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(Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Diisseldorf-Grafenberg und der Psychiatrischen Klinik der Medizinischen Akademie Dtisseldorf [Direktor: Prof. Dr. Sioli].) Die Bedeutung der elastischen Spannung unserer Muskeln fiir das Zustandekommen, die Stiirke und den Ablauf der Sehnenreflexe, der klonischen und spastisehen Erscheinungen. Von J. Pfahl. iV[it 1 Textabbildung. (Eingegangen am 22. April 1932.) In fffiheren Arbeiten habe ich gezeigt, da[~ unsere Muskeln eine ausgesprochene Elastizit/~tskraft besitzen und dab diese yon groBer Bedeutung ffir den Ablauf der aktiven Bewegungen in gesundem und krankem Zustande ist. Diese Elastizit/~tskraft bzw. der durch sie bewirkte Spannungs- zustand unserer Muskeln ist nach zahlreichen Beobachtungen yon mir ebenso yon gr613ter Bedeutung fiir das Zustandekommen, die Sti~rke und den weiteren Ablauf der Muskelzuckungen, die durch Schlag auf seine Sehne ausgel6st werden. In der Physik verstehen wir unter Spannung eines elastischen K6rpers eine St6rung des Elastizitiitsgleichgewichtes bzw. der Elastizit/~tsruhelage, einen Zustand, der durch eine yon auflen wirkende Kraft, durch Zug oder Druck hervorgerufen wird. Wenn wir in der Physiologie und in der Klinik yon Muskelspannung sprechen, dann denken wir sicher meist an die aktive Verkfirzung des Muskels und die Ann/~herung seiner kleinsten Teilchen, d. h. einen Druck- zustand. Vom rein physikalischen Standpunkte aus kann in einem elastischen K6rper und ein solcher is~, wie gesagt, unser Muskel, ein Spannungszustand abet auch dutch rein passive Dehnung durch Zug, durch die Entfernung der kleinsten Teilchen voneinander entstehen. In seinem Lehrbuch der Psychiatrie sagt Bumke da, wo er vom Fehlen des Patellarreflexes spricht: ,,Innerhalb psychiatrischer An- stalten mul3 aber aueh an ganz andere M6glichkeiten gedacht werden. 35*

Die Bedeutung der elastischen Spannung unserer Muskeln für das Zustandekommen, die Stärke und den Ablauf der Sehnenreflexe, der klonischen und spastischen Erscheinungen

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(Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Diisseldorf-Grafenberg und der Psychiatrischen Klinik der Medizinischen Akademie Dtisseldorf

[Direktor: Prof. Dr. Sioli].)

Die Bedeutung der elastischen Spannung unserer Muskeln fiir das Zustandekommen, die Stiirke und den Ablauf der Sehnenreflexe, der klonischen und

spastisehen Erscheinungen. Von

J. Pfahl.

iV[it 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 22. April 1932.)

In fffiheren Arbeiten habe ich gezeigt, da[~ unsere Muskeln eine ausgesprochene Elastizit/~tskraft besitzen und dab diese yon groBer Bedeutung ffir den Ablauf der aktiven Bewegungen in gesundem und krankem Zustande ist.

Diese Elastizit/~tskraft bzw. der durch sie bewirkte Spannungs- zustand unserer Muskeln ist nach zahlreichen Beobachtungen yon mir ebenso yon gr613ter Bedeutung fiir das Zustandekommen, die Sti~rke und den weiteren Ablauf der Muskelzuckungen, die durch Schlag auf seine Sehne ausgel6st werden.

In der Physik verstehen wir unter Spannung eines elastischen K6rpers eine St6rung des Elastizitiitsgleichgewichtes bzw. der Elastizit/~tsruhelage, einen Zustand, der durch eine yon auflen wirkende Kraft, durch Zug oder Druck hervorgerufen wird.

