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P 6 P 6 Die Bürgerschaftlichkeit unserer Städte Für eine neue Engagementpolitik in den Kommunen Von Konrad Hummel Planung und Organisation

Die Bürgerschaftlichkeit unserer StädteRichard Senett beschwört solche Anforderungen als „existentiell für den Fortgang der Zivilgesellschaft“ (vgl. Senett 1998) und Michael

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Die Bürgerschaftlichkeitunserer Städte

Für eine neue Engagementpolitikin den Kommunen

Von Konrad Hummel

Planung und Organisation

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Konrad Hummel

Die Bürgerschaftlichkeit unserer Städte

Für eine neue Engagementpolitik in den Kommunen

Eigenverlag des Deutschen Vereinsfür öffentliche und private Fürsorge e.V.Berlin

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Eigenverlag des Deutschen Vereinsfür öffentliche und private Fürsorge e.V.Michaelkirchstraße 17/18, 10179 Berlinwww.deutscher-verein.de

Gesamtherstellung:Tastomat Druck GmbH, 15345 Eggersdorf

Printed in Germany 2009ISBN 978-3-7841-1905-2

Veröffentlicht mit Förderung durch das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

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Inhaltsverzeichnis

1. Die Stadt im Blickpunkt der Bürgergesellschaft 51.1 Die Welt des Bürgerengagements braucht eine lokale Plattform 51.2 Engagementförderung als politisches Thema 101.3 Leitbilder der Engagementförderung 111.4 Milieugebundenheit des Engagements 16

2. Bürgerengagement im Spiegel der drei Sektoren der Bürgergesellschaft 212.1 Der Staat, der an Institutionen delegiert 212.2 Der strukturkonservative zivile Sektor 252.3 Der wirtschaftliche Sektor im Widerspruch zwischen Effizienz und

Nachhaltigkeit 27

3. Die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen und das Bürgerengagement 30

3.1 Diversität 303.2 Demografie 343.3 Segregation 38

4. Instrumente des Bürgerengagements 464.1 Engagementförderung im magischen Viereck von Werten,

Milieus, Strukturen und Methoden 464.2 Institutionalisierung und die Kommunen 534.3 Vernetzung 554.4 Das Fallbeispiel Augsburg 564.5 Koproduktion von Bürger und Staat 634.6 Die Bedeutung der Patenrolle 654.7 Leitfragen zur Vorgehensweise 674.8 Sozialräume und Quartiersmanagement 684.9 Stadtteil- und Nachbarschaftsentwicklung 72

5. Perspektiven der Bürgergesellschaft 755.1 Zur Zukunft der Städte 755.2 Leadership im Bürgerengagement 78

Literaturverzeichnis 82Abbildungen 86Der Autor 96

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1. Die Stadt im Blickpunkt der Bürgergesellschaft

Ausgangspunkt dieses Buches ist die Tatsache, dass die Städte eine vitale Aufgabefür das Funktionieren unserer Gesellschaft haben. In den Städten formiert sich Ge-sellschaft konkret, dort wird ihr Zusammenhalt hergestellt, dort bricht sie an ihrensozialen Rändern auf und formiert sich neu. Auch wenn auf den ersten Blick nichtdie Städte die großen Triebfedern der globalen Entwicklungen sind, so könnenMenschen gegenüber diesen Entwicklungen nur konkrete Antworten der Ge-meinschaftsbildung im Zusammenhang städtischer Lebensräume finden (vgl. Gar-cia 2006).

1965 veröffentliche Alexander Mitscherlich das Buch „Die Unwirtlichkeit unse-rer Städte – Anstiftung zum Unfrieden“. Dort bezeichnete er die Stadt als „Ge-burtsort dessen, was wir bürgerliche Freiheit nennen“ und beschrieb dies als „Le-bensgefühl“ (Mitscherlich 1965, 26). Dem folgt die vorliegende Schrift mit der Be-hauptung, dass die soziale Stadt von heute ein Ort vieler Lebensgefühle in Formvon Milieus geworden ist. Die Stadt muss zentraler Ort bürgerschaftlichen Enga-gements werden, wenn sie diese Milieus integrieren und die Unwirtlichkeit unse-rer Gesellschaft selbst vermeiden will.

Mitscherlich hat vor 50 Jahren daran erinnert, dass nur in den Städten die bürger-liche Freiheit als Errungenschaft der Moderne verwirklicht werden konnte. Nebender Freiheit brauchen auch Gleichheit und Brüderlichkeit konkrete Orte, um sieeinzulösen und zu Handlungschancen für Menschen werden zu lassen. Thesedieses Buches ist es, dass die viel beschworene demokratische Bürgerschaft, De-mokratie als Lebensform (vgl. Giddens/Hutton 2000) und eine aktive Bürger-schaftlichkeit in den Städten erfahrbar, erprobbar und zum politischen Ernstfallwerden muss. Umgekehrt werden die Städte ihre Funktion für eine zukünftige Ge-sellschaft nur dann erfüllen können, wenn sie stärker als bisher den sozialen Wan-del zum Anlass neuer Bürgerschaftlichkeit nehmen und deren Entstehung undPflege zum Gegenstand der Kommunalpolitik machen.

1.1 Die Welt des Bürgerengagements braucht eine lokale Plattform

Die Stadt ist der einzige glaubwürdige Ort konkreter Integration, der Schmelztie-gel von Generationen, Geschlechtern und Kulturen, vor allem aber von Lebens-milieus, in denen sich globale Gesellschaften formieren. Die Nationalstaaten sindsolche Schmelztiegel nicht mehr und die Weltinnenpolitik wird es auf lange Zeitnoch nicht sein. Es wird verstärkte Lernbemühungen aller Generationen und neueBildungschancen geben müssen, um diesen demokratischen Anspruch umsetzenzu können.

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In der subjektiven Wahrnehmung ist dies angekommen, wenn Migrant/innen sichhierzulande zuerst als Bürger ihrer Städte beschreiben und erst dann als Zu-gehörige ihrer Nationen, wenn sie sich zum Gastland bekennen und in dessenWohnquartieren mitwirken wollen (vgl. Beck 2008). Die Stadt aber ist ausgezehrt.Sie hat sich reduziert auf einen Wohn- und Arbeitsort, der völlig abhängig von glo-balen Wirtschafts- und Arbeitsplatzstandortstrategien ist. Die Stadt ist Ort derDienstleistungen; sie hat ihre alte „erzieherische Funktion“ verloren und den Restauf dem Altar populistischen Standortentertainments, wie Messen, Feste, Musicalsund Ausstellungen, geopfert.

Die Stadt braucht, wenn sie ihre Bürger erreichen und gewinnen will, ein neuesVerständnis ihres Platzes und ihrer Funktion in der Bürgergesellschaft. Währendsie noch mit ein wenig Kosmetik am Ehrenamtsdenken festhält und gelegentlichspektakuläre oder gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligungen veranstaltet,drängt von „außen“ eine Debatte in die Städte hinein von individuellem Engage-ment, von Fördern und Fordern, Eigenverantwortung und Solidarität, Konsumen-tenmacht und Produktivität jenseits der Arbeitsbiografien. Bürgerschaftliches En-gagement ist ein Faktor der modernen Bürgergesellschaft geworden; es über-schneidet sich auf kommunaler Ebene aber mit dem Vereinswesen, dem Ehren-amt, der Selbsthilfe, den Initiativen usw.: Sie alle bleiben gewissermaßen Paral-lelkulturen.

Die traditionelle Stadt hat sich als Antwort auf mittelalterliche Gefahren wie z.B.der Pest, auf Industrialisierung und verheerende Kriegsfolgen durch höhere Mau-ern geschützt, durch mehr Disziplinierung und Kontrolle der Menschen unddurch ein definiertes Gemeinwesen mit Rechten und Pflichten. Die moderne Stadtder Dienstleistungen kann dies weder organisieren noch will sie es, weil die Stadt-gesellschaften offen geworden sind. Da werden Mauern ignoriert, da werdenWechselbeziehungen deutlich zwischen dem, was die Stadt selbst hervorbringt,und dem, was sie „zurückbekommt“. Da werden staatliche Sicherungstransfersüblich, da wird individuelle Selbsthilfe zur Norm, da wird nüchtern Nutzen undNachteil aller Ereignisse abgewogen und eine segregierte Stadtlandschaft in Kaufgenommen. Städte arbeiten zusammen. Im Mittelpunkt steht aber nicht mehr dieStadtgesellschaft und ihre Bürgerschaft, sondern die Anwendung und Umsetzungdiverser technischer Beherrschungsinstrumentarien. Der unzufriedene Bürgerzieht notfalls um. Die leistungsfähige Stadt saniert sich auf Kosten anderer Städte.

Was bedeutet die Zukunft der Stadt für eine sich formierende Bürgergesellschaft?Sie zeichnet sich durch veränderte Gleichgewichte zwischen dem staatlichen,dem wirtschaftlichen und dem zivilgesellschaftlichen Sektor aus, also mehr durch

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einen abgestimmten Interessenausgleich (Urban Governance) als durch zentraleFührung (Government).

Die Stadt wird alle Errungenschaften der technischen Mittelbeherrschung und derinterkommunalen Zusammenarbeit brauchen; sie wird nicht zurückgehen kön-nen zu den Mauern und Kontrollen, aber sie wird auf das Lernen, die Kompetenzund die Akzeptanz ihrer Bürgerschaft wesentlich mehr bauen müssen, indem sievermeintliche individuelle Selbsthilfe in gemeinschaftsfähige Selbstverwaltungüberführt. Sie muss das Ausmaß zerstückelter Stadtlandschaft zurückdrängen, siemuss mehr Verbindungen und sozialen Interessenausgleich schaffen, um alleFähigkeiten und Ressourcen des Gemeinwesens zu nutzen. Letztlich muss siegleichermaßen an der Lösung des Sachproblems wie an der Verbesserung der Bin-dungsbereitschaft der Bürgerschaft arbeiten, weil das eine ohne das andere nichtnachhaltig ist. Sie wird sich in die demokratische Kompetenz und die soziale Bil-dung ihrer Bürgerschaft ebenso einmischen müssen wie in die nationale und glo-bale Politik und ihre lokalen Folgen.

Es ist ein Doppelauftrag: Wer immer noch glaubt, dieser erledige sich aus Markt-kräften oder Wissenstransfers und sachorientierter Politik von selbst, oder wer denGlauben erwecken mag, das alles sei nur eine Sache des Willens und der „Bür-gerstadt“, lügt sich in die Tasche. Er verkennt, dass der Mensch in der Modernesich zwar nicht mehr aus der Stadt „herausentwickelt“, um sozusagen in die Weltzu gehen, dass er aber umso mehr einen Ort braucht, um sich in globalisierten,individualisierten Lebensweisen zu verankern. Die immer spürbarer werdendensozialen Milieus lassen Menschen jenseits der Familien und über alte Klassen- undNationenschranken hinweg zusammenfinden. Aber sie machen zusammen nochkeine Stadt aus.

Die Stadt ist mehr als die Summe ihrer Milieus und darin liegt ihre Integrations-aufgabe der Zukunft. Bürgerschaftliches Engagement ist ein unverzichtbares Ele-ment, ohne das diese Entwicklung praktisch gar nicht gelingen kann. „Heimat“ alskommunales Bild für Bindungs- und Gemeinschaftsfähigkeit kann quasi nicht fürAndere gemacht werden. Sie aber immer noch den Traditionalisten zu überlassenoder in moralischen Essays zu beschwören, ist zynisch. Richard Senett beschwörtsolche Anforderungen als „existentiell für den Fortgang der Zivilgesellschaft“ (vgl.Senett 1998) und Michael Walzer analysiert kurz und knapp, dass alle hehrenZiele von „Freiheit und Gleichheit weitaus weniger anziehend sind“, wenn wir sienicht praktisch angehen (vgl. Walzer 1992). Die Kunst der Politik, besonders inder Kommune, muss sein, die individualisierten, mobilen Werte und ihr unge-heures technisches Wissen zusammenzubringen mit den gemeinschaftsorientier-

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ten, standort- und gruppengebundenen Werten und der Kraft ihrer Verhaltens-steuerung.

Diese Abhandlung analysiert das aktuelle Verständnis von Bürgerengagementund die drei Sektoren der Bürgergesellschaft im Licht praktischer kommunalerPraxis und der uns bekannten gesellschaftlichen Herausforderungen der nächstenJahre. Seit 20 Jahren formieren sich unterhalb der traditionellen Sozialstaatenneue Institutionen, soziale Bewegungen, Gemeinwesenprojekte und Planungen,die nicht mehr Revolte oder Mode sind, sondern ihren Platz in der Gesellschafterrungen haben. Beispielhaft seien Institutionen genannt wie Nachbarschafts-heime in Berlin, Landkreisplanungen in Esslingen, Bürgertreffs in Nürtingen, Dis-kurse im Bundesnetzwerk Bürgerengagement, Arbeitskreise der Friedrich-Ebert-Stiftung, Civitas-Netzwerke der Bertelsmann Stiftung, Heimstiftungen in Bremen,Projekte der Sozialen Stadt in Essen, Masterstudiengänge zur Gemeinwesenarbeitin München oder Erfahrungen in Augsburg, die hier vorgestellt werden. Diese Ab-handlung soll der Wahrnehmung und Vernetzung solcher Institutionen dienen.Dabei verstehen wir unter der Sozialen Stadt diejenige Politik, die die Integrationund den Zusammenhalt der Bürgerschaft in den Vordergrund der Stadtentwick-lung rückt.

Die Bürgergesellschaft ist real und ihre wissenschaftliche Wahrnehmung wächst.Inzwischen wird sie als Korrektiv zu globalen Krisen der Weltinnenpolitik, zuKrieg und Frieden, Klimawandel und Finanzen beschworen. Weltinnenpolitikbrauche – so Ulrich Beck – auch Weltbürgerbewegungen, Weltparteien, wie siein der Völkerbundbewegung, bei Greenpeace oder bei den Weltföderalisten an-gelegt waren (vgl. Beck 1999). Auf nationaler Ebene ist die Bürgergesellschaft sehrstark gleichgesetzt mit dem wachsenden Dritten Sektor, den Non-Profit-Organi-sationen, Verbänden, Stiftungen und Institutionen. Sehr viel realitätsnäher stelltsich die Bürgergesellschaft auf lokaler Ebene dar: Ein Drittel der Bundesbürger en-gagiert sich in der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise in Vereinen und In-itiativen (vgl. BMFSFJ 2006, Prognos 2008). Im Wesentlichen laufen dabei alle Fä-den an mehr oder weniger Stellen lokal zusammen oder überkreuzen sich, sei esbei der Entstehung oder Folge solchen Engagements oder bei gegenseitigen Wech-selwirkungen.

Die Förderung des Gemeinwohls ist im Grundgesetz verankert, die Unterstützungbürgerschaftlichen Engagements ist in einigen Gemeindeordnungen und der Auf-bau einer Engagement fördernden Politik in Zielorientierungen moderner zivilge-sellschaftlicher Verbände und Institutionen mehr oder weniger deutlich enthal-ten. Dabei überwiegen in der Regel Appelle und Aufzählung von Instrumenten-

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koffern unter Steuerung- und Versicherungsaspekten, vorsichtige Forderungennach einer zusätzlichen Infrastrukturhilfe (z.B. Freiwilligenbüros) und Best-prac-tice-Beispiele werden zur Nachahmung empfohlen. Ähnlich wie vor über 20 Jah-ren bei der Umweltpolitik wird empfohlen, den Querschnittscharakter des Enga-gements zu berücksichtigen: Es sollen gleichzeitig gesetzliche (Sanktions-) undökonomisch unterfütterte (Förderungs-)Maßnahmen vorgenommen und Erzie-hung und spürbare Eingriffen in Lebens- und Konsumstil gleichwertig gefördertwerden. Während dies auf Bundesebene normativ widersprüchlich bleiben muss,weil Bürgerengagement als prinzipiell freiwilliges Engagement mit jedem staatli-chen Zu- und Eingriff seine „Unschuld“ verliert, wird dies auf kommunaler Ebenedurchaus handfester gesehen.

Kommunale Vereinsförderung berührt unmittelbar das Bürgerengagement: Beider Pflege und Vergabe von Sportplätzen, bei der freiwilligen Feuerwehr, bei derUnterstützung von Jubilarehrungen, beim kommunalen Status von Senioren- oderJugendbeiräten wird Engagementpolitik praktisch berührt, gefördert, gelegentlichbehindert, in jedem Fall aber institutionalisiert. Der „ehrenamtliche“ Stadtratselbst kann sich trotz Sitzungsentgelts als Engagierter verstehen und er wird in je-dem Fall eher gewählt, wenn er über zahlreiche Engagements verfügt. Auf derkommunalen Ebene reichen Gremien wie ein Ausländerbeirat über die nationa-len Möglichkeiten des (begrenzten) Ausländerwahlrechts hinaus. In bestimmtenlokalen Ausschussformen wie dem Jugendhilfeausschuss sind mehr Akteure, z.B.Verbandsvertreter, stimmberechtigte Mitwirkende, als durch die Kommunalwah-len entsandt werden können.

In den Städten greift dies weit zurück in die kommunale Selbstverwaltung und dieGeschichte der Zünfte und Mitwirkungsformen unterschiedlicher Berufs- und Sta-tusgruppen, besonders der Hanse- und Reichsstädte. Auch die einen Stadtrat um-gebenden Strukturen, wie auf Seiten der Wirtschaft die Industrie- und Handels-kammer (IHK) oder die Handwerkskammer (HWK) mit ihren ehrenamtlichen Ver-tretungs- und Prüfungsgremien oder auf Seiten der Zivilgesellschaft eine Arbeits-gemeinschaft der Vereine, Parteien und Kirchen, sind von zentraler Bedeutung fürdie „Landschaft“, in der die Engagementpolitik stattfindet.

Entscheidungen auf nationaler Ebene, wie z.B. was steuerlich abrechnungsfähigist, und legitimatorische Festlegungen, wie z.B. das Verhältnis Staat – Kirche, wir-ken sich für die Glaubensgemeinschaften erheblich auf das Engagementverhaltenvor Ort aus. Die „Sozialistengesetze“ des alten Deutschen Reiches haben Bürger-engagement z.B. lokal von der parteipolitischen zur vermeintlich sportlich-kultu-rellen Seite abgedrängt und unfreiwillig dort gefördert. Patriotische Macht-

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apparate haben sich immer der Vereine versucht zu bedienen, etwa bei den Schüt-zen- und Traditionsvereinigungen. Später hat sich in der DDR mit der Jugendbe-wegung FDJ und Teilen der „Volkssolidarität“ in der Daseinsvorsorge der Kom-munen ein ähnlich instrumentelles Verhältnis von Staat und Bürgern ergeben.

Beachtung muss heute finden, dass in einigen gesetzlichen Leistungsbereichendes Staates das umstrittene Prinzip des Förderns und Forderns auch auf das indi-viduelle Engagement des Bürgers in Angelegenheiten vor Ort zielt, sei es auf demArbeitsmarkt (Hartz IV) oder bei der Selbsthilfe (Gesundheitsreform) und Pflegezuhause (Pflegereform). Die Schnittstelle zwischen engagierten Freiwilligen undNichtfreiwilligen (z.B. Minijobbern) auf solchen Märkten ist schon Gegenstandvon Gutachten geworden (vgl. Hartnuß/Klein 2007). Ähnliches gilt für die Bil-dungspolitik, deren Tendenz, für Schülerengagement Noten zu vergeben, glei-chermaßen als engagementfördernd wie instrumentalisierend und abschreckendverstanden werden kann und im konkreten Schulumfeld seine Bewährung undUmsetzung finden muss.

1.2 Engagementförderung als politisches Thema

Die Institutionen haben ihrerseits Engagementförderung betrieben. Viele Orts-gruppen haben hauptamtliche Geschäftsführer/innen und Ansprechpartner/innennach außen eingeführt, aber auch Beauftragte, zum Teil Bildungsreferent/innenoder Jugendarbeiter/innen, für die Förderung von Ehrenamt und Nachwuchs nachinnen. In Gewerkschaften und Kirchen hatte dies erhebliche Strategiedebattenund ökonomisch folgenschwere, immer wiederkehrende Grundsatzentscheidun-gen, wie viel Geld den Vereinen diese Förderung wert ist, zur Folge.

Teilweise haben auch Teile der Wirtschaft Grenzbereiche systematisch bedient –z.B. wenn ein mittelständischer Unternehmer finanziell Feuerwehr und Sport un-terstützt. Größere Konzerne ermöglichen die Freistellung von Mitarbeitenden undBetriebssozialarbeit und Versorgungsleistungen, z.B. Kinderbetreuung. AuchWohnungsunternehmen haben in diesen Bereich investiert, wenn sie Gewerkedurch Betroffene selbst oder gemeinschaftlich errichtet haben, so wie z.B. in vie-len Formen der Selbst- oder Gemeinschaftshilfe in Schrebergartensiedlungen, indenen auch ein unmittelbares Aufforderungselement zum Bürgerengagementsteckt. Es wäre daher unhistorisch zu behaupten, eine Engagementpolitik gebe esnicht und es sei notwendig, sie zu begründen. Begründet werden muss vielmehr,warum sich Förderformen so machtlos und unberechenbar erweisen, warum dasEngagement offensichtlich seine Erscheinungsformen so erheblich geändert hat –oder auch gelegentlich so trennungsunscharf geworden ist –, dass viel Engage-ment heute eher ab- als ausgebaut wird.

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In der Debatte um Engagementförderung steckt, dass zukünftig nicht nur vorhan-denes Engagement gefördert wird, sondern dass auch wünschenswertes Engage-ment in neuen oder schwierigen Politikfeldern gefördert wird, vor allem in neuenFormen wie Initiativen und Projekte. Damit wird der Aspekt der Modernisierungdes zivilgesellschaftlichen Bereiches angesprochen, aus dem sich der Staat bishereher herausgehalten hat und bei dem Kommunen sich wegen ihrer Neutralitäts-funktion schwertun (vgl. Beher et al. 2000). Engagementförderung muss eine spe-zifische, aktuelle Antwort der Politik auf die Probleme sein, die sich heute trisek-toral darstellen, also in allen drei Bereichen einer Zivilgesellschaft, dem staatli-chen, dem ökonomischen und dem zivilen. Es ist also zu fragen, wie der staatlich-politische, der wirtschaftlich-marktförmige und der zivilgesellschaftliche Sektorauf eine zeitgemäße Engagementpolitik reagieren (vgl. Olk 2007).

Folgen und Nebenwirkungen aktueller Prozesse und Sachzwänge für das Bürger-verhalten sind unübersehbar, so dass Engagementpolitik immer stärker gefordertund eingeklagt wird. Nicht primär die Menschen sind anders – etwa weniger en-gagiert –, sondern die Rahmenbedingungen, unter denen sie handeln, die sie frei-lich auch mitgestalten. Engagementpolitik ist deshalb eher eine Politikfolgenauf-gabe im Interesse der Nachhaltigkeit als ein losgelöster eigener Politikaufgaben-bereich. Kümmert sich die Politik, und ebenso Wirtschaft und Vereine, nicht umdiese Folgen, wird mehr Engagement verhindert als neu aufgebaut. Während Bürgerengagement im unmittelbaren Kern immer Interessenbekundungen derBürger in ihren jeweiligen Lebens- und Themenfeldern sind und Antworten aufkonkrete Situationen darstellen, ist Politik darauf ausgerichtet, solche Formen zuorganisieren, zu legitimieren – oder zu sanktionieren – und zu professionalisie-ren.

Auf lokaler Ebene waren die deutschen Kommunen die letzten 20 Jahre deutlichgeprägt vom Leitbild der Dienstleistungskommune oder des aktivierenden Staa-tes. Engagement wird einem solchen Staatsverständnis folgend zu einem „Förde-rungsgegenstand“. Vorliegende Analyse versucht gegen dieses eindimensionaleVerständnis vom staatlichen Förderprogramm aktiver Bürger das mehrschichtigeBild eines Kräftefeldes zu entwerfen, in dem Engagement produktiv entsteht oder,absichtsvoll oder auch nicht, verhindert wird. Dieses Feld soll entlang der dreiSektoren Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft abgesteckt werden.

1.3 Leitbilder der Engagementförderung

Die umgangssprachlich häufig unscharfe Trennung zwischen „bürgerlich“ und„bürgerschaftlich“ macht deutlich, wie wenig der große Unterschied zwischendem kultur- und milieuspezifischen Begriff des „Bürgerlichen“ und dem staats-

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rechtlich-politischen Begriff des „Bürgerschaftlichen“ realisiert worden ist. Jenach Situation und Ausprägung kann bürgerliches Engagement zum Gegenteil desbürgerschaftlichen Engagements werden, dann nämlich, wenn in der öffentlichenVerteidigung des bürgerlichen Lebensentwurfes kein Platz mehr für das Gemein-wohl und den Staatsbürger ist.

Michael Walzer hat sehr anschaulich darauf hingewiesen, dass zur Freiheit desStaatsbürgers gehören kann, nicht nur 24 Stunden lang von aktiven Bürgern um-geben zu sein. Die Zuordnung des Engagements zum verfassungsgestützten Leit-bilds des freien, gleichen Bürgers ist auch deshalb unverzichtbar, weil nur so zent-rale Motive des Bürgerengagements verstanden werden können. Sich der „Frei-heit, Brüderlichkeit und Gleichheit“ praktisch zu versichern, sie konkret zumin-dest in Teilen erleben, gestalten und in Anspruch nehmen zu können, überlagertsehr viel mehr Einzelmotive, als Praktiker gemeinhin denken. Benjamin Barber(1994), Peter Levine (2007) und andere haben es für die amerikanische Engage-mentdebatte so formuliert, dass man im Prinzip nicht als freier und gleicher Bür-ger geboren wird, sondern die Chance erlangt, die dafür notwendigen Vorausset-zungen zu schaffen und zu erwerben. Dies geht schlechterdings ohne Engage-menterfahrung nicht.

Der herrschende Begriff vom Ehrenamt geht von Aktivitäten in Ämterform aus, dienicht selbst bestimmt, sondern vermittelt, verliehen und geborgt sind mittels derEhre. Klassische Rollen wie der Schöffe bei Gericht machen dies deutlich und un-terscheiden sich von der Vielfalt und Realität heutigen Engagements in der Mas-sendemokratie. Für Gesellschaftskritiker ist allein schon diese VorgeschichteGrund genug, mit umfassendem Misstrauen an die Engagementdebatte heranzu-gehen: Die Mittelstandsorientierung des empirisch messbaren Bürgerengage-ments zeige doch nur dessen philanthropische, fürsorgliche und politisch-be-schwichtigende Funktion. Schwierig erscheint in dieser Denkrichtung die Unter-scheidung zwischen politischem Engagement in Parteien, Gewerkschaften undInitiativen einerseits und dem in sozialen Projekten andererseits. Subkulturelle,proletarische, unmittelbar gegenseitig bezogene oder innerethnische Engage-mentformen werden meist übersehen, gering geschätzt oder verkannt, ebenso wieihre Nähe zu abhängigem, kriminellem, fundamentalistischem Engagement, dasin seiner Breite und Auswirkung noch nicht einmal in Ansätzen erfasst und diffe-renziert wird (vgl. Roth 2008).

