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SEITE N 2 · MITTWOCH, 11. APRIL 2018 · NR. 84 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Natur und Wissenschaft Chemische Waffen sind im Pflanzen- reich weit verbreitet. Ein Küchenkraut namens Borretsch wehrt sich zum Bei- spiel mit Pyrrolizidinalkaloiden gegen hungrige Pflanzenfresser. Solche Toxine können nicht nur die Leber schädigen. Indem sie das Erbgut verändern, kön- nen sie langfristig auch Krebs hervorru- fen. Toxikologen empfehlen deshalb, den Borretsch, wenn überhaupt, nur sparsam in der Küche zu verwenden. Giftstoffe können in allen Pflanzenteilen stecken. Mitunter ist die Konzentration in den Pollenkörnern sogar noch höher als in den Blättern. Für Insekten, die sich am Nektar laben und dabei Pollen von Blüte zu Blüte tragen, spielt das keine Rol- le. Bienen sammeln jedoch große Pollen- mengen ein, um sich und ihren Nach- wuchs mit Proteinen zu versorgen. Dass Arbeiterinnen der Honigbiene auf Pyrro- lizidinalkaloide nicht sonderlich empfind- lich reagieren, haben jetzt Schweizer Wis- senschaftler gezeigt. Als weitaus sensib- ler entpuppten sich hier die Larven. Wie Christina Kast vom Zentrum für Bienen- forschung in Bern und ihre Kollegen her- ausfanden, ist die Bienenbrut trotzdem nicht in Gefahr, durch Pyrrolizidinalkaloi- de vergiftet zu werden. Das Futter für die Larven enthält nämlich nur minimale Toxinmengen. Als Pollenquelle diente der Pyrrolizi- dinalkaloide produzierende Gewöhnli- che Natternkopf (Echium vulgare). Die- ser Vertreter der Borretschgewächse ge- deiht vor allem auf sandigem oder steini- gem Boden, nicht selten auch an Wegrän- dern. Im Sommer präsentiert er wochen- lang Blüten, die rosarot aufblühen und sich dann allmählich blau färben. Schmet- terlinge besuchen den Natternkopf gern, um Nektar zu saugen, und Bienen fliegen ebenfalls auf diese Blume. Außer Nek-tar sammeln sie dort auch Pollen. Deshalb stellt sich die Frage, wie schädlich ist das gattungstypische Pyrrolizidinalkaloid Echimidin für Honigbienen? Um das zu klären, haben Christina Kast und ihre Kollegen Frühlingspollen, der nicht von Natternkopfblüten stammte, aus den Bie- nenstöcken geholt. Später im Jahr wurde dieser Pollen mit dem Giftstoff des Nat- ternkopfs angereichert und an Honigbie- nen verfüttert, die gerade aus ihrer Pup- penhülle geschlüpft waren. Wie die For- scher in den „Proceedings of the Royal So- ciety B“ (doi: 10.1098/rspb.2017. 2849) berichten, nahm die Lebenserwartung der Bienen erst dann merklich ab, als sie als junge Arbeiterinnen etwa hundert Mi- krogramm Echimidin geschluckt hatten. Damit sich die Bienen eine derart hohe Dosis einverleiben, müsste das gesamte Volk ausschließlich Pollen von Nattern- kopfblüten sammeln. Das ist jedoch un- realistisch, weil der Natternkopf nirgends in Monokultur wächst. Jede einzelne Honigbiene spezialisiert sich zwar gern auf eine bestimmte Art von Blüten. Die vielen Sammlerinnen ei- nes Bienenvolks besuchen aber ganz ver- schiedene Blumen, die in der Umgebung blühen. Arbeiterinnen, die im Innen- dienst tätig sind, stellen aus dem gesam- melten Pollen sogenanntes Bienenbrot her, indem sie diesen mit Honig vermen- gen. Pollenkörner unterschiedlicher Her- kunft werden dabei zwangsläufig ver- mischt. Von dem Bienenbrot zehren dann vor allem junge Arbeiterinnen, die sich der Brutpflege widmen. Dank solch eiweißreicher Verpflegung können sie mit ihren Schlund- und Mandibeldrüsen ein milchiges Sekret produzieren, soge- nannte Bienenmilch. Damit ernähren sie die Larven in den Brutwaben. Künftige Königinnen werden sogar ausschließlich mit dieser besonders bekömmlichen Kost großgezogen. Wenn die Arbeiterinnen mit dem Bie- nenbrot auch eine Portion Pyrrolizi- dinalkaloide zu sich nehmen, ist zu erwar- ten, dass diese Giftstoffe auch in den Se- kreten der Schlund- und Mandibeldrüsen vorhanden sind. Wie viel von den Toxi- nen dort ankommt, wollten die Schwei- zer Wissenschaftler genauer erkunden. Deshalb mischten sie noch einmal Echi- midin ins Bienenbrot. Die Konzentration entsprach in etwa jener, die in Schweizer Bienenstöcken maximal aufgefunden wurde. Arbeiterinnen, die sich von derart präpariertem Futter ernährten, erzeug- ten erstaunlicherweise Bienenmilch, de- ren Echimidin-Konzentration aber unge- fähr nur ein Tausendstel davon betrug. Der Gehalt an Pyrrolizidinalkaloiden blieb somit weit unter dem Wert, der die Überlebenschancen der Bienenlarven merklich gemindert hätte. Die Brut mit den Produkten spezieller Drüsen zu füttern, statt sie einfach mit Pollen abzuspeisen, hat für die Honigbie- nen aber noch weitere Vorteile: Pollen- körner enthalten viel schwer Verdauli- ches, neben komplexen Kohlenhydraten auch die äußerst widerstandsfähigen Komponenten der Pollenwand. Ihnen können die Verdauungsenzyme kaum et- was anhaben. Bienenmilch ist dagegen ausgesprochen leicht verdaulich, was nicht bloß die Entwicklung der Larven be- schleunigt. Weil nach dem Verdauungs- prozess nur wenig davon übrigbleibt, ha- ben es die Honigbienen leichter, die Brut- waben sauber zu halten. Durch die anti- mikrobielle Wirkung der Bienenmilch ist die darin herumschwimmende Larve au- ßerdem gut vor Infektionen geschützt. Die zahlreichen Arten von Wildbie- nen, die sich in Europa tummeln, produ- zieren im Gegensatz zu den Honigbienen kein nahrhaftes Sekret. Stattdessen er- nähren sie ihre Brut mit einer Art Bienen- brot. Die Larven