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:. ;! Gert Ueding Die anderen Klassiker Literarische Porträts aus zwei Jahrhunderten Verlag C. H. Beck München G. A. Bürger-Archiv

Die anderen Klassiker - gottfried-august-buerger ... · nen Kanon, offen nach vorne, zur Entwicklung unserer Literatur, aber auch zurück in die Geschichte, offen also für Revisionen

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Gert Ueding

Die anderen Klassiker

Literarische Portraumlts aus zwei Jahrhunderten

Verlag C H Beck Muumlnchen

G A Buumlrger-Archiv

Inhalt

Anstatt einer Einleitung 7

Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gotfried August Buumlrger 1

Nicht zum Speculieren zum Wirken ist diese Welt Adolph Freiherr von Knigge 35

Ein verbannter Goumlttersohn

Friedrich Maximilian Klinger 59

Eichenkranz der Buumlrgertugend Ludwig Uhland

Rhetorik der Tat

Ludolf Wienbarg und seine Aumlsthetischen Feldzuumlge

Berlin eine Hauptstadt des 19 Jahrhunderts Adolf Glaszligbrenner Leben Werk und Zeit 110

und Poet dazu

Der Schriftsteller vVilhelm Busch 131

Auf fremden Pfaden in die Heimat Karl May

Weltfremdheit und Weltsehnsucht Max Dauthendey

Vom moumlglichen Leben Otto Flake

Im Ivlorgenland der Dinge Uumlber Franz Hesse

Anmerhungen

Drucknachweise

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Anstatt einer Einleitung

Die Schriftsteller in diesem Buch sind keine Unbekannten einige von ihnen hat jeder gelesen und in den meisten Buumlcherschraumlnken steht zumindest Wilhelm Busch Dennoch sind sie hier unter jener Perspekshytive zusammengfaszligt die Lessing Rettung nannte Er verstand darshyunter allerdings nicht zuerst die Rettung vergessener oder bewuszligt vernachlaumlssigter Autoren die eine solche Behandlung nicht verdienshyten sondern eher so etwas wie Rehabilitiemng und angemessene Einshyschaumltzung von Person und literarischem Werk Ich selbst kann mir keine angenehmere Beschaumlftigung machen als die Namen beruumlhmter Maumlnner zu must~rn ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen unshyverdiente Flecken ihnen abzuwischen die falschen Verkleistemngen ihrer Schwaumlchen aufzuloumlsen kurz alles das im moralischen Verstande zu tun was derjenige dem die Aufsicht uumlber einen Bildersaal anvershytrauet ist physisch verrichtet JI Mit solchen Uumlberlegungen eroumlffnete Lessing seine Rettungen des Horaz eines Schriftstellers dessen liteshyrarische Bedeutung auch im 18 Jahrhundert durchaus feststand

Etwas anders sieht es hier aus die Namen in diesem Band haben gewiszlig eines gemeinsam daszlig nicht nur das mit ihnen verknuumlpfte Chashyrakterbild in der Geschichte s~hwankt oder undeutlich gewoden isC-shysondern a~~h-die-~stheti~h~-Ein~~h~~ng-lhres Werkesk-eine Kontishy

nuitaumlt erfahren hat nur darin war man sich immer einig sie gehoumlren nicht zu den kanonischen Autoren deutscher Sprache Doch welchen Smn kann es haben sich Schriftstellern zuzuwenden die ihr Publikum verloren haben oder nur noch zum raschen unbekuumlmmerten Verzehr tauglich scheinen wenn die kulturelle Gemeinsamkeit in Frage steht in die sie erneut einbezogen werden sollen Und es ist wahr von Ketzern kann man nur reden wenn die Orthodoxie geklaumlrt ist aber gibt es uumlberhaupt noch einen Kanon deutschsprachiger Literatur und gehoumlrt es nicht gerade zu den Errungenschaften eines demokratischen Bildungsverstaumlndnisses Kanonisiemngen in allen Lebensbereichen aufzuloumlsen und zu verhindern

So jedenfalls lautet ein populaumlrer Einwand und auch die abschaumltzig gemeinte Bezeichnung Elitebildung liegt dann ganz nahe Natuumlrlich

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kursieren noch andere Argumente in diesem Streit und sie sollen hier wenigstens erwaumlhnt werden Fast alle laufen zuletzt auf einen radikashylen Strukturwandel hinaus auf die Denunziation tradierter Kultur und deren Ersatz durch neue Formen kultureller Aktivitaumlt Sozialverhalshyten Solidaritaumlt unreglementierte Geselligkeit in neuen Kommunikashytionszentren Alltagsaumlsthetik lauten die Stichworte die Vorreiter dieshyser Bewegung sind einfluszligreich bis heute Literatur erkennen sie allenshyfalls wie Musik und bildende Kunst als Form buumlrgerlicher Kultur an die es zu uumlberwinden gilt wenn sie literarische Werke im Unterricht besprechen so nur weil sie sich der Verpflichtung des Lehrplans nicht entziehen koumlnnen aber sie tun es widerwillig und mit kaltem Herzen Es gibt eine sehr wirkungsvolle Koalition von technokratischen Bilshydungsreformern antibuumlrgerlicher Gesinnung dem modischen Trend in allen Geisteswissenschaften und einer kleinlauten Gefaumllligkeitsgershymanistik die sich wieder einmal reibungslos den Zeitlaumlufen anpaszligt aus dem verstoumlrten Verhaumlltnis zur eigenen Geschichte

Doch vergessen wir eines nicht die Kritik am literarischen Kanon die nach einigem Vorgeplaumlnkel massiy in den sechziger Jahren einsetzshyte hatte ihre unabweisbaren Gruumlnde Ein mehr oder weniger differenshyzierter aber insgesamt festumrissener Kanon literarischer Werke geshyhoumlrte schon zur Schulausbildung Im IV1ittelpunkt die klassische deutshysche Literatur zeitgenoumlssische Werke nur wenn sie auch klassischen oder wenigstens klassizistischen Maszligstaumlben zugaumlnglich waren also Carossa und Weinheber oder Binding und Bergengruen Vom Abiturishyenten erwartete man daszlig er Wallenstein und Faust Die Leiden des jungen Werthers und Aus dem Leben eines Taugenichts Die Glokshyke und Hyperions SchicksalsHed gelesen hatte mit der Frage nach Knigge oder Buumlrger Wienbarg oder Glaszligbrenner haumltte man freilich wenig Gluumlck gehabt Germanistische Seminare setzten gewisse kanoshynische Grundkenntnisse voraus in den Instituten konnten die Stu~nshyten umfangreiche Leselisten erwerben die helfen sollten ihre literarishysche Bildung in diesem Sinne zu vervollstaumlndigen So ausgeruumlstet kashymen sie als Referendare oder Lehrer an die Schule der Kreislauf war geschlossen aber er aumlhnelte vielfach einer Muumlhle die automatisch weiterklapperte ohne noch irgendwelche geistigen Energien freizusetshyzen Die Lesebuumlcher und Leselisten dienten vor allem einem erstarrten Bildungsverstaumlndnis sie faumllschten die Tradition und foumlrderten bloszlig affirmatives Denken Pedanterie passives Auswendiglernen Ablehshynung der Moderne waren meist die Folgen Ganze Epochen blieben

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verschlossen Aufklaumlrung war nur unvollkommene Vorbereitung der Klassik das Junge Deutschland bloszlig wesenlose Tagesliteratur Kafka Musil Broch zeugten vom schlimmen Verlust der Mitte Maszlig Klarshyheit Vollkommenheit hieszligen die aumlsthetischen Tugenden schon das meiste von Jean Paul von Tieck von E 1 A Hoffmann bestand nicht vor ihnen von Knigges und Klingers Romanen von der Knopp-Triloshygie den Meistern des Feuilletons der Literaturkritik der politischen Rede ganz zu schweigen Soviel steht fest die literarische Tradition war von ihren scholastischen Sachwaltern laumlngst ausgehoumlhlt und zum leeren Popanz geworden als sich ihre Schuumller einen Jux daraus machshyten ihn purzeln zu lassen Weg mit den alten Schwarten etwas Neues lesen etwas Erregendes was uns angeht worin Gegenwart und Zushykunft nicht von Staub und Dogmatismus erdruumlckt werden es steckte Neugier und Wissenslust in diesen Parolen eine produktive Unruhe die es nicht bei den verordneten Rezepten aushielt

Und wie reagierten die Universitaumlten die Schulen die literarischen Institutionen darauf Gab es eine gruumlndliche eine heftige eine poleshymische Diskussion einen Streit der Meinungen und Schulen einen Kampf um die Bewertung Goethes Kleists oder Stifters um das Geshywicht der Epochen der Aufklaumlrung oder der Romantik um die Stelshylung der Gegenwartsliteratur und die Funktion von Kitsch und Kolporshytage Nein das alles gab es von unbedeutenden Ausnahmen wie dem Zuumlricher Literaturstreit abgesehen nicht Statt dessen arrangierten sich die Bildungsinstitutionen ohne viel Aufhebens untereinander Um ja nicht den neuen Trend zu verpassen laumlutete man das Ende des Gutenbergzeitalters ein sprach von der Erweiterung des Literaturbeshygriffs die Lehrplaumlne der Hochschulen und Schulen wurden beherrscht von Trivialliteratur und Werbetexten Jerry Cotton und der Bildzeishytung Marx und Engels aus den Verlagsverzeichnissen verschwanden die literarischen Titel Schriftsteller houmlrten auf zu schreiben oder vershykuumlndeten untergangssuumlchtig den Tod der Literatur 0m folgenreichshysten die von den konkreten Werken abgewandte scholastische Methoshydendiskussion Sie taumluschte Interesse an der Literatur nur vor zitierte sie allenfalls zur Illustration historischer und sozialer Prozesse als Anschauungsmaterial eines theoretischen Diskurses der sich fortzeushygend selbst hervorbrachte und im Wortsinne unfruchtbar blieb Kein Zweifel was wir heute uumlberall an kleinen Veraumlnderungen beobachten koumlnnen in Vorlesungsverzeichnissen und Lektuumlreempfehluogen auf dem literarischen vlarkt und beim privaten Leseverhalten aber auch

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Inhalt

Anstatt einer Einleitung 7

Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gotfried August Buumlrger 1

Nicht zum Speculieren zum Wirken ist diese Welt Adolph Freiherr von Knigge 35

Ein verbannter Goumlttersohn

Friedrich Maximilian Klinger 59

Eichenkranz der Buumlrgertugend Ludwig Uhland

Rhetorik der Tat

Ludolf Wienbarg und seine Aumlsthetischen Feldzuumlge

Berlin eine Hauptstadt des 19 Jahrhunderts Adolf Glaszligbrenner Leben Werk und Zeit 110

und Poet dazu

Der Schriftsteller vVilhelm Busch 131

Auf fremden Pfaden in die Heimat Karl May

Weltfremdheit und Weltsehnsucht Max Dauthendey

Vom moumlglichen Leben Otto Flake

Im Ivlorgenland der Dinge Uumlber Franz Hesse

Anmerhungen

Drucknachweise

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Anstatt einer Einleitung

Die Schriftsteller in diesem Buch sind keine Unbekannten einige von ihnen hat jeder gelesen und in den meisten Buumlcherschraumlnken steht zumindest Wilhelm Busch Dennoch sind sie hier unter jener Perspekshytive zusammengfaszligt die Lessing Rettung nannte Er verstand darshyunter allerdings nicht zuerst die Rettung vergessener oder bewuszligt vernachlaumlssigter Autoren die eine solche Behandlung nicht verdienshyten sondern eher so etwas wie Rehabilitiemng und angemessene Einshyschaumltzung von Person und literarischem Werk Ich selbst kann mir keine angenehmere Beschaumlftigung machen als die Namen beruumlhmter Maumlnner zu must~rn ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen unshyverdiente Flecken ihnen abzuwischen die falschen Verkleistemngen ihrer Schwaumlchen aufzuloumlsen kurz alles das im moralischen Verstande zu tun was derjenige dem die Aufsicht uumlber einen Bildersaal anvershytrauet ist physisch verrichtet JI Mit solchen Uumlberlegungen eroumlffnete Lessing seine Rettungen des Horaz eines Schriftstellers dessen liteshyrarische Bedeutung auch im 18 Jahrhundert durchaus feststand

