tag und einen guten Teil der Nacht so weitersage; daß ich nach kurzem Schlaf wieder damit begin-ne; daß ich es Tage und Wochen, Monate und Jahrefortsetze; daß ich alt und älter werde und so lebe, undzäh an diesem Leben festhalte; daß ich wütend werde,wenn mich etwas in diesem Leben stört; daß ich nichtsanderes will, daß ich ganz darin verharre.Ich habe begriffen, welche Verführung in diesem Le-ben liegt, das alles auf die einfachste Art von Wiederho-lung reduziert. Wie viel oder wie wenig Abwechslungwar denn in der Tätigkeit der Handwerker, die ich inihren kleinen Gelassen arbeiten sah? Im Feilschen derHändler? In den Schritten der Tänzer? In den unzähli-gen Tassen Pfefferminztees, die alle Gäste hier zu sichnehmen? Wieviel Abwechslung ist im Geld? Wievielim Hunger?Ich habe begriffen, was diese blinden Bettler wirklichsind: die Heiligen der Wiederholung. Aus ihrem Lebenist das meiste ausgemerzt, was sich für uns der Wieder-holung noch entzieht. Es gibt die Stelle, an der siehocken oder stehen. Es gibt den unveränderlichen Ruf.Es gibt die begrenzte Zahl von Münzen, auf die siehoffen können, drei oder vier verschiedene Einheiten.Es gibt zwar auch die Geber, die verschieden sind, aberBlinde sehen diese nicht und in ihrem Dankspruchsorgen sie dafür, daß auch die Geber Gleiche werden.

Page 28: Canetti Marrakesch

DER SPEICHEL DES MARABU

Ich wandte mich von der Gruppe der acht Blinden ab,ihre Litanei im Ohr, und ging nur wenige Schritte, alsmir ein weißhaariger alter Mann auffiel, der ganz alleindastand, die Beine etwas gespreizt: Er hielt den Kopfleicht geneigt und kaute. Auch er war blind und nachden Lumpen zu schließen, in die er gekleidet war, warer ein Bettler. Aber seine Wangen waren voll undgerötet, seine Lippen gesund und feucht. Er kautelangsam mit geschlossenen Lippen und der Ausdruckauf seinem Gesicht war heiter. Er kaute gründlich, alshandelte er nach einer Vorschrift. Es bereitete ihmoffensichtlich großen Genuß, und als ich ihn so be-trachtete, fiel mir sein Speichel ein und daß er davonsehr viel haben müsse. Er stand vor einer Reihe vonBuden, in denen Berge von Orangen zum Verkaufaufgehäuft waren; ich sagte mir, daß einer der Händlerihm eine Orange gegeben haben müsse und daß er andieser kaue. Seine rechte Hand stand ein wenig vomKörper ab. Die Finger an ihr waren alle weit auseinan-dergespreizt. Es sah aus, als seien sie gelähmt und alskönne er sie nicht einziehen.Es war ziemlich viel freier Raum um den alten Mann,was ich an dieser belebten Stelle erstaunlich fand. Erwirkte, als wäre er immer allein und als wünschte ersich nichts Besseres. Ich sah ihm entschlossen beimKauen zu und wollte abwarten, was geschähe, wenn erdamit fertig wäre. Es dauerte sehr lange, noch nie hatteich einen Menschen so herzlich und ausführlich kauen

27

Page 29: Canetti Marrakesch

sehen. Ich spürte, wie mein eigener Mund in leiseBewegung geriet, obwohl er nichts enthielt, was erhätte kauen können. Ich empfand etwas wie Ehrfurchtvor seinem Genuß, der mir auffallender schien als alles,was ich je an einem menschlichen Munde gesehenhatte. Seine Blindheit erfüllte mich nicht mit Mitleid.Er schien gesammelt und zufrieden. Nicht einmal un-terbrach er sich, um zu fordern, wie es die anderen allezu tun pflegten. Vielleicht hatte er, was er brauchte.Vielleicht brauchte er sonst nichts.Als er zu Ende war, leckte er sich die Lippen einpaarmal ab, streckte die Rechte mit den ausgespreiztenFingern ein wenig mehr nach vorn und sagte mitheiserer Stimme seinen Spruch her. Ich ging etwasscheu auf ihn zu und legte ihm ein Zwanzigfrancstückauf die Hand. Die Finger blieben gestreckt; er konntesie wirklich nicht schließen. Er hob langsam die Handund führte sie an den Mund. Er drückte die Münzegegen die wulstigen Lippen und ließ sie in den Mundverschwinden. Kaum war sie drin, begann er wieder zukauen. Er schob die Münze im Mund hin und her, mirkam vor, als könne ich ihren Bewegungen folgen, baldwar sie links, bald war sie rechts und er kaute wieder soausführlich wie zuvor.Ich staunte und zweifelte. Ich fragte mich, ob ich michnicht irre. Vielleicht war die Münze inzwischen ir-gendwo andershin verschwunden und ich hatte esnicht bemerkt. Ich wartete wieder ab. Nachdem er mitdemselben Genuß gekaut hatte und zu Ende war,erschien die Münze zwischen seinen Lippen. Er spuck-te sie in die linke Hand, die er gehoben hatte. Sehr vielSpeichel floß mit. Dann ließ er die Münze in eine

28

Page 30: Canetti Marrakesch

Tasche verschwinden, die er auf der linken Seitetrug.Ich versuchte, meinen Ekel vor diesem Vorgang inseiner Fremdartigkeit aufzulösen. Was gibt es, dasschmutziger wäre als Geld. Aber dieser alte Mann warnicht ich, was mir Ekel bereitete, war ihm ein Genuß,und hatte ich nicht manchmal Menschen gesehen, dieMünzen küßten? Der viele Speichel hatte hier sichereinen besonderen Zweck und es war klar, daß er sichvon anderen Bettlern durch eine reichliche Erzeugungvon Speichel auszeichnete. Er hatte es lange geübt,bevor er um ein Almosen bat; was immer er zuvorgegessen hatte, – kein andrer hätte so lange dazu ge-braucht. In den Bewegungen seines Mundes war ir-gendein Sinn.Oder hatte er nur meine Münze in den Mund genom-men? Hatte er auf der Handfläche gespürt, daß siehöher war, als was er gewöhnlich bekam, und wollte ersich dafür besonders bedanken? Ich wartete ab, wasweiter geschah und es fiel mir nicht schwer zu warten.Ich war verwirrt und fasziniert und hätte außer demalten Mann ganz gewiß nichts anderes sehen können.Er wiederholte einige Male seinen Spruch. Ein Araberkam vorbei und legte ihm ein Fünffrancstück auf dieHand. Er führte es, ohne zu zögern, an den Mund,steckte es hinein und begann genau wie zuvor zukauen. Vielleicht kaute er diesmal nicht ganz so lang.Er spuckte die Münze wieder mit viel Speichel aus undließ sie in der Tasche verschwinden. Er bekam andereMünzen, ganz kleine darunter, derselbe Vorgang wie-derholte sich einige Male. Ich wurde immer ratloser; jelänger ich zusah, um so weniger begriff ich, warum er

29

Page 31: Canetti Marrakesch

das tat. Aber an einem war nicht mehr zu zweifeln, ertat es immer, es war seine Sitte, seine besondere Art zubetteln und die Menschen, die ihm etwas gaben, erwar-teten von ihm die Anteilnahme seines Mundes, der mirjedesmal, wenn er ihn öffnete, röter erschien.Ich bemerkte nicht, daß man auch mir zusah, und ichmuß einen lächerlichen Anblick geboten haben. Viel-leicht, wer weiß, staunte ich gar mit offenem Mund.Denn plötzlich kam ein Mann hinter seinen Orangenhervor, machte ein paar Schritte auf mich zu und sagtebeschwichtigend: »Das ist ein Marabu.« Ich wußte,daß Marabus heilige Männer sind und daß man ihnenbesondere Kräfte zuschreibt. Das Wort löste Scheu inmir aus und ich fühlte, wie mein Ekel gleich geringerwurde. Ich fragte schüchtern: »Aber warum steckt erdie Münze in seinen Mund?« »Das macht er immer«,sagte der Mann, als wäre es die gewöhnlichste Sachevon der Welt. Er wandte sich von mir ab und stelltesich wieder hinter seine Orangen. Ich bemerkte erstjetzt, daß hinter jeder Bude zwei oder drei Augenpaareauf mich gerichtet waren. Das erstaunliche Geschöpfwar ich, der ich so lange nicht begriff.Ich fühlte mich mit dieser Auskunft verabschiedet undblieb nicht mehr lange. Der Marabu, sagte ich mir, istein heiliger Mann, und an diesem heiligen Mann istalles heilig, selbst sein Speichel. Indem er die Münzender Geber mit seinem Speichel in Berührung bringt,erteilt er ihnen einen besonderen Segen und erhöht sodas Verdienst, das sie sich durch das Spenden vonAlmosen im Himmel erwerben. Er war des Paradiesessicher, und er hatte selbst etwas zu vergeben, das denMenschen viel notwendiger war als ihre Münzen ihm.

30

Page 32: Canetti Marrakesch

Ich begriff nun die Heiterkeit, die auf seinem blindenAntlitz lag und die ihn von den anderen Bettlernunterschied, die ich bisher gesehen hatte.Ich ging und behielt ihn so sehr im Sinn, daß ich zuallen meinen Freunden von ihm sprach. Niemand hatteihn je bemerkt und ich spürte, daß man an der Wahr-heit meiner Worte zweifelte. Am nächsten Tag suchteich dieselbe Stelle auf, aber er war nicht da. Ich suchteüberall, er war nicht zu finden. Ich suchte jeden Tag, erkam nicht wieder. Vielleicht lebte er irgendwo allein inden Bergen und kam nur selten in die Stadt. Ich hättedie Orangenverkäufer nach ihm fragen können, aberich schämte mich vor ihnen. Er bedeutete ihnen nichtdasselbe wie mir, und während ich gar keine Scheuempfand, zu Freunden von ihm zu sprechen, die ihn niegesehen hatten, suchte ich ihn von denen, die ihn wohlkannten, denen er vertraut und natürlich war, getrenntzu halten. Er wußte nichts von mir und sie hättenvielleicht über mich zu ihm gesprochen.Ich sah ihn einmal wieder, genau eine Woche später,wieder an einem Samstagabend. Er stand vor derselbenBude, aber er hatte nichts im Munde und kaute nicht.Er sagte seinen Spruch. Ich gab ihm eine Münze undwartete ab, was damit geschah. Bald kaute er sie wiederfleißig, doch noch während er damit beschäftigt war,kam ein Mann auf mich zu und sagte seinen Unsinn:»Das ist ein Marabu. Er ist blind. Er steckt die Münzein den Mund, um zu spüren, wieviel Sie ihm gegebenhaben.« Dann sprach er zum Marabu auf arabisch undzeigte auf mich. Der Alte hatte sein Kauen beendet unddie Münze wieder ausgespuckt. Er wandte sich mir zuund sein Antlitz strahlte. Er sagte einen Segensspruch

31

Page 33: Canetti Marrakesch

für mich her, den er sechsmal wiederholte. Die Freund-lichkeit und Wärme, die während seiner Worte aufmich überging, war so, wie ich sie noch nie von einemMenschen empfangen habe.

Page 34: Canetti Marrakesch

STILLE IM HAUS UND LEERE DER DÄCHER

Um in einer fremdartigen Stadt vertraut zu werden,braucht man einen abgeschlossenen Raum, auf denman ein gewisses Anrecht hat und in dem man alleinsein kann, wenn die Verwirrung der neuen und unver-ständlichen Stimmen zu groß wird. Dieser Raum sollstill sein, niemand soll einen sehen, wenn man sich inihn rettet, niemand, wenn man ihn wieder verläßt. Amschönsten ist es, in eine Sackgasse zu verschwinden,vor einem Tore stehenzubleiben, zu dem man denSchlüssel in der Tasche hat, und aufzusperren, ohnedaß es eine Sterbensseele hört.Man tritt in die Kühle des Hauses und macht das Torhinter sich zu. Es ist dunkel und für einen Augenblicksieht man nichts. Man ist wie einer der Blinden auf denPlätzen und Gassen, die man verlassen hat. Aber mangewinnt das Augenlicht sehr bald wieder. Man siehtdie steinernen Stufen, die in die Etage führen, und obenfindet man eine Katze vor. Sie verkörpert die Lautlo-sigkeit, nach der man sich gesehnt hat. Man ist ihrdankbar dafür, daß sie lebt, so läßt es sich auch leiseleben. Sie wird gefüttert, ohne daß sie tausendmal amTage ›Allah‹ ruft. Sie ist nicht verstümmelt und sie hates auch nicht nötig, sich in ein schreckliches Schicksalzu ergeben. Sie mag grausam sein, aber sie sagt esnicht.Man geht auf und ab und atmet die Stille ein. Wo ist dasungeheuerliche Treiben geblieben? Das grelle Lichtund die grellen Laute? Die hundert und aberhundert

33

Page 35: Canetti Marrakesch

Gesichter? In diesen Häusern gehen wenig Fenster aufdie Gasse, manchmal keines; alles öffnet sich auf denHof, und dieser öffnet sich auf den Himmel. Nur durchden Hof ist man in einer milden und gemäßigtenVerbindung mit seiner Umwelt.Man kann aber auch auf das Dach steigen und alleflachen Dächer der Stadt auf einmal sehen. Es ist einebener Eindruck und alles wie in großzügigen Stufengebaut. Man meint, man könnte oben über die ganzeStadt spazieren. Die Gassen erscheinen nicht als Hin-dernis, man sieht sie nicht, man vergißt, daß es Gassengibt. Die Berge des Atlas glänzen nahe und man würdesie für die Kette der Alpen halten, wäre das Licht aufihnen nicht gleißender und wären nicht so viele Palmenzwischen ihnen und der Stadt.Die Minaretts, die sich da und dort erheben, sind nichtwie Kirchtürme. Sie sind wohl schlank, aber nichtzugespitzt, ihre Breite ist oben dieselbe wie unten, undes kommt auf die Plattform in der Höhe an, von derzum Gebete gerufen wird. Sie sind eher wie Leuchttür-me, aber von einer Stimme bewohnt.Über den Dächern der Häuser praktiziert eine Bevöl-kerung von Schwalben. Es ist wie eine zweite Stadt;nur geht es in ihr so rasch zu wie auf den Gassen derMenschen langsam. Nie ruhen sich diese Schwalbenaus, man fragt sich, ob sie je schlafen, es fehlt ihnen anFaulheit, Gemessenheit und Würde. Sie rauben imFliegen, die Dächer, die leer sind, mögen ihnen wie einerobertes Land erscheinen.Denn man zeigt sich nicht auf den Dächern. Hier,dachte ich, werde ich Frauen sehen wie in Märchen,von hier werde ich in die Höfe der Nachbarhäuser

34

Page 36: Canetti Marrakesch

schauen und ihr Treiben belauschen. Als ich das ersteMal auf das Dach stieg, das zum Haus meines Freundesgehörte, war ich voller Erwartung, und solange ich indie Ferne blickte, auf die Berge, über die Stadt, war eres zufrieden und ich fühlte seinen Stolz, daß er miretwas so Schönes zeigen konnte. Aber er wurde unru-hig, als ich an der Ferne ermüdete und meine Neugier-de für das Nahe sich regte. Er ertappte mich bei einemBlick in den Hof des Nachbarhauses, von wo ich zumeiner Freude weibliche und spanische Laute ver-nahm. »Das tut man hier nicht«, sagte er. »Das sollman nicht. Ich bin oft davor gewarnt worden. Es giltals unfein, sich um die Vorgänge im Nebenhaus zukümmern. Es gilt als unanständig. Man soll sich ei-gentlich überhaupt nicht auf dem Dache zeigen, schongar nicht als Mann. Denn manchmal gehen die Frauenauf die Dächer und sie wollen sich ungestört fühlen.«»Aber es sind doch gar keine Frauen da.«»Vielleicht hat man uns gesehen«, meinte er. »Mankommt in Verruf. Man spricht auch keine verschleierteFrau auf der Straße an.«»Und wenn ich nach dem Weg fragen möchte?«»Dann mußt du warten, bis dir ein Mann entgegen-kommt.«»Aber du könntest dich doch auf dein eigenes Dachsetzen. Wenn du jemand auf dem Nachbardach be-merkst, ist es nicht deine Schuld.«»Dann muß ich wegschauen. Ich muß merken lassen,wie uninteressiert ich bin. Hinter uns ist eben eineerschienen. Es ist eine alte Magd. Die hat keine Ah-nung, daß ich sie bemerkt habe. Aber sie ist schonverschwunden.«

35

Page 37: Canetti Marrakesch

Ich hatte nicht einmal Zeit, mich umzuwenden. »Manist also unfreier auf dem Dach als auf der Straße.«»Gewiß«, sagte er. »Man will bei der Nachbarschaftnicht in Verruf geraten.« Ich sah den Schwalben zu undbeneidete sie, wie sie unbekümmert über drei, fünf,zehn Dächer zugleich hinwegschossen.

Page 38: Canetti Marrakesch

DIE FRAU AM GITTER

Ich passierte einen kleinen, öffentlichen Brunnen, ausdem ein halbwüchsiger Junge trank. Ich bog nach linksund hörte eine leise, weiche, zärtliche Stimme von derHöhe. Ich blickte an einem Hause gegenüber von mirauf und sah in der Höhe des ersten Stocks hinter einemgeflochtenen Gitter das Gesicht einer jungen Frau. Siewar unverschleiert und dunkel und hielt ihr Gesichtganz nah ans Gitter. Sie sprach viele Sätze, in leichtemFluß, und alle diese Sätze bestanden aus Koseworten.Es war mir unbegreiflich, daß sie keinen Schleier trug.Sie hielt den Kopf leicht geneigt und ich fühlte, daß siezu mir sprach. Ihre Stimme hob sich nie, sie bliebgleichmäßig leise; es war so viel Zärtlichkeit darin, alshielte sie meinen Kopf in den Armen. Aber ich sahkeine Hände, sie zeigte nicht mehr als das Gesicht,vielleicht waren die Hände irgendwo angebunden. DerRaum, in dem sie stand, war dunkel, auf der Straße, woich stand, schien grell die Sonne. Ihre Worte kamen wieaus einem Brunnen und flössen ineinander über, ichhatte nie Koseworte in dieser Sprache gehört, aber ichfühlte, daß sie es waren.Ich wollte näher treten, um das Tor des Hauses zusehen, aus dem die Stimme kam, aber ich hatte Scheudavor, daß eine Bewegung von mir die Stimme wieeinen Vogel verscheuchen könnte. Was tat ich dann,wenn sie verstummte. Ich versuchte, so zart und soleise zu sein wie die Stimme selbst und ging Schritte,wie ich sie noch nie gegangen war. Es gelang mir, sie

37

Page 39: Canetti Marrakesch

nicht zu erschrecken. Ich hörte die Stimme noch, als ichganz nah am Hause stand und den Kopf am Gitter nichtmehr sehen konnte. Das schmale Gebäude wirkte wieein verfallener Turm. Man sah in eine Lücke an derMauer, wo Steine herausgefallen waren. Das Tor ohnejeden Schmuck, aus ärmlichen Brettern gezimmert,war mit Draht festgemacht und sah aus, als würde esnicht oft geöffnet. Es war kein einladendes Haus, mankonnte nicht hinein, und drinnen war es dunkel undsicher ganz verfallen. Gleich um die Ecke öffnete sicheine Sackgasse, aber da war es leblos und still und ichsah keinen Menschen, den ich etwas hätte fragen kön-nen. Auch in dieser Gasse verlor ich den Brunnen derkosenden Stimme nicht, um die Ecke klang es wie einganz fernes Plätschern. Ich ging zurück, stellte michwieder in einiger Entfernung vom Hause hin undblickte auf, und da war das ovale Gesicht ganz nah amGitter und die Lippen bewegten sich zu den zärtlichenWorten.Es schien mir, daß sie nun ein wenig anders klangen,ein Ungewisses Bitten war darin vernehmlich, als wür-de sie sagen: geh nicht weg. Vielleicht dachte sie, daßich für immer gegangen war, als ich verschwand, umHaus und Tor zu prüfen. Nun war ich wieder da undsollte bleiben. Wie soll ich die Wirkung schildern, dieein unverschleiertes weibliches Gesicht, von der Höheeines Fensters herabblickend, in dieser Stadt, in diesenGassen auf einen hat. Wenig Fenster gehen auf dieGassen und nie sieht jemand zu ihnen heraus. DieHäuser sind wie Mauern, man hat oft lange das Gefühl,zwischen Mauern zu gehen, obschon man weiß, daß esHäuser sind: Man sieht die Türen und spärliche, unbe-

