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Aus der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Abteilung für Kieferorthopädie Die Bewegung des Sechsjahrmolaren unter Lipbumper-Therapie bei Anwendung der röntgenkephalometrischen Superimpositionstechnik INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Zahnmedizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Vorgelegt 2008 von Felix Tobias Prömm geboren in Ostfildern - Ruit

Die Bewegung des Sechsjahrmolaren unter Lipbumper … · In der Folge stellt Denholtz 1964 seine Labialbogenkonstruktion vor, das ... („The Denholtz Muscle Anchorage Appliance“)

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Aus der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kie ferheilkunde

der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

Abteilung für Kieferorthopädie

Die Bewegung des Sechsjahrmolaren unter Lipbumper-Therapie

bei Anwendung der röntgenkephalometrischen Superimpositionstechnik

INAUGURAL-DISSERTATION

zur

Erlangung des Zahnmedizinischen Doktorgrades

der Medizinischen Fakultät

der Albert-Ludwigs-Universität

Freiburg im Breisgau

Vorgelegt 2008

von Felix Tobias Prömm

geboren in Ostfildern - Ruit

Dekan: Prof. Dr. med. Ch. Peters 1. Gutachter: Prof. Dr. I. Jonas 2. Gutachter: PD Dr. D. Schulze Jahr der Promotion: 2008

1

Meinen Eltern gewidmet

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Geschichtlicher Überblick 3

3 Physiologische Grundlagen der Studie 6

3.1 Anteriore Komponente der okklusalen Kraft 6

3.2 Verankerung 6

3.3 Wachstum und Röntgensuperimposition 7

3.3.1 Kraniofaziale Wachstumsmechanismen 8

3.3.2 Endostale und periostale Apposition und Resorption 8

3.3.3 Displacement, Relokation, Kortikalis-Drift oder Translation 9

3.3.4 Remodellierung (Transformation) 10

3.3.5 Funktionelle Matrix und Wachstumsfelder 10

3.3.6 Wachstumsäquivalente im Unterkiefer 11

3.3.7 Umsetzung für die Superimpositionstechnik 12

3.4.1 Unterkiefer-Wachstum 13

4 Der Lipbumper 16

4.1 Wirkung des Lipbumpers 16

4.1.1 Zahnaufrichtung 16

4.1.2 Platzhalter 17

4.1.3 Hemmung von Dyskinesien 17

4.1.4 Engstandsauflösung 18

4.1.4.1 Engstandsauflösung mittels Leeway-Space 18

4.1.4.2 Engstandsauflösung mittels Expansion 18

4.1.4.3 Engstandsauflösung mit Distalisation 19

4.1.5 Bisshebung 20

4.1.6 Nebenwirkungen 21

4.2 Klinik 21

4.2.1 Labialbogen 21

4.2.2 Vestibuläre Schilder 21

4.2.3 Positionierung 22

4.2.4 Einsetzen 23

4.2.5 Tragedauer 24

2

4.3 Literaturübersicht 25

4.3.1 Vertikale Effekte 25

4.3.2 Transversale Effekte 25

4.3.3 Sagittale Effekte 26

4.3.4 Skelettale Effekte 27

4.3.5 Beziehungen zu Alter, Geschlecht und zweiten Molaren 28

4.3.6 Verankerung 28

4.3.7 Beziehungen zwischen Lipbumpern und zirkumoralen Kräften 29

4.3.7.1 Kieferorthopädische und orale Kräfte 29

4.3.7.2 Lipbumper-Kräfte 30

4.3.8 Therapiezeitpunkt 30

5 Indikationen zur Lipbumpertherapie 32

5.1 Zahnkippung 32

5.2 Zahnwanderung 32

5.3 Orofaziale Dyskinesie 33

5.4 Dentale Engstände 33

5.5 Kontraindikation 35

6 Fragestellung 36

7 Material und Methode 37

7.1 Patientengut 37

7.2 Behandlungsgerät 38

7.2.1 Lipbumper-Design 38

7.2.2 Positionierung 38

7.2.3 Manipulation und Kontrollen 39

7.3 Dokumentation und Auswertung 39

7.4 Odontometrische Analyse 39

7.4.1 Platzanalyse und Diskrepanzberechnung 40

7.5 Röntgenkephalometrische Analyse 41

7.6 Methode 42

7.6.1 Superimpositionstechnik 42

7.6.2 Referenzpunkte 43

7.6.3 Anwendung der Superimpositionstechnik 45

3

7.6.4 Orthopädische Verlagerung 46

7.6.5 Nomenklatur zu den Überlagerungen 49

7.6.6 Messung und Koordinatensystem 49

7.6.7 Winkelmessung 50

7.7 Therapie im Oberkiefer 51

7.8 Statistische Auswertung 51

8 Ergebnisse 52

8.1 Methodischer Fehler 52

8.2 Patientengut 53

8.3 Röntgenkephalometrische Analyse 54

8.3.1 Winkelmessung 54

8.3.2 Y-Achse 55

8.3.3 Sagittale Diskrepanz 55

8.4 Odontometrische Analyse 56

8.5 Röntgenbild-Überlagerung 56

8.5.1 Erster unterer Molar 56

8.5.2 Unterkiefer-Frontzahn 60

8.5.3 Menton 61

8.5.4 Pogonion 62

8.5.5 Condylion, Gonion 65

9 Diskussion 67

9.1 Material und Methoden 67

9.2 Zahnbewegungen 68

9.3. Knöcherne Bewegungen 71

9.4 Schlußfolgerung 73

10 Zusammenfassung 74

11 Literaturverzeichnis 75

12 Abkürzungsverzeichnis 80

13 Lebenslauf 81

14 Danksagung 82

1

1 Einleitung

Lipbumper eignen sich zur Auflösung von anterioren Engständen, da sie verschiedene Effekte

gleichzeitig errreichen76; dazu gehört das Aufrichten gekippter Zähne, labial Bewegen der unteren

Frontzähne, bukkale Expansion, Derotation der Molaren30, die Distalisierung unterer Seitenzähne

und die Sicherung des Leeway-Space46. Gleichzeitig können potentielle Verursacher von Eng-

ständen wie ein erhöhter Unterlippen- oder Mentalis-Tonus gehemmt werden.

Anteriore Engstände treten oft früh in Erscheinung und sind zudem auf lange Sicht vom erneuten

Verlust des erworbenen Platzes gekennzeichnet64,105. Die Anomalie basiert auf einem multifaktoriel-

len Geschehen und vor allem die skelettale Basis scheint die Unveränderbarkeit der intercaninen

Distanz auszumachen. Eine Behandlung ohne Rezidiv sollte zum optimalen Zeitpunkt des Wachs-

tums stattfinden, andererseits kommt es generell - auch bei unbehandelten Personen – mit zuneh-

mendem Alter (ca. ab dem 20. Lebensjahr) zu einer langsamen, aber progredienten Engstands-

ausbildung in der Front97,105. Die Biomechanik ist essentieller Bestandteil der Kieferorthopädie,

weswegen die Therapie meist mechanisch orientiert ist37. Die biomechanischen Umstände zu ver-

stehen, ist somit die Basis, um den physiologischen und natürlichen Weg der Engstandsauflösung

nutzen zu können37.

Im Zeitalter des Platzes – des „space age“ – nach Graber wird darauf hingewiesen, den durch den

Zahn hervorgerufenen Wachstumsimpuls nicht durch Extraktion zu verlieren37. Der Zahn soll seine

Kapsel bestimmen. Das geht nur wenn er ohne Hindernis dazu in der Lage ist. Wenn Moss72 den

Zahn als funktionelle Matrix für das Alveolarknochenwachstum bezeichnet, dann geht Fränkel39

einen Schritt weiter zur perioralen Muskulatur. Man muss vorbeugend die schädlichen Einflüsse der

Kapsel auf die Dentition abfangen, damit die Entwicklung der Mundhöhle nicht behindert wird.

Dazu führte Fränkel die Funktionsregler ein, welche mit vestibulär liegenden Kunststoffschilden den

Zug der Muskulatur modulieren38.

Moss´ Prinzip der funktionellen Matrix und ihr Einfluss auf die skelettalen Einheiten kann man

nicht nur für die Prävention anwenden, sondern auch auf eine schmerzfreie Methode der

kieferorthopädischen Behandlung übertragen. So können zur Korrektur von Deformationen die

gleichen Muskeln genutzt werden, welche mit ihrer Dysfunktion die Fehlstellung erst hervorriefen50.

Wenn im Unterkiefer eine hyperaktive Muskulatur über die Unterlippe das Profil abflacht, können

vestibuläre Schilde den entstehenden Engstand behandeln. Ohne ein hemmendes Lippenhabit wird

die Zunge dann die Unterkieferfrontzähne labial bewegen, was den Zahnbogen verlängert und den

2

Overjet und Engstand auflöst50. Vestibuläre Schilde oder Lipbumper werden dafür als exzellente,

interzeptive kieferorthopädische Geräte beschrieben, um eben solche Lippenhabits zu

stoppen40,50,109. Sie schirmen entgegenwirkende Kräfte der perioralen Spannungsumklammerung

(„perioral tension brace“39) ab, die, wie bei Mundatmung, zu einer Deformation des Viszero-

kraniums führen.

Die Weichgewebssteuerung des Zahndurchbruchs durch Lippen, Zunge und Wangen ist ein

epigenetischer Faktor, also indirekt hereditär und formt funktionell. „Genauer gesagt, können wir

genetisches Wachstum nicht stimulieren, aber wir sind in der Lage, die biomechanischen

Bedingungen sowohl für die Wachstumsdynamik als auch für die funktionellen Kräfte zu ändern.

Unter diesem Gesichtspunkt bieten die vestibulären Schilde des Funktionsreglers einen neuen Weg

einer funktionellen Therapie sowie der klinisch-experimentellen Methodologie“37. Wenn man mit

dem Wachstum arbeitet und früh das Training für ein korrektes Zusammenspiel der Muskulatur

ermöglicht, kann man sozusagen ein Habit der Norm schaffen.

Doch genauso wie die Funktionskieferorthopädie an ihre Grenzen stößt, ist auch die biomecha-

nische, distalisierende Komponente der Behandlung mit dem Lipbumper begrenzt. Zur Engstands-

Auflösung ist sie nur mit Unterstützung der Molarenaufrichtung und der Expansion bei der Therapie

des mäßigen anterioren Engstandes wirkungsvoll. Eine größere distale Zahnbewegung im Unter-

kiefer zu erreichen, ist gefragt. Daß es die Distalisation mit Lipbumper tatsächlich gibt, hat sich

durch tomographische Untersuchungsmethoden gezeigt. Ob man die Begrenzung des Ausmaßes der

Distalbewegung mit dem Lipbumper überschreiten kann, wird sich in Zukunft durch neue Studien

und Herangehensweisen an schon Bekanntem zeigen. Im Folgenden wird die Technik der

Behandlung mit dem Lipbumper in Bezug auf den orthodontischen Anteil der Bewegung des

unteren Molaren betrachtet werden.

3

2 Geschichtlicher Überblick

Roux´ Konzept der funktionellen Anpassung (1883) – die Fähigkeit der Organe sich in höherem

Maße ihren Funktionen anzupassen – und J.B. de Lamarcks biologische Entwicklungstheorie bilden

die Basis der Funktionskieferorthopädie. Der Knochen und seine Form sind Produkt der Funktion

der Muskulatur39. Die Abhängigkeit des Wachstums von der Funktion wird von Moss 196272 mit

dem Prinzip der funktionellen Matrix und ihrem Einfluss auf die jeweilige skelettale Einheit

bestätigt. Die Form ist demzufolge abhängig von der funktionellen Beanspruchung. Der Vorreiter in

der Umsetzung von Roux´ Theorie ist 1902 Robin. Er setzt sein Ziel, die Zungenfunktion bei

Kleinkindern mit Pierre-Robin-Syndrom zu ändern, im so genannten Monobloc um, der noch ohne

Einbiss angefertigt wird.

1907 meint Angle, und wird 1918 von Alfred Paul Rogers zitiert: „The influence of the lips is an

interesting study and almost every malocclusion has some manifestation of it”2. Der Einfluss der

Lippen bekundet sich beinahe in jeder Malokklusion. Damit spricht Angle im Sinne der Funktions-

kieferorthopädie von der Wechselwirkung zwischen Hart- und Weichgewebe.

Das Ziel der funktionellen Behandlung ist das Gleichgewicht von Kieferbasen und Weichgewebs-

funktion, d.h. die harmonische Funktion des Kausystems herzustellen. Somit sollen die genetischen

Anlagen der Kiefer, Zähne und Muskeln, sowie deren Funktion und ihre epigenetische

Beeinflussung in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht werden – ohne Kraftapplikation,

sondern durch Führung der Entwicklung bzw. sogar nur durch Hemmung von dysfunktionellen

Einflüssen.

1913 beschreibt Newell ein Schild, um Mundatmung zu verhindern81. Der „mouth shield“ oder „oral

screen“ ist ein gummiertes Schild im Vestibulum und entwickelt sich von einem Abschirmgerät zur

Behandlung von Mundatmern in verschiedene Formen für den Einsatz bei Zungen- und

Lippendyskinesien, als Verankerungseinheit und zur Bewegung von Frontzähnen.

Körbitz verwendet 1913 den so genannten Lippenformer als Mundvorhofplatte (MVP), der aber

auch den Zähnen anliegt60.

Grundlagen zur funktionellen Behandlung von Dysgnathien und deren Rezidiv bildet die Myo-

funktionelle Therapie A.P. Rogers´ 1918, die Beispiele funktioneller Behandlung aufzeigt98. Als

Begründer der Funktionskieferorthopädie (FKO) gelten heute Viggo Andresen (1870-1950) und

Karl Häupl (1883-1960). Mit ihrem Vorläufergerät des Aktivators nutzen sie 1936 körpereigene

4

Kräfte zur Korrektur von Bissanomalien. Das aus Pierre Robins Monobloc entwickelte Gerät übt

durch eine Veränderung des funktionellen muskuloskelettalen Gleichgewichtes einen Reiz aus, der

Kau,- Zungen- und Wangenmuskulatur aktiviert und damit eine knöcherne Anpassung bewirkt.

Da das neurologische Umprogrammieren bei einem Gerätetragen während der Nacht nicht unbe-

dingt erfolgreich sei, entwickelt Fränkel 1955 die MVP weiter. Daraus entsteht der Funktionsregler

(FR), der im Prinzip eine skelettierte und im Oberkiefer abgestützte MVP ist. Der FR dient als

Übungsgerät, dessen kleinere Dimensionen auch das Tragen tagsüber ermöglicht.

Der FR benutzt auch das Vestibulum als apparative Basis, um einen „unnatürlich neuromotorischen

Stereotyp“ funktionell zu beeinflussen. Er soll nicht nur zum Bissausgleich und zur Bissnivellierung

dienen, sondern darüber hinaus auch die apikale Basis in ihrem Wachstum fördern oder

hemmen38,39.

1956 führt Kraus die so genannte „Hemmungstherapie“ ein62. Er sieht die Wirkung von Lippen-

schildern in der spontanen Rehabilitation durch Hemmung der Dsyfunktionen und durch Ermög-

lichen des physiologischen Reflexes in natürlicher Haltung („rehabilitation by inhibition“).

Kraus´ Konzept basiert auf der Idee, dass eine durch einen reinen Reflex ausgelöste Bewegung mehr

physiologische und deswegen verlässliche Ergebnisse erzielt, als bei durch den Willen kontrollierten

Übungen nach Rogers. Das Problem von Rezidiven sei die bleibende Fehlmotorik, die durch

natürliche Reflexbewegungen am Besten verändert werden könne. Im gewissen Sinne sind die

Hemmungsschilder „ortho-muskulär“. Die so genannten „Screens“ oder Hemmungsschilder sollen

unnatürliche Funktionen hemmen, abnorm gebildeten Geweben bei dem Zurückkommen zum

individuellen Trend der Entwicklung helfen und den originalen Stimulus ersetzen. Kraus´ Schilde

kann man nicht benutzen, um Zähne oder Kieferteile aktiv zu bewegen. Sie liegen abstehend von

den Zähnen locker im Vestibulum, weswegen sie die ersten nicht orthodontischen Geräte darstellen.

Nach dem zweiten Weltkrieg kommt die interzeptive orthodontische Behandlung im Wechselgebiss

mehr zur Geltung. In der Folge stellt Denholtz 1964 seine Labialbogenkonstruktion vor, das

Denholtzsche Muskelverankerungsgerät („The Denholtz Muscle Anchorage Appliance“) (s. Abb. 1).

Die Apparatur hat ihre volle Verankerung an der Lippe und überträgt deren Kraft auf die Zähne. Die

Verankerung ist nach Denholtz an der Oberlippe und hält die oberen ersten Molaren am Ort,

wodurch die Antagonisten im Unterkiefer in die gewünschte Angle-Klasse-I-Beziehung geführt

werden. Der Oberkiefermolar wird zurückgehalten, um einen Distalbiss durch Mesialwanderung im

5

Oberkiefer zu verhindern.

Die Einsatzmöglichkeiten sind weit gefächert. Man soll dieses Gerät verwenden können, um obere

sowie untere Molaren nach dorsal bewegen zu können, als Platzhalter im Wechselgebiss, als

Retainer, als Trainer für hypotone Lippen, um Mundatmern einen Lippenschluss beizubringen oder

in verschiedenen Variationen mit Gummizügen, auch extraoral und als Adjuvans bei anderen

Therapien27.

Abb. 1. The Denholtz Muscle Anchorage Appliance für den Oberkiefer; nach27.

Der Draht nach Denholtz wird von Duyzings31 Lipbumper genannt. Er ähnelt einer halben MVP mit

einem Labialbogen, der bukkal in die Schlösser der unteren Molarenringe inseriert wird. Dadurch ist

der Unterkiefer frei im Wachstum nach anterior und lateral und die Apparatur schafft dadurch

gleichzeitig Platz im Zahnbogen.

Aus dem Jahr 1965 stammt ein früher Bericht über den Lipbumper von Renfroe. Dabei dient das

Gerät dazu, hypertone Unterlippen von den Zahnreihen abzuhalten, wobei in einem Fall sogar eine

Angle-Klasse I zu einer Klasse II überstellt wird96.

Seit 1968 taucht der Lipbumper häufiger in der Literatur auf. Klinische Fallstudien beschreiben und

vergleichen das Gerät in der klinischen Praxis. Gruppenstudien und Übersichtsartikel belegen

mittlerweile die Platz erhaltende und Platz schaffende Wirkung. Als unimaxilläres Gerät zur

funktionellen Behandlung von mäßigen Engständen im Wechselgebiss wird der Lipbumper heute

anerkannt und eingesetzt12,15,22,71,80,109.

1966 berichten Subtelny et al. über die Distalbewegungen von Molaren mittels Lipbumper bei 22

von 25 Patienten109. Dennoch wird die Möglichkeit der Distalbewegung des Molaren bis heute noch

in Frage gestellt. Mit dem Analyseverfahren nach Baumrind et al.9,10 soll daher die Molaren-

bewegung bei diesem therapeutischen Vorgehen besonders betrachtet werden.

6

3 Physiologische Grundlagen der Studie

Nach frühzeitigem Zahnverlust, bei Zahndurchbruchsstörungen und bei vererbten oder erworbenen

Engständen kann es zu unkontrollierten Zahnbewegungen kommen. Diese Bewegungen werden

durch die mesial gerichtete Kraftkomponente ausgelöst. Um sie zu verhindern, muss entgegen der

Kraft eine Verankerung stattfinden. Mittels Lipbumper kann ein in die Lücke gekippter Zahn

aufgerichtet, verankert und ein mäßiger Engstand ausgeglichen werden. In diesem Kapitel wird auf

die für diese Arbeit notwendigen Begriffe und Mechanismen der Kräfte eingegangen. Dazu gehören

die anteriore Kraftkomponente, die Verankerung und die Wachstumsprinzipien.

3.1 Anteriore Komponente der okklusalen Kraft

Jeder Zahn unterliegt nach seinem Durchbruch in die Mundhöhle einer nach anterior gerichteten

Wanderung. Zahnwanderungen können nach Verlust eines Zahnes vorkommen. Man spricht auch

von Mesialwanderung oder Mesialdrift.

Für die Zahnwanderung ist eine gerichtete Kraft notwendig. Diese wird aus mehreren Komponenten

bestehend erklärt. Dazu gehören der nach anterior gerichtete Kraftvektor der Kaukraft, der Druck

der intra- und perioralen Weichgewebe, die mit dem Alter zunehmende Kraft der Muskulatur, die

Form und Winkelstellung der Zähne und der Zug der transseptalen Fasern.

Dieser lebenslang anhaltende Prozess hat als physiologischen Hintergrund den Ausgleich der ap-

proximalen Attrition, so wie bei Elefanten der Hauptmahlzahn nachrückt oder Haie Revolvergebisse

benutzen, weswegen die anteriore Kraftkomponente mit als Ursache des tertiären Engstandes gilt.

3.2 Verankerung

Als Verankerung bezeichnet man den Widerstand eines Objektes, wenn es als Widerlager für eine

Kraft benutzt wird29. Jede Verankerung im menschlichen Organismus kann nicht absolut sein, da sie

innerhalb des Systems Gegenkräfte auslöst (actio ↔ reactio).

Die Verankerung mit Zähnen als Widerlager ist abhängig von der Zahnform und Anzahl der Zähne,

der Anzahl der Wurzeln und deren Länge, sowie der Achsenstellung der verankernden Zähne. Dies

spiegelt sich auch in den Verankerungsgraden wider:

7

- Minimale Verankerung

Die Abstützung der zu verankernden Molaren erfolgt über die Front, weswegen sie sich nach mesial

bewegen können.

