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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Tandem
aktualisierte Fassung vom:
4.11.14
Autor: Friedrich Ani
RedakteurIn: Katrin Zipse
Regie: Ulrich Lampen
Das Verschwinden der Natalia Aschenbrenner
Hörspielserie in sechs Folgen
Folge 4: Das Schattenhaus
Studiobelegung:
24.11.- 19.12.2014; BAD Studio 2; 9.00 – 16.45 Uhr
Sendung am: 14.04.2015 um 19.20 Uhr in SWR2 Tandem
Sprecher/Rollen: s. nächste Seite
PODCAST Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers. © by the author
2
Personen:
Tabor Süden, Mitte 50, Detektiv
Natalia Aschenbrenner, 34, Maskenbildnerin
Walter Steinhaus, 57, zwielichtiger und selbstgefälliger Sohn des ehemaligen
Besitzers einer Papierfabrik im Schwarzwald
Maxie Feininger, 32, zahnmedizinische Fachangestellte, beste Freundin von Natalia
Carlo Riess, 43, Busunternehmer
Eloise Valéry, 59, Köchin aus dem Elsass
3
1. Erste Szene – Waldhütte – Mittwochmorgen
Schwarzwald-Melodie.
Wind. Regentropfen fallen auf Blätter. Rascheln und Knistern. Undefinierbare
Tierlaute.
1SÜDEN (Erzähler)
Ich hatte einen Menschen gekidnappt.
Schweigen.
Ich bereute es nicht.
Schweigen.
Ich handelte in einer Art Notwehr.
Schweigen.
Ich versteckte mich mit meiner Geisel im Schwarzwald.
Schweigen.
Ich sollte eine verschwundene Frau aus München finden und hielt
stattdessen ihre beste Freundin in meiner Gewalt.
Schweigen.
2MAXIE Was willst’n jetzt mit mir machen?
3SÜDEN (Erzähler)
Ich wusste es nicht.
4
4MAXIE Wenn mein Freund dich findet, bringt er dich um.
5SÜDEN (Erzähler)
Wir hatten in einer halb verfallenen Hütte Unterschlupf gefunden,
ungefähr fünfhundert Meter vom Hotel Lichtfels entfernt, in dem
niemand mehr wohnte außer der ehemaligen Köchin des Hauses.
Dort hatte ich übernachten und von Eloise Valéry die Wahrheit
erfahren wollen.
6MAXIE Glaubst du echt, ich verrat dir was?
7SÜDEN (Erzähler)
Sie hieß Maxie und sie log wie alle anderen, die mir bisher begegnet
waren.
8MAXIE Und wenn du mich eine Woche hier einsperrst. Ist mir egal. Du
unterschätzt mich total.
9SÜDEN Ich unterschätze Sie nicht.
10MAXIE In den Filmen ist es immer so, dass der Entführer sein Opfer duzt,
also duz mich, halt dich an die Regeln.
11SÜDEN Ich unterschätze dich nicht.
12MAXIE Klar, hast du schon immer getan, damals schon.
13SÜDEN Damals, als du mit deinem Liebhaber nach Südtirol abgehauen bist.
5
14MAXIE Schau, du kapierst nix. Wir sind nicht abgehauen, wir sind
aufgebrochen. Verstehst du? Aufgebrochen in ein neues Leben. Und
du hast alles zerstört. Und das werd ich dir nie verzeihen.
15SÜDEN Du warst vermisst, deine Eltern haben dich von der Polizei suchen
lassen. Ein Jahr später warst du volljährig und hättest aus freien
Stücken weggehen können. Aber du bist dann nicht mehr
weggegangen.
16MAXIE Woher willst’n du das wissen? Du weißt gar nix.
17SÜDEN Du bist nicht weggegangen, dein Liebhaber hatte inzwischen eine
andere.
Schweigen.
Knistern und Rascheln.
18MAXIE Ha!
19SÜDEN Ja?
20MAXIE Eigentlich gut, dass wir hier sind. Weißt du, wieso?
Schweigen.
Das macht mich an. Motiviert mich. Passt mir ins Konzept. Erzähl mir
was von dir. Wie alt bist du?
21SÜDEN Fünfundfünfzig. Und du?
