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SIEBENTES KAPITEL Das Ende des Aufstandes / Der Schwerpunkt des bewaffneten Kampfes lag am 25. Okto- ber im Gebiet von Wandsbek-Gartenstadt. Der Kampf löste sich nun in eine Vielzahl kleinerer Gefechte auf. Wie am Vor- tage, so kam es den proletarischen Kampfgruppen auch weiter- hin nichtdarauf an, Stellung-en unter allen Umständen zu hal- ten. Hauptmethode blieb der ständige Stellungswechsel. Dort, wo Konzentration feindlicher übermacht und vernichtender Angriff drohten, wichen die Arbeiter aus und lieferten an anderen Punkten, WQ weniger starke Polizeikräfte eingesetzt waren, kleinere Feuergefechte.' Indem sie so die Polizei be- unruhigten, sicherten sie sich nach wie vor Bewegungsfreiheit für den weiteren Rückzug. Nachdem gegen Morgen dieses Tages das Feuer der Dach- schützen im ganzen Barmbecker Kampfgebiet verstummt war, rückte die hamburgische Ordnungspolizei vorsichtig in das Barrikadengebiet von Bramfeld-Hellbrook ein; die bewaffne- ten Arbeiter, die sie suchte, hatten sich im Laufe der Nacht planmäßig in Richtung Schiffbek abgesetzt. Die werktätige Bevölkerung lachte über den getäuschten Feind. Das war für die Polizisten ein Anlaß mehr, sich nun auf diese wehrlosen Einwohner zu stürzen. Bloßer Verdacht genügte, um die Ein- richtung einer Arbeiterwohnung auf den Kopf zu stellen. Jede beliebige Denunziation reaktionärer Elemente, die jetzt aus ,-- 1 Siehe j.Hamburgischer Correspondent" Nr.499 vom 25. Oktober 1923 und .Hamburger Volkszeitung" Nr. 241 vom 22. Oktober 1927.

Das Ende des Aufstandesciml.250x.com/archive/events/german/hamburger_aufstand...1 Siehe "Hamburgischer Correspondent" Nr. 501 vom 26. Oktober 1923. Die Behauptung, die Werktätigen

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SIEBENTES KAPITEL

Das Ende des Aufstandes

/

Der Schwerpunkt des bewaffneten Kampfes lag am 25. Okto-ber im Gebiet von Wandsbek-Gartenstadt. Der Kampf löstesich nun in eine Vielzahl kleinerer Gefechte auf. Wie am Vor-tage, so kam es den proletarischen Kampfgruppen auch weiter-hin nichtdarauf an, Stellung-en unter allen Umständen zu hal-ten. Hauptmethode blieb der ständige Stellungswechsel. Dort,wo Konzentration feindlicher übermacht und vernichtenderAngriff drohten, wichen die Arbeiter aus und lieferten ananderen Punkten, WQ weniger starke Polizeikräfte eingesetztwaren, kleinere Feuergefechte.' Indem sie so die Polizei be-unruhigten, sicherten sie sich nach wie vor Bewegungsfreiheitfür den weiteren Rückzug.

Nachdem gegen Morgen dieses Tages das Feuer der Dach-schützen im ganzen Barmbecker Kampfgebiet verstummt war,rückte die hamburgische Ordnungspolizei vorsichtig in dasBarrikadengebiet von Bramfeld-Hellbrook ein; die bewaffne-ten Arbeiter, die sie suchte, hatten sich im Laufe der Nachtplanmäßig in Richtung Schiffbek abgesetzt. Die werktätigeBevölkerung lachte über den getäuschten Feind. Das war fürdie Polizisten ein Anlaß mehr, sich nun auf diese wehrlosenEinwohner zu stürzen. Bloßer Verdacht genügte, um die Ein-richtung einer Arbeiterwohnung auf den Kopf zu stellen. Jedebeliebige Denunziation reaktionärer Elemente, die jetzt aus

,--1 Siehe j.Hamburgischer Correspondent" Nr.499 vom 25. Oktober 1923

und .Hamburger Volkszeitung" Nr. 241 vom 22. Oktober 1927.

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ihren vyohnungen herauskamen, war der Polizei Grund ge-nug; Arbeiter zu verhaften.' Während des ganzen Tages zogenPolizisten mit verhafteten Werktätigen durch die Straßen.Wen sie in das überfüllte Untersuchungsgefängnis warfen,kam so bald nicht wieder.