- Mittlere Verankerung

Hier stützen sich die 1. Molaren gegen die Frontzähne, wobei sie sich etwas nach mesial bewegen

dürfen. Diese Verankerung wird auch reziproke Verankerung genannt, weil beide Segmente sich

gleich stark bewegen.

- Maximale Verankerung

a.) eine zahnunabhängige, stationäre Verankerung kann im Oberkiefer extraoral mit einer

Tragedauer eines Headgears von 12 Stunden erreicht werden

b.) relativ stationär intraoral im Unterkiefer mittels

- Lingualbogen an möglichst vielen Zähnen

- bukkaler Wurzeltorque, d.h. Wurzelkippung in die Kortikalis

- intermaxillärer Klasse-III-Gummizüge

- funktionskieferorthopädisch mittels Lipbumper, also Weichgewebsabstützung

c.) stationäre Verankerung durch retromolar oder im teilbezahnten Gebiss eingefügte Implantate.

Da alle Gewebe auf Zug und Druck reagieren, kann es nur eine relative Verankerung in verschiede-

nen Stärken geben. Einzig retromolar oder im teilbezahnten Gebiss eingefügte Implantate sind trotz

reziproker Krafteinwirkung ortsstabil und stellen eine Möglichkeit der stationären Verankerung dar,

weswegen sie sich zunehmender Beliebtheit erfreuen110.

Die Einschränkung der maximalen Verankerung, die auch als kritische Verankerung bezeichnet

wird, offenbart schon die Definition: „Bei der maximalen Verankerung erfolgt nach Zahnextrak-

tionen der Lückenschluss vorwiegend von mesial“56.

3.3 Wachstum und Röntgensuperimposition

Zur Differenzierung zwischen lokalen ossären Wachstumsvorgängen, sekundärer Knochen-

verlagerung und Therapie bedingten Einflüssen auf Fernröntgenseitenbildern mittels der Über-

8

lagerungstechnik nach Baumrind et al.10, wie sie in dieser Arbeit vorgenommen wurde

(s. Kap. 7.6.1), ist die Kenntnis der unterschiedlichen Entwicklungsmechanismen der Gesichts-

schädelknochen notwendig.

3.3.1 Kraniofaziale Wachstumsmechanismen

Das kraniofaziale Knochenwachstum geschieht nicht einfach durch eine symmetrische

Vergrößerung der Knochen. Prinzipiell liegen ihm die drei Mechanismen Größenzunahme,

Knochenumbau und Verlagerung zugrunde. In der Wachstumsphase regt das Weichgewebe als

Schrittmacher die Hartgewebestrukturen gezielt an, sich durch Resorption und Apposition zu

verändern, wodurch sie sich im Raum verdrehen oder als ein Ganzes verlagern können.

Abb. 2. a) appositionelles b) resorptiv-appositionelles c) Kortikalis-Drift Wachstum Wachstum nach94

3.3.2 Endostale und periostale Apposition und Resorption

Knochenanlagerung wird als appositionelles Wachstum bezeichnet, während der Abbau von

Knochen Resorption genannt wird (s. Abb. 2). Während der Entwicklung überwiegt das appositio-

nelle Wachstum leicht, wodurch sich die Knochen vergrößern.

Wachstum findet sowohl an den äußeren Oberflächen, dem Periost, als auch den inneren

Oberflächen, dem Endost, der Knochen statt. Bewegt sich das Wachstum in eine Richtung, so findet

an der in Wachstumsrichtung liegenden Seite periostale Apposition und endostale Resorption statt.

An der der Wachstumsrichtung entgegengesetzten Seite wird dementsprechend periostal resorbiert

und endostal Knochen neu gebildet (s. Abb. 3).

9

Abb. 3. Periostal-endostales Zusammenspiel; nach94 Abb. 3 a) Periostales und endostales Wachstum Abb. 3 b) Rotation an einer Umkehrlinie führen zusammen zu einem Drift des gesamten Knochens

3.3.3 Displacement, Relokation, Kortikalis-Drift oder Translation

Bei gleich bleibender Wachstumsrichtung verlagern sich beide Kortikalisflächen zusammen und

man spricht von einer „direkten Relokation“ (s. Abb. 2 c und 3 a), bzw. einem Kortikalis-Drift33.

Durch direkte Relokation kann der Knochen als Ganzes durch eigenes Wachstum relativ zu anderen

Strukturen bewegt werden. Dadurch wird im Bereich der gelenkigen Verbindungen Platz für

Knochenzuwachs geschaffen. Man spricht hier von primärem, weil selber verursachtem

Displacement (s. Abb. 4). Findet die Verlagerung eines ganzen Knochens durch Wachstum an einer

anderen entfernten Stelle statt, spricht man von sekundärem Displacement oder auch Translation33

(s. Abb. 5). An Umkehrungslinien treffen sich appositionelles und resorptives Wachstum an einer

Knochenoberfläche, was zu einer Rotation der Knochenstruktur führt (s. Abb. 3 b).

Abb. 4. Primäres Displacement und dorsale Remodellierung Abb. 5. Sekundäres Displacement und alveoläre

des Unterkiefers; nach94 Repositionierung des Unterkiefers; nach94

10

3.3.4 Remodellierung (Transformation)

Wenn der Kondylus wächst, wird der Unterkiefer nach anterior verschoben. Der aufsteigende Ast

wird für den Erhalt der Funktion daraufhin nach dorsal angepasst, was als Remodellierung

bezeichnet wird (s. Abb. 4). Die Remodellierung findet nach den Prinzipien der peri- und endostalen

Resorption und Apposition statt und formt so den Knochen nach den funktionellen Ansprüchen.

Diese Anpassung wird nach Enlow auch Transformation genannt33.

3.3.5 Funktionelle Matrix und Wachstumsfelder

Der Impuls zu den knöchernen Wachstumsvorgängen liegt in den Weichgeweben. Als funktionelle

Matrix bestimmt das Weichgewebe die so genannten Wachstumsfelder, an denen es ansetzt, und

schafft auf diese Weise viele Flächen mit unterschiedlichem Anpassungsbedarf (s. Abb. 6). Nach

diesem Prinzip der Oberflächen können an ein und derselben Kortikalis appositionelle und

resorptive Umbauvorgänge auftreten. Diese Schrittmacherfunktion des Weichgewebes regt das

Wachstum sehr gezielt an und kann damit die Kortikalis im Raum verdrehen oder verlagern. Jede

Knochenverlagerung beginnt mit einer Wanderung der Wachstumsfelder innerhalb der zugeordneten

Bindegewebsmembranen (z.B.: Periost und Endost, Suturen, Parodont). Diese Weichgewebe

bestimmen dann ihrerseits die Veränderungen des darunter liegenden Knochens, der von ihnen, den

Wachstumsfeldern, kontrolliert wird94. Als funktionelle Matrix steuert das Weichgewebe also das

Knochenwachstum. Über das Bindegewebe entsteht eine Rückkopplung zum Knochen – wenn

Form, Größe und biomechanische Eigenschaften übereinstimmen – welche die histogenetische

Aktivität der osteogenen Membranen vermindert112.

Abb. 6. Wachstumsrichtungen des Unterkiefers; nach94

11

Abb. 7. Besonders aktive Wachstumsfelder; nach94

Dabei gibt es viele Wachstumsfelder, die sich summieren können (s. Abb. 6 und 7), aber keine

einzelnen Oberzentren, wie bisher z. B. vom Kondylus angenommen. In der Summe ist die Haupt-

wachstumsrichtung des Unterkiefers nach hinten und oben gerichtet (s. Abb. 6).

Da sich dabei einzelne Teile des Schädels (vordere Schädelbasis, sphenookzipitaler Komplex,

nasomaxillärer Komplex und Unterkiefer) in unterschiedliche Richtungen bewegen, spricht man von

Wachstumsäquivalenten, die sich in direkter Wechselwirkung ausgleichen34.

3.3.6 Wachstumsäquivalente im Unterkiefer

Für die vorliegende Arbeit von speziellem Interesse ist der Bezug dieser Vorgänge auf den Unter-

kiefer. Wachstumsäquivalent des Corpus mandibulae ist der Oberkiefer, weswegen auch der Unter-

kiefer am Ramus ascendens nach dorsal remodelliert. Der hintere Ramusanteil und der Kondylus

wachsen schräg nach hinten oben und der Unterkiefer verlagert sich nach vorne unten. Zusammen

werden beide Kiefer durch primäres Displacement, also eigenes Wachstum mit sekundärer

Relokation, nach vorne verlagert. Durch das Wachstum der mittleren Schädelbasis wird der

Unterkiefer zudem sekundär (sekundäres Displacement) nach vorne unten verlagert. Die dabei

auftretende stärkere Anteriorverlagerung der Maxilla gleicht der Unterkiefer mit der

Remodellierung des Ramus ascendens hierbei wieder aus. Die mittlere Schädelgrube stellt das

Wachstumsäquivalent des Ramus ascendens dar.

Gleichzeitig wandern (driften) die Zähne in den Alveolen dorsal. Resorption und Apposition der

Alveolarflächen führen zu einem Drift der Zähne, durch den sie ihre relative Position im

Kieferkamm beibehalten können (s. Abb. 5).

12

3.3.7 Umsetzung für die Superimpositionstechnik

Kieferorthopädische Bewegungen bestehen meist aus einem orthodontischen und einem

orthopädischen Anteil. Die orthodontische Zahnbewegung wird üblicherweise als die Bewegung des

Zahnes im Knochen angesehen, während die orthopädische Zahnbewegung sekundär aus der Lage-

veränderung des Knochens selber entsteht9.

Abb. 8. Mandibuläre Überlagerung Abb. 9. Überlagerung auf der vorderen Schädelbasis

Bei der Überlagerung von Fernröntgenseitenbildern (FRS) kann man je nach Ort der Super-

imposition die Wachstumsanteile unterscheiden und somit eine Zahnbewegung in orthopädische und

orthodontische bzw. lokale Anteile aufteilen. Eine Superimposition auf dem Umriss der Mandibula

zeigt die lokale Dislokation bzw. im Vergleich mit der Kontrollgruppe die rein orthodontische

Zahnbewegung (s. Abb. 8).

Abb. 10. Durchzeichnung der drei Überlagerungen der Röntgenbilder; die Pfeile zwischen den Referenzpunkten der mesialen Höckerspitze stellen die unterschiedlichen Wachstumsanteile dar: 1 die totale Verlagerung, 2 die orthopädische

Verlagerung und 3 die orthodontische Verlagerung.

13

Bei Überlagerung auf der vorderen Schädelbasis ist die totale Verlagerung der Knochen,

hervorgerufen durch die verschiedenen Wachstumszentren des Gesichts, unter anderem der Fossa

mandibularis, des Kieferköpfchens und Kieferwinkels, zu erkennen. Es sind hier die resultierenden

Vektoren aus der kombinierten orthodontischen und -pädischen Bewegung des Zahns zu sehen

(s. Abb. 9). Der orthopädische Anteil der Bewegung wird durch Subtraktion des lokalen vom Vektor

der totalen Verlagerung erkenntlich (s. Abb. 10 und Kapitel 7 „Material und Methoden“).

3.4.1 Unterkiefer-Wachstum

In den USA führten hohe Rückfallraten nach Expansionstherapie in den 40er Jahren des letzten

Jahrhunderts zu einer Phase der Extraktionstherapie. Dazu trug auch Brodies Meinung18 bei, man

könne durch Kieferorthopädie keine Knocheneffekte hervorrufen. Die „genetisch vorbestimmte

Unantastbarkeit der Knochendimension“ stammt hauptsächlich aus der Missinterpretation von

Brodies Studie über das mandibuläre Wachstum10. Während des zweiten Weltkrieges wurden in

Europa einfache Geräte gefragter und damit auch einfache Methoden wie die funktionelle Therapie.

Wo Breitner 1940 die Condylus-Modellierung in Tierversuchen erforscht hatte, setzen nach dem

Krieg nun viele wieder an. Darunter waren Baume, Derichsweiler, Moss, Enlow, Harris und

Fränkel, sowie McNamara, Harvold und Petrovic, welche die Frage des Knochen- bzw.

Unterkieferwachstums wieder aufwarfen10.

Heute weiß man, die Knorpelspangen des Unterkiefers bilden beim Neugeborenen eine Synarthrose,

die im 1. Lebensjahr in eine Synostose übergeht und später desmal eingeschlossen wird; das Kinn

mineralisiert also im 1. Lebensjahr.

Abb. 11. Unterkieferwachstum zum Zeitpunkt; nach114

(a) der Geburt (b) 12 Monate (c) 10 Jahre

Zur bildlichen Darstellung der Gegebenheiten zeigen uns die Abbildungen zum Zeitpunkt der

Geburt die knorpelige Struktur an der Mittelinie des Unterkiefers, die ein schnelles Wachstum in

14

transversaler Richtung ermöglicht (s. Abb. 11 a. Unterkieferwachstum).

Im Alter von 12 Monaten hat der vordere Teil des Unterkiefers, in dem das Milchgebiss

untergebracht ist, im Großen und Ganzen seine Erwachsenengröße erreicht (s. Abb. 11 b).

Im Alter von 10 Jahren ist der Unterkieferkörper durch dorsale Erweiterung länger geworden

(s. Abb. 11 c)114.

Nach Graber51 ist das Kinn beim männlichen Geschlecht in der Lage, bis über das 20. Lebensjahr

hinaus zu wachsen. Vergleicht man die vereinfachten Werte der perinatalen Zahnbogenbreite von

ungefähr 30 mm mit der von Erwachsenen mit 40 mm106, muss der Unterkiefer in den Jahren von

der Geburt bis zum 20. Lebensjahr um etwa 10 mm wachsen69.

Während der ersten Wechselgebissperiode kommt es nur zu einer geringen Breitenzunahme der

Kieferbögen von durchschnittlich 2,0-3,0 mm, wohingegen die Länge um 10-12 mm zunimmt,

wodurch das Molarenfeld entsteht – der wichtigste Platzfaktor im posterioren Unterkiefer.

Baumrind und Korn konnten ein systematisches laterales Displacement von Implantaten im Alter

zwischen 8 und 12 Jahren nachweisen8. Die Schwierigkeiten des Beweises zeugen von dem

geringen Ausmaß dieser Breitenzunahme der internen Unterkieferstrukturen im Alter zwischen acht

und zwölf Jahren.

Hervorzuheben ist aber die potentiell gegensätzliche Meinung Miethkes, die Synarthrose der

Knochenspangen des Unterkiefers spiele für die Breitenentwicklung praktisch keine Rolle, ganz im

Gegensatz zum V-Wachstum70. Dies verweist auf die Frühbehandlungsphase104, denn Schädeldach

und -basis haben 90% ihres Wachstums im Alter von sechs Jahren abgeschlossen114. Auch nach van

der Linden ist bei keiner dieser beiden Strukturen ein puberaler Wachstumsschub zu beobachten,

beziehungsweise wenn, dann nur von geringer Bedeutung114.

Man geht davon aus, dass über die Gelenkpfannen eine Grenze des Breitenwachstums der Mandibel

gegeben ist114. Dies ist im Zusammenhang mit dem gesamten Schädelbreitenwachstum zu sehen,

das mit etwa 2 bis 3 Jahren beendet ist. Somit ist die endgültige Lage der Gelenkgruben an der

Unterseite der Schädelbasis frühzeitig festgelegt, und der Breitenentwicklung der Mandibula sind

relativ enge Grenzen gesetzt70. Außerdem findet eine Remodellierung der Kinnprominenz – mit

kranialer Rückbildung – statt, wodurch die anterioren Platzverhältnisse eingeschränkt werden108.

Die mögliche transversale Bewegung wird durch das Nachlassen der Aktivität des Wachstums

erschwert. Während dieses Problem in sagittaler Richtung erst nach der Pubertät auftritt, ver-

langsamt sich das Breitenwachstum schon um den Zeitpunkt der Geburt. Insgesamt wächst der

15

Kiefer intrauterin vor allem transversal, nach der Geburt entgegengesetzt mehr sagittal und um so

weniger in der Breite103. Man kann daraus schließen, dass das größte Transversalwachstum perinatal

abgeschlossen ist, woraus Burstones Äußerung resultiert: „Ohne Sutur in der Mandibel ist keine

echte skelettale, sondern nur eine dentale Dehnung möglich“21. Matthews meinte 1961, eine Zu-

nahme der intercaninen Dimension ist ab einem Alter von 6 bis 7 Jahren nicht zu erwarten, da zu

diesem Zeitpunkt das grundlegende Wachstum der Symphyse als beendet angesehen wird und nur

noch eine Zunahme in der Struktur der Mandibula unsere Beobachtung findet66. Nach Matthews

Einschätzung ist es „Wunschdenken den Unterkiefer während oder nach der Wechselgebissphase

mechanisch zu verbreitern und ein stabiles Ergebnis zu erwarten, [...] desgleichen unnütz einen

Retainer zu setzen und zu hoffen, es festigt damit den Platz“66. Das erklärt die Retentions-

schwierigkeiten der intercaninen Breite und das Problem der Wachstumszunahme der anterioren

Unterkieferregion24.

Nach gewöhnlicher transversaler Expansion mit Lingualbogen und Edgewise-Mechanik ist in der

Retention ein stabileres Ergebnis im posterioren Anteil des Unterkiefers zu erwarten als anterior im

Bereich der intercaninen Breite57. Wenn nun der Abstand intermolar vergrößert werden kann, aber

intercanin keine Erweiterung möglich ist, scheint es im Sinne der funktionellen Behandler logisch,

früher zu agieren, solange noch genügend transversales Wachstumspotential in der Symphyse

vorhanden ist92.

Wenn man von einem Idealfall ausgeht, so sollten die Platzverhältnisse im Sinne von Angle

ausreichend sein. Das Breitenwachstum sollte dann rein theoretisch aber auch bis zur Einstellung

aller Frontzähne noch aktiv sein oder aber über gewisse Reserven verfügen. Die physiologischen

Reserven sind durch das Unterkieferwachstum, den Leeway-Space und das alveoläre Wachstum mit

dem Zahndurchbruch gegeben. Dabei vergrößert sich der Korpus beinahe in alle Richtungen.

Die Zahnbogenausformung und das zircumorale Kräftegleichgewicht stellen zusammen mit einer

stabilisierenden Okklusion und Funktion die Grundlage für Stabilität im orofazialen System dar90.

Die genetische Veranlagung kann man nicht verändern. Was aber wenn Umweltbedingungen die

skelettale Reifung beeinträchtigen. Einige Formen des frontalen Engstandes sind nach Woodside119

neuromuskulären oder umweltbedingten Ursprunges und teilweise auch ohne Behandlung rever-

sibel.

16

4 Der Lipbumper

Der „Draht nach Denholtz“28 wurde von Duyzings „Lipbumper“ (Lb) genannt30. Lipbumper nutzen

körpereigene Kräfte und zählen daher zu den funktionskieferorthopädischen Geräten. Das aber nur,

sofern man ein nur teilweise herausnehmbares und mit Halteelementen versehenes, das heißt nicht

lose eingelegtes Gerät überhaupt zu den funktionskieferorthopädischen Geräten rechnet. Zudem

sollten funktionskieferorthopädische Geräte im Sinne Andresens und Häupls über den Einbiss die

Kieferrelation verändern. Nach Fränkel liegt der Zweck von funktionskieferorthopädischen Geräten

sogar nur im Abhalten und Ermöglichen einer anderen Funktion. Da der Lb sowohl Kräfte abhält als

auch direkt eine Kraft auf die Molaren ausübt, liegt er zwischen den theoretischen Definitionen.

Lipbumper sind unimaxilläre Geräte, im Gegensatz zu ähnlichen funktionellen Apparaturen wie der

Mundvorhofplatte. Im Oberkiefer werden sie auch im Sinne von Pelotten eingesetzt. Der im

Unterkiefer verwendete Lipbumper ist vielseitig einsetzbar. Subtelny bezeichnet die Verwendung

des Lipbumpers im Unterkiefer als gleich bedeutend mit der des Headgears im Oberkiefer109. Die

starke Verankerung eines Headgears hat deutliche Vorteile gegenüber einem Lipbumper, schließt

gleichzeitig aber die Verwendung im Unterkiefer wegen einer Beeinträchtigung der Kiefergelenke

durch Einwirkung von Druckkräften aus. Im Gegensatz zu anderen Molaren aufrichtenden Thera-

pien, wie Platten oder Multiband-Apparaturen, findet bei dem Lipbumper die Abstützung nicht

dental, sondern muskulär statt.

4.1 Wirkung des Lipbumpers

4.1.1 Zahnaufrichtung

Primäre Wirkung des Lipbumpers ist der aufrichtende Effekt des Lippendrucks auf die Molaren 15,26,35,54,80,85. Das Aufrichten spielt zur Platzgewinnung bei Engstand eine wichtige Rolle, sorgt für

eine bessere parodontale Situation und damit auch eine bessere Prognose bei eventuell folgender

Prothetik63. Der Druck der perioralen Muskulatur wird über die Lippen genutzt, indem der

Labialbogen diesen auf die ersten oder zweiten Molaren, bzw. den zweiten Milchmolaren

überträgt58. Über die nach posterior gerichtete Kraft werden die Molaren gehalten, aufgerichtet oder

unter Umständen sogar distalisiert30,52.

Bei einem Vergleich der Therapiemethoden steht hier die festsitzende Variante mit Bebänderung

17

mehrerer Zähne, versehen mit Bögen und aufrichtenden Federn, dem halb-herausnehmbaren

Lipbumper gegenüber, der daher eine bessere Mitarbeit des Patienten voraussetzt. Sein Vorteil ist

die Verankerung in der Lippe, wodurch reziproke Kräfte auf die Zähne, wie bei der Edgewise-

Technik, ausgeschlossen werden.

