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274 Astrid Beckmann Der Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn des Mathematikunterrichts in der zweijahrigen Hoheren Berufsfachschule Zusammenfassung: Die zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung ist, aufweIche Art bzw. auf welcher Stufe der Unterricht zum Funktionsbegriff zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule fortgesetzt werden soli oder kann. Dazu wird das von den SchiilerInnen erreichte Stadium des begriffiichen Aneignungsprozesses untersucht und der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen eine formal/ theoretische Behandlung des Funktionsbegriffs auf spezielle Anwendungsaufgaben hat. Diskussionsgrundlage sind Ergebnisse aus schriftlichen Befragungen, die in sechs II. Klassen einer zweijiihrigen Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft in Nordrhein-WestfaIen gewonnen wurden. Die eingeschriinkten begriffiichen Vorstellungen der SchiilerInnen empfehlen einen anwendungsbezogenen Einstieg, der vielseitige Erfahrungen reflektiert zusammenfasst. Abstract: The study discusses the question how to present the function concept in the beginning of the 11 th grade in a two years lasting German economic school. Therefore the level of the conception of the pupils and the effect of a formal treatment of the function concept on special applications are investigated. The methods of investigation are written tests. Because of the reduced conception of the pupils it is commendable to start the course with applications and all-round experiences. The main task is to reflect about and connect them. 1 Motivation und Zielsetzung Funktionsbegriff bzw. Funktionen sind zentrale Inhalte im Mathematikunterricht der Sekundarstufe II. In besonderer Weise gilt dies rur die wirtschaftlich orientierte Hohere Berufsfachschule. Bei dieser Schul form sind didaktische Probleme direkt mit der Behandlung des Funktionsbegriffs verknupft. AuBerdem ist die Behandlung in dieser Schulform problembehafteter, da die SchulerInnen aus verschiedenen Schulen der Sekundarstufe I zusammenkommen und dadurch eine erhohte Heterogenitat bezuglich des Vorwissens zu erwarten ist. Eine Auseinandersetzung mit dem Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand der Hoheren Berufsfachschule ist daher didaktisch ndtwendig. Trotzdem ist dies bisher kaurn erfolgt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft zu untersuchen. Dabei geht es urn folgende Fragen: Welchen begriffiichen Stand in der Aneignung des Funktionsbegriffs haben die SchOlerInnen zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft erreicht? (JMD 20 (1999) H. 4, S. 274-299)

Der Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn des Mathematikunterrichts in der zweijährigen Höheren Berufsfachschule

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Astrid Beckmann

Der Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn des Mathematikunterrichts in der zweijahrigen Hoheren Berufsfachschule

Zusammenfassung: Die zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung ist, aufweIche Art bzw. auf welcher Stufe der Unterricht zum Funktionsbegriff zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule fortgesetzt werden soli oder kann. Dazu wird das von den SchiilerInnen erreichte Stadium des begriffiichen Aneignungsprozesses untersucht und der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen eine formal/ theoretische Behandlung des Funktionsbegriffs auf spezielle Anwendungsaufgaben hat. Diskussionsgrundlage sind Ergebnisse aus schriftlichen Befragungen, die in sechs II. Klassen einer zweijiihrigen Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft in Nordrhein-WestfaIen gewonnen wurden. Die eingeschriinkten begriffiichen Vorstellungen der SchiilerInnen empfehlen einen anwendungsbezogenen Einstieg, der vielseitige Erfahrungen reflektiert zusammenfasst.

Abstract: The study discusses the question how to present the function concept in the beginning of the 11 th grade in a two years lasting German economic school. Therefore the level of the conception of the pupils and the effect of a formal treatment of the function concept on special applications are investigated. The methods of investigation are written tests. Because of the reduced conception of the pupils it is commendable to start the course with applications and all-round experiences. The main task is to reflect about and connect them.

1 Motivation und Zielsetzung

Funktionsbegriff bzw. Funktionen sind zentrale Inhalte im Mathematikunterricht der Sekundarstufe II. In besonderer Weise gilt dies rur die wirtschaftlich orientierte Hohere Berufsfachschule. Bei dieser Schul form sind didaktische Probleme direkt mit der Behandlung des Funktionsbegriffs verknupft. AuBerdem ist die Behandlung in dieser Schulform problembehafteter, da die SchulerInnen aus verschiedenen Schulen der Sekundarstufe I zusammenkommen und dadurch eine erhohte Heterogenitat bezuglich des Vorwissens zu erwarten ist. Eine Auseinandersetzung mit dem Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand der Hoheren Berufsfachschule ist daher didaktisch ndtwendig. Trotzdem ist dies bisher kaurn erfolgt.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft zu untersuchen. Dabei geht es urn folgende Fragen:

Welchen begriffiichen Stand in der Aneignung des Funktionsbegriffs haben die SchOlerInnen zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft erreicht?

(JMD 20 (1999) H. 4, S. 274-299)

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 275

Welche AuswirkWlgen hat eine formaVtheoretische BehandlWlg des Funktionsbegriffs auf spezielle AnwendWlgsaufgaben?

DiskussionsgrWldlage sind die Ergebnisse aus schriftlichen BefragWlgen, die in sechs 11. Klassen einer zweijahrigen Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft in Nordrhein­Westfalen gewonnen wurden.

2 Der Funktionsbegriff als U nterrichtsgegenstand

Den Funktionsbegriff kennen, heiBt nicht (nur) eine formaVtheoretische Defmition zu kennen, sondem auch seine begriffiiche Komplexitat einzusehen: Die Funktion ist auch ein Modell fiir reale Vorgange. Das Erfassen des FWlktionsbegriffs erfordert das Herausbilden verschiedener Vorstellungen und Aspekte und dam it das anwendWlgsbezogene Begreifen: Inhaltliche VorstellWlgen (Stoye 83a,b, 86):

mengentheoretisch: z.B. Funktion als Menge geordneter Paare [x; y] mit XEX und YEY (X,Y Mengen), auch ZuordnWlgsaspekt (Kronfellner 87, Vollrath 82): Funktion als eindeutige Zuordnung kausal: y hangt von x ab, Abhangigkeitsaspekt (Kronfellner 87, Vollrath 82), Anderungsaspekt: "eine Veranderung von x verursacht eine Veranderung von f(x)" (Stoye 83a, S. 77), kinematisch: durchlauft eine GroBe x die Menge X, so durchlauft y die Menge Y algorithmisch: ,,Durch eine Vorschrift wird dem Eingabewert x ein Ausgabewert y zugeordnet" (Stoye 83a, S. 77). Stoye versteht hier "algorithmisch" sehr weit, indem er auJ3er an das Rechnerische, z.B. auch an Konstruktionen denkt.

DarstellWlgsaspekte: grafisch nicht-graphisch (z.B. TabeIle, ZuordnWlgsvorschrift, Term) verbal

bzw. "geometrisch" und ,,rechnerisch-algebraisch" (Fischer/ Malle 85)

Die Wlterrichtliche Behandlung muss darauf abzielen, die verschiedenen Vorstellungen des Funktionsbegriffs zu vermitteln. Inwieweit dies gelingt, hangt von den Gelegenheiten ab, funktionales Denken, das ,,Denken mit Funktionen" (nach Vollrath 89, S.32) aufbauen zu konn en , was dam it zusammenhangt, welche Phanomene ErfahrWlgsgrWldlage sind und wie vielseitig die gewahlten Darstellungsformen (Weigand 88a, b) insbesondere fiir ein und dieselbe Funktion sind (vergl. auch Vollrath 82). Als hilfreich wird in diesem Zusammenhang gelegentlich die Computerarbeit genannt, da sie Mehrfachreprasentationen und einfache, schnelle Wechsel zwischen den Darstellungsformen zulasst (Weigand 94, 99, Guinl Guzman-Retamal 90).

Die didaktische Diskussion urn den Funktionsbegriff konzentriert sich vorrangig auf das Arbeiten mit Funktionen, an derem (vorlaufigen) Ende die verbale Fassung, die Definition liegen kann.

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Beim operativen Ansatz wird der Funktionsbegriff iiber eine aktive Auseinandersetzung mit der Realitat (Kiesow/ Spallek 83) bzw. mit Phanomenen als ,,Prototypen" (Dorfler 88) fUr die Funktion erarbeitet. Beim anwendungsorientierten Ansatz (Vollrath 82, Stoye 86) werden Funktionseigenschaften und Zusammenhange durch eine UmwelterschlieBung entdeckt. Beim genetischen Prinzip geschieht die Erarbeitung entsprechend den natiirlichen Erkenntnis-/ Erschaffungsprozessen zunachst "unprazise" und vorlaufig (Kronfellner 87). Es ist "dem SchUler Gelegenheit zu geben, Eigenschaften eines Begriffes selbst zu entdecken oder zu bilden und in ein Beziehungsnetz einzuordnen" (Weigand 88b, S.299).

Auch wenn das Arbeiten mit Funktionen keine konkrete Defmition erfordert, kann eine "sprachlich-Iogisch klare Formulierung, die die charakteristischen Merkmale des Begriffs enthalt" (Stoye 83a, S. 83) anstrebenswert sein. Sie kann dazu beitragen, klare Vorstellungen herauszubilden, Gemeinsamkeiten verschiedener Themen durch einen Begriff zu fassen und so Verbindungen und Einsichten zu schaff en (wie z.B. in Bezug auf Arithmetik und Geometrie).· Stoye zeigt in seiner Arbeit, dass eine formalltheoretische Definition des Funktionsbegriffs auf einfache Art moglich ist, wenn sie mengentheoretisch erfolgt, wobei er die Vorteile der Wortwahl ,,zuordnung", statt "geordnete Paare" erlautert (vergl. Stoye 83a). In den weiter unten beschriebenen Testklassen wurde folgende Definition gewiihlt:

Eine FUNKTION ist eine Zuordnung zwischen einer Menge X und einer Menge Y, bei der jedem x aus X genau ein y aus Y zugeordnet wird.