22MAXIE Geht dich nix an. Bist du verheiratet?
6
23SÜDEN Nein. Du? Geht mich nichts an.
24MAXIE Armer Hund. Was bist du? Detektiv? Wieso? Du warst doch mal‘n
Bulle. Verdient man da nicht viel besser?
25SÜDEN Doch.
26MAXIE Versager.
27SÜDEN Du bist also froh, dass du mich getroffen hast.
28MAXIE Was?
29SÜDEN Nach all den Jahren, in denen du mich gehasst hast, stehe ich
plötzlich vor dir, und du denkst: Jetzt räche ich mich an ihm.
30MAXIE Was du alles denkst.
31SÜDEN Was wurde aus dem Mann in Brixen?
Schweigen.
32SÜDEN Du hast ihn nie wiedergesehen.
33MAXIE Du kapierst es einfach nicht: Ich wollt ihn nicht wiedersehen, er hat
mich verarscht, hast du das vergessen, Opa?
34SÜDEN Er hat uns gesagt, wo du dich aufhältst.
35MAXIE Verräter.
36SÜDEN Er war vorbestraft.
7
37MAXIE Und?
38SÜDEN Angeblich wusste er nicht, dass du noch minderjährig bist.
39MAXIE Quatschen wir jetzt von meiner Vergangenheit? Was willst du? Was?
40SÜDEN Ich will Natalia finden.
41MAXIE Schaffst du nicht.
42SÜDEN Warum schaffe ich das nicht?
43MAXIE Du kommst in den Knast, weißt du das? Ich werd denen sagen, was
passiert ist, und sie werden dich mitnehmen und einsperren. So
einfach ist das.
44SÜDEN Du wirst nicht zur Polizei gehen.
45MAXIE Ha! Süden. Wie heißt du eigentlich mit Vornamen? Hab‘s vergessen.
46SÜDEN Tabor.
47MAXIE Tabor. Da bleib ich lieber bei Süden, alles klar? Wieso soll ich nicht
zur Polizei gehen und dich anzeigen?
48SÜDEN Weil du mit deinem Freund Natalia Aschenbrenner entführt hast.
49MAXIE Echt jetzt?
50SÜDEN Wo bleibt dein Freund? Warum hat er nicht längst die Polizei
alarmiert? Immerhin bist du spurlos verschwunden.
51MAXIE Der weiß schon, dass ich wiederkomm, der kennt mich.
8
52SÜDEN Ist er auch viel älter als du?
53MAXIE Geht dich das was an?
54SÜDEN Nein.
55MAXIE Dann halt die Klappe.
Schweigen.
Du hast echt keine Ahnung, auf was du dich eingelassen hast.
Schweigen.
Hast du Schiss?
Schweigen.
Ein Bulle kennt keinen Schiss. Du bist ein Ex-Bulle, Süden, du bist
bloß noch ein Detektiv, der die Welt nicht mehr versteht. Mach dir nix
draus. Du bist alt, die Welt dreht sich auch ohne dich weiter. Schau
nicht so traurig … Ist dir kalt? Meine Mütze kriegst du nicht.
56SÜDEN Wo ist Lukas?
57MAXIE Wer?
58SÜDEN Natalias Freund.
Schweigen.
Er existiert nicht. Du hast ihn erfunden.
Schweigen.
9
Dein Geld ist in meiner Reisetasche, du kannst es wiederhaben.
Schweigen.
Was wolltest du mal werden, Maxie?
59MAXIE Tänzerin in einem Nachtclub.
Schweigen.
Du glaubst auch alles, was man dir erzählt.
Schweigen.
Ich wollt Eishockeyspielerin werden. Glaubst du nicht, was? Ist mir
egal. Ich wollt so werden wie die Maren Valenti. Kennst du die?
Natürlich nicht. Vier Mal ist die Deutsche Meisterin gewesen und hat
sogar mal bei den Eisbären Berlin gespielt.
Schweigen.
Sie ist die Größte. Ich wollt Stürmerin werden, wie sie.
Schweigen.
Merk dir mal den Namen. Eine bessere wird’s nie geben im
Eishockey. Wie heißt sie?
60SÜDEN Maren Valenti.