4.1.2 Platzhalter

Die Frühbehandlung und die Korrektur im Wechselgebiss helfen der weiteren normalen Entwick-

lung und verringern die Notwendigkeit eines späteren kieferorthopädischen oder chirurgischen

Eingriffs50,67,68,86,101. Ziele dabei sind Unregelmäßigkeiten der Zahnbogenform, der Okklusion und

der Kieferrelation frühzeitig vorzubeugen bzw. zu korrigieren und funktionelle Störungen

auszuschalten95.

Das Ergebnis der Verankerung mittels Lipbumper ist so einfach wie wirkungsvoll. Durch den Erhalt

der Bogenlänge kann der für die Eruption der bleibenden Zähne notwendige Platz erhalten und

somit Engständen vorgebeugt werden43,46,47,101. Ohne Vorbehandlung verhindert ein Lb bei 67% der

Lb-Patienten eine Mesialbewegung der unteren Molaren. Wenn vor dem Einsatz eines Lb durch

Elastics 1 mm distalisiert wird, verhindert er bei 86% eine Mesialbewegung der unteren Molaren bei

einer Tragedauer von mindestens 83 Tagen12.

4.1.3 Hemmung von Dyskinesien

Wenn keine anderweitigen Gründe dem entgegenstehen, kann durch die Verwendung eines Lip-

bumpers mit großem labialen Schild die Abstellung von Lippenhabits oder Dyskinesien erreicht

werden40,50,109, Subtelny spricht auch von dem „Mentalis-Habit“109. Die schlechte Gewohnheit des

Lippenbeißens oder -saugens wird damit verhindert23,29, da das Schild den hyperaktiven M. mentalis

abhält. Das vestibuläre Schild macht den Lipbumper zu einem halben funktionskieferorthopädischen

Gerät. Die Wirkung liegt im Training regelgerechter Lippenhaltung und damit der Atmung, der

Zungenlage und des Mundinnendrucks. Dieselbe Muskulatur, die für die Dysgnathie verantwortlich

ist, kann eingespannt werden, um die Malokklusion zu korrigieren50. Das orofaziale System wird

harmonisiert und gibt gehemmte zentrifugale Kräfte frei, was eine Entwicklung nach ventral

ermöglicht.

18

Bei einem Lb mit Labialbogen kann der spielerische Anreiz eines Drahtbogens bei insuffizientem

Lippenschluss im Sinne eines Lippenschlusstrainings für hypotone Lippen eingesetzt werden27.

Dieser trainiert die Lippen und die periorale Muskulatur nach myofunktionellen Gesichtspunkten 98.

4.1.4 Engstandsauflösung

Zur Engstandsauflösung bedarf es eines stabilen Widerlagers in oder auch außerhalb der

Mundhöhle. Dehngeräte wie im Oberkiefer mit Quadhelix oder Pendulum würden die Zunge stören.

Die extraorale Verankerung mittels Headgear ist wegen der Kiefergelenksbeeinträchtigung nicht

möglich und intraorale Geräte bedürfen einer dentalen Verankerung mitsamt ihrer Nachteile. Einzig

ein Implantat umgeht die reziproken Auswirkungen. Daher eignen sich die Lb mit ihrer muskulären

Verankerung für die Therapie, die zugleich die körpereigenen Kräfte nutzen, die oftmals auch zu

dem klinischen Bild geführt haben.

4.1.4.1 Engstandsauflösung mittels Leeway-Space

Die Sicherung des Leeway-Space, der im Unterkiefer im Mittel 1,7 mm beträgt, kombiniert mit dem

Platz distal der Molaren ist oft schon ausreichend zur Auflösung eines moderaten Eng-

stands43,46,47,101. Dies ist mit der Platzhalterfunktion des Lipbumpers gut möglich. Durch das

Abhalten der Weichteile wird das untere Frontzahnsegment entlastet und die spontane Nachentwick-

lung in sagittaler und transversaler Richtung gefördert15,79. Die Größe des Gerätes im Vergleich zu

anderen Platzhaltern rechtfertigt sich dann, wenn gleichzeitig eine weitere Therapie wie z.B. ein

Lippentraining angezeigt ist.

4.1.4.2 Engstandsauflösung mittels Expansion

Nach Nance77 gibt es folgende Möglichkeiten der Platzgewinnung im Unterkiefer. Durch Aufrichten

gekippter Seitenzähne, Distalbewegung unterer Seitenzähne, durch Labialbewegung der unteren

Frontzähne und durch transversale Expansion. Durch eine transversale Aktivierung des Lipbumpers

kann hierbei der Unterkiefer vergrößert werden13,36,52,80,116. Dabei hält der Labialbogen das Weich-

gewebe von der unteren Dentition ab und ermöglicht der Zunge, einen expansiven Druck auf die

Seitenzähne auszuüben37. Die Lippen werden durch die Pelotten von den Zähnen abgehalten, was zu

19

einer Protrusion und Proklination der unteren Frontzähne durch die Zunge führt52, wobei aber die

Stabilität des Ergebnisses gefährdet werden kann.

Durch eine Derotation der Molaren, die TenHoeve mittels Lipbumper beschreibt, werden zudem

versteckte Platzreserven im Zahnbogen genutzt30,61,111 (s. Abb. 12).

Abb. 12. Derotieren mit Lipbumper; nach 30

4.1.4.3 Engstandsauflösung mit Distalisation

Auf der Suche nach einer Möglichkeit im Unterkiefer zu distalisieren, liegt der Vergleich des Lb im

Unterkiefer mit dem Headgear im Oberkiefer nahe109. Das Problem eines Headgears als extraorale

Verankerung im Unterkiefer ist die Schädigung des Kiefergelenks. Unterschiedliche Ergebnisse von

Studien zeigen, wie umstritten die Distalbewegung der Molaren mittels Lipbumper ist. Mit der

Empfehlung einer tomographischen Untersuchungstechnik wurde der skelettale Effekt des Lb

bestätigt25, doch gleichzeitig auch das geringe Ausmaß der Wirkung deutlich, da erst die feinere

Auflösung des Computertomographen die Wirkung beweisen konnte. Das Ausmaß der Molaren-

bewegung ist aber auch abhängig von technischen Aspekten wie der Schildgröße40,80,118 und des

Behandlungszeitraumes12. „Aufgabe eines Unterlippenschildes ist es ausschließlich bei Klasse II/1

[…] das Einlagern der Lippe zu verhindern […] bei gleichzeitiger Distalisierung der

Sechsjahrmolaren ist ein Lipbumper indiziert“93. Die Funktionskieferorthopädie erreicht eine

Positionsänderung der Zähne und der Kieferbasen durch Änderung bzw. Normalisierung der

Funktionsmuster der Kau- und orofazialen Muskulatur, einschließlich passiver und keiner aktiven

Zahnbewegung. Ein Lipbumper, der sowohl funktionell arbeitet, als auch einen dentalen Angriffs-

punkt hat, kann jedoch die Zahnbewegung auch entgegen der anterioren Kraftkomponente direkt

verursachen5,25,26,30,80,84,99,109. Das Ausmaß dieser Bewegung ist jedoch beschränkt12 (s. Tab. 1).

20

Autor Bjerregard et al. 1980

Attarzadeh & Adenwalla 1988

O´Donnel et al. 1990

Nevant et al. 1991* Nevant et al. 1991**

Molar Distal. (mm) 0 1,5 0,95 -0,02 1,5 * ohne Schild; ** mit Schild

Tabelle 1. Distalbewegung des Molaren durch Lipbumper.

Ein leichter bis mittlerer Engstand bei einer Angle-Klasse I kann mit dem Lipbumper aufgelöst

werden26,36,46. Dennoch ist der Platzgewinn nur selten ausreichend, um kieferorthopädisch indizierte

Zahnextraktionen zu vermeiden12. Wenn bei ausgeprägtem Engstand oder Platzmangel im Rahmen

des Zahndurchbruchs eine Expansion des Zahnbogens nicht ausreicht, kann mittels Klasse-III-Zügen

behandelt werden40,101(s. Abb. 13). Mit Klasse-III-Zügen zum Distalisieren der unteren Seitenzähne

ist auf diese Weise ein Platzgewinn von 4 mm pro Seite erreichbar, was bei schwachem Muskel-

tonus von Vorteil ist40.

Abb. 13. Kombination mit Klasse-III-Zügen Abb. 14. Headgear-Kombination; nach40

Zur Distalisierung der Seitenzähne bei mandibulärem Engstand wird auch die Kombination eines

Lipbumpers mit Headgear im Oberkiefer empfohlen4,120. Hierbei wird eine Angle-Klasse II/1 mit

Headgear überkorrigiert, mit dem Lipbumper der Unterkiefer geweitet und anschließend mit Klasse-

III-Zügen distalisiert111 (s. Abb. 14).

4.1.5 Bisshebung

Fränkel beschreibt den Lipbumper als eine gute Möglichkeit, bei Tiefbissfällen parallel den Biss zu

heben37, indem zuerst die zweiten und dann die ersten Molaren bewegt werden. Nach Meinung von

Autor Osborn et al. 1991 Werner et al. 1994 Davidovitch et al. 1994

Davidovitch et al. 1997

Seefeld 2003

Molar Distal. (mm) 0,36 -0,55 1,75 0,61 0

21

Gerety können die ersten und zweiten Molaren gleichzeitig distalisiert werden, damit die Siebener

während der Distalisation nicht extrudieren40.

4.1.6 Nebenwirkungen

Angaben zu Nebenwirkungen der Lipbumpertherapie sind selten. Der Abstand des Labialbogens zur

Zahnreihe schützt die Gingiva labial und ermöglicht eine regelmäßige Hygiene der Bebänderung an

den Molaren. An der Unterlippe können durch die Schilde vereinzelt entzündliche Reaktionen

auftreten12. Wenn Mucosairritationen bei Anwendung von Stahlbögen auftreten, können Plastik-

röhrchen oder auf den Draht übergezogene Schläuche aus elastischem Material Linderung ver-

schaffen71.

4.2 Klinik

4.2.1 Labialbogen

Ein Lipbumper besteht aus einem im Vestibulum liegenden, starren Bogen aus federhartem

Edelstahl, der 1,10 bis 1,14 mm (0.045 inch) stark ist. Manchmal wird nur mit einem auf-

geschrumpften Gummibezug des Labialbogens gearbeitet, je nach Indikation; so z.B.:

a) bei moderatem Engstand zum Erweitern des Unterkiefer-Frontzahnbogens und Halten des Platzes

bei Durchbruchssteuerung40 oder während der nachfolgenden Distalisierung der Seitenzähne mittels

Multiband-Apparatur,

b) zum einfachen Abhalten der Muskulatur bei Lippenbeißen,

c) zum Lippenschlusstraninig56.

4.2.2 Vestibuläre Schilder

Vestibulär können Pelotten oder ein Kunststoffschild am Lipbumper angebracht sein. Apikal sollen

die Kunststoffschilder in die Umschlagfalte hinein und posterior bis an die ersten Molaren heran-

reichen. Koronal enden die Pelotten ungefähr an den Labialflächen der unteren Frontzähne. Das

Schild darf die Wangen- und Lippenbändchen sowie den Lippenschluss nicht behindern und muss

deswegen anatomische Einziehungen aufweisen.

22

In der anterioren Region soll der Abstand des Gerätes zur Gingiva zwischen 4 und 7 mm betragen.

Diese Werte variieren stark in der Literatur. Ein größerer Abstand bringt mehr Kraft und schafft

mehr Platz. Dabei können durch die vestibulären Schilde rote Eindruckstellen entstehen. Hier muss

auf einen schmerzfreien Sitz geachtet werden, damit keine traumatischen Bedingungen auftreten.

Auf Höhe der Zähne und mit möglichst großer Ausdehnung bietet ein Schild die beste

Kraftangriffsfläche55. Zudem können größere Schilde Lippenhabits abstellen40.

In einer Übersichtsarbeit vergleichen Nevant et al.80 Lipbumper mit gummierten Drahtbögen

gegenüber vorgefertigten Lipbumpern mit Acrylschild. Die Beschilderten führten dabei zu mehr

distal gerichteter Kippung der Molaren und größerer Expansion in der Transversalen80. Anzufügen

wäre hier, dass in der Drahtbogengruppe das Gerät alle zwei bis drei Monate aktiviert wurde,

während die Schildgruppe alle vier bis fünf Wochen einbestellt wurde. Hodge et al. bestätigen die

höhere Kraft von Lipbumpern mit Schild. Sie geben eine 25 - 43% größere Kraft gegenüber

Drahtbogen-Lipbumpern an55.

4.2.3 Positionierung

Ein Abstand des Labialbogens in der Horizontalen von etwa 2 mm zur Gingiva schont diese und hält

die Wangen und Lippen ab. Es sollte also kein Kontakt mit dem Zahnfleisch oder den Zähnen

existieren, außer an den bebänderten Molaren. Der Drahtbogen kann im Frontsegment zwischen den

Eckzahnschlaufen tiefer gelegt werden als der hintere Anteil des Bogens. Dies erlaubt der Lippe,

sich anzulagern und die Front zu stützen40,71.

Abb. 15. Labialbogen-Positionierung; nach71 a: mittig b: gingival c: zu viel Platz

23

Zur Labialbewegung der Unterkieferfront wird der Labialbogen ins mittlere Drittel der Krone gelegt

(s. Abb. 15 a), ansonsten gingival positioniert (s. Abb. 15 b), damit die Lippe sich stützend anlagern

kann40. Die Lippe darf nicht die Möglichkeit haben sich zwischen Drahtbogen und Zähnen

einzulagern, da sie sonst einen gegenteiligen Effekt provozieren würde (s. Abb. 15 c)71.

Je näher ein Kraftvektor am Widerstandszentrum des Zahnes liegt, desto größer ist das Verhältnis

der Translations- zur Rotationsbewegung. Den Ansatzpunkt des Lb so nahe wie möglich an das

Widerstandszentrum zu legen, ohne das Parodont zu schädigen, wird über Bajonettbiegungen zu

erreichen versucht (s. Abb. 16). Wird die Wirkungslinie der Kraft mit Hilfe einer vertikalen Stufe

des Labialbogens von etwa 5 mm durch das Widerstandszentrum des Zahnes geführt, kann der

Molar körperlich bewegt werden30. Anders herum kommt es nach Dijkman unbedingt zu

Kippungen, wenn diese Stufe nicht eingebogen wird30.

Abb. 16. Kraftangriff im Widerstandszentrum; nach30

4.2.4 Einsetzen

Der Stahlbogen des Lipbumpers wird in Röhrchen an bebänderten Molaren eingesetzt und

horizontal ein- und ausgegliedert. In der Regel sind dies die unteren Sechsjahrmolaren. Vor den

Röhrchen können U-Schlaufen, Bajonettbiegungen oder angelötete Stopps zur Verankerung des

Bogens dienen. Durch Vordehnen der Apparatur in der Transversalen kann man ein Lingualrollen

der Molaren verhindern80. Die Patienten werden alle zwei bis vier Wochen zur Kontrolle oder

Justierung des Gerätes einbestellt117.

Der „Draht nach Denholtz“ wird zur Aktivierung mit Spiralfeder vor den Röhrchen eingesetzt

(s. Abb. 17).

24

Abb. 17. Draht nach Denholtz; nach28

4.2.5 Tragedauer

Das Gerät sollte ganztägig getragen werden, auch während der Mahlzeiten, wobei hier die

Patientenmitarbeit der ausschlaggebende Faktor ist. Zur Mundhygiene wird der Bogen heraus-

genommen und geputzt.

Die Dauer für welche ein Lb zum Abstellen von Dyskinesien eingegliedert wird, richtet sich nach

den funktionellen Gewohnheiten und deren Umstellung.

Zur Expansion gibt eine Studie von Murphy et al. einen guten Anhaltspunkt. Sie zeigt, dass während

der ersten 100 Tage 50% der gesamten Expansion mittels Lipbumper erreicht werden. Zwischen

dem 100. und dem 300. Tag werden weitere 40% gedehnt. In der Zeit nach dem 300. Tag ist nur

noch eine weitere 10%ige Erweiterung zu erwarten (s. Abb. 18). Murphy et al. schlussfolgern

daraus, dass es unnötig sei, einen Zahnbogen länger als 300 Tage mit Lipbumper zu erweitern74.

Abb. 18. Schematische Darstellung der Expansion bei Lipbumpertherapie in Abhängigkeit zur Tragedauer, nach74

25

4.3 Literaturübersicht

4.3.1 Vertikale Effekte

Perillo et al. schreiben von einer 0.9 mm höheren dentalen Basis nach einem Jahr Lipbumper-

therapie88. Dies kann auf die Bissöffnung bei Zahndistalisation zurückzuführen sein15.

4.3.2 Transversale Effekte

Eine Zunahme des Zahnbogenumfangs bei Lipbumpertherapie ist in der Literatur bekannt und wird

häufig erwähnt3,15,22,25,26,42,61,71,84,101,109,111. Bei Expansion bewirkt die Zunahme der Zahnbogenbreite

um 1 mm eine Vergrößerung des Zahnbogenumfangs von 0,37 mm 73.

Die größte Breitenzunahme ist dabei zwischen den Prämolaren zu erwarten71,118, während zwischen

den Molaren die Expansion am stabilsten ist48.

Der nicht mechanischen, sondern funktionellen Therapie, unter anderem mit dem Lipbumper,

schreibt Vanarsdall eine beeindruckende Stabilität der Zahnbogenbreite zu115. Werner et al.

berichten über eine auffällige Stabilität der Ergebnisse nach Lb-Therapie. Nach ihrem Ergebnis sind

die postretentiv gemessenen Zahnbögen alle breiter als nach Ende der Lb-Behandlung, besonders im

anterioren Segment. Gleichzeitige Kronen- und Zahnhalsmessungen zeigen eine vermehrte Trans-

versalbewegung der Wurzeln der Eckzähne und die Zahnbogenlänge nimmt in der Retention ab118.

Bei anderen Behandlungsmaßnahmen kommt es meist zu einem Rückfall der gewonnenen inter-

caninen Distanz nach der Retention20,64,65,87,105. Oft nimmt die Distanz um dieselbe Dimension

wieder ab, um die sie gedehnt wurde20,32. Nicht nur die Expansion in der Transversalen, sondern

auch die Resultate in der Sagittalen sind dabei nicht von Rückbewegungen verschont5. In einer

Übersichtsarbeit wird das Rezidiv der Unterkieferfront als unausweichlich bezeichnet, egal welche

Technik benutzt wird105. Auch eine Extraktionstherapie und das Aufrichten unterer Frontzähne

schützt dabei auf lange Sicht nicht vor der Ausbildung von Engständen17,32.

Durch eine andere Ausformung des Zahnbogens kann man zusätzlichen Platz gewinnen. Bei fixer

intercaniner Breite macht eine kontrollierte Frontzahnkippung um 1mm eine Zunahme der Zahn-

bogenlänge von 1,21 mm in Ellipsen, 1,51 mm in Parabeln und 1,61 mm in Hyperbeln möglich75.

Germane et al. berechneten mathematisch, dass eine Zahnbogenlängenzunahme durch Frontzahn-

protrusion im Unterkiefer den besten Vergrößerungseffekt des Zahnbogenumfangs hat, gefolgt von

26

der Eckzahn- und als drittes der Molarenexpansion41 (1 x Inzisivi = 2 x Canini = 4 x Molares).

Die Molaren- und die Eckzahn-Expansion zusammen erbringen nur wenig mehr als die Frontzahn-

Protrusion alleine41.

Die prozentuale Beteiligung der Front-, Eck- und Seitenzahnbereiche am Platzgewinn wurde von

Davidovitch et al. untersucht. Die Verringerung des Engstandes beruht auf einer Verteilung von 45-

55% durch Unterkieferfrontzahnkippung, 35-50% durch Molarendistalisation und -kippung, sowie

5-10% durch transversale Zahnbogenzunahme25.

4.3.3 Sagittale Effekte

Frontzähne

In der Sagittalen ist die Protrusion der Unterkieferfront (Auffächerung) bei Lipbumper-Therapie

bekannt3,12,23,25,26,40,82,84,99 und gleichzeitig mit am fragwürdigsten. Oft werden Veränderungen in der

Sagittalen allein der Frontzahnprotrusion zugesprochen; Gerety bezeichnet es als Mythos, dass die

alleinige und unzulängliche Wirkung des Lb die Unterkiefer-Frontzahn-Protrusion sei40. Es gibt

Beweise für deutliche Zunahmen der Unterkieferlänge durch verschiedene Anteile von Molaren-

distalisation gleichzeitig kombiniert mit Frontzahn-Proklination als auch -Protrusion84,99.

Eine Studie zu Verankerungsversuchen bei unilateraler Molarendistalisationen mittels Lingualbogen

zeigt auf, wie auch mit diesem Verankerungstyp die Unterkieferfront um 7.6° mesial kippt und um

2.6 mm protrudiert. Eine Kombination mit dem Lipbumper verändert diese Werte auf 1.7° und

1.2 mm59.

Molaren

Manche Autoren stellten nur einen aufrichtenden Effekt des Lb auf die Unterkiefermolaren fest15,109,

während andere berichten, dass eine leichte Translation des Widerstandszentrums nach distal bei

vornehmlicher Kippung der Front und der Molaren stattfindet78,85. Über eine eindeutige Distalisation

der Molaren mittels Lipbumper wird von verschiedenen Autoren berichtet3,5,25,30,61,78,80,82,84,109.