(gemaB der Funktionsvorschrift)

3 Der Funktionsbegriff in der zweijahrigen Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft

3.1 Besonderheiten der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft Die Hohere Berufsfachschule ist eine besondere Schulform der Sekundarstufe II. Die Frage nach einer adaquaten Behandlung des Funktionsbegriffs in dieser Schulform muss dies beriicksichtigen.

1m wesentlichen lassen sich die Besonderheiten in drei Punkten zusammenfassen: schulische Herkunft der SchiilerInnen Stellung der Mathematik in der Ausbildung (schulisches) Bildungsziel der SchUlerInnen.

Zur schulischen Herkunft der Schulerlnnen Die SchiilerInnen der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft kommen aus vielen verschiedenen Schulen und Schulformen der Sekundarstufe I umliegender Stadtbezirke, Smdte und DOrfer vollig neu zusammen. In Nordrhein-Westfalen handelt es sich vorwiegend urn ehemalige RealschiilerInnen und z.T. HauptschiilerInnen, die einen hoheren Bildungsabschluss erwerben wollen. Bei der weiter unten beschriebenen

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 277

schriftlichen Befragung waren 68% ehemalige Realschiilerlnnen, 19% ehemalige Hauptschiilerlnnen, 7% ehemalige GymnasiastInnen und 6% kamen aus der Berufsfachschule oder der Handelsschule. Die methodisch/didaktische Diskussion urn den Funktionsbegriff in der H6heren Berufsfachschule muss die Unterschiede der Herkunftsschulen beriicksichtigen.

Die verschiedenen Richtlinien der Sekundarstufe I (Nordrhein-Westfalen) sehen eine erfahrungsbezogene Erarbeitung des Funktionsbegriffs in vielen Zusammen-hangen und unter vielen Gesichtspunkten vor. In allen Schulformen soli en Zuordnungen und Funktionen eine dominierende Rolle spielen. Die begriffliche Fassung erfolgt in den verschiedenen Schul form en allerdings unterschiedlich schnell, unterschiedlich umfangreich und unterschiedlich systematisch.

Bis zum Ende der 10. Jahrgangsstufe sind fur die Hauptschule die lineare und die (einfache) quadratische Funktion, antiproportionale Zuordnungen sowie Wach sturn sprozesse vorgesehen. In der Realschule soil en dariiberhinaus die Exponentialfunktion, sowie logarithmische und trigonometrische Inhalte besprochen werden. 1m Gymnaisum wird bereits ab Klasse 7 mit vieWiltigen Zuordnungen gearbeitet, so dass bis zum Ende der Sekundarstufe lauch Wurzelfunktion, Exponential- und Logarithmusfunktion und trigonometrische Funktion behandelt sein sollen.

In allen Schulformen wird Wert auf die Aspektvielfalt des Funktionsbegriffs geiegt. Der Wechsel zwischen den Darstellungsformen zieht sich ausdriicklieh dureh alle Lehrplane, indem Zuordnungen (oder Funktionen) zunaehst tabellarisch, grafiseh (Diagramm und Koordinatensystem) oder dureh Terme dargestellt werden sollen. Entsprechend ist aueh die Dreisatzrechnung nicht eigenstandiges Them a, sondern Anwendung im Zusammenhang mit Zuordnungen. 1m Lehrplan fur die Realschule, 7. Jahrgangsstufe, heiBt es dazu (Richtlinien Realschule NRW 1993, S. 50): ,,zuordnungen: Tabellen und Diagramme anlegen und auswerten, Rechenverfahren zur Schlussrechnung, Prozentrechnung, Zinsreehnung entwickeln und durchfiihren." Eine Systematisierung durch Funktionsgleichungen bzw. Zuordnungsvorschriften findet im Gymnaisum ab Klasse 7, in der Realschule ab Klasse 9 und in der Hauptsehule in der 10. Jahrgangsstufe statt.

Beziiglich der verbalen Fassung des Funktionsbegriffs unterscheiden sich die Lehrplane. In den Richtlinien fur die Hauptsehule ist sie nieht vorgesehen. In der Realschule sind die Begriffe "Iineare und quadratisehe Funktion" ausdriieklieh als Lerninhalte genannt; im Lehrplan heiBt es dazu: "Die ... Verwendung des Funktionsbegriffs muss .. vorsiehtig und erfahrungsbezogen erfolgen." ,,Der Terminus 'Funktion' wird erst in den Jahrgangsstufen 9 und 10 eingefuhrt." (Riehtlinien Realschule 1993, S. 38 und 50). In den Richtlinien fur das Gymnasium wird die "prazise Begriffsformulierung" zwar angestrebt, der erfahrungsbezOgene Urn gang mit dem Begriff jedoch in den Vordergrund gesteUt. Die Erarbeitung der Definition soli nach dem genetischen Prinzip erfolgen, d.h. h6chstens "in einem spaten Stadium der Begriffsentwicklung" und nur "voriaufig" (Riehtlinien Gymnasium NRW 1993, S. 65). Eine eindeutige Formulierung des Funktionsbegriffs oder eine (formall)theoretische Definition ist demnach in keiner Schulform der nordrhein-westfalischen Sekundarstufe

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I zwingend bzw. hangt yom erreichten Stadium der Begriffsentwicklung abo Vermutlich betriffi: dies nur das Gymnasium (evtl. die Realschule), da dort die vielseitigen Erfahrungen am langjahrigsten sind.

Die mit dem Funktionsbegriff zusammenhangenden Vorstellungen werden in den verschiedenen Schultypen unterschiedlich stark beriicksichtigt. Zentral sind in allen Jahrgangsstufen der Zuordnungsaspekt und die kausale Vorstellung. ,,Der variablenbetonte Umgang mit Zuordnungen und Formeln wird aufgegriffen und weitergefuhrt, um das Denken in funktionalen Zusammenhangen zu unterstiitzen." (Richtlinien Hauptschule NRW 1992, S. 58). Der kinematische Aspekt wird am deutlichsten im Lehrplan des Gymnasiums angesprochen: ,,DUTch (stetige) Variation von Winkeln und Seitenlangen werden dynamische Aspekte und damit funktionale Abhangigkeiten deutlich" (Richtlinien Gymnasium NRW 1993, S. 50).

Zur Stellung der Mathematik in der Ausbildung und zum Bildungsziel der SchUlerlnnen 1m Lehrplan fur die Hohere Berufsfachschule, Wirtschaft drucken sich die unterschiedlichen Bildungsziele (Beruf, Studium) und die wirtschaftliche Schwerpunktsetzung aus (Vorlaufige Richtlinien NRW 91, S.25): "In diesem Bildungsgang ist die Mathematik ein zweckmaBiges Mittel, wirtschaftliche Zusammenhange systematisch zu untersuchen und quantitativ zu beschreiben ... 1m Fach Mathematik sollen die SchOlerinnen und Schuler auf einen Beruf in Wirtschaft und Verwaltung vorbereitet werden ... Besonders im Hinblick auf das Ziel Fachhochschulreife sollen die Schiilerinnen und SchOler einen Einblick in Denkweisen und Anwendungsmoglichkeiten der Mathematik gewinnen. Dazu gehort es, mathematische Begriffe eindeutig zu formulieren und Zusammenhange zwischen Aussagen aufzuzeigen."

3.2 Die Beriicksicbtigung der Besonderbeiten aus didaktiscber Sicbt Der Mathematikunterricht in der Hoheren Berufsfachschule muss die Besonderheiten dieser Schulform berucksichtigen: Die unterschiedlichen Voraussetzungen der SchiilerInnen bei Eintritt in die H6here Berufsfachschule legen eine Wiederholung nahe, die unterschiedlichen Ziele (Beruf, Studium) sprechen fur eine umfassende Erweiterung, d.h. das Kennenlemen vieler unterschiedlicher Aspekte, aber auch ein Fortschreiten des Exaktifizierungsprozesses. Die wirtschafliche Orientierung der Schulform legt das Einbeziehen wirtschaftlicherl kaufinannischer Themen nahe, d.h. die Berucksichtigung wirtschaftlicher Anwendungen fur den begriffiichen Aneignungsprozess.

Entsprechend fmden sich irn Lehrplan der zweijahrigen H6heren Berufsfachschule bekannte Themen der Sekundarstufe I, die dUTCh neue Begriffe, durch wirtschaftliche Anwendungen und dUTCh weitere Funktionstypen (insbesondere fur die ehemaligen Haupt- und RealschOlerInnen) erweitert werden. Konkret solI zu Beginn der Sekundarstufe II Folgendes behandelt werden (Vorlaufige Richtlinien NRW 89, S.26): "Thema 1:

Funktionsbegriff (Definitionsmenge, Wertemenge, Zuordnungsvorschrift)

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 279

Lineare Funktion (Graph, Steigung, Nullstelle, ... , Dreisatzrechnung Wahrungsrechnung, Verteilungsrechnung, Prozentrechnung .. ) Beispiele aus Wirtschaft und Verwaltung Ganzrationale Funktionen 2., 3. und 4. Grades, ... , Beispiele aus Wirtschaft und Verwaltung Gebrochenrationale Funktionen Exponential- und Logarithmusfunktion ... "

Zum Funktionsbegriff heiBt es: "Der Begriff der Funktion ist der zentrale Ausgangsbegriff. Er ist Grundlage fur die Behandlung der verschiedenen Funktionstypen und ihrer Anwendungen und muss deshalb griindlich erarbeitet werden." "Das didaktische Konzept dieses Lehrplans ordnet die kaufinannischen Anwendungen dem Funktionsbegriff unter", und erganzend: ,,Alternativ hierzu konnen die genannten Gegenstande des kaufinannischen Rechnens auch ohne Bezug zum Funktionsbegriff erarbeitet werden."' (Yorlaufige Richtlinien NRW 89, S. 25 und 26).

