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designreport 4<BUIJPS=fbcjab>:V;x 12,90 € [D] 14,40 € [A, L] 24,50 SFr [CH] 1 | 2016 Magazin für Form und Funktion, Sinn und Wert: designreport . Guter Stoff Experiment, Forschung, Innovation

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designreport.1 | 2016

Guter Stoff Experiment, Forschung, Innovation

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1 | 2016

Magazin für Form und Funktion, Sinn und Wert:

designreport.Guter StoffExperiment, Forschung, Innovation

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Focus Open 20∂6Internationaler Designpreis Baden-WürttembergCall for Entries ∂∂. März 20∂6

3 Editorial

Lars Quadejacob, Chefredakteur

Ein Niedergang: Seit Urzeiten wurde gewebt, ge­knüpft, gestrickt. Bekleidung ist immer noch das umsatzstärkste Segment der Textilbranche. Doch

sind über 90 Prozent der Kleidungsstücke, die man hier­zulande am Leibe trägt, mittlerweile Importware. Und von den rund 400.000 Jobs, die es vor knapp 50 Jahren bran­chenweit noch gab, sind gut 90 Prozent nicht mehr exis­tent. Mit dem Textildesign im klassischen Sinn scheint es in Deutschland nicht mehr weit her zu sein. Bezeichnen­derweise ist das beliebteste Textilprodukt »made in Ger­many« die Herrensocke, wie unser Autor Ulf J. Froitzheim referiert. Allerdings entfällt von der deutschen Jahres­sockenproduktion nach Abzug des Exportanteils statistisch nur ein Paar auf jeden männlichen Einwohner.

Inzwischen kommen wir jedoch auf unzählige andere Weisen mit Textildesign in Berührung. Eine Revolution: Es muss nicht immer Tuchfühlung sein. Dass Textilien schlichtweg mit Produkten aus gewebtem Stoff gleichge­setzt und mit Bekleidung oder Wohninterieur assoziiert werden, sei überholt, schreibt Froitzheim: »Das scheinbar eindeutige Wort steht nun als Sammelbegriff für grund­verschiedene Produkte und Herstellungsverfahren, bei denen irgendwelche Fasern oder Gewebestrukturen im Spiel sind – ganz egal, ob der Nutzer im Alltag überhaupt etwas von ihnen sieht oder fühlt.« Zu diesen Nutzungen zählten »Bodenbeläge, Teich­ und Deichfolien, Funktions­kleidung mit Sensoren und Aktoren für Risikopa tienten, Stents für die Kardiologie, Luft­ und Raumfahrtkompo­nenten, Automobil­Leichtbau, Smart­Home­Ta peten, leuchtende Fassaden, sogar leichter Ersatz für massiven Stahlbeton«.

Für die dafür notwendige Forschung haben sich Unter­nehmen, Hochschulen und Textilinstitute zu Forschungs­verbünden zusammengetan. Doch während hier nur ge­zeigt wird, was technisch möglich ist, bleibt die kreative Anwendung und Umsetzung der Ergebnisse die Aufgabe von Designern – die sich etwa von den vielen Möglich­keiten leuchtender oder elektrisch leitfähiger Textilien in­spirieren lassen. Im Bereich solch avancierter Textilmate­rialien stimmen dann auch die wirtschaftlichen Zahlen

wieder: »Bei technischen Textilien ist Deutschland Ex­portweltmeister«, sagt Hartmut Spiesecke, Sprecher des Verbands Textil und Mode. Dieser Zweig der Branche bringt es auf 13 Milliarden Euro Jahresumsatz, seine bes­ten Kunden sind die Automobilkonzerne.

Interessanterweise kommen Textilien in dieser Bran­che nicht nur in Automobilen zum Einsatz. Besonders frappierend: die Verwendung textiler Strukturen in der Architektur. Zum Beispiel findet sich in der Marken­Großinszenierung »Autostadt« in Wolfsburg das Volks­wagen­Service­Center, entworfen von Graft Architekten, unter einer riesigen, 15.000 Quadratmeter großen Struk­tur, die an eine fliegende Untertasse erinnert und nur an zwei Punkten den Boden berührt. Sollten früher Stahl und Stein die Solidität eines Unternehmens verkörpern, so demonstrieren heute textile Gebäudehüllen, dass ein Unternehmen up to date ist. In Hamburg hat sich folge­richtig auch der Konzern Unilever in seiner neuen Firmen­zentrale von Behnisch Architekten mit flexiblen Membra­nen umhüllt, die unsere Sehgewohnheiten provozieren. Das passt in eine Zeit, in der sich Autokonzerne mit alter­nativen Antriebsformen oder vernetzten Mobilitätsporta­len schmücken. Auch bei Verkehrsbauten tauchen diese Konstruktionen immer öfter auf, um Modernität zu ver­körpern. Zu Recht: Denn die Konstruktionen sehen nicht nur leicht und modern aus, sie sind es auch – weisen sie doch bei sehr hoher Belastbarkeit ein sehr geringes Ge­wicht auf. Beschichtetes Glasfasergewebe etwa wiegt nur wenig mehr als ein Kilogramm pro Quadratmeter, besitzt eine Zugfestigkeit von bis zu mehreren Tonnen auf der­selben Fläche. Auch die verwendeten Materialien sind also Hightech. Im Falle des VW­Pavillons ist es ein Teflon­Gewebe.

Clever, leicht, transparent, wandelbar – welche Fir­men möchten sich nicht mit Assoziationen dieser Art prä­sentieren? Eine textile Fassade soll ein architektonisches Sinnbild sein. Gerade bei VW könnten diese Formen der Selbstdarstellung noch ungeahnt wertvoll werden.

Des Konzerns neue KleiderDer Begriff Textildesign durchläuft einen radikalen Wandel. Von jeher mit Bekleidung und dem altbekannten Sortiment von Heimtextilien gleichgesetzt, entwickelt sich »Stoff« durch avancierte technische Neuerungen nun zu einer Range unterschiedlichster Materialien und ungeahnter Möglichkeiten.