Wenn wir in der Physiologie und in der Klinik yon Muskelspannung sprechen, dann denken wir sicher meist an die aktive Verkfirzung des Muskels und die Ann/~herung seiner kleinsten Teilchen, d. h. einen Druck- zustand. Vom re in physikalischen Standpunkte aus kann in einem elastischen K6rper und ein solcher is~, wie gesagt, unser Muskel, ein Spannungszustand abet auch dutch rein passive Dehnung durch Zug, durch die Entfernung der kleinsten Teilchen voneinander entstehen.

In seinem Lehrbuch der Psychiatrie sagt Bumke da, wo er vom Fehlen des Patellarreflexes spricht: ,,Innerhalb psychiatrischer An- stalten mul3 aber aueh an ganz andere M6glichkeiten gedacht werden.

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So zeigen zuweilen Kranke, die unter dem EinfluB von Scopolamin stehen, keine Patellarreflexe. Das beruht einfach auf einer sehr ausge- sprochenen Hypotonie. Eine maximale Flexion des Unterschenkels gegen den Oberschenkel und dadurch bedingte Spannung der Sehne gestatten in solchen F/illen einen sogar lebhaften Reflex auszulSsen."

Hier ist klar zu ersehen, dab die Hypotonie f Z /t durch den Ausfall aktiver Vorg~nge, durch die

a ! : ~ Herabsetzung des Bewul3tseinszustandes und durch ein Nachlassen der damit einhergehenden aktiven Kiirzung zustande kommt und dab dieser Aus-

h ~ fall ausgeglichen werden kann durch einen passiven Vorgang, durch die passive Dehnungund Spannung

v , ~ " ~ : ~ - ' ~ des Quadrizeps. Diese Spannung fibertr~gt sich aber, aueh das geht klar aus der weiteren Be-

? schreibung von Bumlce hervor, auf den Muskel dl ~ und gerade die St~rke der durch dessen Dehnung

bewirkten elastischen Spannung ist nicht nur in - F~l]en, wie Bumke sie besehreibt, sondern ganz

allgemein yon grSl3ter Bedeutung fiir dieAuslSsung, fiir die Stiirke und den weiteren Ablauf der durch

e / den Schlag auf die Sehne bewirkten Muskelzuckung und ebenso ist dies die auf passivem Wege er-

/ ~ " wirkte Herabsetzung der elastischen Spannung ! des Muskels. An Hand schematischer Zeichnungen

1/~13t sich dies in einfachster Weise zeigen: In der g h nebenstehenden Abbildung bezeichnet in den vier

oberen Abbildungen ein dicker, langer Querstrich i V (4 cm) die Platte des Untersuchungstisches, in den

vier unteren Abbildungen ein kurzer dicker Quer- , strich (1 cm) den Stuhlsitz, die zwei dfinnen

senkrechten Striche unter diesem die Stuhlbeine, der lange diinne wagerechte Strich (4 cm) den Ful3boden, der lange dfinne senkrechte Strich, der der ganzen Zeichnung entlang 1/iuft, die Zimmer- wand.

Abb. 1. In Abbildung 1 bezeichnet der diinne, lange Quer- strich oberhalb des dicken die L~ngsachse des KSrpers,

tier kurze Querstrich F an dessen einem Ende den Full, der kleine Kreis am anderen Ende den Kopf, die bogenfSrmige Linie daneben die Vorderseite des OberkSrpers, der Punkt H das Hfiftgelenk, der Punkt K das Kniegelenk.

Versuchsperson liegt also in Abbildung a langgestreckt mit passiv gestreckten Beinen auf dem Untersuchungstisch.

In b haben wir eine Lage vor uns, in der wir den Patellarreflex in der Klinik meist auslSsen (Versuchsperson liegt auf dem Untersuchungstisch, das Bein ist im Knie- und Hfiftgelenk leicht gebeugt, in der Kniekehle

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durch die Hand des Untersuchers unterstfitzt). In Abbildung c liegt sie nut mit der Rfickseite des OberkSrpers und der Riickseite des Ober- schenkels auf; die Unterschenkel h~tngen durch ihre Schwere fiber den Tischrand frei herunter, im Knie etwa im rechten Winkel gebeugt. In d 1 sitzt Versuchsperson auf dem Untersuchungstisch, ihr Rficken ist an die Wand angelehnt, die Beine sind im Knie gestreckt. In d 2 haben wir die gleiche Stellung in Knie und Hiiftgelenk; Versuchsperson ]iegt aber hier auf dem Rficken, das gestreckte Bein wird durch den Unter- sucher senkrecht nach oben gerichtet und in dieser Stellung gehalten.

