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DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK VII: Quantentheorie Claus Kiefer Institut f ¤ ur Theoretische Physik Universit ¤ at zu K ¤ oln

DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK - VII: Quantentheorie · Das Superpositionsprinzip I Seien 1 und 2 physikalische Zustande. Dann ist¨ 1 + 2 wieder ein physikalischer Zustand. Dies

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DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIKVII: Quantentheorie

Claus Kiefer

Institut fur Theoretische PhysikUniversitat zu Koln

1

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Die Geburtsstunde der Quantentheorie

Max Planck, Zur Theorie des Gesetzes der Energieverteilung imNormalspektrum, Verhandlungen der Deutschen PhysikalischenGesellschaft, 2 Seiten 237–245 (1900)

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Funfte Solvay-Tagung, Brussel, Oktober 1927

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Max Born und Werner Heisenberg, FunfteSolvay-Tagung 1927:Wir behaupten, daß die Quantenmechanik eine vollstandigeTheorie ist; ihre wesentlichen physikalischen undmathematischen Hypothesen werden keine Veranderungenerfahren.

Max Born, Funfte Solvay-Tagung 1927. . . Wie laßt es sich verstehen, daß die Spur jedes α-Teilchens[in der Wilson-Kammer] eine (ungefahre) Gerade zu seinscheint . . . ?

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Die Sprache der Quantentheorie

I Physikalische Zustande werden durch Wellenfunktionen Ψbeschrieben, die auf dem Raum aller moglichenKonfigurationen eines Systems definiert sind.

I Bezug zu klassischen Begriffen uberWahrscheinlichkeitsdeutung: Das Quadrat von Ψ gibt z.B.die Wahrscheinlichkeit dafur an, bei einer ”Messung“ ein

”Teilchen“ in einem bestimmten Volumen zu finden.

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Das Superpositionsprinzip

I Seien Ψ1 und Ψ2 physikalische Zustande. Dann istαΨ1 + βΨ2 wieder ein physikalischer Zustand.Dies fuhrt fur mehr als einen Freiheitsgrad zurVerschrankung.

I Linearitat der Schrodingergleichung: Die Summe zweierLosungen ist wieder eine Losung.

”Klassische Zustande“ bilden nur eine winzige Untermenge imRaum aller moglichen Zustande.

Erwin Schrodinger 1935:Bestmogliche Kenntnis eines Ganzen schließt nicht bestmoglicheKenntnis seiner Teile ein – und darauf beruht doch der ganze Spuk.

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Experimentelle Tests des Superpositionsprinzips

I Bindungsenergien von Atomen (Helium, . . . )I Interferenz der Fullerene C60 und C70 und komplizierterer

MolekuleI Welcher-Weg-Experimente:

Verschrankung eines inneren Atomzustands mit demAtomimpuls

I Verschrankung von Photonenpaaren uber Entfernungenvon mehr als 30 km

I Superposition von makroskopisch verschiedenen Stromenin SQUIDs

I Neutrino-Oszillationen, Superposition von K-Mesonen, . . .

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Wiener Experimente

Tetraphenylporphyrin (C44H30N4) (links) und Fluorofulleren C60F48 (rechts)

58 59 60 61 62 63

4000

6000

8000

10000

12000

14000

position of 3rd grating (µm)

spectrometer background level

counts

in 4

0 s

Interferenzbild von Tetraphenylporphyrin

L. Hackermuller et al., Phys. Rev. Lett. 91 (2003) 090408

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Die Schrodinger-Gleichung

HΨ = i~∂Ψ

∂t

(Erwin Schrodinger 1926)

Diese Gleichung ist deterministisch – doch woher kommt derZufall in der Quantentheorie?

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Die Wahrscheinlichkeitsinterpretation

|Ψ|2 ist die Wahrscheinlichkeitsdichte fur klassische Großen(z.B. dafur, bei einer Ortsmessung das Elektron in einembestimmten Volumen zu finden);

(Max Born 1926)

Ende des Determinismus in der Physik?