Inhalt

Report

SchwerpunktGuter Stoff

Personalien

Produkte Materialien

Rezensionen

Standards

Szene Wirtschaft

Nachwuchs

Editorial 3

Designerglück 7

Termine 86

Vorschau 88

Impressum 89

Schlusswort 90

KurzmeldungenFertighäuser von Muji, Kühlen ohne Strom, Pininfarina- Traktor u. a. 10

Neues für den BodenPrämierte Produktinnovationen von der Domotex 14

Die Auseinandersetzung mit textilen Fasern, Fäden und Flächen im Design ist facettenreich 18

Vom Mode- zum WerkstoffWesteuropa produziert kaum noch Bekleidung, doch die Textilwirtschaft erschließt sich neue Märkte 25

TextileGrenzerweiterungenOb neue Materialien, Funktionen oder Interaktions-modelle: Textilien sind eine enorme Inspirationsquelle für Designer 30

In Verknüpfungen denken Designerin Alexandra Baum ist spezialisiert auf die Entwicklung textiler Produkte. Wir sprachen mit ihr über Textildesign und Technik 34

Haute Couture Außergewöhnliche Textilien sind der Stoff, aus dem Couturiers Modeträume schneidern – auch dank modernster Technik 36

Zurück in die ZukunftKompromisslos nachhaltig: Die Freitag-Streetwear aus Hanf wird in Europa gefertigt und ist biologisch abbau-bar 40

KurzmeldungenSocke mit Sensoren, autarkes Hausboot, robuster Plagiatsschutz u. a. 44

Flatterndes MinikraftwerkEnergy Harvesting:Energie aus Luftbewegung, Druck oder Abwärme 46

KurzmeldungenDigital aufgerüsteter Blindenstock, Mode ohne Nähte, Neubau für die HfG Offenbach u. a. 48

Frisch und unprätentiösEva Müller gehört zu den Finalisten für den Newcomerpreis des German Design Award. Ihre Produktideen zeigen eine überzeugende gestalterische Haltung 50

KurzmeldungenErste Ausstellung zu Joris Laarman, letztes Selle-Buch, beste Sottsass-Biografie u. a. 52

Was macht dasBauhaus in China?Das Bauhaus-Institute der China Academy of Art lud internationale Experten zu einer Konferenz – ist die dortige Rezeption der Kunstschule zuunkritisch? 54

KurzmeldungenBundespreis Ecodesign, Marianne-Brandt-Wettbewerb, neue Möbel für die Bundes-wehr u. a. 62

Grenzenlos kreativKreativität ist das Verspre-chen unserer Gegenwarts-kultur – ein Interview mit dem Kultursoziologen Andreas Reckwitz 64

Besuch bei Studio KNOLJorien Kemerink und Celine de Waal Malefijt übersetzen komplexe, technische Zusammen -hänge und soziale Debatten in räumliche Erlebnisse 74

Kurzmeldungen Mehr Silber im Daimler-CD, chinesischer Investor bei Alno, Triennale del Milano u. a. 82

Ausgezeichnet!Ergeben sich aus Design-preisen rechtliche Vorteile? Eine Auszeichnung ist zumindest ein starkes Indiz für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Produktes 84

Kurzmeldungen Stabübergabe bei VW Design, Piet Hein Eek für Ikea, Angad Paul (1970–2015) u. a. 70

Er ließ Gegenstände lebendig werdenNachruf auf einen, dessen Objekte in aller Welt zuhause sind. In München geboren, in Mailand lebend, war er es auch 72

Die Dinge im FokusAusstellung im Wagenfeld-Haus: Eine fotografische Entdeckungsreise zu Wagen-feld und in die Gegenwart 56

Innovationstreiber DesignMit der Rolle des Designs in Europa beschäftigte sich ein vom Rat für Formgebung organisierter internationaler Kongress in Berlin 59

Design mit GeschichteGesellschaft für Design-geschichte und Vitra Design Museum luden zur Tagung »Geschichtsbilder in Praxis und Theorie«. Ein Überblick zu Themen und Referenten 60

1110 Produkte Kurzmeldungen

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Auf kleinstem Raum»Cabin Porn« ist nichts Anrüchiges: Website und Bildbände gleichen Namens frönen lediglich den ästhetischen Reizen einsamer Hütten und Häuschen, dem Traum vom autarken, naturnahen Leben. Ein Trend, dem sich das japanische Han­delshaus Muji nicht entzieht – passt er doch perfekt zu des­sen minimalistischer Designphilosophie und der japanischen Kultur der »kyosho jutaku«, den winzigen Wohnhäusern. Auf der Tokyo Design Week im Oktober letzten Jahres präsentier­te Muji Hütten­Prototypen von drei Designern: Dabei verwen­dete Konstantin Grcic Aluminium für die Außenhaut, Jasper Morrison arbeitete mit Korkplatten und Naoto Fukasawa mit Holz. Das Thema Architektur ist kein Neuland für Muji, be­reits vor einigen Jahren gestaltete Kengo Kuma Fertighäuser für den japanischen Markt.muji.com/jp/mujihut

ProdukteTexte: Martin Krautter

Muji-Kleinsthäuser, entworfen von Jasper Morrison (oben), Naoto Fukasawa (Mitte) und Konstantin Grcic (unten)

1918 TextilienSchwerpunktSchwerpunkt

Kleidung, die zunehmend zum Wegwerfprodukt wird, und unakzeptable Produktionsbedingungen beschäf tigen viele Textil- und Modedesigner. Das Label »The Post-Couture Collective« sorgt auf be-tont avantgardistische Weise für ein besseres Ge-wissen: Open-Source-Kleidung wird als Zip-File geliefert, im Maker-Lab um die Ecke aus der Re-cycling-Kunststoffbahn gelasert und als DIY-Pa-ket mit nach Hause genommen. Die dritte industri-elle Revolution hat die Mode erreicht. So schließt sich der Kreis, hatte doch die erste industrielle Revolution mit der Mechanisierung der Textilindus-

trie im späten 18. Jahrhundert begonnen.

