Das Rote Kreuz kam zu spät - Ben-Tov (1990, Rezension)

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  • 7/24/2019 Das Rote Kreuz kam zu spt - Ben-Tov (1990, Rezension)

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    Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.08.1990, S. 9

    Ben-Tov, Arieh: Das Rote Kreuz kam zu spt

    Arieh Ben-Tov: Das Rote Kreuz kam zu spt. Die Auseinandersetzung zwischen dem jdischen Volk und demInternationalen Komitee vom Roten Kreuz im Zweiten Weltkrieg. Ammarm Verlag, Zrich 1990. 511 Seiten, 58,-DM.

    Dies ist nicht das erste kritische Buch ber das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und seineZaghaftigkeit bei der Hilfe fr die von den Nationalsozialisten tdlich bedrohten Juden Europas. 1988 erschienzunchst auf franzsisch, 1989 auch auf deutsch, eine umfassende Darstellung des Schweizer HistorikersJean-Claude Favez ber "Das Internationale Rote Kreuz und das Dritte Reich" (F.A.Z. vom 4. April 1990). DerVorwurf der Unttigkeit und der bertriebenen Vorsicht an die Mitglieder des IKRK, zumal an dessenVorsitzenden, den Schweizer Vlkerrechtsprofessor Max Huber, findet sich bedeutend verstrkt, aber auchvergrbert in der Darstellung, die Arieh Ben-Tov ber das IKRK und die Verfolgung der ungarischen Juden im Jahr1943/44 verfat hat.

    Die Arbeit dieses 1923 geborenen israelischen Autors aus Polen, der in Auschwitz seine Eltern und alle fnfGeschwister verlor und als einziges Mitglied seiner Familie berlebte, stellt heraus, da das IKRK in Ungarn nichtnur fr eine besonders groe Gruppe von Juden -

    ursprnglich 800 000 Personen, von denen 500 000 1944 von den Nazis mit Hilfe ungarischer Behrden deportiertund umgebracht wurden - htte eingreifen knnen, sondern auch, da die politischen Umstnde fr em solchesEingreifen in Ungarn wesentlich gnstiger waren als in den von Hitler-Deutschland besetzten Lndern. DennUngarn war, auch noch als zuletzt deutsche Truppen dort standen, em souverner Staat.

    Ben-Tov schlo das Manuskript seines Buches ab, ehe Favez' Werk erschienen war. Seine Darstellung kommt zueinem hnlichen Urteil. Das IKRK habe sich gegenber diesen Verbrechen zu eng an seine eigenen Statuten und dieRot-Kreuz-Konventionen gehalten, zu lange seine eigenen Delegierten daran gehindert, fr die bedrohten Judenttig zu werden, zu sehr auf Abstimmung mit der schweizerischen Bundesregierung und deren Wunsch geachtet,Hitler nicht zu provozieren, und Rot-Kreuz-Gedanken und Schweizer Neutralitt in viel engerem Zusammenhangals ntig gesehen. Der Hauptvorwurf lautet, zu trge gewesen zu sein, zu spt und zu wenig fr die bedrngtenJuden getan zu haben, wo es die Mglichkeiten dazu gegeben habe. Erst im Juli 1944, als mittlerweile die Zeitungen

    Berichte entkommener Juden aus Auschwitz verffentlichten und die Schweizer Bevlkerung Proteste undEinmischung verlangte, habe sich das IKRK dazu bequemt, nicht nur um Juden, sondern auch "um die eigene Ehrezu retten", wie der Verfasser bitter bemerkt. Desto mehr lobt er die Initiativen und praktischen Hilfen, die die beidenDelegierten des IKRK in Ungarn, Jean de Bavier, spter Friedrich Born, in Budapest unternahmen.

    Das Buch ist grndlich recherchiert. Der Darstellung liegen Studien der Akten des IKRK, des eidgenssischenpolitischen Departements, des deutschen Auswrtigen Amtes, des Jdischen Weltkongresses und anderer Archivezugrunde. Doch die Darstellung lt einige Wnsche an Klarheit der Prsentation und auch an strengerwissenschaftlicher Disziplin offen. Der Autor ist kein geschulter Historiker, wie auch seine zahlreichen, immerwieder eingestreuten persnlichen Ansichten anstelle strenger Deduktionen erweisen. Es fehlt auch an Bemhung,zu errtern und vielleicht auch zu verstehen, warum es den lteren Damen und Herren im Hotel "Metropol" in Genfso schwer fiel, sich aus dem Kokon ihrer diplomatisch-juristischen Betrachtungsweise der Aufgabe des IKRK zu

    lsen. Ben-Tov hlt dieses Zgern und vorsichtige Abwarten der Genfer Rot-Kreuz-Zentrale fr unbegreiflich - imAngesicht so unbegreiflicher Verbrechen. Em Anwalt, der er ist. darf so sprechen.

    GNTHER GILLESSEN

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