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Editorial _____________________ NZI aktuell

NZI 2013, Heft 1-2 V

Das Gegenteil der (Rechtsanwendungs-)Kunst ist gut gemeint!1

Das ESUG (BGBl I 2011, 2582 ff.) hat den Gläubigern Einfluss auf die Verwalterauswahl gebracht, eine seit langem erhobene Forderung außerhalb der verfassten Insolvenzverwalterszene.

Der Gesetzgeber hat aber in der Eigenverwaltung auch einen deutlichen Schritt hin zur Selbstbestimmung des Schuldners, genauer gesagt der Eigentümer des Schuldners in dessen Insolvenzverfahren, getan. Neben der Be-schränkung einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen, sticht vor allem das Schutzschirmverfahren zur Vorbereitung einer Insolvenzplanlösung und die Bestimmung eines geeigneten Sachwalters hervor.

In einem Land, in dem gesicherte Überzeugung war (immer noch ist?), dass Schuldner als Rechtsbrecher eigent-lich Schurken sind, mit denen zwangsvollstreckungsrechtlicher Umgang die einzige Denkweise war, eine er-staunliche Entwicklung. Aber zunehmend waren Schuldner juristische Personen, deren fehlsame Organe häufig schon wegen des Misserfolgs ausgewechselt worden waren, oder die die Insolvenz auslösenden Ursachen waren so gelagert, dass individuelle Schuld nicht festzustellen war. In anderen Fällen waren die Gläubiger an der weiteren Tätigkeit des Schuldners interessiert, weil eine Bedienung der Forderungen so weitaus besser zu er-warten war. Kurz – es gab Gründe, warum auch der Schuldner als Akteur im Insolvenzverfahren satisfaktions-fähig wurde. Aber häufig konterkarierte das Insolvenz-Establishment aus Gericht und vertrautem Verwalter die Chance der Eigenverwaltung. Schnell war ein vorläufiger Verwalter bestellt, der zudem als Gutachter darüber entschied, ob er selbst Verwalter oder Sachwalter würde. Das Ergebnis war vorgezeichnet…

Das ESUG brachte deswegen dem Schuldner die Möglichkeit – das Imperium schlug im Gesetzgebungsverfah-ren zurück –, einen Sachwalter seines Vertrauens zu bezeichnen. Der musste, um seine Funktion als Kontroll-instanz zu erfüllen, unabhängig sein, keine Frage. Doch nicht nur die Unabhängigkeit des Sachwalters, sondern weitere Voraussetzungen waren zu erfüllen: Wo Eigenverwaltung beantragt wurde, keine Zahlungsunfähigkeit vorlag (ein Sachverhalt, der im Umfeld von Insolvenzverfahren nicht untypisch ist), und darüber hinaus dem ja nicht sachkundigen Gericht dies durch eine schriftliche Bescheinigung nachgewiesen worden war, dann – nein dann reicht es immer noch nicht – musste derjenige, der die Bescheinigung ausgestellt hat, auch noch über eine entsprechende Qualifikation verfügen. Beispielhaft nennt das Gesetz den Rechtsanwalt, den Wirtschaftsprüfer oder – noch flugs von der Lobby der Unternehmensberater ergänzt – eine Person mit vergleichbarer Qualifika-______________________________________________________________________________________________________ 1 In leichter Abwandlung des Zitats von Gottfried Benn: „Kunst ist das Gegenteil von ‚gut gemeint‘.“ Für Juristen ein Muss, wohl

abweichender Meinung Voltaire: „Le mieux est l’ennemi du bien.“; Ulrich Schnabel, Die Zeit, 27. 5. 2004: „Gut gemeint ist schlecht erfunden.“ oder streitig bezüglich der Urheberschaft zwischen Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht: „Kunst ist das Gegen-teil von gut gemeint.“

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VI NZI 2013, Heft 1-2

tion. Darf der Schuldner jetzt einen vorläufigen Sachwalter bezeichnen? Nein, die betreffende Person muss noch über Erfahrung in Insolvenzsachen verfügen und die Bescheinigung muss mit Gründen versehen sein. Also eine sachverständige Person aus reputiertem Berufe. Dann endlich soll dieses kleine Stück Schuldnerfreiheit bei der Auswahl handelnder Personen möglich sein, der Prozess der Eigenverwaltung nicht weiter behindert werden dürfen.