Indien gehört nicht nur zu den Ländern, in de-nen der Westen seit Kolonialzeiten billig weben, färben und nähen lässt, sondern genauso zu den Ländern mit einer alten und reichen Textilkultur. So spielten Textilien auch in der Unabhängig-keitsbewegung des Landes eine wichtige Rolle – zunächst als Symbol des Protests und der na-tionalen Identität, später durch den Ausbau der Tex tilwirtschaft. Heute ist der indische Textil-markt einer der weltweit führenden, und Mode-designer wie Manish Arora bringen den kulturel-len Schatz ihrer Heimat auf die internationalen

Laufstege.

guter StoffVerstrickt, verwoben und verflochten – Textilien begleiten den Menschen, seit-dem er sich kleidet und Behausungen baut: Die nachweislich ältesten Textil-fasern sind etwa 30.000 Jahre alt. Heute steckt textiles Wissen in Bereichen, in denen wir es oft nicht einmal vermuten. Wie facettenreich die Auseinanderset-zung mit textilen Fasern, Fäden und Flä-chen im Design ist, erfahren Sie auf den

kommenden Seiten.

Text: Pauline Klünder Recherche: Nina C. Müller

2120Textilien Schwerpunkt TextilienSchwerpunkt

Vorhänge sind bei zeitgenössischen Architekten eher verpönt. Zu Unrecht, wie die niederländische Designerin Petra Blaisse immer wieder beweist, die unter anderem in Kooperation mit ihrem Le-bensgefährten Rem Koolhaas Hartes und Weiches ohne Imageschaden aufeinandertreffen lässt. Im Textile Lab des Tilburger »Textiel Museum« unter-suchte Blaisse die Verarbeitung leitfähiger Garne, um Vorhangstoffe zu entwickeln, die nicht nur vor Sonnenlicht schützen, sondern es gleichzeitig zur

Stromerzeugung nutzen.

Welche Fasern werden uns in Zukunft kleiden? Baumwolle ist beliebt, aber Herstellung und Ver-arbeitung sind bekanntermaßen enorm ressour-cenintensiv. Mindestens genauso intensiv ist die Suche nach Ersatzrohstoffen. Designerinnen wie Suzanne Lee mit ihrem Label »biofabricate« oder Sammy Jobbins Wells haben mit bakteriell erzeug-ter Zellulose experimentiert. Abwegig? Vielleicht,

aber auch Inspirationsquelle.

3534 TextilienSchwerpunktTextilien Schwerpunkt

Frau Baum, was begeistert Sie an Textilien, die Sie ja bewusst als Werkstoff bezeichnen?Die enorme Vielfältigkeit. Ich kann bereits durch Ein­griffe in die Polymerstruktur die spätere Funktionalität der Faser beeinflussen. Aber auch durch die Verarbeitung der Garne oder mit der Entscheidung, ob ich ein Gewebe, ein Gestrick, ein Vlies verwende, habe ich sehr unterschied­liche Möglichkeiten, auf Materialeigenschaften wie Di­cke, Dichte, Kraftaufnahme oder Luftdurchlässigkeit ein­zuwirken. Außerdem sind Textilien leicht und lassen sich Platz sparend transportieren – das passt in unser mobiles Zeitalter. Einige Industriezweige wie Automotive haben bereits erkannt, welch enormes Potenzial in dem Werk­stoff steckt. In anderen Branchen weiß man erstaunlich wenig darüber.

Sie bieten klassische Designdienstleistungen wie Be­ratung, Designmanagement, Produktentwicklung an. Sind Sie mitunter auch am Entwicklungsprozess neuer textiler Materialien beteiligt?Unter Umständen müssen wir, um einem Textil bestimm­te Funktionen zuweisen zu können, Anpassungen vorneh­men lassen; das kann einer Textilneuentwicklung manch­mal schon recht nahe kommen. Doch die Entwicklung grundlegender Innovationen, neuartige Materialkombina­tionen oder Beschichtungen etwa, findet üblicherweise an den Textilforschungsinstituten statt, diese Arbeit können Unternehmen selten allein leisten. Unsere Aufgabe sehe ich vor allem in der Vernetzung: Wir bringen unterschied­liche Partner oder eben auch Branchen zusammen. Ich als Designerin habe einen anderen Blick auf die Produkt­

In Verknüpfungen denkenVor etwas mehr als zehn Jahren gründete Alexandra Baum novanex, ein Design-

büro, das sich auf die Entwicklung textiler Produkte spezialisiert hat. Wir sprachen mit ihr über die Faszination an funktionalen Textilien, über Designer als Material-

forscher und das Verhältnis von Textildesign und Technikdenken.

Interview: Pauline Klünder

welt als etwa ein Ingenieur oder Wissenschaftler. Ich inte­ressiere mich für die Verknüpfungen. Es gibt mittlerweile eine Menge Designer, die sich im Textilbereich mit künstlerisch gestalterischer Material­forschung beschäftigt und viel versprechende Ideen ent­wickelt. Welchen Stellenwert haben diese Experimente?Ich finde diese Projekte wichtig, auch wenn die Ideen oft weit von industrieller Machbarkeit entfernt sind. Trotz­dem entstehen immer wieder Ansätze, die weiterverfolgt werden können. Die Kunsthochschule Burg Giebichen­stein zum Beispiel arbeitet gerade zusammen mit drei Wirtschaftspartnern an der Entwicklung von schadstoff­freien Druckpasten, die auf Naturfarbstoffen basieren und sich auch industriell anwenden lassen. Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt ist die Abschlussarbeit einer Master­studentin, die mit verschiedenen natürlichen Farbstoffen experimentierte.Was braucht es, dass Designexperimente dieser Art markt­fähig werden?Vor allem die Skalierbarkeit auf den industriellen Maß­stab – und das ist oft die Schwierigkeit. Ein Designer kann schon mit Schere, Klebeband oder Handwebstuhl etwas Eindrucksvolles generieren. Doch danach stellt sich die Frage: Lässt sich das auch auf große Maschinen über­tragen? Welche Schwierigkeiten tauchen dabei auf? Und stehen neuartige Rohstoffe in entsprechenden Mengen zur Verfügung?Und wie schätzen Sie das Interesse der Industrie an Designern als Impulsgebern ein?Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Hochschulen und die Freiräume, die sie bieten. Hier kön­nen Unternehmen die Potenziale kreativer Experimente entdecken und Studierende die wirtschaftlichen Notwen­digkeiten verstehen lernen. Die eine Seite lernt, von der anderen zu profitieren. »Design Thinking« geht ja als ge­flügeltes Wort durch alle Branchen. Es gibt unterschied­liche Arten, an Dinge heranzugehen, und es gehört eine gute Portion kreativer Naivität dazu, auch mal etwas vor­anzutreiben, das im ersten Augenblick so aussieht, als müsste es auf jeden Fall scheitern; loszuziehen, ohne zu wissen, ob es klappt, unbefangen auf Experten oder Indus­triepartner zuzugehen – Designer lernen das bereits im Studium. Wer es versteht, in Verknüpfungen zu denken und sich interdisziplinär zu vernetzen, hat meiner Erfah­rung nach gute Chancen. Das ganze Ökologiethema bei­spielsweise wurde stark von Designern vorangetrieben.Was sind denn derzeit die wichtigsten Themen in der Textilbranche?

