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Der ursprüngliche Watson-Computer, der vor drei Jahren in der Quizshow Jeopardy! antrat, bestand aus zwei Reihen von kühl- schrankgrossen Computerschränken mit 92 Servern, die bei Spitzenleistung rund 85 Kilowatt an Energie für den Betrieb benötig- ten. Dies entspricht dem Energieaufwand der Strassenbeleuchtung einer kleinen Stadt. Im Vergleich dazu verbraucht unser Gehirn gerade einmal so viel wie eine Ener- giesparlampe – rund 20 Watt. Erst mit einer um Grössenordnungen verbesserten Ener- gieeffizienz kann das Potenzial kognitiver Systeme wirklich erschlossen werden. Daran arbeiten IBM Forscher auf allen Ebenen des Computers, angefangen bei der Nanometerskala, auf der neue Materi- alien und Konzepte für energieeffizientere und leistungsfähigere Transistoren unter- sucht werden, über neue Speichertechno- logien für den schnellen Zugriff auf riesige Datenmengen bis zur Entwicklung elek- tro-optischer Komponenten für eine leis- tungsfähigere Datenübertragung mittels Licht innerhalb von Computern und Chips. Motiviert sind diese Forschungsaktivitäten von einem Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Prozessor steht im Mittelpunkt, sondern die Anforderung an das System, gesamt- heitlich riesige Datenmengen möglichst schnell und effizient zu verarbeiten. Ein wesentlicher Aspekt dieser Stossrichtung ist eine neue Form der Skalierung – das «scaling in». Dies bedeutet, dass Speicher- mit Logikkomponenten in kompakte, dreidi- mensionale Chipstapel integriert werden. Dies reduziert die Grundfläche und ver- kürzt die Datenverbindungen zwischen den Komponenten um Grössenordnungen. In komplexeren Chipstapeln stellen die Küh- lung und die Stromverteilung jedoch grosse Herausforderungen dar, da der Bedarf an elektrischer Leistung, Kommunikation und Kühlung innerhalb eines 3D-Chips im Vo- lumen entsteht, während die Versorgung heute «nur» über die Oberfläche erfolgt. Für Bruno Michel und sein Team am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon ist das menschliche Gehirn die wichtigste Inspira- tionsquelle, um diese Probleme zu lösen. Ihr Ziel ist es, dessen Energieeffizienz zu erreichen. Unser Gehirn ist 10 000-mal dichter gepackt und verbraucht 10 000-mal weniger Energie als heutige Computersys- teme, weil es nur über ein einziges – extrem leistungsfähiges – Netzwerk an Blutgefäs- sen und Kapillaren verfügt, das sowohl die Wärme reguliert als auch Energie liefert. Michel und sein Team ahmen dies in flüs- siggekühlten 3D-Chips nach: Die Flüssig- kühlung sorgt nicht nur für die optimale Betriebstemperatur der Chips, sondern soll auch die Stromverteilung übernehmen. Die 3D-Chips mit «elektronischem Blut- kreislauf» der IBM Forscher basieren auf einem Mikrokanalsystem, das Flüssigkeit zwischen die einzelnen Chipschichten lei- tet, und mit dem Prinzip einer elektrochemi- schen Flussbatterie. Die Energie wird nicht mehr über elektrische Leitungen, sondern elektrochemisch mittels Redox-Chemikali- en über die Flüssigkeit verteilt. Aufgabe der Forscher ist die Miniaturisierung der Fluss- batterie und die Verbesserung der Leis- tungsdichte. Gelingt ihnen das, könnten heutige Computer mit einer Leistung von 1 PetaFlop/s von der Grösse eines Schul- zimmers auf die Grösse eines durchschnitt- lichen PCs reduziert werden. Auch Forschern im kalifornischen IBM Forschungszentrum dient das Gehirn als Vorbild. Sie entwickeln innerhalb des Sy- NAPSE-Projekts neuartige, sogenann- te neurosynaptische Computerchips, die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns hin- sichtlich Wahrnehmung, Kognition und Re- aktion in Grundzügen nachahmen. Heutige Computer sind zwar exzellente Rechen- maschinen und dem menschlichen Gehirn in dieser Disziplin haushoch überlegen, aber ihre sequenzielle Arbeitsweise und traditionelle Rechnerarchitektur ist extrem Die Entwicklung kognitiver Systeme findet auf allen Ebenen des Computers statt und erfordert revolutionäre Ansätze. Wissenswertes von Stephan Schneider, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich. VORBILD GEHIRN: VON SILIZIUM-SYNAPSEN UND EINEM ELEKTRONISCHEN BLUT- KREISLAUF FÜR COMPUTERCHIPS Stephan Schneider Stephan Schneider diskutiert neueste Techno- logieentwicklungen und deren Potenzial mit Geschäftsleitungen von europäischen Fertigungs- sowie Telekommunikations- und Energieunterneh- men am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon. ALSO NEWS 8