Gleichzeitig mit dem Vorgehen der hamburgischen Ord-nungspolizei gegen Bramfeld setzte das Altonaer Polizeiprä-sidium Verbände preußischer Schutzpolizei zum Angriff aufdie Stellungen im Gebiet von Wandsbek-Gartenstadt ein. IhrHauptstoß richtete sich gegen die Bahnhöfe Wandsbek-Gar-tenstadt und Hinsehenfelde, die noch immer von Aufständi-schen besetzt waren. Die Kampfgruppen leisteten hier keinenWiderstand, sie ,zogen sich zurück. Nachdem die Polizei dieseBahnhöfe und den Kaiserpark "gesäubert" hatte, verkündetesie, daß nunmehr auch in Gartenstadt und Wandsbek für "Ord-nung" gesorgt sei. Diese Behauptung erwies sich jedoch alsvoreilig. Noch am Nachmittag lebte in diesem Gebiet dieKampf tätigkeit wieder auf, und auch i'h Bramfeld rührten sicherneut die Aufständischen." Dieses ständige Hin und Her hin-derte die hamburgische Polizei an systematischer Verfolgungder bewaffneten Arbeiter. Daran änderten auch nichts dieVerstärkungen, die das Altonaer Polizeipräsidium in dasKampfgebiet schickte.Die Polizisten durchkämmten die Schre-bergärten, fanden zwar einige Waffen, bekamen aber nichtdas Gros der Kampfgruppen zu fassen.

In Hammerbrook schossen Dachschützen auch noch am drit-ten Tag des Aufstandes." Mit besonderer Stärke flammte derKampf im benachbarten Harburg auf. Hier stürmten in derInnenstadt werktätige Massen von einer Straße zur anderen,~ehe "Hamburger Volkszeitung" Nr. 186 vom 23, Oktober 1924.

2 Siehe .Hamburgischer Correspondent" Nr, 500 vom 26. Oktober 1923,"Die Zeit" Nr.249 vom 27. Oktober 1923 und IML, Archiv, Nr.12/42,Denkschrift, S. 29.

3 Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, Denkschrift, S. 3L

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wälzten hier und da schwere Lastkraftwagen zu Barrikadenum, bewarfen Polizeimannschaften mit Steinen und griffenschließlich eine Polizeiwache an. MitdemRuf: "Waffen holen!"stürmten junge Arbeiter zwei Waffenläden und nahmen dann .in den Straßen den bewaffneten Kampf gegen die Polizei aufAls die Demonstranten durch das rücksichtslose Feuer der Poli-zei von den Straßen vertrieben wurden, zogen sich bewaffneteWerktätige in Häuser zurück und führten von dort aus denKampf weiter. Die spontane, unorganisierte Kampfweise dieserSchützen ermöglichte es jedoch der Polizei, bald Herr der Lagezu werden. 3 Tote und etwa 18 Verwundete kostete dieserKampf die Werktätigen. 1

Nach den vorliegenden Quellen gab es am 25. Oktober inHamburg nur noch wenige Menschenansammlungen. Der Rück-zug der Aufständischen veranlaßte die Mehrzahl der Werk-tätigen zu abwartender Haltung. Sie blieben aber kampfbereit;das ist das Besondere bei diesem Aufstand. überall hörte manWerktätige mit Hochachtung von den mutigen Kommunistensprechen." Der Haß auf die Ordnungspolizei wuchs. In einemFalle demonstrierten Arbeiter der Polizei handgreiflich, daßsie nach den Erfahrungen der vorangegangenen Tage nichtmehr gewillt waren, polizeilicher Drohung tatenlos zu weichen.Als Polizisten auf dem Heiligengeistfelde eine Ansammlungvon etwa 700 Werktätigen auseinaridersprengen wollten, for-derte eine Arbeiterfrau die Versammelten zum. Widerstandauf: "Laßt euch von diesen Rotzjungen, die nur Menschen tot-schießen können, nicht fortjagen!"3 Sogleich stürzte sich die

1 Siehe "Hamburgischer Correspondent" Nr. 501 vom 26. Oktober1923. Die Behauptung, die Werktätigen hätten zuerst das Feuer eröffnet,ist fragwürdig. Da die Polizei anscheinend keine Opfer hatte, darf manwohl annehmen, daß der Kampf überhaupt erst durch ein rücksichtslosesHineinschießen in die Demonstration verursacht wurde. .