Sather et al. zeigten sich „beeindruckt von der Fähigkeit, mit dem Lb eine Distalbewegung zu

erreichen“, wobei sie dafür den Headgear zur Vorarbeit benutzten, und den Lipbumper mit Klasse-

III-Zügen kombinierten101. Auch andere Autoren geben an, dass deutliche Ergebnisse nur erreicht

werden, wenn das Gerät mit dem Tragen intermaxillärer Gummizüge kombiniert wird12,22,40.

Andernorts wird die „signifikante Distalisation der Verankerungszähne“ als unerwünschter Effekt

27

angesehen83.

Aufgrund unterschiedlicher Angaben ist die distalisierende Wirkung des Lipbumper nicht voll

anerkannt. Zudem ist sie in kombinierten Therapien schwer zu vergleichen.

Eine weitere Studie mit Anwendung intermaxillärer Züge zeigte, dass die erreichte distale Position

der Molaren allein im Zusammenhang mit der Tragedauer des Lipbumpers steht, aber nicht mit der

Tragedauer der Elastics12. Die Distalbewegung ist also abhängig von der Tragedauer des Gerätes.

Dessen Vorspannung, d.h. wie weit die Position in die Lippe hinein gewählt ist, bestimmt das

Ausmaß des Effektes12.

Das Konstruktionsdesign, speziell in Bezug auf die Größe der Schilde, hängt direkt mit der

übertragenen Kraft und damit auch mit dem Ausmaß der Distalbewegung zusammen80,85. Die

Molarenbewegung ist also abhängig vom verwendeten Lipbumpertyp78.

4.3.4 Skelettale Effekte

Skelettale Effekte erhofft man sich in der funktionellen Kieferorthopädie, sind aber schwer zu

erreichen. Funktionelle Geräte rufen kleine Zunahmen der Unterkieferlänge hervor, deren Ergebnis

nicht von den physiologischen Wachstumsvorgängen unterscheidbare, skelettale Veränderungen

sind24. Nur selten tauchen Berichte einer signifikanten skelettalen Zunahme auf und die finden meist

nur am Ramus ascendens oder den Condylen statt, wie z.B. nach Vanarsdall et al.116 in der Trans-

versalen zwischen den Punkten Antegonion. Und oft sind die Ergebnisse schwer zu vergleichen,

wenn, wie bei Vanarsdall et al., zeitgleich im Oberkiefer eine Gaumennahtsprengung durchgeführt

wurde. Andererseits wäre es übereilt, die Arbeit von Vanarsdall et al. unter zu bewerten, da nach

Grossen und Ingervall eine gleichzeitige Therapie im Oberkiefer keinen Einfluss auf das Ergebnis

einer Lb-Behandlung zu haben scheint52. Nach Bishara und Ziaja wird der zur Korrektur einer

Angle-Klasse II benötigte Platz von 6 mm mittels Funktionskieferorthopädie durch eine

Kombination orthopädischer (30-40%) und dentoalveolärer (60-70%) Wirkung erreicht14. Ganz

allgemein stellen die Autoren funktionelle Geräte nicht besser als festsitzende. Sie stellen eine

Möglichkeit der Behandlung dar, benötigen dazu aber Kooperation und Wachstum. Zudem sei eine

spätere, festsitzende Behandlung praktisch immer notwendig14.

Zu einem Durchbruch im Verständnis führt eine Arbeit von Davidovitch et al. über Lipbumper,

deren Wirkung tomographisch analysiert wurde. Messtechnisch bedingt gibt es einen signifikanten

28

Unterschied zwischen Messungen mit Tomographen und üblichen Röntgenaufnahmen. Die

Standardabweichung ist bei Röntgenaufnahmen größer und die Qualität ist ungenauer gegenüber der

Computertomographie. 1994 liefert ein Tomograph Davidovitch et al. signifikante Werte zur sagit-

talen Lipbumperwirkung25. Die andere Technik zeigt, dass nicht nur eine distale Kippung, sondern

tatsächlich auch eine posteriore Translationsbewegung stattfindet. Dieser Effekt tritt bei den klas-

sischen Röntgenbildern nicht signifikant in Erscheinung, auch wenn im Mittel die Werte doppelt so

hoch sind und bei der anteroposterioren Bewegungen der Molaren sogar drei mal so hoch. Die

Ergebnisse der Röntgenbilder zeigen einen Trend auf, als nicht signifikante, aber in die gleiche

Richtung weisende Daten, die denen der computertomographischen Bildauswertung gleichen25. In

der Sagittalen sind in den Tomogrammen signifikante Unterschiede im Gegensatz zu klassischen

Röntgenbildern zu erkennen, was Auswirkungen auf viele vorangegangene Studien zur Wirkung

funktionskieferorthopädischer Geräte hat. Bisher also traten die größten quantitativen Unterschiede

in der Bestimmung der Molarenposition bei der Analyse im FRS aufgrund der Einschätzung

unterschiedlicher Beobachter auf. Was lange diskutiert wurde, war einfach aufgrund der

eingeschränkten technischen Möglichkeiten früher nicht nachweisbar gewesen.

4.3.5 Beziehungen zu Alter, Geschlecht und zweiten Molaren

Bei Lipbumperbehandlung konnte keine eindeutige Beziehung gefunden werden zwischen Ver-

änderungen in Umfang oder Länge des Zahnbogens mit Therapiedauer, Zahndurchbruchsstatus oder

Alter der Patienten85.

Auch das Geschlecht scheint keinen Einfluss zu haben55,85. Selbst die zweiten Molaren üben keinen

Einfluss auf die Therapie bzw. den therapeutischen Effekt aus52,84,85. Nur einer aus 300 Personen mit

Lipbumperbehandlung wies einen verlagerten zweiten Molar auf53.

4.3.6 Verankerung

Der Vorteil des Lipbumpers ist die Lösung des Problems der reziproken Verankerung, bei welchem

die Wurzeloberflächen der Frontzähne denen des ersten Molaren gegenüber stehen. Eine maximale

oder stationäre, zahnunabhängige Verankerung ist nur mit Hilfe einer extraoralen Apparatur oder

mit Implantaten zu erreichen. Intraoral an Zähnen erreicht man eine relative stationäre Ab-

stützung102. Der entscheidende Vorteil der „muskulären Verankerung“28, wie sie bei einem Lip-

29

bumper möglich ist, liegt darin, das reziproke Kräfte nicht direkt auf die Frontzähne übertragen

werden. Bei Lipbumpertherapie liegt die Verankerung in der Unterlippe, wodurch die Wurzelober-

flächen des ersten Unterkiefer-Molaren dem Lippendruck gegenüberstehen, der sich nach dem

Kapsel-Matrix-Prinzip wieder auf die Zähne und Zahnstellung überträgt72. Ohne die Verankerung an

Zähnen können die negativen reziproken Auswirkungen wie Kippung und Drehung oder

Schädigung des Parodonts und der Ankerzähne anderer kieferorthopädischer Geräte vermieden

werden.

4.3.7 Beziehungen zwischen Lipbumpern und zirkumoralen Kräften

4.3.7.1 Kieferorthopädische und orale Kräfte

Kräfte des zweiten biologischen Wirkungsgrades, die mit 0,15-0,2 N/cm² auf die Wurzeloberfläche

einwirken, sind optimal zur orthodontischen Zahnbewegung, da die desmodontale Blutzirkulation

erhalten bleibt49. Dadurch werden Schäden vermieden und kontinuierlich angewandt führen sie zu

den erwünschten Umbauvorgängen. Für Zahnbewegungen in der Sagittalen bedeutet die En-face-

Wurzeloberfläche, dass nur 1/3 bis 1/5 der gesamten Wurzeloberfläche in Bewegungsrichtung zeigt

und dort belastet wird. Bei körperlicher Bewegung von Molaren bedeutet dies ein Widerlager von

1,5 bis 2,5 Newton (N), beziehungsweise 0,5-0,75 N bei kippender Bewegung. Dies sind

Richtwerte, da es im Einzelfall unmöglich ist, die optimale Kraftgröße zu bestimmen49. Interessant

hierbei ist, dass bei Expansion mittels Lb und Zunahme der Zahnbogenlänge inklusive Aufrichten

der Sechs-Jahr-Molaren, die zweiten Molaren keinen Einfluss ausüben trotz ihrer verankernden

Wurzeloberfläche52,85.

Ein Headgear erreicht in den Kraftspitzen Werte von 4-7 N, eine Plattenapparatur bis zu 4 N, und

ein Aktivator 3 bis 5 Newton, wobei diese Kräfte nur diskontinuierlich oder intermittierend sind.

Beim Sprechen, Kauen und beim Schlucken entstehen die größten Kräfte55 mit gleichzeitig kurzen

Wirkungsmomenten. Diese Kräfte gehören zu dem Gleichgewicht des „muskulären Schlauches“ der

Dentition. Zu diesem Gleichgewicht gehören auch die Kräfte des parodontalen Ligaments, der

Eruption und der Okklusion. Die Hauptfaktoren der auf die Zähne und das harmonische Gleich-

gewicht wirkenden Kräfte stellen jedoch die schwachen aber lang andauernden Kräfte der Zunge

und der Lippen in Ruhe dar91; ähnlich dem Prinzip der therapeutisch angewandten langsamen,

kontinuierlichen Kräfte des zweiten biologischen Wirkungsgrades.

30

4.3.7.2 Lipbumper-Kräfte

Man unterscheidet zwischen Lippenkraft und Lippendruck. Der Druck resultiert aus dem Gewicht

des Weichgewebes ohne Kontraktion der Muskulatur. Dabei gibt es keine Korrelation zwischen

Lippenkraft und Lippendruck113. Während mit Schild immer größere Kräfte übertragen werden

können als ohne, haben die Dicke und die Höhe der Lippen keinen Einfluss auf die Kräfte55.

Die Lippenkräfte, übertragen von Lipbumpern, variieren je nach vertikaler und anteroposteriorer

Position55. Zwei Millimeter vor der Front mittig auf Höhe der Zahnkrone liegen sie bei ungefähr 5 g.

Demgegenüber liegen sie bei 4 mm Abstand und auf Höhe der Gingiva signifikant höher, bei um die

15 g55. Sakuda und Ishizawa bestimmten den Lippendruck bei Lipbumpertherapie mit 100 bis 400 g,

beim Schlucken mit 105 g bis 330 g (46.7-88.7 g/cm²)99.

Die Effizienz wird gesteigert, wenn man einen Lipbumper bei kräftiger Muskulatur und erhöhtem

Mentalis-Tonus einsetzt51. Auch nach Subtelny und Sakuda ist eine straffe Unterlippe bei der Lip-

bumpertherapie von Vorteil109. Allein hohe Kräfte sind jedoch nicht der Garant für kieferortho-

pädische Zahnbewegungen.

Nach Bergersen ist der Betrag der Bewegung abhängig von der Dauer der Behandlung. Bergersen

hebt außerdem die Abhängigkeit von der Vorspannung in die Lippe hervor, die ausschlaggebend für

die Distalbewegung ist12. Es konnte aber bei Lipbumpertherapie kein korrelativer Zusammenhang

zwischen Lippen-Kraft und dem Ausmaß der Zahnbewegung festgestellt werden84. Dabei ist

anzumerken, dass gerade Bergersen betont, dass eine Indikation zur Extraktionstherapie nicht durch

einen Lipbumper abgewendet werden kann12.

Die Kombination aus Schildgröße, Vorspannung in die Weichteile hinein und kräftiger Muskulatur

spielen also zusammen. Große Schilde entlasten dabei die Lippen12 und vermindern Druckstellen

durch Arbeit in physiologischen Kraftbereichen.

4.3.8 Therapiezeitpunkt

Der Lipbumper wird im Wechselgebiss gegen Engstände oder deren Etablierung eingesetzt104.

Damit gehört er zur Frühbehandlung, mit der generell jede kieferorthopädische Therapie gemeint ist,

die vor dem üblichen, dentalen biologischen Behandlungsalter erfolgt. In der Regel findet sie um die

zweite oder späte Phase des Wechselgebisses statt; im engeren Sinn spricht man bei Therapie im

31

reinen Milchgebiss von Frühbehandlung, im erweiterten Sinne auch noch während der ersten

Wechselgebissphase29. Fürsprecher betonen die Notwendigkeit einer präventiven Therapie, um

durch die Frühbehandlung größeren dentalen Problemen zu späteren Zeitpunkten vorzubeugen. So

kann bei Patienten mit Engstand eine Lipbumperbehandlung die Notwendigkeit eines späteren und

deswegen schwereren Eingriffs ausschliessen50,68,101.

Bramante meint hierzu: „Nach einer Phase starker Extraktionstherapie vor Angle, seiner Umkehr

und den heutigen Erkenntnissen, dass bei 90% nicht zufrieden stellende Engstände nach der Reten-

tionsphase vorliegen – und wir nicht in der Lage sind die anderen 10% vorherzusagen – bleibt nur

übrig zu sagen, dass eine frühere Behandlung zu stabileren Ergebnissen bei Nicht-

Extraktionstherapie führt17. Des Weiteren kommt es zu besserer Leeway-Space-Kontrolle und

weniger Karies, zu weniger Fächerständen (Labialkippung) als […] in Nichtextraktions-Fällen […]

zu Anfang des Jahrhunderts17“.

Die Behandlung von Engständen durch den Erhalt der Bogenlänge ist kurz vor dem Verlust des

unteren Milch-Vers bzw. nach Durchbruch der ersten Prämolaren vielversprechend45. So kann der

Leeway-Space erhalten werden, der inklusive des Platzes distal der Molaren meist zur Ausformung

und der achsengerechten Frontzahneinstellung ausreicht101.

32

5 Indikationen zur Lipbumpertherapie

Indikationen der Lipbumpertherapie:

- mesial gekippte Seitenzähne

- Verankerungsverlust

- Dyskinesien der Unterlippe

- Engstand

- als Retainer nach Expansionstherapie

- Rotation der unteren Molaren und Prämolaren

- Lingualstand der Unterkiefer-Frontzähne

5.1 Zahnkippung

Nach Zahnverlust oder Nichtanlage eines Zahnes können die nachfolgenden Zähne aufwandern.

Bedingt durch die Festigkeit des Unterkieferknochens und die peripher angreifenden

Okklusionskräfte treten dabei häufig Kippungen auf, die parodontale Nischenbildung mit

erschwerter Mundhygiene und therapiebedürftigen Parodontalverhältnissen zur Folge haben.

Therapiert wird dies durch das Aufrichten des Zahnes, auch um eventuell folgenden Zähnen Platz

zum Durchbrechen zu gewährleisten.

5.2 Zahnwanderung

Verfrühte Milchzahnverluste sind Resultat von Traumen, Erkrankungen, schlechter Ernährung mit

Karies, entwicklungsbedingten Fehlbildungen oder genetischen Veränderungen wie Dysplasien oder

Nichtanlagen. Als Folge kann dabei die Lücke durch das Vorwandern der posterior stehenden

Nachbarzähne mehr oder weniger geschlossen werden oder der Antagonist extrudieren, was zu

Artikulationsschwierigkeiten führt. Je nach Knochendicke über dem nachfolgenden Zahnkeim

kommt es zu einem verfrühten oder verspäteten Durchbruch des bleibenden Zahns. Außerdem kann

sich eine Dyskinesie – z.B. mit Zungeneinlagerung in der Lücke – etablieren, die zu weiteren

Entwicklungsstörungen führt. Und nicht zuletzt bedeutet vorzeitige Milchzahnextraktion auch

immer eine Wachstumshemmung des Kiefers. Wenn die posterior stehende Zahnreihe noch nicht

aufgewandert ist, eignet sich zur Therapie ein Lückenhalter, der alle drei Dimensionen der Lücke

33

aufrecht erhält, ohne den Durchbruch des nachfolgenden bleibenden Zahnes zu stören.

5.3 Orofaziale Dyskinesie

Zu den orofazialen Dyskinesien gehören alle unnatürlichen Funktionen des Kauorgans, wie Beißen

oder Saugen der Wangen, Lippen, Zunge, Bleistiften oder Fingern. Die morphologische

Dysfunktion, die in den Therapiebereich des Lipbumpers fällt, ist die Lippendyskinesie. Für die

anderen Fehlfunktionen gibt es passendere Geräte, weswegen hier nur auf die Fehlmotorik der

Lippen eingegangen wird.

Lippendyskinesie

Zu Lippenfehlfunktionen zählen Lippenpressen, -saugen und -insuffizienz94.

Lippenpressen ist u.a. durch einen hypervalenten M. mentalis bedingt und führt durch eine

Stauchung dieser Weichgewebe zu einem Steilstand der Frontzähne.

Beim Saugen wird die Unterlippe hinter den oberen Schneidezähnen eingelagert. Die oberen Front-

zähne werden dabei protrudiert und die Sagittalentwicklung des anterioren Unterkiefer-Alveolar-

fortsatzes gehemmt. Oft tritt dieses klinische Bild gemeinsam mit einer Hypervalenz des M.

mentalis auf.

Anatomisch zu kurze Lippen sind der Grund für eine Insuffizienz. Erst durch aktive Kontraktion des

M. orbicularis oris kann der Lippenschluss erreicht werden.

5.4 Dentale Engstände

Engstände können vererbt oder durch Mesialwanderungen der Zähne erworben sein. Physiologische

Faktoren, die im eugnathen Gebiss zu Engstand führen, sind das im Verhältnis zum Oberkiefer

längere Wachstum des Unterkiefers mit gleichzeitiger kranialer Rotation, die kontinuierliche

Mesialwanderung der Zähne und ein vertikaler Wachstumstyp mit seinen schmalen apikalen Basen.

Man unterscheidet bei Engstand anatomisch den koronalen vom apikalen und den anterioren vom

posterioren Engstand. Unter Berücksichtigung der Genese spricht man vom primären, sekundären

und tertiären Engstand, wobei der tertiäre Engstand nicht in den Bereich des Lipbumpers fällt. Das

Ausmaß des Engstandes wird in Grade eingeteilt.

34

Bei koronalem Engstand ist genügend Platz in der Alveolarbasis vorhanden, weswegen der

Engstand durch Dehnen des Zahnbogens aufgelöst werden kann.

Beim apikalen Engstand besteht eine anatomisch zu kleine Knochenbasis gegenüber einem relativ

groß angelegten Zahnbogen. Er ist oft genetisch bedingt oder als Folge einer transversalen ossären

Entwicklungsstörung der Kiefer. Zu dieser Gruppe zählt auch der sogenannte primäre Engstand.

Primärer Engstand

Der primäre Engstand tritt im Alter von 7-8 Jahren im Bereich der Frontzähne auf. Er ist genetisch

bedingt durch eine kleine Kieferbasis mit im Gegensatz dazu relativ großen Zähnen charakterisiert.

Die kleine Knochenbasis ist Ursache für den Durchbruch der Zähne in der Anordnung ihrer

Keimstellung, wobei die typischen Dachziegel-, Staffel-, Pflugschar- oder Flügeltürformationen der

Zähne auftreten.

Das Auftreten des Engstandes an den Frontzähnen definiert den anterioren Engstand.

Sekundärer Engstand

Von sekundärem Engstand spricht man, wenn der Platzmangel aufgrund exogener Faktoren

erworben wurde. Die Engstandsform tritt meistens im Bereich der Stützzone auf. Die Stützzone wird

von den Milcheckzähnen und den Milchmolaren gebildet. Die Milchmolaren sind etwas größer als

die nachfolgenden bleibenden Zähne; die Summe dieses Größenunterschiedes wird als Leeway-

Space bezeichnet. Die Milchzähne der Stützzone dienen normalerweise den bleibenden Zähnen als

Platzhalter und gewähren mit dem Leeway-Space als Platzreserve den störungsfreien Durchbruch

des bleibenden 3ers, 4ers und 5ers.

Sekundärer Engstand entsteht daher erst im Laufe des Zahnwechsels durch Milchzahnkaries mit

Kontaktpunktverlust, vorzeitiger Milchzahnextraktion, Zahnbogenverformung, Zahnstellungsano-

malien, unterminierender Resorption an den zweiten Milchmolaren oder Milchzahn-Ankylosen.

Anschliessend führt die anteriore Kraftkomponente dazu, dass die distal der Lücke stehenden Zähne

aufwandern beziehungsweise nach mesial kippen. Es kommt zum Stützzoneneinbruch. Dieser

sagittale Platzverlust ist exogener Natur, was einer erworbenen Anomalie entspricht.

35

Engstandsgrade

Die Einteilung von Engständen erfolgt nach deren Ausmaß, was für die Therapieentscheidung

wichtig ist. Nach Graden werden Engstände wie folgt eingeteilt:

Von Engstand ersten Grades spricht man, wenn eine leichte oder geringe Stellungsanomalie der

Frontzähne vorliegt ohne Beteiligung in der Stützzone oder wenn, dann nur in der Stützzone.

Bei Engstand zweiten Grades liegt eine deutliche Stellungsanomalie der Frontzähne vor, mit oder

ohne Platzverlust in der Stützzone.

Bei einem Engstand dritten Grades bestehen ausgeprägte Stellungsanomalien mit einem Platz-

mangel größer als die Breite des seitlichen Schneidezahnes und die Stützzonen sind ungünstig.

Engstände mit einem Platzmangel bis zu 2 mm werden als leicht bezeichnet, bis 4,5 mm gelten sie

als moderat und darüber als schwerer Engstand.

Zur Engstandsprognose gibt es nach Gianelly44 drei Parameter, die beachtet werden sollen:

- Das Fehlen von interdentalen Lücken im Milchgebiss

- Engstand der bleibenden Frontzähne bereits im Wechselgebiss

- Frühzeitiger Verlust eines Milcheckzahnes als Anzeichen dafür, dass der bleibende 2er nicht

genügend Platz für den anstehenden Durchbruch hat.