61MAXIE Halt die Klappe.
Schweigen.
10
Wieso wird’s eigentlich nicht endlich mal hell?
Schweigen.
Hast du eine Uhr?
62SÜDEN Nein. Warum bist du keine Eishockeyspielerin geworden?
63MAXIE (heftig)
Weil ich verletzt war, was denn sonst?
Stille.
64SÜDEN Willst du wissen, was ich einmal werden wollte?
65MAXIE Nein.
Schweigen.
Und was?
66SÜDEN Nichts.
67MAXIE Hä?
68SÜDEN Ich wollte nichts werden, ich hatte keine Vorstellung von meiner
Zukunft. Mein bester Freund hat uns dann bei der Polizei
angemeldet. Der wusste auch nicht, was er später mal machen
sollte.
69MAXIE Und deswegen bist du Bulle geworden.
70SÜDEN Unbedingt.
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71MAXIE Hat’s Spaß gemacht, andere einzusperren?
72SÜDEN Die meiste Zeit meines Berufslebens war ich in der Vermisstenstelle
der Kripo.
73MAXIE Ja, klar. Und du? Vermisst dich jemand, wenn du nicht mehr nach
Haus kommst?
74SÜDEN Vielleicht.
75MAXIE Wer denn?
76SÜDEN Meine Chefin in der Detektei.
77MAXIE Und was ist mit deinem Kumpel, wegen dem du Bulle geworden bist?
78SÜDEN Er lebt nicht mehr. Hast du sie mal getroffen?
79MAXIE Wen?
80SÜDEN Maren Valenti.
81MAXIE Wieso hätt ich die treffen sollen?
Schweigen.
Sie ist Künstlerin geworden. Hab mal Bilder von ihr im Internet
gesehen, bunte Sachen, lustig. Würd mir was von ihr kaufen, wenn
ich das Geld hätt.
Schweigen.
82SÜDEN Wo ist Natalia?
12
83MAXIE Fängst du schon wieder an?
84SÜDEN Dann sag mir wenigstens, warum ihr sie entführt habt?
85MAXIE Nö.
86SÜDEN Was hat Walter Steinhaus mit der Entführung zu tun?
87MAXIE Wer?
Schweigen.
88SÜDEN Warum läufst du nicht weg?
89MAXIE Hä?
90SÜDEN Geh doch einfach. Oder fürchtest du dich allein im dunklen Wald?
91MAXIE Echt nicht.
Schweigen.
Du verstehst das alles nicht.
92SÜDEN Versuch, es mir zu erklären.
93MAXIE Wozu denn? Dass das nicht in deinen Kopf geht: Von dieser Gegend
kommst du nicht mehr lebend weg. Wie oft muss ich dir das noch
erklären?
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2. Zweite Szene – Höhle – Mittwoch
Schwarzwald-Melodie.
Die Stimmen klingen hallig und leicht verzerrt.
94CARLO Mach endlich den Koffer auf.
95NATALIA Du hast mich in einer Höhle eingesperrt. Du bist verrückt.
96CARLO Du wolltst abhauen, du wolltst mich austricksen, du bist verrückt.
97NATALIA Was hab ich dir denn getan?
98CARLO Fang endlich an!
99NATALIA Ich versteh dich nicht.
100CARLO (laut)
Das ist auch sch-scheißegal, a-anfangen!
101NATALIA Wieso tust du das? Was hast du denn vor? Wo ist Maxie?
102CARLO Maul h-halten!
Er gibt ihr eine Ohrfeige. Natalia schreit auf. Das Klatschen hallt in der Höhle wider.
103CARLO N-noch einen T-Ton, und d-du kommst und i-ich …
Er versucht, sich zu beruhigen.
Ich möchte, dass du mir hilfst, sonst nichts.
Natalia schneuzt sich.
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104NATALIA Danke, dass du mich losgebunden hast.
105CARLO Mach endlich.
106NATALIA Du hast mich entführt, weil ich dich schminken soll?
107CARLO Ich hab dich entführt, weil du eine störrische Kuh bist.