Etwas anders sieht es hier aus die Namen in diesem Band haben gewiszlig eines gemeinsam daszlig nicht nur das mit ihnen verknuumlpfte Chashyrakterbild in der Geschichte s~hwankt oder undeutlich gewoden isC-shysondern a~~h-die-~stheti~h~-Ein~~h~~ng-lhres Werkesk-eine Kontishy

nuitaumlt erfahren hat nur darin war man sich immer einig sie gehoumlren nicht zu den kanonischen Autoren deutscher Sprache Doch welchen Smn kann es haben sich Schriftstellern zuzuwenden die ihr Publikum verloren haben oder nur noch zum raschen unbekuumlmmerten Verzehr tauglich scheinen wenn die kulturelle Gemeinsamkeit in Frage steht in die sie erneut einbezogen werden sollen Und es ist wahr von Ketzern kann man nur reden wenn die Orthodoxie geklaumlrt ist aber gibt es uumlberhaupt noch einen Kanon deutschsprachiger Literatur und gehoumlrt es nicht gerade zu den Errungenschaften eines demokratischen Bildungsverstaumlndnisses Kanonisiemngen in allen Lebensbereichen aufzuloumlsen und zu verhindern

So jedenfalls lautet ein populaumlrer Einwand und auch die abschaumltzig gemeinte Bezeichnung Elitebildung liegt dann ganz nahe Natuumlrlich

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kursieren noch andere Argumente in diesem Streit und sie sollen hier wenigstens erwaumlhnt werden Fast alle laufen zuletzt auf einen radikashylen Strukturwandel hinaus auf die Denunziation tradierter Kultur und deren Ersatz durch neue Formen kultureller Aktivitaumlt Sozialverhalshyten Solidaritaumlt unreglementierte Geselligkeit in neuen Kommunikashytionszentren Alltagsaumlsthetik lauten die Stichworte die Vorreiter dieshyser Bewegung sind einfluszligreich bis heute Literatur erkennen sie allenshyfalls wie Musik und bildende Kunst als Form buumlrgerlicher Kultur an die es zu uumlberwinden gilt wenn sie literarische Werke im Unterricht besprechen so nur weil sie sich der Verpflichtung des Lehrplans nicht entziehen koumlnnen aber sie tun es widerwillig und mit kaltem Herzen Es gibt eine sehr wirkungsvolle Koalition von technokratischen Bilshydungsreformern antibuumlrgerlicher Gesinnung dem modischen Trend in allen Geisteswissenschaften und einer kleinlauten Gefaumllligkeitsgershymanistik die sich wieder einmal reibungslos den Zeitlaumlufen anpaszligt aus dem verstoumlrten Verhaumlltnis zur eigenen Geschichte

Doch vergessen wir eines nicht die Kritik am literarischen Kanon die nach einigem Vorgeplaumlnkel massiy in den sechziger Jahren einsetzshyte hatte ihre unabweisbaren Gruumlnde Ein mehr oder weniger differenshyzierter aber insgesamt festumrissener Kanon literarischer Werke geshyhoumlrte schon zur Schulausbildung Im IV1ittelpunkt die klassische deutshysche Literatur zeitgenoumlssische Werke nur wenn sie auch klassischen oder wenigstens klassizistischen Maszligstaumlben zugaumlnglich waren also Carossa und Weinheber oder Binding und Bergengruen Vom Abiturishyenten erwartete man daszlig er Wallenstein und Faust Die Leiden des jungen Werthers und Aus dem Leben eines Taugenichts Die Glokshyke und Hyperions SchicksalsHed gelesen hatte mit der Frage nach Knigge oder Buumlrger Wienbarg oder Glaszligbrenner haumltte man freilich wenig Gluumlck gehabt Germanistische Seminare setzten gewisse kanoshynische Grundkenntnisse voraus in den Instituten konnten die Stu~nshyten umfangreiche Leselisten erwerben die helfen sollten ihre literarishysche Bildung in diesem Sinne zu vervollstaumlndigen So ausgeruumlstet kashymen sie als Referendare oder Lehrer an die Schule der Kreislauf war geschlossen aber er aumlhnelte vielfach einer Muumlhle die automatisch weiterklapperte ohne noch irgendwelche geistigen Energien freizusetshyzen Die Lesebuumlcher und Leselisten dienten vor allem einem erstarrten Bildungsverstaumlndnis sie faumllschten die Tradition und foumlrderten bloszlig affirmatives Denken Pedanterie passives Auswendiglernen Ablehshynung der Moderne waren meist die Folgen Ganze Epochen blieben

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verschlossen Aufklaumlrung war nur unvollkommene Vorbereitung der Klassik das Junge Deutschland bloszlig wesenlose Tagesliteratur Kafka Musil Broch zeugten vom schlimmen Verlust der Mitte Maszlig Klarshyheit Vollkommenheit hieszligen die aumlsthetischen Tugenden schon das meiste von Jean Paul von Tieck von E 1 A Hoffmann bestand nicht vor ihnen von Knigges und Klingers Romanen von der Knopp-Triloshygie den Meistern des Feuilletons der Literaturkritik der politischen Rede ganz zu schweigen Soviel steht fest die literarische Tradition war von ihren scholastischen Sachwaltern laumlngst ausgehoumlhlt und zum leeren Popanz geworden als sich ihre Schuumller einen Jux daraus machshyten ihn purzeln zu lassen Weg mit den alten Schwarten etwas Neues lesen etwas Erregendes was uns angeht worin Gegenwart und Zushykunft nicht von Staub und Dogmatismus erdruumlckt werden es steckte Neugier und Wissenslust in diesen Parolen eine produktive Unruhe die es nicht bei den verordneten Rezepten aushielt

Und wie reagierten die Universitaumlten die Schulen die literarischen Institutionen darauf Gab es eine gruumlndliche eine heftige eine poleshymische Diskussion einen Streit der Meinungen und Schulen einen Kampf um die Bewertung Goethes Kleists oder Stifters um das Geshywicht der Epochen der Aufklaumlrung oder der Romantik um die Stelshylung der Gegenwartsliteratur und die Funktion von Kitsch und Kolporshytage Nein das alles gab es von unbedeutenden Ausnahmen wie dem Zuumlricher Literaturstreit abgesehen nicht Statt dessen arrangierten sich die Bildungsinstitutionen ohne viel Aufhebens untereinander Um ja nicht den neuen Trend zu verpassen laumlutete man das Ende des Gutenbergzeitalters ein sprach von der Erweiterung des Literaturbeshygriffs die Lehrplaumlne der Hochschulen und Schulen wurden beherrscht von Trivialliteratur und Werbetexten Jerry Cotton und der Bildzeishytung Marx und Engels aus den Verlagsverzeichnissen verschwanden die literarischen Titel Schriftsteller houmlrten auf zu schreiben oder vershykuumlndeten untergangssuumlchtig den Tod der Literatur 0m folgenreichshysten die von den konkreten Werken abgewandte scholastische Methoshydendiskussion Sie taumluschte Interesse an der Literatur nur vor zitierte sie allenfalls zur Illustration historischer und sozialer Prozesse als Anschauungsmaterial eines theoretischen Diskurses der sich fortzeushygend selbst hervorbrachte und im Wortsinne unfruchtbar blieb Kein Zweifel was wir heute uumlberall an kleinen Veraumlnderungen beobachten koumlnnen in Vorlesungsverzeichnissen und Lektuumlreempfehluogen auf dem literarischen vlarkt und beim privaten Leseverhalten aber auch

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Anstatt einer Einleitung

Die Schriftsteller in diesem Buch sind keine Unbekannten einige von ihnen hat jeder gelesen und in den meisten Buumlcherschraumlnken steht zumindest Wilhelm Busch Dennoch sind sie hier unter jener Perspekshytive zusammengfaszligt die Lessing Rettung nannte Er verstand darshyunter allerdings nicht zuerst die Rettung vergessener oder bewuszligt vernachlaumlssigter Autoren die eine solche Behandlung nicht verdienshyten sondern eher so etwas wie Rehabilitiemng und angemessene Einshyschaumltzung von Person und literarischem Werk Ich selbst kann mir keine angenehmere Beschaumlftigung machen als die Namen beruumlhmter Maumlnner zu must~rn ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen unshyverdiente Flecken ihnen abzuwischen die falschen Verkleistemngen ihrer Schwaumlchen aufzuloumlsen kurz alles das im moralischen Verstande zu tun was derjenige dem die Aufsicht uumlber einen Bildersaal anvershytrauet ist physisch verrichtet JI Mit solchen Uumlberlegungen eroumlffnete Lessing seine Rettungen des Horaz eines Schriftstellers dessen liteshyrarische Bedeutung auch im 18 Jahrhundert durchaus feststand

Etwas anders sieht es hier aus die Namen in diesem Band haben gewiszlig eines gemeinsam daszlig nicht nur das mit ihnen verknuumlpfte Chashyrakterbild in der Geschichte s~hwankt oder undeutlich gewoden isC-shysondern a~~h-die-~stheti~h~-Ein~~h~~ng-lhres Werkesk-eine Kontishy

nuitaumlt erfahren hat nur darin war man sich immer einig sie gehoumlren nicht zu den kanonischen Autoren deutscher Sprache Doch welchen Smn kann es haben sich Schriftstellern zuzuwenden die ihr Publikum verloren haben oder nur noch zum raschen unbekuumlmmerten Verzehr tauglich scheinen wenn die kulturelle Gemeinsamkeit in Frage steht in die sie erneut einbezogen werden sollen Und es ist wahr von Ketzern kann man nur reden wenn die Orthodoxie geklaumlrt ist aber gibt es uumlberhaupt noch einen Kanon deutschsprachiger Literatur und gehoumlrt es nicht gerade zu den Errungenschaften eines demokratischen Bildungsverstaumlndnisses Kanonisiemngen in allen Lebensbereichen aufzuloumlsen und zu verhindern

So jedenfalls lautet ein populaumlrer Einwand und auch die abschaumltzig gemeinte Bezeichnung Elitebildung liegt dann ganz nahe Natuumlrlich

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kursieren noch andere Argumente in diesem Streit und sie sollen hier wenigstens erwaumlhnt werden Fast alle laufen zuletzt auf einen radikashylen Strukturwandel hinaus auf die Denunziation tradierter Kultur und deren Ersatz durch neue Formen kultureller Aktivitaumlt Sozialverhalshyten Solidaritaumlt unreglementierte Geselligkeit in neuen Kommunikashytionszentren Alltagsaumlsthetik lauten die Stichworte die Vorreiter dieshyser Bewegung sind einfluszligreich bis heute Literatur erkennen sie allenshyfalls wie Musik und bildende Kunst als Form buumlrgerlicher Kultur an die es zu uumlberwinden gilt wenn sie literarische Werke im Unterricht besprechen so nur weil sie sich der Verpflichtung des Lehrplans nicht entziehen koumlnnen aber sie tun es widerwillig und mit kaltem Herzen Es gibt eine sehr wirkungsvolle Koalition von technokratischen Bilshydungsreformern antibuumlrgerlicher Gesinnung dem modischen Trend in allen Geisteswissenschaften und einer kleinlauten Gefaumllligkeitsgershymanistik die sich wieder einmal reibungslos den Zeitlaumlufen anpaszligt aus dem verstoumlrten Verhaumlltnis zur eigenen Geschichte

Doch vergessen wir eines nicht die Kritik am literarischen Kanon die nach einigem Vorgeplaumlnkel massiy in den sechziger Jahren einsetzshyte hatte ihre unabweisbaren Gruumlnde Ein mehr oder weniger differenshyzierter aber insgesamt festumrissener Kanon literarischer Werke geshyhoumlrte schon zur Schulausbildung Im IV1ittelpunkt die klassische deutshysche Literatur zeitgenoumlssische Werke nur wenn sie auch klassischen oder wenigstens klassizistischen Maszligstaumlben zugaumlnglich waren also Carossa und Weinheber oder Binding und Bergengruen Vom Abiturishyenten erwartete man daszlig er Wallenstein und Faust Die Leiden des jungen Werthers und Aus dem Leben eines Taugenichts Die Glokshyke und Hyperions SchicksalsHed gelesen hatte mit der Frage nach Knigge oder Buumlrger Wienbarg oder Glaszligbrenner haumltte man freilich wenig Gluumlck gehabt Germanistische Seminare setzten gewisse kanoshynische Grundkenntnisse voraus in den Instituten konnten die Stu~nshyten umfangreiche Leselisten erwerben die helfen sollten ihre literarishysche Bildung in diesem Sinne zu vervollstaumlndigen So ausgeruumlstet kashymen sie als Referendare oder Lehrer an die Schule der Kreislauf war geschlossen aber er aumlhnelte vielfach einer Muumlhle die automatisch weiterklapperte ohne noch irgendwelche geistigen Energien freizusetshyzen Die Lesebuumlcher und Leselisten dienten vor allem einem erstarrten Bildungsverstaumlndnis sie faumllschten die Tradition und foumlrderten bloszlig affirmatives Denken Pedanterie passives Auswendiglernen Ablehshynung der Moderne waren meist die Folgen Ganze Epochen blieben