5.5 Kontraindikation

Die Begrenzung der Lipbumpertherapie liegt darin, dass sie allein durch Abschirmung lokaler

Einflüsse erbbedingte dysplastische Entwicklungen nicht hemmen kann93.

Bei dentalen oder skelettalen Klasse-III-Anomalien besteht durch die vestibulären Schilder die

Gefahr der Verstärkung des transversalen und möglicherweise sagittalen Unterkieferwachstums,

was zusammen mit der Therapie-bedingten Proklination der unteren Inzisivi zu einem negativen

Überbiss der Kiefer führen kann.

36

6 Fragestellung

Die Angaben zur Lipbumper-Wirkung auf den unteren Zahnbogen sind in der Fachliteratur sehr

unterschiedlich. Daher sollte mit einer differenzierten Auswertungstechnik anhand der FRS-Bilder

kieferorthopädischer Patienten, die mit diesem Gerät behandelt wurden, und durch Vergleich mit

einem unbehandelten Kontrollkollektiv der Effekt dieser Apparatur neu evaluiert werden.

Mit der Röntgen-Überlagerungsmethode nach Baumrind et al.9,10 können die orthopädischen und

orthodontischen Anteile der Bewegung des ersten unteren Molaren differenziert werden. Damit soll

die orthodontische Bewegung des Molaren und der Frontzähne, sowie deren Inklination im

Zusammenhang mit dem Platzgewinn im Zahnbogen bei Lipbumper-Therapie untersucht werden.

Auf diese Weise kann beobachtet werden, inwiefern der Platzgewinn aus der Kippung der Front, der

Aufrichtung der Molaren oder aus der körperlichen Bewegung der Zähne stammt.

37

7 Material und Methode

In der Studie wurde retrospektiv die Zahnbewegung des Sechs-Jahr-Molaren des Unterkiefers unter

Lipbumpertherapie mittels der Überlagerungstechnik nach Baumrind et al.9,10 untersucht. Mit dieser

Methode kann zwischen lokaler und entfernter Verlagerung differenziert und die orthopädische und

die orthodontische Komponente der Zahnbewegung analysiert werden. Daraus wird ersichtlich, zu

welchen Anteilen die Engstandsauflösung mittels Lipbumper erfolgt und welche Rolle dabei die

relative alveoläre Lageänderung des ersten Unterkiefermolaren spielt.

Hierfür wurden die prä- und posttherapeutischen Fernröntgenseitenbilder (FRS) von 14 kieferortho-

pädisch behandelten Patienten mit Engstandssituationen im Wechselgebissalter ausgewertet und mit

einer Gruppe Jugendlicher ohne Therapie verglichen.

7.1 Patientengut

Aus dem Archiv der kieferorthopädischen Abteilung des Universitätsklinikums Freiburg wurden 14

Patienten gewählt. Folgende Selektionskriterien wurden angewendet:

- Zeitpunkt der Behandlung im Wechselgebiss

- Kaukasischer Typus mit skelettaler oder dentaler Klasse I oder II mit Indikation zur

Distalisation bzw. Stabilisierung des Zahnbogens mittels Lipbumper

- gute Compliance, sowohl bei der Mundhygiene, als auch des Therapiegerätes; Beurteilung

anhand der Patientendokumentation

- Therapiedauer mindestens 6 Monate

- Röntgenbilder in ausreichender Qualität in Bezug auf die notwendigen Messpunkte, gute

Kopfposition, d.h. minimale oder keine Rotation des Kopfes, angefertigt sowohl prä- als

auch posttherapeutisch.

Ausschlusskriterien waren:

- Abstand zwischen Therapie und Röntgenbild länger als 12 Monate

- dentale und skelettale Klasse-III-Anomalien.

Geschlecht und Alter gingen in die Statistik mit ein.

Da es sich um eine retrospektive Studie handelt, konnten anderweitige Therapieformen im

38

Gegenkiefer nicht ausgeschlossen werden. Es gestaltete sich als schwierig, identische Patienten zu

finden oder ein Röntgenbild, auf welchem nicht Effekte anderer Geräte integriert waren, die in der

Zeit vor der zweiten Aufnahme im gleichen Kiefer benutzt wurden. Insgesamt blieben nach der

Selektion nur 14 Patienten übrig. Die Patienten wurden so ausgesucht, dass der Abstand zwischen

Therapie und Röntgenaufnahme möglichst gering ausfiel. Damit sollten Auswirkungen anderer

Behandlungsgeräte so weit es möglich war, ausgeschlossen werden. Dennoch betrug bei einem

Patienten der Abstand zwischen Röntgenbild und Therapie 12 Monate.

Für die Vergleichsgruppe wurden Röntgenbilder aus dem Archiv der Poliklinik für Kieferorthopädie

des Universitätsklinikums der LMU München benutzt. Diese wurden so ausgewählt, dass sie dem

chronologischen Alter der zu vergleichenden Studiengruppe möglichst nahe kamen. Die

Kontrollgruppe stammt aus einem seltenen Kollektiv nicht kieferorthopädisch behandelter Patienten,

die nach dem Winkel SNA (>81°>) eingeteilt sind, wobei für jeden Patienten der Untersuchungs-

gruppe das Pendant mit dem passenden Typus ausgewählt wurde.

7.2 Behandlungsgerät

7.2.1 Lipbumper-Design

Zur Therapie wurden Lipbumper vom Typ Unit eingesetzt. Von einem frontal in der Umschlagfalte

des Unterkiefers gelegenen Kunststoffschild führten Drähte entlang des Vestibulums zu den

Röhrchen der bebänderten 6-Jahr-Molaren. Das Kunststoffschild befand sich labial zwischen den

Eckzähnen mit einer Dicke von ungefähr 3 mm und ca. 5 mm Höhe. Der Draht war ein 1,14 mm

starker federharter Edelstahl, der in Röhrchen an den Bändern der Unterkiefer-6-Jahr-Molaren

inserierte. Die zweiten Molaren wurden nicht in das Therapiegerät mit einbezogen.

7.2.2 Positionierung

Ein mittlerer Abstand der Therapiegeräte von 2 mm vom Gingivaverlauf wurde in der Horizontalen

eingehalten. In der Vertikalen reichten sie koronal bis zur marginalen Gingiva und kaudal

behinderten sie nicht die Bewegung des Lippenbändchens. Die Position wurde durch U-Schlaufen

vor den Röhrchen der ersten Molaren des Unterkiefers gesichert.

39

7.2.3 Manipulation und Kontrollen

Recalls zur Betreuung der Patienten und Einstellung der Geräte fanden alle zwei bis vier Wochen in

der Abteilung für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Freiburg statt.

7.3 Dokumentation und Auswertung

Von allen Patienten wurden sowohl vor als auch nach der Therapie FRS-Bilder und Kiefer-

Situationsmodelle angefertigt. Die Ergebnisse stellen die an Hand der Röntgenbilder und der

Modelle gemessenen prä- und posttherapeutischen Veränderungen bzw. Bewegungen des Unter-

kiefer-6-Jahr-Molaren dar. Die Modellanalyse und kephalometrische Vermessung der Fernröntgen-

seitenbilder wurde in allen Fällen durch dieselbe Person ausgewertet. Insgesamt wurden in die rönt-

genologische Auswertung 10 Referenzpunkte einbezogen (s. Kap. 7.6.2), zwei dentale Winkel-

messungen (s. Kap. 7.6.6), die Y-Achse zur Bestimmung des Wachstumstyps und der Parameter

Distanz des mittleren unteren Schneidezahnes zur Linie N-Pog (1̄ -NPog) für die Engstandsanalyse.

Des weiteren wurden, neben der Engstandsanalyse am Modell (s. Kap. 7.4), das Alter, Geschlecht,

die Therapiedauer und eine gleichzeitige Therapie im Oberkiefer in die Dokumentation aufgenom-

men (s. Kap. 7.7).

7.4 Odontometrische Analyse

Die odontometrische Analyse der Ober- und Unterkiefermodelle eignet sich, insbesondere bei

retrospektiven Studien, durch die Dauerhaftigkeit der verwendeten Gipsmodelle als Instrument der

qualitativen Vermessung der Veränderung des Zahnbogens. In dieser Arbeit wurden Modell-

messungen zur Einschätzung des Engstandes und dessen therapeutischer Veränderung vorgenom-

men. Dazu wurde die Platzanalyse nach Nance durchgeführt. Der Vergleich zwischen prä- und post-

therapeutischen Situationsmodellen zeigt die Auswirkungen der physiologischen Wachstums-

vorgänge und die der beeinflussenden kieferorthopädischen Therapie.

Alle Modelle wurden über einen Alginatabdruck aus Alabastergips hergestellt und wiesen somit, die

gegebene, natürliche Variation inbegriffen, dieselben Expansionssprünge auf. Die Modelle wurden

alle gesockelt und parallel zur Kau-, Tuber- und Raphe-Median-Ebene getrimmt. Ein Situationsbiss

aus Wachs diente der patientengerechten Kieferrelationsbestimmung.

40

7.4.1 Platzanalyse und Diskrepanzberechnung

Die Platzbedarfsanalyse nach Nance wurde am Unterkiefergipsmodell durchgeführt, bei der die

Differenz zwischen Platzangebot und -bedarf ermittelt wird. Ideale Zahnbogenbreiten, d.h. jeder

Zahn einzeln in mesio-distaler Breite abgegriffen, wurden von mesial 6 bis mesial 6 bestimmt. Die

Ist-Bogenlänge wurde mit einem weichen, der individuellen Zahnbogenform nachkonturierten

Messingdraht abgegriffen (s. Abb. 19). Am geraden Draht wurde die Distanz zwischen den mesialen

Kontaktpunkten der Sechsjahrmolaren abgemessen.

Abb. 19. Platzangebot mesial 6

Die Differenz zwischen Soll- und Ist-Wert der Zahnbogenlänge ergab den Platzmangel, wenn der

Wert negativ war, bzw. bei positiven Zahlen die Platzreserve. Zur Bestimmung der Totalen

Diskrepanz wurde die Kippung der Front und die Speekurve (s. Abb. 20) eingeschlossen. Dazu

wurde das Ausmaß der Speekurve in Millimetern vom Platzangebot subtrahiert. In der Abteilung für

Kieferorthopädie wird therapeutisch ein Nullwert der Spee-Kurve angestrebt. Das Ergebnis halbiert

ergab die dentale Diskrepanz pro Kieferhälfte.

Abb. 20. Speekurve; nach94

Der Abstand der Schneidekante des unteren mittleren Schneidezahns (¯ 1) zur N-Pog-Linie im FRS

(s. Abb. 21) soll im Unterkiefer einen physiologischen Bereich von +/-2mm betragen. Die Werte der

dentalen und sagittalen Diskrepanz wurden addiert, um die totale Diskrepanz pro Kieferhälfte zu

bestimmen. Der Messwert der dentalen Diskrepanz wurde dabei halbiert, da die sagittale Diskrepanz

41

nur eine unilaterale Analyse darstellt.

Abb. 21. Sagittale Diskrepanz 1̄ - NPog; nach94

Rotationen aller in die Messung einbezogenen Zähne fließen in die horizontalen Messungen mit ein,

da sie Platz zur Korrektur benötigen.

Beispiel Diskrepanzberechnung für den Unterkiefer:

Dentale Diskrepanz Sagittale Diskrepanz

Platzangebot : 50 mm 1-N-Pog : - 5 mm

Platzbedarf : -58 mm SD : + 5 mm

Spee-Kurve : - 4 mm + 5 mm

Summe DD : - 12 mm 1/2→ DD/2 - 6 mm

Totale Diskrepanz / Kieferhälfte : - 1 mm

7.5 Röntgenkephalometrische Analyse

Die röntgenkephalometrische Auswertung wurde mit einer Superimpositionstechnik von Fern-

röntgenseitenbildern nach Baumrind et al.9,10 durchgeführt. Für diese Überlagerungstechnik wurden

Röntgenbilder verwendet, die in der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitäts-

klinikums Freiburg im Verlauf der Therapie angefertigt wurden.

Für die Platzbedarfsmessung (s. Kap. 7.4) wurde der Abstand der Inzisalkante des am weitesten

labial stehenden unteren Einsers senkrecht zur Verbindungslinie von Nasion zu Pogonion gemessen

(Uk1̄ -N-Pog). Zusätzlich wurden die Veränderungen des Inklinationswinkels des ersten unteren

Molaren und des ersten unteren Frontzahnes zur Mandibularlinie gemessen (s. Kap. 7.6.6). Die

42

Röntgenbilder wurden vom Autor mit einem 0,5 mm starken Bleistift auf Acetatfolie gezeichnet und

ausgewertet.

Man kann bei der Röntgenbildanalyse zwischen individueller Methode und der Überlagerungs-

technik unterschieden. Mit der Auswertung von Fernröntgenseitenbildern nach der individuellen

Methode kann mittels linearen und Winkelmessungen ein Bild der sagittalen und vertikalen

kraniofazialen Verhältnisse und deren Veränderungen erstellt und beobachtet werden. Eine andere

Technik, die nach Brodie19 von William Downs entwickelt wurde, ist die so genannte Super-

impositionstechnik. Durch direkte Überlagerung der Röntgenbilder auf bestimmten Punkten wie

z.B. Sella oder auf anatomischen Strukturen wie der Knochenkontur der Mandibula, kann der

Wachstumsunterschied mit nur einer Messung dargestellt werden. Baumrind et al.10 verwendeten

diese Methode erfolgreich und beschrieben mit ihr die globalen und lokalen Anteile des Knochen-

wachstums9,10.

Alle FRS-Bilder aus Freiburg wurden mit einem Kephalostaten angefertigt, mit dessen Hilfe die

Medianebene des Kopfes in 0,18 m Entfernung parallel zur Filmebene ausgerichtet wurde. In

Freiburg traf der Röntgenstrahl mit einer Röhrenspannung von 85 kV aus einem Abstand von 4 m

auf die Filmkassette. Durch diese Aufnahmetechnik entstand ein konstanter Vergrößerungsfaktor

von 1,026, was einer Vergrößerung von 2,6% entspricht.

Die Vergleichsbilder der Kontrollgruppe aus der kieferorthopädischen Abteilung der LMU

München wurden mit einem Abstand von 0,18 m von der Midsagittalebene des Kopfes zur Film-

kassette und 1,5 m zum Brennpunkt angefertigt, weswegen der Vergrößerungsfaktor bei 7,1% lag,

beziehungsweise 1,071. Daraus ergab sich ein Faktor von gerundeten 0,958 = 1,026/1,071 der in die

Werte der Münchener Gruppe eingerechnet wurde.

7.6 Methode

7.6.1 Superimpositionstechnik

Die hier verwendete Überlagerungstechnik nach Baumrind et al.9,10, dient zur Unterscheidung von

Umbau- und Umlagerungsprozessen. In dieser Studie wurde diese Technik auf die Bewegung der

Krone des unteren Sechsers (6c) (s. Abb. 22) und dessen Apex (6a) angewandt. Mit der Superim-

43

positionstechnik sollten die wachstumsbedingten und therapeutisch induzierten Anteile der Bewe-

gung des ersten unteren Molaren dargestellt und im Verhältnis zu anderen skelettalen Bezugs-

punkten betrachtet werden. Zu diesen gehörten die röntgenkephalometrischen Referenzpunkte

Pogonion (Pog), Menton (Me), Gonion (Go) und Condylion (Co). Außerdem wurden die Punkte

Inzision inferior (1̄ i) und der Apexpunkt des am weitesten labial stehenden mittleren unteren Front-

zahnes (1a) in die Auswertung eingeschlossen.

Abb. 22. Referenzpunkte

7.6.2 Referenzpunkte

Insgesamt wurden 10 Referenzpunkte und die Distanz 1̄ -NPog für die Engstandsanalyse

(s. Kap. 7.4) ausgewertet. Die hier verwendeten Referenzpunkte sind in Tabelle 2 erläutert und in

Abb. 22 dargestellt. Alle Darstellungen sind nicht originalgetreu dimensioniert und wurden zum

besseren Verständnis bearbeitet. Die Messung der Bezugspunkte wurde immer parallel zur vorderen

Schädelbasis vorgenommen und ist daher vergleichbar in Bezug auf ihre Bewegungsrichtungen. Aus

dem Unterschied der lokalen Verlagerung zwischen Studien- und Kontrollgruppe ist der ortho-

dontische Effekt erkennbar.

44

Tabelle 2. Definition der Referenzpunkte

1 N Nasion Vorderster Punkt der Sutura naso-frontalis in der Median-Sagittal-Ebene.

2 S Sella Mittelpunkt der Fossa hypophysialis.

3 Cond Condylion Am weitesten kraniodorsal und bilateral liegender Punkt am Hinterrand des Processus condylaris.

4 6c Coronal Uk6 Die mesiobukkale Höckerspitze des am weitesten anterior liegenden unteren ersten Molaren.

5 6a Apicale Uk 6 Die mesiale Wurzelspitze des am weitesten anterior liegenden unteren ersten Molaren.

6 1i Inzision 1̄ Die Spitze der Inzisalkante des am weitesten anterior liegenden unteren mittleren Schneidezahns.

7 1a Apicale 1̄ Die Wurzelspitze des am weitesten anterior liegenden mittleren unteren Schneidezahns.

8 Pog Pogonion Vorderster Punkt des knöchernen Kinns in der Median-Sagittal-Ebene.

9 Me Menton Kaudalster Punkt der Symphysenkontur.

10 Go Gonion Ein konstruierter Punkt; der Tangentenschnittpunkte der hinteren Ramus-linie mit der Linie des Mandibularplanums.

Abb. 23. Numerierung bei der Überlagerungstechnik. - Systematisierung der Referenzpunkte:

Z1S (1) für den Messpunkt des ersten Zeitpunktes bei Überlagerung auf den anatomischen Strukturen der vorderen Schädelbasis; in den Schemata gekennzeichnet als 1.

Z1M (2) für den Messpunkt des ersten Zeitpunktes bei Überlagerung auf den anatomischen Strukturen der Mandibula; in den Schemata gekennzeichnet als 2.

Z2 (3) für den Messpunkt des zweiten Zeitpunktes, der bei beiden Überlagerungen identisch ist; in den Schemata gekennzeichnet als 3.

45

7.6.3 Anwendung der Superimpositionstechnik

Aus einer Verlaufskontrolle wurden die prä- und posttherapeutischen Röntgenbilder ausgewählt und

einmal parallel zur Strecke Sella-Nasion im Punkte Sella, sowie einmal auf der Kontur der

Mandibula überlagert. Die relevanten kephalometrischen Messpunkte und wichtigsten Umrisse

wurden auf eine Acetatfolie übertragen und wie folgt (s. Abb. 23) numeriert

Mandibuläre Überlagerung

Wurden die Bilder auf der äußeren kaudalen Kontur des Corpus mandibulae überlagert, sprach man

von einer „besten Anpassung“ der überlagerten anatomischen Strukturen des Unterkieferkörpers7.

Relativ zum Umriss der Mandibula lagen die Messpunkte dann genau dort, wo sie lokalisiert

gewesen wären, wenn sich die Mandibula nicht durch Umbau- und Verlagerungsprozesse bewegt

hätte. Durch die Überlagerung wurde der lokale remodellierende Umbau bzw. die orthodontische

Verlagerung sichtbar gemacht (s. Abb. 24). Die Superimpositionstechnik auf dem Umriss der

Mandibula zeigte also simultan die lokale Remodellierung und die orthodontische Verlagerung;

eventuelle, nicht kontrollierbare, intermaxilläre interferierende Faktoren sowie Zeichenfehler

ausgenommen.

Abb. 24. Überlagerung der Röntgenbilder auf den anatomischen Strukturen der Mandibula, zur Bestimmung der lokalen

Remodellierung bzw. der orthodontischen Verlagerung, dargestellt durch Pfeile (→).

46

Überlagerung auf der vorderen Schädelbasis

Die Überlagerung auf der vorderen Schädelbasis (im folgenden auch VSB genannt) erfolgte im

Punkt Sella auf der Strecke S-N. Durch Überlagerung auf der vorderen Schädelbasis wurde die

kombinierte, lokal und fern ausgelöste Verlagerung des Referenzpunktes, das heißt die totale

Verlagerung, dargestellt (Vektor 3, s. Abb. 25).

Abb. 25. Überlagerung 2. Röntgenbild des ersten und des zweiten Zeitpunktes auf bester Passung der anatomischen Strukturen der vorderen Schädelbasis überlagert, zur Bestimmung der orthopädischen Verlagerung. Vektor 3.

7.6.4 Orthopädische Verlagerung

Nach Kombination der beiden Überlagerungen stellte sich ein Dreieck der Punkte mit einem drittem

Vektor zwischen den Punkten Z1S und Z1M als Resultat dar. Er repräsentierte die orthopädische

Verlagerung (Vektor 1, vergleiche Abb. 26 und 27), da er von Sella aus gesehen die Summe der

gesamten Veränderungen (Vektor 3) abzüglich der lokalen Remodellierung (Vektor 2) darstellte;

das heißt der Vektor war das Resultat aus der Summe der gesamten und der lokalen Remodellierung

und repräsentierte die orthopädische Verlagerung (V3 - V2 = V1).

47

Abb. 26. Die drei Wachstumsvektoren im Koordinatensystem.

L – lokale Remodellierung, S – sekundäres Displacement, T – totale Verlagerung.