2 Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, BI. 196.S "Hamburgisme, Correspondent" Nr. 531 vom 13. November 1923.

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Menge auf die Polizisten und umklammerte ihre Gewehre.Einigen Beamten gelang es dennoch zu schießen und Dernon-stranten zu verletzen. Auf dem Gänsemarkt trat ein Rangierervor einen Polizeiposten, nahm die Mütze ab und rief haßerfüllt:"Hier schießt! Mörderl"l Ein Schlosser forderte in Eimsbüttelin einer öffentlichen Diskussion über die Vorgänge, die sicham Vortage auf dem Heiligengeistfelde abgespielt 'hatten,man müsse die Sipos und Schutzleute erschießen."

Im Hafengebiet. wo die Polizei am Mittwoch wegen solcherRufe regelrechte Jagden veranstaltet hatte, verstummtenjedoch die haßerfüllten Stimmen.' Die Streikenden standen inGruppen umher und warteten, wie sich die Dinge entwickelnwürden. Die sozialdemokratische Parole, die Arbeit wieder-aufzunehmen, lehnten sie ab. Sie befolgten den Rat der Kom-munisten, die ihnen vorgeschlagen hatten, den Streik einst-weilen weiterzufiihren.P Der Senat; der eine Ausdehnung desStreiks auf die Staatsbetriebe befürchtete, hielt es für notwen-dig, die Angestellten und Arbeiter dieser Betriebe mit Drohun-gen zu schrecken. Beschäftigte in Verwaltungen und Staats-betrieben, so hieß es in einer Anordnung des Senats, diein denStreik träten oder zum Streik aufforderten, würden fristlosentlassen und nicht wieder eingestellt. Es könne nicht zugelas-sen werden, daß die allgemeine Not der Bevölkerung durchStreik in den Staatsbetrieben gemehrt werde.' Hier zeigte sichsinnfällig die immer wieder angewandte Demagogie der Aus-beuterklasse. Erst verdammte man die Ausgebeuteten durchdie Inflation zum Hunger, und als sich das Volk mit der Waffedes Streiks gegen die Aushungerung wehrte, klagte man es derOrganisierung des größeren Hungers an.

1 "Hamburgischer Correspondent" Nr. 514 vom 3. November 1923.2 Siehe "Hamburgischer Correspondent" Nr. 535 vom 15. November 1923,3 Siehe "Hamburger Echo" Nr, 299 vom 29. Oktober 1923.« Siehe "Hamburgischer Correspondent". Nr. 499 vom 25. Oktober 1923.

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Die mißlungene Vernichtung der bewaffneten Arbeiter unddie ungebrochene Kampfbereitschaft der Werktätigen veran-laßte die hamburgische Bourgeoisie zu der angstvollen Mah-nung an die Adresse der Polizei, strenge Vernichtungs- undUnterdrückungsmaßnahmen anzuwenden. Der Kommunismus,schrieb der "Hamburgische Correspondent" in seiner Abend-ausgabe am 25. Oktober 1923, sei mit der Waffe geschlagen,aber damit verschwinde keineswegs die "bolschewistische Ge-fahr". Nach der gewonnenen Schlacht müsse man wie imKriege den Gegner bis zur völligen Vernichtung verfolgen.Es dürfe keine Rückkehr zur Humanitätsduselei geben. Viel-mehr sei ein Exempel zu statuieren, das man nicht so leicht ver-gesse. Ein Sondergericht mit steifem Rückgrat und stählernemHerzen, Verbot der KPD und ihrer Presse, Ausschaltung derkommunistischen Parlamentsabgeordneten und nicht zuletztsystematische und energische Entwaffnung der Arbeiterklassewaren die hauptsächlichsten Forderungen des Organs derBankiers und Industriellen. Die parlamentarische Immunitätgebe den kommunistischen Führern noch immer einen Nimbus,der die Massen auf den Straßen dazu veranlassen könnte, sich