108NATALIA Du hast mich geschlagen und eingesperrt, und jetzt willst du, dass
ich dir helf? Wir waren mal ein Paar, Carlo, das ist noch nicht so lang
her, und ich hätt nie gedacht, dass du mich mal so hintergehst.
109CARLO Willst du, dass ich dich noch mal schlag? Und festbind? Und dich
allein hier lass?
110NATALIA Nein, bitte nicht. Weißt du, wie kalt es hier nachts ist? Und die
Geräusche. Und alles ist so finster.
111CARLO Glaubst du, das weiß ich nicht. Jetzt fang an!
Er schüttelt den Koffer mit den Schminksachen.
112NATALIA Nicht so schütteln, dann fällt alles durcheinander. Setz dich. Setz
dich hier auf den Stein. Und die Taschenlampe musst du so halten,
dass das Licht voll auf dein Gesicht fällt. So. Noch ein bisschen …
So müsst es gehen.
Sie fängt an, ihn zu schminken.
113CARLO Zitter nicht so.
114NATALIA Wie hast du ausgeschaut mit der Perücke?
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115CARLO Bescheuert.
116NATALIA Aber es hat dich niemand erkannt.
117CARLO Nein.
118NATALIA Wieso darf niemand dich erkennen?
119CARLO Mach weiter.
120NATALIA Ich will wissen, warum du mich so behandelst. Und warum du solche
Angst hast.
121CARLO Spinnst d-du?
122NATALIA Ruhig sitzen bleiben!
123CARLO Zeig mal den Spiegel her.
124NATALIA Ist noch viel zu früh. Ich kenn dich ein wenig, und ich weiß, wie du
bist, wenn du vor was Angst hast.
125CARLO Woher denn?
126NATALIA Ich verwandle Menschen, ich schau ihnen stundenlang ins Gesicht.
Ich spür, was unter ihrer Haut passiert. Ich kann fühlen, wenn sie
sich fürchten, und ich seh in ihren Augen, was sie denken und wann
sie sich verstecken.
127CARLO Mach einfach weiter, Mann!
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128NATALIA Und wenn du alles, was du dir vorgenommen hast, erledigt hast, was
passiert dann?
129CARLO Hängt von dir ab.
130NATALIA Ich mein nicht mich. Was passiert mit dir? Mit Maxie? Was wird aus
deinem Leben? Soll ich dich dann wieder abschminken?
131CARLO Was denn sonst, blöde K-Kuh!
132NATALIA Und du lebst dein altes Leben weiter.
133CARLO Sei still.
134NATALIA Kann ich nicht, ich muss mich unterhalten, wenn ich arbeite.
135CARLO Ich bin kein Schauspieler, vor mir musst du keine Show abziehen.
Wie weit bist du?
136NATALIA Spürst du das nicht?
Schweigen.
Seltsame Geräusche.
137NATALIA Heut Nacht hab ich dich gehasst. Ich hab dich so sehr gehasst, dass
ich mir vorgestellt hab, du verlierst die Kontrolle über dein Auto,
stürzt eine Schlucht runter und verbrennst bei lebendigem Leib. Das
hab ich mir so intensiv vorgestellt, dass ich das Bild vor mir gesehen
hab: wie das Auto schlittert und schlingert, dann eine Leitplanke
durchbricht und in die Tiefe fällt, hundert Meter, und dann mit einem
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fürchterlichen Krach auf einem Felsen aufschlägt und sofort in
Flammen aufgeht. Und du hast keine Chance. Du verkohlst bis auf
die Knochen.
Schweigen.
Danach konnt ich ein wenig schlafen.
Schweigen.
Jetzt, wo du so vor mir sitzt und ganz still bist, hass ich dich nicht
mehr. Ich glaub, ich kann dich sogar verstehen. Du musst so
handeln, wie du handelst, du hast keine andere Chance. Ich weiß
nicht, was du vorhast, und ich will’s auch nicht wissen, und ich hab
auch keine Angst mehr vor dem, was kommt. Du hast eine
verzweifelte, arbeitslose Maskenbildnerin entführt, eine geeignetere
hättst du nicht finden können.
Schweigen.
138CARLO Hab ich doch gesagt: du bist verrückt.