4 Ernpirische Untersuchungen zurn Funktionsbegriff in der Hijheren Berufsfachschule, Wirtschaft

4.1 Offene Fragen Die in 2 angesprochene didaktische Diskussion urn den Funktionsbegriff geht davon aus, dass seine Ausbildung reichhaltige Vorstellungen und vielseitige, langjiihrige Erfahrungen erfordert. Die Richtlinien der Sekundarstufe I werden diesem Urn stand gerecht, indem sie den Umgang mit vielen Darstellungsformen und verschiedenen Beispielen fordem (3.). Zu Beginn der Sekundarstufe II musste danach ein (mehr oder weniger, vergl. 3.1) groBer Teil dieses Aneignungsprozesses erfolgt sein. Die nordrhein-westfalischen Richtlinien fur die Hohere Berufsfachschule gehen davon aus und setzen vorrangig einen eher formalltheoretischen Schwerpunkt. Z.B. sind die wirtschaftlichen Themen nicht Ausgangspunkt, sondem eher erganzende Beispiele zum Funktionsbegriff (3 .2).

Offen bleibt allerdings die Frage, auf welcher Stufe und in welcher Form der begriffiiche Aneignungsprozess zu Beginn der Sekundarstufe II fortgesetzt, erweitert oder vielleicht sogar abgeschlossen werden kann. Yolk schlagt vor, auch in der II. Jahrgangsstufe weiterhin Definitionen und Formalismen den Alltagsproblemen l!fiter zu ordnen und auch die stoffiiche Gliederung danach aus zu richten: Themen der Jahrgangsstufe 11.1 nach Yolk (Yolk 97): Extremwertprobleme (grafisch), Linearitaten, Funktions(term )bestimm ung, exponentielle Prozesse. Fur dieses Yorgehen spricht die Heterogenitiit der Schiilerlnnen in der Hoheren Berufsfachschule. Insbesondere konnte damit dem nach Lehrplan evtl. zu erwartenden Aufholbedarf der Hauptschiilerlnnen entsprochen werden. Andererseits muss auf Grund der langjahrigen Erfahrungen in der Sekundarstufe I auch an einen Abschluss des Begriffsbildungsprozesses gedacht werden, so dass Definitionen und Formalismen vordergrundiger werden konnten.

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Die zentrale Frage ist: Welch en begriffiichen Stand in der AneignWlg des FWlktionsbegriffs haben die Schiilerlnnen zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft erreicht?

Und speziell: Welche AuswirkWlgen hat eine formaVtheoretische BehandlWlg des Funktionsbegriffs auf spezielle AnwendWlgsaufgaben? Bzw.: Inwieweit dominieren gewisse eingeiibte Konzepte (z.B. Dreisatz)?

4.2 Untersuchungsmethode Zur BeantwortWlg der Fragen wurde in den Schuljahren 1994/95 Wld 1995/96 in sechs elften Klassen mit insgesamt 128 Schiilerlnnen einer nordrhein-westfalischen Hoheren Berufsfachschule schriftliche Erhebungen zum FWlktionsbegriff durchgefuhrt.

Urn Aufschluss iiber die in der SekWldarstufe I gewonnenen Vorkenntnisse Wld VorsteIlWlgen der SchiilerInnen zum Funktionsbegriff und dam it iiber das erreichte Stadium des BegriifsaneignWlgssprozesses zu bekommen, fand eine Erhebung in drei elften Klassen direkt zu Beginn des Schuljahres statt (Test 1).

Urn Aufschluss iiber die AuswirkWlg der formaVtheoretischen Defmition zu erhalten, wurden nach Beginn des Schuljahres in drei weiteren II. Klassen schriftliche BefragWlgen zur WiihrungsrechnWlg durchgefiihrt (Test 2). Ausgangspunkt fur diesen Test war die UberlegWlg, dass SchiilerInnen der SekWldarstufe II sich in einem spaten Stadium des langjahrigen BegriffsbiJdungsprozesses befmden, so dass die formalltheoretische Funktionsdefintion zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule in Betracht gezogen werden kann Wld AnwendWlgen auch als nachtraglich behandelte Beispiele vertiefend sein konnen.

In zwei der Klassen war der MathematikWlterricht durch die friihe, formaVtheoretische Funktionsdefinition (s. 2.) Wld die BesprechWlg von Spezialfallen gekennzeichnet (Definition der linearen Wld der quadratischen FWlktion). Anhand von FWlktionen wurde auf grafische, tabellarische Wld insbesondere auf algebraische Eigenschaften der Spezialfalle eingegangen, indem z.B. FWlktionswerte iiber den proportionalen UmrechnWlgsfaktor bestimmt wurden. Vor Testbeginn war der Einstieg in die WahrungsrechnWlg erfolgt (Thema, Kursfragen), allerdings nicht die umfassende BehandlWlg.

In der schriftlichen BefragWlg ging es auch urn die Frage nach der Stabilitat eines kognitiven Konzepts (hier: Dreisatz), d.h. darum, ob die Schiilerlnnen vor dem HintergrWld der Funktionsbegriffsdefinition, die Funktionseigenschaften fur AnwendWlgen ausnutzen Wld z.B. WahrungsrechnWlgsaufgaben als Beispiele fur proportionale FWlktionen behandeln (Wld nicht - wie klassisch iiblich - als Beispiele fur Dreisatzverfahren): Eine Aufgabe wiirde dann z.B. so gelost, dass fur eine gegebene Funktion zu einem gegebenen Wert der zugehorige FWlktionswert zu bestimmen ist (vergl. Kirsch 69, Vollrath 93):

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 281

Beispiel (Aufgabe 3 aus Test2): 120 DM = 100 sfr. Wieviel entsprechen 3600 DM? Losung: Umrechnung~faktor:

120

: 1.2 ---. 100 f(3600) ~

3600

1,2

bzw. Proportionalitat:

120 I I 100 .J, 30 .J,

3600 3000

In der dritten Klasse (Vergleichsklasse) war im Unterricht auf den Bezug zum Funktionsbegriff (und damit auf die verbale oder die formaVtheoretische Definition des Funktionsbegriffs) verzichtet worden und das Dreisatzverfahren entsprechend dem gewohnten Vorgehen der Lehrerin als Einstieg gewahlt worden.

Unterrichtsgliederung vor der Testdurchfiihrung:

Zwei Klassen Vergleichsklasse (zur Unterscheidung hier "Funktions-Klassen" genannt) - Zuordnungen - Dreisatz - Definition - Einstieg in die

Eine Funktion ist eine Zuordnung zwischen einer Menge Wahrungsrechnung X und einer Menge Y, bei der jedem x aus X genau ein y (Kursurnrechnung) aus Y zugeordnet wird. (gemaB der Zuordnungsvorschrift)

- SpeziaWille und Eigenschaften (Lineare, proportionale Funktionen)

- Beispiel: Einstieg in die Wahrungsrechnung (Kursumrechnung)

4.3 Zum Stadium des BegritTserwerbs der SchiilerInnen

Ergebnisse aus Test I Die zentrale Untersuchungsabsicht von Test 1 ist die Abschatzung des von den SchiilerInnen erreichten Stadiums des Begriffserwerbs. Dazu sollte ein Uberblick tiber die Vorkenntnisse und Vorstellungen der SchtilerInnen zum Funktionsbegriff gewonnen bzw. festgestellt werden, inwieweit die angesprochene Aspektvielfalt erfasst wurde.

Die Auswahl der Testaufgaben erfolgte mit der Absicht, moglichst viele Aspekte und Vorstellungen anzusprechen. Der Test sollte trotzdem nicht zu lang sein, urn Ermtidungserscheinungen beim Ausfiillen zu vermeiden (vergl. dazu z.B. Nagerl/ Zerbst 78) Insbesondere sollte er Aufgaben aus friiheren Befragungen enthaIten, urn Vergleiche zu ermoglichen (vergl. dazu auch Auswertung unten). Durch diese Vorgaben ergab sich der Kompromiss, dass gewisse Themen nur in Einzelfallen erfragt werden und z.B. die linearen Funktionen nicht die dominierende Rolle spielen, wie dies nach Lehrplan in der Sekundarstufe I tiblich ist. Vorherrschend sind Identifikationsaufgaben in verschiedenen Darstellungen und Konstruktionsaufgaben beim Wechsel zwischen den Darstellungsformen. Auf Interpretationsaufgaben wurde

282 A. Beckmann

im Rahmen dieser Untersuchung weitgehend verzichtet. Dies erschien im Hinblick auf die spezielle Zielsetzung der Untersuchung gerechtfertigt.

Die ausgewahlten Funktionen sind einfach, urn SchiilerInnenfehler durch Oberlagerungen mit anderen mathematischen Bereichen zu vermeiden. Deshalb wurden auch in einer Reihe von Aufgaben als Variablen nur x und y gewahlt, wenn z.B. Graph oder Funktionswerte beurteilt werden sollten. In frtiheren Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass SchiilerInnen und Studienanfangerlnnen diese Variablen im Zusammenhang mit Funktionen bevorzugen (z.B. Nagerl/ Zerbst 78). Urn bestimmte Aspekte des Begriffsverstandnisses besser beurteilen zu koonen, rmden sich in den Befragungen auch Speziaif1ille. Z.B. ist beabsichtigt, tiber die konstanten Funktionen ein eventuelles Oberwiegen des Anderungsaspektes (s.u.) oder die Auspragung des Zuordnungsaspektes aufzudecken, wozu auch nicht-eindeutige Zuordnungen beitragen sollen. Einige der Testaufgaben enthalten - nach Lehrplan - bisher unbekannte Funktionen (z.B. IIx) mit der Absicht, tiber mogliche Transferleistungen, das Stadium des Begriffserwerbs besser erkennen zu konnen. (Die Aufgaben sind im Anhang abgedruckt).

Zum verbalen Begriffsverstandnisl zur Funktionsbegriffsdefinition Aufgabe 1 betrifft den verbalen Aspekt bzw. das Vorhandensein der formal/theoretischen Definition: Was verstehen Sie unter einer Funktion?