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verschlossen Aufklaumlrung war nur unvollkommene Vorbereitung der Klassik das Junge Deutschland bloszlig wesenlose Tagesliteratur Kafka Musil Broch zeugten vom schlimmen Verlust der Mitte Maszlig Klarshyheit Vollkommenheit hieszligen die aumlsthetischen Tugenden schon das meiste von Jean Paul von Tieck von E 1 A Hoffmann bestand nicht vor ihnen von Knigges und Klingers Romanen von der Knopp-Triloshygie den Meistern des Feuilletons der Literaturkritik der politischen Rede ganz zu schweigen Soviel steht fest die literarische Tradition war von ihren scholastischen Sachwaltern laumlngst ausgehoumlhlt und zum leeren Popanz geworden als sich ihre Schuumller einen Jux daraus machshyten ihn purzeln zu lassen Weg mit den alten Schwarten etwas Neues lesen etwas Erregendes was uns angeht worin Gegenwart und Zushykunft nicht von Staub und Dogmatismus erdruumlckt werden es steckte Neugier und Wissenslust in diesen Parolen eine produktive Unruhe die es nicht bei den verordneten Rezepten aushielt

Und wie reagierten die Universitaumlten die Schulen die literarischen Institutionen darauf Gab es eine gruumlndliche eine heftige eine poleshymische Diskussion einen Streit der Meinungen und Schulen einen Kampf um die Bewertung Goethes Kleists oder Stifters um das Geshywicht der Epochen der Aufklaumlrung oder der Romantik um die Stelshylung der Gegenwartsliteratur und die Funktion von Kitsch und Kolporshytage Nein das alles gab es von unbedeutenden Ausnahmen wie dem Zuumlricher Literaturstreit abgesehen nicht Statt dessen arrangierten sich die Bildungsinstitutionen ohne viel Aufhebens untereinander Um ja nicht den neuen Trend zu verpassen laumlutete man das Ende des Gutenbergzeitalters ein sprach von der Erweiterung des Literaturbeshygriffs die Lehrplaumlne der Hochschulen und Schulen wurden beherrscht von Trivialliteratur und Werbetexten Jerry Cotton und der Bildzeishytung Marx und Engels aus den Verlagsverzeichnissen verschwanden die literarischen Titel Schriftsteller houmlrten auf zu schreiben oder vershykuumlndeten untergangssuumlchtig den Tod der Literatur 0m folgenreichshysten die von den konkreten Werken abgewandte scholastische Methoshydendiskussion Sie taumluschte Interesse an der Literatur nur vor zitierte sie allenfalls zur Illustration historischer und sozialer Prozesse als Anschauungsmaterial eines theoretischen Diskurses der sich fortzeushygend selbst hervorbrachte und im Wortsinne unfruchtbar blieb Kein Zweifel was wir heute uumlberall an kleinen Veraumlnderungen beobachten koumlnnen in Vorlesungsverzeichnissen und Lektuumlreempfehluogen auf dem literarischen vlarkt und beim privaten Leseverhalten aber auch

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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kursieren noch andere Argumente in diesem Streit und sie sollen hier wenigstens erwaumlhnt werden Fast alle laufen zuletzt auf einen radikashylen Strukturwandel hinaus auf die Denunziation tradierter Kultur und deren Ersatz durch neue Formen kultureller Aktivitaumlt Sozialverhalshyten Solidaritaumlt unreglementierte Geselligkeit in neuen Kommunikashytionszentren Alltagsaumlsthetik lauten die Stichworte die Vorreiter dieshyser Bewegung sind einfluszligreich bis heute Literatur erkennen sie allenshyfalls wie Musik und bildende Kunst als Form buumlrgerlicher Kultur an die es zu uumlberwinden gilt wenn sie literarische Werke im Unterricht besprechen so nur weil sie sich der Verpflichtung des Lehrplans nicht entziehen koumlnnen aber sie tun es widerwillig und mit kaltem Herzen Es gibt eine sehr wirkungsvolle Koalition von technokratischen Bilshydungsreformern antibuumlrgerlicher Gesinnung dem modischen Trend in allen Geisteswissenschaften und einer kleinlauten Gefaumllligkeitsgershymanistik die sich wieder einmal reibungslos den Zeitlaumlufen anpaszligt aus dem verstoumlrten Verhaumlltnis zur eigenen Geschichte

Doch vergessen wir eines nicht die Kritik am literarischen Kanon die nach einigem Vorgeplaumlnkel massiy in den sechziger Jahren einsetzshyte hatte ihre unabweisbaren Gruumlnde Ein mehr oder weniger differenshyzierter aber insgesamt festumrissener Kanon literarischer Werke geshyhoumlrte schon zur Schulausbildung Im IV1ittelpunkt die klassische deutshysche Literatur zeitgenoumlssische Werke nur wenn sie auch klassischen oder wenigstens klassizistischen Maszligstaumlben zugaumlnglich waren also Carossa und Weinheber oder Binding und Bergengruen Vom Abiturishyenten erwartete man daszlig er Wallenstein und Faust Die Leiden des jungen Werthers und Aus dem Leben eines Taugenichts Die Glokshyke und Hyperions SchicksalsHed gelesen hatte mit der Frage nach Knigge oder Buumlrger Wienbarg oder Glaszligbrenner haumltte man freilich wenig Gluumlck gehabt Germanistische Seminare setzten gewisse kanoshynische Grundkenntnisse voraus in den Instituten konnten die Stu~nshyten umfangreiche Leselisten erwerben die helfen sollten ihre literarishysche Bildung in diesem Sinne zu vervollstaumlndigen So ausgeruumlstet kashymen sie als Referendare oder Lehrer an die Schule der Kreislauf war geschlossen aber er aumlhnelte vielfach einer Muumlhle die automatisch weiterklapperte ohne noch irgendwelche geistigen Energien freizusetshyzen Die Lesebuumlcher und Leselisten dienten vor allem einem erstarrten Bildungsverstaumlndnis sie faumllschten die Tradition und foumlrderten bloszlig affirmatives Denken Pedanterie passives Auswendiglernen Ablehshynung der Moderne waren meist die Folgen Ganze Epochen blieben

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verschlossen Aufklaumlrung war nur unvollkommene Vorbereitung der Klassik das Junge Deutschland bloszlig wesenlose Tagesliteratur Kafka Musil Broch zeugten vom schlimmen Verlust der Mitte Maszlig Klarshyheit Vollkommenheit hieszligen die aumlsthetischen Tugenden schon das meiste von Jean Paul von Tieck von E 1 A Hoffmann bestand nicht vor ihnen von Knigges und Klingers Romanen von der Knopp-Triloshygie den Meistern des Feuilletons der Literaturkritik der politischen Rede ganz zu schweigen Soviel steht fest die literarische Tradition war von ihren scholastischen Sachwaltern laumlngst ausgehoumlhlt und zum leeren Popanz geworden als sich ihre Schuumller einen Jux daraus machshyten ihn purzeln zu lassen Weg mit den alten Schwarten etwas Neues lesen etwas Erregendes was uns angeht worin Gegenwart und Zushykunft nicht von Staub und Dogmatismus erdruumlckt werden es steckte Neugier und Wissenslust in diesen Parolen eine produktive Unruhe die es nicht bei den verordneten Rezepten aushielt

Und wie reagierten die Universitaumlten die Schulen die literarischen Institutionen darauf Gab es eine gruumlndliche eine heftige eine poleshymische Diskussion einen Streit der Meinungen und Schulen einen Kampf um die Bewertung Goethes Kleists oder Stifters um das Geshywicht der Epochen der Aufklaumlrung oder der Romantik um die Stelshylung der Gegenwartsliteratur und die Funktion von Kitsch und Kolporshytage Nein das alles gab es von unbedeutenden Ausnahmen wie dem Zuumlricher Literaturstreit abgesehen nicht Statt dessen arrangierten sich die Bildungsinstitutionen ohne viel Aufhebens untereinander Um ja nicht den neuen Trend zu verpassen laumlutete man das Ende des Gutenbergzeitalters ein sprach von der Erweiterung des Literaturbeshygriffs die Lehrplaumlne der Hochschulen und Schulen wurden beherrscht von Trivialliteratur und Werbetexten Jerry Cotton und der Bildzeishytung Marx und Engels aus den Verlagsverzeichnissen verschwanden die literarischen Titel Schriftsteller houmlrten auf zu schreiben oder vershykuumlndeten untergangssuumlchtig den Tod der Literatur 0m folgenreichshysten die von den konkreten Werken abgewandte scholastische Methoshydendiskussion Sie taumluschte Interesse an der Literatur nur vor zitierte sie allenfalls zur Illustration historischer und sozialer Prozesse als Anschauungsmaterial eines theoretischen Diskurses der sich fortzeushygend selbst hervorbrachte und im Wortsinne unfruchtbar blieb Kein Zweifel was wir heute uumlberall an kleinen Veraumlnderungen beobachten koumlnnen in Vorlesungsverzeichnissen und Lektuumlreempfehluogen auf dem literarischen vlarkt und beim privaten Leseverhalten aber auch

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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verschlossen Aufklaumlrung war nur unvollkommene Vorbereitung der Klassik das Junge Deutschland bloszlig wesenlose Tagesliteratur Kafka Musil Broch zeugten vom schlimmen Verlust der Mitte Maszlig Klarshyheit Vollkommenheit hieszligen die aumlsthetischen Tugenden schon das meiste von Jean Paul von Tieck von E 1 A Hoffmann bestand nicht vor ihnen von Knigges und Klingers Romanen von der Knopp-Triloshygie den Meistern des Feuilletons der Literaturkritik der politischen Rede ganz zu schweigen Soviel steht fest die literarische Tradition war von ihren scholastischen Sachwaltern laumlngst ausgehoumlhlt und zum leeren Popanz geworden als sich ihre Schuumller einen Jux daraus machshyten ihn purzeln zu lassen Weg mit den alten Schwarten etwas Neues lesen etwas Erregendes was uns angeht worin Gegenwart und Zushykunft nicht von Staub und Dogmatismus erdruumlckt werden es steckte Neugier und Wissenslust in diesen Parolen eine produktive Unruhe die es nicht bei den verordneten Rezepten aushielt

Und wie reagierten die Universitaumlten die Schulen die literarischen Institutionen darauf Gab es eine gruumlndliche eine heftige eine poleshymische Diskussion einen Streit der Meinungen und Schulen einen Kampf um die Bewertung Goethes Kleists oder Stifters um das Geshywicht der Epochen der Aufklaumlrung oder der Romantik um die Stelshylung der Gegenwartsliteratur und die Funktion von Kitsch und Kolporshytage Nein das alles gab es von unbedeutenden Ausnahmen wie dem Zuumlricher Literaturstreit abgesehen nicht Statt dessen arrangierten sich die Bildungsinstitutionen ohne viel Aufhebens untereinander Um ja nicht den neuen Trend zu verpassen laumlutete man das Ende des Gutenbergzeitalters ein sprach von der Erweiterung des Literaturbeshygriffs die Lehrplaumlne der Hochschulen und Schulen wurden beherrscht von Trivialliteratur und Werbetexten Jerry Cotton und der Bildzeishytung Marx und Engels aus den Verlagsverzeichnissen verschwanden die literarischen Titel Schriftsteller houmlrten auf zu schreiben oder vershykuumlndeten untergangssuumlchtig den Tod der Literatur 0m folgenreichshysten die von den konkreten Werken abgewandte scholastische Methoshydendiskussion Sie taumluschte Interesse an der Literatur nur vor zitierte sie allenfalls zur Illustration historischer und sozialer Prozesse als Anschauungsmaterial eines theoretischen Diskurses der sich fortzeushygend selbst hervorbrachte und im Wortsinne unfruchtbar blieb Kein Zweifel was wir heute uumlberall an kleinen Veraumlnderungen beobachten koumlnnen in Vorlesungsverzeichnissen und Lektuumlreempfehluogen auf dem literarischen vlarkt und beim privaten Leseverhalten aber auch