38

Page 40: Canetti Marrakesch

nützte Fenster. Mit den Frauen ist es ähnlich, als unför-mige Säcke bewegen sie sich auf den Gassen weiter,man erkennt, man ahnt nichts, man ist es bald über-drüssig, sich Mühe zu geben und sich zu einer Vorstel-lung von ihnen anzuhalten. Man verzichtet auf Frauen.Aber man verzichtet nicht gern, und eine, die dann aneinem Fenster erscheint und gar zu einem spricht undden Kopf leicht neigt und nicht mehr weggeht, alshätte sie hier schon immer auf einen gewartet, und diedann weiterspricht, wenn man ihr den Rücken wendetund sacht weggeht, die sprechen wird, ob man da istoder nicht, und immer zu einem, immer zu jedemsprechen wird, – eine solche Frau ist ein Wunder, eineErscheinung, und man ist geneigt, sie für wichtiger zuhalten, als alles, was es sonst in dieser Stadt zu sehengäbe.Ich wäre viel länger hier gestanden, aber es war keinganz unbelebtes Viertel. Verschleierte Frauen kamenmir entgegen und sie hielten sich über ihre Genossinam Gitter oben gar nicht auf. Sie gingen am turmarti-gen Hause vorbei, als ob niemand spräche. Sie bliebennicht stehen, sie blickten nicht hinauf. In unveränderli-chem Schritt näherten sie sich dem Haus und bogen,genau unterm Fenster der Sprechenden, in die Gasseein, wo ich stand. Wohl aber spürte ich, daß sie mirmißbilligende Blicke gaben. Was tat ich hier? Warumstand ich da? Warum starrte ich hinauf?Eine Gruppe von Schuljungen kam vorüber. Sie spiel-ten und scherzten auf ihrem Wege und benahmen sichso, als hörten sie die Laute von oben nicht. Sie betrach-teten mich: Ich war ihnen weniger vertraut als dieunverschleierte Frau. Ich schämte mich etwas, weil ich

39

Page 41: Canetti Marrakesch

dastand und starrte. Aber ich spürte, daß ich das Ge-sicht am Gitter durch mein Fortgehen enttäuschenwürde; jene Worte flössen weiter wie ein Bach ausVogellauten. Dazwischen aber tönten nun die schrillenRufe der Kinder, die sich nur langsam entfernten. Siehatten ihre Ränzel bei sich und kamen aus der Schule;sie suchten den Weg nach Hause zu verlängern underfanden kleine Spiele, zu deren Regeln es gehörte,daß sie auf der Gasse bald nach vorn und bald nachrückwärts sprangen. So kamen sie nur im Schnecken-tempo vorwärts und machten mir das Lauschen zurQual.Eine Frau mit einem ganz kleinen Kind an der Seiteblieb neben mir stehen. Sie mußte sich mir von hintengenähert haben, ich hatte sie nicht bemerkt. Sie bliebkurz; sie gab mir einen bösen Blick; hinterm Schleiererkannte ich die Züge einer alten Frau. Sie packte dasKind, als ob meine Gegenwart es gefährde und schlapf-te, ohne mir ein Wort zu gönnen, weiter. Ich fühltemich unbehaglich, verließ meinen Standort und folgteihr langsam. Sie ging ein paar Häuser die Gasse hinun-ter und bog dann zur Seite ein. Als ich die Eckeerreichte, um die sie verschwunden war, sah ich amEnde einer Sackgasse die Kuppel einer kleinen Kubba.So heißen die Heiligengräber in diesem Land, zu denendie Menschen mit ihren Wünschen pilgern. Die alteFrau stand vor dem verschlossenen Tor der Kubba undhob das winzige Kind in die Höhe. Sie preßte seinenMund gegen einen Gegenstand, den ich von mir ausnicht erkennen konnte. Sie wiederholte diese Bewe-gung einigemal, dann stellte sie das Kind auf denBoden, nahm seine Händchen und wandte sich zum

40

Page 42: Canetti Marrakesch

Gehen. Als sie die Ecke der Sackgasse erreicht hatte,mußte sie wieder an mir vorbei, aber diesmal gab siemir nicht einmal einen bösen Blick und ging in dieRichtung zurück, aus der wir beide gekommenwaren.Ich näherte mich der Kubba und sah in halber Höhe deshölzernen Tores einen Ring, um den alte Stofflappengewickelt waren. Diese waren es, die das Kind geküßthatte. Es hatte sich alles in größter Stille abgespielt undin meiner Befangenheit hatte ich nicht bemerkt, daßdie Schuljungen hinter mir standen und mich beobach-teten.Plötzlich hörte ich ihr helles Lachen, drei oder vier vonihnen sprangen auf das Tor der Kubba zu, packten denRing und küßten die alten Stofflappen. Sie lachtendabei laut und wiederholten die Prozedur von allenSeiten. Einer hing rechts am Ring, der andere links,und ihre Küsse folgten sich wie lautes Schnalzen. Siewurden bald von anderen hinter ihnen weggestoßen.Jeder wollte mir zeigen, wie es zu geschehen habe;vielleicht erwarteten sie, daß ich es ihnen nachtue. Eswaren saubere Kinder, alle gut gehalten, sicher wurdensie mehrmals am Tag gewaschen. Die Stofflappen abersahen so schmutzig aus, als wäre die Gasse mit ihnenabgewischt worden. Sie galten als Fetzen vom Gewanddes Heiligen selbst und für die Gläubigen war etwasvon seiner Heiligkeit in ihnen enthalten.Als die Jungen sich alle daran sattgeküßt hatten, kamensie mir nach und umringten mich. Einer von ihnen fielmir durch sein kluges Gesicht auf und ich merkte, daßer gern mit mir gesprochen hätte. Ich fragte ihn auffranzösisch, ob er lesen könne. Er sagte sehr wohlerzo-

41

Page 43: Canetti Marrakesch

gen: »Qui, Monsieur.« Ich trug ein Buch unterm Arm,ich schlug es auf und hielt es ihm hin; er las langsam,aber fehlerlos die französischen Sätze herunter. DasBuch war ein Werk über die Glaubenssitten der Ma-rokkaner, und die Stelle, die ich aufgeschlagen hatte,handelte von der Verehrung der Heiligen und ihrenKubbas. Man mag einen Zufall darin sehen oder nicht,er las mir jetzt vor, was er mir soeben mit seinenKameraden vorgeführt hatte. Er ließ sich aber nichtsdavon anmerken; vielleicht faßte er im Eifer des Lesensdie Bedeutung der Worte gar nicht auf. Ich lobte ihn, ernahm meine Anerkennung mit der Würde eines Er-wachsenen entgegen. Er gefiel mir so gut, daß ich ihnunwillkürlich mit der Frau am Gitter in Verbindungbrachte. Ich zeigte in die Richtung des verfallenenHauses und fragte: »Diese Frau dort am Gitter oben-kennst du sie?«»Qui, Monsieur«, sagte er und sein Gesicht wurde sehrernst.»Elle est malade?« fragte ich weiter.»Elle est très malade, Monsieur.«Das »sehr«, das meine Frage verstärkte, klang wie eineKlage, aber eine Klage über etwas, in das er ganzergeben war. Er war vielleicht neun Jahre alt, aber ersah nun aus, als hätte er schon zwanzig Jahre mit einerSchwerkranken zusammengelebt, wohl wissend, wieman sich da aufführen müsse.»Elle est malade dans sa tête, n'est-ce pas?«»Qui, Monsieur, dans sa tête.« Er nickte, als er »imKopf« sagte, aber er zeigte statt auf seinen eigenenKopf auf den eines anderen Jungen, der von besondererSchönheit war: Er hatte ein langes, mattes Gesicht mit

42

Page 44: Canetti Marrakesch

weit aufgerissenen, schwarzen, sehr traurigen Augen.Keines der Kinder lachte. Sie standen schweigend da.Ihre Stimmung hatte sich im Nu verändert, sobald ichvon der Frau am Gitter zu sprechen begann.

Page 45: Canetti Marrakesch

BESUCH IN DER MELLAH

Am dritten Morgen, sobald ich allein war, fand ich denWeg in die Mellah. Ich kam an eine Kreuzung, wo vieleJuden standen. Der Verkehr flutete an ihnen vorüberund um eine Ecke herum. Ich sah Menschen durch einGewölbe hindurchgehen, das in eine Mauer eingelas-sen schien, und folgte ihnen. Innerhalb dieser Mauer,auf allen vier Seiten von ihr umschlossen, lag dieMellah, das Judenviertel.Ich fand mich auf einem kleineren, offenen Bazar. Inniedrigen Gelassen hockten Männer mitten unter ihrenWaren; manche, die europäisch gekleidet waren, saßenoder standen. Die Mehrzahl trugen die schwarzenKäppchen auf dem Kopf, durch die sich die Juden hierauszeichnen, und sehr viele waren bärtig. In den erstenLäden, auf die ich stieß, verkaufte man Stoffe. Einermaß mit der Elle Seide ab. Ein anderer führte nach-denklich und rasch seinen Bleistift und rechnete. Auchdie reicher ausgestatteten Läden wirkten sehr klein.Viele hatten Besucher; in einem der Gelasse lagertenzwei sehr dicke Männer nachlässig um einen hagerendritten, der der Inhaber war und führten mit ihm einelebhafte und doch würdevolle Unterhaltung.Ich ging so langsam wie möglich vorüber und betrach-tete die Gesichter. Ihre Verschiedenartigkeit war er-staunlich. Es gab Gesichter, die ich in anderer Kleidungfür Araber gehalten hätte. Es gab leuchtende alte Judenvon Rembrandt. Es gab katholische Priester von listi-ger Stille und Demut. Es gab Ewige Juden, denen die

45

Page 46: Canetti Marrakesch

Unruhe über die ganze Gestalt geschrieben war. Es gabFranzosen. Es gab Spanier. Es gab rötliche Russen.Einen hätte man als den Patriarchen Abraham begrü-ßen mögen, er sprach herablassend zu Napoleon undein hitziger Besserwisser, der wie Goebbels aussah,mischte sich ein. Ich dachte an Seelenwanderung. Viel-leicht, sagte ich mir, muß jedes Menschen Seele einmalzum Juden werden, und nun sind sie alle hier: Keineerinnert sich daran, was sie früher war und selbst wennes sich in den Zügen so deutlich verrät, daß ich, einFremder, es erkenne, glaubt jeder dieser Menschendoch fest daran, daß er in gerader Linie von den Leutender Bibel abstammt.Aber sie hatten etwas, das ihnen allen gemeinsam war,und sobald ich mich an die Reichhaltigkeit ihrer Ge-sichter und ihres Ausdrucks gewöhnt hatte, versuchteich herauszufinden, was dieses Gemeinsame eigentlichwar. Sie hatten eine rasche Art, aufzublicken und sichüber den, der vorüberkam, ein Urteil zu bilden. Nichteinmal geschah es, daß ich unbemerkt passierte. Wennich stehenblieb, mochte man in mir einen Käufer wit-tern und mich daraufhin prüfen. Aber meist empfingich den raschen, intelligenten Blick lange, bevor ichstehenblieb, und ich empfing ihn auch, wenn ich aufder anderen Seite der Gasse ging. Selbst bei den weni-gen unter ihnen, die faul wie die Araber dalagen, warder Blick nie faul: Er kam, ein sicherer Kundschafter,und ging rasch wieder. Es gab feindliche Blicke darun-ter, kalte, gleichgültige, ablehnende und unendlichweise. Aber nie erschienen sie dumm. Es waren dieBlicke von Menschen, die immer auf der Hut sind, aberdie Feindseligkeit, die sie erwarten, nicht hervorrufen

46

Page 47: Canetti Marrakesch

wollen: keine Spur von Herausforderung; und eineAngst, die sich wohlweislich verborgen hält.Man möchte sagen, daß die Würde dieser Menschen inihrer Umsichtigkeit enthalten ist. Der Laden ist nur aufeiner Seite offen und sie brauchen um nichts besorgt zusein, was in ihrem Rücken geschieht. Dieselben Men-schen, auf der Gasse, fühlen sich unsicherer. Ich merktebald, daß die ›Ewigen Juden‹ unter ihnen, die, dierastlos und zweifelhaft wirkten, immer Passanten wa-ren; Leute, die ihre ganzen Waren mit sich herumtru-gen und sich damit einen Weg durch die Menge bahnenmußten; die nie wußten, ob nicht jemand vom Rückenher über ihren armseligen Besitz herfiel, von links, vonrechts oder von allen Seiten zugleich. Wer einen Ladensein eigen nannte und sich darin aufhielt, hatte etwasbeinah Beruhigtes.Manche aber kauerten auf der Gasse und boten Win-zigkeiten feil. Oft waren es ganz jämmerliche Häuf-chen von Gemüse oder Früchten. Diese wirkten so, alshätten sie eigentlich gar nichts zu verkaufen und klam-merten sich bloß an die Geste des Erwerbs. Sie sahenvernachlässigt aus; es gab viele von ihnen, und ich fandes nicht leicht, mich an sie zu gewöhnen. Aber bald warich doch auf alles gefaßt und ich wunderte mich nichtbesonders, als ich einen alten, kränklichen Mann amBoden hocken sah, der eine einzige verschrumpfteZitrone zum Verkauf hinhielt.Ich ging nun auf einer Gasse, die vom Bazar desEingangs tiefer in die Mellah hineinführte. Sie wardicht belebt. Mitten unter den zahllosen Männern ka-men mir einzelne Frauen entgegen, unverschleiert. Einuraltes, völlig verwittertes Weib schlich daher, sie sah

47

Page 48: Canetti Marrakesch

aus wie der älteste Mensch. Ihre Augen waren starr indie Ferne gerichtet, sie schien genau zu sehen, wohinsie ging. Sie wich niemandem aus, während andereKurven beschrieben um durchzukommen, war um sieimmer Platz. Ich glaube, man fürchtete sie: Sie gingganz langsam und hätte Zeit gehabt, jedes einzelneGeschöpf zu verwünschen. Die Furcht, die sie einflöß-te, war es wohl, die ihr die Kraft zu ihrer Wanderunggab. Als sie endlich an mir vorüber war, wandte ichmich um und sah ihr nach. Sie spürte meinen Blick;denn sie drehte sich, so langsam wie sie ging, zu mirzurück und nahm mich voll ins Aug. Ich machte michschleunigst davon; und so instinktiv war meine Reak-tion auf ihren Blick gewesen, daß ich erst später merk-te, wieviel rascher ich nun ging.Ich passierte eine Reihe von Barbierläden. Junge Män-ner, Friseure, standen müßig vor der Tür. Auf demBoden gegenüber hielt ein Mann einen Korb mit gerö-steten Heuschrecken feil. Ich dachte an die berühmteägyptische Plage und wunderte mich, daß auch JudenHeuschrecken aßen. In einem besonders hochgelege-nen Gelaß kauerte ein Mann, der Züge und Farbe einesNegers hatte. Er trug das Käppchen der Juden undverkaufte Kohlen. Sie waren hoch um ihn aufgeschich-tet, er sah aus, als sollte er in Kohlen eingemauertwerden und warte nur auf die Handwerker, die diesenAuftrag auszuführen kämen. Er verhielt sich so still,daß ich ihn anfangs übersah, und er fiel mir nur durchseine Augen auf, die mitten in all diesen Kohlen glänz-ten. Neben ihm verkaufte ein Einäugiger Gemüse. DasAuge, mit dem er nicht sah, war ungeheuer geschwol-len und wirkte wie eine Drohung. Er selber hantierte

48

Page 49: Canetti Marrakesch

verlegen mit seinem Gemüse. Er schob es vorsichtigauf eine Seite hinüber und schob es dann vorsichtigwieder zurück. Ein anderer kauerte neben fünf odersechs Steinen am Boden. Er nahm jeden einzeln in dieHand, wog ihn, betrachtete ihn und hielt ihn dann nochein wenig in die Höhe. Er legte ihn zu den anderenzurück und wiederholte mit diesen dasselbe Spiel. Erblickte nicht einmal zu mir auf, obwohl ich dicht vorihm stehengeblieben war. Er war der einzige Menschim ganzen Viertel, der mich keines Blickes würdigte.Die Steine, die er verkaufen wollte, ließen ihm keineRuhe und er schien an ihnen mehr interessiert als anKäufern.Ich spürte, wie alles ärmer wurde, je tiefer ich in dieMellah eindrang. Die schönen Stoffe und Seiden lagenhinter mir. Niemand sah reich und fürstlich aus wieAbraham. Der Bazar gleich beim Eingangstor war eineArt Luxusviertel gewesen, das eigentliche Leben, dasLeben des einfachen Volkes spielte sich hier ab. Ichbefand mich jetzt auf einem kleinen, rechteckigenPlatz, der mir als das Herz der Mellah erschien. Aneinem länglichen Brunnen standen Männer und Frauendurcheinander. Die Frauen trugen Krüge, in die sieWasser füllten. Die Männer füllten ihre ledernen Was-serbehälter. Ihre Esel standen neben ihnen und warte-ten darauf, getränkt zu werden. In der Mitte des Platzeshockten einige Garköche. Manche brieten Fleisch, an-dere kleine Krapfen; sie hatten ihre Familie bei sich, dieFrauen und Kinder. Es war, als hätten sie ihren Haus-halt auf den Platz verlegt und wohnten und kochtenhier.Bauern in Berbertracht standen umher, mit lebenden

49

Page 50: Canetti Marrakesch

Hühnern in der Hand; sie hielten sie an den Beinen, diezusammengebunden waren, ihr Kopf hing nach unten.Wenn Frauen sich näherten, streckten sie ihnen dieHühner zum Abgreifen hin. Die Frau nahm das Tier indie Hand, ohne daß der Berber es freigab, ohne daß erseine Stellung änderte. Sie drückte es, zwickte es, siegriff genau dorthin, wo es Fleisch haben sollte. Nie-mand sprach während dieser Prüfung ein Wort, wederder Berber noch die Frau, auch das Tier blieb stumm.Dann ließ sie es in seiner Hand, wo es weiterhing, undging zum nächsten Bauern. Nie kaufte eine Frau einHuhn, ohne erst viele andere umständlich geprüft zuhaben.Rings um den ganzen Platz waren Läden; in manchenarbeiteten Handwerker, ihr Hämmern und Klopfentönte in den Lärm der Sprechenden. An einer Ecke desPlatzes waren viele Männer versammelt und diskutier-ten feurig. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber nachihren Mienen zu schließen, ging es um die großenAngelegenheiten der Welt. Sie waren verschiedenerMeinung und fochten mit Argumenten; mir kam vor,sie gingen mit Genuß auf die Argumente der anderenein.In der Mitte des Platzes stand ein alter Bettler, der erste,den ich hier sah, er war kein Jude. Mit der Münze, die erbekam, wandte er sich sofort einem der kleinen Krap-fen zu, die heftig in der Pfanne brutzelten. Es warenmancherlei Kunden um den Koch und der alte Bettlermußte warten, bis er an die Reihe kam. Aber er bliebgeduldig, selbst so nahe vor der Erfüllung seines dring-lichen Wunsches. Als er den Krapfen schließlich be-kommen hatte, stellte er sich damit wieder in die Mitte

50

Page 51: Canetti Marrakesch

und aß ihn mit weit offenem Munde auf. Sein Appetitverbreitete sich wie eine Wolke von Behagen über denPlatz. Niemand achtete auf ihn, doch jeder sog denDuft seines Behagens mit ein und er schien mir für dasLeben und Wohlergehen des Platzes sehr wichtig, seinessendes Denkmal.Aber ich glaube nicht, daß er allein es war, dem ich dieglückliche Verzauberung auf diesem Platze verdankte.Mir war zumute, als wäre ich nun wirklich woanders,am Ziel meiner Reise angelangt. Ich mochte nichtmehr weg von hier, vor Hunderten von Jahren war ichhier gewesen, aber ich hatte es vergessen und nun kammir alles wieder. Ich fand jene Dichte und Wärme desLebens ausgestellt, die ich in mir selber fühle. Ich wardieser Platz, als ich dort stand. Ich glaube, ich binimmer dieser Platz.Die Trennung von ihm fiel mir so schwer, daß ich allefünf oder zehn Minuten wieder dahin zurückkehrte.Wo immer ich nun weiter hinging, was immer ichnoch in der Mellah erkundete, ich unterbrach es, umauf den kleinen Platz zurückzukehren, ihn in dieseroder jener Richtung zu überqueren, um mich zu verge-wissern, daß er noch da war.Ich bog zuerst in eine der stilleren Gassen ein, in der eskeine Läden gab, nur Wohnhäuser. Überall, auf Mau-ern, neben Türen, in einiger Höhe vom Boden, warenHände groß aufgemalt, jeder Finger deutlich umrissen,meist in blauer Farbe: Sie galten der Abwehr gegen denbösen Blick. Es war das häufigste Zeichen, das ich hierfand, und die Menschen brachten es besonders gernedort an, wo sie wohnten. Durch offene Türen konnteich in Höfe blicken; sie waren sauberer als die Gassen.