Die Auswertung zeigt, dass die meisten der befragten SchiilerInnen der Hoheren Berufsfachschule (nach Beendigung der Sekundarstufe I) nicht in der Lage waren, eine verbale Festlegung des Funktionsbegriffs (richtig) zu leisten: 34% blieben ohne Antwort. Einige SchtilerInnen auBerten bereits beim Ausfiillen des Fragebogens, dass sie mit dem Funktionsbegriffnichts verbinden konnten.

Einen gewissen 8ezug zur formalltheoretischen Definition stellten nur ehemalige GymnasiastInnen her, wobei sie allerdings den Aspekt der eindeutigen Zuordnung nicht ansprachen: ,,Bei einer Funktion wirdjedem x-Wert ein y-Wert zugefiihrt", ,,Eine Funktion ist eine Zuordnung von Zahlen".

Die weiteren Antworten deuten auf eine eingeschrankte und wenig anwendungsorientierte Vorstellung hin. Die Funktion wird als "Gleichung", als ,,mathematische Forme!" oder als "graphische Darstellung mit x und y als Variablen" beschrieben: ,,Mit Hilfe einer Funktion kann man eine Zeichnung anfertigen, z.B. im Koordinatensystem" (SchiilerInnenzitate). Die israelischen Untersuchungen von Vinner und Dreyfus von 1982 mit StudienanfangerInnen zeigen entsprechende Ergebnisse. 44% von ihnen beschrieben eine Funktion als Regel oder Formel, als Operation mit x und yoder als Graph, den man mathematisch beschreiben kann (Vinner/ Dreyfus 89). Die Einschatzung eines wenig anwendungsorientierten Begriffserwerbs entspricht auch den Ergebnissen aus der Untersuchung von Nagerl und Zerbst mit StudienanfangerInnen (NagerIl Zerbst 78). Dort fiel eine starke Fixierung auf bestimmte, schultibliche Nomenklaturen und ein Scheitem bei anderen Darstellungsformen auf. Beispielsweise bereitete eine Variation der Variablensymbole,

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 283 ------ - --------------------

etwa griechische Buchstaben oder physikalische Grof3en statt x und y, erhebliche Probleme beim Ermitteln der Geradengleichung.

lnteressant ist auch ein Vergleich mit den Ergebnissen der Untersuchung von Stoye mit Schiilerlnnen der 9. und 10. Jahrgangsstufe polytechnischer Oberschulen in Berlin und Frankfurt/Oder, in der die ahnliche Frage "Was versteht man in der Mathematik unter einer Funktion?" gestellt worden war (Stoye 83a, S 1/3). Die Ergebnisse bestatigen u.a. ebenfalls die Unfahigkeit der SchiilerInnen, den Funktionsbegriff verbal und klar zu fassen. Obwohl die Schiilerlnnen zwei Tage vor der Untersuchung gebeten worden waren, den die Funktionen betreffenden Stoff zu wiederholen, die Funktionsbegriffsdefinition explizit Thema war und die Beantwortung gerade dieser Frage als besonders wichtig dargestellt worden war, leisteten 50% keine richtige Fun ktionsbegri ffsdefin ition.

Insgesamt sind die Ergebnisse angesichts der in 3.1 beschriebenen Lehrplane nicht unbedingt iiberraschend. Eine verbale Fassung ist (bis auf den Gymnasialbereich) nicht zwingend vorgesehen und offensichtIich auch nicht erfolgt. Andererseits aber reichen die mich Lehrplan vorgesehenen langjahrigen Erfahrungen bezuglich des Funktionsbegriffs nicht daflir aus, eine den ganzen Begriff erfassende, verbale Festlegung selbst zu leisten_

1m Hinblick auf eine eher formale Schwerpunktsetzung wurden die Fragen 7 und 8 gestellt, in der die Unterbegriffe Definitionsmenge, Funktionswert, Wertebereich usw. identifiziert werden sollten. Dass diese Begriffe nach Lehrplan auf3er im Gymnasium kaum Thema der Sekundarstufe I sind, zeigte sich deutIich: Uber 90 % der ehemaligen Haupt- und Realschiilerinnen kannten die abgefragten Begriffe nicht.

Zum grafischen Begriffsverslandnis Aufgabe 2 testet die grafische Vorstellung auch unter dem Aspekt der eindeutigen Zuordnung (c und d) und dem Einfluss des Anderungsaspektes (e): Sind die folgenden Zeichnungen grafische Darstellungen von Funktionen? Begrunden Sie Ihre Antwort_

In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse zusammengefasst. Ein Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen von Stoye (Stoye 83a), der 1981 ahnliche Aufgaben in 10. Klassen polytechnischer Oberschulen der ehemaligen DDR gestellt hatte, zeigt grof3e Gemeinsamkeiten. (Statt Aufgabe d) wurde bei Stoye als Funktionsgraph eine Parallele zur y-Achse gewahlt).

284 A. Beckmann

1995 (Anfang II. Klasse) 1981 (10. Klasse)

Entscheidung! richtig falsch ohne richtig falsch Aufgabe 2a (Gerade) 80% 11% 9% 76% 11% 2b (Parabel) 57% 29% 14% 84% 20% 2c (nieht ein- 59% 20% 21% 41% 45% 2d deutig) 70% 10% 20% 46% 40% 2e (konstant) 67% 16% 17% - -

Tabelle I Quantitative Auswertung zu Aufgabe 2, Test I (n = 70, davon ehemalige Schulform: 37 Realschule, 18 Hauptschule, 8 Gymnasium, 7 Sonstige) (zum Vergleich: Stoye 83a, S. 117, n = 76)

Die Begrtindungen der SchiilerInnen fur die richtige oder falsche Entscheidung deuten auf ein nicht ausgereiftes grafisches Begriffsverstandis hin. Sie verfestigen den durch Aufgabe I gewonnenen Eindruck des Vorherrschens bestimmter eingeschrankter Erfahrungen zum Funktionsbegriff, wie das Zeichnen von Funktionsgraphen, und zwar - wie sich hier zeigt - spezieller Funktionsgraphen. Ein Funktionsgraph muss bei vielen Schulerlnnen geradlinig sein, durch den Ursprung oder beide Koordinatenachsen gehen. Die dominierende Rolle linearer Funktionen zeigt sich auch darin, dass der Anteil richtiger Antworten bei der quadratischen Funktion in 2b) stark absinkt. Auf den Einfluss bildlicher Erfahrungen weist ein Vergleich der Antworten zu den Aufgaben 2c) und d). Obwohl beide Graphen keine eindeutigen Zuordnungen reprasentieren, entschieden sich bei c) mehr Schiilerlnnen fur eine Funktion, vielleieht "weil es aueh eine Parabel ist?", wie eine SehiilerIn fragt. Andererseits sind die Ergebnisse auch ein Hinweis auf allgemeine begriffliche Unklarheiten und die Notwendigkeit, die Einfuhrung mathematiseher Begriffe sorgHiltig zu planen. Eine Reihe von Schiilerlnnen stuften namlieh 2b) und 2c) gerade nieht als Funktion ein, weil "es ist eine Parabel, das ist keine Funktion".

Funktionseigenschaften spielen in den Begrtindungen kaum eine Rolle. So wird z.B. c) als Funktionsgraph identiflZiert, "weil die Werte der Funktion grafisch dargestellt" sind. a) ist das Bild einer Funktion, "wei I es eine Gerade im x- und y-Bereich ist", aber auch keine Funktion, "wei 1 sie nieht durch den Nullpunkt geht". Die Antworten entsprechen inhaltlich und sogar fast wortlich den Antworten der Neunt- und Zehntklasslerlnnen bei Stoye und aueh denen bei Barnes, der Schiilerlnnen und Studentlnnen die Aufgaben c), d) und e) iihnlich stellte (Bames 88: Untersuchung mit Secondary und Tertiary students in Australien). In allen Schiilerlnnenantworten treten eine "Ubergeneralisierung oder eine Einschriinkung des Funktionsbegriffs" auf (vergl. auch Muller-Philipp 94). Eine Bevorzugung von Ursprungsgeraden und bestimmter Lagen im Koordinatensystem bestatigt auch die Untersuchung von Nagerl und Zerbst, bei der Studienanfangerlnnen Gleiehungen zu Geraden angeben sol1ten, die sieh u.a. durch Absolutglied und Steigung unterschieden. Wiihrend die Losungshiiufigkeit bei negativer Steigung abfiel (in einem Beispiel auf 48% gegenuber 64% bei positiver

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 285

Steigung), beeintraehtigte bei einer Ursprungsgeraden das Vorzeiehen der Steigung die Losungshiiufigkeit nieht (70010 gegeniiber 69%) (Nagerl/ Zerbst 78, S. 106).

Zum nicht-grcifischen Begriffsverstandnis In den Aufgaben 3 bis 5 sowie 10 und II geht es wn die Untersuehung nieht-grafiseher Aspekte, wie Termdarstellung und Zuordnungsvorsehrift, Mengendarstellung (hier: keine eindeutige Zuordnung), tabellarisehe bzw. verbale Darstellung. Tabelle 2 zeigt, dass die Erfolgsquote in Bezug auf den nieht-grafisehen Aspekt im Vergleieh zwn grafisehen Aspekt deutlieh geringer ist. Durehsehnittlieh waren hier nur 37% erfolgreieh (gegeniiber 67%).