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mit Gewalt der Verhaftung der kommunistischen Führer zuwidersetzen. "überhaupt hüte man sich" , hieß es weiter in demBlatt, "die aus verständlichen Gründen optimistisch gehaltenenamtlichen Berichte über die Niederkämpfung des Putsches be-reits durchweg als Beweis des endgültigen Sieges zu betrachten.Unter der Asche des gedämpften Feuers glimmen hochgefähr-liche Funken, die jedes Zögern in der versprochenen Beschaf-I

fung von Geld und Brot, jeder Mißgriff in der Handhabungder zugesagten Abhilfemittel wieder zu neuem Aufflackernder Flammen bringen kann. "1

Naturgemäß fehlte an diesem Tage in der bürgerlichen undsozialdemokratischen Presse nicht die Lüge von der feigen

1 Ebenda.

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Flucht und jämmerlichen Drückebergerei der kommunistischenFührer.' Wie schon sooft, versuchte die herrschende Klasseauch jetzt, durch Verleumdung der revolutionären Arbeiter-führer Mißtrauen und Unsicherheit in das werktätige Volk zutragen.

Währenddessen berieten solche angeblich Geflüchteten inHammerbrookunter dem Vorsitz von Ernst Thälmann die ent-

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standene Lage und die nächsten Aufgaben. Leidenschaftlichwurde noch einmal der bisherige Verlauf des Aufstandes dis-kutiert. Zornig kritisierte Ernst Thälmann die desorientie-rende Tätigkeit verschiedener Funktionäre, unerbittlich zog erdie Mitglieder der Hamburger militärischen Leitung zur Ver-antwortung. Um der hamburgischen Bourgeoisie, die jetzt.lautund offen nach Vernichtung der Barrikadenkämpfer schrie,auch keinen einzigen bewaffneten Kämpfer in die Hände fal-len zu lassen, beschlossen die Versammelten; das Feuer in derkommenden Nacht völlig einzustellen.s Das war notwendig,weil die Arbeiter im übrigen Deutschland selbst auf das flam-mende Hamburger Signal hin nicht zum bewaffneten Kampfübergegangen waren. Obgleich die spontane Rebellion derMassen seit dem 24. Oktober im übrigen Deutschland mäch-tig gewachsen war, hatte der revolutionäre Kern in der Zen-trale der KPD trotz tagelanger Diskussionen keinen Beschlußüber den sofortigen Beginn des allgemeinen bewaffneten Auf-standes herbeiführen können. Weil im Spätsommer und Herbst1923 die rechtsopportunistische Brandler-Gruppe darauf hin-gearbeitet hatte, den bewaffneten Kampf zu vermeiden oderhinauszuschieben, blieben zur Zeit des Hamburger Aufstandesin Deutschland trotz der Kampfbereitschaft des fortgeschritten-sten Teils der Arbeiterklasse jene starken revolutionären

1 Siehe ebenda und »Hamburger Echo" Nr. 295 vom 25. Oktober 1923.2. Nach mündlichen Auskünften der Aufstandsteilnehmer A. Sch., F. D.,

J. v. B.

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Massenaktionen aus, die notwendig gewesen wären, um dieherrschende Ausbeuterklasse zu stürzen.

Ernst Thälmann ordnete an, allen Kampfgruppen sofort mit-zuteilen, daß sie den Kampf abbrechen und sich mit den Waf-fen zurückziehen sollen.' Es gelang den Barrikadenkämpfern.sich.ohne größere Verluste vom Feinde zu lösen."

Unterdessen sperrte die Polizei in den ehemaligen Kampf-gebieten ganze Straßenzüge, durchwühlte die Häuser nachrevolutionären Arbeitern und Waffen. Wo sie ihre Opfer nichtselbst aufspürte, halfen ihr die Denunziationen bürgerlicherElemente. Fast keine Arbeiterwohnung blieb vor roher Gewaltverschont. Wer es in den Tagen des Aufstandes je gewagthatte, offen mit den Barrikadenkämpfern zu sympathisieren,bekam nicht selten rasende Wut zu spüren. Schläge und Fuß-tritte wechselten so lange, bis ein "Geständnis" erpreßt war;3Quälereien und Beschimpfungen begleiteten die Verhafteten.bis zum Untersuchungsgefängnis, und auch dort fanden siezunächst menschenunwürdige Behandlung+

.Kein Gewissen hemmte anscheinend die Beamten, die dasHaus des 7.3jährigen Kommunisten Lewin durchsuchten. "DuSchweinehund, du Satan!" brüllten ihn die Polizisten an. Dannprasselten Schläge, der Greis wurde mit Fußtritten vor dieTür gestoßen, wo er blutend zusammenbrach. Waffen sucheman, so hieß es; aber kein Wort, kein Laut rang sich über dieLippen des zusammengeschlagenen Alten. Die Polizisten zer-