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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bei den Bemuumlhungen dem Deutschunterricht wieder einen angemesshysenen Platz im Faumlcherkanon und der Literatur als Lehrgegenstand ein neues Gewicht zu geben all das sind oft erst schuumlchterne Versuche einen unhaltbar gewordenen Zustand zu uumlberwinden Doch huumlte man sich vor der falschen Alternative die 50 nahe liegt und hier und da wie zu houmlren bereits munter praktiziert wird Die Ruumlckkehr zum alten Kanon seiner Aumlsthetik seinem Bildungsverstaumlndnis kann nicht die Antwort auf jene houmlhere Form von Analphabetismus sein zu der vorher erzogen wurde Auch die obsolete Existenz-und-Wesen-Gershymanistik wird nicht dadurch ploumltzlich lebendig daszlig sie wieder einzelne Seminarveranstaltungen fuumlllt Die alten Schlaumluche verderben nur abermals den Wein entstellen die Literatur und bringen uns ein weiteshyres Mal um ihre wichtigsten Qualitaumlten die AufsaumlssIgkeit die utopishysche Tendenz die aumlsthetische Lust Wir brauchen einen neuen literarishyschen Kanon aus vielen Gruumlnden darunter auch den jene falsche Alternative zu verhindern mindestens zu erschweren also auch zur Zucht der Germanistik damit nicht n9chmals Leib und Glieder vom Kopfe her faulen

Der wichtigste Grund ist das freilich nicht Ein literarischer Kanon wurde gesagt ist nicht nur Spiegel eines Bildungsverstaumlndnisses sonshydern schafft es auch er ist ein wichtiger ideologiebildender Faktor woran die Germanistik nur ungern erinnert wird Eben darin besteht seine produktive Wirksamkeit So erwartete Gervinus im 19 Jahrhunshydert von der Vollendung der Literatur die politische vViedergeburt des humanistischen Deutschland und sah seine Aufgabe darin aus dem allbekannten herauszugreifen und durch Anordnung und Verbinshydung zu wirken Genauer kann man Entstehung Begruumlndung und Funktionsweise eines literarischen Kanons nicht beschreiben Und ist nicht immer noch die kulturelle Identitaumlt der Deutschen das einzige Unterpfand ihrer nationalen Koumlnnte sollte dieser Kanon nicht auch im Gegenzug vor jeder Borniertheit und Erstarrung schuumltzen indtm er die subversiven Traditionen ebenso beruumlcksichtigt wie jene Werke die nach Ernst Juumlngers fruchtbarer Unterscheidung uumlber Geschmacksshyfragen hinaus sind aber auf ihre vVeise unvergleichlich weil sie einen Einblick geben in das Gefuumlge der Welt mit Paradiesen und Houmlllen mit Gipfeln und Abgruumlnden Denn eben der literarische Kanon muszlig lebendiges Gedaumlchtnis sein das nicht nur Daten und Kenntnisse sonshydern auch die Kontinuitaumlt der geschichtlichen Erfahrungen der Gefuumlhshyle der Willensaumluszligerungen der sinnlichen Empfindungen verbuumlrgt

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Daraus folgt die beinah paradox wirkende Forderung nach einem offeshynen Kanon offen nach vorne zur Entwicklung unserer Literatur aber auch zuruumlck in die Geschichte offen also fuumlr Revisionen im Lichte neuer Erfahrungen fuumlr Erweiterungen Aumlnderungen auch Tilgungen Kein literarischer Katechismus aber auch keine zufaumlllige Loseblattshysammlung die sich jeder nach eigenem Geschmack und eigener Beshyschraumlnktheit zusammensucht Seine Tendenz muszlig klar erkennbar sein nicht verstohlen hinter einer vorgeblichen Pluralitaumlt versteckt denn er ist ideologiebildend und soll es sein darin besteht seine grundshylegende Legitimation Er bildet nicht bloszlig ab ein Faumlhnchen im Zeitenshywinde sondern wirkt weiterbildend im Rahmen einer Geschichte die von den Anfaumlngen des griechischen Dramas bis in die Zukunft eines freien unentfremdeten Lebens reicht

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Von der unheilbaren Liebe als Stimulans der Poesie

Der Dichter Gottfried August Buumlrger

1 Amtmann und Dichter

Seine Beruumlhmtheit erreichte Herr A W Schlegel eigentlich nur durch die unerhoumlrte Keckheit womit er die vorhandenen literarischen Autoritaumlten angriff Nachdem wir von jenem Erstaunen worin jede Vermessenheit uns versetzt zuruumlckgekommen erkennen wir ganz

und gar die innere Leerheit der sogenannten Schlegelschen Kritik Zum Beispiel wenn er den Dichter Buumlrger herabsetzen will so vershygleicht er dessen Balladen mit den altenglischen Balladen welche Percy gesammelt Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben Die altenglischen Gedichte geben den Geist ihrer Zeit und Buumlrgers Gedichte geben den Geist der unsrigen Diesen Geist begriff Herr Schlegel nicht Sonst wuumlrde er in dem Ungestuumlm womit dieser Geist zuweilen aus den Buumlrgerschen Gedichten hervorbricht keineswegs den rohen Schrei des ungebildeten iv1agisters gehoumlrt haben sondern vielmehr die gewaltigen Schmerzlaute eines Titanen welchen eine

~istokratie von hannoumlvrischen Junkern und Schulpednten zu 1~de ~uaumlltenfDieses war naumlmlich die Lage des Vassers der Lenore und

die Lagcso mancher anderen genialen Menschen die als arme Dozenshyten in Goumlttingen darbten verkuumlmmerten und im Elend starben Der Name Buumlrger ist im Deutschen gleichbedeutend mit dem Worte

bullItoven I (Y tf

Wie out haumltten diese bestimmten Worte getan waumlren sie noch zu seinen Le~e~_eiten gefallen EirlVerwandter vonceist Und-Herzen--~

ne sie f~st vie~Jhrzehr1te nach Buumlrgers einsamem erbaumlrmlichen Tod Heinrich Heine anlaumlszliglich der Musterung der Romantischen Schule Ja Buumlrger war ein Volksmann mit aufruumlhrerischem Geist einen Demagogen gar nannten ihn seine Feinde weil er die menschlishyche Emanzipation weil er Freiheit Gleichheit Bruumlderlichkeit auf seine poetische Fahne geschrieben hatte Grund genug daszlig ihn Heine mit

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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dem Ehrentitel der Franzoumlsischen Revolution citoyen ehrte aber auch Grund genug daszlig er verdaumlchtig blieb daszlig seine Kritiker uumlber seine Popularitaumlt gesiegt haben und daszlig schlieszliglich nur noch der Geshymeinplatz des in sich selbst zerrissenen unvollendeten Poeten in den Literaturgeschichten uumlberlebte Es ist traurig anzusehen wie ein aushyszligerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst seinen Umstaumlnden seiner Zeit herumwuumlrgt ohne auf einen gruumlnen Zweig zu kommen Trauriges Beispiel BuumlrgerC)so urteilte auch Goethe und Gemeinshyplaumltze dieser Art sind meist nicht allein aus der Luumlft gegriffen zudem konnte man sich diesmal sogar auf Buumlrger selber berufen Was zufoumlrshyderst meinen Geist und mein Herz betrifft so moumlgen Sie zwar wohl glauben Beides aus meinen oumlffentlichen Werken so hinlaumlnglich zu kennen um sich in Ansehung dieser Stuumlcke volle Genuumlge fuumlr Ihre Wuumlnsche versprechen zu duumlrfen Allein daraus duumlrfen Sie auf vollshykommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluszlig mashychen Es waumlre sonst eben so viel als ob Sie von einigen schoumlnen Bluumlthen auf gesunde und unverdorbene Schoumlnheit und Vollkommenshyheit des Baumes welcher sie trug schlieszligen wollten Auch ein wurmshystichiger mehr als halb verrotteter Stamm mag wenn er sonst nur urspruumlnglich guter Art ist noch immer deren einige hervorbringen Mein Charakter und meine Gesinnungen moumlchten zwar vielleicht noch etwas mehr werth seyn als meine Geistes-Talente Dennoch fuumlhle ich daszlig ich mit jenen noch weit unzufriedener seyn muszlig als mit diesen Denn (ich) fuumlhle gar wohl die Moumlglichkeit diese Vollshykommenheit zu erreichen wenn ich nur nicht von Traumlgheit Weichshylichkeit Leichtsinn und Sinnenlust mich so oft abhalten lieszlige QiDas sind deutliche Worte Buumlrger war 43 Jahre alt als er sie schrieb und er schrieb sie als Beichte die das ungluumlcklichste Verhaumlltnis seines muumlhseshyligen Lebens einleiten sollte~rei1ich kommt auch hier alles auf den Maszligstab an Nimmt man die natuumlrlich imaginaumlre Richtschnur dessen -was erhaumlrte leIsten konnen wenn seme Lebensverhaumlltnisse andere gewesen sein Charakter anders sein Talent bestaumlndiger gewesen waumlshy----------------~--------------------------~----------ren so mag man recht haben aber es 1st dann eIgentlICh ein ganz neuer Mensch den man sich -vuumlnschte~Halten wir uns an die Tatsashyehen halten wir uns an das was er seinem Unstern abgetrotzt ja --

abgepreszligt hat halten wir uns an sein unzuverlaumlssiges Genie welches Schmerz Elend und seelische Torturen aller Art als Stimulanzien der Schoumlpfungskraft benoumltigte

Buumlrger stammt wie so viele seiner Kollegen im 18 und fruumlhen

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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19 Jahrhundert aus einem protestantischen Pfarrhause In Molmersshywende in der Harzer Grafschaft Falkenstein wurde er in der Silvestershynacht des Jahres 1747 geborenlDie haumluslichen Verhaumlltnisse waren sehr beengt Geld fehlt~ immer dafuumlr gab es reichlich Streit und dramatische Ehezerwuumlrfnisse Der Vater ein redlicher aber spieszligig beschraumlnkter Dorfpfarrer dem middotnichts uumlber die gefuumlllte Pfeife ging die Mutter eine impulsive leidenschaftliche charaktervolle Frau aber ungebildet mit einer vitalen Freude an allem Vulgaumlren Derb-Volkstuumlmlichen tEin Lieblingsschlagwort der polternden Predigers frau ist uns aufbeshy

wahrt die Houmllle sei mit Pfaffenkoumlpfen gepflastert nur eine Stelle sei noch leer und da werde der Kopf ihres Mannes hinkommen euroZuumlndshystoff genug gab es in dieser Ehe Streit und Miszlighelligkeiten waren an der Tagesordnung die Erziehung Gottfried August Buumlrgers kam darshyuumlber natuumlrlich zu kurz und beschraumlnkte sich im wesentlichen auf das Lernen von Lesen und Schreiben Bibel und Gesangbuch wurden seine bevorzugte Lektuumlre ganze Kapitel aus der Offenbarung Johannis Ein feste Burg ist unser Gottil oder 0 Ewigkeit du Donnerwort11 wuszligte er auswendig alles in allem keine schlechte Schule fuumlrs spaumltere Dichterleshyben Er besuchte dann auch das Paumldagogium in Aschersleben spaumlter in Halle Faulheit und Uumlbermut Konzentrationsmangel und allerlei poetishysches Allotria warenJiie Punkte uumlber die seine Lehrer lamentierten Christian Heinrich Boumlie der spiritus rector des Goumlttinger Hainbundes Freund und Foumlrderer Buumlrgers hat spaumlter in einem langen freundlichen und doch klarsichtigenBrief den ~~~g_seinesXreundes beschrie- ben Er hat in Halle Theologie studirt unter Meuseln einmal disputirt und mehr durch Genie als durch fleiszlig so viel gelernt daszlig er sicher sein Gluumlck gemacht haben wuumlrde wenn nicht sein freyes lustiges Leben die Herren Theologen verhindert haumltte ihm gute Zeugnisse zu geben Das war das Ungluumlck meines Freundes Ohne alle Erziehung ohne Geschmack wurde er auf das Paumldagogium zu Halle geschickt Er lernte etwas und vertauschte die Schule mit der Universitaumlt Hier fuhr er fort wechselweise zu schwaumlrmen und zu studiren Er sah selbst ein daszlig es mit der Theologie nicht gehen wuumlrde und beredete seinen Grosvater von dem er abhaumlngt ihn nach Goumlttingen zu schicken um die Rechte zu studiren Das that er auch mit einem Eifer der ihn in einigen Jahren geschickt darin machte fand aber noch immer Zeit die schoumlnen Wissenschaften gruumlndlicher zu studiren als man sie gemeiniglich zu studiren pflegt 15 Aus dieser Zeit stammt das erste Gedicht Buumlrgers das uns uumlberliefert ist