1995 1982 Israel

Entseheidungl riehtig falseh ohne richtig Aufgabe

3a (y = 3X2) 64% 17% 19% StudienanHmger 3b (y = 4) 24% 56% 20% (naturw.-mathem-teehniseh-3c (y = I/x) 50% 23% 27% wirtsehaftlieh 3d (Abschnitts- 25% 33% 42% Wirtsehafts- aile

weise def) studenten (n=271) (n= 33)

4 (Menge) 15% 59% 26%

5 (verbal) 26% 27% 47% 31% 47% lOa (Tabelle) 57%

Tabelle 2 Quantitative Auswertung zu Test 1 (n = 70, zwn Vergleieh: Vinnerl Dreyfus 89)

Die Begriindungen der Sehiilerlnnen verdeutliehen wieder das eingesehrankte Begriffsverstandnis. Entseheidend fUr die Identifikation ist vorwiegend das Vorhandensein von x und y und die grafisehe Darstellbarkeit. So ist y = 3x2 eine Funktion "wei I es gibt x und y", y = 4 keine Funktion "weil das x fehlt", y = lIx eine Funktion "weil es wieder x und y gibt" und keine Funktion "weil: kann man nieht zeichnen" (Sehiilerlnnenzitate). Nur einige Antworten deuten auf einen algebraisehen Aspekt in der Begriffsvorstellung hin. So ist z.B. y = 3x2 eine Funktion "weil man x mit y bereehnen kann" und y = 4 keine Funktion "weil man die Funktion nieht ausreehnen kann'".

Insgesamt deuten die Ergebnisse auf bestimmte Unterriehtserfahrungen mit dem Begriff "Funktion" hin: namlieh, dass er moglieherweise besonders im Zusammenhang mit innermathematisehen Funktionsgleiehungen benutzt wurde, die fUr grafisehe Darstellungen dienten. Eine kognitive Verkniipfung zu anderen Zusammenhangen fand offensiehtlieh nieht oder kawn statt. Mitverantwortlieh dafUr konnte die Stoffanordnung im Lehrplan fUr die Realsehule sein. So sind dort ab Klasse 9 zeitgleieh die Systematisierung von Funktionsgleiehungen und die Einfiihrung des Tenninus "Funktion" vorgesehen (s. 3).

286 A. Beckmann

Zum Wechsel zwischen den Darstellungsformen Die Fiihigkeit zum Wechsel zwischen Darstellungsformen wird in den Aufgaben 5,6, 9, 10 und II getestet. Tabelle 3 zeigt, dass durchschnittlich nur 36% der SchiilerInnen bei einem Wechsel erfolgreich waren und mindestens jede dritte SchiilerIn bei irgend einem Wechsel versagt. Vergleichsuntersuchungen in GroBbritannien und in Israel deuten ebenfalls auf hohe Versagerquoten hin, obwohl Letztere sogar mit StudienanfangerInnen und LehrerInnen erfolgte (Swan 82, Vinnerl Dreyfus 89).

1995 I 980,GroB- 1982 britannien Israel

Wechsel Aufgabe richtig richtig richtig

Graph 7 Tabelle 9 37% (22%) (andere (Student, Worte 7 Tabelle lib 61% Aufgaben !) Lehrer !) Tabelle 7 Graph lOb 64% (44%) Tabelle 7 Gleichung 6 9% (0%)

Ilc 16% (0%) 31% Worte 7 Gleichung 5 9% (0%) 47% Tabelle vervollstandigen lOa 57% 70%

Tabelle 3 Erfolgreicher Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungsformen (n = 70, Test I), in Klammern der Anteil erfolgreicher HauptschulerInnen. Zum Vergleich eine APU-Studie mit 16Jahrigen aus Englarid, Wales und Nordirland (n = 13879, Swan 82, S.I53) sowie von Vinner und Dreyfus mit StudienanfangerInnen und LehrerInnen (n = 307 Vinner/Dreyfus 89)

Besondere Schwierigkeiten bereitete der Ubergang· zu einer Funktionsgleichung. Offensichtlich spielt hier fUr den Erfolg die Lange der Erfahrungen mit Zuordnungsvorschriften eine Rolle. Die ehemaligen GymnasiastInnen, die sich nach Lehrplan bereits ab Klasse 7 mit Funktionsgleichungen beschaftigen, waren hier am erfolgreichsten - im Unterschied zu den HauptschulerInnen, die dies nach Lehrplan erst ab Klasse 10 tun. Den Ubergang von Graph zu Gleichung untersuchten auch Nager! und Zerbst in einer systematischen Studie mit StudienanfiingerInnen wirtschaftlichl technisch-mathematischer Studienrichtungen (Nagerl, Zerbst 78). Auch dort zeigte sich, dass mindestens jede dritte StudentIn dabei scheiterte, die Gleichung zu einer im Koordinatensystem gegebenen Geraden anzugeben. Der Erfolg sank sogar bis auf 2,5 %, wenn die Lage der Geraden und die Skalierung der Achsen z.B. anwendungsbezogenen Darstellungen entsprach.

Weiterhin auffallend ist, dass das Fullen einer unvollstandigen Tabelle deutlich erfolgreicher geschieht als der Ubergang von Tabelle zu Gleichung, obwohl es in beiden Fallen prinzipiell urn das Erkennen funktionaler Abhangigkeiten geht. (57% Erfolg gegenuber 16%, bei Swan 70% gegenuber 31 %). Verantwortlich fUr die Diskrepanz konnten luckenhafte Erfahrungen mit dem Begriff der Funktionsgleichung sein, so dass die SchiilerInnen keinen Zusammenhang zu tabellarischen Darstellungen

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 287

herstellen. Andererseits konnte es sein, dass die offensichtlich vorhandenenen Erfahrungen im Umgang mit Funktionen nicht dazu ausreichen, Abhangigkeiten zusammenfassend in einem Kurzausdruck zu formulieren.

Insgesamt weisen die Ergebnisse wieder auf eine fehlende kognitive Verknupfung oder auf isoliert gewonnene (nicht-grafische) Erfahrungen hin. Z.B. losten fast aIle SchiilerInnen die Dreisatzaufgabe II richtig - meist mit dem Dreisatzverfahren - ; die entsprechende Funktionsgleichung aufzustellen, gelang aber nur 16% von ihnen. Dieses Ergebnis ist auch im Hinblick auf den zweiten Untersuchungsteil (4.4) interessant.

Zur Entwicklung von bestimmten Vorstellungen zum Funktionsbegriff Der mengentheoretische Aspekt ,,Funktion als Menge geordneter Paare" spielt in den SchiilerInnenbegriindungen keine Rolle. Die Antworten zu Aufgabe 4 Stellt die Menge der folgenden Zahlenpaare eine Funktion dar? {(2;6), (4;12), (4;16), (6;18)} deuten dariiberhinaus auch auf geringe mengentheoretische Erfahrungen hin. Vordergriindig rur die Entscheidung ist hier die grafische Darstellbarkeit. Nur sehr wenige SchiilerInnen argumentieren (zwar falsch) mit Mengen: "weil Zahlenpaare fur eine Funktion ausreichen", "zu einer Funktion schon ein Zahlenpaar ausreicht". Die Vorstellung der Funktion als "eindeutige Zuordnung" wird in den SchiilerInnenargumentationen ebenfalls kaum beriihrt. 1m Zusammenhang mit Aufgabe 4 weisen h6chstens die wenigen Antworten der Art "wei I zwei Vieren darin vorkommen"und "weil4 mal 4 16 ist. Sie passt nicht dazwischen." in diese Richtung.

Die Schwierigkeiten beim AufsteIIen von Funktionsgleichungen, aber auch die Antworten zu 2c) und 2d) machen deutlich, dass der Zuordnungsaspekt (hier als Teil des grafischen Begriffsverstandnisses) zum Funktionsbegriffkaum ausgebildet ist. Fur die Entscheidung, c) und d) nicht als Funktionsgraph anzuerkennen, war die Nicht­geradlinigkeit oder wie auch bei Barnes, der dieselben Aufgaben steIIte, das "sonderbare Aussehen" bedeutend (Barnes 88). Ebenso wie bei Barnes argumentierten nur wenige der Schiilerlnnen (und auch nur ehemalige Gymnasiatlnnen) mit dem Problem, eine zugehorige Funktionsgleichung fmden zu konnen. Dieses Ergebnis iiberrascht einerseits angesichts der Schwerpunktsetzung in den Lehrplanen (3), andererseits zeigt es aber auch, dass die SchiilerInnen keinen Zusammenhang zwischen den langjahrigen Erfahrungen mit Zuordnungen und den Funktionsgraphen im Koordinatensystem herstellen.

Auch der Aoderungsaspekt spielt offensichtlich rur die Entscheidungen der SchiilerInnen keine groBe Rolle. Ein Vorherrschen dieses Aspekts hatte im Zusammenhang mit konstanten Funktionen zu einer Fehlentscheidung ruhren konnen. Werden namlich Funktionen vorrangig als Mittel zur Beschreibung von Veranderungen aufgefasst, konnen bei konstanten Funktionen Schwierigkeiten auftreten. Die Antworten zu Aufgabe 2e) beruhren dieses Problem aIIerdings nicht, sondem bestatigen eher die beschriebenen eingeschriinkten Vorstellungen, indem nach Auffassung vieler SchulerInnen 2e) keine Funktion darstellt, "weil es keinen Punkt auf der x-Achse gibt". Eine Analyse def Antworten zu Aufgabe 3b) (y = 4) fiihrt auf eine

288 A. Beckmann

iihnliche Beurteilung. Auffallend viele Schuierinnen (56%) meinten, dass y = 4 keine Funktion darstelle, was den Ergebnissen der australischen Untersuchung von Barnes entspricht, bei der dieselbe Aufgabe gestellt worden war (Bames 88). Wahrend dort allerdings viele Schiilerinnen ihre Entscheidung mit der fehlenden Abhangigkeit y von x begriindeten, fehlt bei den nordrhein-westfalischen Schiilerinnen der Abhangigkeitsaspekt in der Argumentation. Nur eine Antwort deutet die Anderung (oder vielleicht auch den kinematischen Aspekt) an: " weil nicht angegeben, wie sich die Gleichung entwickelt".

Insgesamt sprechen die Ergebnisse hOchstens fur eine Auspragung der algorithrnischen Vorstellung (in Stoyes weitestem Sinne, vergl. 2). Denn die gangige Vorstellung vom Funktionsbegriffbezieht sich vordergriindig auf die Zuordnunsgvorschrift mit x und y, mit deren Hilfe grafische Darstellungen erzeugt werden konnen.