Einen hohen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit. Das betrifft zum einen die Rohstoffe, etwa die Frage, wel­che Alternativen es zur Baumwolle gibt. Der Anbau ist enorm flächen­ und ressourcenintensiv. Können wir uns das in Zukunft noch leisten? Zum anderen spielt das Pro­blem des Recyclings eine große Rolle, zum Beispiel der textilen Leichtbaumaterialien. An den Leichtbau werden in vielen Produktbereichen hohe Erwartungen gestellt, aber gerade die Verbundwerkstoffe sind hinsichtlich der Entsorgung problematisch. Und in welchen textilen Neuerungen stecken die größ­ten Potenziale?Hochspannend ist der ganze Bereich der Synthetikfasern, aus denen durch Veränderungen der Polymerstrukturen neue Funktionen entstehen, zum Beispiel leitfähige Gar­ne oder Fotovoltaikgarne. Ebenso interessant sind Ver­suche, Formgedächtniswerkstoffe in textile Strukturen zu bringen. – Es wird viel geforscht, das meiste ist aber noch Zukunftsmusik.Beeinflussen diese Forschungsaktivitäten und techni­schen Neuentwicklungen das Textildesign als Disziplin? Verändern sich die Interessen, die Selbstwahrnehmung?Klassischerweise ist Textildesign ein eng gefasstes Fach­gebiet, das sich eben auf eine bestimmte Materialart und deren Verarbeitungstechniken konzentriert und der Fra­ge nachgeht, wie sich damit immer wieder neue, reiz­volle Oberflächen erzeugen lassen. Daran hat sich, so mein Eindruck, größtenteils nichts geändert. Andererseits ist es für Designer normal, einen Werkstoff auszureizen und sich gegebenenfalls in neue Gebiete vorzutasten. Issey Miyake bringt seit den 80er Jahren Mode und textiltech­nologische Experimente zusammen. Vielleicht wird sich das Textildesign zukünftig mehr mit funktionalen Textil­strukturen auseinandersetzen, jenseits der schieren Ober­fläche. Einige Hochschulen bewegen sich bereits in diese Richtung. Die einzelnen Designstudienrichtungen ver­schmelzen ja zunehmend, die Übergänge sind fließend. Meine Kunden haben mich noch nie gefragt, was ich denn nun genau studiert habe. Sie vertrauen auf meine Kompetenz als Designerin.Und, was haben Sie studiert?Mode. Das war um die Jahrtausendwende. Danach habe ich mich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Ver­bundforschungsprojekt der Fachhochschule Hannover, an dem auch die Universität Oldenburg und Unterneh­men wie Steilmann und Otto beteiligt waren, mit ökolo­gischen Textilien für den Massenmarkt beschäftigt. Das hat mich begeistert. Nur wenn so unterschiedliche Inte­ressengruppen interdisziplinär zusammenarbeiten, entste­hen wirkliche Innovationen. Mit den gewonnenen Erfah­rungen habe ich mich dann selbstständig gemacht. Denn nach ein paar klassischen Bewerbungen war schnell klar: Die Textilindustrie war damals noch nicht so weit, das Thema so breit gefächert anzugehen. l

Textiles für Untendrunter: Für Haake Technik entwickelte die Designerin Alexandra Baum Sensormatten, die sich unter Indus-trieböden verlegen lassen und eine Absicherung von Gefahren-bereichen an Maschinen gewährleisten.

4544 KurzmeldungenMaterialien

Texte: Armin Scharf l

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Robuster PlagiatschutzTypischerweise bestehen holografische Kennzeichen, die vor Fälschungen schüt­zen und Originale ausweisen sollen, aus Kunststoff. Je nach mechanischer, thermi­scher oder chemischer Belastung werden diese aber mitunter nach kurzer Zeit un­leserlich. Das Leibniz­Institut für Neue Materialien (INM) in Saarbücken bietet robuste Alternativen auf Silikatbasis. Die glasartigen Labels werden bei Temperatu­ren um 500 Grad Celsius ausgehärtet und sind danach extrem resistent. Die zuvor eingeprägten holografischen Gitterstruk­turen im Submikrometer­Bereich bleiben bei diesem Prozess erhalten und erreichen die gleiche Beständigkeit. Die Hologram­me erhalten eine weitere Überdeckung aus glasartigem Material, das aber über einen anderen Brechungsindex verfügt – das erleichtert die Lesbarkeit auch bei ölhaltigen Schmutzschichten und es er­schwert das Kopieren zusätzlich.leibniz-imn.de