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Fuumlllt Becher und Glas ivEt reichlichem Maszlig Trinkt Bruumlder Fuumlllt wieder und leeret das Faszlig

Mit Myrten umlaubt Und Rosen das Haupt Weil Kraumlnze Dem Lenze Kein Winter noch raubt

Die Jugend verfliegt Die Freude versiegt Drum kommet Es frommet Und trinkt euch vergnuumlgte

Elf Strophen lang ist das gesamte Trinklied und wenn es auch ganz nach dem Muster der anakreontischen Trinkpoesie gefertigt wurde war es gewiszlig nicht ohne autobiographische Bedeutung Buumlrger war bekannt als Hans Liederjahn ein Bruder Lustig wie ihn der Spieszliger verabscheut So populaumlr er unter Studenten und ihren Marketenderinshynen im Staumldtchen so verrufen war er in allen ehrbaren Kreisen und das waren schon immer diejenigen die uumlber Posten und Bestallungen zu entscheiden hatten Kein vVunder daszlig es lange dauerte bis Buumlrger schlieszliglich eine Stelle bekam die ihren Mann ernaumlhrte und ohne die tatkraumlftige Hilfe seiner Freunde Boies vor allem haumltte er auch sie nicht erhalten Ich bin Amtmann uumlber ein ganz artiges Gericht das Gericht AltenGleichen geworden Eine Familie von Gerichtsherrn die aus 7 Stimmen und Theilhabern an dem Gericht besteht wovon jeder sein eigenes Interesse hat welchen insgesammt es der hiesige Beamte nie recht machen kann wo also der Fehde und des Cujonirens von einer oder der andern Seite nie ein Ende wird - Verwilderte Unterthanen etc etc etc Das ist mein Looszlig geliebter Freuumlnd das ist mein Looszlig Ich weiszlig nicht ob ich es lange ertragen kann tl7)Buumlrgers Klagebriefe an die Freunde an Christian Heinrich Boie vor allen an die Grafen Stolberg an Gleim und Cramer Miller und Goeckingk vermitteln ein sehr deutliches Bild von der 1isere eines deutschen Schriftstellers im 18 Jahrhundert Dabei muszligte er noch froh sein uumlber

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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dieses Gerichtsamt (habe nun verhoumlren und protocolliren muumlssen daszlig ich schwarz werden moumlchte Hohle der Teuumlfel alle solche Arbeit(8)

Immerhin war es keine von den ganz subalternen Stellen mit denen sich manche seiner Freunde zufrieden geben muszligten Der Sohn eines fruumlh verstorbenen Pfarrers mittellos und ohne hochgestellte Goumlnner voller Schulden aus einem liederlich-leichtsinnigen Studentenleben konnte nicht mehr envarten und ein freies Schriftstellerdasein - Lesshysings Beispiel lehrte es - war unter den zuruumlckgebliebenen deutschen Verhaumlltnissen noch nicht moumlglich So lebte er mit einem leidlichen Auskommen aber entfernt von seinen Freunden in ~iefer Provinz in der Naumlhe Goumlttingens weit auszligerhalb der wenigen kulturellenZ~tren Deutschlands ganz auf sich gestellt vonBes~chen abhaumlngigdde~ Vvenig~~-EHichern die ihm gelegentlich seine Freunde vom Hainbund

oder die Autoren selbst zuschickten Die karg bemessene gerichtsfreie Zeit reichte kaum aus die vielen dichterischen Plaumlne die er hatte wenigstens teilweise zu verwirklichen Ieh habe alle meine Poeterey vergessen Es will mir nichts mehr klingen und klappen und arm an Gedanken bin ich auch (9 vVie in einem dumpfen Grabe illO fuumlhlte er

sich in seinen Amtsgeschaumlften eingeschlossen Vollends unertraumlglich aber sollte die Situation fuumlr ihn werden als die frau des Hofrats Liste seines Hausherrn dessen Mittagsgast er auch war in Nfelancholie und Depressionen verfiel und ihm den Aufenthalt zu einem wie er klagte fatalen Iauscreuzlll machte Ich moumlchte toll werden daszlig ich durch Tollheit abgehalten werde an meinem Werk zu arbeiten 11 schreibt

er an Boie und man spuumlrt jetzt schon groszliges Selbstbewuszligtsein wenn er von meinem Werk spricht Es ist auch jenes Gedicht damit geshymeint das ihn mit einern Male in ganz DeurschlanfFeruumlhmt machte als es 177L(imGoumlttinger Musenalm~n~ch publiziert wurde die Lenoshyre der Neubeginn und~gIi~h erste Houmlhepunkt der deutschen B~lra dendichtung ein Werk von 32 Strophen das nach seines Autors Zier in seinem Genre nichts weniger werden sollte als Goethes Goumltz fuumlr das deutsche Drama Das klang uumlberspannt und sollte doch Wirklichkeit

werden LI1r(_er2~erte nich tD1JL das gebildete Lesepublikum50nshydem allch die-unteren Schichten des Volkes und geisterte bald in halb~uumlndlicher Uumlberlieferung und man~h -kurioser Variation durch

die Gesindestuben des Landes - durchaus zum Stolze Buumlrgers Nun fange ich nach und nach an fuumlr Lenores Schicksal ruhig zu werden Denn Griechen und Ungriechen [also Gebildete und Ungebildete] beshywundern sie Sie schweift itzt schon auf dem Eichsfelde bey dem eichsshy

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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feld ischen Adel umher Ich recitirte sie vorige Woche in Sennickerode und hatte das Vergnuumlgen daszlig jede Stelle die ich bewundert haben wollte schon beym hersagen mit Verzuckung und applaudirenden Ausruf bemerkt wurde Naumlchstens will ich nun auch die Probe bey unsrer (Haus magd) Christine machen (1f Sie wird zu seiner Zufrieshydenheit ausgefallen sein die Ballade wurde zum poetischen Gassenshyhauer der Zeit lange sind die Verse im Ohr der Leser geblieben

Lenore fuhr ums Morgenrot Empor aus schweren Traumlumen Bist untreu Wilhelm oder tot ltVie lange wirst du saumlumen shyEr war mit Koumlnig Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht Und hatte nicht geschrie~en Ob er gesund geblieben 14

2 Mit zwei Schwestern verheiratet

Der Erfolg machte Buumlrger trunken er spruumlhte vor Uumlbermut sein Selbst bewuszligtsein wuchs uumlbergroszlig und dann gab es auch noch in seishynem Privatleben ploumltzlich Anlaszlig zu Hochstimmungen aller Art Jede Gelegenheit benutzte erl wenn die Gerichtsstube in Gelliehausen seine Gegenwart nicht unbedingt erforderte zu einem Aufenthalt in Nieshydeck Hier nun beginnen die privaten Irrungen und Wirrungen die Gottfried August Buumlrger zwar zu einem der bedeutendsten Liebeslyrishyker - er selber haumltte vorgezogen zu sagen Minnesaumlnger - der neueren deutschen Literatur gemacht haben sein Dasein aber auch zu einem fast beispiellosen Wechselbad aus Gluumlck und Jammer Freude und QuaL Dabei schien sich zunaumlchst alles zum Guten zu schicken Im Hause des befreundeten Justizamtmannes Leonhart zu Niedeck lernte Buumlrger eine fuumlr ihn ungewoumlhnliche Heiterkeit und Zufriedenheit kenshynen berufliche Widrigkeiten gerieten in Vergessenheit selbst seine dichterischen Ambitionen traten zeitweise zuruumlck

Minnesold laumlszligt Amt und Ehren Goldnen Sporn und Ritterschlag Laumlszliget ohne Neid entbehren

Was der Kaiser geben mag

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Ehre lacht nicht halb so hold Als der Minne Freuumldensold 115

Die Verse geben Buumlrgers Stimmung in diesen Monaten um den Jahshyreswechsel1773 auf 1774 trefflich wieder Sein Bericht an Boie uumlber seine neuen gluumlcklichen Lebensverhaumlltnisse ist ganz im Ton einer laushynigen Idylle gehalten nach der er sich zeit seines Lebens gesehnt hat ohne daszlig er freilich je ihre Verwirklichung ertragen haumltte I Weil ich in dem Bedlam zu Gelhehausen weder Ruhe noch Rast habe so hab ich mir hier ein Huumlttchen aufgebauet und ich bin nur an Gerichts- und Geschaumlfftstagen dort gegenwaumlrtig Wiszligt Ihrs schon Freuumlnd daszlig ich mich hier verplempert habe Sehn Sie mein liebster Boie endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum heuumlrathen verlieb~n muumlssen - Ach da kommt sie her die minniglishyche die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern so wie sie da ist uumlber alles in der ganzen w~iten Welt liebt Mag sie doch andern nichts seyn mir ist alles ili6J Dorette ist 18 Jahre alt als Buumlrger sie

im September 1774 heiratet Eigentlich heiszligt sie Dorothea Marianne und ist die zweitaumllteste Tochter seines Niedecker Freundes Leonhart Ein eher stilles und unscheinbares Maumldchen aber belesen und gebilshydet

In einer spaumlteren Lebensbeichte gerichtet an seine nachmalige dritte Frau Elise Hahn laumlszligt Buumlrger ihr wenig Gerechtigkeit widerfahren und die meisten Biographen haben dieses doch sehr interessierte seinen aktuellen Absichten entsprechende Gestaumlndnis fuumlr bare Muumlnze geshynommen und behUptet er habe Dorette und nicht deren zwei Jahre juumlngere Schwester Auguste genannt MoHy - nur deshalb geheiratet weil sie ein Kind von ihm erwartete Doch die Briefe aus diesen Monashyten auch wenn sie an die vertrautesten Freunde gerichtet waren spreshychen eine ganz andere Sprache die gewiszlig ebenso glaubwuumlrdig ist Mein kleines Weib das beste sanfteste redlichste Geschoumlpf unter der Sonne hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Maumldgen mit Lebensgetahr geboren Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude17 Gleichwohl muszlig seine heftige Gefuumlhlsverwirrung schon

bald nach Eheschlieszligung und Geburt des Kindes eingesetzt haben wenn er ihr auch wie er in der eben erwaumlhnten Lebensbeichte schreibt zunaumlchst keine groszlige Bedeutung beigemessen hat Ieh habe 7wey Schwestern zu Weibern gehabt Auf eine sonderbare Art zu weitlaumlushyfig hier zu erzaumlhlen kam ich dazu die erste zu heirathen ohne sie zu

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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lieben Ja schon als ich mit ihr vor den Altar trat trug ich den Zunder zu der gluumlhendsten Leidenschaft fuumlr die zweyte die damahls noch ein

Kind und kaum vierzehn bis fuumlnfzehn Jahr alt war in meinem Herzen Ich fuumlhlte das wohl allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es ob ichs mich gleich nicht ganz ableugnen konnte houmlchstens fuumlr einen kleinen FieberanfalL der sich bald geben wuumlrde Haumltte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun koumlnnen

Mein Fieber legte sich nicht sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger immer unausloumlschlicher In eben dem Maaszlige als ich liebte wurde ich von der Houmlchstgeliebten wieder geshyliebt 0 ich wuumlrde ein Buch schreiben muumlssen wenn ich die Martershy

geschichte dieser Jahre und so viele 4r grausamsten Kaumlmpfe zwischen Liebe und pflicht erzaumlhlen wollte ~8 Buumlrger hat dieses Buch nicht In

dem Sinne geschrieben wie er es hier meint in Literatur venvandelt hat er seine ungluumlckselige Liebesgeschichte dennoch Ja der eigentlishyche Schluumlssel zu ihr ist gerade in der Verstrickung von Literatur und Leben zu suchen mit der Buumlrger nun i~~ seiner Zeit durchaus nicht

alleine steht Eine Martergeschichte ist sie freilich erst geworden nachdem es ihm nicht mehr gelang seine wachsende Zuneigung zu Molly mit seiner ersten Liebe zu Dorette in Einklang zu bringen Der neue Konflikt der sich damit in seinem Leben ankuumlndigte wurde naumlmlich zunehmend verschaumlrft durch die gemeinsame lebendige Naumlshyhe in der die Gefuumlhle dieser drei iv1enschen sich dauernd begegneten

und jeder Wechsel jede Nuance der Stimmung des einen zu ganz widerspruumlchlichen Empfindungen bei den beiden anderen fuumlhren muszligte

