Das ProgrammWarningMeth

Biel, Kongresshaus

20.09.2017

Kontext

Yann Perrot

Police neuchâteloise

Ein besonderes Problem

Warum macht Methamphetamin besonders abhängig??

Der Konsum der Droge führt zur Ausschüttung von Dopamin (dem ‹Glückshormon›).

Zum Vergleich: Beim Konsum von Methamphetamin wird ca. fünfmal mehr Dopaminfreigesetzt als beim Kokainkonsum.

Geschichte

1998 Auftreten von Thaipillen in der Schweiz (erste Beschlagnahmungen). Die Substanz ist vorallem in den thailändischen Massagesalons verfügbar.

2010 Immer häufigeres Auftreten von Crystal im Kt. Neuenburg. Die Substanz wurde leichterzugänglich und wird von den Konsumierenden von Thaipillen sehr geschätzt. Sie hat eingrösseres Abhängigkeitspotenzial, da ihre Reinheit viermal grösser ist als diejenige derThaiamphetamine.

Im Kanton Neuenburg verbreitete sich der Methamphetaminkonsum mit den Jahren besondersstark, aufgrund von langjährigen Konsumierenden, die die Verbreitung in der Region förderten.

Crystal ist immer häufiger anzutreffen, da es leicht in grossen Mengen importierbar ist.

Abwasser

Methamphetamin

6

[mg/Tag.1000 Einwohner]

Abwasseranalysenin 13 Schweizer Städten

Kokain Methamphetamin

Verbreitung

Aufgrund des Alters der verzeigten Personen ist eine Verbreitung dieser Droge in den letzten 15 Jahren klar zu erkennen.

Status der Konsumierenden

Die verschiedenenAnzeigekategorien gemäss BetmG

Busse (19a BetmG) für Konsum/Besitz

Widerhandlung (19/1 BetmG) für Handel (leichte Fälle)

Verbrechen (19/2 BetmG) für Handel (schwere Fälle)

Methamphetaminpreise

0.1 g / 1 Stück Crystal CHF 40.00 bis 50.001 g / 10 Stück Crystal CHF 250.00 bis 350.00

Mit dem Verkauf von 40 g Crystal oder 400 Stück kann ein Gewinn von CHF 10'000.00 realisiert werden.

Beim Handel wird der Verkauf ab 550 Stück oder 12 g Crystal (reine Substanz) als schwerer Fall bewertet.

Monatliche Preise

CHF 1’000.00 – 3’000.00 für eine «Standard»-Konsumation, was 0.1 – 0.3 g pro Tag entspricht.

Über CHF 10'000.00 für eine «gewichtige» Konsumation, was über 1.5 g/Tag entspricht. Davon betroffen sind im Kanton Neuenburg rund 100 Personen (Schätzung der Polizei)

Die Mehrheit der betroffenen Personen sind über 30 Jahre alt und konsumieren die Substanz seit mehr als 10 Jahren!

(Janvier 2017 à juin 2017)

69 Personen wegen Methamphetaminkonsum angezeigt

5 Personen wegen Handel angezeigt (leichte Fälle)

13 Personen wegen Handel angezeigt (schwere Fälle)

9 Personen vorläufig festgenommen

Was macht die Polizei?

Beziehung zwischen Polizeiund Suchthilfe

Zusammenarbeit (indirekt)

5 Personen wurden in einer Institution platziert, zugunsten einer Massnahme gemäss Art. 60 StGB (7 %)

Zusammenarbeit (direkt)

12 Personen wurde das WarningMeth-Programmvorgeschlagen, darunter 4 Minderjährigen (17%)

Vorgehen der Polizei

• Verteilung des Flyers

• Vorstellen des Teilnahmeformulars

• «Case Management»

Das Programm ist für Methamphetamin-Konsumierende bestimmt, die von der Polizei angehalten werden.