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Sensible SockeIm Medizin­ und Wellnessbereich spielen textile Produkte für Prophylaxe, Thera­pie und Pflege eine zunehmend wichtige Rolle. Forscher des Fraunhofer­Instituts ISC haben einen Druckmessstrumpf für Diabetiker entwickelt, der mit inte grierten Sensoren arbeitet. Bedingt durch Nerven­ und Durchblutungsstörungen, bemer ken Diabetespatienten zu starke Druckbelas­tungen am Fuß oft nicht – schnell ent­stehen Druckgeschwüre und offene Wun­den. Der Spezialstrumpf ist an Sohle, Ferse, Fußspann und Knöchel mit Senso­ren ausgestattet. Diese bestehen aus einer stark dehnbaren, weichen Elastomerfolie aus Silikon, die beidseitig mit hochflexib­len Elektroden aus Grafit oder Ruß be­schichtet ist. Die Sensoren messen die Druckbelastung und ­verteilung am Fuß. Steht der Patient beispielsweise längere Zeit auf einer Stelle, schicken die Senso­ren das Messsignal über einen leitfähigen Faden an eine drahtlose Elektronik am Strumpfende. Smartphone oder Tablet in­formieren den Patienten darüber, ob er seine Fußhaltung oder Belastung ändern soll. Das ist aber nicht das einzige Einsatz­gebiet der Messsocke: Jogger etwa könn­ten mit dem Strumpf mit integrierter Sen­sorik Laufstil und Fußhaltung kontrol­lieren.isc.fraunhofer.de

4Medizin-KunststoffKompakt sollen sie sein, leicht sowieso und dann auch noch robust: Tragbare medizinische Geräte verlangen ihren Ge­häusen so einiges ab. Covestro hat nun einen neuen Kunststoff entwickelt, der auf einem Polycarbonat­Polyester­Blend basiert. Makroblend M525 ist nicht nur beständig gegenüber Pflege­ und Reini­gungsmitteln, sondern weist auch eine hohe Schlagzähigkeit und Dimensions­stabilität auf. Das Material lässt sich in vielen Farbtönen durchfärben und eignet sich zudem für Ultraschallschweißen. Die internationalen Normen zur biologischen Prüfung medizinischer Geräte werden er­füllt.covestro.com

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Batterie plus KondensatorSpricht man von Stromspeichern, dann meist von Batterien. Sie können Energie lange und in großen Mengen aufnehmen, haben aber eine begrenzte Lebensdauer und Geschwindigkeit. Auch Kondensa­toren sind in der Lage, elektrische Ener­gie zu speichern – viel schneller als ein Akku, allerdings mit deutlich geringeren Ka pazitäten. So genannte Powercaps sol­len nun die Vorteile beider Systeme zu­sammenbringen. Im Rahmen des Projek­tes »FastStorage BW II« arbeitet man am Karlsruher Institut für Technologie an sol­chen hybriden Systemen. Powercaps set­zen sich aus zwei nicht identischen Elek­troden zusammen – eine besteht wie in der Batterie aus Metalloxiden, die andere wie im Kondensator aus Kohlenstoff ma­terial. Dazwischen befindet sich ein Elek­trolyt. Die Energie wird aber nicht durch eine chemische Reaktion gespeichert, sondern in einem elektrischen Feld. Da­her können Powercaps etwa doppelt so viel Strom aufnehmen wie klassische Kon­densatoren und bis zu zehn Mal so viel elektrische Energie bereitstellen wie eine Batterie. So können sie etwa Lastspitzen im stationären wie mobilen Betrieb puf­fern oder zurückgewonnene Energie sam­meln, zum Beispiel bei Brems­ oder Hebe­bewegungen von Flurförderfahrzeugen.kit.edu

5Autarkes Hausboot»Autartec« nennt sich das Projekt, das schon 2017 auf dem Greifswalder See ein energie­ und versorgungsunabhängiges Haus schwimmen lassen will, auf einem 13 mal 13 Meter großen Stahlponton. Das kristallin geformte Gebäude ist zweige­schossig aufgebaut und soll eine Nutz­fläche von insgesamt 109 Quadratmetern plus Terrasse bieten. Die Energieversor­gung übernehmen in die Hülle integrier­te Fotovoltaik­Module, als Speicher die­nen Platz sparend in den Textilbetonwän­den oder Treppenelementen integrierte Lithium­Polymer­Akkus. Das Trink­ und Brauchwasser sollen geschlossene Kreis­laufsysteme mit physikalischen und che­mischen Methoden aufbereiten, die unter anderem auf Fotokatalyse zurückgreifen. Wärme erzeugen ein Salzhydratspeicher nach dem Taschenwärmerprinzip sowie eine Zeolithanlage. Im Sommer werden diese Mineralien getrocknet, dabei wird Wärme aufgenommen. Feuchte Luft im Winter reicht aus, um diesen Vorgang um­zudrehen, die Wärme wieder freizuset­zen. Außenbegrünungen sollen das Ge­bäude durch Verdunstungskälte im Som­mer kühlen. Beteiligt an der Entwicklung sind neben den Fraunhofer­Instituten IVI und IKTS auch die TU Dresden sowie die Brandenburgische Technische Uni­ver sität.ivi.fraunhofer.de

2Federleichtes GoldAn der ETH in Zürich haben Forscher ein ganz besonderes Aerogel entwickelt: Es besteht aus Gold und ist leichter als Wasser. Hergestellt wird das Leichtge­wicht mit Hilfe erhitzter Milchproteine, aus denen nanoskalige Proteinfasern ent­stehen, die dann in eine Lösung aus Gold­salz gegeben werden. Dabei vernetzen sich die Fasern zu einem Grundgerüst, entlang dessen das Gold in kleinsten Par­tikeln auskristallisiert. Das Gold­Aerogel besteht zu 98 Prozent aus Luft, der Rest zu vier Fünfteln aus Gold und zu ei­nem Fünftel aus Milchproteinfasern, ent­spricht also einem Reinheitsgrad von 20 Karat. Anders als metallisches Gold ist das Material weich und manuell verformbar. Seine riesige Oberfläche prädestiniert es für die Nutzung in Katalysatoren, sein Glanz für die Schmuckgestaltung. Durch seine Drucksensibilität ließe es sich au­ßerdem in Drucksensoren einsetzen. Stei­gender Druck presst das Gold­Aerogel zu­sammen, das dann leitfähig wird.ethz.ch

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Materialien

5150 NewcomerNewcomer Nachwuchs Nachwuchs

A ls ein Instrument der Nachwuchsförderung be­zeichnet der Rat für Formgebung seinen im Rahmen des German Design Awards vergebenen

Newcomerpreis. Zu Recht, denn die Auszeichnung bietet jungen Designerinnen und Designern die Möglichkeit, ihre Arbeiten und Ideen professionell begutachten zu las­sen und einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Und das gilt nicht allein für die Person, die am Ende den mit 15.000 Euro dotierten Preis erhält, sondern auch für die fünf Finalisten des Wettbewerbs. Für sie alle ist bereits mit der Nominierung Publizität und Ehrung verbunden.