müssen also mit dem un- verminderten Giftstoffgehalt des Pollens zurechtkommen. Hummeln neigen frei- lich dazu, mehr als eine Blütensorte zu be- suchen. Wodurch sie die Konzentration einzelner Toxine wahrscheinlich in Gren- zen halten. Auch die Königin, die im Frühjahr ihren Nachwuchs zunächst ganz allein versorgen muss, trägt eine abwechs- lungsreiche Mischung verschiedenartiger Pollenkörner nach Hause. Unter den Mauerbienen der Gattung Osmia gibt es hingegen einige Arten, die ausschließlich Pollen des Natternkopfs sammeln. Anscheinend haben sich diese Wildbienen im Laufe der Evolution mit den speziellen Pyrrolizidinalkaloiden des Natternkopfs arrangiert. Mit neuartigen Insektiziden wie den Neonikotinoiden konfrontiert, sind Wildbienen aber eben- so überfordert wie Honigbienen. Anders als manche Insekten, gegen die sich die Schädlingsbekämpfungsmittel eigentlich richten, existieren Bienen nämlich nur in mäßig großen Populationen und ver- mehren sich eher langsam. Schlechte Vor- aussetzungen, um in absehbarer Zeit ein genetisches Outfit zu entwickeln, das re- sistent macht gegen die fraglichen Gift- stoffe. DIEMUT KLÄRNER M it Hilfe des von Albert Ein- stein vorhergesagten Gravita- tionslinseneffekts haben As- tronomen einen Stern in einer rund neun Milliarden Lichtjahre entfern- ten Galaxie ausgemacht. „MACS J1149 Lensed Star 1“, oder kurz „LS1“, ist damit der am weitesten entfernte jemals beob- achtete Stern. Eine zweite Astronomen- gruppe fand mit dem gleichen Effekt unab- hängig davon zwei weitere Sterne in einer anderen, nicht ganz so weit entfernten Ga- laxie. Die beiden Arbeiten, jüngst veröf- fentlicht in der Fachzeitschrift „Nature As- tronomy“, stellen einen Meilenstein in der Erforschung ferner und junger Galaxien dar (doi: 10.1038/s41550-018-0430-3 und 10.1038/ s41550- 018-0405-4). Selbst mit den größten Teleskopen der Welt sind einzelne Sterne normalerweise zu lichtschwach, um in derart großer Ent- fernung noch wahrgenommen werden zu können. Ausnahmen sind Sternexplosio- nen, etwa Supernovae, bei denen Sterne ihre Leuchtkraft kurzfristig enorm stei- gern. „LS1“ ist aber ein recht normaler, wenngleich im Vergleich zur Sonne hei- ßer, blauer Riesenstern, berichten die As- tronomen um Patrick Kelly von der Univer- sity of California in Berkeley in ihrem Auf- satz. Sie fanden ihn beim Studium von Auf- nahmen des massereichen Galaxienhau- fens MACS J1149+2223, die das Weltraum- teleskop Hubble aufgenommen hatte. Die- ser Haufen, zu dem etliche Galaxien ähn- lich unserer Milchstraße gehören, ist den Astronomen als Gravitationslinse be- kannt: Seine enorme Schwerkraft verzerrt und verstärkt das Licht von weiter im Hin- tergrund liegenden, ferneren Galaxien. Im Jahr 2014 hatten Kelly und sein Team so die erste von einer Gravitations- linse verstärkte Supernova gefunden. Das Licht dieser nach dem norwegischen As- tronomen Sjur Refsdal benannten Stern- explosion wurde durch die Wirkung des Galaxienhaufens auf mehrere unter- schiedliche Wege gelenkt, so dass die Su- pernova scheinbar mehrfach an verschie- denen Himmelspositionen aufleuchtete, und das im Abstand von mehreren Mona- ten. Kelly und seine Kollegen untersuch- ten den Galaxienhaufen nach möglichen weiteren „Bildern“ der Supernova, als sie auf das flackernde Licht von LS1 stießen. Dass es sich hierbei nicht um eine weite- re Sternexplosion handelte, erkannten die Forscher am Spektrum des Objekts, also an der Verteilung seiner Strahlung bei ver- schiedenen Energien: Bei einer Superno- va ändert sich diese im Laufe der Zeit. Bei LS1 hingegen blieb sie, wie bei einem nor- malen Stern, weitgehend konstant, ob- wohl sich die Helligkeit von LS1 recht ab- rupt änderte. Dieses Flackern erklären sich die Forscher deshalb durch sogenann- te „Mikrolinsenereignisse“: Zusätzlich zur Wirkung der großräumig verteilten Mate- rie im Galaxienhaufen können kleine kom- pakte und bewegliche Objekte, etwa „Wol- ken“ aus Dunkler Materie, aus Sicht der Erde vor dem ferneren Stern LS1 vorüber- ziehen. Dabei kommt es zu einer zusätzli- chen Linsenwirkung und damit zu einer Verstärkung des Sternenlichts um einen Faktor 2000 und mehr. Das Flackern ent- steht also nicht in LS1 selbst, sondern ist Folge der variablen Gravitationslinsenwir- kung des Galaxienhaufens. Auch die beiden Sterne, die Steven Rod- ney von der amerikanischen Universität South Carolina und seine Mitarbeiter hin- ter einem anderen Galaxienhaufen fan- den, zeigten plötzliche Helligkeitsände- rungen. Hier sind sich die Forscher aller- dings nicht sicher, ob diese ebenfalls durch Mikrolinsen oder doch durch Verän- derungen der Sterne selbst ausgelöst wer- den. Womöglich handelt es sich bei die- sen Objekten um besonders leuchtkräfti- ge veränderliche Sterne oder um soge- nannte wiederkehrende Novae, also Vor- läufer späterer Supernovae. Die Datenla- ge reiche in diesem Fall nicht aus, um eine eindeutige Entscheidung zu treffen, erklären Rodney und seine Kollegen. Beide Entdeckungen haben für die As- tronomie herausragende Bedeutung: Sie demonstrieren, dass es mit Hilfe des Gravi- tationslinseneffekts möglich ist, einzelne Sterne in extrem weit entfernten Galaxien zu untersuchen. Im kommenden Jahrzehnt werden neue automatisierte Großtelesko- pe in Betrieb gehen, die den gesamten Him- mel mit hoher Empfindlichkeit regelmäßig abfotografieren werden. Diese dürften zahlreiche weitere solcher exotischen Ob- jekte