4.4 Zum Einfluss der formal! theoretischen Behandlung des Funktionsbegriffs auf spezielJe Anwendungsaufgaben

Ergebnisse aus Test 2 Ausgangspunkt fur Test 2 war die Moglichkeit, den Begriffsbildungsprozess bezuglich des Funktionsbegriffs am Anfang der 11. Jahrgangsstufe als fortgeschritten anzusehen und formalltheoretisch fortzusetzen. Eine wesentliche Untersuchungsabsicht von Test 2 ist die Abschiitzung der Bedeutung der verbalen und formalen Funktionsbegriffsfestlegung fur die Bearbeitung von Anwendungsaufgaben (hier: Wahrungsrechnung). Zentral ist die Frage: Hat die fiiihe formale Begriffsdefinition und die Behandlung von Spezialfallen irgendeinen (erkennbaren) Einfluss auf die Bearbeitung der Anwendungsaufgaben? Speziell: Werden Wiihrungsrechnungsaufgaben als Spezialfall erkannt und dies bei der Losung genutzt (z.B. Losung fiber Proportionalitatsfaktor bzw. funktionale Abhangigkeit) oder zeigt sich eher eine Stabilitat kognitiver Konzepte (z.B. Dreisatzschema )?

Schwerpunkt der schriftlichen Befragung sind deshalb Dreisatzaufgaben, und zwar entsprechend dem Lehrplan Wiihrungsrechnungsaufgaben (s.2). In den Aufgaben 4 bis 6 wird erganzend die Funktionsgleichung zur Losung der Aufgaben angeboten und hingelenkt auf einen Zusammenhang zwischen Funktionen und Dreisatzaufgaben. Mit den Aufgaben wird einerseits das Losungsverhalten der Schiilerinnen bei Dreisatzaufgaben untersucht - auch inwieweit sie das Dreisatzschema oder die Funktionsgleichung bevorzugen; andererseits wird ihr Hintergrundwissen in Bezug auf die Funktionsbegriffsdefinition und die Fiihigkeit, entsprechende Zusammenhange zu erkennen, uberpriift.

Mogliche Losungsverfahren 'fur Dreisatzaufgaben sind die folgenden (vergl. auch Vollrath 93). In den zwei "Funktions"-Klassen (s. 3) wurden vor Durchfiihrung der schriftlichen Befragung im Rahmen der Behandlung der proportionalen Funktionen

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 289

insbesondere die Moglichkeit 3 sowie 5 und 4 behandelt. In der Vergleichsklasse war 1 das Losungsverfahren. Aufgabe: Wieviel OM erhtHt ein Geschaftsreisender in Oanemark fur 320 dkr, wenn zum Kurs von 400 abgerechnet wird? Losungen: 1 Dreisatzverfahren Oa 400 dkr 100 OM entsprechen, entspricht 1 dkr dem 400. Teil von 100 OM. Also kosten 320 dkr das 320fache von 100/400 OM. Es ist zu losen: x = 100/400 320 = 80 I: Verhaltnisgleichung Es verhalten sich 400 dkr zu 320 dkr genauso wie 100 OM zu x OM. Also: 400/320 = 100/x 1, Funktionales Oenken (dazu gehort: Zusammenhangel Abhangigkeiten erkennen, Eigenschaften der proportional en Funktion ausnutzen) a) ProportionaliHit (auch ohne Tabelle) b) Umrechnungsfaktor

x y

f1 :x 0,8 +400 100

+ 0.8

400 320

[=:J 3.20

~ :4

4. grafische Losung (Proportionale Funktionl Ursprungsgerade)

::~-5. Funktionsgleichung (Fortsetzung von 3.) y = O,25x x in dkr, y in OM

Oas Losungsverhalten der SchiilerInnen zu den Aufgaben der schriftlichen Befragung ist in Tabelle 4 zusammengestellt. Es fallt auf, dass auch in den Klassen, in denen der formale Aspekt (Funktionsbegriffsdefinition, Spezialfalle, Eigenschaften der Spezialfalle) im Vordergrund stand, das Dreisatzverfahren bevorzugt wurde; und dies z.B. auch bei Aufgabe 2b. Oort war - nachdem in Teil a) 320 dkr in OM umzurechnen waren - der Umrechnungswert fur das Doppelte, also fur 640 dkr gefragt.

1m Klassenvergleich zeigt sich aber, dass die SchiilerInnen der zwei ,,Funktions-" Klassen flexibler in der Wahl der Losungsverfahren waren (Allerdings ist diese Aussage auf Grund der geringen Anzahl n = 58 nicht allgemein abgesichert). Besonders deutlich wird der Unterschied bei Aufgabe 6b. Als zweiten Losungsweg wahlten dort 55% der Schiilerlnnen der Vergleichsklasse dassel be Verfahren wie in 6a

290 A. Beckmann

(Dreisatz), wiihrend die SchOierinnen der anderen beiden Klassen dies nur zu 21 % taten. Die Vergleichsklasse beschrankte sich bei allen Aufgaben im wesentlichen auf das Dreisatzverfahren, in den "Funktions"-Klassen dagegen entschied sich durchschnittlich jede vierte SchUlerin fUr einen anderen Losungsweg; bei Aufgabe 6a wiihlte sogar jede dritte Schiilerin die Funktionsgleichung. Angesichts der formalen Schwerpunktsetzung im vorangegangenen Unterricht und der Tatsache, dass in 6a die Funktionsgleichung vorgegeben war, iiberraschen hier aber eher die 63 %, die sich weiterhin fUr den Dreisatz entschieden.

Aufgaben zwei Klassen n = 38) Ver~ leichsklasse (n = 20)

LOS~ I 2a 2b 3 6a 6b I 2a . Dreisatzverfahren 74 87 79 76 63 45 95 100 Verhiiltnisgleich. 16 10 5 13 3 5 5 -Proportionalitiit 10 - 13 5 - 5 - -

Umrechnungsfakt. - - - 3 - - - -grafische Losung - - - - - - - -Funktionsgleich. - - - - 34 42 - -

ohne Verfahren - 3

gleiche Verfahren wie in 6a - 21 (nur anders geschrieben)

Tabelle 4: Von den Schiilerinnen gewiihlte Losungsverfahren in % (Test 2) (bei weniger als 100% wurde eine Aufgabe nicht gelost)

2b 3 6a

95 90 85 - - -5 - -- - -- - -- - 10

5

-

6b

70 ----15

15

55

Von einer Bevorzugung des Dreisatzverfahrens wurde auch in der Untersuchung von Sutherland und Rojano berichtet, die 16- bis 18jiihrigen englischen und mexikanischen Schiilerinnen anwendungsbezogene Aufgaben gestellt hatten (Sutherland! Rojano 96). Wahrend die englischen Schiilerinnen grafische Aufgaben und Losungen bevorzugten, wahlten die mexikanischen Schillerinnen eher algebraische Ausdriicke und insbesondere den Dreisatz. Sutherland und Rojano erkliirten diesen Unterschied durch den vorangegangenen Unterricht und die Schwerpunktsetzung im Lehrplan. Der englische Lehrplan fUr die Sekundarstufe I entspricht eher dem deutschen Lehrplan, indem praktische Erfahrungen und spezielle Beispie1e Ausgangspunkt fUr eine allgemeine Begriffsfassung sein sollen. Der Unterricht in Mexiko wird dagegen als "top to bottom approach" beschrieben (Sutherland! Rojano 96, S. 293) und ahnelt damit der Unterrichtsabsicht in den beiden ,,Funktions"-Klassen, in denen dem allgemeinen Funktionsbegriff spezielle Beispiele folgten. Dass allerdings diese kurze Unterrichtszeit einen derartigen algebraischen Einfluss hatte - insbesondere da der Dreisatz gerade keine Rolle spielte - erscheint eher unwahrscheinlich. Vermutlich sind die Dreisatzerfahrungen langjiihriger und der Unterricht in der Sekundarstufe I eher eine Mischform zwischen englischem und mexikanischem Unterricht. Dafiir spricht der groBere Erfolg bei den grafischen Aufgaben in Test 1 bei gleichzeitig groBem Erfolg beim Dreisatz: Offensichtlich beherrschen die Schiilerinnen das Dreisatzverfahren und wenden es ohne Miihe an. Sowohl in Test 2, als auch in Test I (s.4.3) lOsten die

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 291

meisten SchiilerInnen die Dreisatzaufgaben richtig. FUr umfassende Erfahrungen mit dem Dreisatz spricht vielleicht auch, dass die SchiilerInnen das Verfahren unproblematisch auf das neue Gebiet "Wahrungsrechnung" iibertragen. Inwieweit allerdings die Wahrungsrechnungsaufgaben fur die SchiilerInnen tatsachlich einen neuen Aufgabentyp, z.B. auf Grund des nicht so klaren Dreisatzaspektes in der Formulierung, darstellen, bleibt offen. Deutlich wird aber, dass die SchiilerInnen mit Wahrungsrechnungsaufgaben eher den Dreisatz als Zuordnungen (s. 3, Lehrplan) assoziieren und Wahrungsrechnungsaufgaben vordergriindig wohl nicht als Anwendung des Funktionsbegriffs begreifen.

In Test 1 zeigte sich, dass die Erfahrungen aus der Sekundarstufe I nicht dazu ausreichten, eine kognitive Verbindung zwischen Dreisatzverfahren und funktionaler Abhangigkeit herzustellen. Die Ergebnisse aus Test 2 deuten daraufhin, dass auch die formaVtheoretische Funktionsbegriffsdefinition und die Behandlung von Spezialfallen direkt zu Beginn der Sekundarstufe II dies nicht allgemein leistet. Z.B. spricht die Auswertung von Aufgabe 5, in der nach einem solchen Zusammenhang, namlich zwischen den Aufgaben 3 (Wahrungsrechnungsaufgabe) und 4 (innermathematische Funktionsgleichung) gefragt war, fur diese Annahme. Viele SchiilerInnenantworten beziehen sich eher auf die gemeinsamen Zahlen oder das gemeinsame Ergebnis als auf die gemeinsame Abhangigkeit: "Bei Aufgabe 3 und 4 kommt das gleiche Ergebnis heraus. ", "Es wird in beiden Fallen dutch 120 geteilt" oder "Nr. 4 ist eine Gleichung, mit der man die gleiche Losung berechnen kann."