51

Page 52: Canetti Marrakesch

Friede strömte von ihnen zu mir heraus. Für meinLeben gern wäre ich eingetreten, aber ich wagte esnicht, da ich keinen Menschen sah. Ich wußte nichtrecht, was ich sagen könnte, wenn ich plötzlich ineinem solchen Hause auf eine Frau träfe. Ich erschrakbei der Vorstellung, daß ich jemand erschrecken könn-te. Die Stille der Häuser teilte sich einem als eine Artvon Behutsamkeit mit. Aber es blieb nicht lange still.Ein dünnes, hohes Geräusch, das erst nach Grillenklang, verstärkte sich, bis ich an eine Voliere vonVögeln dachte. »Was kann das sein? Hier gibt es dochkeine Voliere mit Hunderten von Vögeln! Kinder!Eine Schule!« Bald war kein Zweifel; der ohrenbetäu-bende Lärm kam aus einer Schule.Durch ein offenes Tor blickte ich in einen großen Hof:Da saßen vielleicht zweihundert winzig kleine Kinderdicht aneinandergedrängt; manche rannten umheroder spielten am Boden. Die Mehrzahl auf den Bänkenhielt Fibeln in der Hand. In kleinen Gruppen von dreioder vier wiegten sie sich heftig vor- und rückwärtsund rezitierten dazu mit hohen Stimmen: »Aleph.Beth. Gimel.« Die kleinen, schwarzen Köpfe schössenrhythmisch hin und her; immer war einer unter ihnender eifrigste, seine Bewegungen die hitzigsten; und ausseinem Munde tönten die Laute des hebräischen Al-phabets wie ein werdender Dekalog.Ich war eingetreten und bemühte mich, das Treibendieser unzähligen Kinder zu entwirren. Die kleinstenvon ihnen spielten am Boden. Ein Lehrer stand unterihnen, sehr ärmlich gekleidet; in der Rechten hielt ereinen Ledergurt, zum Schlagen. Er trat unterwürfigauf mich zu. Sein längliches Gesicht war flach und

52

Page 53: Canetti Marrakesch

ausdruckslos, in seiner leblosen Starre stach es auffal-lend von der Lebhaftigkeit der Kinder ab. Er wirkte, alskönne er ihrer nie Meister werden, als wäre er zuschlecht bezahlt dafür. Er war ein junger Mensch, dochihre Jugend machte ihn alt. Er sprach kein Wort Fran-zösisch und ich erwartete mir nichts von ihm. Ich wares zufrieden, daß ich mich mitten im ohrenbetäuben-den Lärm dastehen und mich ein wenig umsehenkonnte. Aber ich hatte ihn unterschätzt. Hinter seinerTotenstarre verbarg sich etwas wie Ehrgeiz: Er wolltemir zeigen, was seine Kinder konnten.Er rief einen kleinen Jungen zu sich heran, hielt ihmeine Seite der Fibel vor Augen, so daß ich auch hinein-sehen konnte, und zeigte rasch hintereinander auf he-bräische Silben. Er wechselte von einer Zeile zur ande-ren, kreuz und quer; ich sollte nicht glauben, daß derJunge es auswendig gelernt hätte, und blind, ohne zulesen, rezitiere. Die Augen des Kleinen sprühten, als erlaut las: »La - lo - ma - nu - sche - ti - ba - bu.« Ermachte nicht einen Fehler und stotterte nie. Er war derStolz seines Lehrers und las immer rascher. Als er fertigwar und der Lehrer ihm die Fibel entzog, streichelte ichseinen Kopf und lobte ihn, auf französisch, aber dasverstand er. Er zog sich auf seine Bank zurück und tat,als sähe er mich nicht mehr, während der nächste Jungean die Reihe kam, der viel schüchterner war und Fehlermachte. Der Lehrer entließ ihn mit einem leichtenKlaps und holte noch ein oder zwei Kinder heran.Während dieser ganzen Prozedur ließ der tosendeLärm nicht im geringsten nach, die hebräischen Silbenfielen wie Regentropfen ins wildbewegte Meer derSchule.

53

Page 54: Canetti Marrakesch

Andere Kinder kamen indessen an mich heran, be-trachteten mich neugierig, manche frech, mancheschüchtern, manche kokett. Der Lehrer, in seinemunerforschlichen Ratschluß, vertrieb die Schüchternenhart, während er die Frechen gewähren ließ. Es hattealles seine Bedeutung. Er war der arme und traurigeHerr dieser Schulabteilung, als die Vorführung been-det war, schwanden die kargen Spuren befriedigtenStolzes von seinem Gesicht. Ich bedankte mich sehrhöflich und, um ihn zu heben, etwas von oben herab,als wäre ich ein wichtiger Besucher. Meine Zufrieden-heit war unverkennbar; in meinem verfehlten Taktge-fühl, das mich in der Mellah überall verfolgte, beschloßich, am nächsten Tag wiederzukommen und ihm dannerst etwas Geld zu geben. Ich sah noch einen Augen-blick den rezitierenden Buben zu, ihr Hin- und Her-wiegen hatte es mir angetan, von allem gefielen sie miram besten. Dann ging ich, aber den Lärm nahm ich eingutes Stück mit. Er geleitete mich bis ans Ende derStraße.Diese wurde nun belebter, als führe sie an einen wichti-gen öffentlichen Ort. Ich sah in einiger Entfernung vonmir eine Mauer und ein großes Tor. Ich wußte nicht,wohin es führte; aber je näher ich ihm kam, um so öftertraf ich auf Bettler, die rechts oder links von der Straßesaßen. Ich wunderte mich über sie, da ich noch keinejüdischen Bettler gesehen hatte. Bei jenem Tore ange-langt, sah ich zehn oder fünfzehn von ihnen in einerReihe kauern, Männer und Frauen, meist ältere Leute.Ich stand etwas verlegen mitten auf der Straße still undgab mir den Anschein, das Tor zu studieren, währendich in Wahrheit die Gesichter der Bettler betrachtete.

54

Page 55: Canetti Marrakesch

Ein junger Mann kam von der Seite auf mich zu, zeigteauf die Mauer, sagte »le cimetière israélite«, und mach-te sich erbötig, mich hineinzuführen. Es waren dieeinzigen französischen Worte, die er sprach. Ich folgteihm rasch durch das Tor. Er war flink und es gab nichtszu reden. Ich fand mich auf einem ungeheuer kahlenPlatz, wo nicht ein Halm wuchs. Die Grabsteine warenso nieder, daß man sie fast übersah; im Gehen stieß mandaran wie an gewöhnliche Steine. Der Friedhof sah wieein riesiger Schutthaufen aus; vielleicht war er es gewe-sen und man hatte ihn erst später seiner ernsterenBestimmung zugeführt. Nichts auf dem Platze erhobsich in die Höhe. Die Steine, die man sah, und dieKnochen, die man sich dachte, alle lagen. Es war nichtangenehm, hier aufrecht zu gehen, man konnte sich garnichts darauf einbilden und kam sich nur lächerlichvor.Die Friedhöfe in anderen Teilen der Erde sind soeingerichtet, daß sie den Lebenden Freude gewähren.Es lebt viel auf ihnen, Pflanzen und Vögel, und derBesucher, als einziger Mensch unter so viel Toten,fühlt sich davon aufgemuntert und gestärkt. Sein eige-ner Zustand erscheint ihm beneidenswert. Auf denGrabsteinen liest er die Namen von Leuten; jedeneinzelnen von ihnen hat er überlebt. Ohne daß er es sichgesteht, ist ihm ein wenig so zumute, als hätte er jedenvon ihnen im Zweikampf besiegt. Er ist auch traurig,gewiß, über so viele, die nicht mehr sind, aber dafürist er selber unüberwindlich. Wo sonst kann er sichso vorkommen? Auf welchem Schlachtfeld derWelt bleibt er als einziger übrig? Aufrecht steht ermitten unter ihnen, die alle liegen. Aber auch die

55

Page 56: Canetti Marrakesch

Bäume und die Grabsteine stehen aufrecht. Sie sindhier gepflanzt und aufgestellt und umgeben ihn alseine Art von Hinterlassenschaft, die dazu da ist, ihmzu gefallen.Auf diesem wüsten Friedhof der Juden aber ist nichts.Er ist die Wahrheit selbst, eine Mondlandschaft desTodes. Es ist dem Betrachter herzlich gleichgültig, werwo liegt. Er bückt sich nicht und sucht es nicht zuenträtseln. Sie sind alle da wie Schutt und man möchterasch wie ein Schakal darüber weghuschen. Es ist dieWüste aus Toten, auf der nichts mehr wächst, dieletzte, die allerletzte Wüste.Als ich ein Stück weit hineingegangen war, hörte ichRufe hinter mir. Ich drehte mich um und blieb stehen.Auch auf der inneren Seite der Mauer, nahe beim Tor,standen Bettler. Es waren alte, bärtige Männer, einigevon ihnen auf Krücken, einige blind. Ich stutzte, weilich sie vorher nicht bemerkt hatte; da mein Führer es soeilig gehabt hatte, war zwischen ihnen und mir eineEntfernung von gewiß hundert Schritt. Ich zögertedavor, dieses Stück Einöde nochmals zu überschreiten,bevor ich weiter eingedrungen war. Aber sie zögertennicht. Drei von ihnen lösten sich aus der Gruppe an derMauer und kamen in größter Eile auf mich zugehum-pelt. Der erste von ihnen war ein breitschultriger,schwerer Mann mit einem mächtigen Bart. Er wareinbeinig und warf sich mit Wucht auf seinen Krückenvorwärts. Er war den anderen bald weit voran. Dieniederen Grabsteine waren kein Hindernis für ihn,seine Krücken berührten den Boden immer an derrechten Stelle und glitten an keinem Stein ab. Wie eindrohendes altes Tier kam er auf mich zugestürzt. In

56

Page 57: Canetti Marrakesch

seinem Gesichte, das mir rasch näherkam, war nichts,das Mitleid erregte. Es drückte wie die ganze Gestalteine einzige ungestüme Forderung aus: »Ich lebe. Gibmir!«Ich hatte das unerklärliche Gefühl, daß er mich mitseinem Gewicht erschlagen wollte; er war mir unheim-lich. Mein Führer, ein leichter, schmaler Mensch, derdie Bewegungen einer Eidechse hatte, zog mich raschfort, bevor er mich erreicht hatte. Er wollte nicht, daßich diesen Bettlern etwas gebe und rief ihnen aufarabisch etwas zu. Der schwere Mann auf Krückenversuchte uns nachzukommen, aber als er einsah, daßwir rascher waren, gab er es auf und blieb stehen. Ichhörte ihn noch ein gutes Stück zornig fluchen, und dieStimmen der anderen, die hinter ihm zurückgebliebenwaren, vereinigten sich mit seiner zu einem bösenChor.Ich war erleichtert, daß ich ihnen entkommen war, unddoch schämte ich mich, weil ich ihre Erwartungenvergebens geweckt hatte. Der Angriff des einbeinigenAlten war nicht an den Steinen abgeprallt, die ihm undseinen Krücken wohl vertraut waren; er war geschei-tert an der Flinkheit meines Führers. Auf den Sieg indiesem ungleichen Wettlauf hatte man sich bei Gottnichts einzubilden. Ich wollte etwas über unseren ar-men Feind in Erfahrung bringen und wandte mich mitFragen an den Führer. Er verstand kein Wort und statteiner Antwort verbreitete sich ein schwachsinnigesLächeln über sein Gesicht. Dazu sagte er »Oui«, immerwieder »Oui«. Ich wußte nicht, wohin er mich führte.Aber die Wüste war nach dem Erlebnis mit dem altenMann nicht mehr ganz so wüst. Er war ihr rechtmäßi-

57

Page 58: Canetti Marrakesch

ger Bewohner, ein Flurhüter der kahlen Steine, desSchuttes und der unsichtbaren Gebeine.Doch ich hatte seine Bedeutung überschätzt. Denn esdauerte nicht lange und ich kam an ein ganzes Volk, dashier ansässig war. Hinter einer kleinen Erhöhung bo-gen wir in eine Mulde ein und standen plötzlich voreinem winzigen Bethaus. Draußen, in einem Halb-kreis, hatten sich vielleicht fünfzig Bettler angesiedelt,Männer und Frauen durcheinander, mit jedem Gebrestunter der Sonne behaftet, wie ein ganzer Stamm, wo-bei aber solche von fortgeschrittenem Alter überwo-gen. Sie hatten sich in farbigen Gruppen auf demBoden niedergelassen und gerieten nun allmählich,nicht zu hastig, in Bewegung. Sie begannen Segen-sprüche zu murmeln und streckten die Arme aus. Dochsie kamen mir nicht zu nahe, bevor ich die Schwelle desBethauses betrat.Ich blickte in einen ganz kleinen länglichen Raum, indem Hunderte von Kerzen brannten. Sie staken inniederen Glaszylindern und schwammen in Öl. Diemeisten von ihnen waren auf Tischen von gewöhnli-cher Höhe ausgebreitet und man sah auf sie herab wieauf ein Buch, das man liest. Eine Minderzahl hing ingrößeren Gefäßen von der Decke herab. Auf jeder Seitedes Raumes stand ein Mann, offenbar dazu bestellt,Gebete zu verrichten. Auf den Tischen in ihrer Nähelagen einige Münzen. Ich zögerte auf der Schwelle, daich keine Kopfbedeckung bei mir hatte. Der Führernahm seine schwarze Mütze vom Kopf herunter undüberreichte sie mir. Ich setzte sie mir auf, nicht ohneeinige Verlegenheit, weil sie sehr schmutzig war. DieVorbeter winkten mir und ich trat unter die Kerzen.

58

Page 59: Canetti Marrakesch

Man nahm mich für keinen Juden und ich verrichtetekein Gebet. Der Führer zeigte auf die Münzen und ichbegriff, was ich nun zu tun hatte. Ich blieb nur ganzkurz. Ich empfand Scheu vor diesem kleinen Raummitten in der Wüste, der von Kerzen erfüllt war, derallein aus Kerzen bestand. Es ging eine stille Heiterkeitvon ihnen aus, als wäre nichts ganz zu Ende, solange siebrannten. Vielleicht waren es diese zarten Flammenallein, was von den Toten übrig war. Draußen aberspürte man nah und dicht das leidenschaftliche Lebender Bettler.Ich trat wieder unter sie und nun gerieten sie wahrhaf-tig in Bewegung. Sie drängten sich an mich heran, vonallen Seiten, als könnte ich gerade ihr Gebrechen über-sehen und brachten es mir wie in einem kunstvollenund doch sehr heftigen Tanz nahe. Sie faßten meinKnie und küßten mir den Rock. Sie segneten, so kam esmir vor, jede Stelle meines Körpers. Es war, als wür-den eine Menge von Menschen mit Mund und Augund Nase, mit Armen und Beinen, mit Lumpen undKrücken, mit allem, was sie hatten, woraus sie bestan-den, zu einem beten. Ich erschrak, aber ich kann nichtleugnen, daß ich auch sehr ergriffen war und allerSchrecken sich bald in dieser Ergriffenheit verlor.Noch nie waren mir Menschen leiblich so nahe ge-kommen. Ich vergaß ihren Schmutz, er war mir gleich-gültig, ich dachte nicht an Läuse. Ich fühlte, wie ver-führerisch es sein kann, sich für Menschen lebendenLeibes zerstückeln zu lassen. Dieses furchtbare Maßvon Verehrung scheint das Opfer wert, und wie solltees nicht Wunder stiften.Aber mein Führer sorgte dafür, daß ich nicht unter den

59

Page 60: Canetti Marrakesch

Händen der Bettler blieb. Seine Ansprüche waren älterund noch gar nicht befriedigt. Ich hatte nicht genugWechselgeld für alle. Er vertrieb durch heftiges Keifenund Bellen die Ungestillten und zog mich am Armefort. Als wir das Bethaus im Rücken hatten, sagte ermit seinem schwachsinnigen Lächeln dreimal »oui«,obwohl ich ihn gar nichts gefragt hatte. Es schien nichtmehr der gleiche Schutthaufen, als ich den gleichenWeg zurückging. Ich wußte nun, wohin sich seinLeben und sein Licht zusammengezogen hatten. Deralte Mann innen am Tore, der den Wettlauf auf seinenKrücken mit so viel Energie angegangen war, sah michfinster an, aber er blieb stumm und behielt seinen Fluchfür sich. Ich schritt zum Tor des Friedhofs hinaus undmein Führer verschwand, so rasch wie er gekommenwar, und an derselben Stelle. Es ist möglich, daß er ineiner Ritze der Friedhofsmauer lebte und selten aus ihrhervorkam. Er verschwand nicht, ohne entgegenzu-nehmen, was ihm gebührte, und zum Abschied sagteer »oui«.

Page 61: Canetti Marrakesch

DIE FAMILIE DAHAN

Als ich am nächsten Morgen wieder in die Mellah kam,ging ich so rasch wie möglich zum kleinen Platz, denich ›das Herz‹ nannte, und dann zur Schule, wo ich demmaskenhaften Lehrer noch etwas schuldig war. Erempfing mich, als wäre ich noch nie dagewesen, aufgenau dieselbe Weise, und vielleicht wäre er wiederdurch die ganze Prozedur des Lesens gegangen; aberich kam ihm zuvor und gab ihm, was ich ihm schuldigzu sein glaubte. Er nahm das Geld rasch, ohne jedesZögern und mit einem Lächeln, das sein Gesicht nochstarrer und blöder erscheinen ließ. Ich ging ein wenigunter den Kindern umher, betrachtete mir ihre rhyth-mischen Lesebewegungen, die mich tags zuvor sobeeindruckt hatten. Dann verließ ich die Schule undschlenderte aufs Geratewohl durch die Gassen derMellah. Meine Lust, eines der Häuser zu betreten, wargewachsen. Ich hatte mir vorgenommen, die Mellahdiesmal nicht zu verlassen, ohne ein Haus von innengesehen zu haben. Aber wie kam ich hinein? Ichbrauchte einen Vorwand, und mein Glück wollte es,daß sich mir bald einer bot.Ich blieb vor einem der größten Häuser stehen, dessenPortal aus der Reihe der übrigen in der Gasse durcheine gewisse Ansehnlichkeit hervorstach. Das Tor waroffen. Ich blickte in einen Hof hinein, an dessen innererSeite eine junge, dunkle, sehr leuchtende Frau saß.Vielleicht war sie es, die meinen Blick zuerst angezo-gen hatte. Auf dem Hof spielten Kinder, und da ich nun

61

Page 62: Canetti Marrakesch

schon etwas Erfahrung mit Schulen hatte, fiel mir ein,ich könne dieses Haus als eine Schule ansehen und michso stellen, als wäre ich an den Kindern interessiert.Ich blieb stehen und starrte hinein, über die Kinder aufdie Frau, als sich sehr bald ein junger, hochgewachse-ner Mann, den ich nicht bemerkt hatte, vom Hinter-grund löste und auf mich zukam. Er war schlank undtrug den Kopf hoch erhoben, in seinem wallendenGewand nahm er sich sehr vornehm aus. Er blieb vormir stehen, blickte mich ernst und prüfend an undfragte mich auf arabisch nach meinem Begehr. Ichentgegnete auf französisch: »Ist das eine Schule hier?«Er verstand mich nicht, zögerte etwas, sagte »Atten-denz!« und wandte sich von mir ab. Es war nicht daseinzige Wort Französisch, das er sprach, denn als er miteinem jüngeren Menschen wiederkehrte, der auf fran-zösische Art herausgeputzt war, in einem besten euro-päischen Anzug und so als ob es ein Festtag wäre, sagteer noch »mon frère« und »parle français«.Dieser jüngere Bruder hatte ein flaches, stumpfes Bau-erngesicht, er war sehr braun. In anderer Gewandunghätte ich ihn für einen Berber gehalten, aber keinenschönen. Er sprach wirklich Französisch und fragtemich, was ich wünsche. »Ist das eine Schule hier?«fragte ich, nun schon ein wenig schuldbewußt, dennich hatte mich nicht enthalten können, wieder einenBlick auf die Frau im Hof hinten zu werfen, und daswar ihnen nicht entgangen.»Nein«, sagte der jüngere Bruder. »Es war eine Hoch-zeit hier gestern.«»Eine Hochzeit? Gestern?« Ich war sehr erstaunt, weißGott warum, und auf meine lebhafte Reaktion hin

62

Page 63: Canetti Marrakesch

schien es ihm angebracht zu ergänzen: »Mein Bruderhat geheiratet.«Er wies mit einer leichten Bewegung des Kopfes aufden älteren Bruder, den ich so vornehm fand. Nunhätte ich mich für die Auskunft bedanken sollen undwieder meiner Wege gehen. Aber ich zögerte und derjunge Ehemann sagte mit einer einladenden Armbe-wegung:»Entrez! Treten Sie ein!« Der Bruder fügte hinzu:»Wollen Sie das Haus sehen?« Ich dankte und betratden Hof.Die Kinder – es waren ihrer vielleicht ein Dutzend –stoben auseinander und machten mir Platz. Ich über-schritt den Hof, die beiden Brüder geleiteten mich. Dieleuchtende junge Frau erhob sich — sie war noch vieljünger, als ich gedacht hatte, sechzehn vielleicht –, undwurde mir von dem jüngeren Bruder als seine Schwä-gerin vorgestellt. Sie war es, die tags zuvor geheiratethatte. Man öffnete eine Tür in ein Gemach, das auf derfernen Seite des Hofes lag, und bat mich einzutreten.Das ziemlich kleine Zimmer, peinlich ordentlich undrein, war nach europäischer Weise eingerichtet: linksvon der Tür befand sich ein breites Doppelbett, rechtsvon ihr ein großer quadratischer Tisch, der mit einerdunkelgrünen Samtdecke überzogen war. Dahinter ander Wand stand ein Büffet, in dem man Flaschen undLikörgläschen sah. Die Stühle um den Tisch vervoll-ständigten das Bild; es sah aus wie in irgendeiner sehrbescheidenen französischen Kleinbürgerwohnung.Nicht ein Gegenstand verriet das Land, in dem mansich befand. Sicher war es ihr bestes Zimmer, jedesandere im Hause hätte mich mehr interessiert. Aber sie