3. Dritte Szene – Hotel Lichtfels – Mittwoch
139STEINHAUS Alt bist du geworden, Eloise. Geh doch mal zum Friseur, mach was
mit deinen Haaren, bring Farbe in dein Gesicht. Und zieh dir mal was
anderes an, dass du nicht dahockst wie eine schwarze Krähe am
Friedhof. Ok?
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140ELOISE Das Hotel bekommst du niemals.
141STEINHAUS Du meinst, weil du immer noch Teilhaberin bist? Dream on, lady. Das
Gebäude samt Grundstück hat mein Vater gekauft. Schon
vergessen? Du hast gar nichts zu melden. Wenn ich das Haus
haben will, krieg ich’s. Alles geregelt.
142ELOISE Du lügst. Außerdem hast du das Geld gar nicht.
143STEINHAUS Was weißt du von meinem Geld? Eddy hat mir eine Menge vererbt,
eine Menge, Eloise.
144ELOISE Dein Vetter.
145STEINHAUS Eduard. Genau der. Eddy hatte einen Sohn, den er nicht leiden
konnte, ein raffgieriger, hinterhältiger Kerl. Ray. Und Eddy hat dafür
gesorgt, dass für Ray nur das Nötigste übrig bleibt, falls ihm was
zustoßen sollte. Und das hat er schriftlich festgelegt. Verstehst du?
146ELOISE Und ihm ist was zugestoßen, deinem Vetter.
147STEINHAUS Hab ich dir doch schon erklärt, er ist verunglückt.
148ELOISE Du hast mir nichts erklärt, du hast gesagt, du hättest Geld geerbt.
149STEINHAUS And that’s the truth, Ruth. Ist so was wie ein Erbe.
150ELOISE Wie ist er verunglückt?
151STEINHAUS Es ist passiert, tragisch, aber nicht zu ändern.
152ELOISE Wie, Walter?
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153STEINHAUS Er wurde erschossen.
154ELOISE Von wem?
155STEINHAUS Haben die Cops nie rausgefunden. Es war Nacht, er war allein,
jemand wollte in sein Haus einbrechen. Passiert ständig. Wie die
Cops rekonstruiert haben, hat er den Einbrecher gestellt, und der hat
ihn dann abgeknallt. Zufrieden?
156ELOISE Nein.
157STEINHAUS Niemand kann sich gegen das Schicksal stellen, das weißt du doch.
Die Dinge passieren. Komm …
158ELOISE Ne me touche pas!
159STEINHAUS Bitte, alles cool. Ich touchier dich doch nicht, was ist los mit dir? Du
tust, als wärst du überrascht gewesen, mich zu sehen. Das war doch
völlig klar, dass ich wiederkomm, eines Tages. Wieso das klar war?
Weil du auf mich gewartet hast. Weswegen bist du sonst hier
geblieben, in diesem abgefuckten Kasten? Hey! Du wusstest, dass
ich dich nicht vergess, und ich wusste, dass du mich nicht vergisst.
Wir gehören zusammen, seit damals, nichts wird sich daran ändern.
Glaubs mir einfach. Schau nicht so tranig. Tranig? Ist das das Wort?
Lang nicht mehr benutzt. Schönes Wort, passt zu dir. Mach dich
doch nicht so klein, sei nicht so trotzig. Wir haben eine Zukunft, ich
mach dich zu meiner Personalchefin, du stellst die Leute ein, du
bestimmst über den Speiseplan und die Weine, und ich kümmer
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mich ums Hotel. Alles, was ich über das Business wissen muss, hab
ich von Eddy gelernt, sogar Buchhaltung und den ganzen
Steuerscheiß. Ich kenn mich aus. Wir bauen das Hotel Lichtfels
wieder auf, in neuem Glanz. Du und ich. Endlich wieder vereint.
160ELOISE Wer hat deinen Vetter erschossen?
161STEINHAUS Die Cops arbeiten daran, hast du mir nicht zugehört?
162ELOISE Du hast ihn erschossen, um an sein Geld zu kommen.
163STEINHAUS Ach, Darling, du hängst in der Warteschleife. Seit fünfundzwanzig
Jahren hängst du da und merkst es nicht.
Er klatscht in die Hände.
So, und jetzt machst du uns Frühstück, und dann will ich die
Inventarliste sehen.