Es besteht bei a vSllige passive Entspannung der 3 Vasti, die vom Oberschenkel entspringen, m~{3ige passive Dehnung bzw. Spannung des fiber das Hfiftgelenk nach oben hinaus zum Becken ziehenden Rectus cruris. (Ursprung spina anterior inferior bzw. rauhe Grube des Darmbeins.)

Bemerken will ich hier noch, daB, wie bei dem zweigelenkigen Rectus cruris eine passive elastische Spannung dann im allgemeinen um so leiehter zu erreichen ist, wenn der Muskel, bzw. seine Sehne, fiber zwei oder mehrere Gelenke hinzieht, bei den sog. zwei- oder mehrgelenkigen Muskeln, am ausgesprochensten in unseren Fingern, wenn diese gleichzeitig mit der Hand in allen Gelenken gebeugt sind. Ich werde dies noch eingehend in einer anderen Arbeit zur Sprache bringen.

In der Lage a ist in der Norm kein Patellarreflex auszulSsen, bei Steigerung der Reflexerregbarkeit dagegen schon sehr deutlieh.

Bei b haben wir eine miiBige, passive Spannung der drei Vasti und des Rectus cruris (wir haben hier eine Stellung, in der wir wie gesagt in der Klinik meist die Patellarreflexe untersuchen und in der Norm gut aus- 15sen kSnnen.)

Bei c besteht st~rkste passive Dehnung bzw. Spannung aller vier KSpfe des Quadrizeps, insbesondere des Rectus cruris, der PateUarsehne und des Nervus cruralis. Je tz t t r i t t schon in der Norm beim Klopfen auf die Patellarsehne eine sehr lebha/te Zuckung auf, von der Form des gesteigerten Reflexes.

Bei d 1 und d 2 besteht eine st~rkste passive Entspannung der drei Vasti und des Rectus eruris. Dabei ist der Patellarreflex beim Normalen durch Beklopfen nicht auszulSsen und erscheint bei Kranken mit Reflex- steigerung erheblieh schw~tcher, als bei b.

Bei d 1 haben wir andererseits eine st~rkste passive Spannung des Gemellus surae (Ursprung am Oberschenkel) sowie des Biceps, Semimem- branosus und Semitendinosus (alle drei vom Becken bis zum Unterschenkel ziehend) und des Nervus ischiadicus ; noch starker ist sie bei gleichzeitiger Dorsalflexion des Fut]es. Der AchiUessehnenreflex ist dabei in der Norm schon sehr lebhaft.

Bei b, g und h besteht eine m~Bige passive Spannung der drei Vasti, schwache passive Spannung des Rectus cruris. Bei h liegt der FuB mit der ganzen SoMe auf dem Boden, bei g nur mit der Ferse: Bei b und g ist der Patellarreflex sehr deutlich, bei h infolge der Reibung schwach.

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Bei e besteht .v611ige Entspannung der Achillessehne bzw. des Gastro- cnemius und des Ischiadicus bzw. seiner J~ste. Dabei t r i t t bei Klopfen auf die Achillessehne oder die Planta trotzdem der Muskel dabei gezerrt wird (s. unten), keine Zuckung auf, wahrscheinlich, weil keine Schwin- gungen entstehen. Bei f besteht mittlere passive Spannung des Gastro- cnemius. Ill dieser Stellung l~Gt sich der Achillessehnenreflex am bequem- sten und leichtesten ausl6sen. Bei a haben wir eine st/irkere Spannung des Gemellus surae und des Ischiadicus, weiterhin auch des Semimem- branosus, Semitendinosus und des Biceps. Auch hierbei ist der Achilles- sehnenreflex gut auszulSsen, abet nicht so bequem wie bei f.