Es besteht aus 4 individuellen Sitzungen mit Informationen zu Methamphetamin und dessen Auswirkungen.

Die Sitzungen dienen der Selbstreflexion und der eigenen Positionierung zum Konsum.

Mit der Teilnahme verpflichten Sie sich, die 4 stündigen Sitzungen zu besuchen, verteilt auf ca. 6 Wochen.

Das Programm wurde mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft entwickelt und wird von den Jugendrichtern anerkannt.

Anmeldung: an.meth@ne.ch

Formular

Während dieser Intervention o wurden die Betroffenen über den Flyer von Addiction Neuchâtel informierto verpflichten sie sich, mind. 4 Sitzungen bei Addiction Neuchâtel zu besucheno akzeptieren sie, dass das Formular an Addiction Neuchâtel geschickt wird und

dass sie nach 10 Tagen kontaktiert werden, wenn sie sich nicht selber meldeno akzeptieren sie, dass Addiction Neuchâtel gegenüber den Strafbehörden vom

Arztgeheimnis befreit wird, was die Information über die Besuchsfrequenz des therapeutischen Programms angeht

o haben sie jeglichen Kontakt mit Addiction Neuchâtel und die Weiterleitung der persönlichen Daten an Addiction Neuchâtel abgelehnt

Bemerkungen:Das Formular wird dem Dossier beigelegt, das allenfalls der Staatsanwaltschaft oder dem Jugendrichter weitergeleitet wirdFalls die Sitzungen bei Addiction Neuchâtel zufriedenstellend besucht wurden, wird von der Weiterverfolgung des Falles durch Entscheid der Staatsanwaltschaft oder des Jugendrichters abgesehen und es erfolgt kein Eintrag beim Strassenverkehrsamt

Psycho-edukative Intervention

Addiction Neuchâtel:

Jean-Marie Coste

Yvan Grecuccio

Kontext

• Addiction Neuchâtel– Kantonale Suchtkommission

• Feststellung: «zu wenig spontaneTherapieanfragen » + «Latenzzeit der Anfrage»

Schaffung eines neuen spezifischen psycho-edukativen Programms (WarningMeth)

Frühintervention + Kurzintervention + Intervention unter Zwang

Ziele einer Frühintervention

• «Statistik der Strafurteile und Verurteilungen vonMinderjährigen von1995 bis 2015» (BFS 2017):

• «Je früher der Einstieg in die Delinquenz erfolgt umso höher ist das Risiko, später als Erwachsene strafrechtlich verurteilt zu werden.»

• «Je mehr Verurteilungen es durch den Jugendrichter gibt, um so mehr Verurteilungengibt es im Erwachsenenalter.»

• Die Schwere der Übertretung ist ebenfalls einprädiktiver Faktor, das Geschlecht…

Ziele der Frühintervention

• Zwölf Studien (randomisiert und kontrolliert) haben gezeigt, dass die PantientInnen 6 bis 12 Monate nach einer oder zwei personalisiertenInformations- und Beratungssitzungen (Kurzintervention) ihrenAlkoholkonsum um 20 - 30% reduziert hatten und zweimal häufiger zueinem wenig riskanten Konsum übergegangen waren als die Kontrollgruppe. (Wilk AI, Jensen NM, Havighurst TC, et al. Meta-analysis of randomized control trials addressing brief intervention in heavyalcohol drinkers. J Gen Intern Med 1997 ; 12 : 274-83).

• Die Mehrheit der KlientInnen, die wenigstens 4 Sitzungen einesTherapieprogramms von 12 Sitzungen absolviert hatten (KognitiveVerhaltenstherapie, ACT), zeigten signifikante Verbesserungen bzgl. Reduktion des Konsums von Methamphetamin (1/3 Abbrecher nach der 1 Sitzung).(Baker, A., Lee, N.K., Claire, M., Lewin, T.J., Grant, T., et al. (2005). Brief cognitive-behavioural interventions for regular amphetamine users: a step in the right direction. Addiction, 100: 367-378).