Die Schwierigkeit ist, dass das Bürgerengagement Verhaltensdimensionen um-fasst, die durchaus reflektiert werden müssen. Wenn ich mich im Sportverein ex-klusiv engagiere, weil meine Kinder gerade dort Mitglied sind, wenn teilvergütete

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Tätigkeiten oder unmittelbare Interessenkollisionen, wie z. B. ein Grundstücks-verkauf im Kirchengemeinderat, nicht weiter hinterfragt werden, wird das Bürger-engagement unscharf. Wenn gar die häusliche Pflege eigener Angehöriger unterBürgerengagement subsummiert wird, könnte jede unbezahlte Überstunde vonArbeitnehmenden auch gleich hineingerechnet werden, und jede Grenze zwi-schen privat und öffentlich, freiwillig und vergütet, Gemeinwohl und Eigennutzverschwimmt zur Unkenntlichkeit. Manche Verhaltensweisen dagegen verdienenAufmerksamkeit, weil sie aus eindimensionalen Werten herausführen, weil sieChancen dafür schaffen, dass ein Engagement entsteht, das seinem Gemeinwohl-anspruch gerecht wird.

Neue individuelle, universalistisch ausgerichtete Engagementformen entstehen.Sie entstehen, weil wir in einer medialisierten Welt die Wahl zu haben glauben,entweder einem Eisbären in Grönland persönlich helfen zu können oder beimMusikverein um die Ecke Bänke zu schleppen. Im Zuge dessen sind natürlich auchschlagkräftige kleine sektenähnliche Engagementgruppen entstanden, die sichuntereinander wiederum in spitzer Feindschaft und Rivalität gegenüberstehen.Solches Engagement steht neben jenem, bei dem ohne viel Reflexion „in die Fuß-stapfen“ der Eltern getreten wird, weil „es hier alle tun“, und neben unauffälligemEngagement, z.B. durch regelmäßige jahrzehntelange Zahlungen oder kleineHandreichungen für eine wertgeschätzte Sache oder durch eine Mitgliedschaft,aus der kein direkter persönlicher Nutzen erwächst.

Solche Engagementbestimmungen sind sinnvoll, um sich zu vergegenwärtigen,dass es nicht um bessere oder schlechtere Menschen in der Demokratie geht, son-dern um Handlungsmuster und Kompetenzen, die hilfreich für die Weiterent-wicklung einer gewaltfreien, demokratischen und prosozialen Gesellschaft sind.Die Transparenz der Vielfalt ist ein eigenes Bewusstseins- und Motivationsele-ment einer gerechten Bürgergesellschaft. Jede, auch diese Zivilgesellschaft istherrschaftsgeprägt und machtgespalten. Herrschaftsstrukturen in der Zivilgesell-schaft, im Feld des Bürgerengagements, können sich langfristig erheblich hem-mend auf die weitere Generierung von Engagement auswirken.

Die empirische Sozialforschung hat durch ihre quantitativen Messungen und At-traktivitätsbefragungen im Engagementumfeld latente Herrschaftsstrukturen ab-gebildet und gefestigt. Wie viele engagieren sich beim Sport, wie viele Männerund Frauen, wo sind die größten Widersprüche zwischen Engagementwünschenund Wirklichkeiten? Engagementbefragung reduziert sich hier auf Wahl-Ted-Um-fragen. Sinnvoller ist es, das gesamte Handlungsfeld und dessen Wechselwirkun-gen anzuschauen. Auf lokaler Ebene sind diese direkt zu beobachten. Punktuelle

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Effekte, wie z.B. Fanmeilen bei Sportereignissen, die Atmosphären und Kulturenin Stadtteilen und der Gesamtstadt gehören zum Engagementumfeld. Selten sindes Nullsummenspiele, bei der die zugewonnene Zahl aktiver Bürger anderen ver-loren geht – wie die herrschenden Verbandsanbieter immer befürchten –, sondernZugewinnprozesse von mehr aktiven Bürgern für alle. Wenn Engagement in ei-nem Bereich vorankommt, kann es andere Bereiche mitziehen. Selten ist ein Po-tenzial – etwa das Zeitbudget der Menschen – so festgelegt, dass sich nichts be-wegen ließe. Hat sich Enttäuschung eingeschlichen oder zermürbende Konkur-renz, ist allerdings jede Aktion „zu zeitaufwändig“. Autonome Initiativen tretenneben traditionellen Stadtteilvereinen auf, die von Stadträten unterstützt werden.Es gibt Stadtteilvereine, die sich nie zu Wort melden, und Einzelbürger, die be-haupten, ganze Heerscharen von Aktiven hinter sich zu haben. Es gibt aktive Mie-ter, die alles versprechen, und Großorganisationen, die nur über Profis agierenund selbst gespalten dem Engagement gegenüberstehen. Freie Gruppen und Le-serbriefschreiber stehen Bischöfen gegenüber, die selbstredend tausende Ehren-amtliche für sich in die Pflicht nehmen.

Die kommunale Landschaft ist vielfältig „zivilgesellschaftlich vermint“. Wer sichhier naiv bewegt, unterschätzt die Sprengkraft von Organisationsstrukturen, Me-dien, Emotionen oder verschieden ausgeprägten Persönlichkeiten – vor allem,wenn diese in den Dienst der Macht gestellt werden, z.B. bei anstehendenWahlen. Wer auf kommunaler Ebene einen Mangel an Engagement beklagt, meintin der Regel eine Werthaltung rund um den gemeinwohlorientierten Mehrwert,mit der es angeblich leichter gelänge, Gegensätze zu überbrücken.

Auch in den berüchtigten Wohnsilos, Schlafstädten und Brennpunktstadtteilen istein genauer Blick notwendig. Oft fehlt es dort nicht an Engagement im Sinne desMittuns, aber an Engagement im Sinne des Aushaltens und der gelebten Zivil-courage. Es mag falsche Solidaritäten geben, aber auch stumme Mitgliedskarrie-ren und Hand- und Bringdienste auf Gegenseitigkeit. Hier ist der Widerspruchgreifbar zwischen affirmativer Selbsthilfe und emanzipativem Engagement, zwi-schen Selbstmitleid und aufrechtem eigenen Gang, zwischen Schweigen und Zi-vilcourage. Schließlich gilt in der Zivilgesellschaft, dass Massenloyalität und be-wusstes Individualengagement durchaus in einem Spannungsverhältnis stehenkönnen, dass „multiple Identitäten“ und sich überlagernde Zugehörigkeiten mög-lich sind.

Es geht bei Bürgerengagement immer auch um Organisationsmacht und Loya-litäten. Deshalb fürchten viele Verbände neue Freiwilligenagenturen. Sie sehenden Verlust ihrer Ehrenamtlichen und nicht den Zugewinn der Freiwilligen. Kom-

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munalpolitik ist nahe an dieser Gemengelage dran, näher als es die herrschendeKommunalpolitik gerne hätte, die dies gern den Parteien als „Gruppenführer“ derzivilgesellschaftlichen Mannschaften überlassen würde. Diese Ebene ist zutiefstum Neutralität im Sinne der Gemeindeordnung interessiert. Entsprechendbemühen sich Dezernate in der Regel exklusiv jeweils um „ihre“ Vereine und Frei-willigen. Sport würdigt Sportvereine, Kultur würdigt Kulturfreunde, Bürgermeisterwürdigen „Bürgerliche“ und die aufgeklärten Stadtverwaltungen sollen jeneneuen Initiativen und „Bürgerschaftlichen“ würdigen. So wurden die Initiativender lokalen Agenda 21 „inkorporiert“. Sie wurden mit und an Teams oder Stabs-stellen angekoppelt und zu Verwaltungseinheiten entpolitisiert, wobei Bürgerallzu oft stolz waren, diesen Status errungen zu haben. Professionell wird von dortaus Engagement als Politikanhang verwaltet. Vorgaben sind dann Plansollzahlen.Die Umweltaktivisten sollen mehr Menschen für Solarzellen gewinnen, die sozialEngagierten sollen für Arme doppelt so viel Solidarität organisieren wie im letztenJahr usw. Und für alles dies soll es eine staatlich-städtische Bonuskarte für Enga-gement geben. Leitbild ist, dass Aufklärung Menschen zur Aktivität veranlasst.

Es ist erschreckend, wie eindiemsional Bürgerengagement aus herrschenden ge-sellschaftspolitischen Leitbildern des vergangenen Jahrhunderts heraus weiter-entwickelt wird. Dem konservativen Weltbild verpflichtet wird einem „sozial-ver-pflichteten Engagement“ das Wort geredet. Dem rational-liberalen Weltbild fol-gend steht entsprechend ein vernunftgesteuertes, zweckdienliches Engagementim Vordergrund. Sozialfürsorglichen Leitbildern folgt ein Engagement, das sichbelohnungsgesteuert um Solidaritäten kümmert. Autonomes, sich selbstbestim-mendes Engagement folgt liberalen Weltbildern.

Zwischen dem, was „in den Köpfen“ der politischen Meinungsführer, den prakti-schen Engagementstrategen und in den Köpfen der betroffenen engagierten Bür-ger selbst gilt, bestehen viele unausgesprochene Unterschiede. Es fehlt am Ver-ständigungsprozess und viele Erscheinungsformen des Engagements bleiben ver-meintlich unaufgeklärte Rätsel. Die nachbarschaftlichen Vereine und Netzwerketraditioneller Art brechen weg, aber unendlich viele neue Initiativen mit dem Ziellokaler Gemeinschaftlichkeit, z.B. Straßenfeste, entstehen. Universalistische indi-viduelle Formen vom Typ Greenpeace werden attraktiv, aber die Beteiligung anSolidarität stiftenden Maßnahmen vor Ort, z.B. durch Gewerkschaften, schwin-det.

Wir beobachten beim engagierten Bürger, dass er seine Bewegtheit an bestimmteOrte, Anlässe, Menschen, Zeitpunkte zu binden bereit ist. Das „Public Viewing“bei den Sportevents deutet darauf hin. Wer sich für Fußball begeistert, bindet sich

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an einen Verein und lässt sich für ein Jugendtraining im Quartier begeistern. En-gagement erwächst eben selten direkt aus der Sache selbst heraus, sondern ausdem Anschluss an Menschen. Empathie, Wertigkeit und Wahrnehmung sind zent-rale Größen bei der Motivation und Wirksamkeit von Engagement (vgl. Arendt1957, Honneth 2007, Ueltzhöfer 1996).

Viele machen vor Ort mit, nicht aber überregional, und umgekehrt. Ähnliches giltfür Themenbereiche. Einige sind im kulturellen Bereich engagiert und wollennicht so sehr in andere Bereiche verwickelt werden. Engagementbereitschaft folgteigenen Reichweiten und hat viel mit der modernen Milieuforschung zu tun, diebesagt, dass sich heute die Zuordnung als Mix aus Lebensstil und Klassenlage, Eth-nie, Generation etc. darstellt. Je brüchiger Familien, Großinstitutionen, Traditi-onsorte oder Arbeitsbetriebe sind, umso wichtiger werden die Milieus. Sich dannzu engagieren, um den Verbleib im eigenen Milieu oder dessen Stärke zu sichern,wird ein wichtiges Zukunftsmotiv. Dies zu erkennen und voranbringen zu kön-nen, verlangt eine Verknüpfung der pädagogischen Diskussion zur Demokratie-förderung mit der Diskussion um die Qualität von politischem Management, alsoum ein Lernen über die Schule hinaus (vgl. http://www.degede.de).

1.4 Milieugebundenheit des Engagements

Milieus werden in der Sozialforschung genutzt, um Gruppen in der Gesellschaftsowohl nach sozialer Lage als auch nach Bildung, Beruf, Einkommen und Le-bensstil zu identifizieren. So haben die beiden wichtigsten deutschen Anbieter indiesem Bereich, SINUS und SIGMA, ca. zehn Milieus entwickelt, die sich entlangzweier Skalen als Mengencluster („Kartoffeln“) und als ein Spiegelbild von Mo-dernität, Lebens- und Konsumstilen mit hoher Marketingrelevanz darstellen (Ab-bildungen 1 und 2). Während die Industrie diese nutzt, herrscht im Bereich derPolitik und Sozialwissenschaft Zögerlichkeit hinsichtlich der Abwendung vomSchichtenmodell, der mangelnden Trennschärfe der Milieus und möglicher prak-tischer Folgen. Genau diese aber lohnen eine genaue Betrachtung.

Im Bereich des Bürgerengagements werden seit der „Geislingen“- und den Lan-desstudien (vgl. Ueltzhoeffer 1996) zunehmend Milieus erfragt, zuletzt die derMigrant/innen (vgl. Beck 2008). Gerade weil Milieudefinitionen sich vieler le-bensweltlicher Verhaltens- und Konsummuster bedienen, ist ihre Weiterentwick-lung in Handlungsmustern des öffentlichen Raums naheliegend. Tatsächlich las-sen sich seit zehn Jahren Grundmotive des Bürgerengagements abbilden, diemehr über das Milieu der Akteure aussagen als über den Gegenstand der Aktion,also Themen und Engagementbereiche (vgl. Abbildungen 3 – 5).

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Vier große „Motivkreise“ tauchen immer wieder auf: helfen zu wollen, Pflichtbe-wusstsein, der Wunsch, etwas zu gestalten, und schließlich Bezüge zu den eige-nen Interessen – zu lange dargestellt als der „egoistische Teil“ des guten Tuns.Zweidrittel der Befragten wollen vor allem, indem sie helfen, akzeptiert werden,wie sie sind. Wenn sie nach Schulungsschwerpunkten gefragt werden, wird nochdeutlicher, was „der eigentliche Lehrplan“ ist: eigene Rechte gegenüber Behör-den beanspruchen, im eigenen Handeln nicht „missbraucht“ oder instrumentali-siert werden. Die entwicklungspsychologische, letztlich aber verfassungsrechtli-che Tendenz ist unübersehbar. Es geht um ein Stück Emanzipation vom Staat undim Weiteren auch von anderen beruflichen und familiären Festlegungen.

Im alten Ehrenamt war es schlechterdings nicht vorstellbar, dass ein status- oderklassenbewusstes Engagement sich seiner selbst versichern musste, zumal imWort der Ehre der Status ohnehin abgebildet zu sein scheint. Auch in der sponta-nen Selbst- oder Katastrophenhilfe scheint im Unterschied zum Bürgerengage-ment wenig Spielraum zu liegen, sich selbstreflexiv damit zu beschäftigen, obman so anerkannt wird, wie man sein will. Ganz anders ist dies, wenn Engage-ment als Erscheinungsform moderner Lebensweisen der Identitätssuche zugeord-net wird, der Ambivalenz von Zugehörigkeit und Eigenständigsein, von Dabei-und gleichzeitig Anderssein – „multiple Identitäten“, wie sie die Sozialwissen-schaftler Mollenhauer, Rauschenbach oder Beck seit vielen Jahren beschreiben.Dann ist Engagement ein zur Identitätsbestimmung des modernen Menschen hilf-reiches und notwendiges Element. Damit geht ein wachsendes Bewusstsein eige-ner Fähigkeiten und Kompetenzen einher, das als drittwichtigstes Motiv genanntwird. Diese Motivlage zieht sich bezeichnenderweise durch alle Milieus und stelltallein deshalb schon ein gesamtgesellschaftliches Phänomen dar.

Anders verhält sich die (noch verbreitete) Motivlage Pflichtbewusstsein. Sie trittvorrangig in den traditionellen und älteren Milieus auf. Spiegelbildlich dazu liegtdas Motiv Selbstverwirklichung und Mitgestaltung durch Engagement, meistenssogar in Verbindung mit der Überzeugung, etwas gestalten zu können, und derBereitschaft, neue Leute kennenzulernen. Hier spalten sich die Milieus trenn-scharf und abgründig (vgl. Abbildungen 6 – 9): Moderne Arbeitnehmer/innen, intellektuelle und hedonistische Gruppen trauen sich zu, etwas zu bewegen, unddaher richten sie auch ihr Interesse eher an anderen Feldern des Engagements aus,vorzugsweise dem Schutz – sei es für Kinder, Natur, Menschenrechte oder Nach-barn. Etablierte, traditionell-bürgerliche und Arbeitermilieus bis hinein in die ma-terialistischen (Armuts-)Milieus glauben weniger an die Gestaltungsräume, an denöffentlichen Raum und dessen Vielfalt. Sie sind in Vereinen, Kirchen, Verbändenund vielleicht noch bei Angeboten für Kinder und Alte dabei; sie achten auf ho-

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mogene Beziehungsgruppen. Pflichtbewusste engagierte Traditionalisten fühlensich überfordert mit dem, was Bürgerengagement heraushebt, nämlich das Han-deln im und über den öffentlichen Raum. Sie gehen andere hierarchische und re-präsentative Wege.

Dieser Raum, eine Art „neue Nachbarschaft“, ist bunt und verbirgt sich für viele– alternativ zu Vereins- und Kircheninstitutionen – hinter Bürgerinitiative, Stadt-teilinitiative oder Bürgerbüro, hinter jenen Begriffen, die die demokratieorien-tierten Planer beseelen, aber derzeit weniger als 5 % der Bevölkerung zum En-gagement „beflügeln“. Auffällig ist aber, dass es in Zukunft über ein Drittel desEngagementpotenzials in sechs der zehn Milieus erreichen könnte, wenn denndie Hindernisse weggeräumt wären (vgl. Abbildung 10). Diese Hindernisse sindletztlich überhaupt keine technisch-finanziellen oder unlösbaren Klassen-probleme. Sie sind Ausdruck der „Modernisierungsachse“ in der Zivilgesell-schaft selbst.

In fast allen Detailfragen unterscheiden sich fünf „traditionelle“ Milieus von fünfmodernen bis postmodernen Milieus, sicherlich auch bestimmt durch Durch-schnittsalter und Ausbildung. Bei SIGMA und SINUS befinden sich fünf links undfünf rechts auf der Modernitätsachse. An dieser unsichtbaren Bruchstelle bün-deln sich auch Ängste und Hoffnungen. Die traditionellen Milieus verteidigen inihrem und mit ihrem Bürgerengagement sich selbst, ihren Status, ihre Werte undLegitimationen ihrer Herkunft. Nicht umsonst nennt SINUS ein Milieu seit 1990das „DDR-nostalgische“. Die Modernisten verteidigen in und durch ihr Bürger-engagement sich selbst, ihre Milieus und Lebensweisen und wollen ihre Zu-kunftschancen wahren. Hierzu öffnen sie sich auch notwendigerweise manchemFremden.

Im europäischen Kulturenvergleich konnte zwar aufgeräumt werden mit dem Vor-urteil, die Deutschen seien weniger engagiert als ihre Nachbarn. Bei politischerBetrachtung aber gibt es Klärungsbedarf, für den der Begriff Ehrenamt symptoma-tisch stehen kann. In einem Engagementvergleich zwischen Deutschland, Spa-nien und Großbritannien, konkret zwischen den Orten Geislingen, Olot und Stir-ling, sind die Offenheits- und Empathiewerte sehr unterschiedlich. Die Offenheitgegenüber Unbekanntem ist bei Engagierten mit über 20 % Differenz ausgespro-chen unterschiedlich ausgeprägt (vgl. Abbildung 11). Es sei angesichts ähnlicherWerte über die Stadt Geislingen hinaus die Hypothese erlaubt, dass Bürgerenga-gement in Deutschland weniger als in einigen Nachbarländern Mittel zur Öffnungdes eigenen Lebenshorizontes ist, sondern zur Verteidigung der Lebensverhält-nisse dient. Dies würde auch begründen, warum wir uns so schwer tun mit der

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„Leichtigkeit“ des Engagements und ständig alte deutsche Literaten ironisch zitie-ren: „Willst du froh und glücklich sein, lass kein Ehrenamt dir geben.“ Es scheinthierzulande eher so, dass die Menschen die Modernitätszugewinne, die sie amArbeitsplatz, in der Ausbildung und in Patchwork-Familien erleben, anschließendin das Freiwilligenwesen hineintragen – selten umgekehrt.

Die enge Verzahnung von Engagement, Milieu und sozialem Wandel muss sichin der Stadtentwicklung wiederfinden lassen und bedarf der politischen Gestal-tung. Die schrumpfenden und wachsenden Milieus einer Großstadt beeinflussendie Art des Engagements. Solche Entwicklungen verändern die Zusammenhänge,Interaktionen und vor allem das zivilgesellschaftliche Geschehen einer Stadt er-heblich. Das sichtbare Bürgerengagement ist ein Symptom hierfür. Die Einstellunggegenüber Rechten und Pflichten, Werten und Öffentlichkeit und das politischeVertrauen gehen sehr viel weiter als messbare Aktivitäten und zählen deshalbmehr als diese.

Vieles in der „alten Stadt“ lebte aus dem Spannungsverhältnis zwischen traditio-nellem Arbeitermilieu in den citynahen Wohnrandgebieten und den Etabliertenund Intellektuellen in Eigenheim und Innenstadt. Vieles wurde hier in Gewerk-schaftsengagement einerseits und Kirchen und Initiativen andererseits gebundenund auch festgeschrieben – mit- und gegeneinander. Vieles in der „neuen Stadt“wird leben aus dem Spannungsverhältnis zwischen den „working poor“, die zwi-schen Hartz IV, einfachen Jobs und Renten Perspektiven suchen, und der neuentechnischen Intelligenz, die mobil ihren Arbeits- und Familienort bestimmen undKompetenz teuer zu verkaufen weiß. Wie werden ihre Engagementformen ausse-hen? Wie sehr können sie ihr Angewiesensein auf große Versorgungsinstitutionenund damit ihre Ambivalenz, die sie in der Regel zum Staat haben, mit einem En-gagement für sich und Andersdenkende verbinden?

Diese neuen Mittelschichten werden viel für ihre und andere Kinder im Stadtteiltun. Sie erwarten flexible, effiziente Dienstleistungen und halten tolerant und un-geduldig viele Differenzen aus. Große Institutionen müssen mit ihrem Misstrauenrechnen. Lässt sich eine Kommune auf neue Projekte wie Mehrgenerationentreff-punkte ein, wird sie die neuen Milieus erreichen können, aber auf Misstrauen beiden Versorgungsinstitutionen der alten Milieus treffen. Unterlässt eine Kommuneden Versuch, werden sich die Vertreter neuer Milieus still und nachhaltig, wieKonsumenten auf dem Markt, anderen Projekten, Themen oder gar Standorten zu-wenden. Dies lässt sich in Großstädten auch territorial, sozialräumlich fassen undpräzisieren. Bezirke und Stadtteile haben ihr Profil, ihre Milieudominanz und„ticken“ entsprechend verschieden.

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Wenn für die Gesamtstadt konstatiert wird, dass deutliche Polarisierungen beste-hen und eine bürgerliche Mitte fehlt, ist sowohl damit zu rechnen, dass sich En-gagement an einer solchen Schnittstelle sammeln und bündeln lässt mit dem Mo-tiv: „Lasst uns doch Brücken bauen“ (vgl. die Sozialpaten in Augsburg), als auchdamit, dass Stadtteilstrukturen auf solche Ungleichgewichte „reagieren“ (vgl. Ab-bildung 12 am Beispiel Augsburg). Stadtteilvereine präsentieren sich und ihre Mit-streiter als Garanten einer „heilen Dorfwelt“ oder eines „weltstädtischen Am-bientes“, als autonome Einheiten, die mit einem gleichzeitigen städtischen Pla-nungsbemühen um Sanierung oder Jugendhilfe entweder nichts zu tun habenwollen oder umgekehrt umfassende Subventionierung erwarten.

Viele Stadtentwicklungsprojekte im Förderprogramm „Soziale Stadt“ haben ab-strakt und normativ Bürgerbeteiligung eingeklagt, aber von milieu- und moder-nitätsspezifischen Analysen abgesehen. Diese legen nahe, dass es völlig ver-schiedene Beteiligungsformen je Stadtteil geben kann, wenn es darum geht, daszivilgesellschaftliche Feld zu aktivieren, zu motivieren und zu erweitern. EineBürgergesellschaftsdebatte, die nur einen allgemeinen Engagementbegriff undeine einheitliche Beteiligungsmethode kennt, kann praktisch nicht greifen in derStadtgesellschaft. Selbst in den Institutionen können und müssen Differenzierun-gen erfolgen, die aber durchaus dem gleichen Ziel der Bürgergesellschaft dienen.

Städtische, gemeinwohlorientierte Wohnbauträger haben sich auf einen solchenWeg gemacht (vgl. Abbildung 13 am Beispiel der Augsburger Wohnbaugesell-schaft). Sie wissen darum, dass hinter ihren Wohnungstüren noch einmal eine an-dere soziale Gemengelage wohnt als in der Gesamtstadt. Wird dies nur beklagtnach dem Motto: „Wir haben die sozial Schwachen“, bleibt die Defizitorientie-rung und Selbststigmatisierung. Jedes Milieu benötigt für die eigene PerformanzSymbole, Zeichen, Konsum- und Lebensformen. Lassen öffentliche Institutionenihre „Kunden“ damit allein, werden sich diese formieren – leise oder laut. Enga-gementpolitik ist auch ein Stück Anerkennung real existierender Milieuverhält-nisse mit der Absicht, diese leistungsfähig und prosozial zu machen.

Die Migrantenmilieus (vgl. Abbildung 14) waren Nachzügler bei der gesell-schaftlichen Modernisierung der Milieus in Deutschland. Sie bestätigen, dassdiese große Gruppe in unserer Gesellschaft sich längst gefunden, formiert und aufihren Weg gemacht hat, was nicht gleichbedeutend mit „integriert“ sein muss.Wer also Migrantinnen und Migranten mit, für und durch Bürgerengagement ge-winnen will, muss in diesen Milieus ansetzen. Für das „statusorientierte Migran-tenmilieu“ wird es sehr wichtig sein zu erkennen, was die Menschen selbst tunkönnen, um den erworbenen Status und Wohlstand zu sichern, und welche Bot-

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schaft sie dabei ihrer nachwachsenden Generation vermitteln. Mit ihnen ist z.B.über das Scheitern der „dritten Türkengeneration“ an deutschen Hauptschulen zusprechen, ist zu fragen, warum es wiederum türkische Mädchen aus anderen Milieus bis zur Promotion schaffen. Es geht mithin weniger um den alten Integra-tionsdiskurs: „Habt ihr oder haben wir genügend getan?“, sondern um den realensozialen Vergleich, um das Ausloten von Chancen bei der Öffnung dieser Milieusund „unserer“ Institutionen.