Bei d 1 besteht st/trkste Spannung des Ischiadicus, des Gastrocnemius, sowie der Beuger des Unterschenkels.

Die gleiche Stellung von Unterschenkel und Oberschenkel zueinander und zur Hfifte haben wir in d 2 wo Versuchsperson auf dem Rficken liegt und wo ihr gestrecktes Bein passiv durch den Untersucher nach oben gerichtet wird. Diese Haltung ist bei Erkrankungen des Ischiadicus, wie bekannt, garnicht zu erreichen, weil schon beim Versuch, dies zu tun, heftige Schmerzen entstehen. Auch beim Gesunden ist diese Haltung fiir l~ngere Zeit unertr~glich. Aber etwas anderes machte sich mir dabei sehr deutlich bemerkbar : Je tz t ist durch Schlag auf die nun frciliegenden Sehnen des Semimembranosus, Semitendinosus und Biceps, die alle 3 vom Becken entspringen und am Unterschenkel inserieren, also zwei- gelenkige Muskeln sind, eine deutliche Zuckung in ihnen auszul5sen, was in Bauchlage nicht mSglich ist, weil hier Ursprungs- und hlsertions- ste[le einander genKhert, die Muskeln also nicht gespannt sind. Bei d* ist es dadurch erschwert, (tag die Sehnen der genannten Muskeln durch die Unterlage (die Tischplatte) gedeckt sind.

In seinem ausffihrlichen Werke ,,Die Sehnenreflexe" sagte Sternberg schon 1893: ,,Der Schlag mug so beschaffen sein, dab er Schwingungen erregt. Die Erzeugung yon solchen ist Grundbedingung zur Entstehung yon Sehnenreflexen . . . . Der Schlag muG, um Schwingungen hervor- zurufen, scharf und kurz sein. Der Gegenstand, der aufschl~tgt, mug unmittelbar danach wieder gehoben werden, damit er nicht nach Art der Ds des Klavieres die Schwingungen hemme . . . . Sie mug sich daher in einem gewissen Grade yon Spannung befinden. Diese hi~ngt ab yon der Stellung der Gelenke, auf welche die zur Sehne gehSrige Muskulatur wirkt. Nun befindet sich zwar, wie Weber gezeigt hat, jeder Muskel bei jeder Lage seiner Insertionspunkte in einem Zustande elastischer Spannung. Bei vielen Sehnen reicht jedoch ihre hierdurch erlangte Spannung bei jenen Stellungen des Gliedes, welche geringere L~ngen der zugehSrigen Muskel bedingen, nicht aus, um die Sehne schwingungsf~hig zu machen. Daher miissen die Gelenke in eine solche Lage gebracht werden, in welcher der Muskel und damit die Sehne starker gespannt ist. Damit die Sehne schwingungsf~hig sei, darf sie

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ferner nicht mit einem gr61~eren Anteile, namentlich aber nicht in dem Abschnitte, der bekiopft werden soll, auf einer Unterlage aufliegen. Diese Riicksicht bedingt wieder eine gewisse Lage der yon der Sehne beherr~chten Gelenke. Im allgemeinen geniigt die sog. Mitte|lage, um die Sehne hohl zu legen und geniigend zu spannen."

Was Sternberg hier sagt, wird durch meine Ausfiihrungen und Zeich- nungen deutlich veranschaulicht. Ich halte es allerdings ffir richtig zu sagen, der Muskel und die ihn erregenden Nerven miissen schwingungs- f/~hig sein und m6chte hier einige kurze Bemerkungen aus dem Gebiete der Schwingungen elastischer K6rper einfiigen: Wenn ich einen schlaffen Bindfaden (etwa 1 m lang und 2 mm dick) mit beiden H/~nden an seinen Enden anfasse und rasch dehne, aber nur so welt, dab er immer noch nicht gespannt ist, dann entstehen keine Schwingungen. Dehne ich ihn rasch mit einem Ruck bis zur straffen Spannung, dann entstehen Schwingungen, die deutlich sichtbar sind, einige Sekunden andauern und einen Ton ausl6sen. Wenn ich das eine Ende der Schnur an einen Balken befestige, dann an das andere Ende ein Gewicht, etwa 2 kg, anbringe, dieses Gewicht etwa 1/2 m hoch hebe und dann herunter- fallen lasse, so kommt es gleichfalls zur straffen Spannung; aber das Gewicht verhiitet jetzt das Zustandekommen von Schwingungen, w~hrend sie bei straffer Spannung durch den schnellen Zug meiner H/~nde bei deren Nachgiebigkeit zustande kommen.