Wirklich? Seit der ESUG-Reform gibt es einen erheblichen Anstieg derjenigen Personen, die das Schutzschirm-verfahren nutzen wollen. Was zeigt das dem Gesetzgeber? Das Verfahren wird angenommen, die Schuldner möchten im Prozess der wirtschaftlichen Ge- und Umgestaltung mitwirken, das Verfahren umsetzen, das bere-chenbarer und für sie im möglichen Maße beherrschbar gemacht wurde. Auch eine mit Tücken geöffnete gesetz-liche Tür wird genutzt.

Allerdings macht mancher Beteiligter heutzutage die Erfahrung, dass die vom Gesetzgeber eingerichtete Tür sich bei einigen Gerichten in anderer Weise öffnet, heißt schlicht, nach Möglichkeit verschlossen bleibt. Wie das? Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis sind wir gewohnt, dass die Aufgabe des im Zivilrecht tätigen Richters die Rechtsanwendung, die Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz ist. Nun hat schon Goethe, älterer „Kol-lege“ von uns, das in die Formulierung gebracht: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr‘s nicht aus, so legt was unter.“ (Goethe, Sprüche über Recht, Politik, Wissenschaft, Gesellschaft, 1983, S. 26.) Was die Rechts-wirklichkeit jetzt an Blüten im Verfahren nach § 270 b InsO treibt, ist beste Kunst der Rechtsanwendung, vor-wiegend allerdings gut gemeint.

Es beginnt damit, dass Autoren und Gerichte Merkmale am Bescheiniger entdecken, die das Gesetz nicht kennt. Das Gesetz verlangt ausschließlich, der Bescheiniger müsse in Insolvenzsachen erfahren sein. Nach der Recht-sprechung soll er auf einmal auch „unabhängig sein“, und das wie ein Insolvenzverwalter (vgl. AG München, NZI 2012, 566 „[…] unabhängig und neutrale Person“; „Es sind ähnlich strenge Anforderungen zu stellen, wie bei der Auswahl eines vorläufigen Insolvenzverwalters“, AG Stendal, ZIP 2012, 1875). Man vergegenwärtige sich: Die Person, die bescheinigt, muss sich, um ihre Pflicht zu erfüllen, intensiv mit dem Unternehmen, seinem Rechnungswesen, seinem finanziellen Status beschäftigen. Wer, wenn nicht das Unternehmen, das beabsichtigt, sich in einem Insolvenzplanverfahren zu organisieren, und das beabsichtigt, ein Verfahren nach § 270 b InsO einzuleiten, soll ihn beauftragen? Beauftragt es ihn, wird es ihn bezahlen müssen. Bezahlt es ihn, ist er dann noch ein unabhängiger Insolvenzverwalter und geeigneter Bescheiniger? Kein Wunder, dass es natürlich auch Stimmen gibt, die eine intensive Vorbefassung eher zur Voraussetzung der Qualität der Bescheinigung machen, als darin eine Disqualifikation zu sehen (vgl. Vallender, GmbHR 2012, 450 [451]; Hölzle, ZIP 2012, 158 [161]).

Kurz: Die ersten Schwierigkeiten. Aber es geht weiter. Nun hat eine – unterstellt – geeignete Person bescheinigt und das Gericht den Antrag mit der Bescheinigung vorliegen, doch nun beginnt die Crux. Muss das Gericht prüfen, ob es eine von einer sachkundigen, ausreichend qualifizierten Person erhaltene Bescheinigung inhaltlich richtig ist? Schwer vorzustellen, dass man eine sachverständige Bescheinigung braucht, die besonderen Sach-verstand voraussetzt und bei der der Bescheiniger sich im Unternehmen eingehend mit dessen Verhältnissen be-fasst haben muss, die dann vom Richter – jenseits jeder Bemerkung zur Sachkunde – inhaltlich geprüft werden kann/muss.