Projekte wie die zweisprachigen Stadtteilmütter und milieuübergreifenden Rol-lensets wie die der „Paten“ können Bewegung in feste Milieus bringen. Mütter tunsich über Gruppen hinweg zwecks Zweisprachigkeit ihrer Kinder zusammen undlernen etwas für sich selbst hinzu. Dies ist ein grundlegend anderer Integrations-ansatz als der Deutschkurs für ihre Kinder durch Lehrer. Entsprechend bedeutetEngagementpolitik, die sich der Milieuforschung bedient und Milieus als Aus-druck moderner Lebensformen anerkennt, eine Annäherung an eine gespaltenegesellschaftliche Wirklichkeit, in der es zwar auf die einzelnen Individuen und ihrEngagement ankommt, aber diese so frei und kompetent sein können, wie es ihrMilieu ermöglicht oder wozu es sich öffnet.

2. Bürgerengagement im Spiegel der drei Sektoren der Bürgergesellschaft

2.1 Der Staat, der an Institutionen delegiert

Die Veränderung des Verhältnisses von Bürger und Staat, der quasi neue Gesell-schaftsvertrag (vgl. Bürsch 2008) ist der Hintergrund, vor dem die neue Dimen-sion des Bürgerengagements verständlich wird. Andernfalls reduziert sich dieDebatte auf eine vermeintliche Krise des Ehrenamtes und auf einen Kampf zwi-schen Eigensinn und Gemeinwohl, vergleichbar mit dem Beginn der Kommuni-tarismusdebatte Anfang der 1990er-Jahre (vgl. Etzioni 1995). Ausgehend abervom neuen Gesellschaftsvertrag wird die umfassende Dynamik deutlich, die sichfür die meisten Menschen im traditionell sozialstaatlichen Erfahrungskontext inDeutschland als vermeintlicher Rückzug, als Schwäche oder Sparkonzept desStaates darstellt.

Daher wird seit 20 Jahren die Bürgerengagementdebatte von letztlich kaum glaub-würdigen Bekenntnissen und Forderungen begleitet, Engagement dürfe nicht zumAusfallbürgen des Staates werden. Mit zunehmendem Tempo verschlankt sich vorallem auf lokaler Ebene in allen Handlungsfeldern die (staatliche) Politik, indemsie sich auf Steuerungsaufgaben konzentriert und zahlreiche Aufgabenbereichean Institutionen vergibt. Viele „Heilsversprechungen“ – von Problemlösungen im

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nationalen Rahmen über sichere Renten bis hin zu einer gerechten staatlichenSteuerumverteilung und Daseinsvorsorge – hat die Politik selbst realistischerweiseschon abgeschwächt und damit zahlreiche Wellen im Engagementbereich aus-gelöst. Für Gewerkschaften und Partner war die Hartz IV-Gesetzgebung des Ar-beitsmarktes ein Schlag in die Mitgliederzahlen; vielen kirchlichen Jugendgrup-pen und der Partei „Die Linke“ aber hat die „Heillosigkeit“ auch neue Menschenzugetrieben (vgl. Fischer et al. 2008).

Staatliche Politik reagiert auf den Wandel der Gesellschaft durch Migration, Indi-vidualisierung und demografische Entwicklung. Allerdings werden die Maßnah-men noch fein säuberlich voneinander getrennt: Das eine sind Gesetze, Leistun-gen und Investitionen. Das andere und später daraufgesetzte sind sozial-symbo-lische Fördermaßnahmen nach Art der Engagementförderung. So werden dop-pelte Staatsbürgerschaft, Bildungsprobleme der Migrantengenerationen, Zuwan-derung, Islamunterricht diskutiert und erst etwa ab 2007 rückte das Engagementder Migrant/innen ins Blickfeld. Ebenso wird der Lebensstilwandel, z.B. die Ver-einbarkeit von Kind und Kariere für Frauen, mit Geldzulagen und Krippen disku-tiert, aber nachrangig mit bürgerengagementorientierten Formen der gemein-schaftlichen Aufgabenlösung gesehen, wofür z.B. Familienstützpunkte stehenkönnten. Die Rente mit 67 Jahren wird diskutiert, pauschal und auch bran-chenspezifisch. Getrennt davon laufen Aktivprogramme für aktive Rentner. Allediese zentralen demografischen Veränderungen, die auf nationaler Ebene jeweilsfür Turbulenzen in einem Bereich wie z.B. der Rentenkassen sorgen, haben in denKommunen Folgen. Demografie, Fragen der Migrantenintegration und der gesell-schaftlichen Vielfalt lassen sich nicht mehr auseinanderhalten. Sie lassen sich de-mokratisch nur erfolgreich mit einer aktivierten, engagierten, selbstverantwortli-chen Bürgerschaft lösen – wenn es den problemlösenden Staat so pauschal nichtmehr gibt.

Die klassisch linken und rechten Flügel der Politik reagieren auf diese Verände-rungen mit den alten Mustern: mehr Geld, mehr Dienstleistungen, mehr Ordnung.Im Gegensatz dazu steht das neoliberale Credo: alles selbstverantwortlich lösenlassen. Dazwischen räsonieren die Stammtische, weil es weder der Einzelne al-lein noch der Staat für alle angemessen schaffen wird. Die nationale Politik ver-steckt sich in dieser Phase hinter lokalen kommunalen Lösungen oder Richtwer-tedebatten. Und wenn nun Eigenbetriebe, Theater, Stadtwerke nicht selbst Enga-gement fördern wollen, fallen sie als großzügiger städtischer Partner für Vereineauch noch weg. Für den Bürger ist das schwer verstehbar, denn er will in der Re-gel kein Steuergeld oder den Kanaldeckel der Kommunalpolitik, sondern günsti-gere Dienstleistungen.

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Natürlich können dezentrale Lösungen ein Einstieg in eine bürgerengagement-orientierte Politik sein, wenn – wir kommen darauf am Praxisbeispiel Augsburgs– die Kommune vorbereitet ist durch offene Institutionen und Öffnungsklauselndes Gesetzgebers, der Auslegungsspielräume bewusst ermöglicht. Ist dies nichtder Fall, wie am Beispiel der Hartz IV-Reform, ist das Chaos vorprogrammiert unddas Bundesverfassungsgericht moniert die gemeinsamen Arbeitsgemeinschaftenvon Bund und Kommunen, weil sie weder dem Gesetz noch den Regeln effizien-ter Organisation gerecht werden. Und sollen die Migrant/innen mehr beteiligtwerden, geschieht dies zu oft im Sinne eines Wunschkonzertes: „Wie hättet ihr esgerne?“ Angesagt ist aber eine Arbeitsteilung: „Was könnt ihr gut, was können wirgut?“ Dies kann dazu führen, dass nicht die deutschen Lehrer/innen Migranten-kinder „integrieren“, sondern dass Teile der Migrantencommunity selbst einen Bereich übernehmen, z.B. durch Stadtteilmütter, und die „deutschen“ Institutio-nen sich für das Elternengagement öffnen müssen.

Natürlich wird es im Zuge des demografischen Wandels engagierte Alte statt „Ru-hestandsalte“ geben müssen. Nur kann dies nicht als Programm erkauft werden,sondern durch die konkrete Anstrengung, indem Alt und Jung miteinander klären,wie Pflege, Transport, Kontakt, Wohnen, Beratung alter Menschen auf der einenund die Aufgaben junger Familien auf der anderen Seite gemeinsam zu lösen sind.Dem kommt die bundespolitische Idee der „Mehrgenerationenhäuser“ – als Be-griffshülle, nicht als Baumaßnahme – sehr viel näher. Ähnlich wie bei dem sehrproblemnahen Bundesprogramm „Soziale Stadt“ stellt sich die Frage: Wie sichereich den Engagementteil? Wie gewährleistet ein Fördergeber, der normalerweiseauf Planstellenförderung baut, dass vor Ort das Freiwilligenengagement wirklichwächst? Oder kann der Fördergeber inhaltlich die Ziele über die Abrechnung desProjektes „erzwingen“?

Immerhin sind beide Programme – „Mehrgenerationenhäuser“ und „SozialeStadt“ – an wichtigen Stellen offen. Sie legen Institutionen nicht fest und erlaubenden Kommunen, die Engagement wollen, einen starken Zugriff. Der wiederum ir-ritiert in der Regel die ausführenden Institutionen, die sich an den „versteckten“Staat gut gewöhnt haben. Dann sind sie darauf angewiesen, andere engagement-orientierte Institutionen als „Freiwilligkeitsleistung“ zu bezahlen. Was tut eineKommune, wenn sie beispielsweise nur unzureichend über eine Wohnbauge-sellschaft verfügen kann, um alternativen, Gemeinschaft fördernden, intergene-rativen Wohnbau mitten in die Stadt zu bekommen? Länder ziehen sich auf Bei-spielprogramme zurück, die wie Brosamen über das Land gestreut werden als Ap-petizer der öffentlich Meinung, die ihrerseits die Kommunen unter Nachfrage-druck setzen sollen.

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Besser wäre es, Bürgerschaftsgruppen im Diskurs zu stärken, in Foren und inzwi-schen auch in Internet-Communities aller Art über neue Lebensformen, und die-sen Bürger/innen selbst Investitionen zuzutrauen. Die staatliche Politik verstecktsich ein weiteres Mal hinter Wettbewerbs- und Marktnormen, im Zweifel immerhinter „Rechnungshöfen“. Viele Maßnahmen im lokalen, engagementnahen Kon-text können nicht verwirklicht werden, weil sie z.B. bundesweit rein wettbe-werbsrechtlich ausgeschrieben werden müssen. Ganze Heerscharen kompeten-ter und nebenher engagierter Handwerksmeister mussten z.B. deshalb schon um-satteln oder entlassen werden, weil andere Ausbilder als Billigexperten auf denAusbildungsmarkt drängten.

Der Bund bedient sich dabei der besonders zentralistischen Agentur für Arbeit,ohne sie in ihrer jedes Engagement zerstörenden Wirkung – über sie wird es keine„Job-Paten“ oder ähnliche freiwillige Vermittler je geben – bremsen zu können.Staatliche Politik versteckt sich auch in der Gewährleistungsformel des Jugend-schutzes. Wenn z.B. im Jugendhilfegesetz (KJHG) die Kindeswohlarbeit immerstärker professionalisiert wird, schmälert es den Spielraum jedes örtlichen Jugend-amtes, mit Freiwilligen, Nachbarn o.ä. zu arbeiten, ohne die Wächterrolle aufzu-geben.

Wie schwierig es ist, ein solches Zusammenspiel von Staat und Verbandsinstitu-tionen zu brechen, zeigt das Beispiel der Schuldnerberatung. Ehrenamtliche Ar-beit wird soweit akzeptiert, wie sie den professessionellen Zuweisungsrahmen anVerbände nicht verändert. Umgekehrt würde ein Schuh daraus: Wer mit freiwil-liger Kompetenz den Entschuldungsprozess als Teil eines gesellschaftlichen Ge-samtpaketes optimiert, verdient den besten Zuschuss. Aber solche Erwägungenüberlässt der Staat den Stiftern und Gutmenschen, die mit Tafelprojekten ehren-amtlich Essensausgaben organisieren, ohne sozialplanerisch stringent Teil einerArmutsprävention zu sein.

Staatliche Politik wird die Geister – in diesem Fall die Institutionen –, die sie ge-rufen hat, nicht mehr los, aber dem Engagement bleibt der Kollateralschaden, d.h.ihm geht zwischen solchen Fronten „die Luft aus“. Die ausführenden Institutio-nen werden bestärkt in Effizienz und formaler Beteiligungskultur, nicht aber in dernotwendigen Öffnung hin zu den Menschen, ihrem Umfeld, ihren Motiven undNetzwerken.

Öffnung bedeutet die Einbeziehung aller Beteiligten und nicht deren Ausschlusszur Versachlichung der Dienstleistung. Die Politik muss beim staatlichen undkommunalen Handeln die herkömmlichen Formen des Zusammenspiels zwi-

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schen Staat, Verbänden und Institutionen in Frage stellen und für offene Institu-tionen sorgen.

2.2 Der strukturkonservative zivile Sektor

Die erheblich gestiegene Anzahl von Vereinen, Selbsthilfegruppen, Beiräten, Ju-gendringen und Institutionen müssten ein Garant für einen höheren Stellenwertengagementorientierter Politik sein. Dies lässt sich aber nirgendwo feststellen. DieFormationen stehen allesamt unter viel stärkerem Druck als früher, um um ihreMitglieder, deren Loyalität und Aktivität zu werben. Es kommt nicht mehr jederzu jedem Fest, denn Arbeits- und Lebensmobilität fordern ihren Tribut. Vereineund Vereinsanlässe sind austauschbar geworden, ideologisch sind sogar Kirchen-gemeinden auswechselbar geworden und die Ehrenämter werden mit vielen Er-wartungen überfrachtet.

Geschlossenheit wird bestenfalls gegen Dritte, z.B. gegen die „Oben“, oder mithohem Mitteleinsatz, z.B. durch professionalisierte Fußballfangruppen, erreicht.Ehrenamtliche Beiräte stehen bei der Aufwandsvergütung vor neuen Steuer- undAbrechnungsproblemen, Selbsthilfegruppen konzentrieren sich auf homogeneProblemlagen in immer weiter parzellierter Form, so dass gesamtgesellschaftlichePerspektiven aus dem Blick geraten. Verbände und Dachverbände wiederholenBelohnungsstrategien des alten Staates und der Werbewirtschaft: Den Übungslei-ter/innen sollen mehr Vergünstigungen zugestanden, Ehrenamtscards kreiert,Steuervorteile festgeschrieben und eine Anerkennungskultur fest eingeplant wer-den. Neben den Ehrungen und Empfängen ist in Anlehnung an Incentiv-Strategienein erheblicher Graumarkt entstanden (Einladungen zu teuren Veranstaltungen,Reisen etc.), der vor allem eines bewirkt hat: Der zivilgesellschaftliche Sektor istin Misstrauen, Neid und Sorge um Abwerbung festgefahren. Zusätzlich haben dieFolgen der Massenarbeitslosigkeit und niedriger Renten die Abgrenzung von Eh-renamt und bezahlter Arbeit erschwert.

Ungleichheiten der Ressourcen sind unübersehbar, von den Hospizfrauen bis zum Tennisclub, vom türkischen Dachverband bis zur russischen Lands-mannschaft. Im Zweifel leidet darunter das, was zwischen Mitgliedern und Vor-ständen am ehesten einsparbar ist: das Gemeinwohl. Selbst die Gemeinnützigkeitist kein Tabu mehr, wenn denn ein anderer Weg, z.B. der Verkauf von Liegen-schaften gemeinnütziger Institutionen, mehr Gewinn verspricht. Wichtig ist da-bei, dass Vereine heute eher Milieus als Interessen spiegeln. Deshalb sind Bin-nenwirkungen im eigenen Verein so wichtig und weniger die Wirkungen nachaußen.

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Der hohe Anspruch heutigen Bürgerengagements geht auch weit über traditio-nelle zivilgesellschaftliche Formen hinaus: Warum soll sich der jetzige Mieter-verein auch noch Gedanken über künftige Mietformen und Mietgenerationen ma-chen, die erst noch geboren werden, warum die Nachbarschaft gestalten etc.? Wiekann das verlangt werden, wenn der Haus- und Grundbesitzerverein daneben ge-nauso als zivilgesellschaftliche Formation anerkannt und beachtet wird, aber vielklarer und härter nichts als seine Eigeninteressen formuliert? Warum soll von ei-nem Stadtjugendring erwartet werden, dass er alle jungen Menschen in der Stadtim Blick hat, wenn seine Mitgliederorganisationen aber nur ca. 30–40 % der Ju-gendlichen vertreten und dieser Anteil weiter abnimmt? Wer vertritt denn die an-deren 60 %? Kennen wir sie? Wer ist für sie verantwortlich? Zivilgesellschaft istmehr als die Summe ihrer Vereinigungen. Sie ist prinzipiell jede/r darin verankerteBürger/in. Sie umfasst auch jene Einzelperson, die sich dem Spielplatz um dieEcke oder einem afrikanischen Patenkind widmet und deren Organisation weitweg in einer anderen Stadt sitzt. Ein ungenannter Spender und jemand, der 60Jahre aktiv bei der Eisenbahngewerkschaft war, aber nicht mehr aktiv ist, alle sindZivilgesellschaft. Sie wieder in„Parlamenten“ zusammenzuführen, stülpt dieserTatsache eine Form über, die ihrem Wesen nicht gerecht wird. Im Zuge der ver-stärkten Stadtbauplanungsbeteiligung bis hin zur Agenda 21 und den Bürgerbe-gehrenprozessen ist die Zivilgesellschaft „politisiert“, d.h. an parlamentarischeEntscheidungsregeln angedockt worden mit fatalen Folgen. Engagement wirdzurückgeschraubt auf eine formale Mitwirkung: das Stimmkreuz machen, Forde-rungen formulieren, für Ideen werben (vgl. Selle 1996).

Die Entfremdung zwischen Lebensweise und Demokratie hat letztlich zugenom-men. Die Entwicklung der weitgehenden bayerischen Bürgerbegehrensregelun-gen zeigt, dass Kleingruppen darin gestärkt werden, ihr Interesse in den Vorder-grund zu rücken. Was als antibürokratisches Kontrollinstrument gedacht war,gerät zur Abstimmungsmaschine über diesen und jenen Park, Hochhaus oder Bus-linie, also zur Gegenüberstellung von Einzelinteressen und Gesamtinteressen –zur Machtprobe und nicht zur Herrschaftskritik. Bürgerengagement ist dabei nurdie Organisation des Begehrens, aber nicht Anlass und Folge des Begehrens.

Für die kommunalen Spitzenvertreter ist diese schleichende Entwicklung leidereiner der entscheidenden Vorwände, nicht für mehr Engagement fördernde Poli-tik einzutreten. Während der einzelne Stadtrat in vielerlei Hinsicht in der Pflichtist, „seine Suppe mit auszulöffeln“, ist dies bei den Bürgerbegehrensformen seltenund allein schon deshalb zivilgesellschaftlich kontraproduktiv. Sie stärken nichtdie individuelle Verantwortung, denn wer beim Begehren unterschreibt, ist nochlange nicht engagiert.

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Ein ähnliches Dilemma zeigt sich bei der viel beschworenen Infrastruktur der Frei-willigenzentren, Agenturen und Bürgerbüros. Sind sie reine „Dienstleistungs-agenturen“, bleiben sie in einem äußeren Konzept gefangen und beliebig – ge-nauso konsequent ignoriert von den meisten Kooperationspartnern und Verbän-den vor Ort. Einigen ist es gelungen, zu Eigenverantwortungsplattformen und zusinnvollen, begrenzten, selbstkritischen Projektschnittstellen zu werden. Diesesind dann nicht durch „one-man-shows“ oder durch bekannte Zentralverbändegeprägt, sondern durch miteinander verflochtene Teams und Gremien, die so-wohl in der Politik eingebunden als auch in Teilbereichen „abwählbar“ sind, alsopolitische Formen mischen, aber nicht reproduzieren.

Es gilt, an die Grundsatzdebatte zur Zivilgesellschaft zu erinnern, die Anfang der1990er-Jahre durch den Wandel in Osteuropa ausgelöst wurde. Dort mag dieZivilgesellschaft in der Umbruchsituation auch eine Gegengesellschaft zumStaatsapparat gewesen sein. Nachhaltig war sie aber nur dort, wo sie sich mitdem Staat verzahnt und Lebensweisen und Formationen geschaffen hat, dienicht hauptsächlich der Macht oder dem Markt, sondern der Solidarität folgen(vgl. Habermas 1985). Deshalb liegt die eigentliche Anerkennungskultur im Zu-gewinn an Lebensqualität, Kompetenz und dem Gefühl gelingenden Lebens,neben anderen gestärkt im eigenen Milieu – also an realer Teilhabe statt nur for-maler Beteiligung.

2.3 Der wirtschaftliche Sektor im Widerspruch zwischen Effizienz und Nachhaltigkeit

Die Bedeutung von Wirtschaft und Ökonomie in der Trisektoralität der Bürgerge-sellschaft ist schwer einzuschätzen. Einerseits ist die Wirtschaft übermächtig ge-worden – gekennzeichnet durch die Stichworte Kommerzialisierung, Globalisie-rung und Finanzkapitalismus. In Zeiten neoliberaler Börsen und globaler Produkt-und Konsumentenmärkte drücken Profit und Rentabilitätszwänge kurzfristig alleszur Seite, auch den Markt selbst. Andererseits spielt dieser Sektor in Deutschlandeine untergeordnete Rolle, weil „Wirtschaft“ im Bürgerengagement oder in Kom-munen nicht als sichtbarer Akteur auftritt – aber zunehmend auftreten will –, bzw.traditionell mittelständische Betriebe haben sich bereits in einer Nische des Sozi-alstaatsgefüges eingeordnet (vgl. Backhaus-Maul 2008).

Es wird deutlich, dass es dort Wahrnehmungslöcher gibt. Einmal ist wirtschafts-und marktbestimmtes Handeln allzu oft gar nicht trennscharf etwa von den „Öko-nomien des Zeittausches“, der Non-Profit- und Non-governmental-Ökonomiezum Genossenschaftswesen und Gemeinwohlproduktionen abzugrenzen. Je

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mehr Koproduktionen entstehen zwischen Staat und Zivilgesellschaft einerseitsund Akteuren der Ökonomie andererseits, desto ungenauer wird die Abgrenzung.Insgesamt entsteht eine neue „Ökonomie des Gemeinwesens“ (vgl. Elsen 2007),ein „community wealth“, ein „neuer Mehrwert“, wie es der Nobelpreisträger Stig-litz nennt (vgl. Stiglitz 2006).

Es gilt, den marktwirtschaftlich bestimmten Sektor in seiner Wirkung auf die En-gagementförderung in die Betrachtung umfassend einzubeziehen. Dieser Sektorlässt sich nicht auf Betriebe und Konzerne reduzieren, sondern es sind Akteuregemeint, die den Marktregeln folgen wollen oder müssen. Viele Teile der Wohl-fahrtsverbände, ja auch Kindertagesstätten folgen den Prinzipien von Rentabilität,Auslastung, Effizienz, teilweise dem Profit. Im Pflegemarkt war dies seit 1995 ex-pliziter Wille des Gesetzgebers. Während sich der unmittelbar profitorientierteAkteur während seiner guten Phasen gesellschaftliche Engagementförderung leis-ten kann, wie die großen Konzerne, gesetzlich leisten muss, wie die Sparkassen,oder leisten will, wie die Stiftungen, ist es das Dilemma der dem Markt zugewie-senen Institutionen, dass sie an anderen Stellen wieder so zerregelt werden, dasssie sich aus eigenständigen Zuwendungsstrategien heraushalten. Pflegeheime, dieüber Pflegesätze, Qualitätskontrollen und Heimaufsichten punktgenau reglemen-tiert werden, weichen beispielsweise ohnehin in die Grauzonen tariffreier Be-schäftigungsverhältnisse aus, ohne sich um Bürgerengagement – nicht einmal ausEin-sparmotiven – zu kümmern. Sie wissen, dass sie bestenfalls teilvergütete Pseu-doehrenamtlichkeit nutzen können, aber keine Freiwilligkeit, weil diese sichmeist mit dem erklärten Motiv der Profitmaximierung nicht vereinbaren lässt.

Mit der Vereinbarkeit von Wirtschaft, Profit und Bürgerengagement tun wir unshierzulande sehr schwer. Es ist schwerer, im Umfeld eines profitorientiertenVolkslaufes freiwillige Helfer/innen zu gewinnen als über den Umweg über einneutrales prestigeträchtiges Olympia- oder Meisterschaftsprojekt, auch wenndaran mächtige Sponsoren „hängen“. Die Logik der Wirtschaft ist nicht prinzipiellengagementskeptisch. Personalchefs wissen um die hohe Sozialkompetenz, dieden Mitarbeitenden dort zuwächst. Sie wollen aber die Kosten (z.B. Zeitausfallri-siken) nicht einkalkulieren müssen und haben Probleme, ihren Aktionären denkurzfristigen Nutzen vorrechnen zu können. So ergibt sich ein ausgesprochenkurzatmiges, eventbezogenes Fördern.

Für Profit- und Non-Profit-Unternehmungen besteht das Dilemma, dass Bürger-engagementförderung und Corporate Social Responsibility ähnlich der Zukunfts-forschung etwas ist, das sich staatlich subventionieren lassen soll, vergleichbarden Ausbildungsplätzen. Daraus ergeben sich kontraproduktive Nebenwirkun-

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gen, die aus der „Sportbanderolenpolitik“ bekannt ist: Während eines Events kom-men z.B. Sportkleidungen zum Tragen, die den Freiwilligen perfekt ausstatten,aber auch zum Werbeträger machen. Der Öffentlichkeitseffekt liegt auf der Hand,instrumentalisiert aber den Freiwilligen ebenso, wie wenn z.B. die klassischen So-zialhelfer von Caritas vereinnahmt werden, um Verbandsmittel für das katholi-sche Lager angesichts der „Mängel“ staatlicher Daseinsvorsorge einzuklagen.

Der Effizienzdruck auch bei den nicht-profitorientierten Institutionen ist offen-kundig, so dass freiwilliges Engagement bestenfalls als betrautes, supervidiertesDienstleistungsengagement erscheint. Darüber kann man sich beklagen, mussaber fairerweise einräumen, dass die gleiche öffentliche Hand, die auf Freiwilli-genpotenziale verweist, ausschließlich die Hauptamtlichen verantwortlichmacht, wenn es zu Pannen kommt, oder nur die Arbeitsstunden hauptamtlicherMitarbeiter abrechnen lässt etc. Die langjährige Professionalisierung im Sozial-,Kultur- und Umweltbereich hat ein Effizienzbewusstsein geschaffen, das sich imminutenorientierten Qualitäts- und Berechnungsmanagement darstellt, was deranderen Logik der Freiwilligkeit diametral gegenübersteht. Es ist effizienter für denHauptamtlichen, das Marmeladebrot der Patienten selbst zu streichen, als für denFreiwilligen. Institutionen, die unterschiedslos diese ihrem Wesen nach verschie-denen Dienste aneinanderfügen, produzieren Chaos.