63

Page 64: Canetti Marrakesch

meinten mich zu ehren, indem sie mir hier Platz an-boten.Die junge Frau, die Französisch verstand, aber kaumden Mund aufmachte, nahm Flasche und Gläschen ausdem Büffet und goß mir von einem starken Schnapsein, den die Juden hier brauen. Er heißt Mahya und sietrinken viel davon. Ich hatte im Gespräch mit Moham-medanern oft den Eindruck, daß sie, die eigentlichkeinen Alkohol trinken dürfen, die Juden um diesenSchnaps beneiden. Der jüngere Bruder forderte michzum Trinken auf. Wir hatten uns alle drei gesetzt, er,seine Schwägerin und ich, während der Ältere, derHochzeiter, nur ein paar Höflichkeitsaugenblicke beider Tür stehen blieb und dann wieder seiner Wegeging. Er hatte wohl viel zu tun, und da er sich mit mir jadoch nicht verständigen konnte, überließ er mich sei-ner Frau und seinem kleinen Bruder.Die Frau betrachtete mich aus ihren reglosen, braunenAugen, sie wandte keinen Blick von mir, aber nicht dasleiseste Zucken in ihrem Gesicht verriet, was sie übermich dachte. Sie hatte ein einfaches, geblümtes Kleidan, das aus einem französischen Warenhaus stammenmochte, es paßte zur Einrichtung des Zimmers. Ihrjunger Schwager in seinem dunkelblauen Anzug, derlächerlich gut gebügelt war, sah aus, als sei er soebenaus der Vitrine eines Pariser Kleidergeschäfts heraus-gestiegen. Das einzig Fremdartige im ganzen Raumwar die dunkle Hautfarbe der beiden.Während der höflichen Fragen, die nun vom jungenMann an mich gestellt wurden und die ich ebensohöflich, wenn auch weniger steif zu beantworten such-te, dachte ich immer daran, daß die schöne,

64

Page 65: Canetti Marrakesch

stumme Person, die mir gegenüber saß, vor kurzemvon ihrem Hochzeitslager aufgestanden war. Es warschon spät am Vormittag, aber gewiß hatte sie sichheute spät erhoben. Ich war der erste Fremde, den siesah, seit diese wesentliche Veränderung in ihrem Lebeneingetreten war. Meine Neugier für sie kam der ihrenfür mich gleich. Ihre Augen waren es, die mich insHaus hineingezogen hatten, und nun starrte sie michunverwandt schweigend an, während ich fließendsprach, aber nicht zu ihr. Ich entsinne mich, daß ichwährend dieser Sitzung von einer ganz absurden Hoff-nung erfüllt war. Ich hoffte, daß sie mich in Gedankenmit ihrem Hochzeiter verglich, der mir so gut gefallenhatte; ich wünschte mir, daß sie ihn mir vorziehenmöge, seine schlichte Gehobenheit und leichte Würdemeiner anmaßenden Fremdheit, hinter der sie viel-leicht Macht und Reichtum vermutete. Ich wünschteihm meine Niederlage und seiner Ehe Segen.Der junge Mann fragte mich, woher ich komme.»Aus England«, sagte ich, »London.« Ich hatte mirangewöhnt, hier diese vereinfachte Antwort zu geben,um die Menschen nicht zu verwirren. Ich spürte eineleise Enttäuschung über meine Antwort, wußte abernoch nicht, was er lieber gehört hätte.»Sie sind als Besucher hier?«»Ja, ich habe Marokko noch nie gesehen.«»Waren Sie schon in der Bahía?«Nun begann er mich nach allen offiziellen Sehenswür-digkeiten der Stadt zu fragen: war ich da gewesen, oderdort, und endete damit, daß er sich als Führer antrug.Ich wußte, daß man nichts mehr sah, sobald man sicheinmal einem Einheimischen als Führer anvertraut

65

Page 66: Canetti Marrakesch

hatte, und um diese Hoffnung so rasch wie möglichabzuschneiden und das Gespräch auf andere Dinge zubringen, erklärte ich, daß ich mit einer englischenFilmgesellschaft hier sei, die der Pascha persönlich miteinem Führer versehen habe. Ich hatte eigentlich mitdiesem Film nichts zu tun. Aber ein englischer Freundvon mir, der ihn herstellte, hatte mich nach Marokkoeingeladen, und ein anderer Freund, der mit mir war,ein junger Amerikaner, spielte darin eine Rolle.Meine Auskunft verfehlte ihre Wirkung nicht. Er be-stand nicht mehr darauf, mir die Stadt zu zeigen, aberganz andere Aussichten eröffneten sich vor seinenAugen. Ob wir vielleicht eine Stelle für ihn hätten? Ermache alles. Er sei schon lange ohne Arbeit. SeinGesicht, das etwas Stumpfes und Finsteres hatte, warmir bis jetzt unerklärlich erschienen; es reagierte wenigoder so langsam, daß man widerstrebend annahm, indiesem Menschen gehe überhaupt nichts vor. Nunaber begriff ich, daß sein Anzug mich über seine Ver-hältnisse getäuscht hatte. Vielleicht sah er so finsterdrein, weil er seit langem ohne Arbeit war, und viel-leicht ließ seine Familie ihn das fühlen. Ich wußte, daßalle kleinen Posten in der Gesellschaft meines Freundeslängst vergeben waren und sagte es ihm gleich, um ihnnicht irrezuführen. Er kam mir mit dem Kopf über denTisch ein wenig näher und fragte plötzlich:»Êtes-vous Israélite?«Ich sagte begeistert ja. Es war so angenehm, endlichetwas bejahen zu können, und ich war auch neugierigauf die Wirkung, die dieses Bekenntnis auf ihn habenwürde. Er lachte übers ganze Gesicht und zeigte seinegroßen, gelblichen Zähne. Er wandte sich zu seiner

66

Page 67: Canetti Marrakesch

Schwägerin, die in einiger Entfernung mir gegenübersaß und nickte heftig, um seine Freude über dieseNachricht an sie weiterzugeben. Sie verzog keine Mie-ne. Sie schien mir eher ein wenig enttäuscht; vielleichthätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht. Erstrahlte noch eine Weile, und als ich nun Fragen zustellen begann, antwortete er etwas flüssiger, als ich esvon ihm erwartet hätte.Ich erfuhr, daß die Schwägerin aus Mazagan stammte.Das Haus war nicht immer so voll. Die Mitglieder derFamilie waren aus Casablanca und Mazagan zur Hoch-zeit hergefahren und hatten ihre Kinder mitgebracht.Alle wohnten nun bei ihnen im Haus und darum warder Hof so ungewöhnlich belebt. Er hieß Élie Dahanund nahm stolz zur Kenntnis, daß ich denselben Vor-namen trug wie er. Sein Bruder war Uhrmacher, aberer hatte kein eigenes Geschäft, er war bei einem ande-ren Uhrmacher angestellt. Ich wurde wiederholt zumTrinken aufgefordert und man stellte eingemachteFrüchte vor mich hin, wie meine Mutter sie zu machenpflegte. Ich trank, aber die Früchte lehnte ich höflich ab- vielleicht weil sie mich zu sehr anheimelten –, und riefdadurch endlich eine klare Reaktion auf dem Gesichtder Schwägerin hervor, Bedauern. Ich erzählte, daßmeine Vorfahren aus Spanien gekommen wären undfragte, ob es noch Leute in der Mellah gäbe, die das alteSpanisch sprächen. Er wußte niemand, doch hatte ervon der Geschichte der Juden in Spanien gehört unddiese Ahnung war das erste, was über seine französi-sche Aufmachung und die Verhältnisse seiner engstenUmgebung hinauszugehen schien. Nun fragte wiederer. Wieviel Juden es in England gäbe? Ob es ihnen gut

67

Page 68: Canetti Marrakesch

ginge und wie man sie behandle? Ob es große Männerdarunter gäbe? Ich fühlte plötzlich etwas wie einewarme Dankespflicht gegen das Land, in dem es mirgut ergangen war, in dem ich Freunde gewonnen hatte,und damit er mich verstehe, erzählte ich ihm voneinem englischen Juden, der es zu hohem politischenAnsehen gebracht hatte, Lord Samuel.»Samuel?« fragte er und strahlte wieder über das ganzeGesicht, so daß ich annahm, er habe von ihm gehörtund wisse über seine Laufbahn Bescheid. Aber da hatteich mich geirrt; denn er wandte sich der jungen Frau zuund sagte: »Das ist der Name meiner Schwägerin. IhrVater heißt Samuel.« Ich sah sie fragend an; sie nickteheftig.Von diesem Augenblick an wurde er in seinen Fragenkühler. Das Gefühl einer entfernten Verwandtschaftmit Lord Samuel, der, wie ich ihm sagte, Mitgliedbritischer Regierungen gewesen war, befeuerte ihn.Ob es noch andere Israeliten in unserer Gesellschaftgäbe? Einen, sagte ich. Ob ich ihn nicht zu Besuchmitbringen möchte? Ich versprach es. Ob keine Ame-rikaner mit uns seien? Zum erstenmal sprach er dasWort ›Amerikaner aus; ich spürte, daß es sein goldenesWort war und begriff, warum er anfangs über meineHerkunft aus England enttäuscht gewesen war. Icherzählte von meinem amerikanischen Freund, der imselben Hotel wie wir wohne; doch mußte ich zugeben,daß er kein ›Israélite‹ war.Der ältere Bruder trat wieder ein; vielleicht fand er, daßich schon zu lange dasaß. Er warf einen Blick auf seineFrau. Sie starrte mich noch immer an. Es kam mir vor,daß ich um ihretwillen geblieben war und die Hoff-

68

Page 69: Canetti Marrakesch

nung, mit ihr ins Gespräch zu kommen, nicht aufgege-ben hatte. Ich sagte dem Jüngeren, er möge mich doch,wenn er Lust habe, in meinem Hotel aufsuchen underhob mich von meinem Sessel. Ich verabschiedetemich von der jungen Frau. Die beiden Brüder geleite-ten mich hinaus. Der Hochzeiter stellte sich vors Tor,ein wenig so, als ob er mir den Weg vertrete, und mirkam der Gedanke, daß er für meine Besichtigung desHauses vielleicht Bezahlung erwarte. Ich mochte ihnaber auch nicht beleidigen, er gefiel mir noch immergut, und so stand ich einen Augenblick in peinlichsterVerlegenheit da. Meine Hand, die sich der Taschegenähert hatte, blieb auf halbem Wege stehen und ichertappte sie dabei, wie sie sich kratzend stellte. DerJüngere kam zu meiner Rettung und sagte etwas aufarabisch. Ich hörte das Wort ›Jehudi‹, Jude, das sich aufmich bezog, und wurde mit einem freundlichen, etwasenttäuschten Händedruck entlassen.Schon am nächsten Tage meldete sich Élie Dahan inmeinem Hotel. Er fand mich nicht vor und kam wie-der. Ich war viel unterwegs und er hatte kein Glück;vielleicht glaubte er auch, daß ich mich verleugnenließ. Das dritte oder vierte Mal traf er mich endlich an.Ich lud ihn zu einem Kaffee ein und er begleitete michzur Djema el Fna, wo wir uns auf eine der Kaffeehaus-terrassen setzten. Er war genauso angezogen wie amTag zuvor. Erst sprach er kaum, aber selbst seinerausdruckslosen Miene war zu entnehmen, daß er etwasauf dem Herzen hatte. Ein alter Mann näherte sichunserem Tisch, der gravierte Messingplatten zu ver-kaufen hatte; an seinem schwarzen Käppchen, an Klei-dung und Bart war er leicht als Jude zu erkennen. Élie

69

Page 70: Canetti Marrakesch

beugte sich geheimnisvoll zu mir herüber und als hätteer mir etwas ganz Besonderes anzuvertrauen, sagte er:»C'est un Israélite.« Ich nickte erfreut. Um uns saßenlauter Araber und ein oder zwei Europäer. Erst jetzt,seit das Einverständnis des Vortags zwischen uns wie-derhergestellt war, fühlte er sich freier und rückte mitseinem Anliegen heraus.Ob ich ihm einen Brief an den Kommandanten desLagers von Ben Guérir geben könnte. Er möchte gernbei den Amerikanern arbeiten.»Was für einen Brief?« fragte ich.»Sagen Sie dem Kommandanten, daß er mir eine Stellegeben soll.«»Aber ich kenne den Kommandanten gar nicht.«»Schreiben Sie ihm einen Brief«, wiederholte er, alshätte er nicht gehört, was ich sagte.»Ich kenne den Kommandanten nicht«, wiederholteich.»Sagen Sie ihm, daß er mir eine Stelle geben soll.«»Aber ich weiß nicht einmal, wie er heißt. Wie kann ichihm da schreiben?«»Ich werde Ihnen den Namen sagen.«»Was für eine Arbeit möchten Sie denn dort haben?«»Comme plongeur«, sagte er und ich glaubte mich zuentsinnen, daß das jemand bedeute, der Geschirr ab-wasche.»Waren Sie schon einmal dort?«»Ich habe bei den Amerikanern als ›plongeur‹ gearbei-tet«, sagte er sehr stolz.»In Ben Guérir?«»Ja.«»Und warum sind Sie weg von dort?«

70

Page 71: Canetti Marrakesch

»Ich bin entlassen worden«, sagte er, genauso stolz.»Ist das schon lange her?«»Vor einem Jahr.«»Warum melden Sie sich dann nicht wieder?«»Leute aus Marokko dürfen nicht ins Lager. Nur wennsie dort arbeiten.«»Aber warum hat man Sie entlassen? – Sie wolltendamals vielleicht selber weg?« fügte ich taktvollhinzu.»Es gab nicht genug Arbeit. Man hat viele ent-lassen.«»Dann wird dort kaum eine Stelle für Sie frei sein,wenn es zu wenig Arbeit gibt.«»Schreiben Sie dem Kommandanten, daß er mir eineStelle geben soll.«»Ein Brief von mir hätte gar keine Wirkung, weil ichihn nicht kenne.«»Mit einem Brief läßt man mich vor.«»Aber ich bin nicht einmal Amerikaner. Ich habe Ihnengesagt, daß ich Engländer bin. Erinnern Sie sichnicht?«Er runzelte die Stirn. Es war das erste Mal, daß er aufeinen Einwand hörte. Er überlegte und sagte dann:»Ihr Freund ist ein Amerikaner.«Jetzt begriff ich. Ich, der leibhaftige Freund eines leib-haftigen Amerikaners sollte dem Kommandanten desLagers von Ben Guérir einen Brief schreiben, in demich forderte, daß er Élie Dahan eine Stelle als ›plongeur‹gebe.Ich sagte, daß ich mit meinem amerikanischen Freundesprechen würde. Er werde sicher wissen, was in soeinem Falle zu tun sei. Vielleicht könne er selber einen

72

Page 72: Canetti Marrakesch

solchen Brief schreiben; aber natürlich müsse ich ihnerst fragen. Ich wüßte, daß er den Kommandantenpersönlich überhaupt nicht kenne.»Schreiben Sie, er soll auch meinem Bruder eine Stellegeben.«»Ihrem Bruder? Dem Uhrmacher?«»Ich habe noch einen jüngeren Bruder. Er heißtSimon.«»Was macht er?«»Er ist Schneider. Er hat auch bei den Amerikanerngearbeitet.«»Als Schneider?« – »Er hat Wäsche gezählt.«»Und er ist auch schon seit einem Jahr weg vondort?«»Nein. Er ist vor 14 Tagen entlassen worden.«»Das heißt, daß man keine Arbeit mehr für ihn hat.«»Schreiben Sie für beide. Ich werde Ihnen den Namendes Kommandanten geben. Schreiben Sie von IhremHotel.«»Ich werde mit meinem Freund sprechen.«»Soll ich den Brief im Hotel holen?«»Kommen Sie in zwei, drei Tagen, wenn ich mitmeinem Freund gesprochen habe und dann werde ichIhnen sagen, ob er einen Brief für Sie schreibenkann.«»Kennen Sie den Namen des Kommandantennicht?«»Nein. Sie wollten mir den Namen selber geben,nicht?«»Soll ich Ihnen den Namen des Kommandanten insHotel bringen?«»Ja. Das können Sie tun.«

72

Page 73: Canetti Marrakesch

»Ich bringe Ihnen heute den Namen des Kommandan-ten. Sie schreiben ihm einen Brief, daß er mir undmeinem Bruder eine Stelle geben soll.«»Bringen Sie mir morgen den Namen.« Ich fing anungeduldig zu werden. »Ich kann Ihnen nichts verspre-chen, bevor ich mit meinem Freund gesprochenhabe.«Ich verwünschte den Augenblick, in dem ich das Hausseiner Familie betreten hatte. Er würde nun täglichkommen, vielleicht mehr als einmal, und immer wie-der denselben Satz wiederholen. Ich hätte nie die Gast-freundschaft der Leute annehmen sollen. Im selbenAugenblick sagte er:»Möchten Sie nicht wieder zu uns nach Hausekommen?«»Jetzt? Nein, jetzt habe ich zu wenig Zeit. Ein andermalgern.«Ich stand auf und verließ die Terrasse. Er stand unsi-cher auf und folgte mir. Ich merkte, daß er zögerte, undals wir einige Schritte gegangen waren, fragte er:»Haben Sie bezahlt?«»Nein.« Ich hatte es vergessen. Ich hatte so rasch wiemöglich die Flucht vor ihm ergreifen wollen und denKaffee, zu dem ich ihn eingeladen hatte, zu bezahlenvergessen. Ich schämte mich vor ihm und meine Ge-reiztheit verflog. Ich ging zurück, bezahlte und schlen-derte mit ihm durch die Gasse, die in die Mellahführte.Er verfiel nun in die Rolle des Führers und zeigte aufalles, was ich schon kannte. Seine Aufklärungen be-standen aus jeweils zwei Sätzen: »Das ist die Bahía.Waren Sie schon in der Bahía?« »Das sind die Gold-

73

Page 74: Canetti Marrakesch

schmiede. Haben Sie schon die Goldschmiede ge-sehen?«Meine Antwort war nicht weniger stereotyp. »Ja, ichwar schon dort«, oder »ja, ich hab sie gesehen.« Ichhatte nur einen simplen Wunsch: Wie bringe ich ihndazu, daß er mich nirgends hinführt? Aber er hattebeschlossen, sich mir nützlich zu erweisen, und dieEntschlossenheit eines dummen Menschen ist uner-schütterlich. Als ich sah, daß er nicht locker ließ,versuchte ich es mit einer List. Ich fragte nach derBerrima, dem Palast des Sultans. Da sei ich noch nichtgewesen, sagte ich, aber ich wußte wohl, daß mannicht hinein durfte.»La Berrima?« wiederholte er erfreut. »Meine Tantewohnt dort. Soll ich Sie hinführen?«Nun konnte ich nicht mehr nein sagen. Ich begriff zwarnicht, was seine Tante im Palast des Sultans zu suchenhatte. War sie da vielleicht Pförtnerin? Wäscherin?Köchin? Es reizte mich, auf diese Weise ins Schloß zugelangen. Vielleicht konnte ich Freundschaft mit derTante schließen und so einiges über das Leben dorterfahren.Auf dem Wege in die Berrima kamen wir auf denGlaoui zu sprechen, den Pascha von Marrakesch. We-nige Tage zuvor war in der Moschee des Quartiers einAttentat auf den neuen Sultan von Marokko verübtworden. Der Gottesdienst war die einzige Gelegenheitfür den Attentäter, in leibliche Nähe des Königs zugelangen. Dieser neue Sultan war ein alter Mann. Erwar der Onkel des früheren, den die Franzosen abge-setzt und aus Marokko verbannt hatten. Als Werkzeugder Franzosen wurde der Onkel-Sultan von der Frei-