finden. Deren Untersuchung – die Ar- beiten von Kelly, Rodney und ihren Mit- streitern sind da nur der Anfang – könnten wichtige Fragen der gegenwärtigen Astro- nomie klären. So hoffen Forscher nicht nur auf neue Erkenntnisse über die Ent- wicklung von Sternen in der Frühzeit des Universums, sondern auch darauf, zu er- fahren, was es mit der rätselhaften Dunk- len Materie auf sich hat, von der die gro- ßen Galaxienhaufen regiert werden. Nur das Beste für den Nachwuchs Honigbienen füttern ihre Larven mit einer besonderen Pollenkost In den letzten zwanzig Jahren fand eine atemberaubende wissenschaftliche Revo- lution in der Genomik statt: sowohl bezüg- lich der Methoden der Datensammlung wie auch der Analysen der riesigen Daten- mengen. Sie führte nicht nur zu einem besseren Verständnis unseres Genoms, auch die Geschichte des Homo sapiens musste umgeschrieben werden. Die Se- quenzierung ausgestorbener Verwandter wie der Neandertaler und der Denisovans zeigt, dass deren genetische Spuren noch heute wegen Genaustausch in unserem Genom zu finden sind. Auch Wanderun- gen, Verdrängungen und Durchmischun- gen von Populationen über die letzten Jahrtausende lassen sich an Genomver- gleichen ablesen. Es gibt Probleme in der Genetik, von denen man als Forscher aber besser die Finger lässt. Dazu gehört jedenfalls ein Thema wie „Rasse und Genetik“. David Reich von der Harvard-Universität hat es in seinem gerade erschienenen Buch „Who we are and how we got here“ (Pan- theon), in dem er über die genetisch bun- te Geschichte der Menschheit schreibt, trotzdem behandelt – und sich damit gleich vehemente Kritik eingehandelt. Reich forscht seit Jahren über die mole- kulargenetische Geschichte von Homo sa- piens, unseren Ahnen und ausgestorbe- nen Verwandten. Er ist nicht nur einer der meistzitierten Forscher auf diesem Feld, sondern auch einer der vorsichtigs- ten. Er weiß, dass jede noch so gutgemein- te Forschung, etwa zu medizinisch rele- vanten Unterschieden zwischen Popula- tionen, zu pseudowissenschaftlichen, poli- tisch zwielichtigen oder gar rassistischen Zwecken missbraucht werden kann. Des- halb versucht er sich geradezu überdeut- lich von jeder Tendenz zu solchen Ver- wendungen abzugrenzen. Doch das nützt ihm nichts. Sein wenige Tage vor dem Er- scheinen des Buchs Ende März in der „New York Times“ publizierter Artikel „How genetics is changing our understan- ding of ,race“ löste eine Welle von Kom- mentaren aus. Als Reich einige Tage spä- ter mit einem weiteren Artikel auf sie rea- gierte, erschien gleichzeitig eine Replik von 68 Wissenschaftlern, in der Mehrzahl aus den Geistes- und Sozialwissenschaf- ten, auf Buzzfeed: „How not to talk about race and genetics“. Die Wellen schlagen hoch. Spätestens seit dem Buch des Anthro- pologen Ashley Montagu „Man’s most dangerous myth: the fallacy of race“ von 1942 setzte sich die orthodoxe Meinung – so nennt sie Reich – durch, dass „Rassen“ lediglich ein soziales Konstrukt seien und keine biologische Realität haben. Ein Bei- spiel für die damit angeschnittene Proble- matik wären etwa die unterschiedlichen Zuschreibungen von „black“ in den Verei- nigten Staaten, Brasilien und Südafrika. Die Datenlage zu dieser Frage wird aber zunehmend klarer. Genetische Unter- schiede innerhalb und zwischen ethni- schen Gruppen können immer genauer gemessen und – wenn auch sicher noch unvollständig – verstanden werden. Obwohl menschliche Populationen einander bemerkenswert ähnlich sind und der allergrößte Teil der genetischen Variation innerhalb und nicht zwischen ihnen zu finden ist, können sie dennoch oft klar genetisch voneinander unter- schieden werden. Firmen wie 23andme, mit der Reich zusammenarbeitet, und Ancestry.com liefern ihren Millionen von Kunden mehr oder weniger verlässli- che Informationen über die geographi- sche Herkunft ihrer Vorfahren, medizini- sche Aspekte und andere Merkmale und Eigenschaften. Problematik und Verläss- lichkeit solcher Analysen werden von Reich in seinem Buch ausführlich behan- delt. Doch die unbequeme Wahrheit, um die es Reich auch geht, ist, dass sozial konstruierte Rassenzuweisungen oft mit genetischen Unterschieden übereinstim- men. „Rassen“ seien demnach eben nicht nur ein rein kulturelles Konstrukt, sie spiegelten auch messbare genetische Unterschiede wider, die möglicherweise auch für physiologische und kognitive Unterschiede verantwortlich sein könn- ten. Reich plädiert für eine informierte Aus- einandersetzung mit solchen genetischen Erkenntnissen, gerade auch, damit sie nicht von Rassisten ausgenutzt werden können. Sie müssten die Basis für eine of- fene und wissenschaftliche Diskussion sein, denn ein Verschweigen dieser geneti- schen Unterschiede bedeute, den Kopf in den Sand zu stecken. So blauäugig betrat Reich ein Minenfeld. Dafür, dass er sich das im Unterschied zu anderen Humange- netikern traute, kann man ihm den Re- spekt nicht versagen. AXEL MEYER Der Autor ist Evolutionsbiologe und Genom- forscher an der Universität Konstanz. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Adams Apfel und Evas Erbe“ (C. Bertelsmann, 2015). Zurzeit ist er Fellow am Radcliffe Institute for Advanced Study an der Harvard University. Funkeln in den Tiefen des Weltalls Eine „Diät nach Gentyp“ bringt nichts. Ein einfacher Gentest von einem Wan- genabstrich könne einem sagen, wel- che Diät den größten Erfolg verspricht, so lautet die Idee dahinter – zumindest, sofern die Diät an den genetisch deter- minierten Stoffwechsel-Typus ange- passt sei. Gemeint ist entweder kohlen- hydratarme oder eher fettarme Kost. In einer Studie der Universität Stanford mit 609 übergewichtigen Erwachsenen nahmen die Teilnehmer im Schnitt gut 5,5 Kilo ab – gleich ob mit fettarmer Diät oder mit kohlenhydratarmer und unabhängig von ihrem Gentypus. „Das Geld für Gentests zum Abnehmen kann man sich sparen“, sagt Hans Hau- ner, Chef-Ernährungsmediziner an der Technischen Universität in München. „Gene spielen zwar eine Rolle, aber die Genetik ist viel zu kompliziert, als dass man das mit einem Test messen könn- te.“ Dauerhaft Gewicht verlieren kön- ne man nur mit einer Verhaltensände- rung. (fewi) Unerwünschte Nebenwirkungen sind vor allem bei älteren Menschen, die täglich viele Arzneien schlucken, häu- fig der Grund dafür, dass Noteinweisun- gen und nachfolgend stationäre Be- handlung in Kliniken notwendig wer- den. Bei 10 174 Behandlungsfällen in vier deutschen Kliniken über einen Be- obachtungszeitraum von einem Monat waren 665 Verdachtsfälle auf uner- wünschte Arzneimittelnebenwirkun- gen registriert worden. Das entspricht knapp 6,5 Prozent. Im „Deutsches Ärz- teblatt“ berichtet eine Gruppe um Julia Stingl von der Universität Bonn, dass in zwei Prozent der Einweisungen si- cher von Nebenwirkungen ausgegan- gen wird, beim größeren Rest konnte zumindest ein möglicher Zusammen- hang festgestellt werden. Oft handelt es sich um „Blutverdünner“ – um anmti- thrombotische Mittel – oder um Blut- drucksenker. (jom) Ist ein älterer Mensch depressiv, könn- te das ein Frühzeichen von Alzheimer sein – lange bevor es zu Gedächtnispro- blemen und Demenz kommt. In einer Harvard-Studie mussten 270 Senioren ohne Demenz jedes Jahr einen Test ma- chen, ob sie eine Depression bekom- men würden. Am Anfang bestimmten die Forscher mit Hirnaufnahmen die Menge an Amyloid im Gehirn, das sich dort typischerweise bei Alzheimer abla- gert. Fazit: Je mehr Amyloid bei einem Senior nachzuweisen war, desto depres- siver wurde er in den nächsten fünf Jah- ren. „Eine Depression scheint ein Früh- zeichen für Alzheimer zu sein“, sagt Ro- bert Pernecky, Psychiater an der Lud- wig-Maximilians-Universität in Mün- chen. „Das Amyloid stört vermutlich Netzwerke im Hirn, die unsere Emotio- nen kontrollieren.“ Unklar ist noch, ob die Betroffenen später alle Alzheimer bekommen. Sei ein Senior grundlos nie- dergeschlagen, solle man das abklären lassen. Pernecky: „Auch wenn er am Ende keine Alzheimer-Erkrankung hat, eine antidepressive Behandlung er- höht die Lebensqualität enorm.“ (fewi) Die Aufarbeitung und Verwertung von Elektroschrott ist nicht nur ökolo- gisch sinnvoll, sondern auch ökono- misch durchaus rentabel. Gefragte Me- talle wie Gold und Kupfer können in- zwischen merklich günstiger durch Re- cycling alter Elektrogeräte gewonnen werden als über den konventionellen Bergbau und anschließender Verhüt- tung. Das zeigt eine Studie einer chine- sisch-australischen Forschergruppe in der Zeitschrift „Environmental Science & Technology“. Jinhui Li von der Tsing- hua Universität in Peking und seine Kol- legen haben berechnet, dass der Preis von Gold oder Kupfer, die man in Chi- na mit modernen umweltschonenden Recyclingverfahren etwa aus alten Fernsehgeräten gewinnt, rund ein Zehntel des offiziellen Rohstoffpreises beträgt. Jedes Jahr fallen laut eines UN-Berichts weltweit rund 40 Millio- nen Tonnen Elektroschrott an, Ten- denz steigend. (mli) Antiwasserstoff und Wasserstoff scheinen sich, auch spektroskopisch ge- sehen, absolut identisch zu verhalten. Das ist der Befund einer Forschergrup- pe, die seit Jahren am europäischen For- schungszentrum Cern bei Genf mit im- mer ausgefeilteren Experimenten nach Unterschieden in den Eigenschaften von Materie und Antimaterie fahndet. Jeffrey Hangst von der Aarhus Univer- sity in Dänemark und seine Kollegen haben in ihrem jüngsten Experiment die Übergangsfrequenz zwischen zwei internen Zuständen – die sogenannte 1S-2S-Spektrallinie – im Antiwasser- stoff mit Laserstrahlen noch präziser vermessen. Und doch konnte man kei- ne Diskrepanz zum Wasserstoff feststel- len, schreiben die Forscher in „Nature“. Nun will man die Präzision weiter erhö- hen. Würde man dann auf eine Abwei- chung stoßen, wäre das ein untrügli- ches Zeichen dafür, dass ein fundamen- tales Symmetrieprinzip der Physik ver- letzt wäre. (mli) Homo sapiens ist offenkundig nicht nur entlang einer nördlichen Route aus Afrika ausgewandert, sondern hat sei- ne Heimat auch in südlicher Richtung über die Arabische Halbinsel verlassen. Das belegen Fossilien von Fingerkno- chen und Steinwerkzeugen, die in der Nefud-Wüste unweit von Al Wusta in Saudi-Arabien gefunden wurden. Wie die Forscher in „Nature Ecology & Evo- lution“ berichten, liegt das Alter der Funde bei rund 90 000 Jahren. (mli) Genetik im Zentrum einer neuen „Rassen“-Debatte Der Harvard-Forscher David Reich betritt ein Minenfeld Der markierte Stern ist neun Milliarden Lichtjahre entfernt. Sichtbar wird er nur durch den Gravitationslinseneffekt. Foto Esa, Nasa Wissen in Kürze Honigbiene saugt Nektar an einer blauen Borretschblüte. Foto Mauritius Images Astronomen haben mit dem Weltraumteleskop Hubble den bislang fernsten Stern entdeckt. Sein Flackern hat ihn verraten. Von Jan Hattenbach © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Alle Rechte vorbehalten. Zur Verfügung gestellt vom