Dies kann auch andersherum zum Problem werden. Manche engagierte Mutterist kompetenter als die Erzieherin im Kindergarten und mancher pensionierte Ban-ker kompetenter bei der Schuldenhilfe als der Sozialarbeiter. Aber die Rollen, derStatus und die Gewährleistung, die Freiwillige und Profis ausüben, sind verschie-den und bedürfen eines gegenseitigen kompetenten Umgangs. Insoweit unter-scheidet sich der Anspruch einer Engagementförderung im Marktbereich auchvon der einfachen Vorstellung der Personalchefs, durch engagementförderndeMaßnahmen aktivere Mitarbeiter/innen zu bekommen. Bürgerengagement kannbei Wahrung der Spielregeln, der Arbeitsteilung und Rollenkomplexität hoch ef-fizient organisiert werden; es ist aber nicht die Fortsetzung von Personalqualifi-zierungsmaßnahmen. Der Faktor ist so unterentwickelt, weil es eine Art „doppelteBuchführung“ der Effizienz verlangt: Es fallen Kosten für solides Management,Sponsoring und Freistellung an; der Mehrwert sind Kompetenz, Motivation, Iden-tifikation der geförderten Mitarbeiter, aber ein Risiko ist immer auch deren Un-abhängigkeit und Eigensinn.

Unausgeschöpfte Potenziale liegen mehr im Außen als im Inneren der Betriebe. Kun-den verlangen zunehmend Qualitätshinweise und soziale Produktakzeptanz. Hierzukönnte gehören, dass Engagement einen Platz auf der Produktverpackung und in der

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Institution findet. Sollte dann die evangelische Einrichtung in vier katholische Frei-willige „investiert“ haben oder Daimler ein Freiwilligenteam von VW geschult ha-ben, muss genauso über einen Lastenausgleich gesprochen werden können.

Freiwilligenkompetenz sollte auch an den „Rändern“ der beruflichen Qualifika-tion eigenständig weiterentwickelt werden. Bekanntlich haben computerkundigeIngenieure die Probleme bei der Lebensmitteldistribution in vielen örtlichen Ta-felprojekten dynamisch und fast bundeseinheitlich gelöst. Werden Effizienz undeinfache Umsatzsteigerungen erreicht, ist dies gut im Sinne der Betriebswirtschaft.Ob dies gut ist im Sinne der Armutsprävention, darf bezweifelt werden. Selten be-steht der tiefere Sinn des Freiwilligenengagements in „Umsatzsteigerungen“.

Der Wirtschaftssektor und die an ihn gekoppelten sozialen Dienstleister instru-mentalisieren das Bürgerengagement, soweit es der Effizienz des Wirtschaftensdient. Das kann kurzfristig gut gehen, führt aber zu erheblichen Verwerfungen.Auch innerhalb des Wirtschaftssektors „leisten“ sich deshalb nur wenige eine En-gagementpolitik. Diese ist sehr viel mehr an Nachhaltigkeit gebunden: Was bleibtdem Engagierten selbst und dem Anderen so, dass es langfristig allen nutzt? EinMarktsektor, der diese Vielschichtigkeit und Nachhaltigkeit der Effizienz bei derEngagementpolitik nicht zu sehen vermag, schadet langfristig der Sache mehr, alser ihr mit vordergründigem Sponsoring, Corporate Social Responsibility oder Cor-porate Citizenship hilft.

3. Die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen und das Bürgerengagement

3.1 Diversität

Die europäische Großstadt hat in ihrer langen Tradition der Selbstverwaltung undAuseinandersetzung zwischen ländlichen Gebieten und Nationalstaat einen ge-sellschaftlichen Mikrokosmos geschaffen, eine Art Laboratorium und Werkbankkommender gesellschaftlicher Verhältnisse. Das, was städtische Kultur, Urbanitätausmacht, ist ein Gemisch traditioneller und moderner, reicher und armer, ein-heimischer und fremdländischer Kulturen. Kulturelle Alleinstellungs- und Hoch-leistungsmerkmale wie die Festspiele in Bayreuth oder Venedig, wie der Louvrein Paris oder die Alhambra in Granada sind zwar aus städtischer Identität ent-standen, haben aber den urbanen Raum längst hinter sich gelassen und sind glo-bale Merkmale und Spielstätten geworden.

Urbane Merkmale sind dagegen diejenigen Kulturerscheinungen, die je spezifisch

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in einer Stadt entstehen, wenn diese ihre Aufgaben als Industrie-, Dienstleistungs-,Wohn- oder Verkehrsknotenpunkt aktiv unter Einbeziehung aller Notwendigkei-ten und Möglichkeiten gestaltet. Die Kulturleistung moderner Städte ist nicht dieHöchstleistung, sondern die „Zivilisierung der vielen Differenzen“. Völlig andersals beispielweise die jungen Millionenstädte der Entwicklungsländer sind die eu-ropäischen Großstädte heute nicht mehr Zuwanderungsstädte der jungen Men-schen, Orte der industriellen Erwerbsarbeit und der Klassenauseinandersetzungeninnerhalb der gesellschaftlichen Eliten. Europäische Städte sind Verkehrsknoten-punkte geworden für Menschen aller Zuwanderungskulturen, mit doppelt so ho-hen Ausländeranteilen wie das umgebende flache Land. In ihnen wachsen fast nurDienstleistungen; Arm und Reich begegnen sich nicht im Kampf um die industri-elle Wertschöpfung, sondern in dem um abgesonderte Wohngebiete und Le-bensstilkulturen.

Der „Durchlauf“ an Menschen hat sich erhöht, weil zu den Arbeitsmigranten dieVerwandtschaftszuwanderung in die gleichen Mietgebiete, wie z.B. bei den vie-len russlanddeutschen Rücksiedlern, und die Ausbildungseliten kommen. Sie fah-ren in die Ausbildungs- und Wissenschaftszentren des tertiären Sektors in die Stadtoder arbeiten hier im „In-service-Training“ der Konzernzentralen und gehen da-nach wieder. Wer hier dauerhaft wohnt und auf alle städtischen Kerndienstleis-tungen angewiesen ist, ist inzwischen der hochbetagte, alleinstehende Türke, diesüditalienische Familie in der dritten Generation, die alleinerziehende Frau ausder Ukraine, die deutsche Rentnerin in der subventionierten früheren Kasernen-wohnung, das gleichgeschlechtliche Paar, das in der städtischen Wohnbauge-sellschaft leichter eine Wohnung bekommt als auf dem freien Markt, das Ehepaarin der Reihenhaushälfte, die sie nicht aus eigenen Mitteln renovieren können.

Gleichzeitig wohnen hier zwischen Stadt und Land pendelnde leitende Ange-stellte, die auf Internet und Bahnverbindungen angewiesen sind und für ihre Kin-der Montessori- oder Walddorf-Pädagogik erwarten, junge Akademiker in Altbau-wohngemeinschaften, die Wohnpartien in privilegierten Stadtteilen geerbt habenund die aufgrund von Heimarbeit gar nicht mehr den täglichen öffentlichen Nah-verkehr zur Arbeit brauchen, oder die Handwerkerfamilie, die daran interessiertist, für die eigenen Kinder eine Befreiung vom Schuleinzugsgebiet zu erhalten, umsie auf Schulen zu transportieren, in denen der Ausländeranteil unter 30 % liegt.

Die Dienstleistungsaufträge der Stadt gehen nicht mehr vorrangig an Betriebe inder Stadt, sondern per Ausschreibungswettbewerb an beliebige billige Auftrag-nehmer im ganzen Land, und umgekehrt operieren kleinste Betriebe der Stadtweltweit und benötigen dafür Verkehrsinfrastruktur, nicht aber den Stadtrat. Diese

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beliebig fortzusetzende Liste zeigt, dass sich die Merkmale europäisch-urbanerKultur im Laufe der letzten 30 Jahre auf den Kopf gestellt haben. Hat die Stadt nochin der frühen Industrialisierung aus der bunten Vielfalt des Landvolkes einheitli-che Arbeitnehmer gemacht, ein der Stadt verpflichtetes Unternehmertum, ein ho-mogenes Dienstleistungs-Versorgungsniveau, so ist die Stadt heute der Inbegriffder Vielfalt, des Individualismus der postmodernen Art, der Neben- und Nacher-werbsphase, des Multikulturalismus, der Durchsetzung unterschiedlicher Dienst-leistungswerte nebeneinander. Wenn jedes zweite Grundschulkind einen Migra-tionshintergrund hat, werden wir in Kürze andere Städte und andere Stadtgesell-schaften bekommen.

Während der nationalstaatliche Diskurs um die Frage geht, wie viele nichtdeut-sche Kinder im Kindergarten integriert werden und auf welche Weise, haben sichtürkisch-islamische Kindergartenträger in den Städten längst abgesetzt und bietendeutschen Kindern Plätze an. Während der nationale Diskurs um die Frage geht,wie Deutschkurse finanziert werden, organisieren Russlanddeutsche selbst lokalmuttersprachliche Sprach- und Sportvereine. Während der nationale Diskursnoch um die Frage geht, ob Moscheen mitten in den Städten gebaut werden kön-nen, haben sich ethnospezifische Film- und Medienbetriebe gebildet, deren kon-troverse Produkte in den Heimatländern der Migranten kaum gezeigt werden dürf-ten. Aus modernem Individualismus und gesetzlich geschütztem Multikulturalis-mus ist eine explosive kommunale Mischung entstanden, die sehr viel brisanterist als eine deutsch-türkische Kontroverse, mithin weit folgenschwerer als ein Min-derheitendiskurs.

In den europäischen Städten geht es heute nicht mehr um Minderheiten, die zuintegrieren sind, sondern um eine Vielfalt von Ethnien, Generationen, Kulturen,Einkommensformen und Lebensstilen, die ihrerseits „Kampf und Flucht“ evozie-ren, d. h. einerseits Individualismus, um sich selbst in der komplexen Situationdurchzusetzen, und andererseits Rückzug und Abgrenzung in sozio- und ethno-kulturelle Gruppen (und auch das Villenviertel ist eine solche!), um Heimat zu bil-den in der eigenen landsmannschaftlichen Gruppe. In seiner Analyse über das Di-lemma aktiver Toleranz in einer Gesellschaft hat Michael Walzer gewarnt: „Wennuns daran liegt, die beiden Werte Individuum und Gemeinschaft für das Allge-meinwohl einzuspannen, werden wir politisch handeln müssen, um sie dafürtauglich zu machen. Die Zentrifugalkräfte werden sich nur dann korrigieren,wenn diese Korrektur (als Gleichgewicht) geplant ist“ (Walzer 1998, 135).

Was Walzer als zukünftige Herausforderung in modernen Gesellschaften formu-liert, gilt im Mikrokosmos europäischer Großstädte bereits heute. Zentrifugale

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Kräfte, wie Walzer sie beschreibt, lassen sich durch moralische Appelle an dasVerstehen und die Aufnahmebereitschaft von Bevölkerungsmehrheiten gegenü-ber Minderheiten nicht in den Griff bekommen; sie sind mächtiger als jedes wei-tere kleinteilige interkulturelle Lernprojekt. Es entstehen Engagements für Migranten, von Migranten und neue „transkulturelle“ Kräfte, Aktivitäten und Mi-lieus quer zu den alten Trennungslinien. Junge Deutsche und junge Türken habenähnliche Freizeitinteressen; alte Russlanddeutsche und junge Russlanddeutschetrennt mehr als sie jeweils mit anderen Gruppen verbindet; zugewanderte tech-nische Eliten grenzen sich in ihrer Lebensart vielleicht mehr vom deutschen Le-bensstil ab als Flüchtlinge aus dem Irak von deutschen Arbeitern. Das Nebenein-ander eines deutschen und eines italienischen Fußballvereins kann weniger ab-grenzend sein als die Nicht-Kommunikation zwischen deutschen und kroatischenJugendlichen im gleichen Orchester oder zwischen behinderten und nichtbehin-derten Menschen gleicher Ethnie in höherem Alter.

Was ist die Antwort auf die hier skizzierte Entwicklung der europäischen Groß-stadt? Geht es um „Laisser-faire“, um Parallelwelten der ethnisch-kulturellenGruppen oder um die Durchsetzung von „Leitkulturen“, sei es der staatsrechtlichdeutschen oder der postmodernen, zivilrechtlichen Individualität? Bei jeder kom-munalen Daseinsvorsorge, dem Zulassen oder Verbieten ethnisch getrennter Kin-dereinrichtungen, Sportvereine oder kultureller Feiertage stellt sich diese Fragesehr konkret. Die Städte haben in der ersten Phase mit formalen Aufwertungs-maßnahmen in Form von Ausländerbeiräten und Ausländerberatungsstellen be-gonnen. In der Sprache der Engagementpolitik bedeutet dies: Wertschätzung undFürsorge vor Teilhabe. In einer zweiten Phase wurde der Schwerpunkt auf kultu-relle Symbolarbeit gelegt wie Veranstaltungswochen, Tage der offenen Moscheeund Ausstellungen. Das wiederum schiebt die politisch-symbolische Beteiligungvor Teilhabe. Erst in einer dritten Phase rückt die zivilgesellschaftliche Teilhabe inden Vordergrund. Gemeinsame Trägerverantwortungen entstehen, ebenso dieMitwirkung von Migranteneltern an Kita und Schule und von Migrantenpflege-vereinen an der Altersversorgung. Innerethnische Interessengruppen und Milieuswerden transparent. Hearings in eigener Sache stellen die Integrationsproblemein den Vordergrund, nicht formale Zugehörigkeiten. Sofort rückte die russland-deutsche Bevölkerung neben die türkisch-muslimische als verdrängtes Migrati-onsthema in den Vordergrund.

Im Mittelpunkt steht nun ein Management der Verantwortung, weniger der Inte-ressenvertretung – wobei dies bei vielen ungeklärten Fragen des Ausländerwahl-rechts oder bei Folgeproblemen der Asylregelung nicht vernachlässigt werdendarf. Es geht darum Migrantenvereine einzubinden, um systematische Koopera-

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tionsformen, weil innerdeutsche Muster wie z.B. die Erziehungsberatung oderSchuldnerberatung höchsten für, aber nie mit den Migranten organisiert werden.Zivilgesellschaftliches interkulturelles Management stellt sich als der gemeinsameVersuch von Stadtverwaltung, einer Elite branchenübergreifender Vereine undMultiplikatoren dar, die zentrifugalen Kräfte der modernen Stadt nicht zu be-schleunigen und nicht zu brechen, sondern sie kreativ aneinander zu binden undsie durch Toleranz zu zivilisieren und zu verbreitern.

Immer wieder brechen in der Stadtgesellschaft alte Gegensätze auf, durch mo-ralische Appelle an Ausländer einerseits, aggressive Abgrenzungen einzelnerGruppen andererseits. Dies zieht dann insgesamt die Forderung nach einem ein-heitlichen Ausländerintegrationskonzept nach sich, was dem höchst ungleichenModernitätsgrad der Migrantencommunities nicht gerecht wird. Die Wirklich-keit ist weiter: Die Stadt fordert Rechte und Pflichten aktiver Bürgerschaft, akti-ver Toleranz und Unterstützung unabhängig von nationalstaatlichen Ethnien ein.Interkulturelles Management bedeutet für eine Stadt, die Schnittstellen zu denDienstleistungen vielkulturell und mehrsprachig zu gestalten, die innerethni-schen Vereinigungsstrukturen transparent zu machen und zu öffnen, Beteiligung,Wertschätzung und Teilhabechancen mit Rechten und Pflichten weiterzuent-wickeln.

3.2 Demografie

In den Vordergrund aller Fragen des sozialen Wandels rückt in den Kommunenin diesen Jahren der demografische Wandel (vgl. Bertelsmann 2008). Die stei-gende Anzahl alter Menschen ist der eine Aspekt; deren sich verändernde Erwar-tungen an Stadt, Gesellschaft, Wohnen, Verkehr, Gesundheit ein weiteres Thema.Viel entscheidender aber ist es, dass alle anderen Altersgruppen sich ebenfalls ver-ändert zueinander darstellen, ihre Zusammensetzungen sich ändern und dasDurchschnittsalter mit unübersehbaren Folgen für die Arbeitswelt und ihre Nor-men steigt. Hinzu kommen die makroökonomischen Folgen für Renten oder Kran-kenversicherungen.

Vor allem ist jene Gruppe der Stadtgesellschaft betroffen, die eine eigene Öko-nomie und Lebensperspektive entfaltet, die nicht mehr an Arbeitsmarktpolitikoder Ausbildungspolitik orientiert ist. Sie ist von einer eigenen Welt unendlicherEntscheidungsmöglichkeiten im Alltag, aber endlicher Zeitperspektive geprägt,von eindeutigen Gesundheitsrisiken, aber höchst uneindeutigen zivilgesellschaft-lich gemischten Versorgungsvorstellungen. Ältere wissen selbst, dass das hohe Al-ter, das inzwischen „vierte Alter“ über 80 Jahre, mit der Demenz regelrecht eine„Seuche“ kennt, die derzeit nicht heilbar ist. Sie wollen ein Wohnpflegesystem,

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das nicht allein vom Staat oder vom Markt als Dienstleistung her kommt, sondernnachbarschaftlich und familiär geprägt ist. Zuhause bleiben und in der Nähe derAngehörigen, bei einer gewissen Distanz, wohnen, familiär betreut, aber profes-sionell gesichert sein, selbst zahlen, aber nicht für alles allein aufkommen. Das istin sich schon eine Art gemischte Ökonomie, eine Kooperation zwischen staatlich-städtischer Dienstleistung und familiärer Grundsorge. Solche Formen sind in ih-rer Neuartigkeit nicht zu unterschätzen und sie werden international von den So-zialwissenschaftlern diskutiert als Mischformen zwischen kundenorientiertemund kooperativem Management öffentlicher Dienstleistungen (vgl. Vigoda 2002,Box 1998).

Auf lokaler Ebene sind behutsam Formen zu finden zwischen Verbänden, Ak-teuren, Investoren, Dienstleistern und Verwaltung. Dagegen wird auf nationalerEbene an der Stellschraube der Pflegeversicherung gedreht mit dem Versuch,beiden Seiten des Marktes gerecht zu werden, den Gesundheitsdiensten, denpflegenden Angehörigen, den Anbietern und den Nachfragern. Auf nationalerEbene werden wohnungspolitische Beispiele forciert, die barrierefreie genera-tionenübergreifende Anlagen möglich machen sollen, das Renteneintrittsalterhinaufgesetzt, der Vorruhestand verknappt, mit Ausnahmen für bestimmte Be-rufsgruppen, um die Arbeitswelt dem demografischen Wandel anzupassen. Undes werden Aktivierungsprogramme für Seniorenengagement, Seniorenbüros etc.gefördert.

Wie korrespondieren diese Beschlüsse miteinander? Wie gehen sie sinnvoll aufkommunaler Ebene zusammen? Wer steuert sie? Mit wem wird bürgerschaftlichverhandelt? Auf „alter“ sozialstaatlicher Ebene gibt es einen noch gültigen Kon-sens: der „Generationenvertrag“ der deutschen Sozialpolitik. Er ist das unsicht-bare, aber wirkungsvolle Füreinander-Zahlen über Sozialabgaben und selbst einMischprodukt von Staat und Zivilgesellschaft. Unter dem Druck der Ökonomi-sierung stellt ihn die jüngere Generation in Frage, weil es auch eine Vertrauens-frage ist, ob diese Generation wiederum der nachfolgenden Generation vertrauenkann. Gleichzeitig laufen im privaten Bereich gegenseitige Finanztransfers zwi-schen Jung und Alt in großem Umfang.

Die jetzige Krise der Finanzwelt wird verstärkt die Frage aufkommen lassen, wel-chen Wert ein solches „vorkapitalistisches“ Vereinbarungssystem wie der Gene-rationenvertrag hat, das auch stellvertretend für gegenseitige Dienstleistungensteht. Der Leistungsdruck setzt 50–65-Jährige auf dem Arbeitsmarkt frei und ver-stärkt die Illusion, dass „die Alten“ viel kosten. Sie privatisieren mit guten Ren-ten. Immer häufiger fehlt auch die selbstverständliche Betreuung durch die

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Großmutter für den Enkel, so dass intergenerative Beziehungen prekärer gewor-den sind. Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen kann sich demgegenüber als Ge-rechtigkeitskonflikt im sozialen Generationenverhältnis entladen (vgl. Guène2006).

Weder privat noch staatlich allein kann eine lebendige Generationenbeziehunghergestellt werden. Zwar haben sich parteipolitisch Generationsabspaltungen(„Graue Panther“ oder Jugendparteien) nicht durchgesetzt, aber der gelingendeAlltag bei Betreuung, Nachbarschaft und im Vereinswesen ist komplizierter ge-worden und braucht politische Gestaltung. Statt des „Generationenkrieges“ gibtes eine Art von Funkstille, auch weil die Lebensentwürfe der Menschen unter-schiedlicher Altersgruppen nebeneinander, aber nicht miteinander laufen. Es häu-fen sich Irritationen bei jüngeren Erwachsenen darüber, welch verblüffende All-tagsentscheidungen ältere Menschen „plötzlich“ treffen.

Auf der kommunalen Ebene ist die Vorstellung, dass der Stadtjugendring und derSeniorenbeirat kontinuierlich zusammenarbeiten, noch kaum vorstellbar. In Kin-dergärten ist die Vorstellung, dass ältere Menschen, die nicht mit den Kindern ver-wandt sind, zwischen Fachpersonal, Kindern und betroffenen Eltern eine verbin-dende Rolle spielen, eher die Ausnahme und es wirft Misstrauen auf, welche Mo-tive sie dabei haben. Es benötigt mehr als bisher Handlungsräume, in denen äl-tere Menschen eine produktive Rolle im Generationenverhältnis spielen und zwi-schen den Generationen selbstverständlicher nachbarschaftlich „Hand angelegt“wird. Die „Mehrgenerationenhäuser“ ermöglichen, dass darüber gesprochen undAlltagsbeispiele ausgetauscht werden. Die Bertelsmann Stiftung flankiert dies mitumfangreichen Planungsdaten zum demografischen Wandel und die Wohnungs-wirtschaft legt mit Städtetag und Bauministerium einen parlamentarischen Berichtvor, der die Breite des demografischen Wandels bis hin zur Veränderung der ge-samten Infrastruktur etwa beim Rückbau der Leitungssysteme im Tiefbaubereich,der Verkehrsmittel, der Wohnaufzüge deutlich macht (vgl. Deutscher Verband fürWohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. 2007).

Neue Institutionen können neue Wert- und Familienmuster aufbauen, stehen aberunvermittelt neben den alten Institutionen und ihren Regeln. Sie werden starkesBürgerengagement brauchen, damit sie die „Leuchttürme“ neuer Landstriche aufder städtischen Sozialkarte zum Leuchten bringen können. Dies wird erheblichekreative Anstrengungen erfordern. Niedrigschwellige Nachbarschaftshilfen,nachbarschaftliche Solidarität entsteht nicht mit nationalen Fachprogrammen.Schlimmstenfalls schafft dieser Bereich einen Niedriglohnsektor neben der Pflege,um darüber Betreuungspersonal zu gewinnen.

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In der Altenpflege mischen sich die Sektoren staatlichen, wirtschaftlichen und zi-vilgesellschaftlichen Handelns vor Ort: Apotheken greifen weit über ihr Marktbe-treiben in Beratung, Netzwerke und Gruppen im Alter ein, Volkshochschulen or-ganisieren in der Grauzone zwischen Bürgerengagement, Selbsthilfe und kom-merzialisierter Bildung Altersyoga, Wandern, Gehirnjogging. Städte stützen ambulante Dienste und versuchen, Wohnungsträger, Verbände und Pflege-stützpunkte mit unterschiedlichem Erfolg zusammenzubekommen. Ratlosigkeitherrscht bei der Demenz. Die Betreuung dieser so unterschiedlichen, aber trost-losen Krankheit ist in jedem Fall zeit- und sozialraumaufwändig. Demenz erinnertsozialräumlich an Kindererziehung und Betreuung. Straßen können gesichertwerden mit Schildern, soviel es geben mag – für Kinder und für demente Men-schen bleiben sie ein Risiko.

Demenz lässt bei den Betroffenen die Errungenschaften aussetzen, mit denen wirden Fortschritt der Zivilisation aushalten und genießen können: Überblick, Risi-koeinschätzung, Folgenabwägung, Selbstkontrolle. Wenn der Gemüsehändler ander Ecke, der Hausarzt, die Polizei im Streifenwagen im Quartier, die Hausnach-barn alle „mitspielen“, kann der Aktionsradius eines Demenzkranken durchausein beachtliches Maß an subjektiver Freiheit haben. Wenn Familien und beson-ders Altersehen viel Unterstützung bekommen, kann auch der Zusammenhalt ver-längert werden. Wenn Altenhilfeeinrichtungen rigoros ihr Wohnkonzept vomWohnkomfort umwidmen zugunsten überdimensionierter Alltagsbewältigung(große Küchen, Essräume, Putzmöglichkeiten, Nischen, beschützte Gärten,Nachtcafes), können sie effektiver helfen.

In den letzten Jahren haben Dienstleister mit Kampagnen versucht, die öffentlicheMeinung positiv zu stimmen. Alzheimerkampagnen schrecken meist auf mit demHinweis, dass jedem Dritten über 80 diese Krankheit droht und sie bisher in derLogik der Pflegeversicherung gering geachtet war. Sie erreichen aber im zweitenSchritt zivilgesellschaftliche Handlungsebenen: Es wird normaler, im eigenenVerein darüber zu sprechen, Initiativen und Spenden werden gezielter eingesetzt,Beteiligungschancen tun sich auf. Es macht sehr viel Sinn, an dieser Stelle „Bot-schafter“oder Paten einzusetzen, die den Verstehensprozess in alle Richtungenbeschleunigen. Modellprojekte prüfen derzeit, wieweit solche neuen Rollen imGemeinwesen auf Akzeptanz stoßen. Diese freiwillig Engagierten helfen nicht di-rekt und sind nicht selbst Betroffene, sondern sie stehen sowohl Angehörigen zurSeite, helfen Dienstleistern und nehmen sich die Zeit für „compliance“ im Ge-sundheitsprozess, d.h. für Akzeptanz und eigenständige Umsetzung dessen, wasdas Gesundheitssystem diagnostiziert, verschreibt, aber auch offen lässt. Kom-munen müssen an solchen informellen Verbindungsbrücken mindestens ebenso

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interessiert sein wie an der Gestaltung umbauter Dienstleistungen oder sozialerLeistungstransfers.

