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wirks Das Mutmach-Magazin • Sommer 2011 • www.wirks.at Seite 4 Flussmenschen Die Donau, Fluss vieler Eltern, ohne Anfang und Ende. Harald Koisser über den Fluss der Flüsse, Flussmenschen und das Fließen. Das Wasser steigt an, flutet den Au- wald, tritt in alle Ritzen der Häuser, die sich zu nahe an das Ufer des mächti- gen Stroms gewagt haben. Die Tiere, die nicht fliegen können, fliehen in trockene Regionen. Das Wasser leckt am Hochwasserschutzdamm. 44 Kilo- meter ist er am linken Donauufer lang, 22,5 am rechten. Am Damm oben stehen Menschen. Menschen von der anderen Seite, der trockenen. Jener Seite, die vom Damm geschützt wird. Der Damm schützt uns, sagen die Leute. „Der Damm trennt die Menschen von der Donau“, sagt Sabine Bergauer. Sie betreibt mit ihrem Lebensgefährten Martin Zöberl eine Schiffmühle in Orth an der Donau. Sie arbeiten am Fluss und mit dem Fluss. Eine Mauer schließt immer etwas ein und etwas aus. So schützt der Damm die Menschen, doch er trennt sie wohl auch vom Fluss. Sie sehen ihn nicht mehr, spüren ihn nicht mehr, müssen sich um seine Launen nicht mehr küm- mern. Sie besuchen ihn auch nicht mehr. Sabine Bergauer erzählt, dass sie erst kürzlich in einer Schulklasse in Orth an der Donau (der Name sagt schon, dass der Ort nahe am Fluss liegt) gefragt hat, wer denn in diesem Jahr in den Donauauen oder am Fluss war. Von 25 Kindern haben zwei auf- gezeigt. Aber wie sollen denn die Leute in den Donauauen ihren Fluss schätzen, wenn selbst die Hauptstadt ein eigentümli- ches Verhältnis dazu hat? Wien liegt ja bekanntlich am Donaukanal, nicht an der Donau. Der Hauptarm des Flusses, um den sich Wien gruppiert hat, ist durch die schon im 16. Jahrhundert begonnenen Regulierungen weiter nach Osten gerutscht, sodass die Donau fast unbemerkt an Wien vor- beifließt. „Wien schätzt die Donau nicht“, meint der Schriftsteller Péter Esterházy, „bemerkt sie gerade nur, bittet zum Vorzeigen den Kanal herein und plätschert an der Alten Donau.“ „Der Damm schützt mich vor den Menschen“, scherzt der Betreiber einer Gastwirtschaft im Überflutungsgebiet der Donauauen. Zig Male ist die Donau durch seine Gaststube geflos- sen, hat sie oft bis zum Anschlag geflutet. Wenn die Donaukarpfen nicht gebacken, sondern leibhaftig durch die Stube schwimmen, ist eine Auszeit, eine besondere Au-Zeit. „Wenn das Wasser wieder absinkt, ist alles unglaublich still“, erzählt Martin Zöberl. Man kann kaum mit der Zille fahren, nicht durch das Wasser waten. Man muss warten. Niemand von außen kommt zu den Überschwemm- ten und Überfluteten. Wie denn auch? Eine Katastrophe? Oder einfach: Leben im Fluss Die Menschen erklimmen den Damm, um Hochwasser zu schauen, Katas- trophe zu schauen. Aber wann ist et- was eine Katastrophe? Es gibt Trocken- zeiten, Überflutungen, machtvolle 30 Zentimeter dicke Eisschollen, groß wie ein halbes Fußballfeld, die den Fluss im Winter herabgleiten. Und es gibt Paarungszeiten. „Die Brachsen laichen gerade im Barbarakraut ab, die kugeln sich richtig darin. Was für einen Lärm die machen dabei. Ich erfreue mich an den Fischen.“ So erzählt Martin vom

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FlussmenschenDie Donau, Fluss vieler Eltern, ohne Anfang und Ende.Harald Koisser über den Fluss der Flüsse, Flussmenschen und das Fließen.

Das Wasser steigt an, flutet den Au-wald, tritt in alle Ritzen der Häuser, diesich zu nahe an das Ufer des mächti-gen Stroms gewagt haben. Die Tiere,die nicht fliegen können, fliehen introckene Regionen. Das Wasser lecktam Hochwasserschutzdamm. 44 Kilo-meter ist er am linken Donauufer lang,22,5 am rechten. Am Damm oben stehen Menschen. Menschen von deranderen Seite, der trockenen. JenerSeite, die vom Damm geschützt wird.Der Damm schützt uns, sagen dieLeute.