Es war einmal ein Graf Den trieb ein Gefuumlhl frommer Pflicht von seiner Gemahlin von seinen Guumltern nach dem Gelobten Lande Er war ein Biedermann er liebte sein Weib nahm Abschied von ihr empfahl ihr sein Hauswesen umarmte sie und zog Er zog durch viele Laumlnder kriegte und ward gefangen Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter sie loumlste seine Fesseln sie flohen Sie geleishytete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs - Der liebe vVaffenshy

traumlger r - Mit Sieg bekroumlnt gings nun zur Ruumlckreise - zu seinem edlen Weibe - Und sein rv1aumldchen - Er fuumlhlte Menschheit - er glaubte an Menschheit und nahm sie mit Sieh da die wackre Hausfrau die ihrem Gemahl entgegeneilt sieht a11 ihre Treue a11 ihr Vertrauen ihre Hoffnungen belohnt ihn wieder in ihren Armen Vver (aber) ists

die dort verschleiert mit dem Gefolge naht Sanft steigt sie vom Pferde

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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- Hier - rief der Graf sie bei der Hand fassend sie seiner Frau entgegenfuumlhrend - hier sieh das alles - und sie nimms aus ihren

Haumlnden - nimm mich aus ihren Haumlnden wieder Sie hat die Ketten von

meinem Halse geschlossen sie hat den Winden befohlen sie hat mich erworben hat mir gedient mein gewartet - Was bin ich ihr schulshydig - Da hast du sie Belohn sie An ihrem Halse rief das treue

Weib in tausend Traumlnen rief sie Nimm alles was ich dir geben kann

Nimm die Haumllfte des der ganz dein gehoumlrt - Nimm lhn ganz Laszlig mir ihn ganz Jede soll ihn haben ohne der andern was zu rauben 119 vVas

mag Gottfried August Buumlrger empfunden haben als er diese Geschichshyte las Caumlcilie erzaumlhlt sie in Goethes Jugenddrama Stella das ihm der

Autor am 2 Februar 1776 zugescl1i-ckt hatte zu der Zeit wohl kaum ahnend aumluf welche s~~iis~h~Beeitschaft gerade dieses SchauspIel bei

dem lieben Brllder wie er Buumlrger im Begleitbrief anredet stoszligen muszligte Behandelt es doch dessen Lebensthema die Doppelliebe eines unentschlossenen Mannes die im Drama allerdings durch den Edelshy

mut der beiden Frauen zur allseitigen Erfuumlllung gelangt Ein solches Happy-End - Goethe ersetzte es spaumlter uumlbrigens durch eine tragische

Wendung - hat es in Buumlrgers Leben nicht gegeben auch wenn er es in geniezeitlichem Uumlberschwang schon manchmalverwirklicht glaubte

Ein Jahr lang von seiner Trauung bis zum September 1775 lebte Buumlrger mit seiner Frau im Hause seiner Schwiegereltern und als beide

dann in das neuerbaute Haus in Woumlllmershausen gezogen sind dauert es kaum zwei Jahre bis auch Molly nach dem Tode des Vaters folgt

Damit entsteht jene Lebensgemeinschaft die Buumlrger spaumlter in seiner

Beichte als vernuumlnftiges Arrangement idealisierte Was der Eigenshysinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben wuumlrde das glaubten drey Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung om Verderben selbst

gestatten zu duumlrfen Die Angetraute entschloszlig sich mein vVeib oumlffentshylich und vor der Welt nur zu heiszligen und die andere in geheim es

irklich zu seyn GOas klingt nicht anders als eine Paraphrase von Goethes Stella und ist auch nachtraumlgliche Stilisierung In Wirklichshy

keit war es eine wahrhaft tragische Verbindung in der sogar die besten

Eigenschaften eines jeden von ihnen in der Verknuumlpfung mit den

Fehlern des anderen Qualen erzeugen muszligten Buumlrger warb immer offener um Molly um so leidenschaftlicher je bestimmter die Absage war Oorette entschuldigte sein Verhalten mit jener Liebe und Bewunshy

derung die sie selber fuumlr die juumlngere huumlbschere und temperamentshy

vollere Schwester hegte MoHy fuumlhlte sich zu ihrem Schwager hingeshy

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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zogen seine lyrischen Liebeserklaumlrungen erregten sie aber religioumlse und moralische Skrupel weniger als Liebe zur groumlszligeren Schwester hieszligen sie Buumlrger die Erfuumlllung seiner Wuumlnsche zu verweigern An diesen widerspruumlchlichen Verhaumlltnissen empfindet Buumlrger der ihre treibende Kraft bleibt ein zwiespaumlltiges aber starkes Vergnuumlgen Seishyne leidenschaftliche Sucht nach Erregung wird um so mehr befriedigt je aussichtsloser die Lage der beiden Frauen wird Schlieszliglich verlangt Dorette eine Bereinigung ihres Verhaumlltnisses das in den Augen der Welt (schon schwatzen die Dienstboten) so miszliglich wie moralisch fragwuumlrdig ist Molly verlaumlszligt fuumlr kurze Zeit das Haus aber die von Dorette erhoffte vVirkung bleibt aus sogar das Gegenteil tritt ein Buumlrger macht sie fuumlr seinen Verlust verantwortlich sein Hang zu verzweifelter Ausschweifung aumlngstigt sie und sie weiszlig auch Molly leidet dieselben Schmerzen So willigt sie erneut zum unseligen Leben selbdritt ein Liest man Buumlrgers Briefe aus diesen Jahren vor allem an Sprickmann und Goeckingk die V ~rtf3uten seiner intimen Familienshyverhaumlltnisse so macht man sich leicht ein falsches Btld von der Bedeushy

tung die seine zweideutige Lage fuumlr ihn besaszlig Koumlnnte ich nur meishyner Frau ein hinlaumlngliches Auskommen anweisen so wanderte lich auf immer) zum Dorf hinaus Aber ach wuumlrde ich dem Geyer entfliehen der mir taumlglich und stuumlndlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt Gott im Himmel Vas soll daraus noch werden Ich darf nicht einmal wuumlnschen denn die vVuumlnsche die allein zu meinem Heil abzwecken koumlnnten scheinen mir schvvarze Suumlnde wovor ich zuruumlckschauere 0)

rvfit den groszligen Leidenschaften bringen diese Jahre zugleich den Houmlhepunkt seines Schaffens in denen seine schoumlnsten Liebesgedichte seine bedeutendsten Balladen entstehen gehoumlrte unbezweifelt zu

den wichtigsten und beruumlhmtesten Dichtern unter der literarischen Jugend in Deutschland Was nicht heiszligt daszlig er etwa der Komoumldiant seiner eigenen Lebenstragoumldie gewesen waumlre Die Verzweiflung die aus seinen Briefen und Gedichten spricht ist kein RollenspieL die Gewissensbisse die er uumlber sein Verhalten empfindet vervvirren sein

ganzes Selbstverstaumlndnis

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

G A Buumlrger-Archiv

nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

G A Buumlrger-Archiv

verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

G A Buumlrger-Archiv

Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

33

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Schoumln Suschen

Schoumln Suschen kannt ich lange Zeic Schoumln Suschen war wohl fein Voll Tugend war s und Sittsamkeit Das sah ich klaumlrlich ein

Ich kam und ging ich ging und kam Wie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Und es geschah daszlig nach der Zeit gar andres ich vernahm Da thats mir wenn ich schied so leid

So wohl mir wenn ich kam Da hart ich keinen Zeitvertreib

Und kein Geschaumlft als sie Da fuumlhlt ich ganz an Seel und Leib Und fuumlhlte nichts als sie

Ich war wohl dumm und stumm und taub Vernahm nichts auszliger ihr Sah nirgends bluumlhen Blum und Laub

Nur Suschen bluumlhte mir Nicht Sonne Mond und Sternenschein

Mir glaumlnzte nur mein Kind Ich sah wie in die Sonn hinein

Und sah mein Auge blind

Und wieder kam gar andre Zeit Gar anders ward es mir

Doch alle Tugend Sittsamkeit

Und Schoumlnheit blieb an ihr Ich kam und ging ich ging und kam

fie Ebb und Flut zur See Ganz wohl mir that es wenn ich kam

Und wenn ich ging nicht weh

Ihr Neisen hoch und tiefgelahrt Die ihrs ersinnt und wiszligt

Vic wo und wann sich alles paart farum sichs liebt und kuumlszligt

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

32

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

33

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Ihr stolzen Weisen sagt mirs an Ergrubelt was mir da Ergruumlbelt mir wo wie und wann VVarum mir so geschah

Ich selber sann wohl Nacht und Tag Und wieder Tag und Nacht So wundersamen Dingen nach Doch hab ich nichts erdacht Drum Lieb ist wohl wie Wind im Meer Sein Sausen ihr wohl houmlrt Allein ihr wisset nicht woher Er koumlmmt wohin er faumlhrt 22

) Die Naturmacht der Liebe

Immer wieder taucht dieses Motiv in seiner biographischen Lyrik auf Die unerklaumlrliche Uumlberwaumlltigung des Menschen durch Gefuumlhl und Leishydenschaft Einem Naturereignis gleich betrachtet Buumlrger sein Liebesshyschicksal und es gibt sicher keinen Grund an seiner Uumlberzeugung zu zweifeln Nothwendig muszlig ich einmal wieder aus meiner Houmlle hershyvor und mich in der Velt ein wenig umsehen damit ich wieder andres Blut bekomme Aber oh - alle Gesundbrunnen der weiten Welt wershyden den Brand nicht kuumlhlen der mir in allen Adern und in dem innersten Marke wuumlthet i Buumlrger war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit und fuumlhlte sich daruumlber hinaus zu dem Leiden das er selber empfand oder anderen zufuumlgte vom Schicksal oder von der Natur oder von Gott verdammt Ein Getriebener nicht ein frei Hanshydelnder ein Opfer kein Taumlter Doch hinderte ihn diese Uumlberzeugung dann auch wieder nicht seine Unfreiheit und Abhaumlngigkeit in seinen Werbungsgedichten an Molly mit rhetorischem Geschick einzusetzen um ihren moralischen Widerstand zu besiegen So in der Elegie Als Molly sich losreiszligen wollte

vVar denn diese Flammenliebe Freier Willkuumlr heimgestellt Nein~ Den Samen solcher Triebe Streut Natur ins Herzensfeld Unaustilgbar keimen diese

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Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

G A Buumlrger-Archiv

Sprossen dicht von selbst empor Wie im ThaI und auf der Wiese Kraut und Blume Gras und Rohr

o so laszlig es denn gewaumlhren Da Genesung nicht gelingt Laszlig uns lieber Krankheit naumlhren Eh uns gar das Grab verschlingt shySuche nicht den Strom zu hemmen Der so lang sein Bett nur fuumlllt