Ein Bündel von Maßnahmen für Kinder sind in den Kommunen heute akzeptiert:Spielplätze, Verkehrsbeschränkungen, Betreuungsdienste, Wohnungshilfen, Kin-dergartenplätze, Feste und Eintrittssondertarife. Der demografische Wandel wirdkünftig weitere Maßnahmen nötig machen – nicht pauschal für das Alter, sondernfür bestimmte Lebenslagen und besondere Lebensformen im Alter. Demenzer-krankungen werden sehr schnell einen der hervorragenden Plätze einnehmen. Inbegrenztem Umfang, aber mit hoher Akzeptanz ist dies auch bei der Hospizbe-wegung gelungen. In Kommunen gilt es als selbstverständlich, dass es Gruppenund Orte gibt, die neben Krankenhaus und Familie auch Unterstützung von Drit-ten während der Sterbephase anbieten. Der Spannungsbogen im städtischen Ge-meinwesen ist bei solchen Fragen nicht mehr der zwischen den Generationen,sondern der zwischen den Lebensmilieus und Gruppen im Alter selbst. So gleichdie Menschen im Zeitpunkt ihres Todes sein mögen, so ungleich sind sie in denJahren davor.

Ein ganzes Leben in bestimmten Ethnien, Glaubensgemeinschaften, Lebensstan-dards und Milieus prägt diese besonderen Lebenslagen im Alter und verteilt auchihre Chancen auf den Märkten völlig verschieden. Solidarität zwischen diesenGruppen bedarf besonderer Anstrengung und Rücksichtnahme. Interessenvertre-tungen älterer Menschen stehen erst am Anfang, sich selbstkritisch dieser Aufgabezu stellen, die für das Gerechtigkeitsempfinden in der gesamten Gesellschaft vonnicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Schließlich hört der Anspruch einer de-mokratischen Zivilgesellschaft an keiner Altersgrenze auf.

3.3 Segregation

Die französischen Vororte (banlieus) sind nach den dortigen Krawallen zu Inbe-griffen einer zersplitterten Stadtgesellschaft geworden, die nichts mehr zu integ-rieren vermag. Dem Ansatz der Bürgergesellschaft folgend soll dies hier zuerst ausder Sicht von Betroffenen erörtert werden.

„Düstere Aussichten“, beschreibt eine junge Bewohnerin der Pariser Vorortvier-tel ihre Lebenslage, Perspektive und ihre Stimmung zwischen den Wohnblöcken,die eigentlich einmal gebaut wurden, um Zuwanderern billigen Wohnraum zu ge-ben (vgl. Guène 2006). Warum? Die Wohn- und Stadtentwicklungspolitik hat bis-her zwei grundlegende Tendenzen, mit denen sie auf die sozialen Konflikte jederStadtgesellschaft reagiert (vgl. Häußermann 2008): Entweder entmischt sie Notla-gen und Gegensätze, den Wohnungsmarkt in Wohnblöcken, Vororten, Anstalten

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oder Sonderquartieren in bester Absicht. Es sollen die Wohnunterbringung unddas soziale Überleben der Gruppen gesichert werden wie damals in den altenHospitalstiften am Rande der Reichsstädte oder in den Arbeitervorortquartieren,die wenigstens freier von Nässe, Not und Krankheitserregern waren als die Slumsoder Altstadtnischen. Beim Wiederaufbau der Städte nach dem Zweiten Weltkriegsollte Familien in Neubaugebieten erschwinglicher Wohnraum auf etwas billige-rem Grund und Boden zur Verfügung gestellt werden. Die zweite Tendenz ver-läuft sozusagen genau andersherum mit einer Durchmischung und Zentralisie-rung in bestimmten Quartieren. Auf größter Nähe werden alle Versorgungsein-heiten geplant, vom Kindergarten bis zum Polizeirevier, von der Beratungsstellebis zur Turnhalle neben dem Kirchengemeindehaus – fußläufig wird die gesamteWohnungspolitik erledigt.

Alle Sonderwohnformen, in denen ambulante Pflege oder barrierefreie Strukturengebraucht werden, werden nahe aneinander oder aufeinander gebaut, was sichneben typischen Großstadtquartieren und den Wohnhöfen in den Anstalten des19. Jahrhunderts wie z.B. Bethel widerspiegelt. Fürsorge, ökonomische Effizienzund soziale Kontrolle fallen hier zusammen. Wieviel Nähe, Differenz und wievielToleranz bei den Menschen für eine solche Durchmischung notwendig sind, wirdselten gefragt. Mit beiden Strategien soll der offene Markt zugunsten sozialen Aus-gleichs korrigiert werden. Beide Tendenzen galten als sozialer Beitrag einerWohn- und Stadtentwicklung.

Entmischung machte das Wohnen für diejenigen Bürger der Stadt finanzierbar, diewenig Einkommen haben, oder für große Familien. Sozial heißt dann, billigenWohnraum zu schaffen. Durchmischung macht das Wohnumfeld, die Diensteund die Infrastruktur finanzierbar, ohne die sonst einige Menschen ihr Leben nichtschaffen könnten. Sozial meint in diesem Fall, dass eine solche Dienstleistungs-unterstützung, die sich viele Bürger auf dem Markt und per Abruf frei Haus nichtleisten können, von einer städtischen Wohnpolitik subventioniert wird.

Nicht nur die Problemvororte von Paris zwingen uns, dieses Verständnis von so-zialer Wohnungspolitik kritisch zu hinterfragen. Unsere Städte stehen im globa-len Wettbewerb, die traditionsreichen Arbeitsplätze und Arbeitgeber sind nichtmehr heimatverbindend. Die Zuwanderung durchmischt die Stadtgesellschaftgrundlegend und die Alterung zerreißt die Städte in fünf bis sechs Generationen.Wer Kindern keine Spielräume ermöglicht, weil es diese Offenheit, Vielfalt undZugänglichkeit im Wohnmilieu nicht gibt, lässt alles verkümmern, was Phantasie,Selbstständigkeit und Erwachsensein ausmacht. „Ohne emotionale Nachbar-schaft kann keine reife Persönlichkeit entstehen“ (Mitscherlich 1965, 26). Wer

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sind meine Nachbarn, wenn alle vom gleichen Schlag im Billigquartier wohnen,und was sind meine 30 qm Kunstspielplatz noch wert, wenn andere Stadtteileganze Grünzonen haben?

Und was leistet die Durchmischung und Zentrierung in kleinen totalen Dienst-leistungs- und Multikultiquartieren? Aus dem Stadt- und Wohnquartier wird eineDienstleistungseinheit mit Selbstbedienungsmentalität. Das löst die Stadtgesell-schaft auf; es ist kein „Biotop für freie Menschen“, keine gestaltete Heimat mit derNotwendigkeit, miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren. Die Symp-tome kennen wir alle. In diesen Quartieren trifft man sich im Supermarkt, unterder Brücke oder in einer leeren Wohnung, aber nicht in öffentlichen Räumen wieden Rathaus- und Marktplätzen der alten Städte. Die Beratungsstelle wird zumOrt moralischer Apelle. Und so wird aus der erhofften Integration all derer, diehier wohnen, bestenfalls eine Toleranz des Nebeneinanderlebens. Das reicht fürdie Herausforderungen unserer Städte nicht mehr aus. Heute verschieben sichdie Prioritäten von der Versorgung weg zum sozialen Frieden durch Vielfalt undChancengerechtigkeit. Also doch düstere Aussichten trotz bester sozialer Ab-sichten? Die Förderung „Soziale Stadt“ des Bundes und das europäische Urban-Programm versuchen Antworten zu geben, brauchen aber Partner auf örtlicherEbene.

Sozial kann eine Stadtgesellschaft nur sein, wenn der Zusammenhalt alle ein-schließt und alle in die Pflicht nimmt, wenn sie für alle einen Platz hat und dieserOrt oft erst geschaffen werden muss. Es ist der Ort, von dem aus wir handeln. Stattder Appelle und Tugenden schaffen wir Gelegenheiten, sich zu bewähren, sichzu beteiligen, sich zu erfahren und sich mit anderen zu entwickeln. Kann das eineStadtentwicklungs- und Wohnungspolitik leisten? Ist sie, die Wohnorte schafftund Wohnungen verteilt, für soziale Handlungsorte der Bürger zuständig? Ja. DerOrt, von dem aus ich handle oder mich aufgefordert fühle, zu handeln und Lebenzu gestalten, hängt auch genau von diesem materiellen Ort ab, dem Flur, demAußenanstrich, dem Stadtteil, der Trambahnhaltestelle, dem Mietpreis, den Nach-barn, dem Hausmeister.

Sozialpatensprechstunden können Beratung nahe an den Wohnblock bringenund vor allem können Präventionsprogramme wie „Wohnen statt Unterkunft“zwischen Stadt und Wohnbau auch Ghettos abbauen. Projekte und neue Wohn-formen in Konversionsgebieten und nicht zuletzt die Mehrgenerationstreffpunkteund neue Infrastruktureinrichtungen haben soziale Gegensätze – nach Alter, Ge-schlecht, Gesundheit oder Bildung – überwunden und zusammengeführt, klein-räumig, sozialräumig, beispielhaft. Wo alles entmischt ist, braucht es teure soziale

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Unterstützungsarbeit. Wo aber alles durchmischt und zentralisiert ist, drängen dieMenschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen zentrifugal auseinander, su-chen ihre Nischen und die Beseelten wollen es durch einen Gemeinschaftsraumaufhalten. Die Chancen der Nischen aufzugreifen, braucht die Unterstützung inbürgerschaftlicher Vielfalt. Ein Zuviel an subventionierten Wohnraumentmi-schung, ein Zuviel an überstrukturierter Wohnraumkonzentration zerstört das so-ziale Biotop und es braucht Antworten auf die Nöte der Mieter/innen in der Sozi-alpolitik der Stadt. Alte Strategien werden einer zeitgemäßen Antwort nach der so-zialen Perspektive der Stadtentwicklungs- und Wohnbaupolitik in Zeiten der Bür-gergesellschaft nicht mehr gerecht. Die Chance einer konsequenten kommunalenWohnungspolitik liegt darin, weder mit externer Entmischung noch mit rigoroserDurchmischung zu planen und eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen.

Wohnungen sichern die Erinnerungen ihrer Mieter, sichern ihren Alltag, ihr Fa-milienleben, aber sie prägen auch ihre Hoffnungen auf die Zukunft. Im Wohnmi-lieu müssen verlässliche Nachbarschaften und gegenseitige Wertschätzungen ge-funden werden. Institutionen und Wohnungen müssen sich ergänzen, aber auto-nom bleiben, um ihren Aufforderungscharakter für die Quartiersmieter zu behal-ten. Es bedarf öffentlicher Räume, um Projekte zwischen Kindertagesstätte undVereinen zu ermöglichen, vor allem guter Schulen. Kommunale Wohnungspoli-tik ist keine Förder- und Subventionspolitik, sondern die Gestaltung kleiner Stadt-gesellschaften in ihrer Vielfalt und ihrer Notwendigkeit für Toleranz. Dafür aberbedarf es starker kommunaler Wohnbaupartner, die Hand in Hand mit Sozialpo-litik, Mietern und Stadtentwicklung steuern können. Noch so gute Absichten derFörderung wie in Frankreich sind, wenn sie völlig zentralistisch oder völlig markt-liberal sind, wirkungslos.

Wohnungspolitik und eine bürgerschaftliche Stadtentwicklung müssen konse-quenter lokal zusammenarbeiten, aufeinander reagieren, Landes- und Bundes-förderung konkret machen. Wohnungspolitik braucht Akteure, die steuerungs-und handlungsfähig sind und die mehr sind als die Summe von Privathausbesit-zern. Wohnungspolitik braucht keine Akteure, die alles selbst machen und ihreMieter mit billiger Dienstleistung ruhig halten. Sie muss die Kooperation suchen– mit den Mietern wie mit den Dienstleistern, mit der Stadtentwicklung, mit Mie-ter-/Bürgergruppen der verschiedenen Generationen und Kulturen –, sie mussdiese aber in ihrer Selbstverantwortung belassen. So können Kommunen auch inder neuen Arbeitsmarktpolitik Mietpreisgrenzen so steuern, dass keine massen-haften Umzüge notwendig werden. Wohnungspolitik muss an den Entwick-lungschancen der Mieter mindestens so interessiert sein wie an deren Mietzah-lung. Sonst wird es auch diese nicht sicher geben.

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Bei Stadtentwicklungs- und Planungsfragen wird gemeinhin an Bürgerbeteili-gung, aber noch nicht an Bürgerengagement gedacht. Die Stadt wird als histo-risch-umbautes Gebilde und Gegenstand der Planer und Investoren betrachtet.Die Kommunen sind aber der Ort des Bürgerengagements schlechthin: Natürlichwerden die Handlungsebenen des jeweiligen Engagements (lokal bis global)durchdrungen von den Sphären (Staat, Markt, Zivilgesellschaft) und den Rah-menbedingungen (etwa Gesetze, Milieus, Ethnien), die die Kommune wesentlichnachhaltiger steuern, als diese selbst es mit Selbstverwaltungsrollen, Vereinigun-gen und Institutionen des bürgerschaftlichen Engagements tun kann. Kommunenmüssen solche Einflüsse „von außen“ aktiv in ihr kommunales Förderkonzept desbürgerschaftlichen Engagements einbauen und dürfen sie nicht als Störung oderrein instrumentell als Möglichkeit zur „Mitnahme von Drittmitteln“ betrachten.Sehr viel nüchterner drücken dies die Planer aus: „Wirtschaftliche Faktoren undInteressen bestimmen die Entwicklung in den Städten sehr viel stärker als dasüberkommene System kommunaler Selbstverwaltung“ (Sauberzweig 1996, 581).Diese Betrachtung bringt Städte – und ihre Bürger – in eine Opferrolle und es darftunlichst bezweifelt werden, ob das System der Selbstverwaltung für eine Bürger-gesellschaft von höchster Relevanz ist. In der Selbstverwaltung sucht die Kom-munalpolitik den Ausgleich der vielen lokalen Interessen.

In der Kommune treffen die Engagementbereiche direkt aufeinander; sie präsen-tieren sich in unterschiedlich modernen oder milieugebundenen Formen und vorallem in den Stadtteilen und Quartieren höchst eigensinnig-vielfältig und sie su-chen den Ausgleich miteinander, aber auch die Abgrenzung und den Kampf umUnterstützung. Dabei ist auch das Ausbleiben von Engagement, die Verweigerungoder das „negative kriminelle Engagement“ ein wichtiger Faktor der Stadtent-wicklung. In der Kommunalpolitik spiegeln sich die drei Sphären der Bürgerge-sellschaft beispielsweise in der Lobby für Wirtschafts- oder Vereinsvertreter. Esspiegeln sich Stadtteilinteressen quer zu Parteien und Milieuinteressen – spätes-tens wenn es um die Förderung von Kulturinvestitionen geht oder um Standort-entscheidungen für Bauvorhaben. Stadtentwicklung und kommunale Entwick-lungsplanung sind aber lange rein städtebaulich und infrastrukturell verstandenworden. Entsprechend wurden Indikatoren gebildet und Quartiere identifiziert,Stadtteilbrennpunkte benannt.

Entsprechend den großen Themen der Republik war die Stadtentwicklungspla-nung in den 1970er-Jahren mit Demokratie und integrierter Stadtentwicklung ver-bunden; die Bürgerbeteiligung wurde verrechtlicht und die Euphorie der Planungwich der Enttäuschung. Später traten umfassende Leitbildprozesse an deren Stelle.Das wichtige städtebauliche Förderprogramm „Soziale Stadt“ hat dann seit 1996

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zehn Jahre lang Millionen in die Wohnungssanierung schwieriger Stadtteile ge-steckt und ist damit diesem Schwerpunkt gefolgt; es hat sozusagen die Folgen so-zialer Deklassierung bestimmter Gruppen und Stadtteile in der Folge wirtschaftli-cher Faktoren durch staatliche Intervention gegengesteuert. Im Vor- und Umfeld– siehe die Quartierfonds in den Niederlanden, Wohnen in Nachbarschaft in Bre-men, die Expertisen des DIFU-Institutes und die Ergänzung der Programme durchQuartiersmanager – wurde das Programm sozial erweitert, aber nicht auf bürger-gesellschaftliche Beine gestellt.

Mit den großen Fragen des demografischen Wandels, der Migration oder des Wer-tewandels wird deutlich, dass das innere Gefüge der Stadt sich in größerem Um-bruch befindet als der umbaute Raum. Der Stadtentwicklung muss es gelingen,die „typischen“ Städtebaufragen von Wohnen, Infrastruktur, Verkehr, Wirt-schaftsansiedlung im ständigen Wechselspiel zu diesem inneren Gefüge zu be-trachten, Bürger also nicht nur zu „beteiligen“, sondern im umbauten Raum diesozialen Prozesse zu befruchten und Bürger zu Mitproduzenten zu machen.Wichtige Partner der traditionellen Stadtplanung sind Wohnbauunternehmen. Siewerden längst von beiden Seiten der Stadtentwicklung erreicht, der baulichen undder demografisch-sozialen, d.h. der Mieter. Viele Unternehmen gestalten inzwi-schen ihre eigene Engagementpolitik ähnlich wie Kirchengemeinden und Sozial-verbände parallel zur Stadt und sie scheint in vielen Fällen nur ansatzweise ver-netzt zu sein.

Die Kommune ist, jenseits der Parteien, als Selbstverwaltungsorgan an einem ge-wissen Interessensausgleich aller engagierten Menschen interessiert – sie mussalso nicht erst interessiert werden für das Engagement. Gelegentlich steuert dieKommune gegen alte Strukturen an, indem sie neue Stadtteile besonders fördert,oder sie ringt um Kompromisse zwischen Trägern, Religionsgruppen und ethni-schen Gruppen. Von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung einerkommunalen Engagementpolitik ist es, ob der Interessenausgleich als Befriedungoder als Bereicherung durch Spannung und Vielfalt verstanden wird.

Die jetzigen Kommunalverwaltungen haben sich solcher sozialer Vorgänge mitverschiedener Kompetenz bemächtigt und sie zur Dienstleistung, zum Verwal-tungsvollzug umgewandelt durch Ressorts, Stabstellen, Förderrichtlinien etc. Fürdie Stadtplanung haben Kommunen professionelle Bürgerbeteiligungsverfahrenvorgesehen, für das traditionelle Ehrenamt die Ressorts und Verbandsförderstruk-turen, für Senioren bundesgeförderte Seniorenbüros oder Mehrgenerationstreff-punkte und für neue Engagementformen Freiwilligenagenturen – meistens bei an-deren Trägern. Darin liegt freilich ein Strukturdilemma: Kommunales Handeln

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folgt prinzipiell rechtlich überprüfbaren, kontrollierbaren, transparenten, mehr-heitsfähigen, rationalen Normen. Bürgerschaftliches Engagement ist in seinem in-neren Kern und Wesen genau das Gegenteil, nämlich parteilich, emotional, ge-gensteuernd, gruppenorientiert. Alle Städte, die sich derzeit auf weitergehendeKonzeptionen und Anlaufstellen für Engagement eingelassen haben – wie Bonn,Augsburg, Nürtingen, Köln und Berlin –, brauchen darauf eine plausible organi-satorische Antwort. Am ehesten löst es vielleicht noch Nürtingen mit der symbo-lisch-sprachlichen Trennung von Beteiligung und Engagement (vgl. Rüttgers2008).

Die Gefahr liegt auf der Hand, dass sich die Kommunalpolitik der Spannung ent-zieht und die Aufgaben an bekannte Institutionen delegiert. Für das Engagementist dann irgendein Dritter zuständig: für die Vereine ein Dezernat, für die Wirt-schaft die Parteien, für die Stadtplanung professionelle Planungsbüros. In anderenBereichen der (Sozial-)Integration fehlt es in den Kommunen an Engagement undZivilcourage, weil sich wesentliche Gruppen in eine innere Emigration verab-schiedet haben oder hochspezialisiert versorgt werden, wie Behinderte, Arme,Schwerkranke etc. Dort wird dann klassisch um ehrenamtliche Mitarbeit gewor-ben – teilweise in Konkurrenz zu kirchlichen Verbänden.

Im traditionellen Verständnis von Ehrenamt ist dieses Sache des jeweiligen Ober-bürgermeisters mit entsprechender Anerkennungskultur der Empfänge und Wür-digungen bis zu Auszeichnungen. Deren satzungsrechtliche Kriterien stabilisie-ren die Wahrnehmung, dass es um langjährige Treue und Mitarbeit geht. Ebensowird das Engagement sektoral und hierarchisch gedacht. Wirtschaftsverbändeund Gewerkschaften ehren ihre Ehrenamtlichen, Bund, Länder und Kommunenweisen unterschiedliche Regelungen zu Ehrungen aus.

Einige Kommunen, wie z.B. Arnsberg, Rheine und Köln, haben sich um Leitbilderbemüht und versuchen den Weg der Lokalen Agenda 21 fortzusetzen, der eineneue nachhaltige Politik auf den alten und für traditionelle Planer verstehbarenStraßen der kommunalen Stadtentwicklung umsetzen will. Finanziell werdenkeine Querschnittshaushaltsstellen gebildet, etwa indem jedes städtische Dezer-nat die Kosten von teilbezahltem Ehrenamt, Qualifikation,Versicherungen oderEmpfängen einheitlich ausweist oder auch kostenrelevante freie Dienstleistungenfür Vereine einbezieht. Ein gewichtiger Bereich ist die koproduktive Dienstleis-tung. Ein Grünflächenamt stellt z.B. Fahrzeug und Mitarbeiter, um mit Freiwilli-gen am Samstag Flächen zu bearbeiten. Ein Sozialamt stellt Mitarbeiter, Räumeund Fortbildung, um mit Freiwilligen Schuldnerberatung zu machen. Wie wirddies kalkuliert und systematisch geplant und evaluiert? Einige Kommunen haben

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Freiwilligenpässe oder Ehrenamtscards entwickelt. Einige haben dies kombiniertmit Vergünstigungen für sozial Schwache, so z.B. Ulm. Einige setzen dafür Steu-ermittel ein, andere werben bei Unternehmen um Preisnachlässe. Dahinterstecken z.T. völlig unterschiedliche Staatsverständnisse: Würdigt der Staat in Formvon städtischen Geldern und Patronage das Engagement oder moderiert die Stadteinen Prozess, in dem alle in der Zivilgesellschaft sich gegenseitig auf Würdi-gungs- und Belohnungsstrukturen einigen?

Einige Städte greifen bundesweit geregelte Formen wie das freiwillige soziale Jahrauf, andere delegieren dies an den Stadtjugendring oder bauen selbst Strukturenauf. So wird das Engagement aller 14-Jährigen angeregt durch ein Austauschpro-gramm zwischen Schulen, Einsatzstellen, freiwilligen Mentoren und Schülern. InAugsburg ist dies das Change-In-Programm, hinter dem u.a. Mittel im Umfang vonca. einer Planstelle stehen, und im Land Baden-Württemberg gibt es ein Pro-gramm der Landesstiftung. Manche Städte bedienen sich ganz der Stiftungen (z.B.der Zeppelinstiftung in Friedrichshafen) oder initiieren Bürgerstiftungen. Wo esumfangreiche Stiftertraditionen gibt – von Augsburg bis Hamburg –, stellen sichwieder die gleichen Fragen der Modernisierung. Öffnen sich alte Stiftungen mitStiftungszwecken, die z.B. nur Katholiken oder nur Mädchen galten, den Erfor-dernissen einer demokratischen Zeit oder wahren Stiftungshüter Traditionen, dieletztlich sogar gemeinwohlschädigend sind?

Viele Städte profitieren von umfangreichen Förderprogrammen der „SozialenStadt“, der Solardächer oder des Ganztagesschulhausumbaus. Wenige bauen En-gagement systematisch ein. Besonders paradox wird dies bei Förderprogrammenfür Migranten und Flüchtlinge, etwa durch das Bundesamt für Migration. Es ent-stehen Maßnahmenpakete für betroffene Gruppen z.T. mit der Mobilisierung Ein-zelner, aber selten werden örtliche Dachverbände, etwa türkischer Vereine, ein-bezogen. Spannungsreich wird es dort, wo Methoden der Bürgerbeteiligung ver-bindlich an Bürgerengagementpolitik angedockt wird (vgl. Klages 2001), wie der-zeit mit den Bürgerpanels und Kongressen in Rheinland-Pfalz. Dort bricht derklassische Legitimationskonflikt kommunaler Selbstverwaltung auf. Wie viel darfder Stadtrat allein entscheiden, wie viel ein Bürgerkongress; was kann von einemBürgerbegehren wieder gekippt werden? So sehr es Sinn machen mag, dass sichalle Ressorts an Bürgerengagement „versuchen“, so sehr braucht es dafür ver-bindliche Spielregeln, die direkt von der kommunalen Spitze, im Zweifel von derPerson eines Oberbürgermeisters, gelebt werden müssen.

Solche Lernprozesse sind ungleich länger geworden durch die Aufteilung desKonzerns Stadt. Tochterfirmen und Betriebe, z.B. auch Wohnbaugesellschaften,

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orientieren sich am marktwirtschaftlichen Vorbild und nicht an bürgergesell-schaftlichen Leitbildern. Dabei werden sie eingeholt von einer modernen Mieter-und Kundenorientierung, die über Corporate Citizenship und Responsibility-Kon-zepte abfragt, was Unternehmen für die Bürgergesellschaft tun. Es erweist sich einhoher Bedarf, den Prozess des bürgerschaftlichen Engagements mehr zu beglei-ten als nur an ein „ressortübergreifendes Querschnittsarbeiten“ zu appellieren. Esmacht Sinn, den Prozess verbindlich zu verankern und die Stadtratsausschüsseimmer wieder mit dem Fortgang der „Bürgerstadt“ zu konfrontieren.

Nicht vergessen werden darf, dass die Parteien in der Stadt selbst nicht nur Ak-teure, sondern Objekte der Zivilgesellschaft sind. Auch ihnen gebricht es an ge-nerationenübergreifendem Engagement, an Modernisierung und Vernetzung. Eserfordert deshalb ein Gesamtkonzept der Stadtentwicklung, das das Bürgerenga-gement mit der Infrastruktur zusammen entwickelt und das die kommunale Land-schaft in allen Quartieren, Themenfeldern und Gruppen auslotet. Die moderne„Urban Governance“-Debatte zielt auf den gleichen Tatbestand: Wie kann eineGesamtentwicklung mit gleichberechtigten Akteuren und Spielregeln zur Regelund nicht zum Zufall werden (vgl. Humboldt Study Group 2006)? Diese Sicht-weise ergänzt die bisherige Stadtplanung des umbauten Raumes und die Sozial-planung des Raumes von Gruppen in ungleichen Lebenslagen. BürgerschaftlicheStadtentwicklung zielt darauf ab, dass alle Bürger (in, neben und ohne ihre Grup-pen) Rollen finden können in der Stadtgesellschaft.