1 Nach mündlichen Auskünften der Aufstandsteilnehmer F. D., H. K.2 Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, Denkschrift, S.28 und "Die Kommu-

nistische Internationale", Fünfter Jahrgang, Nr.31-32, S. 161.s Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, BI. 244.4 Siehe "Hamburger Echo" Nr. 299 vom 29. Oktober 1923. Die Be-

handlung der Gefangenen des "letzten Putsches", schrieb man in diesemBlatt, habe zu Zuschriften und Klagen geführt. Die Erregung der Beamtendürfe nicht in Mißhandlungen wehrloser Gefangener ausarten. Daher habedie sozialdemokratische Bürgerschaftsfraktion sofort eine Untersuchungs-kommission eingesetzt.

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schlugen Möbel, zerstörten das Strohdach des Hauses, ver-schmutzten das Brunnenwasser, fanden aber weder Munitionnoch Waffen. Dann packten einige Beamte den Bewußtlosenund warfen ihn wie ein Stück Holz auf ein Lastauto. Nach..kurzer Fahrt gab es vor einem Vergnügungslokal einen län-geren Aufenthalt. Polizisten kamen herbei, holten den Greisvom Wagen, weckten ihn aus der Ohnmacht. Wo denn dieWaffen und die Genossen seien, brüllte ein Offizier. Der Greisschwieg. Wütend schlug ihn der Offizier ins Gesicht. Als erdarauf den Verhafteten fragte, wo die Banditen gebliebenseien, die die Polizisten erschossen hätten und wo sich dasMaschinengewehr befinde, antwortete ihm der Kommunist: Erkenne keine Banditen, nur Genossen, und die verrate er nicht.Ein Wutschrei war das Echo dieser Worte. Schläge und Fuß,tritte hagelten so lange auf den Wehrlosen, bis er in einerBlutlache lag. An Haar und Bart zerrte man ihn wiederaufs Auto, fuhr ins Gefängnis und warf ihn in den Kellerflur,aus dem der Greis nach zwei Tagen als Leiche herausgeholtwurde. Herzschlag, verursacht durch Altersschwäche, konsta-tierten zynisch Polizei- und Privatarzt. Kein Kapitalist, keinVSPD-Führer .erhob Protest, es war ja ein Kommunist, dererschlagen worden war.' Alle Unmenschlichkeiten, deren dieBourgeoisie die Kommunisten bezichtigte, verübten die Kapi-talistenbüttel, wie so oft, in Wirklichkeit selbst.

Aber die wachsende Erregung der Massen setzte dem blut-rünstigen Treiben bald Grenzen. Am 25. Oktober rebellierteein großer Teil derHamburger VSPD-Mitglieder gegen dieParteiführung. Selbst dem Vorsitzenden der VSPD, OttoWels,der an diesem Tage in Hamburg sprach, gelang es nicht, dieHamburger Anhänger seiner Partei zu beschwichtigen. EinMassensterben anderer Art, als es Rußland erlebt habe, stehebevor, sagte er in einer sozialdemokratischen Funktionärver-~ehe "Hamburger Volkszeitung" Nr. 246 vom 23. Oktober 1929.

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sammlung. überall komme es zu Verzweiflungs akten. Das seider Notschrei der gepeinigten Kreatur. Loslösungsbestrebungenan allen Ecken und Enden und Flucht der Industrie sowie derLandwirtschaft aus dem Bereich der Papiermark, das allesstehe unter dem Motto: Rette sich, wer kann. Wer aber beidarniederliegender Produktion die Arbeiter zum Generalstreikaus den Betrieben heraushole, gebe die Arbeiter nur der Will-kür der Unternehmer preis. Den Kapitalisten, die ihre Ge-winne in Sicherheit gebracht hätten, könne das nur recht sein.Stresemann versuche immer, die Wirtschaftskreise zu Hilfs-aktionen zu veranlassen. Er, Wels, habe, so versuchte er dieerregten Zwischenrufer zu besänftigen, Stresemann empfohlen,die Unternehmer einzusperren, wenn sie nicht hülfen. DieKPD sabotiere mit der Drohung eines Streiks der Notendruckerdie Ausgabe wertbeständiger Zwischenscheine. Der Weg derKommunisten sei nicht der Weg der Sozialdemokratie. Wasdie nächsten Stunden brächten, wisse man nicht. Es gelte, aufdie Parolen der Partei und der Gewerkschaften zu hören undden Kommunisten die Gefolgschaft zu verweigern. "Haltet dieReihen geschlossen zum Marsch in das Land des Sozialismus"1,rief Wels, dessen Politik stets der Aufrechterhaltung der Kapi-talistenherrschaft gedient hatte. Dieses merkwürdige Gemischvon treffenden kritischen Bemerkungen und grober Tatsachen-entstellung, von opportunistischer Losung und radikaler