[D1 VP PPI - 2] NUW/NUW/SEITE02 11.04 · SEITEN2·MITTWOCH,11.APRIL2018· NR.84FNaturundWissenschaft RANKFURTERALLGEMEINEZEITUNG ChemischeWaffensindimPflanzen-reichweitverbreitet.EinKüchenkraut

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Page 1: [D1 VP PPI - 2] NUW/NUW/SEITE02 11.04 · SEITEN2·MITTWOCH,11.APRIL2018· NR.84FNaturundWissenschaft RANKFURTERALLGEMEINEZEITUNG ChemischeWaffensindimPflanzen-reichweitverbreitet.EinKüchenkraut

SEITE N 2 · MITTWOCH, 11. APRIL 2018 · NR. 84 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGNatur und Wissenschaft

Chemische Waffen sind im Pflanzen-reich weit verbreitet. Ein Küchenkrautnamens Borretsch wehrt sich zum Bei-spiel mit Pyrrolizidinalkaloiden gegenhungrige Pflanzenfresser. Solche Toxinekönnen nicht nur die Leber schädigen.Indem sie das Erbgut verändern, kön-nen sie langfristig auch Krebs hervorru-fen. Toxikologen empfehlen deshalb,den Borretsch, wenn überhaupt, nursparsam in der Küche zu verwenden.Giftstoffe können in allen Pflanzenteilenstecken. Mitunter ist die Konzentrationin den Pollenkörnern sogar noch höherals in den Blättern. Für Insekten, die sicham Nektar laben und dabei Pollen vonBlüte zu Blüte tragen, spielt das keine Rol-le. Bienen sammeln jedoch große Pollen-mengen ein, um sich und ihren Nach-wuchs mit Proteinen zu versorgen. DassArbeiterinnen der Honigbiene auf Pyrro-lizidinalkaloide nicht sonderlich empfind-lich reagieren, haben jetzt SchweizerWis-senschaftler gezeigt. Als weitaus sensib-ler entpuppten sich hier die Larven. WieChristina Kast vom Zentrum für Bienen-forschung in Bern und ihre Kollegen her-ausfanden, ist die Bienenbrut trotzdemnicht inGefahr, durch Pyrrolizidinalkaloi-de vergiftet zu werden. Das Futter für dieLarven enthält nämlich nur minimaleToxinmengen.Als Pollenquelle diente der Pyrrolizi-

dinalkaloide produzierende Gewöhnli-che Natternkopf (Echium vulgare). Die-ser Vertreter der Borretschgewächse ge-deiht vor allem auf sandigem oder steini-gemBoden, nicht selten auch anWegrän-dern. Im Sommer präsentiert er wochen-lang Blüten, die rosarot aufblühen undsich dann allmählich blau färben. Schmet-terlinge besuchen den Natternkopf gern,um Nektar zu saugen, und Bienen fliegenebenfalls auf diese Blume. Außer Nek-tarsammeln sie dort auch Pollen. Deshalbstellt sich die Frage, wie schädlich ist dasgattungstypische PyrrolizidinalkaloidEchimidin für Honigbienen? Um das zuklären, haben Christina Kast und ihreKollegen Frühlingspollen, der nicht vonNatternkopfblüten stammte, aus den Bie-nenstöcken geholt. Später im Jahr wurdedieser Pollen mit dem Giftstoff des Nat-ternkopfs angereichert und an Honigbie-nen verfüttert, die gerade aus ihrer Pup-penhülle geschlüpft waren. Wie die For-scher in den „Proceedings of the Royal So-ciety B“ (doi: 10.1098/rspb.2017. 2849)berichten, nahm die Lebenserwartungder Bienen erst dann merklich ab, als sieals junge Arbeiterinnen etwa hundert Mi-krogramm Echimidin geschluckt hatten.Damit sich die Bienen eine derart hohe

Dosis einverleiben, müsste das gesamteVolk ausschließlich Pollen von Nattern-kopfblüten sammeln. Das ist jedoch un-realistisch, weil der Natternkopf nirgendsin Monokultur wächst.Jede einzelne Honigbiene spezialisiert

sich zwar gern auf eine bestimmte Artvon Blüten. Die vielen Sammlerinnen ei-nes Bienenvolks besuchen aber ganz ver-schiedene Blumen, die in der Umgebungblühen. Arbeiterinnen, die im Innen-dienst tätig sind, stellen aus dem gesam-melten Pollen sogenanntes Bienenbrother, indem sie diesen mit Honig vermen-gen. Pollenkörner unterschiedlicher Her-kunft werden dabei zwangsläufig ver-mischt. Von dem Bienenbrot zehrendann vor allem junge Arbeiterinnen, diesich der Brutpflege widmen. Dank solcheiweißreicher Verpflegung können siemit ihren Schlund- und Mandibeldrüsenein milchiges Sekret produzieren, soge-nannte Bienenmilch. Damit ernähren siedie Larven in den Brutwaben. KünftigeKöniginnen werden sogar ausschließlichmit dieser besonders bekömmlichen Kostgroßgezogen.Wenn die Arbeiterinnen mit dem Bie-

nenbrot auch eine Portion Pyrrolizi-dinalkaloide zu sich nehmen, ist zu erwar-ten, dass diese Giftstoffe auch in den Se-kreten der Schlund- und Mandibeldrüsenvorhanden sind. Wie viel von den Toxi-nen dort ankommt, wollten die Schwei-zer Wissenschaftler genauer erkunden.Deshalb mischten sie noch einmal Echi-midin ins Bienenbrot. Die Konzentrationentsprach in etwa jener, die in SchweizerBienenstöcken maximal aufgefunden

wurde. Arbeiterinnen, die sich von derartpräpariertem Futter ernährten, erzeug-ten erstaunlicherweise Bienenmilch, de-ren Echimidin-Konzentration aber unge-fähr nur ein Tausendstel davon betrug.Der Gehalt an Pyrrolizidinalkaloidenblieb somit weit unter dem Wert, der dieÜberlebenschancen der Bienenlarvenmerklich gemindert hätte.Die Brut mit den Produkten spezieller