„Der Damm trennt die Menschen vonder Donau“, sagt Sabine Bergauer. Siebetreibt mit ihrem LebensgefährtenMartin Zöberl eine Schiffmühle in Orthan der Donau. Sie arbeiten am Flussund mit dem Fluss.

Eine Mauer schließt immer etwas einund etwas aus. So schützt der Dammdie Menschen, doch er trennt sie wohlauch vom Fluss. Sie sehen ihn nichtmehr, spüren ihn nicht mehr, müssensich um seine Launen nicht mehr küm-mern. Sie besuchen ihn auch nicht

mehr. Sabine Bergauer erzählt, dass sieerst kürzlich in einer Schulklasse inOrth an der Donau (der Name sagtschon, dass der Ort nahe am Flussliegt) gefragt hat, wer denn in diesemJahr in den Donauauen oder am Flusswar. Von 25 Kindern haben zwei auf-gezeigt.

Aber wie sollen denn die Leute in denDonauauen ihren Fluss schätzen, wennselbst die Hauptstadt ein eigentümli-ches Verhältnis dazu hat? Wien liegt jabekanntlich am Donaukanal, nicht ander Donau. Der Hauptarm des Flusses,um den sich Wien gruppiert hat, istdurch die schon im 16. Jahrhundertbegonnenen Regulierungen weiternach Osten gerutscht, sodass dieDonau fast unbemerkt an Wien vor-beifließt. „Wien schätzt die Donaunicht“, meint der Schriftsteller PéterEsterházy, „bemerkt sie gerade nur,bittet zum Vorzeigen den Kanal hereinund plätschert an der Alten Donau.“

„Der Damm schützt mich vor denMenschen“, scherzt der Betreiber einerGastwirtschaft im Überflutungsgebietder Donauauen. Zig Male ist die

Donau durch seine Gaststube geflos-sen, hat sie oft bis zum Anschlaggeflutet. Wenn die Donaukarpfennicht gebacken, sondern leibhaftigdurch die Stube schwimmen, ist eineAuszeit, eine besondere Au-Zeit.„Wenn das Wasser wieder absinkt, istalles unglaublich still“, erzählt MartinZöberl. Man kann kaum mit der Zillefahren, nicht durch das Wasser waten.Man muss warten. Niemand vonaußen kommt zu den Überschwemm-ten und Überfluteten. Wie denn auch?

Eine Katastrophe? Oder einfach: Leben im Fluss

Die Menschen erklimmen den Damm,um Hochwasser zu schauen, Katas-trophe zu schauen. Aber wann ist et-was eine Katastrophe? Es gibt Trocken-zeiten, Überflutungen, machtvolle 30Zentimeter dicke Eisschollen, groß wieein halbes Fußballfeld, die den Fluss imWinter herabgleiten. Und es gibtPaarungszeiten. „Die Brachsen laichengerade im Barbarakraut ab, die kugelnsich richtig darin. Was für einen Lärmdie machen dabei. Ich erfreue mich anden Fischen.“ So erzählt Martin vom

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intimen Au-Leben. Vor einigen Tagengab es auch mächtig Aufruhr in dernahen Graureiherkolonie. Ein Seeadlerhat sich herabgestürzt und einemReiher Beute weggenommen, fast denReiher selbst geschlagen. Eine Katas-trophe? Oder einfach: Leben im Fluss?

Der Mühlenkater Bibic hat Besuch aufder Mühle entdeckt, er ist neugierigund kommt angeschlichen. Er ducktsich und springt vom Ufer auf dasBoot, das doch ein bisschen weit ent-fernt ist. Platsch. Macht nichts. Bibicschwimmt. Er hat sich längst mit demFluss angefreundet.