Die Referenzpunkte des resultierenden Vektors (Z1M oder 2) lagen genau dort, wo sie gewesen

wären, wenn in der Zeit zwischen den Zeitpunkten 1 und 2 keine intramaxilläre Bewegung, also

keine lokale Verlagerung, stattgefunden hätte (s. Abb. 25, Vektor von 1 nach 2).

Vektoren zwischen den Messpunkten:

Die Vektoren ergeben sich aus den Verbindungslinien der Punkte nach folgender Ordnung:

Vektor 1 (S) – von Z1S (1) zu Z1M (2)

Distanz desselben Referenzpunktes von sogar demselben Röntgenbild des ersten Zeitpunktes–

einmal gezeichnet bei Überlagerung auf den Strukturen der Mandibula des späteren Röntgenbildes

und ein anderes Mal gezeichnet bei Superimposition auf der S-N-Linie mit Zentrierung in Sella.

Also dient das spätere Bild (Z2) zur Orientierung in welche Richtung der Unterkiefer wächst und wo

genau die Überlagerung auf den mandibulären Strukturen stattfinden soll. Dieser Vektor stellt die

orthopädische Verlagerung oder Überlagerungstranslokation, das sekundäre Displacement des

ersten Unterkiefermolaren dar. Rechnerisch die Differenz von Vektor 3 –Vektor 2=V1 (S).

Vektor 2 (L) – von Z1M (2) zu Z2 (3)

Distanz desselben Referenzpunktes, wenn die Röntgenbilder auf den anatomischen Strukturen der

Mandibula superimpositioniert werden, zur Bestimmung der orthodontischen Verlagerung bzw. der

lokalen Remodellierung (L).

48

Abb. 27. Kombination der Überlagerungen 2-3 = V2 und 1-3 = V3 mit resultierendem Vektor 1-2 =V1

V3 (T) – von Z1S (1) zu Z2 (3)

Distanz desselben Referenzpunktes, wenn die Röntgenbilder auf der S-N-Linie superimpositioniert

werden, zur Bestimmung der kombinierten orthodontischen und orthopädischen Verlagerung, bzw.

der kombinierten lokalen Remodellierung und der Überlagerungstranslokation, also der totalen

Verlagerung (T).

Einfacher ausgedrückt wurden bei dieser Methode der Auswertung die Röntgenbilder zweimal über-

lagert; einmal auf der VSB und einmal auf der anatomischen Struktur der Mandibula. Der Vektor

von „VSB“ zum späteren Bild der „Mandibula“ war die kombinierte Bewegung des Referenz-

punktes. Der Vektor der auf dem Unterkiefer überlagerten Bilder zeigte seine lokale Verlagerung

oder Remodellierung. Daraus ergab sich der orthopädische Vektor, der von „VSB“ zum Röntgenbild

jüngeren Datums reichte.

Der lokale Anteil der Bewegung der Untersuchungsgruppe wurde anschließend mit dem der nicht

behandelten Kontrollgruppe verglichen. Dies ermöglichte es, Schlüsse über orthodontische Einflüsse

auf die lokale Remodellierung zu ziehen. Wenn im Vergleich deutliche Änderungen des Bewe-

gungsausmaßes in der Studiengruppe sichtbar waren, repräsentierte dies den Effekt der kieferortho-

pädischen Maßnahme.

49

7.6.5 Nomenklatur zu den Überlagerungen

Bei der Bezeichnung der Vektoren für die unterschiedlichen Wachstumsanteile wird nach Baumrind

et al.9,10 zwischen ossären und dentalen Referenzpunkten unterschieden. Wachstum oder Remodel-

lierung von Knochen wird als lokale Remodellierung betitelt; dentale, lokale Verlagerungen werden

orthodontisches Verlagerung genannt. Verlagerungen durch sekundäres Displacement werden für

ossäre Referenzpunkte Überlagerungstranslokation und für dentale Punkte orthopädische Verlage-

rung genannt.

Die Abbildungen wurden demnach wie folgend beschriftet:

S sekundäres Displacement oder Überlagerungstranslokation, auch orthopädische Verlagerung

dentaler Referenzpunkte.

L lokale Remodellierung ossärer Strukturen, auch orthodontische Verlagerung9 dentaler Refe-

renzpunkte; lokale Verlagerung dentaler Punkte der Kontrollgruppe.

T totale Verlagerung, Summe aus sekundärem Displacement und lokaler Remodellation.

7.6.6 Messung und Koordinatensystem

Zur Auswertung wurde die X-Achse des Koordinatensystems parallel zu S-N konstruiert. Die

Y-Achse lag im rechten Winkel dazu mit positiven Werten nach unten gemessen (s. Abb. 28).

Abb. 28. Zuordnung der Vorzeichen in den vier Quadranten des Koordinatensystems (x/y).

50

7.6.7 Winkelmessung

Zur Kontrolle der Überlagerungsbilder wurden die Winkel des ersten unteren Molaren und des

ersten unteren Frontzahnes zur Mandibularlinie gemessen. Die Gerade durch den Molar wurde dabei

durch die Punkte 6a und 6c gelegt (s. Abb. 29), genauso wie für den Frontzahn die Punkte 1a und 1i

als Anhaltspunkte dienten (Referenzpunkte siehe Kap. 7.6.2, Abb. 22 und Tab. 2). Die beiden

Winkel wurden für den direkten Vergleich der beiden Zähne nach ventral hin gemessen.

Abb. 29. Winkelmessung

Zur Bestimmung des Wachstumstyps wurde die Y-Achse ausgewertet. Dieser Winkel wird

zwischen den Geraden N-S und S-Gn gemessen. Bei einem Y-Achsen-Wert von über 66° spricht

man von einem vertikalen Wachstumsmuster, was eine dorsokaudale Schwenkung des Unterkiefers

zur Folge hat; ein Wert von weniger als 66° wird als horizontaler Wachstumstyp bezeichnet, das zu

einer Ventrokranialschwenkung der Mandibel führt (s. Abb. 30).

Abb. 30: Winkelmessung zwischen N-S und S-Gn zur Bestimmung der Y-Achse. Die Variationen der Symphyse stellen

die knöchernen Auswirkungen bei vermehrtem vertikalen, bzw. horizontalen Wachtsum dar.

51

7.7 Therapie im Oberkiefer

Gleichzeitige kieferorthopädische Maßnahmen im Oberkiefer wurden auch aufgenommen, um

unterschiedliche Einflüsse aufzuzeigen. Sie wurden nicht gesondert ausgewertet, da das Spektrum

der Vorbehandlungen eine starke Diversität zeigte und die Studiengruppe sehr klein war.

7.8 Statistische Auswertung

Die an den Fernröntgenseitenbildern gemessenen Variablen wurden mit dem Statistikprogramm

SPSS® (SPSS Inc., Chicago, IL, USA) mit Unterstützung des Instituts für Medizinische Biometrie

und Medizinische Informatik der Universität Freiburg ausgewertet und die Unterschiede in den

Gruppen bzw. zwischen den Gruppen auf Signifikanz geprüft.

Aufgrund des sehr kleinen Kollektivs konnte nicht von einer Normalverteilung ausgegangen

werden, weswegen ein unverbundener Wilcoxon-Test1 durchgeführt wurde. Dazu wurden die

Bewegungen der röntgenkephalometrischen Referenzpunkte, die Zahninklination und das Platz-

angebot im Zahnbogen mit einer unbehandelten Kontrollgruppe verglichen und auf Signifikanz

geprüft. Für das Maß der Stabilität wurden die Wiederholungsmessungen mit der Methode nach

Bland und Altman16 geprüft. Die Unabhängigkeit der Merkmale wurde mit einem Chi-Quadrat-Test

der untersuchten Variablen überprüft. Das Signifikanzniveau wurde auf p = 0,05 festgelegt.

52

8 Ergebnisse 8.1 Methodischer Fehler

Das sehr kleine Kollektiv ließ den Schluss auf eine Kausalität nicht zu und Korrelationen konnten

daher zufallsbedingt sein. Aufgrund der wenigen Patienten dieser Studie kam es zu einer großen

Streuung der Messwerte. Die große Standardabweichung garantierte wenig Mittelwertsicherheit.

Dazu lagen die Effekte in der Größe der Messungenauigkeit, sodass signifikante Unterschiede

schwer zu erreichen waren.

Die FRS aller 14 Patienten der Untersuchungsgruppe wurden drei Wochen nach der ersten

Durchzeichnung noch einmal durchgezeichnet, um für die Referenzpunkte Pogonion (Pog) und die

mesiale Höckerspitze der Molarenkrone (6c) den zeichnerischen Fehler zu bestimmen. Dazu wurde

die Differenz der beiden Messungen berechnet. Die Mittelwerte des zeichnerischen Fehlers sind aus

Tabelle 3 zu entnehmen. Insgesamt fiel der Fehler relativ zu der Ungenauigkeit der Überlagerungs-

technik (s.a. Kap. 9.1 ) gering aus und war mit dem Fehler ähnlicher Studien10 vergleichbar.

Pogonion Zeichn. Fehler Standardabweichung Molarenkrone Zeichn. Fehler Standardabweichung n = 28 n = 28

x 0,24 ±2,7 mm x 0,37 ±2,05 mm y 0,05 ±1,54 mm y 0,05 ±1,35 mm

Tabelle 3. Mittelwert des zeichnerischern Fehlers.

Für den methodischen Fehler wurde die Differenz der Vektoren der beiden Messungen bestimmt.

Für die Parameter Überlagerungstranslokation (x,y1), totale Verlagerung (x,y2) und lokale

Verlagerung/Remodellierung (x,y3) sind die mittleren Abweichungen der Tabelle 4 zu entnehmen.

Pog ± Studiengruppe Kontrollgruppe

n 14 14 x1 mm x2 mm x3

0,34 0,25 0,09

0,1 0,46 0,57 mm

y1 mm y2 mm y3

0,41 0,17 0,23

0,13 0,21 0,09 mm

Tabelle 4. Methodischer Fehler der Vektoren. x,y1 = Überlagerungstranslokation, x,y2 = totale Verlagerung,

x,y3 = lokale Remodellierung.

6c ± Studiengruppe Kontrollgruppe

n 14 14 x1 mm x2 mm x3

0,6 0,47 0,14

0,20 0,19

0 mm y1 mm y2 mm y3

0,25 0,07 0,32

0,34 0,25 0,59 mm

53

8.2 Patientengut

Die Ergebnisse werden als gemessene Unterschiede zwischen prä- und posttherapeutischen

Modellen und Röntgenbildern in der Studiengruppe und den Veränderungen der unbehandelten

Kontrollgruppe dargestellt. Die Differenz der lokalen Bewegung zwischen Studien- und Kontroll-

gruppe soll den Therapieeffekt aufzeigen.

Sowohl die Studien- als auch die Kontrollgruppe bestand aus jeweils 7 Mädchen und 7 Jungen mit

jeweils der gleichen intermaxillären Kieferrelation, wobei jeweils 8 Probanden eine retrognathe und

6 eine orthognathe Unterkieferlage aufwiesen.

Um Effekte anderer Therapien auf den Röntgenbildern zu vermeiden, sollte der Abstand zwischen

Therapie und Röntgen möglichst gering ausfallen. Daher wurde der Abstand auf maximal 12

Monate beschränkt. Bei einem Patienten war somit ein Jahr der größte Abstand zwischen Lip-

bumper-Therapie und Röntgenaufnahme.

Das Durchschnittsalter der Patienten betrug in der Studiengruppe bei der ersten Röntgenaufnahme

10,0 Jahre und 11,11 Jahre zum Zeitpunkt der zweiten Aufnahme. Der Zeitraum zwischen den

Röntgenaufnahmen betrug durchschnittlich 25 Monate (s. Tab. 5).

Der Lipbumper wurde durchschnittlich bei einem Alter von 9,12 Jahren eingesetzt und wieder mit

11,9 Jahren entfernt. Die Dauer der Behandlung mit dem Lipbumper betrug im Durchschnitt 20,86

Monate (s. Tab. 5).

In der unbehandelten Kontrollgruppe wurde das erste Röntgenbild bei einem mittleren Alter von 9,1

Jahren erstellt und das zweite mit 11,07 Jahren. Das mittlere Zeitintervall betrug dabei 21 Monate.

Studiengruppe Kontrollgruppe

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2

n 14 14 14 14

Geschlecht 7/7 7/7 7/7 7/7 m/f Ø Alter bei Röntgenaufnahme 10,0 11,11 9,1 11,07 JJ,MM

minimaler Alterswert 7,1 9,4 8,02 8,12 JJ,MM maximaler Alterswert 12,2 15,05 12,02 13,8 JJ,MM

Ø Zeitraum zwischen Röntgen 25 21 MM Ø Alter bei Lipbumpereinsatz 9,12 11,9 JJ,MM

minimaler Alterswert 7,01 9,1 JJ,MM maximaler Alterswert 12,8 14,08 JJ,MM

Ø Therapiedauer 20,86 0 MM

Tab. 5. Geschlechterverteilung, Altersunterschiede und Extremwerte zum Zeitpunkt der Röntgenaufnahmen, prä- und posttherapeutisch und durchschnittliche Therapiedauer (JJ = Jahre, MM = Monate, m = männlich, f = weiblich).

54

Eine gleichzeitige Therapie im Oberkiefer wurde in 12 von 14 Fällen durchgeführt. Drei Patienten

trugen zeitgleich zum Lipbumper eine obere Dehnplatte, einer einen Expansionsheadgear und acht

einen cervicalen Headgear. Bei drei dieser Patienten wurde im Verlauf des Beobachtungszeitraums

auf eine Y-Platte umgestellt.

8.3 Röntgenkephalometrische Analyse

8.3.1 Winkelmessung

Der Molarenwinkel (s. Abb. 29) erfuhr eine mittlere Aufrichtung von 4,07° nach distal in der

Studiengruppe gegenüber 0,8° in der Kontrollgruppe, wobei eine große Streuung der Messwerte

auftrat. (s. Tab. 6 und 8). Der mittlere untere Frontzahn kippte in der Kontrollgruppe im Mittel um

0,8° nach ventral und in der Studiengruppe um 2,42° (s. Tab. 7 und 8).

Studiengruppe Kontrollgruppe Molarenwinkel Ø

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2

n 14 14 14 14 Mittelwert 90,0 94,1 93,9 94,6 °Grad

Standardabweichung ±7,28 ±6,35 ±6,33 ±6,25 °Grad Median 90,5 94,0 95,0 92,5 °Grad

Minimum 71 85 81 86 °Grad Maximum 102 105 107 104 °Grad

Tab. 6. Mittelwerte des Winkels des ersten unteren Molaren zur Mandibularlinie mit Median, Standardabweichung und

Extremwerten, gemessen von anterior.

Studiengruppe Kontrollgruppe Frontzahnwinkel Ø

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2

n 14 14 14 14 Mittelwert 89,5 87,1 86,3 85,5 °Grad

Standardabweichung ±5,73 ±5,92 ±5,59 ±6,83 °Grad Median 90,0 86,5 86 85,5 °Grad

Minimum 80 75 79 76 °Grad Maximum 100 96 97 103 °Grad

Tab. 7. Mittelwerte des Winkels des mittleren unteren Frontzahns zur Mandibularlinie mit Median, Standardabweichung

und Extremwerten, gemessen nach anterior.

55

Veränderung des Molarenwinkels Veränderung des Frontzahnwinkels Veränderung der Winkel

Studiengruppe Kontrollgruppe Studiengruppe Kontrollgruppe n 14 14 14 14

Mittelwert 4,07 0,79 -2,43 -0,79 °Grad Standardabweichung ± 3,89 7,78 3,1 3,9 °Grad

Median 4,0 2,0 -3,0 -1,5 °Grad Signifikanzwahrscheinlichkeit des Vergleichs von Studien- zu Kontrollgruppe

p-Wert 0,2035 0,1580

Tab. 8. Mittelwerte der eingetretenen Veränderung des Winkels des ersten unteren Molaren und des mittleren unteren

Frontzahnes, sowie die Standardabweichung und die Signifikanzwahrscheinlichkeit (p-Wert) im Vergleich von Studien- und Kontrollgruppe; positive Werte bedeuten dabei Retroklination, negative Proklination.

8.3.2 Y-Achse

In beiden Gruppen überwog die Anzahl der Personen mit vertikalem Wachstumsmuster, wodurch

die Messwerte generell unter dem Einfluss eines vermehrten dorsokaudalen Wachstums standen.

Unterschiede des Wachstumsmusters von prä- zu posttherapeutischen Winkelmessungen traten nicht

auf.

Wachstumsmuster Studiengruppe Kontrollgruppe

11 vertikal / 3 horizontal 13 vertikal / 1 horizontal Anzahl

Tab. 9. Ergebnis der Winkelmessung von NS-Gn zur Bestimmung des Wachstumsmusters. Anzahl der Probanden mit vertikalem bzw. horizontalem Wachstumsmuster in den Untersuchungsgruppen. Prä- und posttherapeutische

Wachstumsmusterunterschiede traten nicht auf.

8.3.3 Sagittale Diskrepanz

In der Studiengruppe vergrößerte sich der Abstand der Unterkieferfront zur N-Pog-Linie leicht; die

Veränderung war nicht signifikant. Der Mittelwert ging über den Toleranzwert von +2 mm hinaus

auf +2,2 mm; in der Kontrollgruppe sogar auf +3,8 mm (s. Tab. 10).

Studiengruppe Kontrollgruppe Sagittale Diskrepanz

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2 n 10 10 13 13

Abstand 1̄ - N-Pog 1,6 2,2 2,7 3,8 mm Totale Diskrepanz -4,35 -1,9 0,3 0,4 mm

Tab. 10. Sagittaler Abstand der Unterkieferfront zur Linie N-Pog als Indikator für sagittalen Platzbedarf; zum Vergleich

die Platzbedarfsänderung insgesamt (Totale Diskrepanz). Die physiologische Normabweichung für den Abstand der Unterkieferfront zu N-Pog beträgt +/- 2 mm.

56

8.4 Odontometrische Analyse

Die odontometrische Analyse kombiniert mit der Speekurve und der sagittalen Diskrepanz ergibt die

Totale Diskrepanz (TD) (s. Tab. 11). In der Studiengruppe bestand prätherapeutisch ein Platzbedarf

von 4,35 mm gegenüber 0,308 mm in der Kontrollgruppe. Die Studiengruppe zeigte im Mittel einen

Platzgewinn von 2,43 mm im Vergleich zu einem Plus von 0,1 mm in der Kontrollgruppe. Wegen

fehlender Prämolaren war die Bestimmung nur bei einem Teil der Patienten möglich. Nach der

Behandlung konnte eine Eindeutigkeit nicht bestimmt werden, während die Werte der Totalen

Diskrepanz vor der Therapie im Vergleich zur Kontrollgruppe mit p = 0,022 eine leichte Signifikanz

aufwiesen, wobei der Platzmangel in der Studiengruppe deutlich ausgeprägter war (s. Tab. 12). Die

Speekurve nivellierte sich auch in der Kontrollgruppe, kostete aber der Studiengruppe durch-

schnittlich 0,85 mm Platz.

Studiengruppe Kontrollgruppe

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2 n 10 10 13 13

Mittelwert Totale Diskrepanz -4,35 -1,92 0,308 0,404 mm Standardabweichung ±4,28 ±2,88 ±4,27 ±3,76 mm

Median -5,63 -3,25 -0,25 2,0 mm Minimum -10,25 -5,25 -7,0 -8,0 mm

Maximalwert 3,75 3,0 6,25 4,0 mm Spee 2 1,15 1,92 1,58 mm

1̄ - NPog 1,6 2,2 2,7 3,8 mm

Tab. 11. Prä- und posttherapeutischer Platzmangel (Totale Diskrepanz); mit Angabe der Mittelwerte, deren Standardabweichung und Extremwerten. Die Totale Diskrepanz errechnet sich aus Platzmangel im Zahnbogen mesial

der Molaren, der Speekurve und dem Abstand der Unterkieferfront (1̄ ) zu N-Pog.

Vergleich Studiengruppe zur Kontrollgruppe Totale Diskrepanz Zeitpunkt 1 Totale Diskrepanz Zeitpunkt 2

Überschreitungswahrscheinlichkeit 0,022 0,128

Tab. 12. Signifikanzwahrscheinlichkeit bei der ersten und der zweiten Röntgenaufnahme. Zum Zeitpunkt 1 bestand mit p<0,05 eine leichte Signifikanz des Platzmangels zwischen Studien- und Kontrollgruppe, die nach der Therapie nicht

mehr nachzuweisen war.

8.5 Röntgenbild-Überlagerung

8.5.1 Erster unterer Molar

Die Krone des ersten unteren Molaren (6c) verlagerte sich orthodontisch im Mittel um 2,09 ±1,79

mm nach mesial (totale Verlagerung: 2,16 ±3,27 mm) und 0,8 ±2.17 mm nach kranial (totale

57

Verlagerung: 3.61 ±2.96 mm), im Gegensatz zu durchschnittlich 1,36 ±1,77 mm mesial (totale

Verlagerung: 1.61 ±1.86 mm) und 0,6 ±2,15 mm kranial (totale Verlagerung: 6.39 ±2.03 mm) der

Kontrollgruppe (s. Abb. 31 und Diagramm 1). Mit p = 0,308 bestand kein signifikanter Gruppen-

unterschied. Die Differenzierung der Anteile der Verlagerung sind in Abbildung 32 dargestellt. Bei

den Überlagerungsdaten in den Boxplots stehen die x1-Werte für das Ausmaß der orthopädischen

Verlagerung, x2 steht für die totale Verlagerung und x3 für die speziell beobachtete orthodontische

Verlagerung.