Drüsen zu füttern, statt sie einfach mitPollen abzuspeisen, hat für die Honigbie-nen aber noch weitere Vorteile: Pollen-körner enthalten viel schwer Verdauli-ches, neben komplexen Kohlenhydratenauch die äußerst widerstandsfähigenKomponenten der Pollenwand. Ihnenkönnen die Verdauungsenzyme kaum et-was anhaben. Bienenmilch ist dagegenausgesprochen leicht verdaulich, wasnicht bloß die Entwicklung der Larven be-schleunigt. Weil nach dem Verdauungs-prozess nur wenig davon übrigbleibt, ha-ben es die Honigbienen leichter, die Brut-waben sauber zu halten. Durch die anti-mikrobielle Wirkung der Bienenmilch istdie darin herumschwimmende Larve au-ßerdem gut vor Infektionen geschützt.Die zahlreichen Arten von Wildbie-

nen, die sich in Europa tummeln, produ-zieren im Gegensatz zu den Honigbienenkein nahrhaftes Sekret. Stattdessen er-nähren sie ihre Brutmit einer Art Bienen-brot. Die Larvenmüssen alsomit demun-verminderten Giftstoffgehalt des Pollenszurechtkommen. Hummeln neigen frei-lich dazu,mehr als eine Blütensorte zu be-suchen. Wodurch sie die Konzentrationeinzelner Toxine wahrscheinlich inGren-zen halten. Auch die Königin, die imFrühjahr ihren Nachwuchs zunächst ganzallein versorgenmuss, trägt eine abwechs-lungsreiche Mischung verschiedenartigerPollenkörner nach Hause.Unter den Mauerbienen der Gattung

Osmia gibt es hingegen einige Arten, dieausschließlich Pollen des Natternkopfssammeln. Anscheinend haben sich dieseWildbienen im Laufe der Evolution mitden speziellen Pyrrolizidinalkaloiden desNatternkopfs arrangiert. Mit neuartigenInsektiziden wie den Neonikotinoidenkonfrontiert, sind Wildbienen aber eben-so überfordert wie Honigbienen. Andersals manche Insekten, gegen die sich dieSchädlingsbekämpfungsmittel eigentlichrichten, existieren Bienen nämlich nur inmäßig großen Populationen und ver-mehren sich eher langsam. Schlechte Vor-aussetzungen, um in absehbarer Zeit eingenetisches Outfit zu entwickeln, das re-sistent macht gegen die fraglichen Gift-stoffe. DIEMUT KLÄRNER

Mit Hilfe des von Albert Ein-stein vorhergesagten Gravita-tionslinseneffekts haben As-tronomen einen Stern in einer

rund neun Milliarden Lichtjahre entfern-ten Galaxie ausgemacht. „MACS J1149Lensed Star 1“, oder kurz „LS1“, ist damitder am weitesten entfernte jemals beob-achtete Stern. Eine zweite Astronomen-gruppe fandmit dem gleichenEffekt unab-hängig davon zwei weitere Sterne in eineranderen, nicht ganz soweit entferntenGa-laxie. Die beiden Arbeiten, jüngst veröf-fentlicht in der Fachzeitschrift „Nature As-tronomy“, stellen einenMeilenstein in derErforschung ferner und junger Galaxiendar (doi: 10.1038/s41550-018-0430-3 und10.1038/ s41550- 018-0405-4).Selbst mit den größten Teleskopen der

Welt sind einzelne Sterne normalerweisezu lichtschwach, um in derart großer Ent-fernung noch wahrgenommen werden zukönnen. Ausnahmen sind Sternexplosio-nen, etwa Supernovae, bei denen Sterneihre Leuchtkraft kurzfristig enorm stei-gern. „LS1“ ist aber ein recht normaler,wenngleich im Vergleich zur Sonne hei-ßer, blauer Riesenstern, berichten die As-tronomen umPatrickKelly von derUniver-sity of California in Berkeley in ihremAuf-satz. Sie fanden ihn beim Studium vonAuf-nahmen des massereichen Galaxienhau-fensMACS J1149+2223, die dasWeltraum-teleskop Hubble aufgenommen hatte. Die-ser Haufen, zu dem etliche Galaxien ähn-lich unserer Milchstraße gehören, ist denAstronomen als Gravitationslinse be-kannt: Seine enorme Schwerkraft verzerrtund verstärkt das Licht von weiter im Hin-tergrund liegenden, ferneren Galaxien.Im Jahr 2014 hatten Kelly und sein

Team so die erste von einer Gravitations-linse verstärkte Supernova gefunden. DasLicht dieser nach dem norwegischen As-tronomen Sjur Refsdal benannten Stern-explosion wurde durch die Wirkung desGalaxienhaufens auf mehrere unter-schiedliche Wege gelenkt, so dass die Su-pernova scheinbar mehrfach an verschie-denen Himmelspositionen aufleuchtete,und das im Abstand von mehreren Mona-

ten. Kelly und seine Kollegen untersuch-ten den Galaxienhaufen nach möglichenweiteren „Bildern“ der Supernova, als sieauf das flackernde Licht von LS1 stießen.Dass es sich hierbei nicht um eineweite-

re Sternexplosion handelte, erkannten dieForscher am Spektrum des Objekts, alsoan der Verteilung seiner Strahlung bei ver-schiedenen Energien: Bei einer Superno-va ändert sich diese im Laufe der Zeit. BeiLS1 hingegen blieb sie, wie bei einem nor-malen Stern, weitgehend konstant, ob-wohl sich die Helligkeit von LS1 recht ab-rupt änderte. Dieses Flackern erklärensich die Forscher deshalb durch sogenann-te „Mikrolinsenereignisse“: Zusätzlich zurWirkung der großräumig verteilten Mate-rie imGalaxienhaufen können kleine kom-pakte und bewegliche Objekte, etwa „Wol-ken“ aus Dunkler Materie, aus Sicht derErde vor dem ferneren Stern LS1 vorüber-ziehen. Dabei kommt es zu einer zusätzli-chen Linsenwirkung und damit zu einerVerstärkung des Sternenlichts um einenFaktor 2000 und mehr. Das Flackern ent-steht also nicht in LS1 selbst, sondern istFolge der variablenGravitationslinsenwir-kung des Galaxienhaufens.Auch die beiden Sterne, die Steven Rod-

ney von der amerikanischen UniversitätSouth Carolina und seine Mitarbeiter hin-ter einem anderen Galaxienhaufen fan-den, zeigten plötzliche Helligkeitsände-rungen. Hier sind sich die Forscher aller-dings nicht sicher, ob diese ebenfallsdurchMikrolinsen oder doch durch Verän-derungen der Sterne selbst ausgelöst wer-den. Womöglich handelt es sich bei die-sen Objekten um besonders leuchtkräfti-ge veränderliche Sterne oder um soge-nannte wiederkehrende Novae, also Vor-läufer späterer Supernovae. Die Datenla-ge reiche in diesem Fall nicht aus, umeine eindeutige Entscheidung zu treffen,erklären Rodney und seine Kollegen.Beide Entdeckungen haben für die As-

tronomie herausragende Bedeutung: Siedemonstrieren, dass esmit Hilfe desGravi-tationslinseneffekts möglich ist, einzelneSterne in extrem weit entfernten Galaxienzu untersuchen. Im kommenden Jahrzehntwerden neue automatisierte Großtelesko-pe in Betrieb gehen, die den gesamtenHim-melmit hoher Empfindlichkeit regelmäßigabfotografieren werden. Diese dürftenzahlreiche weitere solcher exotischen Ob-jekte finden. DerenUntersuchung – dieAr-beiten von Kelly, Rodney und ihren Mit-streitern sind da nur der Anfang – könntenwichtige Fragen der gegenwärtigen Astro-nomie klären. So hoffen Forscher nichtnur auf neue Erkenntnisse über die Ent-wicklung von Sternen in der Frühzeit desUniversums, sondern auch darauf, zu er-fahren, was es mit der rätselhaften Dunk-len Materie auf sich hat, von der die gro-ßen Galaxienhaufen regiert werden.