4. Instrumente des Bürgerengagements

4.1 Engagementförderung im magischen Viereck von Werten, Milieus, Strukturen und Methoden

Bürgerschaftliches Engagement gehört im Kern des gemeinwohlorientierten öf-fentlichen Handelns zu den selbstbestimmten Verhaltensweisen, die weder be-liebig entstehen noch wie eine Ware hergestellt und gekauft noch obrigkeits-staatlich angewiesen werden können. Sie entstehen in Wirkungszusammenhän-gen und Kräftefeldern, die sich sowohl von der makroökonomischen Ebene dergroßen sozialen Änderungen hinab bis zur individuellen Handlungsebene alsauch von dieser zurück über die konkreten politischen Entscheidungsebenen hi-nauf in die großen Veränderungen auswirken (vgl. Abbildung 15). Es gilt, ihre Wir-kungsbedingungen zu erkennen und auf sie Einfluss zu nehmen.

In dieser Analyse gehen wir in der konkreten politischen Handlungsebene derKommunen davon aus, dass vier wichtige Dimensionen aufeinander wirken: er-stens die Wertegrundlagen der Menschen, zweitens die gesellschaftlichen Mi-

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lieus, drittens die Strukturen der Gemeinwesen und die Führung der Institutionen(leadership) und viertens die jeweiligen Beteiligungsformen und Methoden derGemeinschaftsbildung (community building). Es erscheint einleuchtend, dass un-ter idealen Bedingungen von jeder Seite (z.B. Engagement fördernde öffentlicheKultur, visionäre Führungsstile, integrative Methoden und aufgeschlossene mo-derne Milieus) ein Engagement quasi nur ausgelöst und angestoßen werden muss.Da die gesellschaftlichen Wirklichkeiten meist jedoch völlig anders und ihre Rah-menbedingungen verschieden sind, erfordert es eine genaue Analyse der Wech-selbeziehungen zwischen den vier Dimensionen.

Die Kunst gelingender Engagementförderung ist es, dieses Kräftefeld so zu insze-nieren, dass Menschen in der Auseinandersetzung mit ihren Institutionen dieChancen ergreifen können, sich engagiert einzubringen. Je nach Engagementformgilt es auch zu berücksichtigen, dass Engagement entweder so viel kritisches Po-tenzial beinhaltet, dass es „der Staat“ ohnehin nicht instrumentalisieren kann,oder dass es von so viel tendenzorientierten Werten bestimmt ist, wie z.B. kirch-liches Engagement, dass der Staat bestenfalls um den Gemeinwohlcharakter die-ses öffentlichen Handelns ringen kann.

Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass Engagement nicht direkt selbst „gemacht“werden kann: „Die Gesellschaft kann ihre Individuen nicht glücklich machen (…),doch sie kann sie frei machen, etwas mit der Freiheit anzufangen, Einfluss auf dieBedingungen zu nehmen, die Bedeutung des Gemeinwohls zu formulieren unddie Institutionen dahin zu bringen, diese Bedingungen zu erfüllen“ (Baumann2000, 156). Die „verantwortungsethische Handlungsbereitschaft“, wie es HelmutDubiel nennt, wird nicht von Institutionen erzeugt, sondern in Erziehungsprozes-sen erworben; Institutionen können oder wollen sich diese gar nicht direkt er-schließen (vgl. Dubiel 1996, 87).

Dieses Verhältnis zwischen Wertgrundlagen und Institutionen ist wechselseitigund spannungsvoll. Diese Grundlagen entstehen in einer bestimmten Kultur undihren gesellschaftlichen Grundwerten, in die wir hineingeboren werden, etwa deneuropäischen Wertebezug von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Deshalbkommt dem Bürgerengagement im europäisch-amerikanischen Dialog immer einganz verschieden gefärbter Hintergrund zu. Während in Deutschland dies auf-grund langer staatlicher Traditionen immer eher die Mitwirkung ist, wie ehedemdas Ehrenamt, und über Verbände kanalisiert wird, erscheint es im angloameri-kanischen Raum polarisierter und autonomer. Da sind Bürger mithelfend karita-tiv mit oder ohne Staat tätig und kämpfen im Übrigen um ihre Beteiligungsrechteim Stadtteil (community organizing) oder in Menschenrechtsfragen. Da wird im

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romanisch sprechenden Europa zwischen Benevol und Volontariat unterschie-den, zwischen den „guten Helfern“ und den definitiv Freiwilligen in eigener Sa-che. Entsprechend werden in Deutschland Freiwillige vorzugsweise qualifiziertfür Aufgaben, die vermeintlich andere Fachkräfte definiert haben, und im anglo-amerikanischen Bereich in Leadership-Seminare geschickt, die in Deutschlandeher „Führungskader“ der Verbände des Dritten Sektors wären.

Wie sehr der an diesen Werten orientierte „Traum vom guten Leben“ immer wie-der neu zum Menschen hin „heruntergebrochen“ werden muss, hat Michael Wal-zer (1992) aufgezeigt und Zygmunt Baumann (2007) weiterentwickelt. In Sicher-heit, Chancengerechtigkeit und Vernetzung sieht Baumann die „neuen Kleider“der drei alten Grundwerte. Die großen Werteinstitutionen der Gesellschaft, z.B.die Kirchen, vergewissern sich mit ihren Denkschriften und die Medien mit ihrenMegathemen der Weiterentwicklung der Grundwerte. Bei der Umsetzung sind dieMenschen aber auch geprägt von den Gruppen, denen sie sich zuordnen, von denWertegemeinschaften, vom Lebensstil in all seiner ökonomischen Festlegung,kurz: von den Milieus, denen sie angehören.

Die Umsetzung solcher Grundwerte fordert zum Handeln und zum Engagementheraus. Der Einzelne erfährt solche Herausforderungen in der Regel gar nicht ab-strakt, sondern bedrängend konkret, nämlich wenn es um seine eigene Freiheitgeht, etwas zu sein, zu tun oder zu lassen, um sein Gleichheits- und Gerechtig-keitsempfinden und um seinen Wunsch, brüderlich, schwesterlich oder hilfreichzu sein und nicht zuletzt, um selbst mit Hilfe rechnen zu können. Die ersten brei-teren Motivationsbefragungen zum Bürgerengagement in der baden-württember-gischen Landesstudie (vgl. Sozialministerium Baden-Württemberg 1997 a) unter-scheiden das Motiv des Pflichtbewusstseins und des Helfen-Wollens auf der ei-nen und den Wunsch nach Mitgestaltung und den Eigennutz/Ich-Bezug auf deranderen Seite. Letztlich gehören diese Motive auf einer Achse von traditionellenhin zu modernen Mustern aber zusammen. Es braucht von allem etwas; dies kannaber nur gesehen und geleistet werden aus der jeweiligen Sicht der Betroffenen,wo immer sie sich subjektiv gerade im Prozess gesellschaftlicher Modernisierungbewegen. Wie tief die Sonde der Wertorientierung beim Engagement geht, zeigendie spektakulären Beispiele kollektiven Engagements. Überschwemmungskatas-trophen u.ä. mobilisieren auf einen Orts- und Zeitpunkt hin alle gesellschaftlicheGruppen und deren unterschiedliche Motive.

Noch präziser lässt sich das in den Milieus der Gesellschaft fassen und unter-schiedlichen Engagementfeldern und Verhaltensformen zuordnen. Sich zu enga-gieren weist den modernen Bürger geradezu aus als Teil seiner „Community“, sei-

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nes Milieus. Es macht ihn, je weniger er über Glaubensgemeinschaften oderGroßinstitutionen, nicht einmal Nationalitäten ausweisbar ist, zu einem identifi-zierbaren, glaubwürdigen, authentischen ungeschriebenen Mitglied und stabili-siert in instabilen Zeiten seine gesellschaftliche Identität. Beispielhaft erkennt je-der das etablierte Milieu beim Handeln der Mäzene oder Rotarier im Feld des En-gagements; Denkmalschützer, Kirchengemeinderäte oder Rotkreuzvorsitzendeentstammen in der Regel dem traditionellen bürgerlichen Milieu. Umgekehrt fin-det traditionelles Arbeitermilieu seinen Ausdruck in Sportvereinen, Gewerk-schaften oder Schrebergärten. Feuerwehren, Landsmannschaften und auch radi-kalere Jugendgruppen schöpfen erfolgreich im konsummaterialistischen Milieu,ADAC und Tennisfreunde im Aufsteigermilieu. Asylinitiativen, Partnerschaftsver-eine, wissenschaftliche Freundeskreise zeigen ihre Zuordnung zum liberal-intel-lektuellen Milieu. Moderne bürgerliche Milieus stützen Tier- und Naturschutz-gruppen und sind der Kern der Stadtteilvereine; ihr eher arbeitnehmerorientiertesPendant hat Greenpeace, Drittweltpaten und moderne Eltern-Kind-Gruppenwachsen lassen. Harley-Davidson-Freunde, türkische Vereine und Kraftsport-gruppen sind bei den Hedonisten zu finden, kantige Bürgerinitiativen bei denpostmodernen Milieus. Alle zusammen, hier am Beispiel der zehn Sigma/Sinus-Milieus, sind der reiche Boden des Bürgerengagements in einer Stadtgesellschaft.Alle zusammen verdienen wertgeschätzt und genau wahrgenommen zu werden,ohne ihre jeweilige genaue Prägung und gesellschaftliche Funktion zu ignorierenoder mit einer einzigen Aktivierungsmethode zu überziehen.

Den Werten und Milieus der Bürgerschaft stehen die gesellschaftlichen Institutio-nen, Strukturen, und Vorgehensweisen gegenüber. Wie ist die Verfasstheit desStaates, der Gemeinde oder des Vereines, in dem es um Engagement geht? Wiewird Führung praktiziert? Welche Rollen stehen zur Verfügung? Welche Orte,Symbole oder Wertschätzungen kennt diese Kultur? Wie wichtig sind gewählteVertreter, Stadträte oder Verwaltungsstrukturen? Und wie stellt sich diese Gesell-schaft die Gemeinschaftsbildung vor, den Aufbau von Gemeinden und Gemein-wesen und heruntergebrochen auf Nachbarschaften? Gibt es beteiligende Ver-fahren des Heranführens an gesellschaftliche Ressourcen und Macht wie etwabeim Bürgerhaushalt, Neubürgerempfängen oder Stadtentwicklungsverfahren?Oder gibt es selbstorganisierte, Macht generierende oder Gegenmacht bildendeOrganisationsstrategien wie das community organizing, die Bürgerinitiativenoder der vor zehn Jahren vitale Teil der Bürgerbegehrensbewegung und die Selbst-hilfegruppen? Sind die Verfahren inklusiv, indem sie grundsätzlich alle gesell-schaftlichen Gruppen mitnehmen, oder selektiv, indem sie bestimmte Gruppenherausheben, stärken und sie für Aushandlungsprozesse fit machen (Empower-ment bzw. „positive Diskriminierung“)?

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Für die kommunale Ebene in Europa gilt als direkte demokratische Plattform desBürgerengagements eine unübersehbare Vielfalt von Gemeindeordnungen: Vomzentralistischen Frankreich mit einem Bürgermeister, der gleichzeitig im PariserSenat sitzt, bis zur holländischen Großstadt, die den Bürgermeister indirekt wähltund das Stadtparlament stützt; von der starken Stellung des Oberbürgermeistersin Süddeutschland bis zum städtischen Verwaltungsinspektor. Ähnlich vielfältigist auch die Verfasstheit der Kirchen: Wer sich katholisch engagiert, weiß um dasWechselspiel von Papst bis Caritas, evangelisch von Synode bis Pfarrer/innen,muslimisch vom türkisch-staatlichen Imam bis zu den Aleviten. Engagementheißt, sich in einer spezifischen, nicht mehr privaten Rolle und Handlungsposi-tion in solchen Feldern zu bewegen, sei es zugunsten der Strukturen, sei es, umdiese Strukturen zu verändern und Einfluss zu nehmen.

Engagementforschung gehört deshalb zur Governance-Forschung und nicht zurklassischen Government-Forschung, wobei mit Governance kooperative Prob-lemlösungen und gemeinsame Steuerung, mit Government dagegen das staatli-che Regierungshandeln gemeint ist. Die Europäische Union hat seit über zehn Jah-ren im Rahmen ihrer Urban- und Regionalprojekte solche Good Governance-For-schung gefördert – parallel zur deutschen Debatte um die Förderung Soziale Stadt(vgl. Jacquier 2008). Architekten und Stadtplaner diskutieren stark methoden- undverfassungsorientiert. Selten leben darin Projekte und kooperative Dienstleis-tungsformen auf, wie sie die Zivilgesellschaft in der Praxis hervorbringt. Da sichin diesen zehn Jahren der vergleichsweise stark ausgebaute staatliche und wohl-fahrtsverbandliche Sektor in Deutschland erheblich verschlankt und veränderthat, gibt es von Hallenbädern über Büchereien bis zu Kindergärten, Grünparksoder Resozialisierungsmaßnahmen bei Jugendlichen kein Tabu mehr für neueFormen der Partnerschaft oder Koexistenz zwischen Kommune und Bürgerschaft.Viel häufiger existiert also eine public-citizens-partnership als die viel beschwo-rene public-private-partnership mit Akteuren der Wirtschaft.

Die europäische Diskussion, etwa der Young-generation-Stiftung in England undder „Education locale et sociale“ in Frankreich (Centre d’analyse strategique2008) bis hin zu Lehrstühlen „center for leadership“ in den USA, findet kaum grenz-überschreitend statt; sie bleibt ein Forscherdiskurs mit unüberschaubaren Prakti-kernetzwerken. Dabei ist nun zu unterscheiden, was überhaupt Beteiligungsfor-men sind, die über die Grundannahmen der Demokratie hinausgehen, dass Ver-waltung sich zu legitimieren habe, Führung zu wählen sei und Beteiligungsrechteeinklagbar sind. Was fördert Beteiligung als solche, was bringt Engagement voran?Oder ist nicht schon jeder Vereinszuschuss Engagementpolitik und jede Partei-veranstaltung eine Beteiligung?

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Panagotis Getinis und Herbert Heinelt haben in einer Studie versucht, die Bedin-gungen für ein gutes Gesamtmanagement solch wechselnder Faktoren zu messen,d.h. die Zunahme von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement als Ausfluss undNebenwirkung besser aufeinander abgestimmter Politiksteuerungsmaßnahmenaus den Projektteilnehmerstädten der EU-Förderung herauszufiltern. Sie bildenvier Kategorien für die Strukturfragen der Verfasstheit und Führung (leadership):der oder die Führende als Visionär, als Konsenssuchender, als Boss oder als „Küm-merer“ (vgl. Getinis/Heinelt 2004). Diesen Führungsmustern stellen sie unter-schiedliche Gemeinschaftsbildungsmuster bzw. Beteiligungsformen gegenüber:Diese können verbandsgestützt (korporativ) oder gemeinwesengestützt (kollektiv)sein, alle Bürger mitnehmend (inklusiv) oder Gruppen stützend (selektiv).

Ihre wichtige Hypothese ist, dass es nicht ein Erfolgsmuster für mehr Demokratiegibt, sondern dass das Verhältnis zwischen Führungsstilen und Methoden stim-men muss. So stellen sie – zunächst nicht weiter verwunderlich – bei über 40 be-teiligten Städten in Europa fest, dass diejenigen, in denen visionär und im Konsensgeführt wird, zu den erfolgreichen Partizipationsstädten gehören und dass ge-mischte kooperativ-kollektive Verfahren nachhaltiger wirken, vor allem, wenn siemöglichst inklusiv sind, also alle mitnehmen. Was aber tun, wenn keine „Schön-wetterdemokratie“ herrscht? Je nach Situation kann auch in einer Stadt ein Enga-gementfortschritt erzielt werden trotz Boss-Führungsstils, wenn die Beteiligungs-methode darauf abgestimmt ist oder wenn der Prozessverlauf sogar Nutzen ziehtaus einer starken Führung. Je nach Situation kann ein selektives Vorgehen mehran Klarheit bringen als der Versuch, immer und alle mitzunehmen. Es ist vor al-lem die Kunst, die kommunale Führung zugunsten von mehr Engagement zu ins-zenieren: „Any democratic system needs to rest on some kind of authentic parti-cipation“ (Getinis/Heinelt 2004, 10). Beteiligungsverfahren und Führung, imSinne kommunaler Führungsverantwortung, müssen zueinander und aufeinanderpassen und glaubwürdig sein.

Inzwischen ist Beteiligung so formalisiert und institutionalisiert worden, dass er-fahrene Praktiker das Dilemma soweit zuspitzen, dass sie „Berücksichtigung vorBeteiligung“ fordern (Scherer 2007, 25). Es kommt sowohl auf der formalen Seiteder politischen Macht als auch auf der wertorientierten Seite der Engagierten min-destens ebenso darauf an, was bei der Beteiligung herauskommt, was bleibt undwächst, wie auf der legitimatorischen Seite, ob die Bürger korrekt beteiligt wur-den. Auch hier hat die Form (Beteiligung) stärker als in der bisherigen Stadtent-wicklungsdebatte der Funktion zu folgen, letztlich Nutzen zu generieren, undzwar weniger einem Bürger als Klienten als einem Bürger als Mitproduzenten derDaseinsvorsorge gegenüber. Auch das ist eine Frage authentischer Partizipation:

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Verbinden sich Beteiligung und Engagement so, dass am Ende beteiligte Bürgerherauskommen, die sich ihre Institutionen Stück für Stück aneignen und gestaltenund die Eigenverantwortung und Solidarität überhaupt umsetzen können?

Roland Roth fordert eine nachhaltige Engagementpolitik, die dadurch gekenn-zeichnet sei, dass eine sich neu aufstellende Verwaltung „auf Augenhöhe” aufeine aktiv-selbstbestimmte Bürgerschaft zugeht und dass um gemeinsame Lösun-gen gerungen wird (vgl. Roth 2007). Auch er versucht, Beteiligung und Engage-ment letztlich als politischen Aushandlungsprozess verbindlicher zu verknüpfen.

Der US-amerikanische Ansatz der Community-Organizer-Methode nach Saul Alinsky ist letztlich noch parteilicher gefasst (vgl. Sander 2008). Die städtischeNachbarschaft ist um klare Rollen, Visionen und Führung herum zu formieren, umin Verhandlungen eintreten zu können. Ein prominenter ehemaliger Organizer,Barack Obama, formuliert es so: „Das bedeutet, Kirchen, Nachbarschaftsclub, El-terngruppen und andere Institutionen in einem Gemeinwesen zusammenzubrin-gen, damit sie Beiträge zahlen, Organizer einstellen, Forschung betreiben,Führungskräfte hervorbringen, Demonstrationen und Bildungskampagnen abhal-ten und Pläne für eine Reihe von Themen machen. Wenn das erst einmal ange-laufen ist, verfügt es über die Macht, Politiker, Behörden und Unternehmen dazuzu bringen, sich um die Bedürfnisse der Nachbarschaften zu kümmern“ (Obama2008).

Im europäischen Sozialmodell ist man geneigt zu sagen, dass sowohl Parteien alsauch kommunale Selbstverwaltung, Kirchen und Gewerkschaften in ihren Mit-gliedsstrukturen schon an diesem Punkt sind. Oftmals geht es also im alten Europamehr um die Öffnung und Modernisierung der Zivilgesellschaft selbst: AktiveSportvereine sind praktisch nicht offen für Migranten, große Parteien sind prak-tisch nicht offen für die Jugend, und Kirchengemeinden delegieren soziale Fragenan den kirchlichen Verband. Dennoch wissen wir, dass unzählige „Nachbar-schaften“ (Stadtteile, Quartiere, Gemeinden) weder hinreichend vertreten sindnoch die unmittelbar Betroffenen in den Institutionen „zu Wort kommen“, sichvon diesen nicht vertreten fühlen oder noch weniger selbst aktiv etwas tun. Dieinstallierten Stütz- oder Managementstrukturen haben gleichermaßen die Auf-gabe, den Anliegen der Betroffenen Gehör zu verschaffen, als auch die vorhan-denen Institutionen zu öffnen oder beweglicher zu machen.

Seit den Agenda 21-Prozessen und der Debatten in Porto Alegre ist dies verbun-den mit der Kritik an der Kurzatmigkeit von Politik und Wirtschaft. Bürgerenga-gement skandalisiert dann z.B. unzureichende Klima- oder Armutsbekämpfungs-

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maßnahmen. Glaubwürdig gelingt dies nur, wenn es mit der Qualifizierung derBetroffenen verbunden ist, und – darin liegt einer der schwierigsten Fragenzukünftigen Bürgerengagements – in der Verschränkung von Wissen, Macht undLebensstil. Mit Richard Senett, Zygmunt Baumann oder Michael Walzer formu-liert, schaffen es Geld und Macht nicht ohne die kulturellen Bindungskräfte einersolidarischen Gemeinschaft – und umgekehrt. Darin liegt die Gefahr einer Enga-gementpolitik, die sich jeweils allein auf solidarisches Handeln oder Ressourcen-beschaffung oder Machterwerb beschränkt. Sie wirkt nicht nachhaltig und erfülltdamit nicht ein zentrales Handlungsmotiv von Bürgern, nämlich etwas bewirkenund gestalten und einen Nutzen davon haben zu wollen. Dies kann durchauslangfristig gesehen werden, weil sich die Währung Bürgerengagement von derkurzfristigen Tauschwertorientierung der Marktwirtschaft unterscheidet.

4.2 Institutionalisierung und die Kommunen

Der Handlungsdruck, um zu neuen kooperativen Dienstleistungsformen und Ins-titutionen auf lokaler Ebene zu kommen, ist auf Seiten der Kommune erheblichgewachsen. Während in den 1990er-Jahren mit der Pflegeversicherung die letz-ten Versuche stattfanden, das Problem der Pflege aus der örtlichen Sozialhilfe indie nationale Verantwortung zu verlagern, drehen sich nun die Reformen vom Na-tionalstaat weg hin zu Kommune und Bürgereigenverantwortung. Der Arbeits-markt wird, wenn auch halbherzig und wenig verfassungskonform, kommunali-siert und in der Bildungsdebatte ist die Kommunalisierung von Schulen und Aus-bildung einschließlich gesetzlich festgelegter Kindereinrichtungen kein Tabumehr. Der PARITÄTISCHE nennt sie in einer Weiterentwicklung von WarnfriedDettlings Thesen „Bürgerschulen“ (vgl. Dettling 1998, http://www.paritaet-ber-lin.de). Nun wird überall, z.B. im Umfeld neuer Pflegestützpunkte, eine „Land-schaft“ entstehen, eine Versorgungslandschaft von Netzwerken, die drei Sektorenerfolgreich zusammenbringen sollen: Staat, marktwirtschaftliche Versicherer so-wie Bürgerschaft, Verbände und Selbsthilfegruppen.

Angesichts der Individualisierung werden Methoden des Case Managements zurUmsetzung der Reformen vorgeschlagen. Bürgerengagement verkommt darin zurManagementaufgabe bzw. es wird institutionalisiert. Derzeit häufen sich Stütz-punkte, Mehrgenerationentreffpunkte, Nachbarschaftsheime, Bürgerhäuser, Se-niorenzentren, Freiwilligenagenturen, Mütterzentren und Selbsthilfekontaktstel-len mit Engagementpolitik. Sie alle rechtfertigen sich aus den jeweils ursprünglichdefinierten Problemlagen und suchen darauf (leider) völlig verschiedene fach-spezifische Antworten. Alle wollen Engagement und meinen vor allem die pro-fessionelle Absicherung von Planstellen zur Fach- und Engagementförderung,

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meist bewusst ignoriert von den traditionellen Dienstleistern und Verbänden, diesich an solcher Infrastruktur nicht beteiligen wollen. Solche Entwicklungen sindfür den Vertrauenserwerb in der Bürgerschaft nicht förderlich. Verbands- und milieuspezifisch kann eine Mobilisierung erfolgen, die letztlich die Konkurrenzzwischen den Arbeitsansätzen verstärkt. Es braucht neue Kooperationsformen,um die Infrastruktur als Dachnetz, als Netz von Netzen in den Kommunen zu ver-ankern.

Es liegt in der Logik sozialstaatlicher Entwicklung, dass alle diversifizierten Dienst-leistungsinstitutionen wieder neuen Gesamtbudgets, Assessments, Einzelabrech-nungen oder einem individualisierten Fallmanagement unterworfen werden. Dieserleben solche Institutionen als staatliches Diktat, Einmischung oder Kommerzia-lisierung. Wichtiger wäre es, die Institutionen zu dekonstruieren, d.h. die Prob-leme in die wirklichen Communities und Nachbarschaften zurückzugeben, siegemeinsam, integriert und vernetzt anzugehen.

Mit den bisherigen Formen der kommunalen Bürgerbeteiligung ist es nicht getan.Sie belassen die Verwaltung, wie sie ist, muten den zivilgesellschaftlichen Akteu-ren keine Öffnung zu und konfrontieren die örtliche Wirtschaft nicht mit präzisenAnforderungen, wozu sie zivilgesellschaftlich gebraucht wird. Formalisierte Ver-fahren wie die Bürgerbegehren oder Stadtratsbeschlüsse verhindern nur weiter dieVeränderungsprozesse. Näher liegen konsequente Lern- und Projektformen allerErwachsenen- und Bildungseinrichtungen, die mittels ihrer Öffnung Teil einerumfassenden „Landschaft“ werden können. Es geht bekanntlich um Wissen, ummehr Mitwirkungsmacht und Lebensstilveränderungen, wie sie am ehesten beineuen Wohnformen, Transportmitteln, Grünparkpflege, Demenzkooperativen,Erziehungsbeteiligungsformen öffentlich sichtbar werden.

Kommunalpolitik steht in der Gefahr, durch Heranziehung der eher traditionellenMilieus eine Art „Versorgungsruhe“ in der Stadt herbeizuführen. Durch die Be-vorzugung konsequent moderner Milieus handelt sie sich den Vorwurf der Arro-ganz ein und fördert sie die Menschen in den versorgungsorientierten unteren undmodernen jüngeren Milieus, „spaltet“ sie die Stadt. Nicht zuletzt kann eine auf diemassive Förderung vernachlässigter Milieus angelegte Politik in der bürgerlichenMitte Gefühle der „Nötigung“und des „Sozialneides“ hervorrufen. Vorderhandwagt niemand zu widersprechen, aber hintergründig wird eine Umverteilungnach unten befürchtet.