164ELOISE Träum weiter, Walterlein.
Sie beginnt mit einem Klavierstück.
4. Vierte Szene – Wald – Mittwochnacht
Knistern und Knacken. Krähen schreien.
165MAXIE Was denkst’n?
166SÜDEN Ich denke an dich.
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167MAXIE Da brauchst nicht weit denken, ich sitz ja hier.
168SÜDEN Ich denke drüber nach, warum du mich umbringen willst. Du bist
vierunddreißig Jahre alt und willst mir einreden, du hättest dein
halbes Leben damit verbracht, auf den Tag der Rache zu warten.
169MAXIE Ich hab’s dir schon acht Mal erklärt, und ich erklär’s dir ein neuntes
Mal: Ja, genau.
170SÜDEN Was ist passiert, nachdem wir dich damals nach Hause
zurückgebracht haben?
171MAXIE Nicht: wir. Du! Du hast mich nach Haus gebracht, da war sonst
niemand dabei, kein Mensch, nur du. Du!
172SÜDEN Und dann?
173MAXIE Und dann? Dann nix. Gar nix.
174SÜDEN Deine Eltern haben dich bestraft.
175MAXIE Nö.
176SÜDEN Du kannst ehrlich sein. Deine Entscheidung steht fest, und ich werde
nicht weglaufen.
177MAXIE Klar.
178SÜDEN Was?
179MAXIE Klar wirst du weglaufen, du wirst’s versuchen. Aber es wird dir nix
nützen.
22
180SÜDEN Was ist damals bei euch zu Hause passiert?
181MAXIE Nichts Außergewöhnliches.
Schweigen.
Mein betrunkener Vater hat wieder mal so zugeschlagen, dass ich
fünf Zähne verloren hab. Meine Nase war gebrochen. Mein Kiefer
musst‘ geschient werden. Und weil ich mit dem Kopf gegen den
Schrank gekracht bin, hatt‘ ich ein Schädel-Hirn-Trauma. Und die
Schulter war auch gebrochen. Genügt das? War ein starker Mann,
mein Vater, hatte Muskeln.
Schweigen.
Obwohl er schon vierundsechzig war. Alter Sack, aber: ehemaliger
Boxer. Später Wirt. Wollt angeblich mal Profiboxer werden, aber
dazu hat’s dann doch nicht gelangt.
182SÜDEN Deine Mutter hat dich nicht beschützt.
183MAXIE Wer ist das? Sie fand ihn immer gut. Nach der Sache mit dem
Schädel-Hirn-Trauma und weil ein Arzt im Krankenhaus die Polizei
informiert hat, hat sie Schiss gekriegt. Sie hat Anzeige erstattet,
wegen Körperverletzung, was weiß ich. Ist nichts draus geworden,
der Alte war besoffen, er hat sich entschuldigt, hat Bewährung
gekriegt und musst‘ irgendwo Klos putzen oder was weiß ich.
Sozialer Dienst für’n Arsch. So war das. Von Zähnen versteh ich
inzwischen was, das kannst du mir glauben.
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184SÜDEN Er hatte dich früher auch schon geschlagen.
185MAXIE Kommt langsam Luft in dein Gehirn? Was glaubst du, wieso ich weg
bin, wieso ich dauernd weg bin? Und jedes Mal hat mich irgendein
Superbulle zurückgebracht. Weißt du, wann ich zum ersten Mal weg
bin? Mit acht. Klingelt’s? Hätt schon mit fünf abhauen können, wenn
ich mich getraut hätt. Weil der war damals schon … Und dann
kommst du und fährst mir bis nach Brixen hinterher und schleppst
mich wieder zurück. Weil das deine Pflicht ist! Weil ich minderjährig
bin! Weil man das nicht macht: ausreißen. Weil das gesetzlich
verboten ist. Aber wenn du die Tür hinter dir zugezogen hast, ist alles
erlaubt. Und der Superbulle macht Feierabend und kümmert sich
einen Scheiß um das, was er angerichtet hat. Denkst du, so was
vergess ich? Hast du gedacht, ich werd einfach bloß alt, und meine
Erinnerung löst sich irgendwie in Luft auf? Wie ein Furz? Glaubst du,
ich furz im Kopf? Ich hab immer gehofft, dass ich dich mal
wiederseh, und dann hätt ich dich verfolgt, so lang, bis der richtige
Moment gekommen wär, so lang, und dann hätt ich dir noch gesagt,
was Sache ist, so wie jetzt, und dann tschüss! Jetzt wird doch noch
alles gut.