Genau in diesem Sinn, als Anerkennung des Talents und Ermutigung für die berufliche Zukunft, versteht auch Eva Müller, die 2016 zu den Finalisten des Newcomer Awards gehört, ihre Wahl in den erlesenen Kreis. Die jun­ge Designerin steht noch ganz am Anfang ihrer beruf­lichen Karriere. Sie hat von 2008 bis 2015 Industrial De­sign an der Bergischen Universität Wuppertal studiert und dort erst im vergangenen Sommer ihren Bachelor­Ab­schluss gemacht. Dass sie dafür deutlich länger als die Regelstudienzeit von acht Semestern benötigte, hat gute

wird sich auch mancher Betrachter von der Armbanduhr wünschen, bei der die Designerin neue Möglichkeiten der analogen Zifferblattgestaltung auslotet, indem sie auf zentrierte Zeiger verzichtet und – in Anspielung auf die Technik des Uhrwerks – stattdessen Zahnräder zur Zeit­anzeige nutzt.

Eva Müllers professionelle Zukunft übrigens ist fürs Erste gesichert. In diesem Monat tritt sie eine feste Stelle als Designerin bei Vorwerk an. Sie sieht das als perfekten Einstieg in die Berufswelt, als großartige Chance, Erfah­rungen zu sammeln und ein Netzwerk aufzubauen. Dass sie für diesen Job vorerst an Wuppertal gebunden bleiben wird, empfindet sie dabei keineswegs als Wermutstropfen. Denn die vom Strukturwandel hart getroffene Stadt biete, so ihre Einschätzung, viel Potenzial und sei in den letzten Jahren viel dynamischer und kreativer geworden. Womög­lich ist da jemand zur richtigen Zeit am richtigen Ort. l

Frisch und unprätentiösIn den Kreis der Finalisten für den Newcomerpreis des German Design Awards zu kommen, davon träumen viele Nachwuchsdesigner.Dieses Jahr gehört Eva Müller zu den Glücklichen. Ihre Produktideen zeigen eine gestalterische Haltung, die Hoffnungen weckt.

Text: Mathias Remmele

Gründe. Denn sie nutzte die Zeit erstens für ein Auslands­studium in Cincinnati, Ohio (die dortige University of Cincinnati ist eine Partner­Uni der Wuppertaler Hoch­schule), und zweitens für diverse Praktika, die sie unter anderem in New York und Mailand absolvierte.

Die Arbeiten, die Eva Müller beim German Design Award einreichte, entstanden alle während beziehungs­weise im Rahmen ihres Studiums. Sie beeindrucken durch eine klare, ebenso eigenständige wie nachvollziehbare konzeptionelle Grundlage, sie beweisen einen wachen Sinn für die Verbindung von Form und Funktion oder, anders gesagt, fürs Schöne und Praktische, und sie offen­baren bisweilen einen feinen Humor. Vor allem aber wir­ken sie frisch und angenehm unprätentiös.

Da ist etwa ein schlicht gestaltetes, schnurloses Tele­fon mit integriertem, herausnehmbarem Headset, das ein sicheres freihändiges Telefonieren ermöglicht. Oder ein Besen, der mit einer multifunktionalen, elektrifizierten »Saugstation« kombiniert wird, Herzstück eines Projektes, das im Rahmen von Eva Müllers Bachelor­Arbeit und während eines Studienpraktikums bei Vorwerk entstand. Sie dient gewissermaßen als elektronische Kehrschaufel, die den zusammengekehrten Schmutz einsaugt, und ist zugleich eine Art Dockingstation für den Besen. Wird er nach dem Gebrauch dort eingesteckt, reinigt das etwa schuhkartongroße Maschinchen seine Borsten. Vergleichs­weise niederkomplex ist dagegen ein simples Kissen, das in Farbgebung und Textur auf die traditionelle Architektur des Bergischen Landes Bezug nimmt und als regionales Tourismussouvenir gedacht ist: Eine sympathische Idee, die es verdient hätte, längst in Produktion zu sein. Das

Die Finalisten

Außer Eva Müller (links) hat die Jury in diesem Jahr vier weite-re Finalisten aus verschiedenen Designdisziplinen für den New-comerpreis des German Design Awards bestimmt – wer den Ti-tel als Newcomer des Jahres er-hält, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Christian Gross beschäftigt sich als Interaction De-signer vor allem mit der Visualisierung von Daten und der Gestaltung von Interfaces. Er studierte in Pots-dam, Zürich und Weimar und betreut heute in einer Berliner Agentur Startups. In seinen Studienarbeiten suchte Gross auch die Auseinandersetzung mit poli-tischen und gesellschaftlichen Phänomenen wie der Überwachung durch Geheimdienste oder der Inflation von Fernbeziehungen.christiangross.info

Moritz Putzier kann als junger Designer mit Schwer-punkt im Bereich Licht und Möbel bereits auf eine Reihe von Auszeichnungen wie Design Plus oder Pure Talents Contest zurückblicken. Er arbeitet nach sei-nem Studium in Bremen inzwischen selbstständig in der Hansestadt. Seine Entwürfe verbinden reduzier-te Formen und natürliche Materialien und zeigen oft überraschende technische Raffinessen.moritzputzier.com

Julian Wilczek verfolgt in seinen Produktentwürfen ein klares Ziel: So einfach wie möglich, aber nicht ein-facher. Der Absolvent der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart beschäftigt sich mit Problemlösun-gen im alltäglichen Lebensumfeld, die Rahmenbedin-gungen wie Marke, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltig-keit berücksichtigen und dennoch eine pure, sinnliche Gestalt entwickeln.