Cognitive Computing ALSO Update 3/2014 DE

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Der ursprüngliche Watson-Computer, der vor drei Jahren in der Quizshow Jeopardy! antrat, bestand aus zwei Reihen von kühl-schrankgrossen Computerschränken mit 92 Servern, die bei Spitzenleistung rund 85 Kilowatt an Energie für den Betrieb benötig-ten. Dies entspricht dem Energieaufwand der Strassenbeleuchtung einer kleinen Stadt. Im Vergleich dazu verbraucht unser Gehirn gerade einmal so viel wie eine Ener-giesparlampe – rund 20 Watt. Erst mit einer um Grössenordnungen verbesserten Ener-gieeffizienz kann das Potenzial kognitiver Systeme wirklich erschlossen werden.

Daran arbeiten IBM Forscher auf allen Ebenen des Computers, angefangen bei der Nanometerskala, auf der neue Materi-alien und Konzepte für energieeffizientere und leistungsfähigere Transistoren unter-sucht werden, über neue Speichertechno-logien für den schnellen Zugriff auf riesige Datenmengen bis zur Entwicklung elek-tro-optischer Komponenten für eine leis-tungsfähigere Datenübertragung mittels Licht innerhalb von Computern und Chips. Motiviert sind diese Forschungsaktivitäten von einem Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Prozessor steht im Mittelpunkt, sondern die Anforderung an das System, gesamt-heitlich riesige Datenmengen möglichst schnell und effizient zu verarbeiten. Ein wesentlicher Aspekt dieser Stossrichtung ist eine neue Form der Skalierung – das «scaling in». Dies bedeutet, dass Speicher- mit Logikkomponenten in kompakte, dreidi-mensionale Chipstapel integriert werden. Dies reduziert die Grundfläche und ver-kürzt die Datenverbindungen zwischen den Komponenten um Grössenordnungen. In komplexeren Chipstapeln stellen die Küh-lung und die Stromverteilung jedoch grosse Herausforderungen dar, da der Bedarf an elektrischer Leistung, Kommunikation und Kühlung innerhalb eines 3D-Chips im Vo-lumen entsteht, während die Versorgung heute «nur» über die Oberfläche erfolgt.

Für Bruno Michel und sein Team am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon ist das menschliche Gehirn die wichtigste Inspira-tionsquelle, um diese Probleme zu lösen. Ihr Ziel ist es, dessen Energieeffizienz zu erreichen. Unser Gehirn ist 10 000-mal dichter gepackt und verbraucht 10 000-mal weniger Energie als heutige Computersys-teme, weil es nur über ein einziges – extrem leistungsfähiges – Netzwerk an Blutgefäs-sen und Kapillaren verfügt, das sowohl die Wärme reguliert als auch Energie liefert. Michel und sein Team ahmen dies in flüs-siggekühlten 3D-Chips nach: Die Flüssig-kühlung sorgt nicht nur für die optimale Betriebstemperatur der Chips, sondern soll auch die Stromverteilung übernehmen. Die 3D-Chips mit «elektronischem Blut-kreislauf» der IBM Forscher basieren auf einem Mikrokanalsystem, das Flüssigkeit zwischen die einzelnen Chipschichten lei-tet, und mit dem Prinzip einer elektrochemi-schen Flussbatterie. Die Energie wird nicht mehr über elektrische Leitungen, sondern elektrochemisch mittels Redox-Chemikali-en über die Flüssigkeit verteilt. Aufgabe der Forscher ist die Miniaturisierung der Fluss-batterie und die Verbesserung der Leis-tungsdichte. Gelingt ihnen das, könnten heutige Computer mit einer Leistung von 1 PetaFlop/s von der Grösse eines Schul-zimmers auf die Grösse eines durchschnitt-lichen PCs reduziert werden.

Auch Forschern im kalifornischen IBM Forschungszentrum dient das Gehirn als Vorbild. Sie entwickeln innerhalb des Sy-NAPSE-Projekts neuartige, sogenann-te neurosynaptische Computerchips, die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns hin-sichtlich Wahrnehmung, Kognition und Re-aktion in Grundzügen nachahmen. Heutige Computer sind zwar exzellente Rechen-maschinen und dem menschlichen Gehirn in dieser Disziplin haushoch überlegen, aber ihre sequenzielle Arbeitsweise und traditionelle Rechnerarchitektur ist extrem

Die Entwicklung kognitiver Systeme findet auf allen Ebenen des Computers statt und erfordert revolutionäre Ansätze.Wissenswertes von Stephan Schneider, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich.

VORBILD GEHIRN:

VON SILIZIUM-SYNAPSEN UND EINEM ELEKTRONISCHEN BLUT-KREISLAUF FÜR COMPUTERCHIPS

Stephan SchneiderStephan Schneider diskutiert neueste Techno- logie entwicklungen und deren Potenzial mit Geschäftsleitungen von europäischen Fertigungs- sowie Telekommunikations- und Energieunterneh-men am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon.