Schweigen.
186SÜDEN Lebt dein Vater noch?
187MAXIE Nö.
188SÜDEN Und deine Mutter?
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189MAXIE Wer ist das?
Schweigen.
Sie ist sechsundzwanzig Jahre jünger als er. Außerdem ist sie
unsterblich.
Schweigen.
Im Gegensatz zu dir.
5. Fünfte Szene – Höhle – Mittwoch
190CARLO Sch-Scheiße.
191NATALIA Du erkennst dich nicht wieder, stimmt’s?
192CARLO Sch-Scheiße.
193NATALIA Ich hab dich einfach älter gemacht.
194CARLO (nach einem Schweigen)
Älter und … anders.
195NATALIA Jetzt erkennt dich nicht mal die Maxie.
196CARLO Du bist ein Profi.
197NATALIA Danke. Darf ich jetzt gehen, bitte?
198CARLO Nein!
25
Er packt und knebelt sie. Die Geräusche hallen wider.
199NATALIA A…aber du gesagt, du lässt mich …
Er ringt sie zu Boden und fesselt sie an einen Pfosten. Sie hat keine Chance gegen
ihn. Sie will was sagen, aber man versteht sie nicht.
200CARLO Ich vergess dich schon nicht. Spitzenarbeit, großes Kompliment.
Schwarzwald-Melodie.
6. Sechste Szene – Spielcasino – Mittwoch
Die Schwarzwald-Melodie geht über in das Geräusche-Orchester des Spielcasinos.
Stimmen und Gemurmel. Das Roulette dreht sich, die Kugel rollt. Pokerkarten
werden gemischt.
201STEINHAUS Das ist interessant, was Sie sagen. Jetzt hab ich Ihren Namen
vergessen.
202CARLO (mit tieferer Stimme)
Staudinger.
203STEINHAUS Exakt. Und Sie sind Investor?
204CARLO Ich hab Glück im Leben gehabt, hab ein paar Wohnungen in
München und Berlin gekauft, und was soll ich sagen: der Rubel rollt!
205STEINHAUS Fantastisch! Da sind Sie hier im Casino genau am richtigen Ort, der
Rubel rollt hier ununterbrochen. Ich lad Sie auf ein Bier ein.
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206CARLO Müssen Sie nicht zurück an den Pokertisch?
207STEINHAUS Ich gewinn später noch genug.
Sie gehen zur Bar.
Und wer hat Ihnen gesagt, dass ich am Hotel Lichtfels dran bin?
Dass das mein Objekt ist?
208CARLO Hab mich umgehört.
209STEINHAUS Aha. Was ist mit Ihrem Bein. Unfall?
210CARLO Kleine Auseinandersetzung. Kennen Sie Neukölln?
211STEINHAUS Ich kenn nur Köln. (zum Barkeeper) Ober, zwei Pils!
212CARLO Ist ein Stadtteil von Berlin. Ich würd gern mit Ihnen über das Hotel
Lichtfels reden.
213STEINHAUS Haben Sie schon gesagt. Darf ich Ihnen was verraten: Ich will nicht
mit Ihnen drüber reden. Ich kenn Sie nicht, Sie kommen hierher,
quatschen mich an in diesem billigen Anzug. Sorry, ich bin ein Mann
der offenen Worte, ok? Zum Wohl.
Sie stoßen mit den Gläsern an.
214CARLO Versteh ich, Ihre Reaktion. Trinken wir erst mal ein Bier.
215STEINHAUS Im ersten Moment fand ich Sie ganz ok, ein bisschen … schwul, mit
diesen Augenbrauen und Ihrem Versuch, Ihre Falten zu verstecken.
27
No problem! Alles klar, geht mich nichts an. Aber inzwischen fühl ich
mich doch belästigt.
Er trinkt sein Glas leer.