74

Page 75: Canetti Marrakesch

heitspartei mit allen Mitteln bekämpft. Unter den Ein-heimischen im ganzen Land hatte er nur eine starkeStütze, das war El Glaoui, der Pascha von Marrakesch,den man schon seit zwei Generationen als den verläß-lichsten Verbündeten der Franzosen kannte. DerGlaoui hatte den neuen Sultan in die Moschee begleitetund den Attentäter auf der Stelle niedergeschossen.Der Sultan selbst war nur leicht verletzt.Knapp vor diesem Ereignis war ich mit einem Freundin jenem Teil der Stadt spazierengegangen. Wir warendurch Zufall vor diese Moschee geraten und hatten unsdie Menschenmengen angesehen, die auf die Ankunftdes Sultans warteten. Die Polizei war in größter Aufre-gung, da es schon eine Reihe von Anschlägen gegebenhatte, und traf ihre Anstalten ungeschickt und laut.Auch wir wurden unfreundlich weggewiesen, aber mitWut und Geschrei ging man gegen die Einheimischenvor, als sie sich genau dort aufstellten, wo man es ihnenerlaubt hatte. Unter diesen Umständen verspürten wirwenig Lust, die Ankunft des Sultans abzuwarten undgingen wieder unserer Wege. Eine halbe Stunde spätergeschah das Attentat und die Nachricht davon verbrei-tete sich mit Windeseile durch die Stadt. – Nun ging ichmit meinem neuen Begleiter wieder durch dieselbenGassen wie damals; und das war es, was das Gesprächauf den Glaoui brachte.»Der Pascha haßt die Araber«, sagte Élie. »Er liebt dieJuden. Er ist der Freund der Juden. Er erlaubt nicht, daßden Juden etwas geschieht.«Er sprach mehr und rascher als sonst, und es klang sehrmerkwürdig, als hätte er es aus einem alten Geschichts-buch auswendig gelernt. Die Mellah selbst hatte nicht

75

Page 76: Canetti Marrakesch

so mittelalterlich auf mich gewirkt wie diese Worteüber den Glaoui. Ich betrachtete verstohlen sein Ge-sicht, als er dieselben Worte wiederholte. »Die Arabersind seine Feinde. Er hat Juden bei sich. Er spricht mitJuden. Er ist der Freund der Juden.« Er zog den Titel›Pascha‹, der die Würde bezeichnete, dem Familienna-men ›Glaoui‹ vor. Wann immer ich ›Glaoui‹ sagte,erwiderte er mit ›Pascha‹. Es klang in seinem Mundwie das Wort ›Kommandant‹, mit dem er mich vorkurzem zur Raserei getrieben hatte. Doch sein höchstesund hoffnungsvollstes Wort blieb nach wie vor, demGlaoui zum Trotz, ›Amerikaner‹.Wir waren indessen durch ein kleines Tor in ein Viertelgeraten, das außerhalb der Stadtmauer lag. Die Häuserbestanden aus einem einzigen Geschoß und wirktensehr ärmlich. Auf den kleinen, holprigen Gassen trafman kaum einen Menschen, hie und da sah man einpaar spielende Kinder. Ich fragte mich, wie wir hierzum Palast gelangen würden, als er vor einem derunscheinbarsten Häuser stehenblieb und sagte: »Hierist meine Tante.«»Wohnt sie nicht in der Berrima?«»Das ist die Berrima«, sagte er, »das ganze Viertel heißtBerrima.«»Und hier können Juden auch wohnen?«»Ja«, sagte er, »der Pascha hat es erlaubt.«»Gibt es hier viele?«»Nein, die meisten Leute hier sind Araber. Aber einigeJuden wohnen auch hier. Wollen Sie nicht die Bekannt-schaft meiner Tante machen? Meine Großmutterwohnt auch hier.«Ich war sehr froh, wieder ein Haus von innen sehen zu

76

Page 77: Canetti Marrakesch

können und pries mich glücklich, daß es ein so einfa-ches und unscheinbares Haus war. Ich war zufriedenmit dem Tausch; und hätte ich ihn gleich verstanden,ich hätte mich mehr darauf gefreut als auf einen Besuchim Palast des Sultans.Er klopfte und wir warteten ein wenig. Eine junge,kräftige Frau erschien, mit offenen, freundlichen Zü-gen. Sie führte uns weiter, war aber ein wenig verle-gen, da alle Zimmer eben ausgemalt wurden und sieuns nirgends so empfangen konnte, wie es sich gebühr-te. Wir standen im winzigen Hof, auf den drei kleineZimmer gingen. Élies Großmutter war da, die garnicht alt wirkte. Sie empfing uns lächelnd, aber esschien mir, als wäre sie auf ihn nicht besonders stolz.Drei kleine Kinder trieben sich im Hof herum undschrien aus Leibeskräften. Sie waren winzig und woll-ten auf den Arm genommen werden; der Lärm derbeiden Kleinsten war ohrenbetäubend. Ehe redete aufseine junge Tante ein, er sprach erstaunlich viel. SeinArabisch bekam eine gewisse Heftigkeit, die ich ihmgar nicht zugetraut hätte, aber vielleicht lag das mehran der Natur der Sprache.Die Tante gefiel mir. Sie war ein üppiges, junges Weib,das mich verwundert und gar nicht kriecherisch be-trachtete. Sie erinnerte auf den ersten Blick an orienta-lische Frauen, wie sie Delacroix gemalt hat. Sie hattedieselbe längliche und doch volle Form des Gesichts,denselben Schnitt der Augen, dieselbe gerade und et-was zu lange Nase. Im kleinen Hof stand ich ganz dichtbei ihr, unsere Blicke trafen sich in natürlichem Gefal-len. Ich war so betroffen, daß ich die Augen senkte;aber da sah ich ihre starken Fesseln, sie waren so

77

Page 78: Canetti Marrakesch

anziehend wie ihr Gesicht. Ich hätte mich gern nebensie gesetzt. Sie schwieg, während Élie noch immer aufsie einsprach und die Kinder lauter und lauter schrien.Ihre Mutter war nicht weiter von mir entfernt als sieselbst. Sicher spürt sie etwas, dachte ich mir, es war mirpeinlich. Die wenigen Möbel waren im Hof aufeinan-dergetürmt, die Zimmer, in die man hineinsah, stan-den leer; man hätte sich nirgends hinsetzen können.Die Wände waren frisch getüncht, als wäre man ebeneingezogen. Die junge Frau roch sauber wie ihre Wän-de. Ich versuchte mir ihren Mann vorzustellen undbeneidete ihn. Ich verbeugte mich, gab ihrer Mutterund ihr die Hand und wandte mich zum Gehen.Élie kam mit mir. Auf der Gasse draußen sagte er: »Estut ihr leid, daß sie beim Reinigen sind.« Ich konntenicht an mich halten und sagte: »Ihre Tante ist eineschöne Frau.« Ich mußte es jemand sagen und vielleichthoffte ich auch gegen alle Vernunft, daß er erwidernwerde: »Sie wünscht Sie wiederzusehen.« Aber erverstummte.Er nahm so wenig Notiz von meiner unerklärlichenNeigung, daß er vorschlug, mich jetzt zu einem Onkelzu führen. Ich ergab mich drein, ein wenig beschämt,weil ich mich verraten hatte; vielleicht hatte ich gegendie Sitte gehandelt. Ein häßlicher oder langweiligerOnkel würde die schöne Tante aufwiegen.Auf dem Wege erklärte er mir die komplizierten Fami-lienverhältnisse. Sie waren eigentlich mehr reichhaltigals kompliziert, es gab Angehörige von ihm in denverschiedensten Städten Marokkos. Ich brachte dieSprache auf seine Schwägerin, die ich tags zuvor gese-hen hatte und erkundigte mich nach ihrem Vater in

78

Page 79: Canetti Marrakesch

Mazagan. »C'est un pauvre«, sagte er, »ein Armer.« Erwar, wie man sich erinnern wird, der Mann, der Samu-el hieß. Er verdiente nichts. Seine Frau arbeitete für ihn,sie allein hatte die Familie erhalten. Ob es in Marra-kesch viele arme Juden gäbe? »250«, sagte er, »dieGemeinde gibt ihnen zu essen.« Unter Armen verstander Leute, die bettelarm waren, und er sonderte sich sehrdeutlich von dieser Klasse ab.Der Onkel, zu dem wir nun gingen, hatte eine kleineBude außerhalb der Mellah, in der er Seidenstoffeverkaufte. Er war ein magerer, kleiner Mann, bleichund traurig, der wenig Worte machte. Seine Bude wareinsam, niemand näherte sich ihr, solange ich davorstand. Es sah aus, als machten alle Passanten einenBogen um sie. Auf meine Fragen antwortete er inkorrektem, aber etwas einsilbigem Französisch. DasGeschäft ging sehr schlecht. Niemand kaufte etwas.Man hatte kein Geld. Fremde kamen nicht wegen derAttentate. Er war ein leiser Mann und Attentate warenihm zu laut. Seine Klage war weder scharf noch hef-tig: Er gehörte zu den Leuten, die immer daran den-ken, daß fremde Ohren sie hören könnten, und seineStimme war so gedämpft, daß ich ihn fast nicht ver-stand.Wir verließen ihn, als wären wir gar nicht dort gewe-sen. Ich hatte Lust, Élie zu fragen, wie dieser Onkel sichbei der Hochzeit aufgeführt hatte. Schließlich waren eserst zwei Tage her, daß die Familie ihr großes Festgefeiert hatte. Aber ich unterdrückte diese etwas bos-hafte Äußerung, die er ohnehin nicht verstanden hätte,und sagte, daß ich nun zurück nach Hause müsse. Erbegleitete mich bis zum Hotel. Auf dem Wege zeigte er

79

Page 80: Canetti Marrakesch

mir noch den Uhrenladen, in dem sein Bruder arbeite-te. Ich warf von außen einen Blick hinein und sah ihnernst über einen Tisch gebeugt, wie er durch eine Lupedie Teilchen einer Uhr betrachtete. Ich wollte ihn nichtstören und ging unbemerkt weiter.Vor dem Hotel blieb ich stehen, um mich von Élie zuverabschieden. Seine Freigebigkeit mit seinen Ver-wandten hatte ihm wieder Mut gemacht und er kamauf den Brief zu sprechen. »Ich bringe Ihnen denNamen des Kommandanten«, sagte er, »morgen.« »Ja,ja«, sagte ich, ging rasch hinein und freute mich aufmorgen.Von nun an erschien er täglich. Wenn ich nicht da war,ging er um den Häuserblock herum und kam wieder.Wenn ich noch immer nicht da war, stellte er sich ander Straßenecke gegenüber dem Hoteleingang auf undwartete geduldig. An kühleren Tagen nahm er in derHalle des Hotels Platz. Aber er blieb da nie länger alsein paar Minuten sitzen. Er hatte Scheu vor demarabischen Personal des Hotels, das ihn mit Gering-schätzung behandelte, vielleicht erkannten sie ihn alsJuden.Er kam mit dem Namen des Kommandanten. Aber erbrachte auch alle Dokumente, die er je in seinem Lebenbesessen hatte. Er brachte sie nicht auf einmal. JedenTag kamen ein oder zwei neue dazu, auf die er sich inder Zwischenzeit besonnen hatte. Er schien der Mei-nung zu sein, daß ich die gewünschte Order an denKommandanten von Ben Guérir sehr wohl verfassenkönne, wenn ich nur wolle; und über ihre Wirkung,sobald sie einmal verfaßt wäre, hegte er nicht denleisesten Zweifel. Papiere hatten etwas Unwiderstehli-

80

Page 81: Canetti Marrakesch

ches, sobald ein fremder Name darunter stand. Erbrachte mir Zeugnisse über jede Stellung, in der ergewesen war; er hatte wirklich für kurze Zeit als›plongeur‹ bei den Amerikanern gearbeitet. Er brachtemir Zeugnisse seines jüngeren Bruders Simon. Er kamnie, ohne ein Papier aus der Tasche zu ziehen und mirvor die Augen zu halten. Er pflegte die Wirkung derLektüre ein wenig abzuwarten und schlug dann Ände-rungen in dem Text des Briefes vor, den ich demKommandanten schreiben sollte.Ich hatte inzwischen die ganze Affäre mit meinemamerikanischen Freunde auf das genaueste besprochen.Er machte sich erbötig, Ehe Dahan an seine Landsleutezu empfehlen, doch erhoffte er sich für den jungenMann nichts davon. Er kannte weder den Komman-danten noch sonst einen Menschen, der auf das Verge-ben von Stellen Einfluß hatte. Aber wir wollten beideEhe die Hoffnung nicht rauben und so wurde der Briefgeschrieben.Ich war erleichtert, als ich ihn mit dieser Nachrichtempfangen und zur Abwechslung selber in die Taschelangen und ein Papier hervorziehen konnte.»Lesen Sie!« sagte er mißtrauisch und etwas schroff.Ich las den englischen Text von Anfang zu Ende vor,und obwohl ich wußte, daß er kein Wort davon ver-stand, las ich so langsam wie möglich.»Übersetzen Sie!« sagte er und verzog keine Miene.Ich übersetzte und gab meinen französischen Worteneine nachdrückliche und feierliche Note. Ich händigteihm den Brief ein. Er suchte nach etwas und prüftedann die Unterschrift. Die Tinte war nicht sehr dunkelund er schüttelte den Kopf.

81

Page 82: Canetti Marrakesch

»Das kann der Kommandant nicht lesen«, sagte er undgab mir den Brief zurück. Ohne die leiseste Scheu fügteer hinzu: »Schreiben Sie mir drei Briefe. Wenn derKommandant den Brief nicht zurückgibt, schicke ichden zweiten an ein anderes Lager.«»Wozu brauchen Sie den dritten Brief?« fragte ich, ummeine Verblüffung über seine Frechheit zu ver-bergen.»Für mich«, sagte er stolz.Ich begriff, daß er ihn seiner Dokumentensammlungeinverleiben wollte, und der Gedanke, daß dieser dritteBrief für ihn der wichtigste war, schien unab-weisbar.»Schreiben Sie Ihre Adresse«, fügte er hinzu. Das Hotelwar nirgends erwähnt, danach also hatte er gesucht.»Das hat aber keinen Sinn«, sagte ich. »Wir fahren baldweg. Wenn man den Brief beantworten sollte, brauchtman Ihre Adresse!«»Schreiben Sie Ihre Adresse!« antwortete er unerschüt-tert, mein Einwand machte ihm nicht den geringstenEindruck.»Das können wir trotzdem tun«, sagte ich. »Aber IhreAdresse muß eben auch drauf stehen, sonst ist dasGanze sinnlos.«»Nein«, sagte er, »schreiben Sie das Hotel!«»Aber was wird geschehen, wenn man Ihnen wirklichdie Stelle geben möchte? Wie wird man Sie finden? Wirfahren nächste Woche weg und so rasch kommt dieAntwort bestimmt nicht.«»Schreiben Sie das Hotel!«»Ich werde es meinem Freund sagen. Hoffentlich är-gert er sich nicht, daß er den Brief nochmals schreiben

82

Page 83: Canetti Marrakesch

muß.« Ich konnte es mir nicht versagen, ihn für seinenEigensinn zu strafen.»Drei Briefe«, war seine Antwort. »Schreiben Sie dasHotel auf alle drei Briefe.«Ich entließ ihn verärgert und dachte mir, wenn ich ihnnur nicht wiedersehen müßte.Am nächsten Tage kam er mit einer besonders feierli-chen Miene und fragte mich:»Wollen Sie die Bekanntschaft meines Vaters ma-chen?«»Wo ist er denn?« fragte ich.»Im Geschäft. Er hat mit meinem Onkel zusammen einGeschäft. Zwei Minuten von hier.«Ich willigte ein und wir gingen hin. Es lag an dermodernen Straße, die von meinem Hotel zum BabAgenaou führte. Ich war diesen Weg sehr oft gegan-gen, mehrmals am Tag, und hatte in die Läden zurLinken und zur Rechten manchen Blick getan. Unterden Inhabern dieser Läden gab es viele Juden, ihreGesichter waren mir bereits vertraut. Ich fragte mich,ob einer von ihnen sein Vater sei, und ließ sie im GeisteRevue passieren. Welcher konnte es sein?Aber ich hatte die Zahl und Mannigfaltigkeit dieserLäden unterschätzt, denn kaum war ich von der Straßeher eingetreten, begann ich mich zu wundern, daß ichdieses sonderbare Geschäft überhaupt noch nie be-merkt hatte. Es war vollgeräumt mit Zucker in jederForm, sei es als Zuckerhüte, sei es in Säcken. In jederHöhe, auf allen Regalen ringsum war nichts als Zuk-ker. Ich hatte noch nie ein Geschäft gesehen, in demman nichts als Zucker verkaufte und fand diese Tatsa-che, Gott weiß warum, sehr belustigend. Der Vater

83

Page 84: Canetti Marrakesch

war nicht da, wohl aber der Onkel und ich wurde mitihm bekannt gemacht. Er war ein unangenehmes,schmächtiges Männlein mit verkniffenem Gesicht,dem ich nicht über den Weg getraut hätte. Er wareuropäisch gekleidet, aber sein Anzug sah schmutzigaus und man konnte erkennen, daß dieser Schmutz auseiner ungewöhnlichen Mischung von Straßenstaubund Zucker bestand.Der Vater war nicht weit weg, man schickte nach ihm.Indessen wurde, wie es hier Sitte ist, Pfefferminz-Teefür mich gerichtet. Aber angesichts der überwältigen-den Süßkraft des Lokals bereitete mir die Vorstellung,daß ich ihn trinken müsse, leichte Übelkeit. Élie erklär-te auf arabisch, daß ich aus London sei. Ein Herr miteinem europäischen Straßenhut auf dem Kopf,den ich für einen Käufer gehalten hatte, trat zweiSchritte auf mich zu und sagte auf englisch: »Ich binbritisch.« Er war ein Jude aus Gibraltar und sprachsein Englisch gar nicht schlecht. Er erkundigte sichnach meinen Geschäften und da ich nichts zu sagenhatte, wiederholte ich die alte Geschichte über denFilm.Wir unterhielten uns ein wenig und ich sippte den Tee,da kam der Vater. Er war ein stattlicher Mann miteinem schönen, weißen Bart. Er trug Käppchen undGewand nach Art der marokkanischen Juden. Er hatteeinen großen, runden Kopf mit einer breiten Stirn, aberwas mir am meisten auffiel, waren seine lachendenAugen. Élie stellte sich neben ihn und sagte mit einerbeschwörenden Armbewegung:»Je vous présente mon père.«Er hatte noch nie etwas mit so viel Ernst und Überzeu-

84

Page 85: Canetti Marrakesch

gung gesagt. ›Père‹ klang in seinem Mund geradezuerhaben und nie hätte ich gedacht, daß ein so dummerMensch es zu solcher Erhabenheit bringen könne.›Père‹, klang nach bedeutend mehr als ›Amerikaner‹und ich war froh, daß vom Kommandanten nicht vielmehr übrig blieb.Ich schüttelte die Hand des Mannes und blickte in seinlachendes Aug. Er fragte den Sohn auf arabisch nachmeiner Herkunft und meinem Namen. Da er keinWort Französisch sprach, stellte sich der Sohn zwi-schen uns beiden auf und wurde, ganz gegen seine Artbeinahe eifrig, zu unserem Dolmetsch. Er erklärte,woher ich käme und daß ich ein Jude sei, er nanntemeinen Namen. So wie er ihn sagte, mit seiner stump-fen, kaum artikulierenden Stimme, klang er nachnichts.»E-li-as Ca-ne-ti?« wiederholte der Vater fragend undschwebend. Er sagte den Namen ein paarmal vor sichhin, wobei er die Silben deutlich voneinander abhob. Inseinem Munde wurde der Name gewichtiger undschöner. Er sah mich dabei nicht an, sondern blicktevor sich hin, als wäre der Name wirklicher als ich, undals wäre er es wert, daß man ihn erkunde. Ich hörteerstaunt und betroffen zu. In seinem Singsang kam mirmein Name so vor, als gehöre er in eine besondereSprache, die ich gar nicht kannte. Er wog ihn großher-zig vier- oder fünfmal; mir war, als höre ich dasKlingen von Gewichten. Ich fühlte keine Sorge, er warkein Richter. Ich wußte, er würde Sinn und Schweremeines Namens finden; und als es soweit war, blickteer auf und lachte mir wieder in die Augen.Er stand nun da, als wolle er sagen: der Name ist gut,

85

Page 86: Canetti Marrakesch

aber es gab keine Sprache, in der er es mir sagenkonnte. Ich las es von seinem Gesicht und spürte eineunbändige Liebe für ihn. Nie hätte ich es gewagt, ihnmir so vorzustellen, wie er war. Sein stupider Sohn,sein verkniffener Bruder waren beide aus einer anderenWelt, und nur der Uhrmacher hatte etwas von seinerHaltung geerbt, aber der war nicht anwesend, unter alldem Zucker wäre für niemand mehr Raum gewesen.Ehe wartete auf ein Wort von mir, zum Übersetzen,ich brachte keines hervor. Ich blieb ganz und garstumm, aus Ehrfurcht, aber vielleicht auch, um denwunderbaren Bann des Namen-Singsangs nicht zubrechen. So standen wir uns einige lange Augenblickegegenüber. Wenn er es nur versteht, warum ich nichtssagen kann, dachte ich, wenn meine Augen nur lachenkönnten wie die seinen. Es wäre entwürdigend gewe-sen, diesem Dolmetsch noch etwas anzuvertrauen, keinDolmetsch war mir für ihn gut genug.Er wartete geduldig, während ich beharrlich schwieg.Schließlich huschte etwas wie leiser Unmut über seineStirne und er sagte einen arabischen Satz zu seinemSohn, der ein wenig zögerte, bevor er ihn mir über-setzte.»Mein Vater bittet Sie, ihn zu entschuldigen, da er sichjetzt zurückziehen möchte.«Ich nickte und er gab mir die Hand. Er lächelte und sahdabei aus, als habe er nun etwas zu tun, was er nichtgern tue; sicher war es ein Geschäft. Dann wandte ersein Gesicht von mir ab und verließ den Laden.Ich wartete ein paar Augenblicke und begab mich dannmit Ehe auf die Straße. Ich sagte ihm, wie gut mir seinVater gefallen habe. »Er ist ein großer Gelehrter«,

86

Page 87: Canetti Marrakesch

erwiderte er voll Ehrfurcht und streckte die Finger derlinken Hand in die Höhe, wo sie ausdrucksvoll schwe-ben blieben. »Er liest die ganze Nacht.« –Von diesem Tage an hatte Ehe mit mir gewonnenesSpiel. Ich erfüllte alle seine lästigen kleinen Wünschemit Eifer, weil er der Sohn dieses herrlichen Manneswar. Er tat mir ein wenig leid, weil er sich nicht mehrgewünscht hatte, denn es gab nun nichts, was ich ihmnicht gewährt hätte. Er bekam drei englische Briefe, indenen sein Eifer, seine Verläßlichkeit und Ehrlichkeit,ja seine Unentbehrlichkeit, wenn er einmal für einenarbeite, bis in den Himmel hinauf gelobt wurden. Seinjüngerer Bruder Simon, den ich gar nicht kannte, warauf anderem Gebiete nicht weniger tüchtig. Die Adres-se der beiden Brüder in der Mellah war ausgelassen.Auf dem Kopfe der Briefe prangte der Name unseresHotels. Alle drei aber waren in schwarzer und wahr-scheinlich ewiger Tinte von meinem amerikanischenFreunde unterschrieben. Um noch ein übriges zu tun,hatte er seine Heimatadresse in den Staaten und dieNummer seines Passes hinzugefügt. Als ich diesen Teilder Briefe Élie erklärte, wurde er beinahe mißtrauischvor Glück.Er überbrachte mir eine Einladung seines Vaters zuPurim: ich möge das Fest bei ihnen zu Hause im Kreiseder Familie feiern. Ich lehnte mit herzlichem Danke ab.Ich stellte mir die Enttäuschung seines Vaters übermeine Unkenntnis der alten Gebräuche vor. Ich hättedas meiste falsch gemacht und Gebete hätte ich nursagen können wie ein Mensch, der nie betet. Ichschämte mich vor dem alten Manne, den ich liebte undich wollte ihm diesen Kummer mit mir ersparen. Ich

87

Page 88: Canetti Marrakesch

schützte Arbeit vor und brachte es über mich, dieEinladung auszuschlagen und ihn nie wiederzusehen.Es genügt mir, daß ich ihn einmal gesehen habe.

