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Chirurgische Entfernung oder Elektrokoagulation der Gaumenmandeln? Yon Dr. Halle, Berlin. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 2. April 1933.) Seit einigen Jahren wird, besonders yon amerikanisehen FaehkoIlegen, die Elektrokoagulation der Tonsfllen auBerordentlieh propagiert. Ganze Bfieher sind fiber Indikation und besonders fiber die Teehnik, die yon don versohiedenen Autoren Ifir zweckmgBig gehalten wird, ver6ffentlieht worden, und mehr nnd mehr wird sie als die 3~ethode der Wahl Ifir die Entfernung der Tonsillen yon ihnen empfohlen. Als besondere Vor- zfige der Koagulation werden betont, dab man die infekti6sen und toxisohen in dot Tonsille enthaltenen Massen alsbald damit verniehte, dab man also mit weitgehender Sieherheit aseptiseh operieren kSnne, und dab man die Gefahr der Blutung bei der Operation vermeide. ])as Vorgehen gestaltet sieh gew6hnlieh so, dab man die inaktive Elektrode entweder augen am KSrper anbringt, oder direkt am vorderen Gaumenbogen anlagern l~Bt, um dann mit 4finnen aktiven Elektroden an das Tonsillengewebe heranzugehen undes teilweise zu koagulieren. Man wafter dann, bis sieh das zerst6rte Stfiek der Tonsille abgestoBen hat, um in einer oder gew6hnlioh in mehreren weiteren Sitzungen in gleieher Weise vorzugehen, bis das ganze Tonsillengewebe zerst6rt ist. Einen Gewinn bringt die Koagulation der Tonsille unzweifelhaft. Es gelingt, das Gewebe weitgehend auszukochen, zu steriIisieren, Keime und Toxine zu verniehten. Wie gestaltet sieh abet weiterhin der Krank- heitsverlauf ? Zun~ehst mug sich das gekoehte, zerst6rte Gewebe ab- stoBen. Wer die Koagulation 6fters zur Zerst6rung yon Tumoren im ~unde oder am Kiefer gebraueht hat, weig, dab ein fiberaus f6tider Gerueh dabei unvermeidlioh ist, und es dauert je naeh dem Umfang der Koagu- lation eine his mehrere Woehen, bevor sich das mortifizierte Gewebe abgestogen hat. Hierauf hat der Patient eine Ruhepause, um sieh erneut dem gleiohen Eingriff zu unterziehen, bis das ganze Tonsillengewebe abgestogen ist. DaB es aber aueh beim AbstoBen nekrotisehen Gewebes reeht unangenehm parenehymatSs bluten kann, ist bekannt. 1 Naeh einer Diskussionsbemerkung: Berl. Lar. otol. Ges, 24. 2. 33.

Chirurgische Entfernung oder Elektrokoagulation der Gaumenmandeln?

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Chirurgische Entfernung oder Elektrokoagulation der Gaumenmandeln?

Yon

Dr. Halle, Berlin.

Mit 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 2. April 1933.)

Seit einigen Jahren wird, besonders yon amerikanisehen FaehkoIlegen, die Elektrokoagulation der Tonsfllen auBerordentlieh propagiert. Ganze Bfieher sind fiber Indikation und besonders fiber die Teehnik, die yon don versohiedenen Autoren Ifir zweckmgBig gehalten wird, ver6ffentlieht worden, und mehr nnd mehr wird sie als die 3~ethode der Wahl Ifir die Entfernung der Tonsillen yon ihnen empfohlen. Als besondere Vor- zfige der Koagulation werden betont, dab man die infekti6sen und toxisohen in dot Tonsille enthaltenen Massen alsbald damit verniehte, dab man also mit weitgehender Sieherheit aseptiseh operieren kSnne, und dab man die Gefahr der Blutung bei der Operation vermeide.

])as Vorgehen gestaltet sieh gew6hnlieh so, dab man die inaktive Elektrode entweder augen am KSrper anbringt, oder direkt am vorderen Gaumenbogen anlagern l~Bt, um dann mi t 4finnen aktiven Elektroden an das Tonsillengewebe heranzugehen u n d e s teilweise zu koagulieren. Man wafter dann, bis sieh das zerst6rte Stfiek der Tonsille abgestoBen hat, um in einer oder gew6hnlioh in mehreren weiteren Sitzungen in gleieher Weise vorzugehen, bis das ganze Tonsillengewebe zerst6rt ist.

Einen Gewinn bringt die Koagulation der Tonsille unzweifelhaft. Es gelingt, das Gewebe weitgehend auszukochen, zu steriIisieren, Keime und Toxine zu verniehten. Wie gestaltet sieh abet weiterhin der Krank- heitsverlauf ? Zun~ehst mug sich das gekoehte, zerst6rte Gewebe ab- stoBen. Wer die Koagulation 6fters zur Zerst6rung yon Tumoren im ~unde oder am Kiefer gebraueht hat, weig, dab ein fiberaus f6tider Gerueh dabei unvermeidlioh ist, und es dauer t je naeh dem Umfang der Koagu- lation eine his mehrere Woehen, bevor sich das mortifizierte Gewebe abgestogen hat. Hierauf hat der Pat ient eine Ruhepause, um sieh erneut dem gleiohen Eingriff zu unterziehen, bis das ganze Tonsillengewebe abgestogen ist. DaB es aber aueh beim AbstoBen nekrotisehen Gewebes reeht unangenehm parenehymatSs bluten kann, ist bekannt.