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Die Unbestimmtheitsrelation

∆x ·∆p ≥ ~2

(Werner Heisenberg 1927)

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Das Meßproblem

S A-

”Ideale Messung“:I Annahmen: Falls sich das System im Zustand ψ1 befinde,

befinde sich der Apparat nach der Messung in einem Zustand

”Zeigerzustand rechts“; falls sich das System im Zustand ψ2

befinde, befinde sich der Apparat nach der Messung in einemZustand ”Zeigerzustand links“

I Linearitat der Quantentheorie: Befindet sich das Systemanfangs in einer Uberlagerung von ψ1 und ψ2, so befindet sichder Apparat nach der Messung in einer Uberlagerung vonZeigerstellung rechts und Zeigerstellung links

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S A-

|n〉|Φ0〉t−→ |n〉|Φn(t)〉

Das Superpositionsprinzip fuhrt auf(∑n

cn|n〉

)|Φ0〉

t−→∑n

cn|n〉|Φn(t)〉

Dies ist eine makroskopische Superposition!

Kollaps der Wellenfunktion? (John von Neumann 1932)

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Aus: J. von Neumann, Mathematische Grundlagen derQuantenmechanik (1932)

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Schrodingers Katze

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Weitere Entwicklungen

I Einstein, Podolsky, Rosen (EPR) 1935I Bellsche Ungleichungen (ab 1964)I Dekoharenz (ab 1970)I

”Quanteninformation“ (ab ca. 1980)

Leseempfehlung: C. Kiefer (Hrsg.), Albert Einstein, Boris Podolsky, NathanRosen: Kann die quantenmechanische Beschreibung der physikalischenRealitat als vollstandig betrachtet werden? (Springer 2015)

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Wie entsteht die klassische Welt?

Einstein an Born, 1.1.1954:Es ist mit den Prinzipien der Quantentheorie unvereinbar zufordern, daß die Ψ-Funktion eines ”Makro“-Systems bezuglichder Makrokoordinaten und -impulse ”eng“ sein soll. Eine solcheForderung ist unvereinbar mit dem Superpositionsprinzip furΨ-Funktionen.

Dann muß man sich aber sehr wundern, daß ein Stern odereine Fliege, die man zum ersten Mal sieht, so etwas wiequasilokalisiert erscheinen . . .

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Der Schlussel: Einbeziehung der Umgebung(H. D. Zeh, Heidelberg 1970)

S A- U---

Das Superpositionsprinzip fuhrt zu einer makroskopischenUberlagerung von Zustanden des Systems, des Apparats undder Umgebung.

Betrachtet man nur den Apparat, so sind die Uberlagerungennicht mehr erkennbar; der Apparat ist im Zustand mitZeigerstellung links oder rechts. Dies fuhrt auf den Begriff derDekoharenz.

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S A- U---

Das Superpositionsprinzip fuhrt jetzt auf(∑n

cn|n〉|Φn〉

)|E0〉

t−→∑n

cn|n〉|Φn〉|En〉

Reduzierte Dichtematrix fur System plus Apparat:

ρSA ≈∑n

|cn|2|n〉〈n| ⊗ |Φn〉〈Φn| falls 〈En|Em〉 ≈ δnm

”Die Interferenzen existieren noch, sind aber nicht mehr da.“

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Ort

Klassische Eigenschaften entstehen durch Dekoharenz, derirreversiblen und unvermeidlichen Wechselwirkung mit derUmgebung

(das Universum als Ganzes ist das einzige streng abgeschlosseneSystem)

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Die bevorzugte Basis

Durch die Wechselwirkung mit der Umgebung wird lokal amSystem eine Basis von Zustanden ausgezeichnet, die zeitlichstabil (”robust“) ist:

”Zeigerbasis“ (Zurek 1981), ”memory states“ (Zeh 1973)