Page 89: Canetti Marrakesch

ERZÄHLER UND SCHREIBER

Am meisten Zulauf haben die Erzähler. Um sie bildensich die dichtesten und auch die beständigsten Kreisevon Menschen. Ihre Darbietungen dauern lange, ineinem inneren Ringe hocken sich die Zuhörer auf denBoden nieder und sie erheben sich nicht so bald wieder.Andere bilden stehend einen äußeren Ring; auch siebewegen sich kaum, sie hängen fasziniert an Wortenund Gesten des Erzählers. Manchmal sind es zwei, dieabwechselnd rezitieren. Ihre Worte kommen von wei-ter her und bleiben länger in der Luft hängen als diegewöhnlicher Menschen. Ich verstand nichts und dochblieb ich in ihrer Hörweite immer gleich gebanntstehen. Es waren Worte ohne jede Bedeutung für mich,mit Wucht und Feuer hervorgestoßen: Sie waren demManne kostbar, der sie sagte, er war stolz auf sie. Erordnete sie nach einem Rhythmus an, der mir immersehr persönlich schien. Wenn er stockte, kam dann dasFolgende um so kraftvoller und gehobener hervor. Ichkonnte die Feierlichkeit mancher Worte spüren und dieheimtückische Absicht anderer. Von Schmeicheleienwar ich angetan, als hätten sie mir selbst gegolten; ichfürchtete mich in Gefahren. Alles war gebändigt, diemächtigsten Worte flogen genau so weit, wie derErzähler wollte. Die Luft über den Zuhörern warvoller Bewegung; und einer, der so wenig verstand wieich, fühlte das Leben zu Häupten der Hörer.Ihren Worten zu Ehren waren die Erzähler auf eineauffallende Weise gekleidet. Ihre Tracht unterschied

89

Page 90: Canetti Marrakesch

sich immer von jener der Hörer. Sie zogen prächtigereStoffe vor; einer oder der andere trat in blauem oderbraunem Samte auf. Sie wirkten wie hohe, aber mär-chenhafte Persönlichkeiten. Für die Menschen, vondenen sie umgeben waren, hatten sie selten einen Blick.Sie blickten auf ihre Helden und Figuren. Wenn ihrAuge auf jemand fiel, der ganz gewöhnlich da war,mußte dieser sich dunkel wie jemand anderer vorkom-men. Fremde waren für sie überhaupt nicht da, siegehörten nicht in das Reich ihrer Worte. Anfangswollte ich gar nicht glauben, daß ich sie so weniginteressiere, es war zu ungewohnt, um wahr zu sein. Soblieb ich denn besonders lange stehen, als es michschon zu anderen Lauten dieses an Lauten überreichenPlatzes hinzog, aber man beachtete mich auch dannnicht, als ich mich in der großen Runde schon beinahheimisch zu fühlen begann. Der Erzähler hatte michnatürlich bemerkt, aber für ihn blieb ich ein Fremder inseinem Zauberkreise, denn ich verstand ihn nicht.Oft hätte ich viel darum gegeben zu verstehen, und ichhoffe, der Tag wird kommen, da ich diese fahrendenErzähler so würdigen kann, wie es ihnen gebührt. Aberich war auch froh, daß ich sie nicht verstand. Sieblieben für mich eine Enklave alten und unberührtenLebens. Ihre Sprache war ihnen so wichtig wie mirmeine. Worte waren ihre Nahrung und sie ließen sichvon niemand dazu verführen, sie gegen eine bessereNahrung zu vertauschen. Ich war stolz auf die Machtdes Erzählens, die sie über ihre Sprachgenossen ausüb-ten. Sie erschienen wie ältere und bessere Brüder vonmir. In glücklichen Augenblicken sagte ich mir: Auchich kann Menschen um mich versammeln, denen ich

90

Page 91: Canetti Marrakesch

erzähle; auch mir hören sie zu. Aber statt von Ort zuOrt zu ziehen, nie wissend, wen ich finden, wessenOhren sich mir öffnen werden, statt im reinen Vertrau-en auf meine Erzählung selbst zu leben, habe ich michdem Papier verschrieben. Im Schutz von Tischen undTüren lebe ich nun, ein feiger Träumer, und sie imGewühl des Marktes, unter hundert fremden Gesich-tern, täglich wechselnd, von keinem kalten und über-flüssigen Wissen belastet, ohne Bücher, Ehrgeiz undhohles Ansehen. Unter den Menschen unserer Zonen,die der Literatur leben, habe ich mich selten wohlgefühlt. Ich habe sie verachtet, weil ich etwas an mirselbst verachte, ich glaube, dieses Etwas ist das Papier.Hier fand ich mich plötzlich unter Dichtern, zu denenich aufsehen konnte, weil es nie ein Wort von ihnen zulesen gab.Aber in der nächsten Nähe, auf demselben Platze,mußte ich erkennen, wie sehr ich mich am Papierversündigt hatte. Wenige Schritte von den Erzählernhatten die Schreiber ihren Ort. Es war sehr still beiihnen, der stillste Teil der Djema el Fna. Die Schreiberpriesen ihr Können nicht an. Sie saßen ruhig da, kleine,schmächtige Männer, ihr Schreibzeug vor sich, und niegaben sie einem das Gefühl, daß sie auf Kunden warte-ten. Wenn sie aufblickten, betrachteten sie einen ohnebesondere Neugier und wandten den Blick bald wiederweg. Ihre Bänke waren in einiger Entfernung vonein-ander aufgestellt, so daß man von einem zum anderennicht hören konnte. Die Bescheideneren oder vielleichtauch die mehr Altertümlichen unter ihnen kauerten aufdem Boden. Hier überlegten oder schrieben sie in einerdiskreten Welt, vom tosenden Lärm des Platzes umge-

91

Page 92: Canetti Marrakesch

ben und doch abgeschnitten. Es war, als konsultierteman sie über geheime Beschwerden, und da es öffent-lich geschah, hatten sie sich alle etwas Verschwinden-des angewöhnt. Sie selber waren kaum da, es zähltehier nur eines: die stille Würde des Papiers.Es kamen einzelne Männer zu ihnen oder Paare. Ein-mal sah ich zwei verschleierte junge Frauen auf derBank vor dem Schreiber sitzen und fast unmerklich dieLippen bewegen, während er nickte und fast ebensounmerklich schrieb. Ein andermal bemerkte ich eineganze, überaus stolze und ansehnliche Familie. Siebestand aus vier Menschen, die sich auf zwei kleinenBänken, in rechtem Winkel um den Schreiber, nieder-gelassen hatten. Der Vater war ein alter, starker, wun-derbar schön gewachsener Berber, auf dessen Gesichtalle Zeichen der Erfahrung und der Weisheit zu lesenwaren. Ich versuchte, mir eine Lage des Lebens auszu-malen, der er nicht gewachsen wäre, und konnte keinefinden. Hier war er, in seiner einzigen Hilflosigkeit,neben ihm seine Frau, ebenso eindrucksvoll in ihrerHaltung, denn von ihrem verschleierten Gesicht blie-ben nur die enormen, tiefdunklen Augen frei, und aufder Bank daneben zwei junge, ebenfalls verschleierteTöchter. Alle saßen gerade und sehr feierlich.Der Schreiber, der viel kleiner war, nahm ihren Re-spekt entgegen. Seine Züge verrieten eine feine Auf-merksamkeit und diese war so spürbar wie das Gedei-hen und die Schönheit der Familie. Ich sah ihnen ausgeringer Entfernung zu, ohne einen Laut zu verneh-men, ohne eine Bewegung zu gewahren. Der Schreiberhatte mit seiner eigentlichen Tätigkeit noch nicht be-gonnen. Er hatte sich wohl vortragen lassen, worum es

92

Page 93: Canetti Marrakesch

ging, und überlegte nun, wie es sich am besten inWorte der geschriebenen Sprache fassen ließe. DieGruppe wirkte so geschlossen, als hätten sich alleBeteiligten schon immer gekannt und säßen seit jeherin derselben Stellung da.Ich fragte mich gar nicht, warum sie alle gekommenwaren, so sehr gehörten sie zusammen, und erst vielspäter, als ich mich nicht mehr auf dem Platze befand,begann ich darüber nachzudenken. Was wirklichkonnte es sein, das die Anwesenheit einer ganzen Fami-lie vor dem Schreiber erforderlich machte?

Page 94: Canetti Marrakesch

DIE BROTWAHL

Abends, wenn es schon dunkel war, ging ich zu jenemTeil der Djema el Fna, wo die Frauen Brote verkauften.In einer langen Reihe hockten sie am Boden, dasGesicht so sehr verschleiert, daß man nur die Augensah. Jede hatte einen Korb vor sich, der mit einem Tuchbedeckt war und darauf lagen einige der flachen, run-den Brote, zum Verkauf ausgestellt. Ich ging ganzlangsam an der Reihe vorbei und betrachtete die Frau-en und die Brote. Es waren meist reife Frauen und ihreFormen hatten etwas von den Broten. Ihr Duft stiegmir in die Nase und zugleich empfing ich den Blick ausden dunklen Augen. Keine Frau übersah mich, für jedewar ich ein Fremder, der Brot kaufen kam, aber ichhütete mich wohl, es zu tun, weil ich die Reihe bis ansEnde gehen wollte und einen Vorwand dazubrauchte.Manchmal saß eine junge Frau dazwischen; die Brotewirkten zu rund für sie, als hätte sie sie gar nichtgemacht, und ihre Blicke waren anders. Keine, objung, ob alt, war lange müßig. Denn von Zeit zu Zeitnahm jede einen Laib Brot mit der Rechten auf, warfihn leicht in die Höhe, fing ihn wieder auf, schwankteein wenig mit der Hand, als ob sie ihn wöge, tätschelteihn ein paarmal, daß man es hörte, und legte ihn dannnach diesen Liebkosungen wieder auf die übrigenBrote zurück. Der Laib selbst, seine Frische, seineSchwere, sein Duft, boten sich so zum Kaufe an. Eswar etwas Nacktes und Lockendes an diesen Broten,

95

Page 95: Canetti Marrakesch

die tätigen Hände der Frauen, von denen nichts außerden Augen unbedeckt war, teilten es ihnen mit. »Daskann ich dir von mir geben, nimm es in deine Hand, eswar in meiner.«Männer gingen daran vorbei, mit kühnen Blicken, undwenn einer an etwas Gefallen fand, blieb er stehen undnahm einen Laib in seine Rechte entgegen. Er warf ihnleicht in die Höhe, fing ihn wieder auf, schwankte einwenig mit der Hand, als wäre dies eine Waagschale,tätschelte ein paarmal den Laib, daß man es hörte, undlegte ihn, wenn er ihn zu leicht befand oder aus einemanderen Grunde nicht mochte, zu den übrigen zurück.Aber manchmal behielt er ihn, und man spürte denStolz des Laibes und wie er einen besonderen Duftverbreitete. Der Mann griff mit der Linken unter sei-nen Überwurf und holte eine ganz kleine Münze her-vor, kaum sichtbar neben der großen Form des Brotesund warf sie der Frau hin. Dann verschwand der Laibunter seinem Überwurf – es war nicht mehr zu mer-ken, wo er war –, und der Mann ging.

Page 96: Canetti Marrakesch

DIE VERLEUMDUNG

Am liebsten stellten sich die Bettelkinder in der Nähedes Restaurants ›Kutubiya‹ auf. Hier nahmen wir alle,mittags wie abends, unsere Mahlzeiten ein, und siewußten, daß wir ihnen so nicht entgehen würden. Fürdas Restaurant, das auf seinen guten Ruf hielt, warendiese Kinder kein erwünschter Schmuck. Wenn sie derTür zu nahe kamen, wurden sie vom Inhaber verjagt.Es war für sie günstiger, sich an der Ecke gegenüberaufzustellen und uns, die wir gewöhnlich in kleinenGruppen von drei oder vier zum Essen kamen, rasch zuumringen, sobald sie unser ansichtig wurden.Manche, die sich schon Monate in der Stadt aufhielten,waren des Gebens müde und trachteten, die Kinderabzuschütteln. Andere zögerten, bevor sie ihnen etwasgaben, weil sie sich dieser ›Schwäche‹ vor ihren Be-kannten schämten. Schließlich mußte man es einmallernen, hier zu leben, und die ansässigen Franzosengingen einem mit gutem oder schlechtem Beispiel, wieman es nimmt, voran: Sie griffen prinzipiell nie füreinen Bettler in die Tasche und taten sich auf dieseDickhäutigkeit noch einiges zugute. Ich war nochfrisch und sozusagen jung in der Stadt. Es war mirgleichgültig, was man von mir dachte. Mochte manmich für einen Schwachkopf halten, ich liebte dieKinder.Wenn sie mich einmal versäumten, war ich unglück-lich und suchte sie selber, ohne es sie merken zu lassen.Ich mochte ihre lebhaften Gesten, die kleinen Finger,

97

Page 97: Canetti Marrakesch

mit denen sie in ihren Mund zeigten, wenn sie mitkläglichen Mienen ›manger! manger!‹ winselten, dieunsäglich traurigen Gesichter, die sie schnitten, so alsob sie wirklich vor Schwäche und Hunger am Zusam-menbrechen wären. Ich mochte ihre tolle Ausgelassen-heit, sobald sie etwas in Empfang genommen hatten,den lachenden Eifer, mit dem sie davonrannten, ihrearmselige Beute in der Hand; den unglaublichenWechsel in ihren Gesichtern, von Ersterbenden warensie plötzlich zu Glückseligen geworden. Ich mochteihre kleinen Schliche, mit denen sie mir Säuglingeentgegentrugen, deren winzige und beinahe fühlloseHändchen sie mir hinstreckten, wozu sie ›für ihn auch,für ihn auch, manger! manger!‹ bettelten, um die Gabezu verdoppeln. Es waren nicht wenige Kinder, ichtrachtete gerecht zu sein, aber natürlich hatte ich meineLieblinge unter ihnen, solche, deren Gesichter voneiner Schönheit und Lebhaftigkeit waren, daß ich michnie an ihnen sattsehen konnte. Sie folgten mir bis an dieTüre des Restaurants, unter meinem Schütze fühltensie sich sicher. Sie wußten, daß ich ihnen gut gesinntwar und es lockte sie, in die Nähe dieses märchenhaftenPlatzes zu gelangen, der ihnen verboten war und woman so viel aß.Der Inhaber, ein Franzose mit rundem Glatzkopf undAugen wie Fliegenpapier, der für seine Stammgästewarme, gute Blicke hatte, mochte diese Annäherungder Bettelkinder an sein Lokal nicht leiden. Ihre Lum-pen nahmen sich nicht fein aus. Die GutangezogenenGäste sollten in Behagen ihr teures Essen bestellen unddabei nicht immer an Hunger und Läuse erinnert wer-den. Wenn ich beim Eintreten die Türe öffnete und er,

98

Page 98: Canetti Marrakesch

zufällig in der Nähe stehend, einen Blick auf die Scharder Kinder draußen warf, schüttelte er unmutig denKopf. Aber da ich zu einer Gruppe von fünfzehnEngländern gehörte, die täglich zwei sichere Mahl-zeiten bei ihm einnahmen, wagte er es nicht, miretwas zu sagen, und wartete eine günstige Gelegenheitab, da sich das mit Ironie und Fröhlichkeit erledigenließe.Eines Mittags, als es sehr stickig war, blieb die Türe desRestaurants offen, um etwas frische Luft einzulassen.Ich hatte mit zweien meiner Freunde den Überfall derKinder absolviert und wir nahmen an einem freienTische in der Nähe der offenen Türe Platz. Die Kinderblieben, da sie uns im Auge behalten konnten, ziemlichnahe vor der Türe draußen stehen. Da wollten sie ihreFreundschaft mit uns fortsetzen und vielleicht auchzusehen, was wir alles essen würden. Sie machten unsZeichen, und ganz besonderen Spaß fanden sie an unse-ren Schnurrbärten. Eine vielleicht Zehnjährige, diehübscheste von allen, die längst bemerkt hatte, daß ichsie gut leiden konnte, zeigte immer wieder auf diewinzige Fläche zwischen ihrer Oberlippe und ihrerNase und packte dort einen illusorischen Schnurrbartzwischen zwei Fingern, an dem sie heftig zupfte undzog. Dazu lachte sie herzlich, und die anderen Kinderlachten mit.Der Restaurateur kam an unseren Tisch, um unsereBestellung entgegenzunehmen und sah die lachendenKinder. Mit strahlender Miene sagte er zu mir: »Dasspielt schon die kleinen Kokotten!« Ich war verletztüber diese Insinuation, vielleicht wollte ich ihm auchnicht glauben, weil ich meine Bettelkinder wirklich

99

Page 99: Canetti Marrakesch

mochte, und fragte unschuldig: »Was, doch nicht indiesem Alter!«»Haben Sie eine Ahnung«, sagte er, »um 50 Frankenkönnen Sie jede von ihnen haben. Da geht eine jedesofort mit Ihnen um die Ecke.«Ich war sehr empört und widersprach ihm heftig. »Dasgibt's nicht, das ist unmöglich.«»Sie wissen nicht, wie es hier zugeht«, sagte er. »Siemüßten sich ein wenig das Nachtleben in Marrakeschansehen. Ich lebe schon lange hier. Als ich zuerstherkam, das war während des Krieges, da war ich nochein Junggeselle« – er warf einen flüchtigen, aber feierli-chen Blick zu seiner ältlichen Frau hinüber, die wieimmer an der Kasse saß –, »da war ich mit ein paarFreunden, und wir haben uns das alles angesehen. Dawurden wir einmal in ein Haus geführt, und kaumhatten wir uns gesetzt, da waren wir gleich von einerMenge nackter kleiner Mädchen umgeben. Die kauer-ten sich zu unseren Füßen und drückten sich von allenSeiten an uns, sie waren nicht größer als die draußen,manche kleiner.«Ich schüttelte ungläubig den Kopf.»Es gab nichts, was man nicht haben konnte. Wirhaben's uns gut gehen lassen und unseren Spaß habenwir auch oft gehabt. Einmal haben wir uns einengroßartigen Streich geleistet, das muß ich Ihnen erzäh-len. Wir waren zu Dritt, drei Freunde. Einer von unsging zu einer Fatma in ihr Zimmer« – so nanntenFranzosen verächtlich eingeborene Frauen-, »das waraber kein Kind, und wir zwei anderen sahen von außendurch ein Loch ins Zimmer hinein. Erst verhandelte erlange mit ihr, dann einigten sie sich über den Preis und

