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BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Der sichere Verbraucher? Vergiftungsmeldungen und deren Nutzen für die Risikobewertung Herbert Desel REACH-Kongress 2016 Verbraucherschutz unter REACH (5.-6.Oktober 2016) 2016-10-06

Der sichere Verbraucher? - Startseite - BfR · • Ursache: 20 %ige Salpetersäure, z.T. nicht korrekt gekennzeichnet • Exposition: vorhersehbarer Fehlgebrauch (meist Kinder) •

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Der sichere Verbraucher?Vergiftungsmeldungen und deren Nutzen für die Risikobewertung

Herbert Desel

REACH-Kongress 2016Verbraucherschutz unter REACH (5.-6.Oktober 2016)

2016-10-06

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 2

Gliederung „Vergiftungsmeldungen“• Gesetzliche Grundlagen und Status quo

• Produktinformation für Giftinformationszentren

• Falldatensammlungen als Ausgangspunkt für Risikomanagement-Maßnahmen (Beispiele)

• Qualitätsverbesserung durch Nationales Monitoring von Vergiftungen

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 3

Fachgruppe Vergiftungs- und Produktdokumentation im BfR

Bearbeitung der Produkt(Gemisch)-Rezepturmeldungen der Industrie

Weitergabe an 8 Giftinformationszentren (GIZ) in Deutschlandund – NEU – für statistische Auswertungen

Aufgabe 1

Gesetzliche Grundlagen

1. CLP-VO [(EG) 1272/2008], Artikel 45 (neuer Annex VIII v. 2016-09-21)• Chemikaliengesetz §16e Abs.1 (gefährliche Gemische, Biozide) 1. Detergenzien-VO [(EG) 648/2004], Artikel 9 • Wasch- und Reinigungsmittelgesetz §10 (1)

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 4

CLP Art 45 (2): Informationen über als gefährlich eingestufte Gemische

... dürfen nur verwendet werden,a) um Anfragen medizinischen Inhalts mit der Angabe von

vorbeugenden und heilenden Maßnahmen, insbesondere in Notfällen, zu beantworten

und,b) wenn sie von Mitgliedstaaten angefordert werden, um

anhand einer statistischen Analyse den Bedarf an verbesserten Risikomanagementmaßnahmen zu ermitteln.

Rolle in der REACH-Evaluation?

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 5

Fachgruppe Vergiftungs- und Produktdokumentation im BfR

Sammlung und Auswertung von Mitteilungen zu Vergiftungen

Aufgabe 2

Gesetzliche Grundlagen

Chemikaliengesetz §16e Abs.1 (gefährliche Gemische, Biozide) §16e Abs. 2 (ärztliche Mitteilungen Vergiftungsfälle) §16e Abs. 3 (Mitteilungen Vergiftungsfälle „von allgemeiner Bedeutung“ durch Giftinformationszentren)

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 6

Giftinformationszentren (GIZ)... beraten medizinisches Fachpersonal und

betroffene bei manifesten Vergiftungen und Expositionsfällen mit Vergiftungsverdacht (klinische Risikobewertung und Therapieempfehlung)

... dokumentieren die Fälle in lokalen Datenbanken• primär zur medizinischen Qualitätssicherung• in unterschiedlichen Datenvolumina

... berichten dem BfR spontan und auf Anforderung

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 7

Sammlung und Auswertung von Mitteilungen zu Vergiftungen am BfR

• Qualitätssicherung undmedizinische Beurteilung

• Kategorisierung von Noxen• Zugänglichmachen der Daten für

Berichterstattung• ... als Grundlage der Prüfung der

Produktsicherheit• insbesondere hinsichtlich akuter Vergiftungen

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 8

Noxenkategorien von Vergiftungen

0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000 12.000 14.000

RESTE DER ZIVILISATION (Abfall, Abwasser, Abgase, …)