Wenn ich auf die gespannte Saite der Violine einen kurzen Schlag ausiibe, dann schwingt und tSnt sie. Wenn ich eine Violinsaite (gleich- giiltig ob langsam oder schnell) bis zu straffer Spannung dehne und dann pl6tzlich loslasse, dann kehrt sie durch die Elastizit~t mit zunehmender Geschwindigkeit in die Ausgangsstellung zuriick, geht bei dieser grol~en Geschwindigkeit infolge des Tr/~gheitsmomentes dariiber hinaus und fiihrt (gleichfalls infolge der Elastizit/~t und Tr/s im Anschlusse daran eine Reihe yon allm~hlich erlSschenden Nachschwingungen mit einem deutlichen Tone aus. Lasse ich sie dagegen langsam in die Aus- gangsstellung zurfickgehen, dann schwingt sie nicht. Auf/s Weise kann ich bei unserem Sehnen-Muskelapparat und den zugeh6rigen Nerven das Zustandekommen von Schwingungen und dadurch das Zustande- kommen der Sehnenreflexe fSrdern oder verhiiten. Es ist also nicht.wie Sternberg sagt, das unmittelbare Heben des Hammers nach dem Sehlag das Wesentliche, sondern das schnelle, pl6tzliche Heben; mit anderen Worten: Ein Heben, das schneller vor sich geht, als die Riickw/~rts- bewegung der Sehne durch die Elastizit/~t und so der Sehne, dem Muskel und dem Nerven die M6glichkeit zum Schwingen 1/~gt. Bei einem un- mittelbaren langsamen Heben wiirden keine Schwingungen zustande kommen. Im iibrigen bin ich, wie Sternberg 1 auf Grund meiner Beob- achtungen der Ansicht, dal~ das AuslSsen von Schwingungen im Sehnen-

i Sternberg: Die Sehnenreflexe, 1893, S. 3--5 (Der erregende Schlag).

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muskelapparat und seinen Nerven die mechanische Grundbedingung zur Entstehung der Sehnenphiinomene ist.

In seiner Monographie: ,,Die Eigenreflexe" hat P. Ho//mann vor- geschlagen, die Sehnenreflexe in Zukunft als ,,Eigenreflexe" zu bezeiehnen, Er sagt darin Seite 3 und 7, ,,jeder Muskel hat seinen Eigenreflex" und Seite 7: ,,Der physiologische Reiz ist eine Zerrung des Muskels in der L/~ngsrichtung". Auf Seite 43 und 73 weist er darauf hin, dab zur Aus- 16sung des Reflexes eine Anfangsspannung vorhanden sein muB und daB eine Zunahme der Spannung erforderlich ist. Gemeint ist hier unter Anfangsspannung eine aktive Spannung des betreffenden Muskels und unter Spannungszunahme gleichfalls eine Zunahme der aktiven Spannung. Klarer noch als hier ist dies an anderer Stelle zu ersehen: In seiner Arbeit 1 sagt Ho//mann: ,,Es gelang mir nun mit Hilfe der eleganten, oben erw/~hnten Methode nachzuweisen, dab die Eigenreflexe in einem festen VerhMtnisse zu der willkiirlichen und fremdreflektorischen Inner- ra t ion stehen, insofern, als mit dieser Zunahme die Eigenreflexe gebahnt, mit Abnahme gehemmt werden. Ohne vorherige Grundspannung kommt gar kein Reflex zustande. Diese Grundinnervation kann allerdings v611ig unwillkiirlieh sein. Sehon die minimalste Xnderung der Inner- rat ion ver/indert die Stitrke der Reflexe ganz erheblich. Bei sehr inten- siver willkiirlicher Innervation erreicht die Reflexerregbarkeit enorme Grade."