Es drängt sich auf, dass beim Eilcharakter des Eröffnungsverfahrens lediglich eine Plausibilitätskontrolle bezüg-lich der Voraussetzungen geboten ist. Im Hinblick auf die Sanierungswahrscheinlichkeit ergibt sich dies bereits aus dem Gesetzeswortlaut; im Hinblick auf den Insolvenzgrund sollte die Einschränkung der Prüfungskompe-tenz eigentlich aus Sinn und Zweck der Regelung heraus verständlich sein. Die Vorlage der Bescheinigung dient ersichtlich dazu, eine schnelle und unkomplizierte Einleitung dieses Verfahrens herbeizuführen. Wer jetzt meint, es handele sich um eine notwendig und unumgängliche Verfahrensverzögerung, da die Tatbestandsvorausset-zungen zwingend geprüft und überprüft werden müssten (vgl. Frind, ZInsO 2012, 1546 [1550]; Buchalik, ZInsO 2012, 349 [353]), der rollt einen großen Stein in den Weg zur inhaltlichen Gesetzesverwirklichung.

Es kommt aber noch besser: Der Antrag ist gestellt, alles wartet darauf, unter dem Regime des Insolvenzrechts nun das Sanierungsverfahren aktiv beginnen zu können. Und das Gericht erkennt, dass inhaltlich diese Beschei-nigung zu prüfen voraussetzen würde, dass der Richter sich – Sachkunde wieder unterstellt – in das Unter-nehmen begäbe, um dort zumindest eine Plausibilitätskontrolle vorzunehmen. Mangels Sachkunde (und Zeit) beschließt es, einen Sachverständigen zu bestellen! Wohlan, das Bescheinigungsverfahren kennt den Sachver-ständigen zur Voraussetzungsbescheinigung, das Gericht bestellt den Sachverständigen zur Prüfung des Sachver-ständigen. Schon zu früheren Zeiten wurde das Eigenverwaltungsverfahren – vgl. oben – von nicht ausgepräg-

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NZI 2013, Heft 1-2 VII

ten Liebhabern dieser Verfahrensvariante im Eröffnungsverfahren damit konterkariert, dass ein vorläufiger In-solvenzverwalter bestellt wurde, der den Auftrag erhielt, als Sachverständiger zu prüfen, ob die Voraussetzung für die Eigenverwaltung gegeben war. Dieser Sachverständige wusste, dass, gutachtete er negativ, er Verwalter werden würde, gutachtete er positiv, er bei halber Vergütung nur Sachwalter wäre. Über das Ergebnis dieser Praxis sah sich der Gesetzgeber gezwungen, immerhin nunmehr ins Gesetz zu schreiben, dass bei Beantragung eines Verfahrens auf Eigenverwaltung gem. § 270 a II InsO kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird und darüber hinaus im Grundsatz davon abgesehen werden soll, ein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen; ja selbst, wenn das Gericht die Voraussetzung für die Eigenverwaltung als nicht gegeben ansah, seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen, um den Antrag zurücknehmen zu können. Der Gesetzgeber hat sich offensichtlich nicht vorstellen können, dass man auf die Idee verfallen könnte, den Bescheiniger mit einem Gutachter ins Leere laufen zu lassen. Und wer ist der neue Sachverständige? Natürlich derjenige, der – falls er feststellt, dass die Voraussetzungen der Bescheinigung nicht gegeben sind, und wenn auf diese Weise der fragile Ansatz der Sanie-rung im Eigenverwaltungsverfahren krachend zusammenstürzt – im Insolvenzverfahren als Verwalter auftaucht. Der dem Gericht eng verbundene, seit Jahren dort als Verwalter tätige begutachtet, was der sachverständige Be-scheiniger vorgelegt hat.