Tiere Pflanzen Mikroben

Pilze NATÜRLICHE UMWELT

GRUNDSTOFFE

Waffen, militärisch Pyrotechnische Erzeugnisse - zivil

WAFFEN UND PYROTECHNISCHE ERZEUGNISSE

Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel Biozide Schutz- und Desinfektionsmittel

SCHUTZ- UND BEKÄMPFUNGSMITTEL GEGEN SCHADORGANISMEN

Veterinärmedikamente Medizinprodukte

Arzneimittel (human) HEILMITTEL

DROGEN

Produkte für Pflanzen und Tiere Chemische Mittel für techn. Geräte u. Verfahren

Reinigungs-, Putz- und Pflegemittel Leuchtbrennstoffe, Zünd- Duft-, Dekorations- u.ä. Mittel

Farben, Lacke und Färbemittel Bau-, Dicht- und Klebemittel

CHEMISCH- /PHYSIKOCHEMISCHE MITTEL

Tabakerzeugnisse Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe

Kosmetika Bedarfsgegenstände

BEDARFSMITTEL

Zahlen aus den GIZ-Nord Göttingen und GIZ Mainz

23.000

Waschmittel-Gelkapseln (ab 2012)

Energy Drinks

Biozide (EG No 528/2012)

Lampenöle, Grillanzünder

Bindeez–Spielzeug-Perlen 2007

Imprägniersprays

NPS – neuartige psychoaktive Substanzen (ab 2008)

- Berichtserwartungen an BfR seitens EU, Bund, Ländern

sowie WHO

Knollenblätterpilz-Vergiftungsepidemie 2015

( )Miracle Mineral Solution (MMS, ab 2012)

Lupinen als Nahrungsmittel 2015E-Liquids

stark ätzende Reiniger

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 9

Beispiel 1: Lampenöl / flüssiger Grillanzünder

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 10

Beispiel 1: Lampenöl / flüssiger Grillanzünder• Ursache: mittellangkettige paraffinische

Kohlenwasserstoffe mit hohem Aspirationsrisiko• Exposition: akzidentelle Ingestion (vorhersehbarer

Fehlgebrauch)• Wirkung: Entzündung in den tiefen Atemwegen

(chemische Pneumonie)• Risiko: viele schwere, in 5 Fällen tödliche

Vergiftungen nach oraler Aufnahme von Lampenöl• Management: Verkaufsrestriktionen,

Verpackungsvorgaben• Erfolg: Frequenz fällt (über Jahre) kontinuierlich

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 11

Beispiel 1: Lampenöl / flüssiger Grillanzünder

Verbot von mit R 65 gekennzeichneten gefärbten und parfümierten Lampenölen

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 12

Beispiel 2: Versiegelungsspray für Bad und WC / Glas und Keramik• Produkt wurde in einer Discounter-Sonderaktion einmalig

ab 26.03.2006 verkauft. • Gebrauch nach Herstellerempfehlung

führte zu schweren Lungensymptomen.

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 13

Beispiel 2: Versiegelungsspray für Bad und WC / Glas und Keramik• Ursache: unklares Stoffgemisch mit Reizpotential,

lungengängige Tröpfchen aus Treibgassspray • Exposition: Inhalation bei bestimmungsgemäßem

Gebrauch (Innenraum)• Wirkung: Entzündung in den tiefen Atemwegen

(chemische Pneumonie)• Risiko: ca. 140 mittelschwere und schwere

Vergiftungen innerhalb weniger Tage • Management: Verkaufsstopp, Information der

VerbraucherInnen durch Medien• Erfolg: Epidemie innerhalb weniger Tage beendet

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 14

Beispiel 2: Versiegelungsspray für Bad und WC / Glas und Keramik

Anfragen zu MagicNano

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.2006

Anz

ahl B

etro

ffene Anfragetag

Anwendungstag

Expositionsberichte an GiftinformationszentrenVerkaufsstoppVerkaufsstart

RAPEX-Meldung erfolgt 0199/06 (Woche 13)

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 15

Beispiel 3: stark saurer Badreiniger Gruppe von Import-Produkten aus der Türkei, beliebt bei Verbraucher(innen) mit türkischem Migrationshintergrund.