. Phrase befriedigte jedoch die Versammelten nicht. Die sozial-demokratischen Funktionäre forderten immer erregter eineAussprache über die Hamburger Ereignisse und die Politikder Reichsregierung. Nur mit großer Mühe gelang es denVSPD-Führern, die stürmisch geforderte Aussprache zu ver-tagen.":

1 Siehe "Hamburgischer Correspondent"Nr. 504 vom 28. Oktober 1923und "Hamburger Echo" Nr. 296 vom 26. Oktober 1923.

2 Siehe "Hamburger Echo" Nr. 296 vom 26. Oktober 1923.

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An Hand der Rede des Partei vorsitzenden mußte es auchdem gläubigsten Sozialdemokraten klarwerden, daß der vonden Hamburger Arbeitern am 22. Oktober geforderte General-streik von der VSPD-Führung prinzipiell abgelehnt wordenwäre. Nur das sozialdemokratische "Hamburger Echo" ver-sagte es sich nicht, weiter zu behaupten, daß das Verhalten derKommunisten einen einheitlichen Generalstreik vereitelt habe.'Viele Sozialdemokraten zerrissen ihre Mitgliedsbücher; dieVSPD-Organisation des Bezirks Hamburg verlor 30000 Mit-glieder." Arbeiter verließen in Scharen die reformistischen Ge-werkschaften. Auch die KPD-Funktionäre, die für ein Ver-bleiben in den Gewerkschaften agitierten, konnten die Ent-täuschten und Verbitterten nicht zurückhalten."

Dieses Anwachsen der kommunistenfreundlichen Stimmenin der werktätigen Bevölkerung trieb die reformistischen Ge-werkschaftsführer in ihrer ideologischen Kampagne zu einembemerkenswerten Eingeständnis. Der ADGB, ließ der Orts-ausschuß der Gewerkschaften verlauten, bemühe sich seitDienstag (23. Oktober), den wirtschaftlichen und politischenFrieden wiederherzustellen. Der Senat habe dem ADGB zwarstets Gehör geschenkt, jedoch der Demobilmachungskommissarerwecke den Eindruck, daß er sich einseitig für die Unterneh-mer einsetze. Vor allen Dingen habe man sich für verpflichtetgehalten, mit besonderem Nachdruck darauf hinzuweisen, daßgewisse Unternehmer gruppen, in erster Linie die Werft-besitzer, keinerlei Entgegenkommen gegenüber den Bedürf-nissen der Arbeitnehmerschaft gezeigt hätten. Damit hättendiese Unternehmer nicht nur den Boden vorbereitet, auf demder Versuch des Sturmes auf die öffentliche Gewalt entstanden

1 Siehe .Hamburger Echo" Nr. 300 vom 30. Oktober 1923.2 Siehe .Die Kommunistische Internationale", Fünfter Jahrgang,

Nr. 31-32, S. 163.3 Siehe IML, Archiv, Nr. 12/42, BI. 244.

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sei, sondern sie seien auch die intellektuellen Urheber desUmstandes, daß der politische und wirtschaftliche Erieden inHamburg noch immer nicht hergestellt worden sei. Die Gewerk-schaften seien die Träger des heutigen Staatswesens. Sie könn-ten das aber nur dann bleiben, wenn der Staat mit aller Energiegegen die Unternehmer der Werft- und Eisenindustrie vorgehe.'

So erschien jetzt manches bei den Gewerkschaftsführern imrichtigen Zusammenhang. Doch wenn man sich die theoretischeSeite ihrer Argumentation betrachtet, wird klar, daß sie das

.Entscheidende noch immer nicht begriffen: daß sich die Mono-polherren, denen unter anderem auch die Hamburger Werftengehörten, den Staatsapparat längst untergeordnet hatten.