Aber einmal weniger zynisch: Die Funktion einer Bescheinigung wird durch die Überprüfung entwertet. Für die Bescheinigung nach § 305 InsO, wo nach Einführung der Regelung die gleiche Diskussion zur inhaltlichen Prü-fungskompetenz der Bescheinigung durch das Gericht einsetzte, ist in der Zwischenzeit unisono Meinung, dass eine gerichtliche Überprüfung der Bescheinigung nicht möglich bzw. nur in formeller Hinsicht möglich ist, jedoch keine Überprüfung des materiellen Tatbestands (vgl. Gutmann, ZInsO 2012, 1861 [1868]; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, 340). Und wer sich erinnert, dass § 4 InsO regelt, dass – soweit die InsO nichts Abweichendes bestimmt – die Vorschriften der ZPO gelten, dem mag ja auch noch erinnerlich sein, dass § 412 ZPO die Einholung eines neuen (Sachverständigen-)Gutachtens nur ausnahmsweise vorsieht und auch nur dann, wenn Mängel nicht durch eine Nachfristsetzung behoben werden können. In der zivilprozessualen Litera-tur ist auch unstreitig, dass das Gericht bei der Bewertung und Beweiswürdigung eines Gutachtens die eigene Sachkunde darlegen muss, wenn es dem Gutachten nicht folgen will. Mit der Bescheinigung nach § 270 b InsO soll dem Richter gerade von Gesetzes wegen Sachkunde vermittelt werden, die dieser nicht hat, er also in jedem Falle ein Gutachten in Auftrag gegeben müsste, dies aber auf Grund der Bescheinigung nicht braucht. Das ge-setzlich angeordnete Gutachten ersetzt also den Gutachtensauftrag. Die besseren Sachverständigenargumente zur Widerlegung des Gutachtensergebnisses kann er nicht erbringen, da ihm dazu die tatsächliche Grundlage fehlt. Dies umso mehr, wenn z. B. ein Wirtschaftsprüfer bescheinigt, der nach § 2 III Nr. 1 WPO voraus vereidig-ter gesetzlicher Sachverständiger ist! Dem sachverständigen Bescheiniger mit dem Gutachten zu antworten, ist die Unterstellung ins Blaue hinein, der vom Gesetz Qualifizierte liefere Murks. Ohne jeden tatsächlichen An-haltspunkt, frei jeglicher Kenntnis der Verhältnisse im Unternehmen, getragen vom Goetheschen „Unterlegen“ und der vermeintlichen Kunst der Rechtsanwendung, sagt diese Prüfung des Bescheinigers, dass man seinem Urteil nicht ohne Prüfung trauen könne. Steht das irgendwo im Gesetz? Ist es dies, was der Gesetzgeber wollte?

Fehlen notwendige Bestandteile der Bescheinigung, kann eine Sachverständigenprüfung diese nicht ersetzen, in diesem Fall hat das Gericht eine Nachbesserungsfrist zu setzen. Bleibt diese fruchtlos, ist das Schutzschirmver-fahren nicht einzuleiten. Nur eines ist systemwidrig und verletzt den Geist des Gesetzes: Der Sachverständige für den Sachverständigen. Niemand wird bestreiten wollen, dass ein formal und bei kursorischer Durchsicht nicht nachvollziehbares, offensichtlich lückenhaftes Gutachten/Bescheinigung beanstandet und zur Nachbesse-rung aufgefordert werden kann. Es mag auch eine Zurückweisung völlig inadäquater Bescheinigungen möglich sein. Was aber dieses Verfahren vollständig konterkariert und die Gesetzesanwendung diskreditiert, ist einen Gutachter zur Überprüfung des Gutachters zu bestellen. In Fällen, die bekanntgeworden sind, kommt dann der überprüfende Gutachter (und spätere Insolvenzverwalter) zu dem „überraschenden“ Ergebnis, dass sein Gut-achten, es sind wiederum 14 Tage vergangen, zu einem anderen Ergebnis kommt als der im going-concern zum Antragsstichtag gutachtende Bescheiniger. Es drängt sich der Eindruck auf, dass versucht wird, diesem unge-liebten Verfahren, dieser vom Gesetzgeber minimal realisierten Öffnung zur Berechenbarkeit des Insolvenzver-fahrens für den Schuldner mit neuen Auslegungsschwierigkeiten zu begegnen. Es gehört zum Respekt vor dem Gesetzgeber, ja mehr noch vor dem Gesetz, selbst wenn man inhaltlich diese Änderung für falsch hält, sie kon-struktiv anzuwenden.

Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer Dr. Eberhard Braun, Achern