Bis er zornig vor den Daumlmmen Zum Vertilgungsmeer entschwillt 24

Die Liebe ist fuumlr Buumlrger eine Naturrnacht der sich zu widersetzen ebenso toumlricht waumlre wie den Lauf der Gestirne oder die Umdrehung der Erde hemmen zu wollen rvloralische oder religioumlse Einwaumlnde laumlszligt er nicht gelten sie sind ihm kalte Vernuumlnftelei die nur Ungluumlck produshyziert und das Herz schwer macht Daszlig Dorette so denkt weiszlig er daszlig er ihre Grundsaumltze nicht zu besiegen vermag hat er einsehen muumlssen Aber Molly besitzt ein anderes Temperament und sie leidet wie er an derselben unerfuumlllten Liebe das ist das beste Gegengift gegen Konvenshytionen und Prinzipien lVfit allen Mitteln der neuen empfindsamen Kultur kaumlmpft er gegen die entnervende Tugendhaftigkeit der Geliebshyten Das Herz folge seinen eigenen Gesetzen betont er es stehe fuumlr die Macht und Berechtigung des Gefuumlhls nur das Herz gebe uns die Gewiszlig- heit ob wir richtig oder falsch handelten nur in ihm finde sich der Schluumlssel zur Welt und des Lebens Buumlrger identifiziert Wirklichkeitsshyerfahrung und Empfindungsaumluszligerung- preaigt Tag fiir Tag gegen das platte empfindungslose Leben das schon wie ein vorgezogener Tod sei er gefaumlllt sich in den verschiedenen Posen des Stuumlrmers und Draumlngers (Wie wird mir so herzlich bange Wie so heiszlig und wieder kalt Wann

in diesem Sturm und Drange Keuchend meine Seele wallt ~ und es muszlig ein sonderbares Leben gewesen sein das diese drei Personen immerhin einige Jahre gemeinsam gefuumlhrt haben Buumlrger jedenfalls fand gerade in dessen leidenschaftlichen und qualvollen Beziehungen die Voraussetzungen fuumlr seine poetischen Inspirationen Gluumlck Ruhe

und Regelmaumlszligigkeitder Empfindungen waren ein unzutraumlgliches Klima

G A Buumlrger-Archiv

fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

26

G A Buumlrger-Archiv

verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

G A Buumlrger-Archiv

nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

G A Buumlrger-Archiv

verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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fuumlr seine Dichtungen Er benoumltigte die starken Erregungen die persoumlnlishychen Miszlighelligkeiten die Drohung des Skandals seine Phantasie entshyzuumlndete sich an ihnen und formte daraus die dramatischen Begebenheishyten die seinem alltaumlglichen Dasein fehlten Er zeigte sich so heftig phantastisch und reizbar machte Dorette zum Gegenstand leidenschaftshylicher Aversion Molly zum Zielpunkt seiner unmaumlszligigen Wuumlnsche weil er nur in starken Affekten sich auch lebendig fuumlhlen konnte und weil sie die einzige Moumlglichkeit geblieben waren seine Existenzform Vereinzeshylung Isolation und Einschnuumlrung aller schoumlpferischen Kraumlfte wenigshystens im momentaumlnen unmittelbaren Gefuumlhlserlebnis zu uumlberwinden

Die grenzenlose Gefuumlhlsbereitschaft der Anspruch auf alle subjektishy

ven Freiheiten uuml~er _ge~el1scE_~~~i~he moralische~~Uumlgi6~-e Zwaumlnge _die KultIvierung der Seelenkraumlfte Schwaumlrmerei und Selbstbeobachtung shydas alles sind Kennzeichen einer neuen Generation von Schriftstellern deren wichtigste Vertreter sich eine Zejtlang um Goethe geschart hatten und deren BlbeL(gkich nach Rousseau) die_Leiden eies jungen Wertshyhers werden sollte Laszlig dich herzlich umarmen oder da du mir zu hoch stehest deine Kniee umfassen du Gewaltiger der du nach dem groszligmaumlchtigsten Shakespear fast allein vermagst mein Herz von Grund aus zu erschuumlttern und diese trocknen Augen mit Thraumlnen zu bewaumlssern Ges tern abend erst hab ich Werthers Leiden geleseIl Du bist mir diese Nacht im Traum erschienen und ich ha~e - mein -Veib hats gehoumlrt - in deinen Armen uumlberlaut geschluchst Jlz

6 Das ist die fuumlr die

Wertherrezeption typische enthusiastische Tonart und sie paszligt vollshykommen zu der Ausdrucksweise mit der Buumlrger auch sonst sei es in Briefen sei es in Versen seiner eigenen Gefuumlhlsverwirrung Ausdruck verleiht Vergegenwaumlrtigt man sich seine Lebenssituation das R~htershydasein in der Provinz die bestaumlndigen Haumlndel und ZaumlnkereienJSmit

seinen Vorgesetzten die druumlckenden Existenznoumlte die dauernde Abhalshytung von seinem eigentlichen Berufe seinem dichterischen Werk die Isolierung in der Provinz weitab von den Zentren der Kultur und Geselligkeit schlieszliglich die Aussichtslosigkeit seiner Hoffnung daszlig dieses Dasein sich jemals grundlegend aumlndern koumlnnte so haben wir wie in einem Modell die wichtigsten Bedingungen versammelt die fuumlr die

verbreitete Gefuumlhlslage der jungen buumlrgerlichen Intelligenz in diesem letzten Drittel des 18 Jahrhunderts verantwortlich sind Buumlrgers Enshythusiasmus sein Schwanken zwischen den Extremen tiefer Hoffnungsshylosigkeit und schwaumlrmerischer Gefuumlhlsinnigkeit der vor dem Bilde der Geliebten die ganze Welt verschwendet die Konzentration auf seine

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

G A Buumlrger-Archiv

Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

G A Buumlrger-Archiv

Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

G A Buumlrger-Archiv

5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

32

G A Buumlrger-Archiv

Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

33

G A Buumlrger-Archiv

der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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verwirrenden Liebeserfahrungen seine erotische Anfaumllligkeit die ihn auch zu der ungluumlcklichsten Liaison seines Lebens mit Elise Hahn

inspirieren sollte - alle diese Merkmale seines Lebens dokumentieren

den Versuch der Se~~s~verwirklichung jenseits der sozialen und politishyschen Schranken Wenn er in Briefen an Sprickmann und Goeckingk von einem Robinsondasein weitab von aller Zivilisation und fern den

gesellschaftlichen Zwaumlngen schwaumlrmt so offenbart dieser im uumlbrigen wiederum durchaus zeitgemaumlszlige - Wunschtraum die reale Struktur

seines Daseins freilich ins Positive gewendet 0 Robinso Crusoes

Insel Wer auf dir allein waumlre umschirmet von den wolkenhohen r

Brandungen des Ozeans lJ2tl Seine Liebe zu Molly mit allen ihre Konshy

sequenzen vermittelte ihm das Gefuumlhl der Selbstverwirklichung in ihr

vereinigten sich Literatur und Leben und befriedigten seine persoumlnlishy

che und dichterische Existenz zugleich

Fuumlr sie mein Eins und Alles

Sonett

Nicht zum Fuumlrsten hat mich das Geschick

Nicht zum Grafen noch zum Herrn geboren

Und fuumlrwahr nicht Hellers Wert verloren Hat an mich das goldbeschwerte Gluumlck

Guumlnstig hat auch keines vVessirs Blick

Mich im Staat zu hoher Wuumlrd erkoren Alles stoumlszligt wie gegen mich verschworen

Jeden Wunsch mir unerhoumlrt zuruumlck

Von der Wieg an bis zu meinem Grabe

Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis Meine Ehr und meine ganze Habe

Dennoch auch dies eine so ich weiszlig

Spendet ich mit Lust zur Opfergabef~ vVaumlro I1011v dein Besitz der Preis lt9

I

Die Exaltationen Buumlrgers sind gerade in ihrer das Pathologtsche streishy

fenden Wollust des Schmerzes identisch mit dem fuumlr alle seine literarishy

schen tYfitstreiter gleichen Mechanismus der Leidenschaft In ihnen werden ebenso wie in der -~~tIsChen --Schwaumlr~erei der Kunstfigur

Werther alle die negativen Tendenzen wirksam die die spaumltaufklaumlrerishy

sche Kritik an der Empfindsamkeit herausstellte Zuallererst jene Illushy

sion des SelbstJ1~l~ertums die im prometheischen -Villen des einzelshy-- - _shy--_~-----__--~--~-~_----

G A Buumlrger-Archiv

nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

G A Buumlrger-Archiv

verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

32

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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nen schon_~~houmlpf~~~sc0_~ Allmacht wirken sah Die erste Eigenschaft desSch-~rmers ist die unchristliche und kindische Begierde die Einshyrichtung der Welt nach seinen kleinen Vorurtheilen und Beduumlrfnissen abaumlndern zu wollenJo diagnostizierte der Popularphilosop~n~ August Eberhard Zum anderen standen aber auch die persoumlnlichen -

folgen im Mittelpunkt der Kritik die die zwanghafte Vereinigung gar Verwechslung von Literatur und Leben fuumlr alle Beteiligten haben muszligte In seiner Abhandlung Uumlber naive und sentimentalische Dichshytung hat Schiller auch die psychischen Verheerungen analysiert die der ungehemmten Hingabe an die Gefuumlhlskraumlfte folgen Ein fortgeshysetzter Hang zu dieser Empfindungsweise muszlig zuletzt nOGvendig den Charakter entnerven und in einen Zustand der Passivitaumlt versenken aus welchem gar keine ReaJitaumlt weder fuumlr das aumluszligere noch innere Leben hervorgehen kann 11)1 Die Liebe hat zwar Buumlrgers ganzen Empshyfindungsreichtum aufgeschlossen aber zugleich auf einen einzigen Gegenstand seine daraus entstandenen Leiden Konflikte und Gluumlcksshymomente konzentriert In seinen Briltgtfen Wird deutlich wie sehr ihn dieser erzwungene Ruumlckzug auf die private Misere an der Entfaltung und Vervollkommnung seines Talentes hinderte Gott gebe nur meishynem Koumlrper Gesundheit und meiner Seele ihren Ton wieder Ach freilich belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Seele Entweder ich gehe bald zu Grunde oder ich genese Aber kann ich genesen Schwerlich anders als der Halbgeraumlderte zum Kruumlppel (3i

4- Von der Anstoumlszligigkeit des Ungluumlcks

Die L_ebensweise Buumlrgers widersprach den buumlrgerlichen Moralauffasshysungen in ganz besonderem Maszlige schien es doch so als zeige sich darin eine Lebensauffassung die - die buumlrgerliche Propaganda im

18 Jahrhundert als spezifisch houmlfische Dekadenz zu geiszligeln gewohnt war M-jtLessenwirtschaft Verfall von Sitte und Anstand Zerstoumlrung der buumlrgerlichen Familie durch den adligen Wolluumlstling das waren die zentralen Themen des buumlrgerlichen Trauerspiels tbenso wie des empshyfindsamen Romans in Richardsons Manier der sich mit Sophie von La Roches Geschichte des Fraumluleins von Sternheim auch in Deutschland durchgesetzt hatte Eine MoraL wie sie Goethe in seiner Stella vertrat und Buumlrger sie zu leben versuchte verstieszlig gegen die ~hrbarket und-_

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verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

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Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

G A Buumlrger-Archiv

Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

G A Buumlrger-Archiv

5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

32

G A Buumlrger-Archiv

Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

33

G A Buumlrger-Archiv

der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

G A Buumlrger-Archiv

verletzte damit eines der wirhtigsten moralischen Leitmotive des 18 Jahrhunderts Zwar erstreckte sich die Forderu1g der Ehrbarkeit

zunaumlchst auf die echte und rechte Herkunft erfaszligte daruumlber hinaus aber den ganzen Lebensbereich des buumlrgerlichen Menschen insbesonshydere die Familie und alle Hausgenossen die der Obhut und Fuumlrsorge des Hausherrn unterstanden Ehrbar konnte man den Lebenswandel Buumlrgers nun gewiszlig nicht nennen und waumlre es ihm in einer Residenzshy

stadt vielleicht gelungen seine straumlflichen Neigungen zur Schwaumlgerin einige Zeit laumlnger zu verbergen im doumlrflichen Gelliehausen war das unmoumlglich Vollends natuumlrlich als Molly nach vielen Kaumlmpfen und mannigfachen Widerstaumlnden seinen Werbungen nachgegeben hatte

und nun wirklich den Platz einnahm der Dorette nach allen weltlichen und geistlichen Gesetzen zukam Freilich was einem Pastor Zuch oder General von Uslar als eine freimuumltige allein dem Sinnengenuszlig dieshynende und daher um so verwerflichere Lebensgemeinschaft vorkam das war viel mehr eine Quaumllerei zu dritt eine gegenseitige Abhaumlngigshykeit ohne Aussicht eine rechte Houmllle zuzeiten aus Gewissensqualen

Schwaumlche und Schmerz

An die kalten Vernuumlnftler

Ich habe was Liebes das hab ich zu lieb Was kann ich was kann ich dafuumlr

Drum sind mir die kalten VernLinftler nicht hold Doch spinn ich ja leider nicht Seide noch Gold

Ich spinne nur Herzeleid mir

Auch mich hat was Liebes im Herzen zu lieb Nas kann es fuumlr s liebende Herz Auch ihm sind die kalten Vernuumlnftler nicht hold

Doch spinnt es ja leider nicht Seide noch Gold Es spinnt sich nur Elend und Schmerz