Was Ho//mann mit Hilfe der ,,eleganten" Methode na~weisen konnte, das maeht sich dem Auge des Praktikers im allgemeinen aber gar nicht bemerkbar. Der Kliniker fordert ja auch im Gegensatz zu Ho//mann, wenn er in Lage b oder h den Patellarreflex priifen will, die Versuchsperson auf, die Muskulatur zu entspannen, das Bein bei b auf der untergelegten Hand, bei g und h auf dem Stuhlsitz und FuBboden ruhen zu lassen, damit eine aktive Spannung des Quadrizeps nicht erforderlich ist, bzw. ausgeschlossen wird.

Wenn Versuchsperson auf dem Stuhl sitzend (g) den Unterschenkel, bzw. die Ferse etwas vom FuBboden, den Obersehenkel yore Stuhl hebt, dann wird der Quadrizeps aktiv gespannt und jetzt ist durch einen Schlag yon mittlerer St/trke in der Regel kein Patellarreflex auszul6sen. Jedenfalls ist dabei keine Zuckung des Muskels, keine Bewegung des Untersehenkels zu sehen. Durch einen sehr starken Sehlag kommt aller- dings dabei manchmal eine sehr lebhafte reflektorische Zuekung des Quadrizeps zustande, die aber keine ausgiebige Streckung des Unter- sehenkels ausl6st.

Den Nachweis, dab jeder Muskel seinen Eigenreflex hat, erbringt Ho//mann in der oben erw/~hnten Monographie durch das Aktionsstrom- bild (S. 53) ,,nach der elektrischen Reizung der Tibialismuskulatur

1 Ho]]mann, P.: ,,l~ber die Natur der Sehnenreflexe (,,Eigenreflexe") und ihr Verh/~ltnis zur Sensomobilitat". Dtsch. Z. Nervenheilk. 82, 274.

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folgt die indirekte (A) Zuckung und dann in entsprechendem Abstande die reflektorische, hier kleinere (B) Zuekung." - - DaB dieser zweite Aktions- strom dureh einen reflektorischen Reiz zustande kommt, ist wohl nieht zu bestreiten. Aber den Erfolg des elektrisehen Reizes (die indirekte [A] Zuckung) ,,dureh den er ausgel6st wird, kann man doch nicht als Zerrung des Muskels in der Lgngsrichtung bezeiehnen, die ja naeh Ho/[mann der physiologische Reiz ffir die Ausl6sung der Eigenreflexe sein soll.

Es kommt doch dabei nicht zu einer Verl~ngerung des Muskels wie bei der Zerrung, sondern im Gegenteil zu einer Verkfirzung des Muskels. Beim Schlag auf die gespannte Sehne kommt es zu einer Zerrung und zu einer Verl~ngerung der Sehne und des Muskels und zu mehreren Naehschwingungen. Das geht deutlich hervor aus den drei feinen Schwin- gungen im Anfange der Kurve die ich in einer friiheren Arbeit beschrieben habe 1

Der Reiz, der durch die elektrisehe Reizung des Muskels nach dem ersten Aktionsstrom noch einen zweiten reflektorischen Aktionsstrom, den sog. Eigenreflex (H) ausl6st, ist doch zweifellos ein anderer, als der, durch den der Kliniker seinen Sehnenreflex zustande bringt. Unter diesen Umst~nden kann man aber meines Erachtens die beiden Reflex- vorg~nge nicht als identiseh bezeiehnen, wie dies nach der Ansicht yon Ho]]mann der Fall sein soll.