Intervention unter Zwang?

• Ziemlich geläufig in der Behandlung vonDrogenproblemen

• Auswirkung der Zwangshilfe auf die Behandlung:– Nach Wild et al. (2006), lässt sich aus der Quelle des

Zwangs (sozial, richterlich…) keine Aussage betr. Engagement der KlientInnen während der Behandlungmachen.

– Unsere Beobachtungen gehen in folgende Richtung:-> die verordnete Hilfe hat im Allgemeinen keinen Einflussauf das Engagement der KlientInnen in der Therapie/Beratung-> Sie erlaubt es, Personen zu erreichen, die von sich auskeine Hilfe gesucht hätten

Wild, T. C., Cunningham, J. A., & Ryan, R. M. (2006). Social pressure, coercion, and client engagement at treatment entry: A self-determination theory perspective. Addictive behaviors, 31(10), 1858-1872.

Programm «WarningMeth»

• Kurzintervention4 Sitzungen (+ Anruf nach 6 Monaten)

• Frühintervention?

• Programm: Psycho-edukativIndividuelles Gespräch

• Mehrere Orte (Neuenburg, La Chaux-de-Fonds, Fleurier)

WarningMeth vs « Therapie as usual »

WarningMeth Therapie

Zeitlich limitiert (4 Sitzungen) Normalerweise zeitlich nicht limitiert

Ein Änderungswunsch wird nichtunbedingt vorgebracht

Gewöhnlich wird ein Änderungswunschvorgebracht

Hauptsächlicher Fokus auf die Entwicklung der Selbstregulierung undder persönlichen Ressourcen

Schliesst auch die Behandlung vonassoziierten psychischen Störungen ein(Depression, posttraumatischeStresszustände…), ein medizinischerSuchthilfe-Ansatz (Medikation…) etc.

Fokusierter Ansatz Globaler Ansatz

Intervention Brève (processus)

Konsum wirdeingestellt

Reduktion des Konsums

Kein Effekt aufden Konsum

KonsumentIn XStandardisierte

Kurzintervention

TherapeutischeBetreuung

Reduktion der Latenzzeit vor

einerzukünftigen

therapeutischenBetreuung

Psycho-edukatives Programm

• Basierend auf:

– ACT (Akzeptanz- und Commitmenttherapie)

– KVT (Kognitive Verhaltenstherapie)

– MI (Motivierende Gesprächsführung).

• Der Fokus liegt v. a. auf den positiven Folgeneines geänderten Verhaltens und den Schwierigkeiten, die sich bei unverändertemVerhalten ergeben.

Psycho-edukative Prinzipien

• Entwicklung der Selbstregulation:– Informationen geben

– Die Richtung definieren («der Entscheid zur Veränderungliegt bei den betroffenen Personen»)

– Selbstbeobachtung und -analyse

– «insight» und «outside» entwickeln

– Alternative Verhaltensweisen entwickeln, unterEinbezug der persönlichen Werte

– Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit entwickeln (sichfähig fühlen, Resultate erwarten)

4 Standardsitzungen

Frage:Die im Partysettingkonsumierten Drogenhaben ein geringesAbhängigkeitspotenzial.Richtig?Falsch?

Sitzung 1

• Selbstevaluation des eigenen Konsums

• Informationen zur Substanz

• Definition des Umgangs mit der Substanz(Ziele)

Sitzung 2

• «Überprüfung der Hausaufgaben» + Reevaluation der eigenen Ausrichtunggegenüber der Substanz

• Tabelle « insight » und « outsight » (Auslöser, die zum Konsum führen)

Sitzung 3

• «Überprüfung der Hausaufgaben» + Reevaluation der eigenen Ausrichtunggegenüber der Substanz

• Arbeit zu den Werten der Klientin/des Klienten

Meine 5 wichtigsten Werte: Wichtigkeit HandlungZufriedenheit /

Handlungsebene

Sitzung 4

• Überprüfung der Aufgaben + Reevaluation der eigenen Ausrichtung gegenüber der Substanz

• Bilanz des Erreichten

• Fragebogen Studie

• … und danach: Telefonanruf nach 6 Monaten

WarningMeth ado (1)

Es ist wichtig, die Familie so weit wie möglicheinzubeziehen!