Hanne Willmann fällt durch die hohe Sensibilität für Materialien auf, die sich in ihren Entwürfen in den Bereichen Möbel und Interieur ausdrückt. Sie arbeitet mit Kontrasten wie Glas und Beton, Drahtgitter und Schaumgummi oder versieht kubische Sideboards mit einer ornamentalen Prägung in der Holzoberfläche. Kein Wunder, dass die Berlinerin inzwischen im Studio des Branchenstars Werner Aisslinger mitarbeitet.hannewillmann.com

Das schnurloses Telefon mit integriertem, herausnehm -baren Headset fürs freihändige Telefonieren zuhause entstand auf Grundlage einer präzisen Bedürfnisanalyse.

Gedacht als regionales Tourismus-Souvenir ist dieses Kissen von der traditionellen Architektur des Bergischen Landes inspiriert.

evamuellerdesign.com

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D ie Projekte von Jorien Kemerink und Celine de Waal Malefijt lassen sich kaum kategorisieren. Ihre temporären Rauminstallationen bewegen

sich irgendwo auf den Grenzen zwischen Design, Kunst, Innenarchitektur und soziologischem Experiment. 2009 taten sich die beiden Niederländerinnen als Studio KNOL zusammen. Das war direkt nach Abschluss ihres Design­studiums, für das sie beide die Technische Universität Eindhoven besuchten. Zunächst widmeten sich Keme­rink und de Waal Malefijt vor allem dem Food Design, entschlossen sich jedoch 2012 zu einem Kurswechsel. In kurzer Zeit haben es die zwei Designerinnen geschafft, sich als Übersetzerinnen komplexer technischer Zusam­menhänge und sozialer Fragestellungen zu etablieren. Mit ihren Inszenierungen erzählen sie Geschichten, bau­en begehbare Zukunftsvisionen, stellen ihre Mitmen­schen auf die Probe: Kemerink und de Waal Malefijt de­signen in gewisser Weise Erfahrungen, ihre Werkzeuge sind das Erleben, die Interaktion, das Staunen und Wun­dern. Viele der Projekte sind von ihnen selbst initiiert, aber nicht nur, zu ihren Auftraggebern zählen genauso Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie KLM oder Philips. Seit kurzem haben sie einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule Utrecht. Zu dem kleinen, interdis­ziplinären Team von Studio KNOL gehören neben den beiden Designerinnen auch ein Innenarchitekt, eine Ar­chitekturtheoretikerin und eine Soziologin. Gemeinsam arbeiten sie in einem minimal bestückten, aber lichtdurch­fluteten Raum in einer ehemaligen Feuerwache im Nor­den von Amsterdam.

Sie haben beide an der Technischen Universität Eindho­ven studiert. Haben Sie sich dort auch kennen gelernt?Jorien Kemerink: Ja, gleich am ersten Tag des Studiums. Wir fühlten uns direkt voneinander angezogen und haben daraufhin mehrere Projekte gemeinsam gemacht.Celine de Waal Malefijt: Wir hatten beide die Neigung, uns weniger für konkrete Produkte zu interessieren, son­dern eher in Räumen und Situationen zu denken. Als es zum Beispiel in einer Aufgabe um das Thema Licht ging, haben die meisten Leute Leuchten entworfen. Wir haben uns eine Experimentieranordnung mit Licht als Raum­element ausgedacht. Die Besucher betraten einen dunk­len Raum, in dem plötzlich ein Vorhang, der aus Licht bestand, herabfiel. Wir wollten testen, ob sie um ihn he­rumgehen würden. Die meisten taten das.Hätten Sie mit solch einem konzeptionellen Design­ansatz nicht besser an die Design Academy gepasst als in das technisch orientierte Umfeld der Universität?de Waal Malefijt: Diese Frage hören wir oft. Aber gerade die Reibung war wichtig für uns. Es war eine Herausforde­

Besuch bei Studio KNOL

»Angewandte Fiktion« ist das Kerngeschäft von Studio KNOL. Die beiden Niederländerinnen Jorien Kemerink und Celine de Waal Malefijt

übersetzen komplexe, technische Zusammenhänge und soziale Debatten in räumliche Erlebnisse.

Interview: Anneke Bokern, Fotos: Allard van der Hoek

rung, in einer Umgebung zu arbeiten, in die wir eigent­lich nicht so recht hineinpassten. Außerdem hat uns Technologie immer schon interessiert. An der TU haben wir gelernt, wie Dinge gemacht werden. Das hätte die Design Academy nicht geboten.Sie gründeten Studio KNOL direkt nach Ihrem Bache­lor­Abschluss. Wie kam es dazu?Kemerink: Wir hatten damals die Gelegenheit, für die Dutch Design Week eine Ausstellung zum Thema Essen und Technologie zu entwickeln. Sie war so erfolgreich, dass wir einfach beschlossen, ein halbes Jahr auf diese Weise weiterzumachen, bevor wir ein Masterstudium be­ginnen würden. Und dann war der Spaß so groß und es lief so gut, dass wir gar nicht mehr aufhören wollten. Den Master haben wir erst letztes Jahr am Sandberg Institute in Amsterdam nachgeholt und das Studio währenddessen auf kleiner Flamme weiterlaufen lassen.Gab es denn gleich am Anfang bezahlte Aufträge?de Waal Malefijt: Ja. Durch die Ausstellung in Eindho­ven sind wir mit dem TNO, der niederländischen Orga­nisation für angewandte Forschung, in Kontakt gekom­men. Die haben unter anderem eine Abteilung, die sich ausschließlich mit Foodprinting beschäftigt. Wir wurden gebeten, die Arbeit der Forscher für potenzielle Kunden des TNO in einer Art Showroom zu veranschaulichen. Das war sehr gut bezahlt.Damit waren Sie endgültig in der Food­Design­Ecke gelandet. Wieso haben Sie ein paar Jahre später be­schlossen, diese Nische wieder zu verlassen?Kemerink: Wir hatten irgendwann das Gefühl, dass Food Design doch nicht so recht unser Ding ist, obwohl man uns dieses Label verpasst hatte. Alles, was mit Ernährung zu tun hat, ist natürlich extrem populär, die Besucher kommen in Scharen. Aber für uns waren Lebensmittel immer nur ein Material, das eher zufällig zu den The­men passte, die wir untersuchen wollten.de Waal Malefijt: Wir haben zum Beispiel einmal eine Installation mit essbaren In­sekten gemacht. Dabei interessierten uns vor allem die Wahrnehmung, die Tabus und Gefühle, also die Reaktion der Besu­cher.Kemerink: Es gab auch einen räumlichen Kontext, denn wir hatten die Tiere in einer

»Technologie hat uns schon immer interessiert. An der TU haben wir gelernt, wie Dinge gemacht werden. Das hätte die Design Academy nicht geboten.«

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Wie viel Virtualität verträgt die Schule? Studio Knols Beitrag zu der kontrovers diskutierten Frage ist ein Experiment: Eine Lernumgebung, deren zunächst 100 Prozent analoge Ausstattung schrittweise ausgetauscht wurde, bis der Unterricht komplett im virtuellen Raum stattfand.