Meines Erachtens ist fiir die AuslSsung der Sehnenreflexe nieht, wie Ho]]mann sagt, die Zerrung als solche, der physiologisehe Reiz, sondern sie ist es nur dadurch, dal~ sie durch den Schlag Schwingungen bzw. Erschfitterungen in dem betreffenden Muskel, bzw. dem betreffenden Nerven, ausl6st. Und eine aktive Anfangsspannung des Muskels, eine Verkfirzung, braucht dabei nicht vorhanden zu sein; eine passive Spannung, bzw. Dehnung geniigt. Diese kann aber, wie aus den oben angeffihrten Beispielen von mir und aus den Beobachtungen yon Bumke hervorgeht, auch dureh Verl~ngerung, durch Dehnung und diese durch entspreehende passive Stellung des Gliedes bewirkt werden, und zwar auch bei Kranken, mit Hypotonie oder Atonie: bei einem im Anfangsstadium befindlichen Tabeskranken, den ich untersuchte zur Zeit, als ich meine Versuehe fiber die Elastizit~t unserer Muskeln anstellte und bei dem nach Ansicht eines erfahrenen Nervenarztes die Patellarreflexe fehlten, konnte ich sie einwandfrei ausl6sen, als ich den Kranken in Stellung c braehte. Bei 4 anderen F/~llen mit Areflexie, die ich 2 Jahre sparer untersuchte, gelang es mir nicht; in den folgenden Jahren hatte ich keine Gelegenheit, die Untersuchungen auf diesem Gebiete fortzusetzen. 1931 erhielt ich sie an der psychiatrischen Klinik der Universit/~t Diisseldorf (Direktor Prof. Dr. Sioli).

Unter dem Material, das mir zur Verffigung stand, befanden sich aueh 5 Fi~lle mit fehlenden Patellarreflexen, unter andern 2 Tabiker

1 P/ahl, J.: Zur Physiologie des Patellarreflexes. Z. Neur. 117, H, 2/3.

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im Anfangsstadium. Bei keinem dieser Kranken konnte ieh sie auf die oben angefiihrte Weise ausl6sen. Den einen yon ihnen, der noch relativ gewandt war, habe ich hiiufig untersucht. Ich habe dabei auch, dem oben erwahnten Vorgange von Bumke folgend, die Unterschenkel in starke Hyperflexion gebracht (wie es durch die punktierte Linie in L a g e c angedeutet ist) habe dazu den Patienten in Riiekenlage gebracht (hoch- gradige passive Dehnung bzw. Spannung des Rectus cruris) konnte aber hier niemals den Patellarreflex ausl6sen.

Dagegen konnte ich bei verschiedenen anderen Kranken mit ge- steigerten Reflexen wie auch in friiheren Jahren sehen, wie deren Starke durch passive Stellung, respektive Lagerung in ausgesprochener Weise beeinflu6t wurde: bei einem Kranken mit rechtsseitiger Hemiplegie war der Patellarreflex in Lage b rechts gesteigert, links von normaler Starke. Noch lebhafter war er reehts beic. Auch bei d 1 war er rechts noch stiirker als links, konnte abet nicht mehr als gesteigert bezeichnet werden.

Bei Lage a konnte rechts Patellarklonus ausgel6st warden, bei d dagegen nicht.

Bei einem anderen Kranken, der infolge einer Kopfverletzung seit 6 Jahren an einer rechtsseitigen spastischen Hemiparese litt, war der Patellarreflex bei b sehr lebhaft (~- gesteigert), bedeutend starker als links. Auch bei d war er rechts noch etwas starker als links, konnte hierbei aber nieht mehr als gesteigert bezeichnet werden. Bei a waren Patellarklonus und ausgesprochene spastische Erscheinungen zu be- merken, die auch hier bei d etwas starker wurden, aber in geringerem Grade.

Auch bei Kranken mit doppelseitiger Steigerung der Reflexe an den unteren Extremitaten, z. B. bei Kranken mit leichter Postencephalitis konnte man sehen, wie die Sti~rke der Reflexe in hohem MaBe abhangig war yon der passiven Ste]lung des Gliedes. Hier waren die Patellar- reflexe schon bei b sehr lebhaft, noch starker bei c, echeblich schw~cher wieder bei d.