H = HS +HE +HSE

I HSE dominiert (typische Meßprozeß-Situation):Zeigerbasis besteht aus den Eigenzustanden von HSE(typischerweise der Ort);

I HS dominiert: Zeigerbasis besteht aus denEnergieeigenzustanden von HS ;

I Ansonsten Kompromiß zwischen den beiden Fallen, z.B.koharente Zustande fur den harmonischen Oszillator

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|x〉|χ〉 t−→ |x〉|χx〉 = |x〉Sx|χ〉

Superposition fuhrt auf∫d3x ϕ(x)|x〉|χ〉 t−→

∫d3x ϕ(x)|x〉Sx|χ〉

Reduzierte Dichtematrix:

ρ(x, x′, t) = ϕ(x)ϕ∗(x′)⟨χ|S†x′Sx|χ

⟩= ρ(x, x′, 0) exp

{−Λt(x− x′)2

}Λ: ”Lokalisierungsrate“

(Joos und Zeh 1985)

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Beispiele fur die Lokalisierungsrate Λ [cm−2 s−1]

a = 10−3cm a = 10−5cm a = 10−6cmStaubteilchen Staubteilchen großes Molekul

Kosmische Hintergrundstrahlung 106 10−6 10−12

Photonen mit 300 K 1019 1012 106

Sonnenlicht (auf der Erde) 1021 1017 1013

Luftmolekule 1036 1032 1030

Laborvakuum 1023 1019 1017

(103 Teilchen/cm3)

Die Ergebnisse von Joos und Zeh wurden experimentell getestet!(Hornberger et al. 2003)

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Mastergleichung

In der Ortsdarstellung erfullt die reduzierte Dichtematrixρ(x, x′, t) bei einer Streuung ohne Ruckwirkung dieMastergleichung

i~∂ρ

∂t=

~2

2m

(∂2

∂x′2− ∂2

∂x2

)ρ−i~Λ(x− x′)2ρ

Die folgenden Abbildungen aus:

E. Joos, H. D. Zeh, C. Kiefer, D. Giulini, J. Kupsch und I.-O. Stamatescu,Decoherence and the Appearance of a Classical World in Quantum Theory(zweite Auflage, Springer 2003)

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Vermeidung der Dispersion des Wellenpakets

0.00001 0.001 0.1 10.

time

0.1

1

10.

100.

coher

ence

len

gth

Λ=0

1

2

3

Zeitabhangigkeit der Koharenzlange (=Maß fur die raumliche Ausdehnung,uber die ein Objekt Interferenzeffekte aufweisen kann); außer furverschwindende Kopplung (Λ = 0) nimmt die Koharenzlange fur große Zeitenimmer ab.

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Verschwinden der Interferenz

I Ohne Dekoharenz

t

(a)

I Mittlere Dekoharenz

t

(b)

I Starke Dekoharenz

t

(c)

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x

x’

x

(a)

x

x’

(b)

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x

x’

(a)

x

x’

(b)

Dekoharenz des n = 9-Energieeigenzustands eines harmonischenOszillators

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Die Wigner-Funktion

W (x, p) =1

π~

∫ ∞−∞

dy ei2py/~ρ(x− y, x+ y)

x

p

(a)

x

p

(b)

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x

p

(a)

x

p

(b)

Dekoharenz des n = 9-Energieeigenzustands eines harmonischenOszillators

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Muß das Bewußtsein quantenmechanischbeschrieben werden?