In der Auswertung der SchiilerInnenantworten zu Aufgabe 6c zeigt sich, dass die Behandlung der Funktionsbegriffsdefinition im wesentlichen nicht zu einem forma1eren Begriffsverstandnis gefiihrt hat. 39 % der SchiilerInnen, die ill vorangegangenen Unterricht mit der Definition bekannt gemacht worden waren, und 75 % der SchiilerInnen der Vergleichsklasse beantworteten die Frage, ob es sich bei der gegebenen Zuordnung urn eine Funktion handelt, nicht. Die BegrUndungen dafiir, warum es sich urn eine Funktion handelt - wie z.B. "Ja, wei! ein x und ein yeingesetzt ist." oder ,,Es hat immer etwas mit einer Gleichung zu tun. Man kann etwas Fehlendes ausrechnen. In ein Koordinatensystem kann man dadurch etwas eintragen." - ,zeigen, dass sich das Begriffsverstandnis oft nicht geandert hat (vergl. Test I).

Allerdings deuten einige SchiilerInnenantworten auch positive Tendenzen an. Beim Bezug zur Funktionsbegriffsdefinition in Aufgabe 6 ist z.T. eine Verschiebung zu einer differenzierteren und formaleren Sichtweise bzw. der Zuordnungsaspekt erkennbar. So begriinden einige SchiilerInnen, dass eine Funktion beschrieben wird, z.B. mit: "da eine Zuordnung vorliegt." oder "weil der Wert mit dem eingesetzten x linear wachst. Z.B. x = 2 => Y = 0,56, x = 3 => Y = 0,84. Es wird jedem Wert von x ein y-Wert zugeordnet." oder mit "Ja, weil desto weniger FF, desto weniger DM." oder "Proportionale Funktion". Ebenso deuten einige Antworten zu Aufgabe 5 (Frage nach einem Zusammenhang Zwischen Aufgabe 3 und 4) eine kognitive Verbindung zwischen Dreisatz und Funktionsgleichung an: "Diese Zuordnungsvorschrift ist fiir Wahrungsrechnung zu gebrauchen.", "Das ist die gleiche Funktion, nur anders geschrieben:', ,,Aufgabe 3: Dreisatz IAufgabe 4: Funktion IAufgabe 4 ist einfacher (Ieichterer Rechenweg)." Dass hier eine Verbindung hergestellt wurde, zeigt sich evtl. auch darin, dass die betreffenden Schiilerlnnen in der folgenden Aufgabe 6a bevorzugt

292 A. Beckmann

die Funktionsgleichung anstelle des Dreisatzverfahrens wahlten. Auch wenn hier auf Grund der sehr geringen Schiilerlnnenzahl keine allgemeine Aussage zulassig ist, konnten die Ergebnisse doch ein Hinweis darauf sein, dass unterrichtlich zu wenig iiber Erfahrungen reflektiert wird, und dass die Stabilitat des Dreisatzverfahrens zumindest bei einigen Schiilerlnnen dUTch ein reflektierteres Arbeiten mit Alternativformen aufge16st werden konnte.

5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Die vorliegende Arbeit untersucht den Funktionsbegriff als Unterrichtsgegenstand zu Beginn des Mathematikunterrichts in der zweijahrigen Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft. Eine spezielle, auf diese Schul form bezogene Untersuchung erschien notwendig wegen der zentralen Bedeutung des Funktionsbegriffs in den zwei lahren und der Heterogenitat der Schiilerlnnen in Bezug auf ihre schulische Herkunft.

Zusammenfassend lasst sich feststellen, dass die befragten Schiilerlnnen sehr eingeschrankte Vorstellungen zum Funktionsbegriff hatten, die weder auf der (formaVtheoretischen) Definition, noch auf funktionalen Zusammenhangen beruhen. In Bezug auf den grafischen Aspekt waren ihre Antworten erfolgreicher als in Bezug auf den nicht-grafischen Aspekt. Spezialfalle waren mit der Begriffsvorstellung oft nicht vereinbar, und ein Wechsel zwischen den Darstellungsformen gelang oft nicht. Eine besonders wenig ausgepragte Begriffsvorstellung hatten die ehemaligen Hauptschiilerlnnen. Die (wenigen) Gymnasiastlnnen waren dUTchgehend am erfolgreichsten. In Bezug auf das Losungsverhalten bei Anwendungsaufgaben zeigte sich eine eindeutige Bevorzugung des Dreisatzverfahrens. Dies betriffi auch die Klassen, in denen die Funktionsbegriffsdefinition, Spezialfalle und deren Eigenschaften vorgeschaltet worden waren.

In Bezug auf die vorliegende Untersuchungsabsicht sind insbesondere folgende Beobachtungen interessant:

1. Die Vorstellungen der Schiilerlnnen zum Funktionsbegriff scheinen stark durch Einzelerfahrungen beeinflusst zu sein. Deutlich wird • eine Pragung dUTch bestimmte Funktionsgraphen • ein Vorherrschen linearer bzw. proportionaler Begriffserfahrungen • eine Pragung dUTch innermathematische Funktionsgleichungen • eine Pragung dUTCh innermathematische Konstruktionen im Koordinatensystem • mangelnde Erfahrungen mit SpeziaWillen • weniglkeine Erfahrungen beim Wechsel zur Funktionsgleichung

2. Es scheint keine kognitive Verkniipfung zwischen den verschiedenen (nach Lehrplan der Sekundarstufe I vielseitigen) Erfahrungen zum Funktionsbegriff stattgefunden zu haben. Deutlich wird

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 293

• dass der Funktionsbegriff (fast) nicht mit anderen als den oben genannten Erfahnmgen in Bezug gesetzt wird

• dass Einzelerfahnmgen, wie z.B. Funktionsgraphen im Koordinatensystem, nicht mit anderen Erfahrungen in einen Zusammenhang gebracht werden

• dass die Erfahrungen nicht fUr eine eigenstandige verbale Fassung des allgemeinen Funktionsbegriffs ausreichen

• dass die Erfahrungen nicht dazu ausreichen, eigenstandig, bestehende Abhangigkeiten in einem Kurzausdruck zu formulieren

3. Das Dreisatzverfahren erscheint nicht als Beispiel fUr Zuordnungen, sondem als unabhangiges, gut eingeiibtes Rechenverfahren. DeutIich wird namlich • dass die SchiilerInnen das Dreisatzverfahren beherrschen und schematisch

anwenden • dass die meisten SchiilerInnen das Dreisatzverfahren gegeniiber anderen

Verfahren, wie z.B. der Nutzung der Proportionalitat oder des Umrechnungsfaktors bevorzugen, auch wenn Letzteres einfacher ware und sogar spezielles Thema im vorangegangenen Unterricht war

• dass auch eine formale Behandlung des Funktionsbegriffs und spezieller Beispiele direkt zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule die Stabilitat des Dreisatzkonzeptes kaum auflost und nur in Einzelflillen (wohl h6chstens bei 25 %) zu einem etwas flexibleren Urn gang mit Verfahren und zu einer kognitiven Verkniipfung zwischen Dreisatz und anderen Erfahrungen zu fiihren scheint.

Fiir den Mathematikunterricht zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft ergeben sich als didaktische Konsequenzen:

~ Ein formall theoretisches Vorgehen mit einer friihen Definition ist nicht zu empfehlen (in Ubereinstimmung mit dem Vorschlag von Volk, s. 4.1). Auf Grund der eingeschriinkten Vorstellungen der SchiilerInnen ware die Definition hier keine Zusammenfassung der gemachten vie1seitigen Erfahrungen, sondem eher ein abstrakter (neuer) Begriffund insofem wenig anwendungswirksam.

~ Die Aufgabe zu Beginn der Sekundarstufe II muss es sein, die Erfahrungen der Sekundarstufe I zu erweitem bzw. zusammenzufassen. Dazu gehm das VerdeutIichen der Aspektvielfalt durch eine Erarbeitung der Funktionen in vielen Zusammenhangen und auf verschiedene Art. Z.B. kann das vordergriindige Arbeiten mit den Funktionseigenschaften, die Entwicklung der Fahigkeit zur Interpretation funktionaler Zusammenhange und zum ProblemlOsen durch Funktionen helfen, die eingeschriinkte Vorstellung yom Funktionsbegriff aufzulOsen. Darauf weist auch eine Untersuchung von Melvin mit LehrerstudentInnen aus Michigan hin (Melvin 94).

~ Wichtig ist die Anwendungsbezogenheit - insbesondere in dieser Schulform. Dies gilt auch im Hinblick auf berufliche Ziele und ein mogliches Studium. Die Probleme der Studienanfangerlnnen mit anwendungsbezogenen Aufgaben wurden erlautert (4.3). FOr die Hohere Berufsfachschule bieten sich kaufmiinnische und wirtschaftliche Fragestellungen an. Dabei kann die Wiihrungsrechnung, d.h. die nach Lehrplan vorgesehene erste Anwendung, durchaus eins der Beispiele sein. Mit ihr konnen z.B. der Zuordnungsaspekt oder der mengentheoretische und der algorithmische Aspekt besonders einfach erfahren werden.