Sabine und Martin dürfen nicht inKatastrophen denken, sonst wäre ihrLeben am Fluss nicht möglich. Siehaben sich eingebildet, eine richtigeSchiffmühle auf der Donau zu betrei-ben. Sie haben sie selbst gebaut, nachalten Originalplänen. Keine dieserSchaumühlen, wo sich die Räder proforma drehen und einen Höllenlärmmachen. Die Mechanik ist feinstePräzisionsarbeit. Das Holzzahnrad istso konstruiert, dass man es justierenkann, ähnlich wie beim Wuchten einesAutoreifens. Die Schiffsmühle ist echt,mahlt wie vor zweihundert Jahren.Aber erklär das einmal der Bezirks-hauptmannschaft! Sabine und Martinwollten ihren Spleen vergesellschaftenund haben um Betrieb einer Schiff-mühle angesucht. Telefonisch, viaMail, ganz im Stil der Jetztzeit, nur

passte das Objekt ihrer Freude ebennicht in die Jetztzeit. Die Anrufbeant-worterInnen der Bezirkshauptmann-schaft haben drei Mal einfach aufge-legt, als Sabine fragte, was man dennbrauche, um eine Schiffmühle zubetreiben. Das war 1997.

Die Mühle ist abgesoffen – alles bestens

Zehn Jahre später haben 10.000Menschen die Schiffmühle besucht.Fast schon zu viel für Müllerin undMüller.„Leute aus dem Ort halfen unsbei den Führungen“, erzählt Sabine.Dann im Jahr darauf, 2008, ist dieMühle leck geschlagen und abgesof-fen. Die Verankerung am Ufer hatgehalten, die Mühle hat sich geneigtund ein Vollbad genommen. „Es war

eine bittere Zeit“, erzählt MartinZöberl, „die Donau ist bei der einenTür hereingeflossen und bei der ande-ren hinaus.“ Dann ist er in einenTaucheranzug gestiegen und hat sichdie Mühle unter Wasser von innenangesehen. „Ich habe durch die Ritzender Planken geschaut, die Sonne isthereingekommen, und dort, wo sonstMehlmotten sitzen, sind Bachfloh-krebse gesessen. Es war wunderschönund ich dachte mir: Es ist allesbestens.“

Die Donau ist wichtig für mich alsSeelenausgleich.Wenn ich ohne Donau sein müsste,würde ich verenden.Auf der Donau fühle ich mich sehrweiblich, sehr ich selbst.Als ich nach China aufbrach, verab-

schiedete ich mich von meinenFreunden. Ich saß am Ufer der Donauund dachte, sie wird rinnen, wenn ichwiederkomme. Ein tröstliches Gefühl.Wenn ich einmal alt bin und imRollstuhl sitze, möchte ich, dass michjemand zur Donau hinstellt.

All diese Sätze stammen von „Donau-menschen“. So heißt die Ausstellung,die Sabine Bergauer auf Schloss Orthgestaltet hat. „Nachdem die Mühlegesunken war, habe ich endlich Zeitdafür gehabt“, sagt sie. Auch so kannman eine „Katastrophe“ sehen. Siezerstört und schafft etwas anderes.Sabine hatte plötzlich Zeit, Menschenzu befragen, die sind wie sie: flussver-bunden. Es ist eine gefühlvolle, stilleAusstellung. Die Bilder der Donau-menschen sind an dünnen Schnürenvon der Decke abgehängt, sie schwin-gen im Raum, ein Gefühl wie aufSchiffsplanken. Über Kopfhörer kannman hören, was sie zu sagen haben,wie sie vom Fluss erzählen. Ein langes,am Boden aufgeklebtes Seil stellt dieDonau und all ihre Windungen maß-stabsgetreu dar. Alle 3.000 Kilometervon der Quelle bis zur Mündung.

Der Fluss – Sinnbild des Lebens

Seit Heraklit kann man sich dem Bilddes Flusses als Lebensfluss nicht ent-ziehen. Das Geboren-Werden, dasAnwachsen, das permanente Mäan-

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Müllerin und Müller an Bord ihrer Schiffmühle

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dern, die Ruhe und die Stromschnellenund der Tod, der ja doch nichts weiterist als ein Ergießen in etwas anderesund Größeres. Die Donau stirbt imDonaudelta. So versorgt sie dasSchwarze Meer jährlich mit 200 Milli-arden Kubikmeter Wasser. Welch einmachtvolles, schöpferisches Ende!Aber der Fluss als Sinnbild der Identi-tätsfrage bleibt eine trockene Meta-pher, wenn wir ihn nicht sehen wollen.Wenn wir, die wir alle Flussmenschensind, uns selbst nicht sehen wollen.