Nicht einheitliche Kennzeichnung.

Verursacht(e) schwere Verätzungen

besonders schwerer Fall 2010

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 16

Beispiel 3: stark saurer Badreiniger • Ursache: 20 %ige Salpetersäure, z.T. nicht korrekt

gekennzeichnet • Exposition: vorhersehbarer Fehlgebrauch (meist Kinder) • Wirkung: Verätzung von Haut und Schleimhaut des

Magen-Darm-Traktes• Risiko: ca. 20 mittelschwere und schwere Vergiftungen

innerhalb weniger Jahre• Management: vorübergehender Verkaufsstopp,

Information der VerbraucherInnen durch Medien• Erfolg: Veränderung der Rezeptur, Häufigkeit stark

reduziert

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 17

Fallberichte an das Giftinformationszentrum-Nord

Verbotsaktivitäten

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 18

Aktueller Status Dokumentation von Vergiftungsfällen in Deutschland• Vergiftungsinformationen im BfR (ChemG §16e):

ca. 5.000/a (insgesamt 90.000)•davon ca. 50-100/a von GIZ

• im Statistischen Bundesamt – Klinik-Diagnosen- und Todesursachen-Statistik (ca. 170.000/a)•ICD-Verschlüsselung•grob hinsichtlich der Vergiftungsursachen

• in GIZ: ca. 210.000/a (insgesamt über 3.000.000)

Problem•bisher kein einheitlicher Dokumentationssstandard und keine Zusammenführung Fallberichte

•anlassbezogene Recherchen zeitaufwendig und oft nicht umfassend

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 19

Nationales Monitoring von VergiftungenProblem•bisher keine Zusammenführung der Fallberichte

• anlassbezogene Recherchen zeitaufwendig und nicht umfassend

Lösung•(teil)automatisierte Zusammenführung der Fallberichte •Gesamtübersicht über das Vergiftungsgeschehen in Deutschland •umfassende, zeitnahe gesundheitliche Bewertungen durch das BfR und die GIZ

Vorbilder•USA: National Poison Data System sowie

•Französisches Toxikovigilanz-System SICAP

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 20

Nutzen des Nationalen Monitorings von Vergiftungen

• bessere Bewertung des Vergiftungsrisiko durch Auswertung von Expositionen gegenüber einzelnen „aktuellen“ Noxen

• Früherkennung unsicherer Produkte • auch schnelles Entkräften von Anfangsverdachtsfällen

• zeitnahe Bereitstellung von Lagedatenin Krisenfällen (nationale Meldepflichten)

Voraussetzungen• Falldokumentation in GIZ nach Erfordernissen

der regulatorische Risikobewertung• harmonisierte Erfassung und Übermittlung höherer personeller und technischer Aufwand in GIZ

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 21

Aktuelle Entwicklung

• Beantragung eines Pilotprojektes im Rahmen des Ressortforschungsplanes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit und Bau (BMUB)

• Finanzierung für 2017 / 2018 in Aussicht• Praktische Erprobung des Verbundes• Entwicklung des Verfahrens zur Verstetigung des

Vorhabens

06. September 2016, Der sichere Verbraucher? Seite 22

Resüme „Der sichere Verbraucher?“• Es gibt eine Tradition und eine solide

gesetzliche Grundlage für die nationale Humanfalldatensammlung am BfR.

• Anhand von Beispielen wurde die Relevanz von Humanfalldaten zur Erkennung von Lücken in der Produktsicherheit dargestellt

• Ein Nationales Monitoring von Vergiftungen wird Effektitivät für die regulatorische Risikobewertung steigern und soll in einem Pilotprojekt erprobt werden.

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NG DANKE FÜR IHRE

AUFMERKSAMKEIT

Herbert Desel

Bundesinstitut für RisikobewertungMax-Dohrn-Str. 8-10 10589 BerlinTel. 0 30 - 184 12 - 3904 Fax 0 30 - 184 12 – 39 [email protected] www.bfr.bund.de