1 Naeh einer Diskussionsbemerkung: Berl. Lar. otol. Ges, 24. 2. 33.

Chirurgische Entfernung oder Elektrokoagulation der Gaumenmandeln. 365

Nun wissen wir aus zahlreiehen Experimenten und durch Erfahrung bei unseren Patienten, daft die Wirkung der aktiven Elektrode mehr oder minder weit fiber den Berfihrungspunkt hinausgeht und im allgemeinen so welt in die Tiefe dringt, wie es dem Durchmesser der aktiven Elektrode entspricht. Demgem/~6 kann es unmgglich gelingen, ihre Wirkung so abzu- passen oder abzustimmen, daft sic genau nur bis an die Fascia parietalis herangeht, daft sic aber diese weder zerst6rt noch gar fiber sie hh~aus in die Tiefe dringt. Niemand kann genau erkennen, wie welt die Tonsille in die Tiefe reicht, wie welt man also mit der Koagulation gehen darf, ohne fiber die gegebenen Grenzen hinaus zu kommen. Abet wenn man diese auch erkennen k6nnte, so bleibt es unvermeidlich, da$ man eine geringere oder grgftere Ls der Fascia parietahs oder sogar der Musku- latur der Pharynx verursacht und damit StSrungen des Heilverlaufs und unangenehme Narben, die sp~ter recht unerfreuliehe Folgen haben kgnnen.

Nun wird yon den Beffirwortern der Koagulation hervorgehoben, daft man damit eine Blutungsgefahr so gut wie vSllig ausschliege. Is t diese aber wirkiich bei exakter chirurgischer Entfernung der Tonsillen so groft, daft man sic durch die Koagulation ersetzen mfigte ?

Bekanntlich ist die Methodik der chirurgischen Tonsillektomie eine recht variable. Fast jeder Autor hat eine besondere Methode oder glaubt, eine solche zu haben. Und es darf gern zugegeben werden, dag viele Wege zum Ziele ffihren. Die Blutungsgefahr wird dabei recht verschieden eingesch~tzt. Viele Autoren geben an, kaum je eine Blutung erlebt zu haben, wie z .B. Passow, Taptas u. v. a. Unbezweifelbar ist aber, dab bei jeder chirurgischen Tonsillektomie einmal eine st/trkere Blutung vorkommen kann. Ich mgchte jedoch glauben, daft bei hinreichender chirurgischer Schulung des Operateurs eine solche Blutung kaum je so groft sein kann, da6 er sic nicht unschwer beherrschen k6nnte, wenn er den Eingriff nach den geltenden t~egeln gemacht hat.

Man kSnnte es ffir zweckm/~gig halten, mit dem Elektrokutor zu arbeiten, das chirurgische ~esser durch das elektrische zu ersetzen, well man damit jede oberfl/~chliche Blutung mit grol~er Sicherheit stillen kann. Und das elektrische Messer dringt nicht nennenswert fiber die Schnitt- fls hinaus, wie zahlreiehe Erfahrungen beweisen. Is t doch das elek- trisehe 1gesser heute das Ins t rmnent der Wahl far Operationen am Cere- brum. Man kgnnte dann die Tonsille aus der Tiefe herausheben, das Spatium interfasciale freitegen und die Gef~fte mit dem Elektromesser durehschneiden, nachdem man sic mit einer Arterienklemme gefagt ha~. Gegen dieses Vorgehen 1/~6t sich wenig einwenden, und besonders wird es sich empfehlen, wenn man gezwungen ist, die Tonsille bei einem H~mo- philen zu entfernen.

Sind die Gefahren der Infektion oder der t/ lutung bei der chirurgisehen Tonsillektomie nun so groft, dag man alle Unannehmhehkeiten der Koagulation in Kauf nehmen miiftte ?

366 Halle :

Ich habe in wiederholten Publikationen dargelegt, daB bei korrektem Vorgehen solche Gefahren nicht bestehen. Zu fordern ist nur ein wirklich chirurgisches Verfahren, das bei der selbstverstandlichen restlosen Ent- fernung der Tonsille unbedingt der Forderung gerecht wird, weitest- gehend das gesunde Gewebe zu erhalten und zu schonen. Zu diesem Zwecke empfiehlt es sich zunachst, die Tonsille so aus der Tiefe heraus- zuziehen, daIS die Umschlagsfalte gespannt wird, so da13 man diese beim Einschneiden unmittelbar an der Grenze der Tonsille durchtrennt und nicht erhebliche Streifen der Gaumenbogen opfert. Die Durchschneidung erfolgt am vorderen und hinteren Rande. Besondere Vorsicht ist am oberen Pol zu iiben. Hier mu13 man die PIica tonsillaris, den verbindenden Bogen zwischen vorderem und hinterem Gaumenbogen, sorglich erhalten

Abb. 1. Abb. 2.

und unbedingt so weit wie moglich von der Uvula entfernt bleiben. Dadurch vermeidet man am besten die sonst so sehr unangenehmen Odeme der Uvula, vermeidet am besten die Schluckschmerzen, die dann zumeist so gering sind, daB die Patienten alsbald sprechen und weiche Nahrung aufnehmen konnen.