294 A. Beckmann

~ Zur strukturierten Wiederholung gehort auch der allumfassende Wechsel zwischen den Darstellungsformen. In der didaktischen Literatur fmden sich dazu viele Anregungen. Haufig wird die Computemutzung empfohlen, da dort ein schneller Wechsel zwischen den Darstellungsformen bzw. die gleichzeitige Prasentation moglich ist und dies eine umfassende Sichtweise erlaubt (GuinlGuzman-Retamal 90, Weigand 94). Sutherland, Rojano et al. bestatigten in der oben genannten empirischen Studie mit mexikanischen und englischen Schi.ilerlnnen, dass durch gezielte Computerarbeit ("Spreadsheets", Sutherland 93) ein integriertes grafischesl nicht-grafisches Begriffsverstandnis erreicht werden konnte (Sutherland! Rojano et al 96). Bei Schwarz! Bruckheimer (90) findet sich die Idee des "Triple Representation Model", bei der die drei Darstellungsformen Tabelle, Graph und Gleichung wechselseitig zur Losung genutzt und Problemlosevorgange durch die Sperrung gewisser Verbindungen zwischen diesen Reprasentationsformen provoziert werden. Die Erarbeitung der verschiedenen Darstellungsformen darf sich allerdings nicht nur auf einzelne Wechsel beschranken. Z.B. erfordert die Unfahigkeit der Schi.ilerIrmen in den schriftlichen Befragungen, den Funktionsbegriff verbal zu fassen, auch den Wechsel zur verbalen Darstellung. Die folgende Tabelle von Swan zeigt, wie vielseitig funktionale Beziehungen erarbeitet werden konnen (Swan 82, S. 155).

nach Situationen: Tabellen Graphen algebraische \ Bilder oder verbale Ausdrilcke

von Beschrei bungen Situationen: Modell bildende Fertigkeiten Bilder oder verbale messen skizzieren beschrei bende

Beschrei bungen Modellbildung

Datentabellen Inter- lesen plotten.auf- fitten, anpassen pre- zeichnen

Graphen tieren- interpre- ab-/heraus- Kurvenan-de tieren lesen passung (fitting)

algebraische Fertig- Formel tabellieren oder (Kurven) Ausdrilcke keiten erkennen berechnen skizzieren

Tabelle 5 Ubersetzungsfertigkeiten nach Swan (Swan 82, S. 155, eigene Obersetzung)

In "The language of graphs" gibt Swan auf tiber 100 Seiten Vorschlage, solche Beziehungen unterrichtlich zu realisieren (Swan 80). Fiir die Hohere Berufsfachschule bieten sich wirtschaftliche, kaufinannische und finanzmathematische, also auch exponentielle Zusammenhange an. Die Wahrungsrechnung als erstes anwendungsbezogenes Thema des Lehrplans ist zwar sehr gut geeignet (z.B. durch grafische, tabeHarische oder algebraische Umrechnung), sollte aber auf Grund der Linearitiit nur eins der Beispiele sein.

~ Mit dem Wechsel zwischen den Darstellungsformen muss der Wechsel zwischen den (Problem IOse-)Verfahren einhergehen. Dabei ist besonderer Wert auf eine kognitive Verbindung zwischen dem Dreisatz und anderen Verfahren zu legen.

Der Funktionsbegriff in der Berufsschule 295

Auf Grund der beobachteten Stabilitat sollte das Dreisatzverfahren nicht als Einstieg gewahlt werden, sondem erst spater als Spezialfall erkannt werden .

., Die Fixierung auf lineare Zusammenhange ist zu lockem. 1m Zusammenhang mit wirtschaftlichen Fragestellungen bieten sich von Anfang an auch quadratische, kubische (hier z.B. Kostenrechnung), exponentielle (z.B. Zinseszins- und Rentenrechnung) und logarithmische Zuordnungen an. Diese Zuordnungen sind oft einfach genUg, urn die oben genannten modellbildenden und interpretierenden Fertigkeiten zu ilben, andererseits umfassend genUg, urn allgemeine funktionale Zusammenhange zu verdeutlichen. Dies gilt auch fUr die Funktionstermbestimmung. Beim Wechsel zwischen den Darstellungsformen ergibt sich beim Ubergang von der ,,zuordnungstafel mit Operatorpfeilen" (Kirsch 82) die Zuordnungsvorschrift - auch fur die Exponentialfunktion - fast automatisch (vergl. 4.4). Denkbar ist z.T. auch das Arbeiten mit allgemeinen experimentell gewonnenen Funktionen, wie Yolk es vorschlagt, urn den Gedanken der Funktions(term)bestimmung aktiv erfahren zu konnen (Yolk 97).

y Wesentlich fur eine Yerknilpfung aller Erfahrungen und Kenntnisse erscheint eine bewusste Reflexion, die stan dig den Unterricht durchzieht. Dadurch konnten die Gemeinsamkeiten der innermathematischen Erfahrungen und der anwendungsbezogenen Beispiele, sowie die Zusammenhange zwischen Dreisatz und z.B. Proportionaliatsfaktor erkannt werden. Einige SchillerInnenantworten in Test 2 deuten auf den Yorteil des reflektierten Arbeitens fiir solche kognitiven Yerknilpfungen hin.

y Yon besonderer Bedeutung erscheint die verbale Reflexion. Die Schwierigkeiten vieler Schillerlnnen, bestimmte Zusammenhange zu fassen oder zu formulieren, sprechen dafiir. 1m Hinblick auf das Ziel der allgemeinen kognitiven Yerknilpfung aller Erfahrungen konnten schon frilh beispielgebundene, verbale Fassungen des Funktionsbegritfs entsprechend dem genetischen Prinzip erfolgen (vergl. Kronfellner 87, Bilrger 96). Dabei muss es auch urn das Systematisieren der Unterbegritfe gehen. Die formal! theoretische Definition ergibt sich am Ende der umfassenden Erfahrungen und der Reflexion tiber die Erfahrungen.

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Dr. Astrid Beckmann Oesterhausstr. 8 D-32657 Lemgo

298 A. Beckmann

Anbang: Aufgaben der schriftlichen Befragungen

Test 1: Zur Frage: We1chen begriffiichen Stand in der Aneignung des Funktionsbegriffs haben die SchiilerInnen zu Beginn der Hoheren Berufsfachschule, Wirtschaft erreicht?

Aufgabe I: Was verstehen Sie unter einer Funktion?

Aufgabe 2: Sind die folgenden Zeichnungen grafische Darstellungen von Funktionen? Begriinden Sie Ihre Antwort

Aufgabe 3: Sind durch folgende Gleichungen Funktionen gegeben? Begrilnden Sie Ihre Antwort.

a) y = 3x2 b) y = 4 c) y = lIx {

0, wennx<O d) y=

1, wenn xz 0

Aufgabe 4: Stellt die Menge der folgenden Zahlenpaare eine Funktion dar? {(2;6), (4;12), (4;16), (6;18)}

Aufgabe 5: Gibt es eine Funktion y = i{x), deren Funktionswerte flir aile x gleich sind? Begriinden Sie Ihre Antwort.

Falls Sie meinen, dass es eine solche Funktion gibt, geben Sie daw ein Beispiel.

Aufgabe 6: Geben Sie die Funktionsgleichung y = i{x) flir die folgende durch die Wertetabelle

g,geben:Ti~,": : : Aufgabe 7: Durch folgendes Schaubild ist eine Funktion y = f{x) gegeben. Geben Sie

a) die Definitionsmenge von f, b) das Bild von x = 3, c) den Funktionswert der Funktion an der Stelle x = 2, e) den Wertebereich an. d) Welche(s) Urbild(er) hat y = I?

Aufgabe 8: Die Funktion f{x) = 2x habe die Definitionsmenge D = {I, 2, 3, 4}. Als Zielmenge sei festgelegt: {I, 2, 3, 4}. Geben Sie den Wertebereich an.

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Aufgabe 9: Die Funktion ist durch das folgende Schaubild gegeben:

Aufgabe lOa: Vervollstandigen Sie die Wertetabelle

Vervollstiindigen Sie die Wertetabelle

12: Zeichnen Sie den Graphen der Funktion (Koordinatensystem war vorgegeben) x I -I 1 3 5 8

Aufgabe II: Ein Auto fahrt mit immer gleicher Geschwindigkeit. Fur 50m braucht es lOs.

Test 2:

Wieviel s braucht es fUr 150 m? Wieviel s braucht es fUr 500 m? Schreiben Sie bitte Ihre Rechnung auf. Tragen Sie die Werte in die Tabelle (vorgegeben) ein und geben Sie die

Funktionsgleichung y =i{x) an.

Zur Frage: Welche Auswirkungen hat eine formalltheoretische Behandlung des Funktionsbegriffs auf spezielle Anwendungsaufgaben? Inwieweit dominieren gewisse (eingeubte) Konzepte?

Aufgabe I: Aus 5 kg lohannisbeeren werden 3 Liter Saft gewonnen. Wieviel Liter Saft erhillt man aus 28 kg lohannisbeeren?

Aufgabe 2:Wieviel DM erhalt ein Geschaftsreisender in Diinemark fUr 320 dkr (Danische Kronen), wenn zum Kurs von 400 abgerechnet wird? a) LOsen Sie die Aufgabe. b) Wieviel OM erhiilt der Geschaftsreisende flir 640 dkr?

Aufgabe 3: Eine Kauffiau aus Deutschland untemimmt eine Geschaftsreise in die Schweiz. Sie tauscht bei ihrer Bank in Deutschland 3600 OM in sfr (Schweizer Franken). Wieviel sfr erhiilt sie? Kurs (Brief): 120

Aufgabe 4: Gegeben ist die Funktion mit der Zuordnungsvorschrift y = 1001120 x. Berechnen Sie y flir x = 3600.

Aufgabe 5: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Aufgabe 3 und Aufgabe 4? Schreiben Sie bitte alles auf. was Ihnen dazu einfallt.

Aufgabe 6: In Deutschland ist der Geldkurs flir FF (Franwsische Franc) 28. (D.h. fUr 100 FF erhalt man 28 DM bzw. es gilt die Zuordnung y = 0,28x). a) Wieviel DM bekommt man fUr 25 FF? b) Losen Sie a) auf einem zweiten Weg. c) Wird durch die Zuordnung eine Funktion beschrieben? Warum bzw. warum nicht?

Eingang Manuskript: 12_0S.199g EingangTyposkript: 30.()9_1999