Abb. 31. Orthodontische Verlagerung der Mittelwerte des Punktes mesialer Molarenhöcker über den

Beobachtungszeitraum hinweg im Vergleich der Studiengruppe zur Kontrollgruppe; ca. 20-fache Vergrößerung. Der Nullpunkt entspricht dem Punkt mesialer Molarenhöcker im Ausgangsröntgenbild.

Studiengruppe Kontrollgruppe

Abb. 32. Schematische Darstellung der Verlagerung der Mittelwerte des Punktes mesiale Höckerspitze des Molaren (6c)

über den Therapiezeitraum hinweg aufgeteilt in Vektoren für die orthopädische Verlagerung = S , orthodontische Verlagerung = L und totale Verlagerung = T; ca. 10-fache Vergrößerung; der Nullpunkt entspricht dem Punkt mesiale

Höckerspitze des Molaren im Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

58

Studiengruppe Kontrollgruppe

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

m in

m in

m in

mean

mean meanstdstd

std

q 1

q 1

q 1

med

med med

-6,00

-4,00

-2,00

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

q 3

q 3 q 3m a x

m a x

m a x

m in

m in

m in

mean

mean meanstdstd std

q 1

q 1

q 1

med

medmed

-4,00

-3,00

-2,00

-1,00

0,00

1,00

2,00

3,00

4,00

5,00

6,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

Diagramm 1. Boxplot der x-Werte des Punktes mesiale Molarenspitze der Studiengruppe mit orthopädischer Verlagerung = x1, totaler Verlagerung = x2 und orthodontischer Verlagerung = x3 mit Mittelwert (mean) und

Standardabweichung (std); beachte die Streuung der Werte. Signifikanzwahrscheinlichkeit 6c: x1: p=0,73, x2: p=0,75, x3: p=0,31.

In der Lipbumpergruppe verlagerte sich die Wurzelspitze des ersten Unterkiefermolaren (6a) im

Mittel um 3,34 ±2,31 mm nach mesial (totale Verlagerung: 3.32 ±4.38 mm) und 0,55 ±1,77 mm

nach kaudal (totale Verlagerung: 5.05 ±2.32 mm), im Gegensatz zu durchschnittlich 1,07 ±3,55 mm

mesial (totale Verlagerung: 1.28 ±4.04 mm) und 0,52 ±3,04 mm kaudal in der Kontrollgruppe

(totale Verlagerung: 7.38 ±3.06 mm) (s. Abb. 33 und Diagramm 2) Mit p = 0,027 bestand ein leicht

signifikanter Gruppenunterschied. Die Aufteilung der Bewegung in ihre Anteile der orthodontischen

und orthopädischen Verlagerung sind in Abbildung 34 dargestellt.

Abb. 33. Schematische Darstellung der orthodontischen Verlagerung der Mittelwerte des Punktes Molarapex über den Beobachtungszeitraum hinweg im Vergleich der Studiengruppe zur Kontrollgruppe; ca. 10-fache Vergrößerung. Der

Nullpunkt entspricht dem Punkt mesialer Molarapex im Ausgangsröntgenbild. Die x-Achse ist parallel zur Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

59

Studiengruppe Kontrollgruppe

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

m in m in

m inmean

mean meanstd

std

std

q 1

q 1

q 1

med

med

med

-6

-4

-2

0

2

4

6

8

10

12

x1 x2 x3

x1 x2 x3

q3

q3

q3

max

max

max

min

min

min

meanmean meanstd

std std

q1

q1

q1

medmed med

-8

-6

-4

-2

0

2

4

6

8

10

x1 x2 x3

x1 x2 x3

Diagramm 2. Boxplot der x-Werte des Punktes mesialer Molarapex in der Studiengruppe aufgeteilt in orthopädische Verlagerung = x1, totale Verlagerung = x2 und orthodontische Verlagerung = x3 mit Mittelwert (mean) und

Standardabweichung (std). Signifikanzwahrscheinlichkeit 6a: x1: p=0,63, x2: p=0,18, x3: p=0,027

Studiengruppe Kontrollgruppe

Abb. 34. Schematische Darstellung der Verlagerung der Mittelwerte des Punktes Wurzelspitze des Molaren über den Therapiezeitraum hinweg, aufgeteilt in die Anteile der Bewegung mit S = orthopädische Verlagerung,

L = orthodontische Verlagerung und T= totale Verlagerung; ca. 10-fache Vergrößerung; der Nullpunkt entspricht dem Punkt Wurzelspitze des Molaren im Ausgangsbild.

60

8.5.2 Unterkiefer-Frontzahn

Der Punkt Inzisalkante des unteren mittleren Frontzahns (1i) verlagerte sich orthodontisch in der

Studiengruppe im Mittel um 3,18 ±1,98 mm nach ventral (s. Abb. 35) (totale Verlagerung: 2.87

±3.26 mm) und der Punkt Frontzahnapex (1a) um 2,66 ±2,19 mm nach ventral (s. Abb. 36) (totale

Verlagerung: 2.61 ±3.73 mm). In der Kontrollgruppe verlagerte sich die Frontzahnspitze lokal im

Mittel um 4.02 ±2,89 mm nach ventral (totale Verlagerung: 4.27 ±2.42 mm) und die Wurzelspitze

um 3,46 ±2,43 mm nach ventral (totale Verlagerung: 3.5 ±2.88 mm). Die Gruppendifferenzen waren

nicht signifikant (s. Diagramme 3 und 4).

Abb. 35. Orthodontische Verlagerung der Mittelwerte des Punktes Inzisalkante des unteren mittleren Frontzahns über den Beobachtungszeitraum hinweg im Vergleich der Studiengruppe zur Kontrollgruppe; der Nullpunkt entspricht dem

Punkt Inzisalkante des unteren mittleren Frontzahns im Ausgangsbild; ca. 20-fache Vergrößerung.

Abb. 36. Orthodontische Verlagerung der Mittelwerte des Punktes Frontzahnapex über den Beobachtungszeitraum hinweg im Vergleich der Studiengruppe zur Kontrollgruppe ; der Nullpunkt entspricht dem Punkt Frontzahnapex im

Ausgangsbild; ca. 20-fache Vergrößerung.

61

Studiengruppe Kontrollgruppe

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

m in

m in

m in

mean

mean meanstd

stdstd

q 1

q 1

q 1

med

med med

-6,00

-4,00

-2,00

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

min

min m in

mean

mean mean

stdstd std

q 1

q 1

q 1

med

medmed

-4,00

-2,00

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

12,00

14,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

Diagramm 3. Boxplot der x-Werte des Punktes inzisale Spitze des mittleren unteren Frontzahnes aufgeteilt in orthopädische Verlagerung = x1, totale Verlagerung = x2 und orthodontische Verlagerung = x3 mit Mittelwert (mean)

und Standardabweichung (std). Signifikanzwahrscheinlichkeit 1i x3: p=0,355

Studiengruppe Kontrollgruppe

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

m in

m in

m in

mean

mean meanstd stdstd

q 1

q 1

q 1

med

med med

-8,00

-6,00

-4,00

-2,00

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

12,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

q 3

q 3

q 3

m a x

m a x

m a x

m in

m in

m in

mean

mean mean

stdstd std

q 1

q 1

q 1

med

med med

-6,00

-4,00

-2,00

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

x1 x2 x3

x1 x2 x3

Diagramm 4. Boxplot der x-Werte des Punktes Frontzahnapex aufgeteilt in orthopädische Verlagerung = x1, totale

Verlagerung = x2 und orthodontische Verlagerung = x3 mit Mittelwert (mean) und Standardabweichung (std). Signifikanzwahrscheinlichkeit 1a: x3: p=0,278

8.5.3 Menton

In der Studiengruppe remodellierte der Punkt Menton lokal im Mittel 2,03 ±2,71 mm nach ventral

(totale Verlagerung 1,58 ±4,31 mm) und 0,55 ±1,13 mm nach kaudal (totale Verlagerung: 4.93

±2.94 mm).

In der Kontrollgruppe remodellierte der Referenzpunkt lokal 2,77 ±1,49 mm nach ventral (totale

Verlagerung 2,87 ±2,04 mm) und 2,07 ±1,46 mm nach kaudal (totale Verlagerung 8,91 ±2,96 mm).

62

Demnach verlagerte sich der untere Kinnpunkt bei Lipbumper-Therapie im Mittel um 1,5 mm

weniger nach kaudal als bei den unbehandelten Probanden (p < 0,01) (s. Abb. 37, Tabelle 10).

Studiengruppe Kontrollgruppe

Abb. 37. Schematische Darstellung der eingetretenen Verlagerung der Mittelwerte des Referenzpunktes Menton

während des Therapiezeitraums; aufgeteilt in Vektoren mit: T = totale Verlagerung, S = Überlagerungstranslokation und L = lokale Remodellierung. Der Nullpunkt entspricht dem Punkt Menton im Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur

Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

8.5.4 Pogonion

Der Punkt Pogonion remodellierte lokal in der Studiengruppe im Mittel um 1,95 ±1,46 mm nach

ventral (totale Verlagerung 1,98 ±4,04 mm) und 1,04 ±1,58 mm nach kaudal (totale Verlagerung

1,04 ±1,58 mm) (s. Abb.38).

In der Kontrollgruppe remodellierte der Referenzpunkt lokal 2,44 ±1,63 mm nach ventral (totale

Verlagerung 2,45 ±2,06 mm) und 1,59 ±1,38 mm nach kaudal (totale Verlagerung 8,96 ±2,54 mm).

Zwischen den Gruppen bestand keine signifikante Differenz.

Tendenziell bewegten sich die Punkte Menton und Pogonion ähnlich (s. Abb. 39), auch über die

beiden Gruppen hinweg. In der Horizontalen fand in beiden Gruppen ein ähnlich starkes Wachstum

bzw. eine lokale Remodellierung um 2 mm nach ventral statt.

In der Studiengruppe remodellierte Pogonion weiter nach kaudal als Menton. In der Kontrollgruppe

remodellierte Menton weiter nach kaudal und weiter nach mesial, was mit der physiologischen,

63

leichten Dorsalremodellierung von Pogonion übereinstimmt.

In der Kontrollgruppe waren die vertikalen Werte der Überlagerungstranslokation (y1) von

Pogonion und Menton im Mittel beinahe doppelt so groß wie in der Studiengruppe, es bestand

jedoch kein signifikanter Gruppenunterschied (Me: Kontrollgrp.: y1 = 6,84 ±3,06 mm; Studiengrp.:

y1 = 4,37 ±2,86 mm), (Pog: Kontrollgrp.: y1 = 7,37 ±2,96 mm; Studiengrp.: y1 = 4,61 ±2,84 mm),

(vergleiche Tab.10 für die Messwerte der knöchernen Referenzpunkte).

Abb. 38. Schematische Darstellung der eingetretenen Verlagerung der Mittelwerte des Referenzpunktes Pogonion

während des Therapiezeitraums; aufgeteilt in Vektoren mit: T = totale Verlagerung, S = Überlagerungstranslokation und L = lokale Remodellierung. Der Nullpunkt entspricht dem Punkt Menton im Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur

Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

Abb. 39: Skizze der lokalen Remodellierung der Punkte Pogonion (Pog) und Menton (Me) im Vergleich von Studien- zu Kontrollgruppe (Mittelwerte); Vergrößerung ca. 10-fach. Nullpunkte entsprechen den jeweiligen Referenzpunkten im

Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

64

Cond Kontrollgruppe

Cond

Studiengruppe

n Mittelwert Standardabweichung n Mittelwert Standardabweichung x1 14 0,73 ± 1,32 x1 14 0,018 ± 2,58 x2 14 -0,66 ± 1,59 x2 14 -0,57 ± 2,17 x3 14 -1,39 ± 1,85 x3 14 -0,59 ± 2,90

y1 14 6,88 ± 2,21 y1 14 5,43 ± 2,74 y2 14 1,69 ± 2,93 y2 14 2,34 ± 2,90 y3 14 -5,18 ± 3,42 y3 14 -3,09 ± 2,39

Signifikanzwahrscheinlichkeit: x1: p=0.3333 x2: p=0.8352 x3: p=0.6271 y1: p=0.1178 y2: p=0.7641 y3: p=0.0690

Pogonion Kontrollgruppe

Pogonion

Studiengruppe

n Mittelwert Standardabweichung n Mittelwert Standardabweichung x1 14 0,00 ± 1,85 x1 14 0,04 ± 3,62 x2 14 2,45 ± 2,06 x2 14 1,98 ± 4,04 x3 14 2,44 ± 1,63 x3 14 1,95 ± 1,46

y1 14 7,38 ± 2,96 y1 14 4,61 ± 2,85 y2 14 8,96 ± 2,54 y2 14 5,64 ± 3,57 y3 14 1,59 ± 1,38 y3 14 1,04 ± 1,58

Signifikanzwahrscheinlichkeit: x1: p=0.8534 x2: p=0.799 x3: p=0.3441 y1: p=0.0355 y2: p=0.0039 y3: p=0.2847

Menton Kontrollgruppe

Menton

Studiengruppe

n Mittelwert Standardabweichung n Mittelwert Standardabweichung x1 14 0,11 ± 1,65 x1 14 -0,45 ± 3,19 x2 14 2,87 ± 2,04 x2 14 1,58 ± 4,31 x3 14 2,77 ± 1,49 x3 14 2,03 ± 2,71

y1 14 6,84 ± 3,06 y1 14 4,37 ± 2,86 y2 14 8,91 ± 2,96 y2 14 4,93 ± 2,94 y3 14 2,07 ± 1,46 y3 14 0,55 ± 1,13

Signifikanzwahrscheinlichkeit: x1: p=0,872 x2: p=0,0311 x3: p=0,0839 y1: p=0.0428 y2: p=0.0014 y3: p=0.0045

Gonion Kontrollgruppe

Gonion

Studiengruppe

n Mittelwert Standardabweichung n Mittelwert Standardabweichung x1 14 0,50 ± 1,23 x1 14 -0,23 ± 2,32 x2 14 -1,84 ± 1,74 x2 14 -1,29 ± 3,09 x3 14 -2,34 ± 1,10 x3 14 -1,05 ± 1,76

y1 14 6,79 ± 2,11 y1 14 4,50 ± 2,63 y2 14 5,25 ± 1,82 y2 14 3,80 ± 2,64 y3 14 -1,54 ± 1,42 y3 14 -0,70 ± 1,09

Signifikanzwahrscheinlichkeit: x1: p=0.0644 x2: p=0.982 x3: p=0.0421 y1: p=0.0195 y2: p=0.0967 y3: p=0.0753

Tab. 13. Sekundäre Verlagerung oder Überlagerungstranslokation (x/y1), totale Verlagerung (x/y2) und lokale Remodellierung (x/y3) der knöchernen Referenzpunkte Condylion, Pogonion, Gonion und Menton mit Angabe der

Standardabweichungen; Werte in Millimetern (mm); n = Probandenzahl.

65

8.5.5 Condylion, Gonion

Die Bewegungen der Referenzpunkte Condylion und Gonion zeigten keine statistisch auffälligen

Unterschiede zur Kontrollgruppe. In Übereinstimmung mit den physiologischen Wachstums-

vorgängen wanderten Condylion (s. Abb. 40, 41) und Gonion (s. Abb. 40, 42) nach dorsokranial In

beiden Gruppen remodellierte Condylion stärker als Gonion nach kranial (s. Tab. 13: y3-Werte).

Abb. 40. Lokale Remodellierung der Punkte Condylion (Cond), und Gonion (Go) im Vergleich von Studien- zu

Kontrollgruppe (Mittelwerte); Vergrößerung ca. 10-fach. Nullpunkte entsprechen den jeweiligen Referenzpunkten im Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

Abb. 41. Schematische Darstellung der eingetretenen Verlagerung der Mittelwerte des Referenzpunktes Condylion

während des Therapiezeitraums; aufgeteilt in Vektoren mit: T = totale Verlagerung, S = Überlagerungstranslokation und L = lokale Remodellierung. Der Nullpunkt entspricht dem Punkt Menton im Ausgangsbild.

66

Abb. 42. Schematische Darstellung der eingetretenen Verlagerung der Mittelwerte des Referenzpunktes Gonion

während des Therapiezeitraums; aufgeteilt in Vektoren mit: T = totale Verlagerung, S = Überlagerungstranslokation und L = lokale Remodellierung. Der Nullpunkt entspricht dem Punkt Gonion im Ausgangsbild. Die x-Achse ist parallel zur

Strecke S-N ausgerichtet, die y-Achse senkrecht dazu.

Im Vergleich von Gonion und Pogonion (s. Abb. 43) wurde in beiden Gruppen Gonion leicht nach

dorsal remodelliert, während Pogonion nach ventral wuchs (s. Tab. 13: x3-Werte ). In der Vertikalen

wuchs Pogonion in beiden Gruppen nach kaudal, während Gonion nach kranial remodellierte

(s. Tab. 13: y3-Werte).

Abb. 43. Lokale Remodellierung der Punkte Gonion und Pogonion mit Vektoren für die Studien- und Kontrollgruppe (Mittelwerte). Vergrößerung ca. 10-fach. Nullpunkte entsprechen den jeweiligen Referenzpunkten im Ausgangsbild.

67

9 Diskussion

Mit dem Lipbumper können die verankernden unteren Molaren aufgerichtet werden, und durch

Frontzahnprotrusion und Halten des Leeway-Space im Wechselgebiß kann ein Engstand im

Zahnbogen aufgelöst werden. Insofern bietet der Lb teilweise die Möglichkeit, im Unterkiefer einen

Headgear zu ersetzen, ohne das Kiefergelenk dabei zu beeinträchtigen und ohne reziproke Kräfte

auf die Dentition auszuüben. Durch die Überlagerungsmethode nach Baumrind et al.10,11 kann

zwischen der orthodontischen Verlagerung eines Zahnes und einer Dislokation der Mandibula-

strukturen durch Knochenwachstum und -verlagerung unterschieden und somit das Ausmaß der

lokalen Bewegung von Zähnen untersucht werden. Grundlegende Unterschiede zwischen der

Behandlung mit Headgear und Lipbumper sind die maximal zu erreichende Kraftgröße und die

dichtere Knochenstruktur des Unterkiefers. Die Kraftgröße wird wegen der Verankerung in der

Unterlippe durch deren Resilienz begrenzt. Der dichtere Knochen im Unterkiefer erschwert und ver-

langsamt die orthodontische Zahnbewegung allgemein im Vergleich zum Oberkiefer.

9.1 Material und Methoden

Die Ergebnisse bei der Untersuchung der Bewegung des ersten Unterkiefermolaren wurden von

verschiedenen Faktoren beeinträchtigt. Gleichzeitige Therapien im Oberkiefer sind aufgrund von

Nebendiagnosen in retrospektiven Studien nicht zu vermeiden; aus ethischen Gründen können in der

Kieferorthopädie nicht direkt nach Abschluss jedes einzelnen Therapieschrittes Röntgenaufnahmen

erstellt werden. Daher gab es kein FRS-Bild, das zeitgleich mit dem Ein- oder Absetzen des Lip-

bumpers erstellt wurde.

Geschlecht und Alter gingen in die Statistik mit ein, spielen nach Hodge et al.55 und Nevant et al.81

aber keine entscheidende Rolle. Genauso scheint ein oft im Gegenkiefer verwendeter Aufbiss eine

statistisch nicht relevante Rolle zu spielen52,81.

Die verwendete Überlagerungs- oder Superimpositionstechnik von Fernröntgenseitenbildern beruht

auf anatomischen Regeln, das heißt sie haben nicht die Reproduktionssicherheit implantatgestützter

Superimpositionen und können so Fehlerquellen beinhalten, die größer sind als Ungenauigkeiten bei

den Durchzeichnungen und den Messungen7,11,89. Nach Baumrind et al. führt diese Art von

68

Überlagerungstechnik tendenziell zur Überschätzung der dorsal gerichteten, condylären Verlagerung

und zur Unterschätzung der vertikal gerichteten Verlagerung7.

Für die Genauigkeit des Ergebnisses wurden Messpunkte mit relativer Konstanz über den ganzen

Therapiezeitraum hinweg gewählt. Da jedoch jede Körperregion besonders im Wachstum dem

ständigen Wandel der Anpassung unterliegt, „gibt es keinen fixen Punkt, außer dass man den

Ursprung für eine Messung einfach als Null festsetzt“, wie Salzmann es nennt100. Diese Methode hat

Vorteile bei der qualitativen Analyse der Veränderungen. Die quantitative Analyse, Verlagerungen

durch Superimposition zu messen, wird durch Ungenauigkeiten bei der korrekten Größen- und

Richtungsmessung der Röntgenbilder erschwert10. Durch die mögliche Variation in der Ausrichtung

der Bilder auf den anatomischen Strukturen können so relativ starke Schwankungen auftreten11 und

die Bewegung verwischt durch das Mitwachsen des Alveolarknochens.

Die Reproduzierbarkeit des Röntgenbildes ist qualitativ gegeben, während aber die Quersummen

der Werte – durch die Varianz der Überlagerungsmöglichkeiten – nicht vergleichbar sind. Man kann

also auf eine Wachstumstendenz schließen, aber nicht klare Aussagen über die Summe des

Wachstums treffen6. Auch werden nach Baumrind et al.7 interindividuelle Unterschiede im

Wachstumstyp (gegenüber der Björk-Implantat-Gruppe) durch die anatomische Überlagerungs-

technik verwischt oder eliminiert. Durch die Superimposition auf anatomischen Strukturen gehen

also Informationen über den Wachstumstyp verloren7. Des weiteren können interindividuelle

Wachstumsunterschiede oft zu starken Abweichungen führen80.

9.2 Zahnbewegungen

Bei der vorliegenden Untersuchung trat bei der Analyse der Bewegung des ersten unteren Molaren

nur am Punkt Molarapex (6a) ein leicht signifikanter Unterschied unter Lipbumper-Anwendung auf.