100

Page 100: Canetti Marrakesch

er gab ihr das Geld. Sie steckte es in ein Nachttisch-chen, das neben dem Lager stand. Dann machte siedunkel und die beiden legten sich zusammen hin. Wirhatten von außen alles mit angesehen. Sobald es dunkelwar, schlich sich einer von uns in die Kammer hinein,ganz leise und kroch bis zum kleinen Nachttisch. Ersteckte die Hand vorsichtig in die Lade, und währenddie beiden ihr Geschäft verrichteten, nahm er das Geldzurück. Dann kroch er rasch wieder heraus und wirrannten beide davon. Bald kam unser Freund nach. Erwar so umsonst bei der Fatma gewesen. Sie könnensich vorstellen, wie wir lachten! Das war nur einer vonunseren Streichen.«Wir konnten es uns vorstellen, denn er lachte ausvollem Halse, er schüttelte sich vor Lachen und riß denMund weit auf. Wir wußten gar nicht, daß er einen sogroßen Mund hatte, wir hatten ihn noch nie so gese-hen. Er pflegte sonst mit einiger Würde in seinemRestaurant hin und her zu gehen und nahm die Speisenseiner bevorzugten Gäste mit Anstand und vollkom-mener Zurückhaltung auf, so als wäre es ihm ganzgleichgültig, was man bestelle. Die Ratschläge, die ergab, waren nie aufdringlich und klangen so, als würdensie allein dem Gast zuliebe gegeben. Heute hatte er jedeReserve verloren, er jubelte über seine Geschichte. Esmuß eine herrliche Zeit für ihn gewesen sein; und er tatnur eines, was an sein sonstiges Gehaben erinnerte.Mitten in seiner Erzählung näherte sich ein kleinerKellner unserem Tisch. Er schickte ihn barsch miteinem Auftrag weg, damit der nicht höre, was er unserzähle.Wir aber gefroren zu Angelsachsen. Meine beiden

101

Page 101: Canetti Marrakesch

Freunde, von denen der eine ein Neuengländer, derandere ein Engländer war und ich, der ich seit fünfzehnJahren unter ihnen lebte, hatten dasselbe Gefühl ver-ächtlichen Ekels. Wir waren auch gerade unser drei, esging uns zu gut, und vielleicht fühlten wir uns irgend-wie schuldig für die ändern drei, die mit vereintenKräften eine armselige Eingeborene um ihren Lohngeprellt hatten. Er hatte es strahlend und stolz erzählt,er sah nur den Spaß darin, seine Begeisterung hielt an,als wir mit sauren Mienen lächelten und verlegenBeifall nickten.Die Türe war noch immer offen, die Kinder standendraußen, erwartungsvoll und geduldig. Sie fühlten,daß sie während seiner Erzählung nicht verjagt werdenwürden. Ich dachte daran, daß sie ihn nicht verstehenkonnten. Er, der mit solcher Verachtung für sie begon-nen hatte, hatte sich in kürzester Zeit selber verächtlichgemacht. Ob er sie verleumdete oder ob er die Wahr-heit über sie sprach, was immer die Bettelkinder taten,er stand nun tief unter ihnen und ich wünschte mir, daßes doch eine Art der Strafe gäbe, wo er auf ihre Fürspra-che angewiesen wäre.

Page 102: Canetti Marrakesch

DIE LUST DES ESELS

Von meinen nächtlichen Spaziergängen durch die Gas-sen der Stadt pflegte ich über die Djema el Fna zurück-zukehren. Es war sonderbar, über den Platz zu gehen,der nun beinahe leer dalag. Da gab es keine Akrobatenmehr und keine Tänzer; keine Schlangenbeschwörerund keine Feueresser. Ein Männchen hockte mutter-seelenallein am Boden, vor sich einen Korb mit ganzkleinen Eiern. Weit und breit um ihn war nichts.Acetylenlampen brannten hie und da, der Platz rochdanach. In den Buden der Garköche saßen noch verein-zelt Männer und löffelten ihre Suppen. Sie wirkteneinsam, als hätten sie nirgends hinzugehen. An denRändern des Platzes legten sich Menschen zum Schlafnieder. Manche lagen, die meisten kauerten, alle hattendie Kapuzen ihres Mantels über den Kopf gezogen. Sieschliefen reglos, nie hätte man vermutet, daß unter dendunklen Kapuzenmänteln etwas atme.Eines Nachts sah ich mitten auf dem Platze einengroßen, dichten Ring von Menschen, von Acetylen-lampen auf das Sonderbarste erleuchtet. Alle standen.Die dunklen Schatten auf Gesichtern und Gestalten,dicht neben dem scharfen Licht, das die Lampen auf siewarfen, gaben ihnen etwas Grausames und Unheimli-ches. Ich hörte die Laute zweier einheimischer Instru-mente, und dazu die Stimme eines Mannes, der heftigauf jemand einsprach. Als ich näher trat und eine Lückefand, durch die ich in den Ring hineinsehen konnte,bemerkte ich in der Mitte einen stehenden Mann mit

103

Page 103: Canetti Marrakesch

einem Stock in der Hand, der dringliche Fragen aneinen Esel stellte.Der Esel war von allen armseligen Eseln dieser Stadtder ärmste. Die Knochen standen ihm heraus, er warganz verhungert, sein Fell war abgeschabt, er warsicher nicht mehr fähig, die kleinste Last zu tragen.Man fragte sich, wie er sich noch auf den Beinenaufrecht hielt. Der Mann führte einen komischen Dia-log mit ihm. Er suchte ihn zu etwas zu überreden. Alsder Esel störrisch blieb, stellte er ihm Fragen; und da ernicht antworten wollte, lachten die erleuchteten Män-ner laut. Vielleicht war es eine Geschichte, in der einEsel eine Rolle spielte. Denn nach einem langen Pala-ver begann das traurige Tier sich ganz langsam nachder Musik zu drehen. Der Stock blieb immer über ihmgeschwungen. Der Mann redete rascher und lauter, ertobte förmlich, um den Esel in Gang zu halten, aberseine Worte klangen mir so, als ob er auch selber einekomische Figur verkörpere. Die Musik ging weiterund weiter, die Männer kamen aus dem Lachen nichtmehr heraus und sahen wie Menschen- oder Eselsfres-ser drein.Ich blieb nur kurz und so kann ich nicht sagen, wasweiter geschah. Mein Abscheu überwog meine Neu-gier. Längst hatte ich die Esel dieser Stadt ins Herzgeschlossen. Auf Schritt und Tritt hatte ich Gelegen-heit, über ihre Behandlung Empörung zu empfinden,und war doch ganz hilflos. Aber eine solche Jammer-figur eines Geschöpfs hatte ich noch nie zu Gesichtbekommen, und auf meinem Weg nach Hause suchteich mich damit zu beruhigen, daß es diese Nachtbestimmt nicht überleben werde.

104

Page 104: Canetti Marrakesch

Der nächste Tag war ein Samstag und ich ging schonfrüh auf die Djema. Es war einer ihrer belebtestenTage. Zuschauer, Darsteller, Körbe und Buden dräng-ten sich, es war schwer, sich einen Weg durch dieMenge zu bahnen. Ich kam an die Stelle, wo nachtszuvor der Esel gestanden war. Ich blickte hin undtraute meinen Augen nicht: da stand er wieder. Erstand ganz allein. Ich betrachtete ihn genau, es warnicht zu verkennen, er war es. Sein Herr in seiner Näheunterhielt sich friedlich mit ein paar Leuten. Es hattesich noch kein Kreis um sie gebildet. Die Musikerwaren nicht da, die Vorstellung hatte noch nicht be-gonnen. Der Esel stand genau so da wie in der Nachtzuvor. Sein Fell sah bei strahlendem Sonnenlicht nochabgeschabter aus als bei Nacht. Er kam mir elender,ausgehungerter und älter vor.Plötzlich spürte ich einen Menschen im Rücken undvernahm heftige Worte im Ohr, die ich nicht verstand.Ich drehte mich um und verlor den Esel für einenAugenblick aus dem Auge. Der Mann, den ich gehörthatte, drängte sich in der Menge dicht an mich, aber eszeigte sich, daß er jemand anderen und nicht michbedroht hatte. Ich wandte mich wieder dem Esel zu.Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, aber es warnicht mehr derselbe Esel. Denn zwischen seinen Hin-terbeinen, schräg nach vor, hing ihm plötzlich einungeheures Glied herunter. Es war stärker als derStock, mit dem man ihn nachts zuvor bedroht hatte. Inder winzigen Zeitspanne, in der ich mich umgedrehthatte, war eine überwältigende Veränderung bei ihmvorgegangen. Ich weiß nicht, was er gesehen, gehörtoder gerochen hatte. Ich weiß nicht, was ihm in den

105

Page 105: Canetti Marrakesch

Sinn gekommen war. Aber dieses armselige, alte,schwache Geschöpf, das am Umfallen war und nurnoch für störrische Dialoge zu verwenden, das manschlechter behandelte als einen Esel in Marrakesch,dieses Wesen, weniger als nichts, ohne Fleisch, ohneKraft, ohne rechtes Fell, hatte noch so viel Lust in sich,daß mich der bloße Anblick vom Eindruck seinesElends befreite. Ich denke oft an ihn. Ich sage mir, wieviel von ihm noch da war, als ich nichts mehr sah. Ichwünsche jedem Gepeinigten seine Lust im Elend.

Page 106: Canetti Marrakesch

›SCHEHEREZADE‹

Sie war die Inhaberin einer kleinen französischen Bar,die ›Scheherezade‹ hieß, das einzige Lokal in der Medi-na, das während der ganzen Nacht offen war. Es warmanchmal ganz leer, manchmal saßen drei oder vierLeute darin. Wenn es aber voll war, am häufigstenzwischen zwei und drei Uhr nachts, hörte man jedesWort, das die anderen Gäste sagten, und kam mitjedem ins Gespräch. Denn der Raum war winzig undsobald zwanzig Menschen drin saßen oder standen, sahes aus, als müßte das Ganze bald platzen.Gleich um die Ecke war der leere Platz, die Djema elFna, keine zehn Schritte von der Bar entfernt. Einengrößeren Gegensatz kann man sich nicht denken. Umden Platz herum lagen armselige Menschen in Lumpenam Boden und schliefen. Sie waren oft dem Gelände soangepaßt, daß man darauf achtgeben mußte, nicht ansie zu stoßen. Wer immer um diese Zeit am Platz aufBeinen stand und ging, war verdächtig und es warbesser, sich vor ihm in acht zu nehmen. Das eigentlicheLeben der Djema war längst zu Ende, wenn das derkleinen Bar begann. Wer hier verkehrte, sah europä-isch aus. Es kamen Franzosen, Amerikaner, Engländer.Es kamen auch Araber; aber sie waren entweder euro-päisch gekleidet oder sie tranken, und das allein machtesie schon, zumindest in ihren Augen, zu modernenMenschen oder Europäern. Die Getränke waren sehrteuer und nur wohlhabende Araber wagten sich hinein.Die Menschen in Lumpen, die auf dem Platze lagen,

107

Page 107: Canetti Marrakesch

hatten nichts oder zwei Franken in der Tasche. DieGäste der ›Scheherezade‹ zahlten hundertzwanzigFranken für ein Gläschen Cognac und sie trankenmehrere rasch hintereinander. Auf dem Platze, bevorer einschlief, war man arabische Musik gewöhnt, dieRadios jammerten laut aus jedem Lokal, das ein Dachsein Eigen nannte. In der Bar gab es nichts als europä-ische Tanzmusik, aber gedämpft, und jeder, der daeintrat, kam sich fein vor. Madame Mignon sorgte fürdie neuesten Schlager. Sie war stolz auf ihre Platten undetwa jede Woche einmal kam sie mit einem neuen StoßPlatten ins Lokal, die sie eben eingekauft hatte. Sieführte sie ihren Stammgästen vor und war am indivi-duellen Geschmack ihrer Kunden lebhaft interes-siert.Sie war in Shanghai geboren, von einem französischenVater und einer chinesischen Mutter. Ihre Augen wa-ren geschlitzt gewesen, aber sie hatte sie durch eineOperation regulieren lassen und so war nur noch we-nig von ihrem chinesischen Charakter übrig geblieben.Sie verheimlichte ihre chinesische Mutter nie. Sie hattein anderen französischen Kolonien gelebt, bevor sienach Marokko kam, einige Jahre war sie in Dualagewesen. Sie hatte gegen alle Nationen etwas einzu-wenden, so naive und unerschütterliche Vorurteile wiebei dieser Frau habe ich noch nie erlebt. Aber aufFranzosen und Chinesen ließ sie nichts kommen, undsie fügte immer stolz hinzu: »Meine Mutter war eineChinesin. Mein Vater war ein Franzose.« So zufriedenwar sie mit sich und so viel hatte sie gegen ihre Kundeneinzuwenden, falls sie anderen Ursprungs waren.Ich erwarb ihr Vertrauen durch ein langes Gespräch,

108

Page 108: Canetti Marrakesch

als ich einmal im Lokal mit ihr allein war. Wenn meineFreunde von der englischen Filmtruppe vergessen hat-ten, vorm Weggehen ihre Runden für die anderen zubezahlen, sprang ich manchmal ein. So hielt sie michfür reich; auf eine heimliche Weise reich, wie es beiEngländern üblich sei, denen man es selten an denKleidern ansehe. Irgend jemand, vielleicht um Mada-me Mignon zum Narren zu halten, hatte mich für einenPsychiater ausgegeben. Da ich oft ruhig dort saß, ohneein Wort zu sagen, und später, allein mit ihr, sieeingehend über die Gäste befragte, beschloß sie, die-sem Gerücht Glauben zu schenken. Ich widersprachnicht, es paßte mir, sie erzählte mir so mehr.Sie war mit Monsieur Mignon verheiratet, einem gro-ßen, starken Kerl, der in der Fremdenlegion gedienthatte und ihr nur wenig in ihrer Bar half. Wenn keineGäste da waren, schlief er gerne, auf den Bänken deswinzigen Raumes ausgestreckt. Sobald aber Gäste ka-men, die er kannte, nahm er sie ins französische Bordellhinüber, das ›LA RIVIERA‹ hieß und ein paar Minutenvon der Bar entfernt war. Er verbrachte gern ein, zweiStündchen dort, kam zurück, gewöhnlich mit seinenGästen. Man erzählte der Frau, wo man gewesen war,berichtete ihr über neue Mädchen, die im Bordelleingetroffen waren, trank etwas und ging vielleichtspäter, mit anderen Kunden, wieder in die ›Riviera‹. Eswar das häufigste Wort, das man in der ›Scheherezade‹hörte.Monsieur Mignon hatte ein rundes, verschlafenes Kna-bengesicht über strotzenden Schultern. Er lächelte faulund sprach für einen Franzosen erstaunlich langsamund wenig. Auch die Frau konnte schweigen, sie hatte

109

Page 109: Canetti Marrakesch

ihre Empfindlichkeit und drängte sich nicht leicht auf.Aber hatte sie einmal zu sprechen begonnen, so hörtesie schwer wieder auf. Er spülte indessen ein paarGläser oder schlief oder ging in die ›Riviera‹. Madameerlaubte ihrem starken Mann nie, betrunkene Gäste,die frech wurden, hinauszuwerfen. Sie besorgte dasalles selber. Das Lokal gehörte ihr, und für gefährlicheFälle hatte sie einen Gummiknüppel hinter der Barversteckt, da wo auch die Grammophonplatten lagen.Ihren Freunden zeigte sie diesen Knüppel gerne her,wobei es nie ohne anzügliches Gelächter abging, undsagte dazu: »Er ist nur für Amerikaner.« Mit betrunke-nen Amerikanern hatte sie die größten Schwierigkei-ten und so galt auch diesen ihr glühender Haß. In ihrenAugen gab es zwei Arten von Barbaren, Eingeboreneund Amerikaner.Ihr Mann war nicht immer bei der Fremdenlegiongewesen. Eines Tages wandte er sich auf seine halbfaule, halb schlaue Weise an mich und fragte: »Sie sindein Doktor, ein Doktor für die Verrückten, nichtwahr?« »Warum glauben Sie das?« fragte ich undstellte mich überrascht. »Man hat es uns gesagt. Ich warzwei Jahre in einem Irrenhaus bei Paris, als Wärter.«»Da verstehen Sie etwas davon«, sagte ich und er fühltesich geschmeichelt. Er erzählte mir von seinem Berufedamals, und wie er sich bei den Irren ausgekannt undgenau gewußt habe, welche gefährlich waren und wel-che nicht. Er hatte seine eigene, einfache Klassifikationfür sie, je nachdem wie gefährlich sie ihm erschienenwaren. Ich fragte ihn nach Verrückten in Marrakeschaus und er erwähnte einige stadtbekannte Fälle. Vondiesem Abend an behandelte er mich ein wenig wie

110

Page 110: Canetti Marrakesch

einen ehemaligen Vorgesetzten aus derselben Berufs-sphäre. Wir sahen uns auch an, wenn jemand im Lokalsich ein bißchen verrückt aufführte; und hie und da boter mir sogar einen Gratis-Cognac an.Madame Mignon hatte eine Freundin, eine einzige,von der sie ausgiebigen Gebrauch machte. Sie hießGinette und kam immer. Meist saß sie auf einem derhohen Stühle vor der Bar und wartete. Sie war jungund herausgeputzt und von sehr bleicher Gesichtsfar-be, wie ein Mensch, der die ganze Nacht auf ist und beiTag schläft. Sie hatte vorstehende Augen, jeden Au-genblick drehte sie sich nach der Tür der Bar um, obein Gast komme; ihre Augen wirkten dann so, alsklebten sie auf der Scheibe.Ginette sehnte sich nach einem Ereignis. Sie war zwei-undzwanzig und noch nie aus Marokko draußen gewe-sen. Sie war hier geboren, von einem englischen Vater,der nach Dakar gegangen war und sich nicht um siescherte und einer italienischen Mutter. Sie hörte gerneenglisch reden, weil es sie an ihren Vater erinnerte. Wasdieser trieb, warum er in Marokko gewesen und dannnach Dakar gegangen war, konnte ich nicht erfahren.Sowohl Madame Mignon wie sie selber erwähnten ihnmanchmal mit Stolz und sie ließen, ohne es eigentlichzu sagen, durchblicken, daß er wegen der Tochterverschwunden war. Sicher wünschten sich beide, daßes so sei, denn da der Vater sich nicht um sie kümmerte,war es immerhin etwas, daß er die Stadt, in der sielebte, geradezu mied. Von der Mutter sprach man nie;ich hatte den Eindruck, daß sie noch in Marrakeschlebe, aber man war nicht stolz auf sie. Vielleicht war siearm, oder ihr Beruf nicht besonders ehrenvoll, viel-

111

Page 111: Canetti Marrakesch

leicht hielt man nicht viel von Italienern. Ginetteträumte von einem Besuch in England, auf das sie sehrneugierig war. Aber sie wäre überall hingegangen,auch nach Italien; sie wartete auf einen Ritter, der sievon Marokko wegnehme. In Stunden, da die Bar leerwar, schien sie besonders erwartungsvoll. Der Ab-stand von ihrem hohen Stuhl bis zur Tür betrug viel-leicht drei Meter, aber wenn diese aufging, fuhr siejedesmal zurück, als hätten ihre Augen einen Stoßbekommen.Ginette war nicht allein, als sie mir zuerst auffiel. Siesaß neben einem sehr jungen Mann von mädchenhaf-tem Aussehen, der noch mehr herausgeputzt war alssie; seine großen dunklen Augen und die braune Ge-sichtsfarbe verrieten den Marokkaner. Sie stand aufsehr vertrautem Fuße mit ihm und oft kamen siezusammen ins Lokal. Ich hielt sie für ein Liebespaarund pflegte sie zu betrachten, bevor ich etwas über sieerfahren hatte. Er sah immer so aus, als käme er stracksaus dem Kasino. Er war nicht nur in seiner Kleidungfranzösischen Gepflogenheiten ganz angepaßt: er ließsich öffentlich von Ginette liebkosen, was für einenAraber als größte Schande gilt. Sie tranken viel.Manchmal hatten sie einen Dritten bei sich, einenMenschen von vielleicht dreißig Jahren, der etwasmännlicher wirkte und nicht ganz so geschniegeltwar.Als Ginette zum ersten Mal das Wort an mich richtete –ziemlich scheu, weil sie mich für einen Engländer hielt-, saß sie vor der Bar; ich saß rechts von ihr und ihrjunger Mann war auf der anderen Seite. Sie fragte nachdem Fortgang des Films, den meine Freunde in Marra-