Das Konzept der Engagementpolitik prägt die Integrationskraft einer Kommune.Es ist notwendig, dass die Kommunen klare Vorstellungen entwickeln, ob sie eine

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Engagementpolitik betreiben wollen, die alle Bürger ihrer Stadt über die bisheri-gen Verbände hinaus und damit alle Milieus auf ihre Art mitnimmt. Eine solchePolitik öffnet gleichermaßen die eigene Verwaltung und konfrontiert die sie tra-genden Parteien als Akteure und die Wirtschaft. Solche Vernetzungspolitik istkomplexe Steuerung auf ein Ziel hin. Vernetzung muss sich der eingangs geschil-derten Handlungsebenen bewusst sein und sowohl den unmittelbaren sozialenund primären/familiären Netzwerke gerecht werden als auch den meist neokor-poratistischen Netzwerken miteinander verstrickter Verbände und Kommunen.Die Vernetzung umfasst aber auch die Makroebene thematischer Politikressorts.Auf allen Handlungsebenen gelten die Dimensionen gesellschaftlicher Zusam-menhänge, die Habermas mit Geld, Macht und Solidarität beschrieben hat (vgl.Habermas 1985).

4.3 Vernetzung

Netzwerke stehen oft gleichzeitig für Dezentralisierung, mehr Bürgerbeteiligung,Engagement und die Modernisierung der Strukturen, kurz für alles das, was mitdem Wandel von Government zu Governance gemeint ist. Dabei müssen die un-terschiedlichen Ebenen und Formen unterschieden werden: Die primäre Ebene(Mikroebene) meint beim Vernetzen die unmittelbaren, informellen Netzwerkeder Menschen, ihr Umfeld von Beziehungen, Peergroups und Nachbarschaften.Diese Ebene ist das Herzstück bei der Netzwerkarbeit der Familienhilfe, der Ge-sundheitspolitik oder der Integrationsarbeit, weil es hier gilt, den Betroffenen inseinem Umfeld zu stärken und zu einem Beteiligten zu machen. Die sekundäreEbene (Mesoebene) meint die organisierte Form von Gemeinschaft, Institut oderMilieu. Communities, wie die ethnischen Gruppen oder Wohlfahrtsverbände,können vernetzt in Arbeitsgemeinschaften oder Foren kooperieren. Im deutschenWohlfahrtsmarkt sind dies die aufeinander abgestimmten und teilreglementiertenDienstleistungsmärkte. Die tertiäre Ebene (Makroebene) meint die Fach-, Ressort-und Steuerungsebene, bei der es um Gesetzgebung oder die Zusammenarbeitgroßer Akteure in weltweiten Netzwerken geht, wie z.B. dem Klimaschutz. Be-sonders die ressortübergreifende Abstimmung von Ämtern und Ministerien unddie trisektorale Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft durch Staat, Wirtschaft undBürgerschaft wird bei den großen Herausforderungen, wie z.B. dem demografi-schen Wandel, immer wichtiger.

Gleichzeitig werden drei verschiedene Formen der gesellschaftlichen Ordnungangesprochen, analog zur Gemeinwesenarbeit: die territoriale Form der Sozial-räume mit Quartieren, Nachbarschaften und Gemeinden, die kategoriale Formder Gruppen, wie Frauen, Migrant/innen, Senior/innen etc., und schließlich die

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funktionale Form der Interessen- und Aufgabenwahrnehmung und ihrer Akteurein der Gesellschaft, wie z.B. gesundheitspolitische Gruppen, Gewerkschaften undKirchen. Eine Vernetzung im Quartier muss quer zu allen Kategorien und Formenarbeiten und an einem Ort so viele Aspekte wie möglich zusammenführen. Einefunktionale Vernetzung beispielsweise versucht, unabhängig vom Ort gleiche An-lässe oder die Träger und Verbände zusammenzubringen und stark zu machen.Je höher die Handlungsebenen sind, desto mehr versuchen die Institutionen undVerbände, sich und ihre Themen politikrelevant, z.B. auf nationaler oder eu-ropäischer Ebene, einzubringen. Auf kommunaler Ebene spielen städtischeDienstleister wie Verkehrsbetriebe oder Wohnungsbauunternehmen für die Ver-netzung eine wichtige strategische Rolle. Ihr Handeln betrifft Lebensbereiche vonSport bis Kultur gleichermaßen und wirkt in höchst unterschiedlicher Weise aufdie Rolle und den Handlungsspielraum der Bürger ein.

Die Kommune muss langfristig in die Qualität ihrer Betriebe und die „leadership“ihrer Bürgerschaft, d.h. die Fähigkeit der Bürger, als Verhandlungspartner aufzu-treten, investieren. Die Rolle der Schulen und anderer sozialräumlich zentralerOrte ist bisher dafür völlig unterbewertet. Der pluralen Erwachsenenbildungkommt dabei eine wichtigere Rolle zu als bisher. Dies kann zusammengenom-men als Grundstruktur einer Citizens Governance (vgl. Box 1998) benannt wer-den: Kommunen, die sich ihrer eigenen Verwaltungsreform, der Koordinierungder Methoden, der Modernisierung ihrer Vereine und Wirtschaft, der Vielfalt ih-rer Milieus und der Pflege einer öffentlichen Kultur der Bürgerschaftlichkeit ver-pflichtet wissen. Dort, wo in Kommunen fortgeschrittenes Bürgerengagementstattfindet, wird hinreichend deutlich, dass es nicht um ein Nullsummenspiel, umVerteilung einer knappen Ressource geht, sondern um die Erschließung neuerRessourcen, die das Dienstleistungsbild der Kommunen selbst verändern wird.

4.4 Das Fallbeispiel Augsburg

2002 ergab sich die Chance, in der bayerischen Großstadt Augsburg mit 270.000Einwohner/innen konsequent Bürgerengagementpolitik in der Kommunalpolitikumzusetzen. Es war möglich, an einige Städte anzuknüpfen, die solche Wegepunktuell schon gegangen waren oder in einem temporären Netzwerk der Ber-telsmann Stiftung gefördert und öffentlich gewürdigt wurden. Wichtig war in die-sem Zusammenhang die Initiative des Autors, damals Sozialdezernent, der hier-für die Unterstützung des Oberbürgermeisters hatte. Grundlage waren seine Er-fahrungen mit institutioneller Öffnung und mit zwölfjähriger landespolitischerVerantwortung beim Aufbau eines Landesnetzwerkes Bürgerengagement (vgl.Hummel 1982, 1995, 2007).

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Das Label des Ansatzes 2002 in Augsburg war „Bürgerstadt – eine Stadt für alle“.Ansatzpunkt war das Sozialreferat mit der Zuständigkeit von Kindergärten, Sozial-und Jugendamt über Stiftungen, Wohnungsbaugesellschaft bis zu Altenheimenund Arbeitsmarkt. Diese Politik fand nicht in einem geschlossenen Politikfeld statt,sondern sie war Bestandteil der gesamten Sozialpolitik der Stadt und darüber hi-naus in einigen Sektoren der Stadtentwicklung. Sinn dieser Darstellung ist deshalbnicht ein „Good-practice-Beispiel“, sondern eine Analyse der notwendigen theo-retischen und politischen Konzeptentwicklung, die Bürgerengagement braucht.

Unter dem Namen „Bündnis für Augsburg“ (vgl. www.buendnis-augsburg.de)folgten zahlreiche Vertreter aus den drei Sektoren Kommunalverwaltung/Politik,Wirtschaft/Arbeitgeber und -nehmer sowie Vereine/Verbände einem Aufruf desSozialreferates, der einen gemeinsamen Wertebezug („unsere Stadt“) herstellteund auf Vereinsstrukturen verzichtete. Auftakt war eine Veranstaltung im Rathaus.Anschließend wurde mit jährlicher Umbildung ein gemischtes Steuerungsgre-mium geschaffen mit von den Parteien benannten Vertretern aus drei Stadtrats-fraktionen, von IHK, Sparkassen, Gewerkschaften und gewählten Aktivbürgernaus Projekten; zeitweise waren auch Vertreter von Kirchen und Beiräten dabei.Der Oberbürgermeister wurde durch den Dezernenten ständig vertreten, war aberzuverlässig bei den Hauptversammlungen und dem jährlichen Freiwilligentag da-bei.

Die Inanspruchnahme von alten Erdgeschossräumen direkt im Verwaltungsteildes Rathauses (Bürgertreff) unter Einbeziehung des Freiwilligenzentrums eines ka-tholischen Verbandes und weiteren „Untermietern“, wie der Bürgerstiftung unddes Schülerengagementprojekts „Change-In“, sowie des Knotenpunkts des Lan-desnetzwerks der Agenturen setzte ein sehr wirksames symbolisches Zeichen fürden Platz des Engagements. Damit war ein Feld direkt zwischen traditioneller Ver-einsarbeit und Verwaltungspolitik mit wenig Konkurrenz besetzt und ausbaubar.

Bis Mitte 2008 haben ca. 800 Freiwillige in ca. 20 Projekten mitgemacht und An-gebote aufgezogen, die auch weit ins traditionelle Engagementfeld Ehrenamt hi-neinreichten. Die Verbindung zum klassischen Ehrenamtsfeld und zu stadtteilo-rientierten Projekten wurde jahrelang sehr medienwirksam mit einem Shuttlebusin die Stadtteile durchgeführt. Völlig neu besetzt wurde der AufgabenbereichNeubürgerempfang, den Freiwillige gleichberechtigt neben dem Oberbürger-meister einige Jahre lang erfolgreich vornahmen mit jeweils ca. 500 Teilnehmernaus der Gruppe der ca. 6.000 angeschriebenen Neubürger je Kalenderjahr. DerSozialdezernent übernahm die kontinuierliche Einbindung von Steuerungsgre-mien, Stadtspitze und Stadtrat.

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Sehr bald wurden für prinzipiell alle Politikfelder Paten- oder Botschaftersystemeangeboten: Job-, Demenz-, Sozial-, Familienpaten, Kulturbotschafter etc. Mit die-ser Rolle nebst zugehöriger Schulung durch das jeweilige städtische Amt und Un-terstützung durch das Freiwilligenzentrum wurde ein Einsatzfeld eröffnet, in demprofessionelle Mitarbeiter/innen, z.B. die der Schuldnerberatung im Sozialamt,und Freiwillige als „Tandem“ zusammenarbeiten, sich kennenlernen und Sprech-stunden z.T. vor Ort in Pfarrräumen durchführen. Das jeweils zuständige städti-sche Amt öffnete sich.

Die effiziente Organisation und das öffentliche Image bescherte den Sozialpateneinen ständigen Zulauf, wobei das Sozialamt für sich selbst eine umfassende Ar-mutsprävention formulierte. Kleinere Verbände, die für Wärmestuben zuständigsind, kooperierten, während große Verbände mit eigener Schuldnerberatung dasKonzept ignorierten, aber die große Akzeptanz der Sozialpaten anerkannten. ImBereich des Kinder-/Jugendamts gelang ein Durchbruch mit vier K.I.D.S.-Fami-lienstützpunkten, wobei K.I.D.S. für „Kinder In Der Stadt“ steht (vgl. Hummel2008). Diese Projekte wurden mit dafür motivierten Trägern als kommunale Frei-willigkeitsleistung noch vor der Welle der Krippenausbauten aufgebaut. Sie ent-wickelten das offene Servicekonzept in Fragen der Kinderbetreuung und des El-ternengagements weiter. Später gelang es, zwölf Mehrgenerations-Stützpunkte anTräger ebenfalls so zu vergeben, dass Engagement und nicht „Zuschuss- und Plan-stellen-Politik“ im Vordergrund stand. Die Träger verfügen über ein Budget, dasvielfältig genutzt und bezüglich Mieten, Sachkosten, Projekte, Gehälter eigen-ständig verteilt werden muss, und über ständige Ansprechpartner im Kompetenz-zentrum Familie, das parallel beim Jugendamt geschaffen wurde. Die städtischePolitik erwies sich gegenüber den Ämtern und freien Trägern als verlässlicher Part-ner subsidiärer, sozialräumlicher, bürgerorientierter Maßnahmen.

Mit einem umfassenden Beteiligungsansatz gelang es, die Migration in der Stadtmit den Themen Demografie und Wertewandel zusammen zu thematisieren,ohne alte Reflexe aus ausländerfeindlichen Lagern hervorzurufen. Zuerst wurdeein Grünbuch zur Integration in der Stadt mit Befragung aller Verbände, dann einWeißbuch mit 20 Integrationsthesen unter Berücksichtigung aller abgefragten Po-sitionen veröffentlicht (vgl. Augsburg 2006). Es gelang, darüber unter Beteiligungörtlicher Experten in Hearings zu informieren und das Vertrauen ethnischer Grup-pen zu erwerben. Dies war möglich durch konkrete Teilhabeschritte: keine un-verbindliche Befragungen und Statistiken, sondern Kleinstprojekte, z.B. mit derdeutsch-russischen Landsmannschaft und mit türkischen Vereinen. Hilfreich wareine völlige Neuausrichtung der Sozialplanung auf diese Art von bürgerschaftli-cher Sozialraumplanung.

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In einem für Augsburg und viele Großstädte beispiellosen Prozess breiter Betei-ligung „aus der zweiten Reihe“ der Betroffenen – unter Öffnung des bisher „reindeutschen“ Kinderschutzbundes – wurden unter dem Titel „Stadtteilmütter“ hun-derte von Migrantenmütter für die Unterstützung zweisprachiger Kindererzie-hung gewonnen und Kindertagesstätten um Mitwirkung gebeten. Daneben ent-standen russisch- und türkischsprachige Sorgentelefone auf freiwilliger Basis.Deutschsprachige und konfessionelle Beratungsstellen wurden um Kooperationgebeten.

Es gelang dem Stadtjugendring und dem Freiwilligenzentrum, das Projekt„Change-In“ mit mindestens 40 freiwillig geleisteten Stunden jeweils für denganzen Jahrgang der 14-Jährigen anzubieten mit Unterstützung von freiwilligenMentoren, die zwischen Schulen, inzwischen über 100 Einsatzstellen und den Ju-gendlichen Kontakte herstellten. Dieses Projekt wurde an einer einzigen Stellestädtisch subventioniert, nämlich bei der Koordination im Freiwilligenzentrum,erweist sich aber als ein sehr breit wirkendes multidimensionales Projekt, weil essogar über die „Tandem-Strukturen“ hinausreicht.

Mit dieser konsequenten Maßnahmenbegleit- und Projektorientierung konnten inAugsburg problemlos für Engagement untypische Gruppen nach Alter, Schichtund Herkunft angesprochen und beteiligt werden. Mit dem türkischen Dachver-band konnte eine „neutrale“ Anlaufstelle in der Stadtmitte (und damit nicht in ei-ner Hinterhofmoschee) geschaffen werden. Sportvereine und Stadtteilvereinewurden gewonnen für einen Stadtlauf, bei dem die Stadtteile in einen Wettbewerbum die Anzahl der je Quartier beteiligten Läufer traten. Auch damit sollten spie-lerische Elemente genutzt werden, um tatsächlich im Zivilgesellschaftsbereich et-was Gemeinwohlorientiertes zu erreichen. Parallel dazu wurde das Ferienju-gendprogramm der Stadt stärker auf Stadtteile, Vereine und Freiwillige ausge-richtet und Hoffeste in Wohnquartieren der städtischen Wohnbaugesellschaft er-folgreich durchgeführt. So konnte vor Ort ein problemloses Miteinander neuer Ak-tionsformen und traditioneller Vereine erreicht werden, unter Mitwirkung profes-sionalisierter Verbände wie dem Stadtjugendring.

Während sich die Öffnung im politischen Bereich und die Teilhabe im zivilen Be-reich als wirksame Hebel der Engagementförderung erweisen, zeigt sich der Pa-radigmenwechsel nutzen- und effizienzorientierter Leitbilder im Markt undDienstleistungsbereich als ein schwieriges Unterfangen. Wer überhaupt noch da-mit ringt, ob er – wie die städtischen Altenheime in Augsburg – sich dem Marktöffnen kann und will, hat keine Kapazitäten für Bürgerschaftskonzepte. Im bestenFall haben sich Ehrenamtliche im Pflegevollzug erfolgreich eingenistet, ohne dass

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es zu einer aufeinander abgestimmten Institutionenpolitik kommt, bei der es ummehr Öffnung und Teilhabe statt um punktuelles Helfen geht.

Wenn ein Wohlfahrtsverband so mit seiner institutionellen Auslastung und Per-sonal beschäftigt ist, beteiligt er sich höchstens in dem Maße, wie er seine Helferhält und sich dem Attraktivitätswettbewerb für die eigenen Mitglieder stellt. Wersich mit ökonomischen Zwängen auseinandersetzen muss, die nicht einmalmarktförmig, sondern bürokratisch gesteuert werden, traut dem ökonomischenFaktor Engagement nicht über den Weg. Es ist unwägbar, ob sich das, was dieserFaktor heute „einspart“, auch morgen noch erreichen lässt. Die Träger teurer Ju-gendhilfemaßnahmen im stationären Bereich nehmen den Kostendruck, der da-durch entsteht, dass es gelungen ist, in diesen sechs Jahren in der Jugendhilfe inAugsburg eine Umsteuerung auf differenzierte Dienstleistungsformen hinzube-kommen, als Vorwand dafür, besonders kritisch bei Engagementbegleitprojektenzu sein. Ähnlich in der Kindergartenfinanzierung: Deren völlige Umstellung aufeine wesentlich schärfere „Einzelkindabrechnung“ durch das Land verschärft eherdas Misstrauen gegen Eltern-, Nachbarschafts- und Bürgerengagement. Es muss inAugsburg als Erfolg gewertet werden, dass dennoch Engagementprojekte etwa imGrün- und Spielplatzumfeld der Kitas lebhaft weiterbetrieben und z.T. mit Spen-den von Seiten des Referates unterstützt wurden.

Wer wie die öffentlichen Wohnbauträger schwierige Mieter hat und kommunal-politisch dauernd neue Wünsche und Zielgruppen bedienen soll, reagiert auf einegezielte Engagementpolitik wie auf einen ungedeckten Subventionswunsch. Esgelang dennoch, in Augsburg neue Wohnformen zugunsten von intergenerativemWohnen im Zusammenspiel von Wohnbauförderung, Amt und Baupartnern miteiner Bürger-Ideenbörse, angemieteten Treffpunkten, Unterstützung bei sozialenEvents durch die städtische Wohnbau etc., voranzubringen. Wer aus Marketing-abteilungen der Sparkassen Finanzzuwendungen an Bürgerprojekte dem Vor-stand gegenüber als Werbemittel rechtfertigen muss, tut sich mit vernetzten Pro-jekten schwer, weil diese in der Regel an vielen Partnern interessiert sind, also imEinzelfall auch an einer Bank, die jedoch nicht neben der Sparkasse genannt wer-den darf und umgekehrt. Hier bewährte sich die jahrelange Mitarbeit einer Mar-ketingkollegin in der Steuerungsgruppe des Bündnisses. Schnittstellen wurden imAnsatz auch deutlich, wo frühere Sparkassen- und Bankenmitarbeiter alsSchuldnerberater und Sozialpaten mitwirkten.

Es ist auch gelungen, ein städtisches Tsunami-Asien-Hilfsprojekt zu einem effizi-enten Bürgerschaftsprojekt mit Nachhaltigkeit zu machen. Nach jahrelangen Ver-handlungen mit Experten auf Sumatra wurde punktgenau in den Bücherbus einer

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Stadtverwaltung in Banda Aceh investiert, die zuvor Augsburg besucht hatte. DieAlternative wäre eine einmalige Überweisung an einen globalen Nothilfeverbandgewesen. Im Sinne kurzfristiger Effizienz wäre der rasche Schritt richtig gewesen,für die Nachhaltigkeit bürgerschaftlicher Prozesse war die Verlangsamung genaurichtig.

Engagementpolitik muss aber akzeptieren, dass der gegenwartsbezogene, situa-tive Erlebnishorizont deutlich mehr Attraktivität hat als die langfristige Zukunfts-investition – dies wird durch die kurzatmigen Sponsoringeffekte der Wirtschaftverstärkt. Dass sich ausgerechnet wichtige Politikbereiche, die die Nachhaltig-keit für sich beanspruchen, wie Ökologie und Grün-Nahbereich, beim Bürger-engagement schwer tun, bedarf gesonderter Analysen. Hier hat sich ein Natur-schutzbeauftragten- und Expertendenken verbreitet, in Verbänden wie demBUND und auch in den Ämtern. Deren moralischer Anspruch ist hoch und sienehmen Bürger als Laien oder als Einfachnutzer, z.B. von Schrebergärten, wahr.So bleibt wenig Raum für pragmatische Lösungen, etwa öffentliche Spiel- undGrünplätze mit differenzierten Teams und Verfahren, wie neighbourhood-watch, eine Kooperation von Polizei, Jugendring und Grünordnungsamt oder Pa-ten auszustatten.

Übrig bleiben eher ehrenamtliche „Blumenschmuck-Wettbewerbe“ statt einesBürgerengagements, das sich mit sozialen Kontrollen auseinandersetzen müsste.Ähnliches gilt, wo das Sport-Bürgerengagement plötzlich abbricht, weil es jenseitsder sportlichen Fitness um die Sozialintegration schwieriger Jugendlicher gehenmüsste. Das ist den meisten Vereinen zu aufwändig und Trainer erklären sich, be-vor es zu Tandem-Modellen kommen könnte, für überfordert. Folglich fördern inAugsburg auch Stifter eher vordergründige Projekte mit marginalisierten Men-schen statt mit solchen, die sich selbst engagieren und nachhaltige Wege gehen.

Von 2002 bis 2008 hat sich die kommunalpolitische Landschaft Augsburgs zu ei-nem Laboratorium für soziale Bürger- und Integrationsprojekte entwickelt. Den-noch war unübersehbar, dass dies wenig Folgen für die klassischen Kommunal-politikfelder hatte, die sich vorrangig mit Verkehrs- und Baumaßnahmen befas-sen. Es wurde deshalb überlegt, wie Engagement im Investitionsbereich deutlichplatziert werden könnte. So wurde bei der Renovierung der Jugendherberge in Ko-operation von Stadt, Jugendträger und Arbeitsmarktverwaltung ein erheblichesEngagement von jungen Menschen ermöglicht. Mehr noch aber zielte das Bünd-nis darauf ab, beim Bau einer neuen Stadtbücherei einen virtuellen und materiel-len Platz für unterschiedliche Zielgruppen zu finden, d.h. sowohl im Betreiber-konzept als auch im Haus selbst.

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Im Rahmen eines 15-Millionen-Projekts sollte die Stadtbücherei zu einem „Volks-bildungszentrum“ so umstrukturiert werden, dass sich Verwaltungseinheiten wiedie Kinderfachabteilung oder der Seniorenbeirat ihren Platz in der Bücherei durchBelegung und Mitarbeit „verdienen“, z.B. im Verleih. Das Teilhabeangebot wurdevon jungen Müttern, aktiven Senioren und dem Behindertenbeirat bald positiv er-kannt; es wurde allerdings auch mit Sorge registriert, wie „offen“ sich die Arbeits-plätze eingestreut in die Bücher dann darstellten. Das Büchereiteam stolperteohne lange Verstehensdiskurs in die „alte“ Ehrenamtsdebatte. Ohne zielorien-tierte Führung der Bücherei wurde die Sorge der Mitarbeiter/innen wiederholt, dieMithilfe von Dritten würde sie ihre Arbeitsplätze kosten unter völliger Verkennungder Realitäten: die Verdoppelung der Öffnungszeiten und eine Vervielfachung desRaumangebots – wozu es sonst einer Verdreifachung des Personalbudgets bedurfthätte, was unmöglich wäre. Wie in einem gruppendynamischen Experiment prall-ten Vorurteile aufeinander, z.B.: „Wer sichert den Buchbestand bei einer geöff-neten Bücherei?“, „Wer sichert das Haus, wenn der Seniorenbeirat nachts ein-und ausgeht?“, „Kann ungestört gearbeitet werden, wenn Büchereinutzer alles an-schauen?“ In einer leidenschaftlichen Debatte wurde das offene Büchereikonzeptmehrheitlich beschlossen. Es wurden Workshops durchgeführt und Referenzbei-spiele anderer Stadtteilbüchereien besichtigt.

Wie fragil der Konsens für eine „neue Kooperationswelt der Zivilgesellschaft“ ist,zeigte sich kurz vor Fertigstellung des Großprojektes Stadtbücherei. Mit demWechsel der kommunalpolitischen Verantwortung wurden – statt den Mehrwertund gegenseitigen Nutzen aller gesellschaftlichen Gruppen zu forcieren – alte „Si-cherheitsgrenzen“ gezogen. Die Räume für bürgerschaftliche Zwecke wurden inein anderes Stockwerk verlegt. Erneut standen Sicherheits- und Trennungsfragenim Vordergrund, bürokratische Zuordnung und ein Vorrang der jeweiligen Fach-politiker.

Es lässt sich an diesem Beispiel hervorragend studieren, welche „Echoeffekte“ pas-sieren, wenn ein anderes Ordnungs- und Führungskonzept über unsichere Bürger„hereinbricht“. Wenn sich Kulturpolitiker auf ihre Lesungen und Bücher zurück-ziehen, ziehen sich Sozialbürger auf ihre Beratungen und Klienten zurück; undwird der ökonomische Nutzen der Cafeteria in der Bücherei forciert, so ziehensich die ehrenamtlichen Helfer aus der Bewirtung zurück. Wird die Sicherheits-frage der Bücher diskutiert, zweifeln Bürger daran, ob ihre Mithilfe zu jeder Zeitdort ein Sicherheitsrisiko darstellt. Wäre die Bücherei eine Tendenzbücherei,etwa eine katholische Pfarrbücherei, würden diese Fragen anders diskutiert. Wasbei einem „Tendenzprojekt“ über Ideologie hergestellt wird, wie z.B. Elternmit-wirkung, Sponsoring etc., erscheint im öffentlich-rechtlichen Zusammenhang

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schwierig – die Zivilgesellschaft hat auf dieser konkreten Ebene kaum die Spreng-kraft einer Glaubensgemeinschaft, bestenfalls mittels eines Mäzens. Die Augs-burger Stadtbücherei bleibt ein beobachtenswertes Experiment, wie die neuenKooperationen und Mischungen der „gebauten Zivilgesellschaft“ aussehen kön-nen und ob das Bündnisprojekt eine offene Bücherei ermöglicht. Dabei sind Mit-arbeiter innerhalb des professionellen Bereiches notwendig, die die Idee der Bür-gergesellschaft begriffen haben und angstfrei umsetzen können. Auf die Angst derVerantwortlichen reagieren die freiwillig engagierte Bürger in der Regel selbstdurch Rückzug aus den Verpflichtungen eines solchen Projekts.