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ineffizient beim Erfassen und gleichzeiti-gen Bearbeiten verschiedenartiger Daten oder komplexer visueller und sensorischer Informationen, wie etwa Bilderkennung. Im menschlichen Gehirn laufen verschiedens-te Wahrnehmungs- und Denkprozesse mit faszinierender Leistungsfähigkeit und Ener-gieeffizienz gleichzeitig ab.

Der in SyNAPSE verfolgte Ansatz bildet eine radikale Abkehr von der seit über einem halben Jahrhundert geltenden Von- Neumann-Architektur, nach der die meisten heute verwendeten Computer aufgebaut sind. Die Durchführung von Aufgaben hängt hier von definierten Programmen und Inst-ruktionen ab, die Schritt für Schritt abgear-beitet werden. Dagegen enthalten die neuro-synaptischen Chips Silizium-Schaltkreise und Algorithmen, deren Aufbau der Neuro-biologie entnommen sind und ähnliche Ab-läufe ermöglichen, wie sie zwischen Neuro-nen und Synapsen im Gehirn auftreten. Zwei erste Prototypen wurden 2011 im La-bormassstab fertiggestellt. Zwar sind diese noch weit von der Leistung des menschli-chen Gehirns entfernt, aber sie ermöglichen es, einfache Anwendungen wie Navigation, maschinelles Sehen, Mustererkennung so-wie assoziative Speicherung und Klassifi-zierung zu demonstrieren und zu testen. Die neurosynaptischen Chips ahmen die struk-turelle und synaptische Plastizität des

menschlichen Gehirns nach, um nicht nur sehr viel effizienter und leistungsfähiger verschiedenartige sensorische Eingangs-daten gleichzeitig analysieren zu können, sondern sich auch auf Basis ihrer Interakti-on mit der Umwelt dynamisch zu rekonfigu-rieren. Diese Funktionalitäten sind komple-mentär zu denen von Watson. Vereinfacht könnte man beide Technologien als linke und rechte Gehirnhälfte betrachten. Watson stellt die linke dar, die auf Sprache und ana-lytisches Denken fokussiert, während neu-rosynaptische Chips als rechte Hälfte die Verarbeitung sensorischer Wahrnehmung und Mustererkennung übernehmen.

Die Kombination beider Technologien könn-te für neuartige Anwendungen entschei-dend sein, zum Beispiel um die Vision vom hochautomatisierten Fahren Realität wer-den zu lassen. Moderne Automobile, die bereits mit über 60 Prozessoren ausgestat-tet sind, leisten heute bei einfachen Fahrsi-tuationen Hilfestellungen etwa beim Parkie-ren oder in Form von Auffahrwarnungen. Um jedoch komplexe Verkehrssituationen, etwa eine belebte Kreuzung, und multimo-dale Inputs, wie Verkehrsberichte, Sensor-daten, Eingaben des Fahrers oder techni-sche Informationen in Echtzeit zu erfassen und zu verarbeiten, braucht es die Funktio-nalitäten und die Effizienz zukünftiger kog-nitiver Systeme.

3D-ChipsUm 3D-Chips effizient zu kühlen, demons-trierten Bruno Michel und sein Team am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon bereits flüs-siggekühlte Testsysteme mit haarfeinen, integ-rierten Kühlstrukturen, die die Flüssigkeit zwi-schen den einzelnen Schichten hindurchleiten. Das sogenannte «interlayer cooling» erreicht eine Kühlleistung von 3 kW/cm3. In den Bildern zu sehen ist einmal das Testsystem – so gross wie ein Zuckerwürfel (1), ein Schema des inter-layer coolings (2) und eine Rasterelektronenmi-kroskopaufnahme, die die mikroskopisch klei-nen Chipschichten und Kühlstrukturen zeigt (3).

SynapseIm Bild zu sehen ist einer der beiden im Jahr 2011 vorgestellten neurosynaptischen Chips der IBM Forscher. Beide Prozessorkerne wurden in 45-nm-SOI-CMOS hergestellt und enthalten 256 Neuronen. Ein Testchip enthält 262 144 programmierbare Synapsen, der andere 65 536 lernende Synapsen.https://ibm.biz/ibmsynapse

RepcoolEin Testsystem, um den Mechanismus der elektrochemischen Flussbatterie auf der Mi-kroskala zu untersuchen. Ziel der Forscher ist es, die Technologie in einen Chipstapel zu integrieren. Dort fungiert die Flüssigkeit als Elektrolyt zwischen jeweils zwei Elekt-roden – ähnlich wie bei einer Batterie. Die Elektrodenpaare bestehen aus einer zentra-len Elektrode, die die Flüssigkeit elektrisch lädt, und vielen Empfängerelektroden auf den einzelnen Schichten im 3D-Chipstapel.https://ibm.biz/repcool

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