112

Page 112: Canetti Marrakesch

kesch drehten. Er war für sie kein kleines Ereignis, undsie wäre, wie ich bald merkte, für ihr Leben gern in denFilm hineingekommen. Ich erwiderte höflich auf ihreFragen. Madame Mignon freute sich, daß wir endlichzusammengekommen waren, ihre beste Freundin undich. Wir unterhielten uns eine Weile, dann stellte siemir den jungen Mann zu ihrer Linken vor, sie war mitihm verheiratet. Ich wunderte mich darüber, alles an-dere hätte ich eher gedacht. Sie lebten schon seit einemJahr zusammen. Zu zweit gaben sie einem den Ein-druck, als wären sie noch auf ihrer Hochzeitsreise.Aber wenn Ginette ohne ihn da saß, blickte sie immersehnsüchtig nach der Tür, und es war dann keineswegsihr Mann, den sie sich herbeiwünschte. Ich fragte sieunter taktvollen Scherzen nach ihrer Lebensweise ausund erfuhr, daß sie um drei Uhr nachts aus der Barnach Hause gingen, ihr Nachtmahl einzunehmen. Ge-gen fünf Uhr früh legten sie sich schlafen und schliefenbis in den Nachmittag hinein.Was ihr Mann arbeite? fragte ich. »Nichts«, sagte sie,»er hat seinen Vater.« Madame Mignon, die zuhörte,lächelte boshaft bei dieser Auskunft. Der braune, mäd-chenhafte junge Mann lächelte schüchtern, aber dochso, daß er viel von seinen schönen Zähnen zeigte. SeineEitelkeit überstrahlte alles, selbst die peinlichste Verle-genheit. Wir luden einander zum Trinken ein undkamen ins Gespräch. Ich merkte, daß er so verwöhntwar, wie er aussah. Ich fragte ihn, wie lange er inFrankreich gelebt hatte. Er wirkte so durchaus franzö-sisch. »Nie«, sagte er. »Ich bin nie aus Marokko hin-ausgekommen.« Ob er gern nach Paris möchte? –Nein, dazu habe er keine Lust. Ob er nach England

113

Page 113: Canetti Marrakesch

möchte? – Nein, eigentlich nicht. – Ob er überhauptwohin möchte? – Nein. – Er antwortete auf allesschwach, als habe er keinen rechten Willen. Ich spürte,daß es da noch etwas geben müsse, wovon er nichtsprach, etwas, was ihn an diesen Ort binde. Ginettekonnte es nicht sein, denn sie gab deutlich zu verstehen,daß sie überall lieber wäre als hier.Das Paar, das so glatt und gewöhnlich schien, blieb mirrätselhaft. Ich sah sie jede Nacht in der kleinen Bar.Außer für die Fremden, die das Lokal betraten, interes-sierten sie sich für eines: die Grammophonplatten derMadame Mignon. Sie äußerten Wünsche nach be-stimmten Liedern; manche fanden sie so schön, daß siesechsmal hintereinander gespielt wurden. Dann ginges ihnen in die Beine und sie begannen in dem winzigenRaum zwischen Bar und Tür zu tanzen. Sie legten ihreGliedmaßen so dicht übereinander, daß es ein wenigpeinlich war, ihnen zuzusehen. Ginette hatte Freude andieser intimsten Art des Tanzens, aber der Zuschauerwegen beschwerte sie sich über ihren Mann: »Es istschrecklich mit ihm. Er will nicht anders tanzen. Ichhab's ihm so oft gesagt. Er sagt, er kann nicht anders.«Dann begann der nächste Tanz, und wenn sie einmalsoweit waren, achtete sie genau darauf, keine einzigeDrehung der Grammophonplatte zu versäumen. Ichstellte mir Ginette in einem anderen Lande vor, da woes sie hinzog, und wie sie dort genau dasselbe Lebenführen würde, mit denselben Menschen, zu derselbenZeit, und ich sah sie in London zu denselben Plattentanzen.Eines Nachts, als ich allein in der Bar war, fragte michMadame Mignon, wie mir Ginette gefalle. Ich wußte,

114

Page 114: Canetti Marrakesch

was sich gehört und sagte: »Sie hat ein angenehmesNaturell.«»Sie ist nicht mehr zu erkennen!« sagte Madame Mi-gnon. »Wenn Sie wüßten, wie sie sich in diesem Jahrverändert hat! Sie ist unglücklich, die Arme! Sie hätteihn nicht heiraten sollen. Diese Eingeborenen sind alleschlechte Ehemänner. Sein Vater ist reich, er ist ausguter Familie, das ist wahr, aber er hat ihn enterbt, weiler Ginette geheiratet hat. Und ihr Vater will nichts vonihr wissen, weil sie einen Araber geheiratet hat. Jetzthaben sie beide nichts.«»Ja wie leben sie denn, wenn er nicht arbeitet und seinVater ihm nichts gibt?«»Das wissen Sie nicht? Sie wissen nicht, wer seinFreund ist?«»Nein, wie soll ich das wissen?«»Sie haben ihn doch hier mit ihnen sitzen sehen. SeinFreund ist ein Sohn des Glaoui. Er ist sein Günstling.Das dauert schon lang. Der Glaoui ist jetzt böse mitseinem Sohn. Er hat nichts gegen Frauen. Er will, daßseine Söhne Frauen haben, soviel sie wollen. Aber dasmit Männern mag er nicht. Vor ein paar Tagen hat erseinen Sohn weggeschickt.«»Und davon hat der Mann der Ginette gelebt?«»Ja. Und von ihr auch. Er zwingt sie, mit reichenArabern zu schlafen. Da ist besonders einer, am Hofdes Sohnes des Glaoui, der die Ginette mag. Er ist nichtmehr jung, aber er ist reich. Sie hat ihn erst nichtwollen, aber ihr Mann hat sie gezwungen. Jetzt hat siesich an ihn gewöhnt. Jetzt schlafen sie oft zu dritt. IhrMann schlägt sie, wenn sie nicht will. Aber das ist jetztnur bei ändern, er ist sehr eifersüchtig. Er läßt sie nur

115

Page 115: Canetti Marrakesch

mit Männern schlafen, die dafür zahlen. Er macht ihrEifersuchtsszenen, wenn ihr einer gefällt. Er schlägtsie, wenn ihr einer nicht gefällt und sie ihn auch fürGeld nicht mag und er schlägt sie, wenn ihr einer sogefällt, daß sie ohne Geld mit ihm schlafen möchte.Drum ist sie doch so unglücklich. Das arme Mädchen,sie kann nie machen, was sie will. Sie wartet auf einenMann, der sie wegholt von hier. Ich möchte es ihrwünschen, daß sie wegkommt, sie tut mir leid. Dabeiist sie meine einzige Freundin hier. Wenn sie weggeht,habe ich niemanden.«»Sie sagen, der Glaoui ist böse mit seinem Sohn?«»Ja, er hat ihn auf einige Zeit weggeschickt. Er hofft, erwird seinen Liebling vergessen. Aber er wird ihn nichtvergessen, die sind so aufeinander eingestellt.«»Und der Freund der Ginette?«»Der ist auch fort. Der mußte mit. Der gehört dochzum Hof des Sohnes des Glaoui.«»Die sind jetzt beide weg?«»Ja. Es ist ein schwerer Schlag für sie. Jetzt haben siekein Geld. Sie müssen von Schulden leben. Aber daswird nicht lange dauern. Der Glaoui hat es schon einpaarmal versucht, die beiden zu trennen. Der Sohnkommt immer zurück. Er hält es nicht aus, auf dieDauer hält er es ohne den Mann der Ginette nicht aus.Nach einigen Wochen ist er wieder da, und sein Vatergibt nach.«»Da wird alles wieder gut werden.«»Ach ja, das wird schon wieder werden, das ist nichtsErnstes. Er ist ein bißchen gereizt mit ihr deswegen,das ist alles. Er versucht, jemand für die Zwischenzeitzu finden. Drum hat er mit Ihnen gesprochen. Man

116

Page 116: Canetti Marrakesch

sagt, daß Sie sehr reich sind. Er hat erst an sich gedacht,aber ich habe ihm gesagt, das ist nichts. Sie sind mir vielzu gut für ihn. Gefällt Ihnen die Ginette?«Erst jetzt begann ich zu begreifen, daß mein vermeint-licher Reichtum mir einen bösen Streich gespielt hatte.Aber in einem Punkte tat ich Madame Mignon un-recht.»Man müßte sie von hier wegnehmen«, sagte sie. »Ge-ben Sie ihm kein Geld für die Ginette. Es geht, wie eskommt, und dem armen Mädchen ist nicht geholfen.Sie wird sich nie was mit ihm ersparen. Er nimmt ihralles weg. Fahren sie einfach weg mit ihr. Sie hat mirgesagt, daß sie mitkommt, wenn sie wollen. Er kannnicht weg. Schließlich gehört er zum Hofstaat desSohnes des Glaoui und da kann er nicht so einfach weg.Er würde gar keinen Paß bekommen. Das Mädchen tutmir so leid. Sie sieht von Tag zu Tag schlechter aus. Siehätten sie vor einem Jahr sehen sollen, wie frisch siewar, wie eine Knospe. Sie braucht gute Behandlungund ein vernünftiges Leben. Sie ist eben doch eineEngländerin. Natürlich, wie der Vater. Dabei ist sie solieb. Man möchte es gar nicht glauben. Hätten Sie siefür eine Engländerin gehalten?«»Nein«, sagte ich. »Oder vielleicht doch. Vielleichthätte ich sie an ihrer Feinheit als Engländerin erkannt.«»Nicht wahr«, sagte Madame Mignon. »Sie hat etwasFeines. Wie eine Engländerein. Ich persönlich mag dieEngländer nicht. Sie sind mir zu ruhig. Schauen SieIhre Freunde an! Da sitzen sieben, acht Leute einenganzen Abend da, stundenlang und man hört keinenLaut. Das ist mir unheimlich. Man weiß nie, ob nichtein Lustmörder dahintersteckt. Aber verglichen mit

117

Page 117: Canetti Marrakesch

den Amerikanern – die mag ich schon gar nicht. Dassind Barbaren. Haben Sie meinen Gummiknüppel ge-sehen?« Sie nahm ihn hinter der Bar hervor undschwang ihn ein paarmal hin und her. »Den habe ichnur für Amerikaner. Er hat mir schon oft genützt, daskann ich Ihnen sagen!«

Page 118: Canetti Marrakesch

DER UNSICHTBARE

In der Dämmerung ging ich auf den großen Platz in derMitte der Stadt, und was ich da suchte, waren nichtseine Buntheit und Lebendigkeit, die waren mir wohlvertraut, ich suchte ein kleines, braunes Bündel amBoden, das nicht einmal aus einer Stimme, das auseinem einzigen Laut bestand. Es war ein tiefes, langge-zogenes, surrendes »-ä-ä-ä-ä-ä-ä-ä-ä-«. Es nahm nichtab, es nahm nicht zu, aber es hörte nie auf, und hinter allden tausendfältigen Rufen und Schreien des Platzeswar es immer vernehmbar. Es war der unveränderlich-ste Laut der Djema el Fna, der sich im Verlauf einesganzen Abends und von Abend zu Abend immergleich blieb.Schon aus der Ferne horchte ich darauf. Eine Unruhetrieb mich hin, für die ich keine rechte Erklärung weiß.Ich wäre auf alle Fälle auf den Platz gegangen, so vielesdort zog mich an; und ich zweifelte nie daran, daß ichihn wieder vorfinden würde, mit allem, was zu ihmgehörte. Nur um diese Stimme, die zu einem einzigenLaut reduziert worden war, verspürte ich etwas wieBangen. Sie war an der Grenze des Lebendigen; dasLeben, das sie erzeugte, bestand aus nichts anderem alsdiesem Laut. Ich horchte begierig und ängstlich unddann erreichte ich immer einen Punkt auf meinemWeg, genau an derselben Stelle, wo ich es plötzlichhörte, wie das Surren eines Insekts:»ä-ä-ä-ä-ä-ä-ä-ä-.«Ich spürte, wie eine unbegreifliche Ruhe sich durch

119

Page 119: Canetti Marrakesch

meinen Körper verbreitete, und während mein Schrittbis jetzt etwas zögernd und unsicher gewesen war,ging ich nun plötzlich mit Bestimmtheit auf den Lautlos. Ich wußte, wo er entstand. Ich kannte das kleine,braune Bündel am Boden, von dem ich nie mehrgesehen hatte als ein dunkles und rauhes Stück Stoff.Ich hatte nie den Mund gesehen, dem das »ä-ä-ä-ä-ä-«entstammte; nie das Auge; nie die Wange; keinen Teildes Gesichts. Ich hätte nicht sagen können, ob diesesGesicht das eines Blinden war oder ob es sah. Derbraune, schmutzige Stoff war wie eine Kapuze ganzüber den Kopf heruntergezogen und hielt alles ver-deckt. Das Geschöpf – es mußte eines sein – kauerte amBoden und hielt den Rücken unterm Stoff gebeugt. Eswar wenig vom Geschöpf da, es wirkte leicht undschwach, das war alles, was man vermuten konnte. Ichwußte nicht, wie groß es war, denn ich sah es niestehen. Was davon am Boden war, hielt sich so nieder,daß man ahnungslos darübergestolpert wäre, hätte derLaut je aufgehört. Ich sah es nie kommen, ich sah es niegehen; ich weiß nicht, ob es hingebracht und abgelegtwurde, oder ob es auf eigenen Beinen ging.Die Stelle, die es sich ausgesucht hatte, war gar nichtgeschützt. Es war der offenste Teil des Platzes und einunaufhörliches Kommen und Gehen auf allen Seitendes braunen Häufleins. An belebten Abenden ver-schwand es unter den Beinen der Menschen, und ob-wohl ich genau wußte, wo es war, und die Stimmeimmer hörte, hatte ich Mühe, es zu finden. Aber dannverliefen sich die Leute, und es blieb in seiner Stellung,als rings um es der Platz schon weit und breit leer war.Dann lag es in der Dunkelheit wie ein weggelegtes altes

120

Page 120: Canetti Marrakesch

und sehr schmutziges Kleidungsstück, das jemand los-werden wollte und verstohlen unter den vielen Leutenfallen ließ, damit man nicht auf ihn aufmerksam wür-de. Jetzt aber hatten sich die Leute verlaufen, und dasBündel allein lag da. Ich wartete nie, bis es sich erhoboder abgeholt wurde. Ich schlich mich in die Dunkel-heit davon, mit einem würgenden Gefühl von Ohn-macht und Stolz.Die Ohnmacht galt mir selbst: Ich fühlte, daß ich nieetwas unternehmen würde, um hinter das Geheimnisdes Bündels zu kommen. Ich hatte Scheu vor seinerGestalt; und da ich ihm keine andere geben konnte, ließich es dort am Boden liegen. Wenn ich in die Nähekam, gab ich mir Mühe, nicht daranzustoßen, alskönnte ich es verletzen und gefährden. Es war jedenAbend da, und jeden Abend stand mein Herz still,wenn ich den Laut zuerst ausnahm, und es stand dannwieder still, wenn ich es gewahrte. Sein Weg hin undzurück war mir noch heiliger als mein eigener. Ichspürte ihm nie nach und ich weiß nicht, wo es für denRest der Nacht und des kommenden Tages ver-schwand. Es war etwas Besonderes, und vielleicht hieltes sich dafür. Ich fühlte mich manchmal versucht, miteinem Finger ganz sacht an die braune Kapuze zurühren – das mußte es bemerken, und vielleicht besaßes einen zweiten Laut, mit dem es darauf erwiderthätte. Aber diese Versuchung ging immer in meinerOhnmacht rasch unter.Ich sagte, daß mich beim Davonschleichen noch einanderes Gefühl würgte: Stolz. Ich war stolz auf dasBündel, weil es lebte. Was es sich dachte, während eshier tief unter den anderen Menschen atmete, werde

121

Page 121: Canetti Marrakesch

ich nie wissen. Der Sinn seines Rufes blieb mir sodunkel wie sein ganzes Dasein: Aber es lebte und wartäglich zu seiner Zeit wieder da. Ich sah nie, daß esMünzen aufhob, die man ihm hinwarf; man warf ihmwenig hin, nie lagen mehr als zwei oder drei Münzenda. Vielleicht besaß es keine Arme, um nach denMünzen zu greifen. Vielleicht besaß es keine Zunge,um das »l« in »Allah« zu formen, und der Name Gottesverkürzte sich ihm zu »ä-ä-ä-ä-ä-«. Aber es lebte, undmit einem Fleiß und einer Beharrlichkeit ohnegleichensagte es seinen einzigen Laut, sagte ihn Stunden undStunden, bis es auf dem ganzen weiten Platz der einzigeLaut geworden war, der Laut, der alle anderen Lauteüberlebte.

Page 122: Canetti Marrakesch

INHALT

Begegnungen mit Kamelen 7Die Suks 17Die Rufe der Blinden 23Der Speichel des Marabu 27Stille im Haus und Leere der Dächer 33Die Frau am Gitter 37Besuch in der Mellah 45Die Familie Dahan 61Erzähler und Schreiber 89Die Brotwahl 95Die Verleumdung 97Die Lust des Esels 103›Scheherezade‹ 107Der Unsichtbare 119

Page 123: Canetti Marrakesch
Page 124: Canetti Marrakesch

Neuere LiteraturIlse AichingerMeine Sprache und ichErzählungen.Band 2081Wolfgang BächlerStadtbesetzungProsa. Band 5069Joseph BreitbachDas blaue Bidet oderDas eigentliche LebenRoman. Band 2104Günter de BruynMärkische ForschungenErzählungen für Freundeder LiteraturgeschichteBand 5059Hermann BurgerSchiitenRoman. Band 2086Elias CanettiDie BlendungRoman. Band 696Die gerettete ZungeGeschichte einer JugendBand 2083Das Gewissen der WorteEssays. Band 5058Die Stimmen vonMarrakeschAufzeichnungennach einerReiseBand 2103

Jacques ChessexDer KinderfresserRoman. Band 2087Eva DemskiGoldkindRoman. Band 2111Per Olov EnquistDer SekundantRoman. Band 5062Jörg FauserAlles wird gutErzählung. Band 5075Hubert FichteDetlevs Imitationen»Grünspan«Roman. Band 5074Die PaletteBand 5057Gerold FoidlDer RichtsaalEin HergangBand2115Hans FrickDie blaue StundeRoman. Band 5064Die Flucht nach CasablancaRoman. Band 5078Hans J. FröhlichEinschüchterungenErzählungen. Band 5081

Fischer Taschenbuch Verlag

Page 125: Canetti Marrakesch

Neuere LiteraturGünter Bruno FuchsBericht einesBremerStadtmusikantenRoman. Band 2098Krümelnehmeroder34 Kapitel aus dem Lebendes Tierstimmen-ImitatorsEwald K.Band 2110Franz FühmannDer Geliebte derMorgenröteBand 5073Lars GustafssonSigismundRoman. Band 2092Der Todeines BienenzüchtersRoman. Band 2106Peter HandkeDer HausiererRoman. Band 2093Peter HenischDie kleine Figurmeines VatersErzählung. Band 2097Andreas HöfeleDie Heimsuchungdes Assistenten JungBand 5056Das TalBand 2088

Hanna JohansenDie stehende UhrRoman. Band 2105Harald KaasUhren und MeereErzählungen. Band 5060Günter KunertCamera obscuraProsa. Band 2108Im Namen der HüteRoman. Band 2085Reinhard LettauFrühstücksgesprächein MiamiBand 2095Erich LoestPistole mit sechzehnErzählungen. Band 5061Christoph MeckelLichtErzählung. Band 2100Tunifers Erinnerungenund andereErzählungenBand 2090Helga M. NovakDie EisheiligenBand 5068Klaus PocheAtemnotRoman. Band 2109

Fischer Taschenbuch Verlag

Page 126: Canetti Marrakesch

Neuere LiteraturGerhard Rothdie autobiographiedes albert einsteinKurzromane. Band 5070Der große HorizontRoman. Band 2082Ein neuer MorgenRoman. Band 2107WinterreiseRoman. Band 2094Philip RothDie BrustRoman. Band 2113Peter SchalmeyMeine Schwester und ichRoman. Band 2084Klaus SchlesingerAlte FilmeEine Berliner GeschichteBand 2091Berliner Traum

Band 2101Bruno SchulzDie Zimtlädenund alle anderenErzählungenBand 5066Gerold SpäthDie heile HölleRoman. Band 5063

Gerold SpäthHeißer SonntagBand 5076StimmgängeRoman. Band 2175UnschlechtRoman. Band 2078Klaus StillerH-ProtokollBand 2102TraumberufeBand 2096Hannelies TaschauLandfriedeRoman. Band 2099Guntrum VesperNördlich der Liebeund südlich des HassesBand 2112Dieter WellershoffEin schöner TagRoman. Band 2114Die SchattengrenzeRoman. Band 5067Die Schönheitdes SchimpansenRoman. Band 2089Die SireneEine NovelleBand 5080/inVorbereitung

Fischer Taschenbuch Verlag