Imp

uls

rich

tun

g

Zelle

Dendriten

Isolation

Axon

Membran

empfindlicherspannungs−

DurchlassMyelin−

nicht isolierter

Axon−

hier, wennNeuronfeuert

Neuronhier, wenn

nicht feuert

Länge L

Abschnitt f

Durchmesser d hDicke

Eine mogliche Superposition zwischen ”Neuron feuert“ und ”Neuronfeuert nicht“ verschwindet durch Dekoharenz so schnell, daßGehirnprozesse klassisch beschrieben werden konnen(M. Tegmark 2000)

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Experimentelle Tests der Dekoharenz

I Superposition von koharenten Photonenzustanden ineinem Hohlraum(1996 – erster Test der Dekoharenz)

I Superposition von gefangenen IonenI ElektroneninterferometerI Dekoharenz von C70-Fullerenen durch Stoße mit

HintergrundgasI Dekoharenz von C70-Fullerenen durch Aussendung von

thermischer StrahlungI Dekoharenz in SQUIDsI Dekoharenz bzw. Dekoharenzvermeidung in

QuantencomputernI Dekoharenz von Superpositionen von

Bose-Einstein-Kondensaten

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Links: Dekoharenz durch Teilchenstoße. Rechts: Dekoharenzdurch Erhitzen der Fullerene.

Aus: M. Arndt und K. Hornberger, Quantum interferometry with complexmolecules, arXiv:0903.1614v1

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Was leistet die Dekoharenz?

I Dekoharenz erklart innerhalb der Quantentheorie,warum gewisse Objekte klassisch erscheinen.

I Klassische Eigenschaften sind kein Attribut einesisolierten Systems; sie werden durch die Umgebung

”definiert“.I Die fur die Dekoharenz benotigte Zeit ist fur

makroskopische Situationen winzig klein; deshalbsieht man ”Ereignisse, Teilchen, Quantensprunge“usw. (scheinbarer Kollaps).

I Dekoharenz ist experimentell gut etabliert.

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Was leistet die Dekoharenz nicht?

I Dekoharenz kann keine Aussage daruber treffen, obdie Wellenfunktion des Gesamtsystems (unterEinbezug der Umgebung) einen Kollaps erleidet odernicht.

I Die Einstellung gegenuber der Interpretation derQuantentheorie ist deshalb großtenteils eineGeschmacksfrage .

I Wichtige offene Fragen:I Warum gibt es lokale Beobachter?I Was ist der Ursprung der Irreversibilitat?

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Interpretation der Quantentheorie?

Bei einer realistischen Auffassung hat man im wesentlichen dieWahl zwischen

I der Everett-Interpretation: alle Komponenten derWellenfunktion nach einer ”Messung“ sind gleichzeitig real;Ableitung der Wahrscheinlichkeitsinterpretation ausrelativen Haufigkeiten?

I de Broglie-Bohm-Interpretation: Hinzunahme neuerkinematischer Elemente (fiktive Teilchenbahnen,Feldkonfigurationen)

I Der expliziten Einfuhrung eines Kollapses derWellenfunktion in eine einzige reale Komponente bei einer

”Messung“ (Verletzung der Schrodinger-Gleichung)

Unabhangig davon ist eine lokale Natur der Realitatexperimentell ausgeschlossen (”Bellsche Ungleichungen“)

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Vergleich

Kollapsmodelle Everett

Wie und wann findet ein Kollaps statt? Was ist die genaue Struktur der Everett-Zweige?

traditioneller psychophysischer Paralle-lismus: Wahrnehmung ist parallel zumZustand des Beobachters

neue Form des psychophysischen Par-allelismus: Wahrnehmung ist parallelzu einer Komponente der universellenWellenfunktion

Wahrscheinlichkeiten postuliert Wahrscheinlichkeiten erfordern eben-falls Zusatzaxiom (umstritten)

eventuell Probleme mit Relativitatstheo-rie

keine Probleme bei lokalen Wechsel-wirkungen

experimenteller Test: experimenteller Test:suche kollapsartige Abweichungen vonder Schrodingergleichung

suche nach makroskopischen Superpo-sitionen

⇓ ⇓scheint unmoglich wegen Dekoharenz scheint unmoglich wegen Dekoharenz

Quelle: E. Joos, in: J. Audretsch, Verschrankte Welt (Wiley-VCH 2002)