Die Erregung der Massen steigerte sich, als das Sonder-gericht, das auf Antrag des Hamburger Senats vom sozial-demokratischen Justizminister Radbruch eingesetzt wordenwar, seine Tätigkeit aufnahm. Dieselbe Justiz, die unter derLeitung ihres sozialdemokratischen Ministers Hunderte vonbewaffneten Teilnehmern des Küstriner Putsches ungestrafthatte laufen lassen, begann nun gegen fast 10002 verhaftete

..Werktätige, die in ihrer übergroßen Mehrzahl überhaupt nichtam bewaffneten Kampf teilgenommen hatten, mit härtestenUrteilen zll:wüten. Das entsprach dem, was Stinnes in seinemPlan gefordert hatte.Wer bei einer Aktion der-Hungernden auchnur ein Brot von der Straße aufgehoben hatte; erhielt mehr alsein Jahr Gefängnis; Teilnahme an Demonstrationen bestraftedas Sondergericht mit Zuchthaus, und das Mitglied einer Ar-beiterkampfgruppe, ErnstThorell, wurde zum Tode verurtcilt.f

Diese Schandurteile erhitzten die Gemüter der Werktätigenbis zu jenem Grad, wo jeder weitere Willkürakt genügt, uni~ehe "Hamburgischer Correspondent" Nr.503 vom 27. Oktober 1923.

! Siehe DZA, Potsdam, RdI, Nr. 13695, BI. 48, wo der Chef der Ord-nungspolizei mitteilte, daß der Zentralpolizeistelle bis zum 31. Oktober1923 983 Verhaftete als "Aufrührer" zugeführt worden seien.

3 Siehe "Hamburgischer Correspondent" Nr. 504 vom 28. Oktober 1923.

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die gesteigerte Erregung in offene Empörung umschlagen zulassen. Sogleich warnte die VSPD-Führung die Klassenjustizvor den drohenden Folgen solcher Urteile. Man solle die zu-fälligen Plünderer nicht zu hart bestrafen. Wenn die Wuchererund Schieber, die durch ungeheuerliche Preistreiberei in vielgrößerem Maße den Frieden des Landes gebrochen hätten,nicht das Gesetz zu spüren bekämen und die Härte der Gesetzenur die treffe, die aus Not zu solchen Handlungen getriebenworden seien, dann steigere man nur die Erregung und Em-pörung des Volkes." "Schafft Arbeit und Brot", mahnte das"Hamburger Echo" vom 27. Oktober 1923 die Herrschenden,"bevor es zu spät ist!" Der "Putsch" sei erledigt, hieß eS,abernicht sein gefährlichster Bundesgenosse, der Hunger. Die Notsteige unheimlich weiter, und es sei nur eine Frage der Zeit,wann das Unheil von neuem losbreche. Es drohe die ehrlichste,aber auch furchtbarste Revolte der Hungernden gegen die Be-sitzenden. Einen solchen Hungeraufstand, der mit elementarerNaturkraft das ganze Proletariat und den versinkenden Mittel-stand mitreiße, werde man nicht niederschlagen können.

Die drohende Haltung der Massen zwang die hamburgischeBourgeoisie, auf den laut propagierten Vernichtungsfeldzuggegen die Proletarier zu verzichten. "Heute", so hieß es in derAbendausgabe des "Hamburgischen Correspondenten" vom27. Oktober 1923, "wo die Erregung des Augenblicks und derGefahr vorüber ist, wollen wir wirklich nicht nach Blut schreien, .wenn Todesstrafe aueh verwirkt ist, aber die schärfste Anwen-dung aller übrigen Strafmittel bleibt für unsere Auffassungdochunbedingtes Erfordernis." Man müsse, hieß es in demselbenLeitartikel, ein abschreckendes Beispiel harter Bestrafungschaffen, denn Milde ermuntere nur zur Wiederholung derAnschläge. Die Gefahr sei trotz aller Leistungen der Polizeinoch immer nicht vorbei. "Die nachdrückliche Verfolgung des