Piir das Herausziehen der Tonsillen sind zahlreiche Instrumente an- gegeben. Sie haben fast alle den Nachteil, daB sie bei kleinen, versenkten Tinsillen wegen ihrer Grr6Be im Stich lassen, aber auch sonst nicht immer mit hinrejchender Zuverlassigkeit arbeiten. Ich habe mir deswegen zwei Zangen anfertigen lassen, die sich mir in jedem Falle bestens bewahrt haben, und die ich deshalb kurz beschreiben mochtel.

Eine kraftige Zange mit schmalem Maul, das vorn halbspitz zulauft, tragt Torn grobe, quergestellte Riefen (Abb. 1). Weiter hinten weichen die Branchen etwas auseinander und tragen sehr kraftige Zahne. Mit dieser Zange dringt man, nachdem man sie l/,:l1/, cm getiffnet hat, in' die Tonsille ein und sch1ieBt sie. Das Instrument faat jede, auch eine kleine versenkte Tonsille und halt sie unbed-ingt fest. Jetzt umschneidet man in der

Hergestellt von Firme H. Ffau, Inh. L. Lieberknecht, Berlin N.W. 7, Luisenstr. 48.

Chirurgische Entfernung oder Elektrokoagulation der Gaumenmandeln. 367

beschriebenen Weise die Fascia parietalis und schiebt das parietale von dem visceralen Blatt mittels Elevatori~~ms ab. Dann faBt die zweite, oben stark gezahnte, aber ebenfalls schmal gehaltene Zange (Abb. 2 ) die Tonsille niit Fascie und. zieht nach der entgegengesetzten Seite. Ein AusreiBeii ist nur bei besonders murber Tonsille denkbar, und dem kann man durch Benutzung eines weiteren gleichartigen Instrumentes begegnen. Die i11 der Tiefe des Spatium iuterfaciale erkennbaren GefaBe werden mit einer Arterienklemme gefaljt und mit dem Messer oder mit dem elektrischen Messer durchschnitten. Der proximale Stiel wird torquiert oder unter- bunden - was ich so gut wie niemals tue -. Es wird sorgsam darauf geachtet, daB jedes b1utend.e GefaB sofort gefaBt wird. Nach hinreichender Stielung der Tonsille geht ein Messer von der Basis der Zungo ein wenig lateral und d a m gleich nach oben und schneidat so die Tonsille in toto ab. Eine Blutung hier unten braucht man nicht zu befurchten, wenn man nur bis an den vorderen Gaumenbogen schneidet und nicht zu weit nach lateral geht.

Vermeidet man aufs strengste, die Instrumante, die fiir das Fassen der Tonsille gebraucht wurden, fur das verbleibende Gewebe zu benutzen, nimmt man zum Fassen der GefaBe irnmer frische Klemmen, dann wird man keine Infektion zu fiirchten haben, zumal wenn man die Vorsicht' ubt, in die Tonsillengrube nach der Operation ein antiseptisches Pulver zu stauben. Ich erlebe auf diese Weise so gut wie niemals eine Steigerung der Temperatur wesentlich uber 37,2-37,6 hinaus. Eine Blutung wird auf diese Weise so sicher vermieden, daB ich zuweilen fur beid-e TonsiUen nicht einen Tupfer gebrauche. Blutet es aber doch einmal starker, so wird das GefaB sofort gefaBt und torquiert oder umstochen, wofiir sich neben der gewohnlichen chirurgischen Nadel sehr die von v. Eicken modifizierte H. Claussche Nadel empfiehlt.

DalS man bei Kindern nach der Methode von Xluder in fast allen Fallen die Tonsillektomie in wenigen Sekunden ausfuhren kann, braucht hier wohl kaum noch betont zu werden.

Es kommt gewiB sehr vie1 darauf an, die Totalentfernung der Tonsille, die bekanntlich als Schmutzfanger, als Dungerhaufen, als ungemein haufige Ursache von Herdinfektionen eine oft so verhangnisvolle Rolle spielt, so gefahrlos, zuverlassig und schonend zu gestalten wie moglich. DaB dies aber durch die Elektrokoagulation geschieht, vermag ich nicht anzuerkennen. Nur im FaUe einer bei Hamophilie notwendigen Total- entfernung wiirde ieh glauben, daB man fiir die groBere Sicherheit vor gefahrlichen Blutungen die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten fur den Patienten und die Schadigung des benachbarten Gewebes in Kauf nehmen diirfe. In allen anderen Fallen ist nach meiner Uberzeugung die Elektrokoagulation der Tonsille kontraindiziert .