Nur das Beste für den NachwuchsHonigbienen füttern ihre Larven mit einer besonderen Pollenkost

In den letzten zwanzig Jahren fand eineatemberaubende wissenschaftliche Revo-lution in der Genomik statt: sowohl bezüg-lich der Methoden der Datensammlungwie auch der Analysen der riesigen Daten-mengen. Sie führte nicht nur zu einembesseren Verständnis unseres Genoms,auch die Geschichte des Homo sapiensmusste umgeschrieben werden. Die Se-quenzierung ausgestorbener Verwandterwie der Neandertaler und der Denisovanszeigt, dass deren genetische Spuren nochheute wegen Genaustausch in unseremGenom zu finden sind. Auch Wanderun-gen, Verdrängungen und Durchmischun-gen von Populationen über die letztenJahrtausende lassen sich an Genomver-gleichen ablesen.Es gibt Probleme in der Genetik, von

denen man als Forscher aber besser dieFinger lässt. Dazu gehört jedenfalls einThema wie „Rasse und Genetik“. DavidReich von der Harvard-Universität hat esin seinem gerade erschienenen Buch„Who we are and how we got here“ (Pan-theon), in dem er über die genetisch bun-te Geschichte der Menschheit schreibt,trotzdem behandelt – und sich damitgleich vehemente Kritik eingehandelt.Reich forscht seit Jahren über die mole-

kulargenetische Geschichte von Homo sa-piens, unseren Ahnen und ausgestorbe-nen Verwandten. Er ist nicht nur einerder meistzitierten Forscher auf diesemFeld, sondern auch einer der vorsichtigs-ten. Er weiß, dass jede noch so gutgemein-te Forschung, etwa zu medizinisch rele-vanten Unterschieden zwischen Popula-tionen, zu pseudowissenschaftlichen, poli-tisch zwielichtigen oder gar rassistischenZwecken missbraucht werden kann. Des-halb versucht er sich geradezu überdeut-lich von jeder Tendenz zu solchen Ver-wendungen abzugrenzen. Doch das nütztihm nichts. Sein wenige Tage vor dem Er-scheinen des Buchs Ende März in der„New York Times“ publizierter Artikel„How genetics is changing our understan-ding of ,race‘“ löste eine Welle von Kom-mentaren aus. Als Reich einige Tage spä-ter mit einemweiteren Artikel auf sie rea-gierte, erschien gleichzeitig eine Replikvon 68Wissenschaftlern, in der Mehrzahlaus den Geistes- und Sozialwissenschaf-ten, auf Buzzfeed: „How not to talk aboutrace and genetics“. Die Wellen schlagenhoch.Spätestens seit dem Buch des Anthro-

pologen Ashley Montagu „Man’s most

dangerous myth: the fallacy of race“ von1942 setzte sich die orthodoxe Meinung –so nennt sie Reich – durch, dass „Rassen“lediglich ein soziales Konstrukt seien undkeine biologische Realität haben. Ein Bei-spiel für die damit angeschnittene Proble-matik wären etwa die unterschiedlichenZuschreibungen von „black“ in den Verei-nigten Staaten, Brasilien und Südafrika.Die Datenlage zu dieser Frage wird aberzunehmend klarer. Genetische Unter-schiede innerhalb und zwischen ethni-schen Gruppen können immer genauergemessen und – wenn auch sicher nochunvollständig – verstanden werden.Obwohl menschliche Populationen

einander bemerkenswert ähnlich sindund der allergrößte Teil der genetischenVariation innerhalb und nicht zwischenihnen zu finden ist, können sie dennochoft klar genetisch voneinander unter-schieden werden. Firmen wie 23andme,mit der Reich zusammenarbeitet, undAncestry.com liefern ihren Millionenvon Kunden mehr oder weniger verlässli-che Informationen über die geographi-sche Herkunft ihrer Vorfahren, medizini-sche Aspekte und andere Merkmale undEigenschaften. Problematik und Verläss-lichkeit solcher Analysen werden vonReich in seinem Buch ausführlich behan-delt. Doch die unbequeme Wahrheit, umdie es Reich auch geht, ist, dass sozialkonstruierte Rassenzuweisungen oft mitgenetischen Unterschieden übereinstim-men. „Rassen“ seien demnach ebennicht nur ein rein kulturelles Konstrukt,sie spiegelten auch messbare genetischeUnterschiede wider, die möglicherweiseauch für physiologische und kognitiveUnterschiede verantwortlich sein könn-ten.Reich plädiert für eine informierte Aus-

einandersetzung mit solchen genetischenErkenntnissen, gerade auch, damit sienicht von Rassisten ausgenutzt werdenkönnen. Sie müssten die Basis für eine of-fene und wissenschaftliche Diskussionsein, denn ein Verschweigen dieser geneti-schen Unterschiede bedeute, den Kopf inden Sand zu stecken. So blauäugig betratReich ein Minenfeld. Dafür, dass er sichdas imUnterschied zu anderen Humange-netikern traute, kann man ihm den Re-spekt nicht versagen. AXEL MEYER

Der Autor ist Evolutionsbiologe und Genom-forscher an der Universität Konstanz. Zuletzterschien von ihm das Buch „Adams Apfel und EvasErbe“ (C. Bertelsmann, 2015). Zurzeit ist er Fellowam Radcliffe Institute for Advanced Study an derHarvard University.