«Der Konsum steht häufig im Mittelpunktzahlreicher Streitigkeiten in der Familie, während es untergründig eigentlich um andere bedeutsamereThemen geht. Mit dem Einbezug der Eltern wird es möglich, von der Substanz Abstand zu nehmen undandere Schwierigkeiten anzugehen. » (Descoeudres, 2016)

WarningMeth ado (2)

Die Eltern werden in den Evaluationsprozess integriert

• Die Eltern werden zu einer zusätzlichen Sitzung ohne den Jugendlichen/die Jugendliche eingeladen.• Sämtliche wichtigen Punkte der Sitzung werden dem/der Jugendlichen durch den Therapeuten mitgeteilt.• Die Eltern nehmen an einem Teil des Abschlussgesprächs mit dem/der Jugendlichen teil.• Dieses Synthesegespräch wird mit dem/der Jugendlichenvorbereitet. TherapeutIn und Jugendlicher verständigen sichdarüber, was den Eltern weitergesagt wird. Der Therapeutwird nicht lügen, aber er ist nicht verpflichtet, alles zu sagen.

WarningMeth ado (3)

• Die 4 Gespräche mit den Jugendlichen erlauben es, eine therapeutische Allianz aufzubauen.

• Das Gespräch mit den Eltern erlaubt es, auch ihrVertrauen zu gewinnen.

• Die Arbeit ist manchmal ein Balanceakt.

• Unsere Erfahrung zeigt eine bessere Adhäsion beieiner Folgebehandlung und eine bessere Betreuung, wenn die Eltern in das Vorgehen einbezogen werden.

Erste Resultate

• 2017 traten im ersten Halbjahr 12 Personen in das Programm ein, darunter 4 Minderjährige.

• Befolgung des Programms?

• Reduktion des Konsums?

• Einbindung in eine Therapie?

• Zufriedenheit mit dem Program?

Erste Resultate

8%17%

75%

Befolgung des Progamms

keine Teilnahme

Abbruch

Programm vollständigabsolviert

Erste ResultateMeth-Konsum

0

1

2

3

4

5

6

T1 T2

Methamphétamine

1

2

3

4

5

6

7

8

Werte von 0 bis 6 : 6 : täglich5 : 5 Mal oder mehr pro Woche4 : 3 Mal pro Woche3: 2 Mal pro Woche2 : 1 Mal pro Woche1 : Weniger als 1 Mal pro Woche0 : Kein Konsum in den letzten 2 Wochen

• Kleine Stichprobe ( + noch keine Telefonrückmeldung nach 6 Monaten)• Die Mehrheit hat vor der ersten Sitzung mit dem Konsum aufgehört• Verringerung oder Aufgabe des Konsums bei der « Gruppe » (3), die zu Beginn des

Programms konsumierte

Erste Resultate

3

2

3

Weitere Inanspruchnahme einer Betreuungausserhalb des Programms ?

oui

pas actuellement

non

0

1

2

3

4

Zufriedenheit mit der Beratung/Betreuung

Werte von 0 bis 4 : 4 : sehr zufrieden3: ziemlich zufrieden2 : weder noch1 : ziemlich unzufrieden0 : sehr unzufrieden

Erste Resultate

Aktuelle Fragen

• Anzahl der Sitzungen?

• Ausweitung auf andere Substanzen?

• Selektion bestimmter Typen von KlientInnen?

• Kosten des Programms?

• ?