Nicht signifikant, aber im Mittel mit einem Unterschied von 3,28°, richtete der Lipbumper den

unteren Sechser nach distal auf. Die schwach signifikante orthodontische Verlagerung des

Molarapex nach mesial (p = 0,027) deutet auf diese Aufrichtung des Molaren hin, bei der die

Wurzelspitze nach mesial kam. Zeitgleich kippte die Front um durchschnittlich 1,64° nach labial (s.

Tab. 14), wie es auch von anderen Autoren5,26,52 berichtet wurde. Die Ergebnisse der

Überlagerungen bestätigten dieses Bild der Winkelanalyse.

Die Überlagerungen zeigten zudem eine nicht signifikante Bewegung der mesialen Kronenspitze des

Molaren im Vergleich zur Kontrollgruppe in kranialer und mesialer Richtung. Die Wurzelspitze

69

verlagerte sich lokal im Vergleich nach mesial und kaudal (s. Tab. 14). Wie nach Perillo et al.88

konnte eine leichte Zunahme der Vertikalen bei Lipbumpereinsatz registriert werden.

Die Behandlung zeigte sich effektiv in Bezug auf den Platzmangel. Während vor der Therapie ein

leicht signifikanter Unterschied der Gruppen bestand (p = 0,022), war er danach nicht mehr nachzu-

weisen (s. Tab. 12 und 14).

Studiengruppe Kontrollgruppe Mittelwerte der Veränderungen

Prätherapeutisch Posttherapeutisch Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2

Mittelwert Totale Diskrepanz -4,35 -1,92 0,31 0,4 mm Abstand 1̄ - N-Pog 1,6 2,2 2,7 3,8 mm

Spee 2 1,15 1,92 1,58 mm Änderung des Molarenwinkels 4,07 0,79 °Grad

Änderung des Frontzahnwinkels -2,43 -0,79 °Grad x3 Molarhöcker-Bewegung 2,089 1,357 mm x3 Molarapex-Bewegung 3,339 1,071 mm

x3 Frontzahnspitzen-Bewegung 3,178 4,017 mm x3 Frontzahnapex-Bewegung 2,660 3,464 mm

x3 Menton-Bewegung 2,02 2,77 mm

Tab. 14. Übersicht der potentiell Platz schaffenden Parameter. Die Frontzahnbewegung und -inklination, die Molarenbewegung, der Molarenwinkel, die Speekurve und der Abstand der Unterkieferfront zu N-Pog im Vergleich mit

der Platzdiskrepanz. x3 steht für die lokale, horizontale Komponente der Bewegung der Referenzpunkte. Für den Vergleich mit einer Verschiebung der Überlagerung (s. a. Tab. 12) sind die x3-Mittelwerte von Menton angefügt.

In der Übersicht in Tabelle 11 wird deutlich, dass der Platzgewinn im unteren Zahnbogen in der

Studiengruppe von 2,43 mm zu unterschiedlichen Anteilen aus der Aufrichtung des Molaren und der

Proklination der Frontzähne stammt. Durch die Proklination um durchschnittlich 2,43° kam es im

Mittel zu einer Anteriorbewegung der Frontzahnspitze um 1,1 mm. Gleichzeitig kam es durch die

Nivellierung der Speekurve zu einem Verlust von 0,85 mm an Zahnbogenlänge. Trotz der Mesial-

bewegung der Molaren in der Studiengruppe wurde im Vergleich zur Kontrollgruppe ein Platz-

gewinn erzielt, was auf einen relativen Platzgewinn durch Halten des Leeway-Space oder eine trans-

versale Verbreiterung schließen lässt. Demzufolge erreichte der Lipbumper den größten Teil des

Platzgewinns durch die Aufrichtung des Molaren, sowie einen in der Arbeit nicht näher bestimmten

Anteil durch die Frontzahnproklination und durch das Halten der Distanz bei gleichzeitigem

Wachstum des Corpus mandibulae.

In der Studiengruppe kam es unter physiologischen Bedingungen durch die Kippung zu einer

ungünstigeren Stellung der Frontzähne und die sagittale Relation zur N-Pog-Linie ging leicht über

70

den physiologischen Toleranzwert von +2 mm hinaus, was einen Stabilitätsverlust in der Frontzahn-

aufstellung bedeutet. Das heißt, dass die therapiebedingte Kippung durch Lipbumpertherapie nur bei

Patienten mit steiler Front akzeptiert werden kann. Andererseits schreiben Seefeld et al. der sagit-

talen und vertikalen Positionierung des Lipbumpers im Vestibulum eine entscheidende Bedeutung

auf die Inklination der Frontzähne zu104. Auch andere Autoren berichten, dass bei gingivaler Positio-

nierung eines Drahtbogen-Lipbumpers sich die Unterlippe stützend anlagern kann, um die Proklina-

tion zu verhindern, bzw. bei mehr inzisaler Positionierung die Labialkippung der Inzisivi verstärkt

wird40,71,104.

Die Kippung der Frontzähne ist in den Überlagerungsdaten an einer stärkeren Bewegung der

Inzisalspitze gegenüber dem Apex zu erkennen, wobei hier im Gegensatz zu den Winkelmessungen

auch in der Kontrollgruppe eine Kippung sichtbar wurde. Bei den Winkelmessungen verhinderte die

Streuung der Messwerte eine Signifikanz. In diesem Zusammenhang wiesen Seefeld et al. auf die

hohe Messungenauigkeit bei der Bestimmung der Inklination der Frontzähne hin104. Die Bestim-

mung des apikalen Messpunktes (1a) weist aufgrund der starken Überlagerung aller vier Inzisivi

einen Fehler von bis zu 75% auf107. Da auch in der Kontrollgruppe eine anterior gerichtete Bewe-

gung des Punktes Frontzahnapex festgestellt wurde (s. Tab. 14), kann nach den vorliegenden

Messwerten nicht auf eine Protrusion der Frontzähne durch Lipbumpertherapie geschlossen werden.

Der erste untere Molar der Studiengruppe bewegte sich im Vergleich zur Kontrollgruppe leicht nach

mesial. Dies scheint bei gleichzeitigem Platzgewinn paradox, kann seine Antwort aber in der

Streubreite des kleinen Kollektivs finden, deren Extremwerte in den Tabellen in Kapitel 8 ersicht-

lich sind, oder aber auf eine durch die Zahnbewegung bedingte Aufhebung eines distalen Zwangs-

bisses hindeuten. Dies würde ein „catch-up“-Wachstum nach therapiebedingter Aufhebung eines

distalen Zwangsbisses bedeuten. Die Elimination einer Lippendyskinesie durch Libpumper-Therapie

kann den normalen Lippenschluss wieder herstellen. Dies ermöglicht dem Unterkiefer in einem

„catch-up“-Wachstum das Wiederaufholen eventueller, durch die Dyskinesie bedingter, Wachs-

tumsdefizite.

Dabei bewegte sich der Molar zusammen mit den anterioren Referenzpunkten nach mesial, während

sich die posterior gelegenen Punkte dem physiologischen Wachstum entsprechend nach dorsal

bewegten. Das bedeutet, dass sich der Molar im Rahmen der Wachstumsvorgänge der anterioren

Unterkieferbasis nach mesial bewegte.

71

9.3. Knöcherne Bewegungen

Der knöcherne Referenzpunkt Menton zeigte im Vergleich zur Kontrollgruppe eine um 1,5 mm

signifikant verringerte Bewegung nach kaudal (p = 0,0045). Die Signifikanz bestand bei der lokalen

Remodellierung und der totalen Verlagerung, hingegen nicht bei der Überlagerungstranslokation.

In der Studie von Baumrind et al.7 wird die Differenz der Messungen zwischen Überlagerung auf

Implantaten und auf anatomisch „bester Passung“7 betrachtet. Dabei wird u.a. berichtet, dass

Condylion sich bei implantatgestützter Überlagerung um -0,64 ±1,96 mm distal bewegte im

Gegensatz zu -1,65 ±1,78 mm bei Überlagerung auf anatomisch „bester Passung“. Auch für Gonion

stimmen hier die Werte der vorliegenden Studie beinahe exakt mit diesen Werten überein. Nur die

weiter anterior stehenden Punkte bewegten sich in der vorliegenden Untersuchung stärker nach

mesial als bei Baumrind et al.7. Menton zeigt nach Baumrind et al.7 bei Überlagerungen auf

Implantaten nur minimale Verlagerungen über einen längeren Zeitraum hinweg.

Dieser Gruppenunterschied ist möglicherweise auf das Ausschalten der Unterlippe und ihrer

Druckbelastung auf das Wachstum des anterioren Unterkiefers zurückzuführen. Dadurch waren die

Wachstumsvektoren in der Sagittalen unbeeinflusst, die muskulären Komponenten, welche die

Vektoren in die Vertikale ableiten, reduziert. Die umgekehrte Situation findet sich bei Mundatmern

und operierten Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltträgern, bei denen durch den erhöhten Druck der

fazialen Weichteile die sagittale Verlagerung des Gesichtsschädels beeinträchtigt und die vertikale

Verlagerung des Unterkiefers nach kaudal erhöht ist. Die stärkere Ventralverlagerung des Punktes

Menton könnte auch damit erklärt werden. Dieselbe Tendenz für die Verlagerung des Punktes

Menton zeichnete sich auch für den Punkt Pogonion ab. Diese Gruppenunterschiede erscheinen

umso bedeutsamer, da im posterioren Abschnitt des Unterkiefers die Veränderungen der Referenz-

punkte Gonion und Condylion keine Unterschiede zwischen der Kontroll- und der Studiengruppe

erkennen liessen. Aufgrund dieser Ergebnisse ist zu vermuten, dass der nach dorsal gerichtete

Kraftvektor des Lipbumpers nicht nur einen dento-alveolären Effekt auf den unteren Zahnbogen hat,

sondern auch einen (indirekten) Effekt auf die Wachstumsvorgänge der anterioren Mandibula.

Im Vergleich zur Studiengruppe zeigte die Kontrollgruppe ein dem vorherrschenden vertikalen

Wachstumsmuster entsprechendes dorsokaudales Wachstum. In der Studiengruppe kam der Unter-

kiefer dagegen im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur nach mesial, sondern zeigte in der

Kranialbewegung der Kinnpunkte eine Ventrokranialschwenkung des Unterkiefers, was in Überein-

72

stimmung mit den Veränderungen im Punkt Menton steht.

Während in dieser Studie keine eindeutige Molarendistalisation durch den Lipbumper in Bezug zum

Unterkiefer nachgewiesen werden konnte erreichten andere Studien eine Bewegung des ersten

Molars um bis zu 1,75 mm distal5,25,26,80,84,118. Bei kombinierter Therapie mit intermaxillären Klasse-

III-Zügen könnten auch bis zu 4 mm Platz geschaffen werden40. Doch ist eine Distalbewegung der

ersten Unterkiefermolaren nicht immer möglich. Abhängig ist dies von einem starken Mentalis-

Tonus, dem Abstand von Kraftangriffspunkt zum Widerstandszentrum, der Adaptionsfähigkeit des

Knochens und dem Zahndurchbruchsstand der zweiten Molaren. Zu beachten ist auch die

Abhängigkeit des Ausmaßes der Distalisation von der Vorspannung in die Weichteile hinein und die

verstärkte Wirkung durch Schilde. Da die retrospektive Studie keinen Einfluss auf die verwendeten

Kräfte und Schilde hatte, konnte kein Einfluss auf einen größeren distalen Kraftvektor genommen

werden, um einen Vergleich mit dem Headgear im Oberkiefer zu ermöglichen. Der Vorteil der

muskulären Verankerung des Lipbumpers legt aber nahe, dieses Feld eingehender im Zusammen-

hang mit größeren Kräften und Schilden zu untersuchen.

Weitere Möglichkeiten, Platz zu schaffen, sollten auch genutzt werden. Empfohlen wird, rotierte

Zähne mittels Lb zu derotieren, um versteckten Platz zu nutzen30,111. Eine kontrollierte Frontzahn-

kippung erzielt den größten Anteil an einer Expansion84, solange Stabilität, Ästhetik und Funktion

gewährleistet sind. Bei Drahtbogen-Lipbumpern werden die besten Effekte erzielt, wenn sie mit

4 mm Abstand auf Höhe der Gingiva eingesetzt werden55. Der erzielte Platzgewinn mit dem Lip-

bumper reicht für die Auflösung von leichten bis mittleren Engständen26,36,46 und kann damit die

Notwendigkeit eines späteren und deswegen schwereren Eingriffs ausschliessen50,68,101. Eine

Indikation zur Extraktion kann in den meisten Fällen bisher nicht durch einen Lipbumper

abgewendet werden12,104. Dies beruht auf der Abhängigkeit des Behandlungsresultates vom

Kraftvektor und dem dichteren Knochen im Unterkiefer. Die Kraftgröße ist dabei aber vor allem

durch die Belastbarkeit der Lippe begrenzt.

73

9.4 Schlußfolgerung

Platzgewinn im unteren Zahnbogen ist mit Lipbumpern relativ gut erreichbar. Etwa zu einem Drittel

wird der Effekt aus der Aufrichtung des ersten unteren Molaren bezogen und ein unbestimmter

Anteil stammt aus der transversalen und sagittalen Zunahme des Unterkieferzahnbogens, indem der

Lipbumper die Molaren verankert und so den Leeway-Space sichert. Dabei kann es zu einer

Proklination der Unterkieferfront bis über die physiologische Toleranzgrenze kommen, weswegen

Lipbumper nur bei initial steil stehender Front angewendet werden sollten oder die Front über eine

Weichgewebsabstützung mit der Unterlippe gehalten werden sollte.

Der sagittale Effekt auf das Wachstum ist abgeschwächt, weil, nach Platzverlust in der Stützzone

mit Kippung der Molaren in die Lücke, zuerst die Molaren aufgerichtet werden und dann erst das

sagittale Wachstum des Unterkiefer beeinflusst werden kann. Außerdem sollte die Zahnbogenlänge

und -breite in diesem Zusammenhang betrachtet werden, um die Bewegung des Molaren relativ zum

Wachstum darzustellen.

Mittels Überlagerungstechnik sind die Anteile der Zahnbewegung gut zu differenzieren, wobei die

Orientierung der Überlagerung anhand anatomischer Strukturen Variationen zuläßt, die in der Größe

der zu untersuchenden Messwerte liegen können; nicht zuletzt deswegen empfiehlt sich die com-

putergestützte Auswertung.

Die Distalisation der Molaren mittels Lipbumper ist mit Schilden und ausreichender Vorspannung

möglich, muss insgesamt jedoch relativ zum Aufrichten der Molaren und zum Unterkieferwachstum

gesehen werden; das Ausmass der Distalisation ist begrenzt, die existierenden Studien berichten

aber über eine gute Stabilität der Ergebnisse nach Lipbumperbehandlung116,118.

74

10 Zusammenfassung

Gegenstand der retrospektiven Untersuchung war die Bewegung des ersten unteren Molaren bei Lipbumper-

therapie. Insgesamt wurden 14 jugendliche Patienten mit einer Gruppe unbehandelter Personen des gleichen

chronologischen Alters und der gleichen intermaxillären Kieferrelation verglichen. Dazu wurde die

Überlagerungsmethode nach Baumrind et al.10,11 verwendet, die bei den Wachstumsvorgängen das Displace-

ment von der lokalen und der totalen Verlagerung differenziert.

Die Fernröntgenseitenbilder des Schädels von zwei Zeitpunkten mit einem Abstand von 25 Monaten wurden

im Punkt Sella auf der Strecke S-N und auf der äußeren kaudalen Kontur des Corpus mandibulae überlagert

und die Lokalisation der Referenzpunkte bestimmt. Die Vektoren zwischen den Referenzpunkten stellten die

totale Verlagerung und ihre orthopädischen und orthodontischen Anteile dar. Die Bewegungen wurden mit

denen der unbehandelten Kontrollgruppe verglichen und die Gruppenunterschiede der Messdaten mit einem

unverbundenen Wilcoxon-Test auf Signifikanz geprüft. Des Weiteren wurden die Molaren- und Frontzahn-

inklination und der Platzbedarf im Zahnbogen analysiert und die erhobenen Daten statistisch ausgewertet.

Die Ergebnisse belegen, dass mit dem Lipbumper ein signifikanter Platzgewinn im unteren Zahnbogen

möglich ist (x=2,43 mm), der hauptsächlich aus dem Aufrichten des verankernden Molaren nach distal

(p=0,027) und dem Halten des Leeway-Space, sowie zu einem kleineren Anteil aus einer Frontzahnpro-

klination resultiert.

Die Referenzpunkte der anterioren Unterkieferbasis verlagerten sich aufgrund der physiologischen

Wachstumsgänge in beiden Gruppen nach ventrokaudal. Dabei war die Kaudalverlagerung des Punktes

Menton in der Studiengruppe signifikant geringer (p=0,0045). Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie hat der

Lipbumper nicht nur einen dento-alveolären Effekt auf den unteren Zahnbogen, sondern auch auf die wachs-

tumsbedingten Veränderungen der anterioren Unterkieferbasis im Sinne einer reduzierten Vertikalentwick-

lung in Kombination mit einer verstärkten Ventralverlagerung.

Große Distalisationen, wie bei Anwendung eines Headgear im Oberkiefer, werden aufgrund der begrenzten

Kraftübertragung nicht erreicht. Der distale Kraftvektor ist abhängig von der Belastungsfähigkeit der Unter-

lippe, der Vorspannung des Bogens in die Lippe hinein und der Verwendung eines Schildes.

Die Therapie mit Lipbumper ist wegen der Proklination der Frontzähne nur bei Patienten mit steiler Unter-

kieferfront indiziert, um instabile Zahnachseneinstellungen durch die Therapie zu vermeiden. Andernfalls

sollte die Front über eine Weichgewebsabstützung mit der Unterlippe gesichert werden.

Mit der Überlagerungsmethode nach Baumrind et al.9,10 ist die Zahnbewegung gut zu differenzieren. Bei

Überlagerung auf den anatomischen Strukturen der Unterkieferbasis besteht eine große Variabilität, die

eventuell Studienergebnisse verschleiern kann. In diesem Zusammenhang wurde für die Beobachtung von

Veränderungen des Unterkiefers die Zentrierung der Röntgenbilder auf der anatomischen Struktur der

Symphysenrückseite betont.

75

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12 Abkürzungsverzeichnis Ag Referenzpunkt am Unterkieferknick „anterior notch“ AH Aktivator FKO Funktionskieferorthopädie FR Funktionsregler FRS Fernröntgenseitenbild Lb Lipbumper MVP Mundvorhofplatte TD Totale Diskrepanz 1a Wurzelspitze des ersten unteren Frontzahnes 1i Schneidekante des ersten unteren Frontzahnes 6a mesiale Wurzelspitze des ersten unteren Molaren 6c mesiale Kronenspitze des ersten unteren Molaren Cond Condylion Go Gonion Me Menton Pog Pogonion VSB Vordere Schädelbasis

Nomenklatur der Überlagerungen

S Displacement oder Überlagerungstranslokation, auch orthopädische Verlagerung

dentaler Referenzpunkte

L lokale Remodellierung ossärer Strukturen, auch orthodontische Verlagerung dentaler

Referenzpunkte; lokale Verlagerung dentaler Punkte der Kontrollgruppe

T totale Verlagerung, Summe aus Displacement und lokaler Remodellation

81

13 Lebenslauf Persönliche Daten: Name: Felix Tobias Prömm Geburtsdatum: 12.02.1976 Geburtsort: Ostfildern-Ruit, Landkreis Esslingen Eltern: Dr. Johannes Prömm, Gynäkologe und Frau Ruth Prömm, geb. Haug,

Lehrerin 1982-1995 Grundschule und Gymnasium an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in

Stuttgart Juni 1995 Allgemeine Hochschulreife, Waldorfschule Uhlandshöhe, Stuttgart 1996-97 Zivildienst im Alten- und Pflegeheim Haus Morgenstern, Stuttgart 1997-2003 Studium der Zahnheilkunde an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im

Breisgau Dez. 2003 Abschluß des Studiums mit dem Staatsexamen

Jan. 2004 Approbation als Zahnarzt 2004-2005 Unfall und Rehabilitationsphase seit Jan. 2006 Tätigkeit in zahnärztlicher Praxis in Karlsruhe

82

14 Danksagung

Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. I. Jonas für die Überlassung des

Themas und Ihre stets freundliche Hilfe.

Für die freundliche Übernahme des zweiten Gutachtens möchte ich mich bei Herrn PD Dr. D.

Schulze bedanken.

Herrn Prof. Dr. J. Schulte-Mönting vom Institut für medizinische Biometrie und medizinische

Statistik danke ich für die Unterstützung bei der statistischen Auswertung.

Frau Prof. Dr. Rudzki-Janson an der Ludwig-Maximilians-Universität München möchte ich danken

für die freundliche Bereitstellung der Unterlagen eines unbehandelten Kollektives zur Auswertung

der Kontrollgruppe.

Ein herzliches Dankeschön auch an Frau Feger für die Hilfe bei der Literaturrecherche und Frau

Tritschler für den Zugang zu den Archiven, sowie Frau Brammer und allen anderen Mitarbeiter-

innen und Mitarbeitern, die mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite standen.

Besonders möchte ich meinen immer mitfühlenden Eltern und meinen Freunden meinen Dank aus-

sprechen für Ihre stetige Aufmunterung und Unterstützung.

Mein herzlichster Dank gebührt meiner Verlobten Sonja für ihre mentale Unterstützung und das

Korrekturlesen.