Funkeln in den Tiefen desWeltallsEine „Diät nach Gentyp“ bringt nichts.Ein einfacher Gentest von einem Wan-genabstrich könne einem sagen, wel-che Diät den größten Erfolg verspricht,so lautet die Idee dahinter – zumindest,sofern die Diät an den genetisch deter-minierten Stoffwechsel-Typus ange-passt sei. Gemeint ist entweder kohlen-hydratarme oder eher fettarme Kost. Ineiner Studie der Universität Stanfordmit 609 übergewichtigen Erwachsenennahmen die Teilnehmer im Schnitt gut5,5 Kilo ab – gleich ob mit fettarmerDiät oder mit kohlenhydratarmer undunabhängig von ihrem Gentypus. „DasGeld für Gentests zum Abnehmenkann man sich sparen“, sagt Hans Hau-ner, Chef-Ernährungsmediziner an derTechnischen Universität in München.„Gene spielen zwar eine Rolle, aber dieGenetik ist viel zu kompliziert, als dassman das mit einem Test messen könn-te.“ Dauerhaft Gewicht verlieren kön-ne man nur mit einer Verhaltensände-rung. (fewi)

Unerwünschte Nebenwirkungen sindvor allem bei älteren Menschen, dietäglich viele Arzneien schlucken, häu-fig derGrund dafür, dass Noteinweisun-gen und nachfolgend stationäre Be-handlung in Kliniken notwendig wer-den. Bei 10 174 Behandlungsfällen invier deutschen Kliniken über einen Be-obachtungszeitraum von einem Monatwaren 665 Verdachtsfälle auf uner-wünschte Arzneimittelnebenwirkun-gen registriert worden. Das entsprichtknapp 6,5 Prozent. Im „Deutsches Ärz-teblatt“ berichtet eine Gruppe um JuliaStingl von der Universität Bonn, dassin zwei Prozent der Einweisungen si-cher von Nebenwirkungen ausgegan-gen wird, beim größeren Rest konntezumindest ein möglicher Zusammen-hang festgestellt werden. Oft handelt essich um „Blutverdünner“ – um anmti-thrombotische Mittel – oder um Blut-drucksenker. (jom)

Ist ein älterer Mensch depressiv, könn-te das ein Frühzeichen von Alzheimersein – lange bevor es zu Gedächtnispro-blemen und Demenz kommt. In einerHarvard-Studie mussten 270 SeniorenohneDemenz jedes Jahr einen Test ma-chen, ob sie eine Depression bekom-men würden. Am Anfang bestimmtendie Forscher mit Hirnaufnahmen dieMenge an Amyloid im Gehirn, das sichdort typischerweise bei Alzheimer abla-gert. Fazit: Je mehr Amyloid bei einemSenior nachzuweisen war, desto depres-siver wurde er in den nächsten fünf Jah-ren. „Eine Depression scheint ein Früh-zeichen für Alzheimer zu sein“, sagt Ro-bert Pernecky, Psychiater an der Lud-wig-Maximilians-Universität in Mün-chen. „Das Amyloid stört vermutlichNetzwerke im Hirn, die unsere Emotio-nen kontrollieren.“ Unklar ist noch, obdie Betroffenen später alle Alzheimerbekommen. Sei ein Senior grundlos nie-dergeschlagen, solle man das abklärenlassen. Pernecky: „Auch wenn er amEnde keine Alzheimer-Erkrankunghat, eine antidepressive Behandlung er-höht die Lebensqualität enorm.“ (fewi)

Die Aufarbeitung und Verwertungvon Elektroschrott ist nicht nur ökolo-gisch sinnvoll, sondern auch ökono-misch durchaus rentabel. Gefragte Me-talle wie Gold und Kupfer können in-zwischen merklich günstiger durch Re-cycling alter Elektrogeräte gewonnenwerden als über den konventionellenBergbau und anschließender Verhüt-tung. Das zeigt eine Studie einer chine-sisch-australischen Forschergruppe inder Zeitschrift „Environmental Science&Technology“. Jinhui Li von der Tsing-huaUniversität in Peking und seine Kol-legen haben berechnet, dass der Preisvon Gold oder Kupfer, die man in Chi-na mit modernen umweltschonendenRecyclingverfahren etwa aus altenFernsehgeräten gewinnt, rund einZehntel des offiziellen Rohstoffpreisesbeträgt. Jedes Jahr fallen laut einesUN-Berichts weltweit rund 40 Millio-nen Tonnen Elektroschrott an, Ten-denz steigend. (mli)

Antiwasserstoff und Wasserstoffscheinen sich, auch spektroskopisch ge-sehen, absolut identisch zu verhalten.Das ist der Befund einer Forschergrup-pe, die seit Jahren am europäischen For-schungszentrum Cern bei Genf mit im-mer ausgefeilteren Experimenten nachUnterschieden in den Eigenschaftenvon Materie und Antimaterie fahndet.Jeffrey Hangst von der Aarhus Univer-sity in Dänemark und seine Kollegenhaben in ihrem jüngsten Experimentdie Übergangsfrequenz zwischen zweiinternen Zuständen – die sogenannte1S-2S-Spektrallinie – im Antiwasser-stoff mit Laserstrahlen noch präziservermessen. Und doch konnte man kei-neDiskrepanz zumWasserstoff feststel-len, schreiben die Forscher in „Nature“.Nunwill man die Präzision weiter erhö-hen. Würde man dann auf eine Abwei-chung stoßen, wäre das ein untrügli-ches Zeichen dafür, dass ein fundamen-tales Symmetrieprinzip der Physik ver-letzt wäre. (mli)

Homo sapiens ist offenkundig nichtnur entlang einer nördlichen Route ausAfrika ausgewandert, sondern hat sei-ne Heimat auch in südlicher Richtungüber die Arabische Halbinsel verlassen.Das belegen Fossilien von Fingerkno-chen und Steinwerkzeugen, die in derNefud-Wüste unweit von Al Wusta inSaudi-Arabien gefunden wurden. Wiedie Forscher in „Nature Ecology&Evo-lution“ berichten, liegt das Alter derFunde bei rund 90 000 Jahren. (mli)

Genetik im Zentrum einerneuen „Rassen“-DebatteDer Harvard-Forscher David Reich betritt ein Minenfeld

Der markierte Stern ist neun Milliarden Lichtjahre entfernt. Sichtbar wird er nur durch den Gravitationslinseneffekt. Foto Esa, Nasa

Wissen in Kürze

Honigbiene saugt Nektar an einerblauen Borretschblüte. Foto Mauritius Images

Astronomen haben mitdem WeltraumteleskopHubble den bislangfernsten Stern entdeckt.Sein Flackern hat ihnverraten.

Von Jan Hattenbach

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