1 Siehe ebenda.

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geschlagenen Gegners, wie wir sie nach altbewährten Regelnbis zur endgültigen Vernichtung forderten, ist - wahrscheinlichaus Kompetenzschwierigkeiten lokaler Natur heraus - nichtdurchgeführt worden, man hat den Feind zwar geschlagen undaus der nächsten Umgebung vertrieben, aber letzten Endes hatman ihn ausweichen lassen. "

Um das erregte Volk zu besänftigen, beeilten sich die Ham-burger Bankiers und Konzernherrenmit der Ausgabe eines wert-beständigen Zahlungsmittels. Sie versprachen, jedem Gehalts-und Lohnempfänger der Staatsbetriebe ab Anfang Novemberwöchentlich vier Mark seines Gehalts oder Lohns in Gold inden Wertzeichen der Hamburger Bank von 1923 auszuzahlen.'

Die Hamburger Kommunisten führten die politische undorganisatorische Arbeit trotz allen polizeilichen Terrors weiter.Wo männliche Funktionäre durch Verfolgung, Verwundungoder Verhaftung ausfielen, traten weibliche Mitglieder an ihreStelle. In Barmbeck, dem wichtigsten Distrikt, lag nun dieParteiarbeit fast vollständig in den Händen von Frauen. Daswar nur deshalb möglich, weil die Parteiorganisation schon vordem Kampf die Frauen und Jugendlichen durch eine systema-tische Heranziehung zur politischen Kleinarbeit erprobt undgestählt hatte. Sie alle entfalteten nun eine wirksame illegaleAgitations- und Organisationsarbeit, um die HamburgerWerktätigen auf neue Klassenkämpfe vorzubereiten." An Fa-briktoren und Häuserwänden tauchten Losungen auf, die allenArbeitern zeigten, daß die Hamburger Kommunisten trotzVerfolgung nach wie vor auf Posten standen. Der Kampf seiunterbrochen, aber nicht beendet, schrieben sie eines Tages andie Fassade des Hamburger Polizeipräsidiums."

1 Siehe "Hamburgischer Correspondent" NI, 50.3 vom 27. Oktober 192.3.2 Siehe "Hamburger Volkszeitung" NI. 248 vom 23. Oktober 1926.S Siehe D. Dawidowitsch, "Der Hamburger Aufstand des Jahres 1923";

bWoprossi Istorii", 1948, Nr. 11, S.2.3.

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Die ungebrochene Kampfbereitschaft des Volkes ließ dieherrschende Klasse nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie bemühtesich besonders, ihre bewaffnete Stütze, die Polizei, durch Ge-schenke verläßlicher zu machen. Die Kosten dieser Geschenk-aktion versuchten die Bankiers und Industriellen, wie fast allebisherigen Lasten, auf die Werktätigen abzuwälzen. So er-schien unter anderem in der Morgenausgabe des "Hambur-gischen Correspondenten" vom 28. Oktober 1923 ein Aufrufan die Kleinhändler, worin die "ordnungsliebende Bevölke-rung" aufgefordert wurde, die Polizei materiell zu unter-stützen. Diesen "braven Grünen und Blauen", die auch schwerunter der Not der Zeit litten, solle das Publikum ein paar froheTage bereiten. "Also, Schlachter 1Wurst oder 2 Pfund Fleisch,Bäcker 1 oder 2 Brote, Zigarrenhändler 50 Zigarren oder Ziga-retten usw. zur nächsten Wache! ... Hamburger, seid dankbarund denkt dabei an spätere Tage!"

Indessen, die Furcht vor neuen Stürmenblieh. Es sei einKampf, schrieb der Chefredakteur dieses Blattes, "der leidernoch durchaus nicht als endgültig abgeschlossen betrachtet wer-den kann und, wie wir schon einmal sagten, durch Verzöge-rungen oder Fehlschläge der zugesagten Maßnahmen gegendie Teuerung, den Geldmangel und den Hunger ebenso wiedurch politische; Vorgänge an anderen Stellen des Reichesjeden Augenblick wieder eine Neubelebung erfahren kann"1.

Der mustergültige bewaffnete Rückzug der HamburgerBarrikadenkämpfer verwandelte den zeitweiligen Schreck, dender Wachensturm der Bourgeoisie eingejagt hatte, in ständigeFurcht. Diese Furcht zu vergessen ist den deutschen Konzern-herren nicht mehr beschieden.

1 "Hamburgischer Correspondent" Nr.505 vom 29. Oktober 1923.