Der Fluss ist ein alter Tao-Meister, der seine Unterweisungen erteilt

Danuvius war der römische Flussgott,den die Römer in bewährter Art einge-meindet und geschlechtlich umgewan-delt haben. Ursprünglich hieß sie Danuund war die keltische Flussgöttin. Aberes braucht nicht unbedingt Metaphy-sik, denn „Danu“ heißt auf Indoger-manisch und Keltisch ganz einfach

„Fluss“. Die Donau ist der Flussschlechthin und somit wunderbargeeignet dafür, sich mit ihr metapho-risch zu vereinigen. Nehmen wir dieEinladung zum Mitfließen an. Schließ-lich, so merkte der aus Triest stam-mende Historiker Claudio Magris an,wäre der Fluss ein alter Tao-Meister,der das Ufer entlang seine Unterwei-sungen über das große Lebensrad unddie Zwischenräume in seinen Speichenerteilt. „Unbekümmert [...] fließt dieDonau ins Meer, der großen Überzeu-gung zu.“ (Magris). Sie ist lange undweise, sagenumwoben und vor allem:Sie hat keinen klaren Anfang und keinklares Ende. Das macht die Donaueigenwillig. In Ulm, in Wien, in Buda-pest oder Braila kann man sich an dasUfer stellen, mit dem Finger auf denStrom zeigen und „Donau“ sagen.Diese Form des ostensiven Erkennensfunktioniert weder an der Quelle nocham Donaudelta.

„Hier entspringt die Donau“, steht aufeiner Tafel im Fürstenbergpark zuDonaueschingen. „Hier entspringt derHauptquellfluss der Donau“, steht ander Quelle der Breg, die zusammenmit der Brigach den wichtigsten Donau-zufluss bildet. Die Bregquelle ist umexakt 48,5 Kilometer weiter weg vomSchwarzen Meer als jene in Donau-eschingen, einen Verweis, den sichIrma und Ludwig Öhrlein, auf derenGrundstück sich die Bregquelle in Furt-wangen befindet, nicht nehmen lie-ßen. Die Öhrleins haben unter Aufbie-tung aller Kräfte geforscht und doku-mentiert und „alle erinnern sich anden Tag, da der Bürgermeister vonFurtwangen, begleitet von zahlreichenMitbürgern, in die DonaueschingerQuelle voller Verachtung eine FlascheBregwasser goss“ (Magris). Man hörtin Furtwangen nicht gerne, dass dieBreg ein Donauzufluss wäre. Die BregIST die Donau, da hier die nachweis-lich mündungsfernste Quelle liegt.Aber was sieht man an der Quelle?Eine Feuchtwiese, ein Bächlein, eineTraufe. Wo kommt das Wasser eigent-lich her? Claudio Magris erzählt voneiner mürrischen alten Frau, die eswusste. Das Wasser käme aus einemSpülstein, der ständig überlaufe wegeneines uralten Wasserhahns, den nie-mand richtig zudrehen könnte.

Welch großartiger Gedanke, eineschöne Illustration des Heute, wo mansich die Natur nur noch als National-park, somit als Konservierungskunst

des Menschen, vorstellen kann. DerMensch macht sich die Natur unter-tan. Er dreht den Wasserhahn auf underschafft Flüsse.

Ein Fluss vieler Eltern

„Ein freundlicher Herr, der am Ufer(Anm.: das Donauufer bei Immendin-gen) entlanggeht, erzählt uns, dass imSommer das Flussbett an dieser Stellevollkommen ausgetrocknet sei. In Ulmdagegen, wenige Kilometer flussab-wärts, ist der Fluss – den man gleich-wohl Donau nennt – breit und schiff-bar.“ (Magris). Im heißen Sommer alsoerübrigt sich der Streit zwischen Donau-eschingen und Furtwangen, denn dakommt die Donau aus keinem der bei-den Orte. Woher aber? Und: Wer istdie Donau, „jene Donau, die es gibtund wieder nicht gibt, die an mehre-ren Stellen entspringt und von mehre-ren Eltern abstammt“ (Magris)?