90 91Head RubrikSchlusswort

Andrej Kupetz,Hauptgeschäftsführer Rat für Formgebung

L as Vegas, der Mythos einer aus dem Nichts geplan-ten Stadt in der Wüste Nevadas, sollte seine besten Tage im Grunde bereits hinter sich haben. Casi-

nos, Mafia, Hochzeitskapellen, die Shows des unnach-ahmlich dauerbreiten Rat Packs, des genial alternden El-vis Presley, der spektakulären Tiger-Dompteure Siegfried und Roy: Das alles war Las Vegas und so untrennbar dem alltagskulturellen Bodensatz Amerikas im 20. Jahrhundert verbunden, dass es schwerfällt, sich vorzustellen, dass aus-gerechnet hier in einem jährlichen Rhythmus die Zukunft unserer industriellen Welt im 21. Jahrhundert geschrieben wird.

Doch der Aufmarsch der Flaggschiffe jener Industrien aus der alten, analogen Welt, die immer Anfang Januar den circa 175.000 Besuchern der CES ihre Zukunftsfähig-keit unter Beweis stellen wollen, wird jedes Jahr größer. Ganz vorn dabei: die Automobilindustrie. Das Rennen, wer die Eröffnungsrede zur Show halten wird, ist bereits seit einigen Jahren eines, das die klassischen Automobil-hersteller unter sich ausmachen wollen. Für dieses Jahr – lange bevor der Skandal um manipulierte Abgaswerte den Konzern erreichte – wählte der Veranstalter VW dazu aus. Die Messe blieb auch nach Bekanntwerden des Skandals bei ihrer Zusage, und so geriet die CES 2016 auch zu ei-ner Bühne für den neuen VW-Markenchef Herbert Diess, das »neue« VW zu feiern. Was aber ist das Neue bei VW? Diess präsentierte eine digital vernetzte Studie des alten, unsterblichen Sympathieträgers Bully, des originären VW-Busses, der in den 1960er Jahren dem anschwellenden frei-heitlichen Lebensgefühl in der westlichen Welt als ent-sprechender fahrbarer Untersatz diente.

Der neue Bully heißt Budd-e, ein Name, der hand-feste Kumpelhaftigkeit und die Zukunftstechnologie Elek-tromobilität miteinander verbinden will. Nach Zukunft klingt das nicht wirklich, eher nach digital angehauchtem Herrenwitz. Immerhin sollten die Fallstricke von Phonetik und Schreibweise auch in Wolfsburg bekannt sein. Die Nähe von Budd und Butt – zu Deutsch Hintern – könnte sich kommunikativ als Bumerang erweisen.

Hoffen wir einfach, dass es anders kommt. Denn über-lebenswichtig ist das Gelingen des Transformationspro-zesses, den die Pfeiler unserer deutschen Wirtschaft, die Kernmarken BMW, Mercedes und VW, in den letzten Jahren angestoßen haben, ohne Zweifel: Es geht um nichts anderes, als die großartige Idee der individuellen Mobilität in eine digital bestimmte Lebenswelt zu über-führen. Dabei geht es nur vordergründig darum, den Kühl-schrank während des Fahrens aufzufüllen, den Schulweg der Kinder zu kontrollieren oder E-Mails zu schreiben. Nein, es geht schlicht darum, die Relevanz der individu-ellen Automobilität in diesem Jahrhundert zu begründen und zu verteidigen – auch gegenüber neuen Mitspielern.

Denn die wirkliche Sensation der Show war die Prä-sentation der neuen automobilen Marke »Faraday Fu-ture«. Wobei Sensation eher die Erwartungshaltung vor der Präsentation beschreibt als das nachfolgende Ergeb-nis. Zu wenig Zukunftsweisendes ließ sich hier entdecken, außer relativ banalem Showcar-Design und vollmundigen Versprechungen. Das, was der neuen Marke am Elektro-mobilitätshimmel dennoch Glamour verlieh, war schlicht das Angriffsversprechen des Vorstands, Tesla vom Thron stoßen zu wollen. Tesla! Nicht Audi, BMW, Ford, Jaguar, Mercedes, Porsche, VW. Nicht eine Marke der alten auto-mobilen Welt wurde hier ins Visier genommen, sondern ein Unternehmen ohne Vergangenheit, das kaum Autos verkauft, aber seit ein paar Jahren das Thema Elektromobi-lität kommunikativ einzigartig zu besetzen weiß.

Über all dem schwebt der Konflikt »USA gegen VW«: Das ist auch ein Handelskrieg der benzinorientierten US-Hersteller gegen die den Diesel favorisierenden deutschen Konzerne um weltweite Marktanteile. Es ist aber auch ein Krieg der alten Systeme. Alle Parteien wären dabei gut be-raten, nicht außer Acht zu lassen, dass in Nevadas Wüste in einem anderen Spiel bereits die Player der Zukunft zum Wettbewerb antreten. l

Spekulieren in der WüsteAusgerechnet Las Vegas wird zum Brennpunkt der digitalen Zukunft –

und das in jeder Hinsicht. Denn die jährliche International Consumer Electronic Show (CES) zieht immer mehr Branchen

des industriellen Zeitalters in ihren Bann.

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1 | 2016Guter Stoff Experim

ent, Forschung, Innovation