(zum Barkeeper) Machen Sie uns noch zwei!
216CARLO Wir haben übrigens einen gemeinsamen Bekannten.
217STEINHAUS Sehr unwahrscheinlich.
218CARLO Drago Pavic.
219STEINHAUS Nie gehört.
220CARLO Einer der Sous Chefs im Casino.
221STEINHAUS Sous Chef, was soll das sein? Prost.
Er trinkt.
222CARLO Ich möcht nicht aufdringlich sein. Denken Sie einfach mal drüber
nach. Ja? Einfach mal nachdenken. Ich red in der Zwischenzeit mit
Eloise Valéry, die findet meine Ideen nämlich sehr gut.
223STEINHAUS Wieso reden Sie mit der Frau?
224CARLO Kommen Sie einfach mit, dann können wir die Sache schnell klären.
Ich bin mit ihr verabredet.
225STEINHAUS Was quatschen Sie da? Woher kennen Sie die Frau?
226CARLO Ich kenn sie. Fahren wir?
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227STEINHAUS Weißt du, was ich glaub? Du bist einer dieser Zocker, die glauben,
sie können bei den Großen mitspielen. Aber wenn’s drauf ankommt,
ziehen sie den Schwanz ein und verschwinden im Unterholz. Ich hab
dich hier schon mal gesehen, ohne Schminke. Und ich hab dich auf
einem Foto wiedererkannt.
228CARLO Was für ein Foto?
229STEINHAUS Also, wenn du drauf bestehst, Hinkebein, dann los. Fahren wir!
230CARLO Was für ein Foto?
231STEINHAUS Was ist? Jetzt schon Schiss?
7. Siebte Szene – Vor Casino – Mittwoch
Carlo und Steinhaus kommen aus dem Casino. Straßengeräusche.
232STEINHAUS So, mein Wagen steht hier, wo ist deiner?
233CARLO Meiner steht auch hier. Steig ein!
Er entsichert seine Pistole.
234STEINHAUS Was soll das denn werden?
235CARLO Steig ein, wir fahren ins Hotel.
236STEINHAUS Schwerer Fehler, das mit der Pistole.
237CARLO Einsteigen!
29
Steinhaus öffnet die Tür, steigt ein. Carlo geht um das Auto herum und steigt auf der
Beifahrerseite ein und schlägt die Tür zu.
8. Achte Szene – Geländewagen Steinhaus – Mittwoch
Der Wagen fährt die Serpentinen hoch.
238STEINHAUS Was willst du überhaupt? Mich erschießen?
239CARLO Schau nach vorn.
240STEINHAUS Woher will einer wie du Drago Pavic kennen?
241CARLO Ich wasch Geld für ihn und seine Zockerfreunde.
Der Wagen bremst ab, fährt auf den Schotterplatz vor dem Hotel Lichtfels und hält
an.
Stille.
242STEINHAUS Und weiter?
243CARLO Schau, wer da aus dem Haus kommt. Meine Mutter.
244STEINHAUS Was redest du für Müll?
245CARLO Hast du nicht gewusst. Wozu auch?
246STEINHAUS Hör mal, du geschminkter Freak …
247CARLO Ich – bin – kein – Freak. Vater!
Schwarzwald-Melodie.
30
248SÜDEN (Erzähler)
Als Maxie und ich hinter Eloise Valéry aus dem Haus traten,
begriffen wir zunächst nicht, was geschah.
Ein lauter Schuss.
249SÜDEN (Erzähler)
Dann wurde die Fahrertür des Geländewagens aufgerissen, und
Walter Steinhaus taumelte mit schmerzverzerrtem Gesicht über den
Parkplatz, bis er vor Eloise zusammenbrach. Aus seinem Bein quoll
Blut.
Inzwischen war der Beifahrer ausgestiegen und näher gekommen. Er
hielt eine Pistole in der Hand, beugte sich über den reglos am Boden
liegenden Mann und sagte:
250CARLO Wer ist hier das Hinkebein?
251SÜDEN (Erzähler)
Dann richtete der Mann seine Waffe auf mich, nickte Maxie zu und
drückte ab.
Schwarzwald-Melodie.
Ende der vierten Folge