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Im Geist der Spätromantik Von Florian L. Arnold, Neu-Ulmer Zeitung, Dienstag, 22. September 2009 Neu-Ulm Im Theater Neu-Ulm stieß das Sonderkonzert der japanischen Konzertpianistin Chie Ishii mit der kompositorischen Rarität des Komikers Heinz Erhardt auf hervorragende Resonanz. „Ich war ein Wunderkind“, behauptete der deutsche Humorist Heinz Erhardt bei seinen Bühnen-Auftritten gerne: „Schon mit sechs Jahren konnte ich ‚Die letzte Rose’ mit einem Finger auf dem Klavier spielen.“ Soweit die Legende. Weniger bekannt: Heinz Erhardt war tatsächlich ein Wunderkind, lernte Klavier und komponierte mit knapp 16 Jahren sein erstes Opus. „Erblich vorbelastet“ war er durch seinen Vater, der als Kapellmeister ganz Deutschland bereiste und durch seinen Großvater, einen Rigaer Musikalienhändler. Heinz lernte nicht nur den Beruf des Großvaters, sondern ließ sich auch zwischen 1925 und 1929 am Leipziger Konservatorium am Klavier und in Komposition ausbilden. Diese fruchtbare Lebensphase, in der Erhardt auch seine Frau Gilda Zanetti kennenlernte, schlug sich in einer Reihe von rund 40 Kompositionen für Klavier sowie einer „Eingroschenoper“ nieder. Erhardt als seriöser Komponist? Das konnten auch seine Kinder kaum glauben, als sie beim Entrümpeln des Elternhauses das musikalische Frühwerk des Vaters in einer Kiste entdeckten. Die japanische Konzertpianistin Chie Ishii, Pianistin, Komponistin und E-Bassistin in einer Coverband, traf wenig später Erhardts Tochter Marita. Die trat an die Pianistin mit der Bitte heran, die Musik des Vaters einmal vorzuspielen. Ishii kam der Bitte nach - und staunte selbst

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Neu-Ulm Im Theater Neu-Ulm stieß das Sonderkonzert der japanischen Konzertpianistin Chie Ishii mit der kompositorischen Rarität des Komikers Heinz Erhardt auf hervorragende Resonanz. Die japanische Konzertpianistin Chie Ishii, Pianistin, Komponistin und E-Bassistin in einer Coverband, traf wenig später Erhardts Tochter Marita. Die trat an die Pianistin mit der Bitte heran, die Musik des Vaters einmal vorzuspielen. Ishii kam der Bitte nach - und staunte selbst

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Im Geist der Spätromantik Von Florian L. Arnold, Neu-Ulmer Zeitung, Dienstag, 22. September 2009

Neu-Ulm Im Theater Neu-Ulm stieß das Sonderkonzert der japanischen Konzertpianistin Chie Ishii mit der kompositorischen Rarität des Komikers Heinz Erhardt auf hervorragende Resonanz.

„Ich war ein Wunderkind“, behauptete der deutsche Humorist Heinz Erhardt bei seinen Bühnen-Auftritten gerne: „Schon mit sechs Jahren konnte ich ‚Die letzte Rose’ mit einem Finger auf dem Klavier spielen.“ Soweit die Legende. Weniger bekannt: Heinz Erhardt war tatsächlich ein Wunderkind, lernte Klavier und komponierte mit knapp 16 Jahren sein erstes Opus. „Erblich vorbelastet“ war er durch seinen Vater, der als Kapellmeister ganz Deutschland bereiste und durch seinen Großvater, einen Rigaer Musikalienhändler.

Heinz lernte nicht nur den Beruf des Großvaters, sondern ließ sich auch zwischen 1925 und 1929 am Leipziger Konservatorium am Klavier und in Komposition ausbilden.

Diese fruchtbare Lebensphase, in der Erhardt auch seine Frau Gilda Zanetti kennenlernte, schlug sich in einer Reihe von rund 40 Kompositionen für Klavier sowie einer „Eingroschenoper“ nieder. Erhardt als seriöser Komponist? Das konnten auch seine Kinder kaum glauben, als sie beim Entrümpeln des Elternhauses das musikalische Frühwerk des Vaters in einer Kiste entdeckten.

Die japanische Konzertpianistin Chie Ishii, Pianistin, Komponistin und E-Bassistin in einer Coverband, traf wenig später Erhardts Tochter Marita. Die trat an die Pianistin mit der Bitte heran, die Musik des Vaters einmal vorzuspielen. Ishii kam der Bitte nach - und staunte selbst

über das verwegen romantische Repertoire. Die Pianistin, die seit 18 Jahren in Deutschland lebt, kannte Erhardt bis dahin noch nicht. Und wurde durch seine Musik zum glühenden Fan.

Für die „Berliner Philharmonie“ konzipierte sie einen kompletten „Heinz Erhardt-Abend“ mit den Klavierstücken und Gedichten. Das Programm kam auch als Gastspiel im Neu-Ulmer AuGuS-Theater gut an. Zwar neigte Ishii dazu, die an und für sich doch eher leichtfüßigen, an Offenbach, Strauss und den heiteren Tschaikowski erinnernden Klavierpreziosen mit hartem Anschlag etwas zu ernst zu fassen. Doch ihr Vortrag verschränkte sich bemerkenswert zu einem Lebensbild des Humoristen, der eben mehr war als ein „Spaßmacher“.

Spätromantik mit Tonideen aus Jazz und Musical

Seine Musik atmet den Geist der Spätromantik, verfällt allerdings selten ins Plakative, sondern mischt sich durchaus gekonnt auch mit damals modernen Tonideen, etwa aus Jazz und Musical. Erhards „Preludes“ sind, so Ishii, wie seine vierzeiligen Gedichte: kurz, knapp und unwiderstehlich. Und für einen Moment wird die Frage greifbar: Würden wir uns unter anderen Umständen womöglich nicht den Humoristen, sondern an den Komponisten Erhardt erinnern?

Das verstand Ishii mit dem wahren Herz eines Fans zu vermitteln, auch für Erhardt-„Neulinge“. Ein echtes Highlight war dabei auch der Umstand, dass Ishii weder im Gedichtvortrag noch bei der Musik eine Gedächtnisstütze benötigte: Als glühende Verehrerin des Humoristen und (bislang unbekannten) Musikers Erhardt konnte Ishii jede Zeile, jede Note auswendig. Chapeau!