DaB die Zerrung als solche nicht der physiologische Reiz ffir die Ausl6sung der Zuckung des Muskels bzw. des Reflexes ist, geht auch noch aus folgenden Versuchen hervor:

Wenn ich bei Stellung a die Vola meines linken Zeigefingers auf den suprapatellaren Teil der Quadrizepssehne lege, die Patella etwas nach abwarts drficke, dadurch den Quadrizeps passiv spanne und nun mit dem Percussionshammer einen Schlag gegen die /~adialseite des Zeige- fingers ausffihre, dann tr i t t eine deuthche Zuckung auf, noch st~trker bei Stellung c. Tue ich das gleiche bei d 1, dann tr i t t keine Zuckung auf, trotzdem auch hier eine ,,Zerrung" des Muskels in der L~ngsrichtung stattfindet, well er hier vorher v611ig durch die Stel[ung entspannt ist.

Wenn ich bei e einen Schlag auf die Achillessehne ausiibe, dann tr i t t keine Zuckung auf, trotz der ,,Zerrung", die dabei zustande kommt,

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wahrscheinlich deshalb nieht, weil hier der Muskel passiv entspannt ist. Bei Stellung f 16st der Schlag eine ausgesprochene Zuckung aus, weil die Zerrung hier (bei der passiven Spannung des Gastrocnemius durch das Eigengewicht des FuBes) Schwingungen hervorruft. Diese Schwin- gungen werden fibrigens aueh ausgel6st bei Sehlag auf die Fugsohle (etwa in der Mitte zwisehen /tugerem und innerem Ballen) und rufen eine ausgesprochene Zuckung des Gastroenemius hervor. Ein direkter Sehlag auf die Sehne is~ also nieht erforderlieh. Die Wirkung des Sehlages fibertrggt sich ja auf die Sehne mit dem zugeh6rigen Muskel. Ebenso 15st ein Sehlag auf die Vorderseite des Untersehenkels (Tibia), die Vorder- seite des Sprunggelenkes oder Fugriiekens eine Zuekung im Quadrieeps aus, insbesondere bei Lage e.

Wenn ieh, neben dem Tiseh sitzend, die Rfiekseite meines linken Oberarmes auf die Tischplatte lege, den Unterarm im reehten Winkel beuge, d. h. nach oben richte und Hand und Finger passiv ad maximum strecke, dann werden die fiber mehrere Gelenke ziehenden langen Finger- beuger augerordentlich stark gedehnt und passiv gespannt, l~be ich jetzt auf die Beugeseite des Endgliedes eines oder mehrerer Finger einen Druck in der Richtung des Pfeils $ (Abb. 1, Fig. K) aus, dann spiire ich einen starken elastischen Widerstand, der mir yon mehreren Kollegen, die mir Versuchspersonen waren und die unvoreingenommen an den Versuch herangingen, als spastischer Widerstand bezeichnet wurde.

Etwas _~hnliches kommt zustande, wenn ieh bei der Haltung, die in Figur i wiedergegeben ist, auf die Riickseite der Mittelglieder der Finger driicke. Drficke ieh dabei in rhythmischer Weise mehrere Male in der Sekunde auf diese Stelle, dann erfolgt eine rythmische Ab- und Aufw/trtsbewegung der Hand, die die grSgte Ahnlichkeit mit dem Fug- klonus hat.

Zusammenfassung. Die Stellung unserer Glieder und die ihr entsprechende elastische

Spannung der betreffenden Muskeln ist yon grSgter Bedeutung ffir das Zustandekommen, die St~rke und den Ablauf der Sehnenreflexe, der klonischen und spastisehen Erscheinungen. Sie mug bei unseren Unter- suehungen, insbesondere auch bei Vergleichen immer berficksiehtigt werden.

Wir k6nnen die Patellarreflexe nur dann als v611ig erlosehen be- zeiehnen, wenn sie aueh bei st/irkster passiver Dehnung bzw. Spannung nicht auszul6sen sind.