„Wer ist es, der zwischen Donau undNicht-Donau unterscheiden könnte?“,brüllte der Ingenieur Neweklowsky imAngesicht seines Todes. SiebzehnStunden lang. Zumindest behauptetdas Péter Esterházy in seinem eigen-willigen Roman „Donauabwärts“.Ernst Neweklowsky war ein Fluss-mensch durch und durch, einer derakkuraten Sorte. Er hat ein Buch überden Oberlauf der Donau (womit erden Abschnitt zwischen Ulm und Wienmeinte) geschrieben, 2.164 Seiten undfünf Kilo schwer. Er hat katalogisiert,

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Der alte Tao-Meister am Weg zur Vollendung.Foto: Franz Kovacs, www.kovacs-images.com

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erfasst, gesammelt. Die Geschichte derDonau-Schifffahrt, Strecken und Artender Wasserfahrzeuge, Teile der Ge-brauchsgegenstände, er kartographier-te Strudel und Untiefen, Furten, Über-gänge, aber auch Sitten und Gebräu-che der Schiffer. Zollrechte und Sagen,Donau-Romane und Aberglauben.Wunderlicher Newlekowsky, der ver-sucht hat, seinen Fluss und sein Leben(der Fluss war sein Leben!) total zuerfassen und detailreich zu katalogisie-ren. „Jede Totalität ist den GötternAnlass zu Heiterkeit und Gelächter“,wie Kierkegaard anmerkte.

Wir wollen den Fluss festhalten, anhalten

Newlekowsky konnte mit seinerMethode den Strom nicht total erfas-sen, er schaffte „nur“ den Oberlauf.Die Quelle und die Mündung der Donau entzogen sich seinem Erkennt-nisweg ohnehin. In jedem von uns schlummert einFesthaltekünstler wie Newlekowsky,etwa wenn wir fotografieren, allesfesthalten wollen, alleine tausendeFotos vom letzten Urlaub, vom Ge-burtstag, von der Firmenfeier. Immerdie Kamera wie ein Abstandshalterzwischen uns und der Welt. Wer solldas alles betrachten, wen soll dasinteressieren? Wir können den Fluss sonicht aufhalten, halten uns bloß fernvon ihm. Nehmen wir die Kameradoch einmal nicht mit und entscheiden

wir uns stattdessen für das wirklicheDa-Sein. Einfach mitfließen!

Am Ende – die große Auflösung

Schau, das Delta! „Die Seitenarme desFlusses gehen ihre eigenen Wege,emanzipieren sich von der gebieteri-schen Einheitlichkeit und Identität,sterben, wenn es ihnen gutdünkt, dereine etwas eher, der andere etwasspäter, wie das Herz, die Nägel unddie Haare, die der Totenschein vondem Versprechen wechselseitigerTreue entbindet. Der Philosoph gerietein Schwierigkeiten, wenn er in diesemGewirr mit dem Finger die Donaubezeichnen wollte, seine Ostensionwürde zu einer unbestimmten, vageökumenischen kreisförmigen Geste,denn die Donau ist überall, und auchihr Ende existiert in jedem einzelnender 4300 Quadratkilometer desDeltas“ (Magris).

Der Fluss macht die Leute ruhig

Der Fluss mag rasen, dahinschnellen,strömen – und doch: „Der Fluss machtdie Leute ruhig“, erzählt SabineBergauer. Auf der Schiffmühle hat esviele Feste gegeben, doch niemalseines mit lauter Musik und Ausschwei-fungen. Sogar tobende Schulklassenwerden stiller und staunender, je län-ger sie auf der Mühle sind oder auf

der Tschaike über die Donau geführtwerden. Das Malmen des Mühlsteinsund des Stromes zeigen Wirkung. Aufder Tschaike mitten am mächtigenStrom erwacht die Demut. Wirklichentscheidende Fragen kommen ausden Untiefen: Wie sehr gebe ich michdem Fließen hin? Wie sehr erlaube ichmir, mit den ruhigen und stürmischenGezeiten mitzugehen? Wie sehr binich reguliert? Wage ich es, über dieUfer zu treten und alles zu über-schwemmen? Wäre es eine Katas-trophe? Wäre es fruchtbar? Und waspassiert, wenn jemand den Wasser-hahn in Furtwangen zudreht?

Donaumenschen, Ausstellung aufschlossORTH, geöffnet noch bis 1. November täglich von 9 bis18 Uhr,ab 1. Oktober von 9 bis 17 Uhr

Zum Nachlesen: Péter Esterházy, Donauabwärts (einwunderlicher Donauroman)Claudio Magris, Donau (angeblich dieBiografie eines Flusses, de facto einGelehrtenwerk, das in Geschichte,Geschichten und Literatur abschweift;während Esterházy am Schluss eineListe der „nicht benutzten Fachlitera-tur“ anführt, darf man bei Magrissicher sein, dass er wirklich alles ge-lesen und benutzt hat)

Zum Besuchen: http://www.schiffmuehle.at/

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