Vir seufzen und sehnen wir schmachten uns nach Wir sehnen und seufzen uns krank

Die kalten Vernuumlnftler verargen uns das Sie reden sie thun uns bald Dies und bald Das Und schmieden uns Fessel und Zwang

Wenn ihr fuumlr die Leiden der Liebe was koumlnnt Vernuumlnftler so goumlnnen wirs euch

Wenn wir es nicht koumlnnen so irr es euch nicht

G A Buumlrger-Archiv

Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

G A Buumlrger-Archiv

5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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G A Buumlrger-Archiv

Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

33

G A Buumlrger-Archiv

der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

G A Buumlrger-Archiv

Wir koumlnnen ach leider wir koumlnnen es nicht Nicht fuumlr das mogolische Reich

Wir irren und quaumllen euch Andre ja nicht Wir quaumllen ja uns nur allein Drum kalte Vernuumlnftler wir bitten euch sehr Drum laszligt uns gewaumlhren und quaumllt uns nicht mehr

o laszligt uns gewaumlhren allein

Was draumlnget ihr euch um die Kranken herum Und scheltet und schnarchet sie an Von Schelten und Schnarchen genesen sie nicht Man uumlbet ja Tugend man uumlbet ja Pflicht Doch Keiner thut mehr als er kann

Die Sonne sie leuchtet sie schattet die Nacht Hinab will der Bach nicht hinan Der Sommerwind trocknet der Regen macht naszlig Das Feuer verbrennet - Wie hindert ihr Das shyo laszligt es gewaumlhren wie s kann

Es hungert der Hunger es duumlrstet der Durst Sie sterben von Nahrung entfernt Naturgang wendet kein Aber und Wenn shyo kalte Vernuumlnftler wie zwinget ihrs denn Daszlig Liebe zu lieben verlernt 133

Der Appell muszligte ungehoumlrt verhallen oder vielleicht gar das Gegenshy

teil bewirken Denn die u~erhouml~Jf~n~eit mit der Buumlrger in seinen lyrischen Selbstbekenntnissen seine skandaloumlsen Liebesprobleme ausshybreitete verstieszlig gegen ein weiteres Tab~~d~szlig-middot~middotaumlmlich prIvate Unreshy

gelmaumlszligigkeiten sollten sie denn einmal vorkommen unter dem Ausshyschluszlig derOumlffentlichkeit zu geschehen haumltten

Es ist dann aber nicht aumluszligerer Einfluszlig der zu einer wichtigen Andeshyrung im Buumlrgersehen Hause fuumlhrt Im Mai 1782 zieht Molly zu Frieshyderike Muumlllner einer Schwester Buumlrgers nach Langendorf in Obershy

sachsen damit wenigstens die Geburt des illegitimen Sohnes den Buumlrshy

gerskandal nicht perfekt mache Er selber bleibt mit Dorette zuruumlck und bemuumlht sich das Geheimnis auch innerhalb der Familie zu wahshyren als offizieller Anlaszlig fuumlr Mollys Entfernung aus seinem Hause

wird die Pflegebeduumlrftigkeit seiner Schwester ausgegeben Die poetishy

sche Klage uumlber die Trennung erschuumlttert noch heute

JO

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Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

32

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

G A Buumlrger-Archiv

Mollys Abschied

Lebe wohl du Mann der Lust und Schmerzen Mann der Liebe meines Lebens Stab Gott mit dir Geliebter Tief zu Herzen Halle dir mein Segensruf hinab

Zum Gedaumlchtnis biet ich dir statt Goldes shyvVas ist Gold und goldeswerter Tand shyBiet ich lieber was dein Auge Holdes

rshyWas dein Herz an Molly Liebes fand)4

In Buumlrgers Leben tritt nun eine Phase relativer Ruhe und Stabilitaumlt Er widmete sich jetzt mehr seiner Aufgabe als Herausgeber des Goumltshytinger Musenalmanachs der er 1778 geworden war und nimmt imshymer wieder Anlaumlufe sein ungeliebtes Gerichtsamt loszuwerden Bevor es dazu kommt und die Familie nach Goumlttingen zieht weil Buumlrger Aussicht auf eine Universitaumltsprofessur hat stirbt Dorette nach langer und schmerzvoller Krankheit Mehrere Monate lang sah ich sie taumlgshylich dahin sterben ohne ihre Wiederherstellung auch nur hoffen zu duumlrfen Ich selbst gab meinen L~ndhaushalt nun gaumlnzlich auf und zog Michaelis 1784 nach Goumlttingen wo ich mit gutem Beifall anfing Collegia zu lesen und dabei mein hinlaumlngliches Auskommen fand (Ich verband mich) mit Derjenigen die seit zehn oder zwoumllf Jahren nach einem mir unerklaumlrlichen Verhaumlngniszlig das Ungluumlck meishynes Lebens gewesen war um sie dadurch zum Gluumlck meines noch uumlbrigen Lebens umzuschaffen amp Buumlrger hat spaumlter diese Zeit mit seiner Molly als die gluumlcklichste seines Lebens bezeichnet Sie war nur von allzu kurzer Dauer Den Bericht an seinen Schwager schrieb er am

20 Dezember 1785 nur fuumlnf Tage spaumlter wird ihm von ihr eine Tochshyter Auguste geboren und am 9 Januar 1786 stirbt Auguste Marie Wilhelmine Eva geborene Leonhart Buumlrgers Molly am vVochenbettshy

fieber Ich bin ein armer unheilbarer Mensch bisher gewesen und werde es bleiben bis in mein Grab neben der Unvergeszliglichen ein armer an Kraft Muth und Taumltigkeit gelaumlhmter Mensch vVann wird der Schwarm von tausend und abermal tausend Erinnerungen aufhoumlshy

ren rI~ine Seele zu umflattern 0 wie koumlnnte ich ihrer vergesshysen ~o

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

bullbull 1middotmiddotmiddotmiddot

Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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5 Das Schwaben maumldchen - eine verungluumlckte

Muumlnchhauseniade

Buumlrger hat seine Erinnerung in vielen Gedichten wachgehalten und welche Bedeutung gerade diese nie zur vollkommenen Erfuumlllung geshylangte Liebe fuumlr ihn besaszlig zeigt noch einmal und ganz paradoxerweise das leichtsinnige Abenteuer seiner dritten Heirat mit Elise Hahn dem Stuttgarter Schwabenmaumldchen die in einem Gedicht dem ihr pershysoumlnlich unbekannten aber angesch waumlrmten Dichter Buumlrger oumlffentlich ihre Liebe erklaumlrt hatte Denn traumlten tausend Freier her Und boumlthen Saumlcke Goldes schwer Und du begehrtest mein Dir weigert ich nicht Herz noch Hand Selbst um mein liebes Vaterland Tauscht ich dich einBuumlrger ging wider den Rat aller Freunde auf dieses Angebot ein gerade das Abenteuerliche Ungewohnte daran war wohl der wichtigste Reiz fuumlr lhn Aber nicht der ungluumlckliche Verlauf dieser Ehe - Buumlrger hat ihn in seiner Ehestandsgeschichte bls in intime Einzelheiten dargelegt - sondern das yagnis fesselte ihn gab ihm wenigstens fuumlr kurze Zeit jenen Enthuslasmus jene Lebendigkeit wieder die er als Ergebnis seines Liebens und Leidens immer ge braucht hat

Allein die Liebe und zwar nicht die des gewoumlhnlichen normalen Lebens die eingeht in die nuumlchterne Prosa des Alltags sondern die bizarre verwickelte exorbitante Liebe der noch zusaumltzlich das ftair von Konventionsbruch und moralischer Schuld anhaftet vermochten ihn zu fesseln nur die starke Empfindung die heftige Unruhe des Gemuumlts vermittelten ihm das Bewuszligtsein seiner selbst Die Liebe zu Nfolly nutzte sich nicht ab weil sie nie seszlighaft werden konnte weil der dauernde Wechsel von Gluumlck und Ungluumlck Erfuumlllung und Venveishygerung seine Gefuumlhlswelt in dauernder Erregung hielt Nfolly starb zu fruumlh als daszlig er eine andere Erfahrung mit ihr haumltte machen koumlnnen Die romantische Werbung Elise Hahns schien der Auftakt eines neuen abenteuerlichen Romans der ihm die verlorene Lebendigkeit zuruumlckshy

bringen sollte Aber der erniedngende und aufreibende Kampf mit einer untreuen Frau trug nur possenhafte Zuumlge und war von einer quaumllenden Monotonie dle ihn vollends niederdruumlckte So blieb nur noch die Erinnerung an die Geliebte und die Trauer daruumlber daszlig sein Kampf um die Freiheit der Gefuumlhle mit ihrem Tod seinen Sinn verloshyren hatte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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Auf die Morgenroumlte Sonett

Vann die goldne Fruumlhe neugeboren Am Olymp mein matter Blick erschaut Dann erblass ich wein und seufze laut Dort im Glanze wohnt die ich verloren

Grauer Tithon Du empfaumlngst Auroren Froh aufs neu sobald der Abend taut Aber ich umarm erst meine Braut An des Schattenlandes schwarzen Thoren

Tithon Deines Alters Daumlmmerung iYildert mit dem Strahl der Rosenstirne Deine Gattin ewig schoumln und jung

Aber mir erloschen die Gestirne Sank der Tag in oumlde Finsternis Als sich Molly dieser Welt entriszligJ

Das letzte Jahrzehnt in Buumlrgers Leben 1st aber nicht nur eine Chroshynik der Verzweiflung und Zerruumlttung stuumlrzte sich in Arbeit stushydierte die kantische Philosophie war der erste der in Goumlttingen darshyuumlber las und daher bald schon als Kantianer galt veranstaltete eine Zweite Ausgabe seiner Gedichte und schrieb ein Buch das bis heute eine ungebrochene Popularitaumlt besitzt freilich unabhaumlngig von seinem Autor der dahinter fast so verschwand wie Swift hinter Gullivers Reisen oder Defoe hinter Robinson Crusoes Leben und Abenteuern Wunderbare Reisen zu Nasser und Lande Feldzuumlge und lustige Abentheuer des freyherrn von Muumlnchhausen wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaumlhlen pflegt I So lautet der vollstaumlndige Titel Den erzaumlhlfreudigen Baron hat es wirklich gegeshyben ein Zuhoumlrer seines Zirkels hatte die ersten Geschichten anonym in einer humoristischen Sammlung veroumlffentlicht aber die erste umshyfangreichere Buch-Ausgabe war in England erschienen Es ist in der Tat eine etwas sonderbare Erscheinung die folgenden Erzaumlhlungen die auf deutschem Grund und Boden erzeugt sind endlich im Ausshylande gesammelt zu sehen Vielleicht weiszlig der Englaumlnder bes ser was Laune heiszligt wi~iel sie wert ist und wie sehr sie dem Ehre

macht der sie besitzt 0 Buumlrger hat dieses Kleinod der Luumlgengeshyschichtenliteratur deren Tradition bis in die Antike zuruumlckreiche wieshy

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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der vollkommen in der deutschen Literatur eingebuumlrgert es ist das Buch geworden in dem er am vollkommensten sein Ideal eines popushylaumlren und doch belangvollen eines wirksamen und doch kunstreichen Schriftstellers verwirklichte Gewiszlig den Stoff fand er vor aber er gab ihm die Form in der er Literatur wurde aumlhnlich so vielen anderen volkstuumlmlichen Buumlchern vom Ti11 Eulenspiegel bis zu den Maumlrchen der Gebruumlder Grimm von Hans Sachs Schwank- und Fastnachtsspielen bis zu den Faustbuumlchern des 17 und 18 Jahrhunderts Die erste Auflashyge erschien im Todesjahr Mollys 1786 zwei Jahre spaumlter eine erweishyterte Ausgabe Was ihn an diesen Geschichten faszinierte macht ihre Wirksamkeit bIs heute aus Walter Rehm hat Muumlnchhausen einen

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Ubermenschen im kleineneo genannt und er ist wirklich ein Meister der Tapferkeit und Geistesgegenwart der jeden Zufall zu seinen Gunshysten wendet sich durch nichts duumlpieren laumlszligt und mit den Mitteln der Uumlbertreibung und Aufschneiderei die menschlichen Narrheiten und die Torheiten seiner Zeit auf ergoumltzliche oft satirisch-scharfe VVeise bloszligstellt Ein Uumlberlebenskuumlnstler ~nd Schelm dazu der all das besaszlig was dem ungluumlcklichen Poeten Buumlrger mangelte

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