4.5 Koproduktion von Bürger und Staat

Bürgerengagement speist sich aus anderen Werten als der staatliche und wirt-schaftliche Sektor, weil sie weniger dem Statusgewinn und dem Gelderwerb fol-gen. Auch das klassische Interessenschema Arbeitgeber/Arbeitnehmer kann sonicht übernommen werden, wenn es sich um das Verhältnis zwischen Klientenund Freiwilligen handelt. Der Nutzen des Bürgerengagement ist zuerst einmal dieBewährung im sozialen Raum, die Selbstversicherung, die Zugehörigkeit zu einerGruppe, Milieu, Herkunft und der Beitrag zu einer Art Gegenseitigkeit (Rezipro-zität), die den Engagierten auf eine Gegenleistung hoffen lässt.

Auf der konkreten Vereinsebene – etwa im Sportverein – ist das noch punktuellsehr genau überprüfbar und gestaltbar. Je offener, unabgeschlossener der Enga-gementrahmen ist, desto mehr braucht es gewährleistende Organisationen, dieeine gewisse Garantie für diese Gegenseitigkeit übernehmen. Der kirchlich-reli-giöse Bereich bildet mit einem gewissen Transzendenzbezug und einem univer-salistischen Wertesystem das eine Ende der Werteskala, zu deren anderen Endeeinmalige punktuelle Zweckengagements zählen.

Erfolgreiches Bürgerengagement braucht ein korrespondierendes System von In-stitutionen und Organisationen. Engagierte verändern durch ihr Tun den Charak-ter vieler Tausch- und Produktionsprozesse und sind Koproduzenten der Da-seinsvorsorge. Freiwillige im Tafelprojekt kooperieren mit Ämtern und Lebens-mittelbetrieben und verändern damit einen Teil des Kommerzialisierungsprozes-ses, gewinnen ihm sozusagen eine humane Seite ab. Umgekehrt werden sie alsEssensversorger jenseits der Leistungstransfers des Sozialstaates zu Dienstleisternim Vorfeld des Geldmarktes. In Ansätzen entsteht dabei jeweils eine „neue Wohl-fahrtsökonomie“. Richard Senett bezeichnet dies – ähnlich wie Michael Walzer –als einen „erweiterten Wohlfahrtsbegriff, der über die Absicherung hinausgeht“(Senett 1998). Prognos und viele betriebswirtschaftliche Institute des Dritten Sek-tors laborieren an dieser Ökonomie- und Produktivitätsdefinition.

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Sicher ist, dass sich das Bürgerengagement einer solchen Wirkungsanalyse stel-len muss. Auch das philanthropischste, fürsorglichste Engagement arbeitet mit ge-sellschaftlichen Ressourcen und mischt damit auch in der Verteilungsgerechtig-keit von Ressourcen mit. Die Zusammenarbeit von Fachleuten aus den verschie-denen Sektoren ist unabdingbar für den nachhaltigen Erfolg von Engagement. AufSeiten der Zivilgesellschaft erfordert dies klarere Rollen, die sich unter dem Titel„Patenmodelle“ beschreiben lassen. Im Prozess selbst nennen wir die Koopera-tion „Tandems“ – also mit dem Bild von zwei Fahrern, die in der Umsetzungskraftaufeinander angewiesen sind. Meist wird dies zwischen Freiwilligen und Ämter-mitarbeitern sein, genauso gut können es aber auch Freiwillige und Betriebsan-gehörige, Hilfeempfänger und Hilfegeber sein. Wenn sich Institutionen öffnen las-sen und Teilhabe praktisch erfahrbar wird und der Prozess niederschwellig, aberkompetent gemanagt wird, sind große Erfolge in der Engagementpolitik möglich,messbar und nachhaltig.

Grenzen gibt es unübersehbar im marktorientierten Bereich kurzfristiger Verwer-tungsstrategien und beim Vertrauen in langfristig „gebaute“ Engagemententschei-dungen. Hier herrscht immer noch der generalisierende Mythos, dass staatlichesund professionelles Handeln verlässlicher seien als Engagement. So wird in denErörterungen zur neuen „Urban Governance“ betont, dass „diese Art der Kopro-duktion wohlfahrtsstaatlicher Leistungen vorwiegend als qualitativ ergänzend zuden bisherigen öffentlichen Leistungen und nicht als deren Ersatz betrachtet wer-den“ (Einig et al. 2005). Bürgerengagement wird bei dieser Betrachtung als zu-sätzlich wahrgenommen zu etwas, was vermeintlich klar definiert ist, sozusagenals Kür zur Pflicht. Das mag vielen Freiwilligen auf den ersten Blick gefallen. DieWirklichkeit trifft es nicht. Sowohl aus der ganzheitlichen Sicht ökonomisch-nachhaltigen Wirtschaftens heraus als auch aus der Sicht der meisten Klienten isteine solche Trennung schwer auszumachen. Gerade beim Rückzug des Bürger-engagements ändert sich auch der „Charakter“ der Pflichtleistung.

Die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels – namentlich Demogra-fie, Migration und Wertewandel – sind weder „baulich“, marktwirtschaftlich oderstaatlich, aber auch nicht individualistisch-privat-zivilgesellschaftlich allein zu lö-sen. Bei der Kindererziehung fängt es an, allen einzuleuchten. Noch aber sind diesWahrnehmungsfragmente. Im Wechsel engagiert sich einmal die Zivilgesellschaftgegen Kinderarmut, dann die Wirtschaft und zum Schluss versprechen es die Par-teien als Staatsprogramm. Die Teilhabechancen der Bürger werden auch als Teilder Gerechtigkeit der Gesellschaft wahrgenommen. Letztlich steht der sozialeFrieden auf dem Spiel, weil dieser bekanntlich weder von objektiver noch von ge-fühlter Ungerechtigkeit allein bedroht ist, sondern von der gefühlten Ohnmacht

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von Teilen der Bürgerschaft, nicht selbst etwas für sich und andere tun zu können.Dies haben lange Zeit große Vereinigungen (Kirchen, Gewerkschaften, Parteien)„aufgefangen“. Ihre Basis aber schrumpft zusehends.

Bürgerengagement hat im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung eine neueQualität bekommen: die der individuellen Kompetenz und „Eigensinnigkeit“ derBürger. Die Chance der Engagementpolitik besteht darin, dieses Engagement aufVerbandsebene und zwischen den Sektoren zu verknüpfen, so dass es gesell-schaftlich produktiv und wirksam werden kann. Das werden weniger die Dienst-leister sein, die „alles selber machen“, und auch nicht die Einzelmodelle, in de-nen die Welt im Kleinstmaßstab funktioniert. Es werden Bausteine einer „bürger-schaftlichen Stadtentwicklung“ sein, die sich verschieden zueinander einfügenund miteinander verknüpfen lassen. Wenn z.B. konfessionelle Verbände, Sozial-amt und Bücherei ein gemeinsames Entwicklungskonzept vertreten, kann durch-aus in der Bücherei wirksame Schuldnerberatung erfolgen und umgekehrt könn-ten im Sozialamt Bausteine einer „Volksbildung“ stattfinden.

4.6 Die Bedeutung der Patenrolle

Eine offene Gesellschaft sortiert sich neben Klassenstatus und Lebensweisen umRollen, technisch-professionelle Zuweisungen und Expertisen herum. Letzterewerden in der Wissensgesellschaft attraktiver. Bürgerengagement, das über ei-gene Interessenvertretungen hinausgeht, braucht für den aktiven Bürger einen Sta-tus, um das öffentliche Handeln Einzelner verstehbar, transparent und überprüf-bar zu machen, und zwar nicht nur für den jeweiligen Vereinsvorstand, sondernfür jeden Akteur, der an diesem Handeln beteiligt wird. Die Aktivität der Stadt-teilmütter z.B. hat sowohl deren Rollenverständnis als Mütter verändert als auchihren Platz in ihrer ethnischen Gruppe und damit das ganze Gefüge des Dach-verbandes türkischer Vereine, die einbezogen waren. Jeder Begriff für einen sol-chen Bürger steht in einem mehr oder weniger unpassenden historisch-politi-schen Zusammenhang: „Ehrenamtlich“ ist in Wortwahl (Amt und Ehre) wederzeitgemäß noch individuell, „Volunteer/ Freiwilliger“ unterstellt, dass Handeln inder anderen Welt von Beruf und Familie Pflicht sei. Der Titel „Beauftragter“ lässtoffen, ob er unentgeltlich oder bezahlt tätig ist, legt aber eine fremdbestimmte Auf-gabe nahe.

Ausgehend von der Definition, dass modernes Bürgerengagement gemein-schaftsorientiertes Handeln an den Schnittstellen der politischen, marktwirt-schaftlichen und gesellschaftlichen Sphären ist, bietet sich der Begriff „Botschaf-ter“ oder „Pate“ an. Er unterstellt, dass es Sinn macht, für sich und andere zwi-

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schen diesen Sphären Brücken zu bauen. Botschafter, respektive Paten, nehmenandere an die Hand, um das Draußen und das Drinnen, das Jung und Alt, das Da-beisein oder das Außenvorsein, das Vertraute und das Fremde zu verstehen unddarin zu handeln. Bürgerengagement, das ein Beitrag sein soll, einen Mitbürger indie Selbstständigkeit, Leistungsfähigkeit oder wenigsten in einen würdevollerenStatus zu führen, nimmt weder der einen Seite, etwa dem Staat und seinen Äm-tern, noch dem Mitbürger, Klienten oder Hilfeempfänger etwas ab. Beispielsweisewird weder dem Kind das Lesenlernen noch der Bibliothekarin die Buchkompe-tenz abgesprochen, aber ein „Lesepate“ kann beide zusammenbringen, Buch undInhalt lebendig machen, das Buch an den Leser und den Lesewunsch an die Institution vermitteln.

Der Pate hat darauf zu achten, was dem Bürger wichtig ist und was das Dienst-leistungssystem kann, braucht und realistischerweise zu leisten vermag. Auf allenSeiten wird es darüber hinaus Ideen, Mängel und Verbesserungsvorschläge ge-ben. Dies macht ein Patensystem zu einem sehr viel weitergehenden kritischenElement als das ehrenamtliche soziale Helfen. Asylhelfer haben z.B. scharf die in-humanen Grenzen vieler Asylverfahren erkannt und kritisiert. Viele Erziehungs-paten sind Betroffenen gegenüber kritischer als geschulte Sozialarbeiter, die dieHintergründe mit ins Kalkül nehmen und zugunsten der Betroffenen auslegen. Al-les dieses steckt im offenen System der Paten als aktive Bürgerengagierte. Sie brau-chen präzise Anlaufstellen – personell wie institutionell – im System, damit ihreErfahrungen besprochen und gemeinsame Situationsdefinitionen gefunden wer-den können.

Es steckt eine sehr viel weitergehende Erfahrung in diesem Engagement als in derRolle des ausführenden Helfers einerseits oder des Experten andererseits. Die Pa-tenrolle bejaht das emotionale Engagement, das in der Expertenrolle neutralisiertwerden muss. Und sie begrenzt das Helfen auf die diejenigen Teile, die weder deneinen (den Leistenden) noch den anderen (den Empfänger) abhängig machten.Viele Schulungen im Bereich ehrenamtlicher Telefonseelsorge oder Hospizbe-wegung arbeiten an dieser Schnittstelle. Bei den Sozialpaten und den Stadtteil-müttern geht es z.B. um die „Lust“ und die Kompetenz, selbst schwierige Fälle inder Schuldnerberatung zu lösen, und den „Ehrgeiz“, die eigenen Kinder schnellsprachlich fit zu machen und „Kita-Lieblingsmutter“ zu werden. Diese Kunst wirddadurch begrenzt bzw. geerdet, dass in der Kooperation mit anderen (Amt, Kita,andere Eltern) gemeinsame Lösungsansätze notwendig sind und langfristige Pro-zesse eingeleitet werden. Denn wenn der Pate das Problem gelöst oder die Stadt-teilmutter Sprache und ihr Kind im Griff hat, haben es die anderen noch langenicht verstanden – aber von der Einbeziehung der Betroffenen hängt der Erfolg des

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Paten ab. Ähnlich ist es bei den Mentoren des Change-In-Projektes. Schule undEinsatzstelle mögen sich mit dem Mentor arrangieren, wichtig ist aber, ob derSchüler freiwillig mitmacht.

Das Erfolgserleben des Paten ist auf gelingende Kooperation in guten „settings“angewiesen; Ort und Methode brauchen gewisse Standards, die anders sind alsdie der Professionellen. Da ist in der Regel die Vertrauensbildung wichtiger als dieKorrektheit, Neutralität oder Überparteilichkeit des Verfahrens. Das System –Markt, staatliche Verwaltung, Vereine – braucht für Paten Freiräume und Unter-stützung, aber auch klare Grenzen. Natürlich kann ein Amt gewisse Gewährleis-tungsregeln nicht außer Acht setzen, auch nicht in besonderen Einzelfällen. Ent-scheidend ist, ob sich Paten und Profis einig sind in der Wertegrundlage und ge-genseitigen Akzeptanz, weil sie sich zugunsten Dritter versammeln.

Das Patenmodell ersetzt andere Rollen nicht, es trägt aber dazu bei, den Staat anden Bürger, die Vereine an das Mitglied und die Wirtschaft an den Kunden zu „er-innern“. Benjamin Barber appelliert daran, sich auch einiger Institutionen zu „er-innern“ – statt sie künstlich neu zu entdecken – und ihre Anliegen in den Raumder Gesellschaft zurückzuführen, also transparenter und politischer zu machen(vgl. Barber 1996). Die Ausbildungs- und Wissensbestände für Mentoren folgendabei einem zu klärenden „Kompetenzprofil“ der Bürger und nicht einem festenWissenskanon. Mangelnde Selbstreflexion ist dabei hinderlicher als mangelndeWissensbestände. Dort liegen in der Regel auch die größten Hindernisse bei ei-ner werteorientierten Umsetzung des Patensystems.

4.7 Leitfragen zur Vorgehensweise

Zu den Bausteinen einer Bürgerengagementpolitik gehört vor allem eine Art sys-tematisches Vorgehen, das Fragen vor Antworten stellt. Es gilt im Umgang mit derBürgerschaft zuerst

• richtige (lebensweltliche) Fragen zu stellen, weil sie motivieren,• sie an Informationen teilhaben zu lassen, z.B. durch Hearings,• Kompetenzen zu erkennen (vgl. Patensystem),• richtige Schnittstellenmanager zu finden,• politische Verlässlichkeit zu schaffen, z.B. bei Migranten,• Handlungsspielräume aufzumachen, ohne Angst um Haftung, Sicherung

etc.,• Identifikationen und Symbole für Bürgerengagement bejahen,• eine Anerkennungskultur durch das Bereitstellen von Räumen, Spielregeln

und Wertschätzung zu pflegen,

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• die Besonderheiten von lokalen und globalem Engagement nicht gegenein-ander auszuspielen,

• Bürgerengagement im umbauten Raum zu verstetigen.

Dies können zehn praktische Punkte sein, die erörtert werden müssen, bevor einWerbeflyer gedruckt wird.

4.8 Sozialräume und Quartiersmanagement

Der Wunsch ist groß, mit diesem komplexen, ressortübergreifenden Anspruch inüberschaubare Räume zu gehen. Bürgerengagement und Stadtumbau, demogra-fischer Wandel und Stadtteilbudgets, bürgernahe Sozialpolitik und Mobilisierungder Mieternachbarschaft fokussieren nahezu alle Dimensionen an einem konkre-ten, vermeintlich fussläufigen, überschaubaren Ort. Moderne Dienstleistungs-techniken erlauben die Illusion, diese Dimensionen bündeln zu können: Infor-mationen, Wohnen, Arbeiten – alles so nahe wie möglich. Auch die Integrationvon Migranten scheint nachbarschaftlich leichter zu erfolgen als auf rechtlich-normativ-abstrakter Ebene. Der Bedarf haushaltsbezogener Einfachhilfen im Altererscheinen in aktiver Nachbarschaft leichter zu befriedigen und der Wunsch nachVerbleib in der eigenen Wohnung legt den Quartiersansatz auch nahe.

Historisch unterschiedliche Bilder vermischen sich beim Quartier: die Arbeiter-siedlungen der 1920er-Jahre mit der gemeinsamen Wäschestange oder der ge-meinsamen Sorge, ob die Kumpels unter Tage gesund zurückkommen; die Wohn-gemeinschaftsbewegung und Campus-Atmosphären mit niedrigschwelligen Kon-takten und solidarischen Tauschgeschäften, wie die Betreuung anderer Kinder inden Jugendstilquartieren der Innenstadt; der Stadtteil, der zur Schlafstadt mutierte,in den zwar viele zugezogen sind, aber alle noch die Marktplatzkneipe schätzen,und schließlich die dörfliche Gemeinschaft mit Fahrgemeinschaften und gegen-seitigen Gartenhilfen. 1884 wurden mit der Toynbee-Hall in London und dannvor allem mit der Settlement-Bewegung in den USA und später den Nachbar-schaftshäusern in Berlin das Gemeinschaftselement aufgegriffen und zur Stadt-sozialpolitik gemacht. Community Development religiöser oder politischer, ame-rikanischer oder holländischer Prägung entstand in der Nachkriegszeit.

Hoffnungen der Sozialarbeit haben sich an solche Quartiere gehängt. Deren Mi-lieu wurde als Quelle solidarischen Handelns identifiziert. Tatsächlich ist der Mi-lieubegriff umgangssprachlich an Quartiere gebunden, in denen bestimmte Nor-men herrschen oder wie im Rotlichtmilieu außer Kraft sind. Für das Bürgerenga-gement ist dieser Diskurs bedeutungsvoll. Er zeigt, wie sehr bürgerschaftliches En-gagement kontextgebunden ist. Es kann an bestimmten Orten und unter dort gel-

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tenden Normen erwachsen oder ersticken. Die Milieus haben sich quasi aus denlebensbestimmenden Wohn- oder Arbeitsquartieren heraus entwickelt. Heute istes eher so, dass bestimmte Gruppen ihr Milieu einem Stadtteilquartier „überzie-hen“, seien es Studenten, die Innenstädte „kippen“, oder deutsch-türkisch domi-nierte Quartiere, in denen ethnische und Milieumuster sich überlagern.

Milieus sind unmittelbare Schnittstellen zum Bürgerengagement. Die Vergewis-serung eines eigenen Lebensstiles braucht den Weg über öffentliches Handeln,Konsumieren, Wohnen etc. Sie braucht eine Bühne und Performanz gerade auchjenseits der Schul- oder Arbeitswelt. Wichtige Teile des Bürgerengagements sindgeradezu Schaufenster bestimmter Milieus. Im Umkehrschluss heißt dies für dieQuartiersentwicklung, dass ein Verschwinden klarer Milieupräferenzen auch dieFormen des Bürgerengagements in solchen Stadtteilen „uneindeutiger“ macht, in-dividueller, zersplitterter. Nicht umsonst versuchen politische Kampagnen denGesamtgeist wieder zu beleben, etwa mit Parolen wie „Im Quartier x kein Platzfür Nazis“. Wo Raumgrenzen im urbanen Raum völlig diffus sind, wird ein Quar-tiers- und Milieubewusstsein und damit ein Quellelement von Bürgerengagementblockiert. Die Stadtplanung teilt oft lieblos in Bezirke auf. Ämter dominieren mitMess- und Indikationszahlen die Stadtteile. Postleitzahlen und Verkehrslinien be-einflussen Identitäten; Zeitungen bemühen sich um Stadtteilausgaben.

Deshalb kann es Sinn machen, Zuständigkeitsräume, z.B. die Sozialraumplanung,ressortübergreifend neu zu ordnen, um alle einzubeziehen. Von zentraler Be-deutung für die „Quellenergie“ von Bürgerengagement in der Kommune kann essein, diese Stadträume transparent zu ordnen. Beispielsweise können Ämterzu-ständigkeiten von der alphabetischen Karteiführung zur territorialen übergehen.Es können Ämterteile vor Ort kooperieren, Zuschüsse oder Zuständigkeiten terri-torial gebündelt werden. Die Neigung von Trägern, z.B. ihre Schulsozialarbeiterträgerspezifisch zusammenzuführen, kann in eine sozialräumliche Kooperationumgewandelt werden. Sozialstatistiken über die gleichen Räume hinweg werdenungleich aussagekräftiger. Schulsprengel können beweglicher werden, Pflege-dienste können in bestimmten Einzugsbereichen andere Tarife als im Referenz-stadtteil erheben. Solche Räume sind Kunstwerke, weil sie zwischen historisch ge-wachsenen Strukturen, sozialen Notwendigkeiten und ökonomischen Sach-zwängen einen Kompromiss zu finden haben.

Einige Quartiere können 2.000, andere 60.000 Bewohner/innen haben. Da mö-gen lange Definitionen herangezogen oder der Begriff „sinnlich und historisch ge-wachsener Räume“ strapaziert werden, um völlig unterschiedliche Quartiere zubegründen, nur hilft dies unter modernen Gesellschaftsbedingungen nicht weiter.

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Nur vergleichbare Räume können in innerstädtischen Vergleichen bestehen, nurleistungsfähige Strukturen lassen Vielfalt erfahren. Sozialräume müssen zuge-schnitten werden in der Mischung aus kommunaler Leistungsfähigkeit und inner-städtischer Verteilungsgerechtigkeit, im Kontext von historisch nachvollziehbarenund kulturell sichtbaren Räumen.

Dann können Budgets Sinn machen, innerhalb derer sich Quartiere jeweils an-dere Prioritäten setzen, Milieuspezifika pflegen und Stärken entwickeln und in de-nen Engagement komplementär entsteht, um dieses Gemeinwesen zu verleben-digen. Handfest ökonomisch kann dies im Bereich der Jugendhilfekosten dazudienen, dass eingesparte Kosten durch die Vermeidung stationärer Unterbringungdem jeweiligen Sozialraum für Präventivmaßnahmen zugutekommen können.Mit Energiesparbudgets sind so schon gute Erfahrungen gesammelt worden, dieauch Fachinstitutionen dazu zwingen, mit Vereinen und Normalhaushalten zukooperieren.

Die Quartiersorientierung erhält große Brisanz in Bevölkerungsbereichen, dienicht unmittelbar der großen Mobilität ausgesetzt sind, nämlich den Älteren. Bis-herige Altenhilfe war rein funktional mit Versorgungsdienstleistungen wie z.B.Heimen strukturiert, unabhängig davon, wo sie situiert waren. Die ambulantenDienste wie Sozialstationen erwuchsen zwar häufig aus kirchlichen oder arbei-terspezifischen Nachbarschaftsdiensten, folgten aber ebenso schnell den Markt-prinzipien der Rentabilität und Effizienz. Aufwändige Dienste wie Nachtwachenoder niedrigschwellige Dienste wie Besuchs- und Bringdienste fielen der Mar-ginalisierung anheim und schwächten so den Anspruch „ambulant vor stationär“.Verkehrs-, Gesundheits- und Wohnungspolitik trugen oftmals nicht dazu bei, imAlter den Verbleib in den Quartieren zu sichern. Wenn aber dies in Synergie ge-lingt und die Dienste sich weniger marktwirtschaftlich kurzfristig, sondern zivil-gesellschaftlich-ökonomisch nachhaltig engagieren, kann es gelingen, auch inschwierigen Lebenslagen jedes Älterwerden im Quartier angemessen zu ermög-lichen. Dass dies voraussichtlich auch finanziell günstiger ausfallen wird, zeigt dieengagierte Arbeitsgruppe SONG der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Lebens-räume im Quartier“ (vgl. SONG 2008).

Die Arbeitsgruppe geht konsequenterweise so weit, dass sie neue Pflegekoordi-nationsstellen ablehnt, weil sie ernsthafte Vernetzungen aufweicht. Freilich zeigtsie auf, dass sich auch Förderstrukturen in Richtung Mix ändern müssen, dennnicht alles könne in Einzelfallhilfen investiert werden. Eine Subjektförderung seiwichtiger als die reine Objektförderung über Verbände. Wie ist es möglich, infra-strukturelle Investitionen (Verkehr, Schule, Wohnen) und individuelle Subjektför-

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derung sinnvoll zusammenzubekommen? Wie kooperieren Anbieter in Netz-werken, wo doch ihre Kunden als geförderte Subjekte Marktkonkurrenz herauf-beschwören? Wie gehen Ältere damit um, für die jede Lebenswegentscheidungauch eine ganzheitliche Abwägung dessen ist, ob sie innerfamiliär investieren, obsie ihrem Milieu statt ihren Konsumenteninteressen folgen, ob sie die ihre Freiheitund Distanz schützen, wenn sie durch nachbarschaftliche Hilfe der Gegenseitig-keit unter Druck gesetzt werden? Wie gehen Ältere mit der intergenerativen Zu-sammenarbeit um, wenn sie feststellen, dass sie im Tausch nichts einbringen kön-nen, was Jüngere brauchen, oder wenn sie feststellen, dass der Nachbarschafts-bedarf im Alter alle Grenzen des eigenen Milieus sprengt? Bürgerengagementauch älterer Bürger ist nicht an der vordergründigen Aktivität des sichtbar aktivenBürgers festzumachen, sondern daran, ob, wo und wie er die Rolle ausübt – auchwenn es „nur“ die des Schülers oder Kunden ist, der eine städtische Schule odereinen Altenhilfedienst nutzt.

Die Rechte und Pflichten des Bürgers anzuschauen, ist weder ein Rückfall in diesoziale Kontrolle des Dorfes noch eine kostenlose Mitwirkung an Staatsprogram-men, noch die Verpolitisierung aller Alltagsvorgänge. Es ist die Abwägung, dasses einen individuellen Kompromiss zwischen Lebensstilen, Lebensweisen, inter-kulturellen und religiösen Normen geben muss. Stadtentwicklungsplanung wirddadurch zu einem dauernden Prozess der Reflexion und des Diskurses. Entspre-chend muss dieser Prozess organisiert werden, um dem Ansatz zu folgen, dass diekünftige Demokratieentwicklung das Bürgerengagement nicht mehr am Ende,sondern von Anfang an einbezieht – von der Formulierung bis zur Lösung von ge-sellschaftlichen Problemen.

Engagement ist nicht beliebig herstellbar; es ergibt sich nicht von selbst. Engage-ment im Quartier ist derjenige Anteil öffentlichen Handelns, der jenseits vom Hel-fen und Ausüben ehrenamtlicher Pflichten vorsieht, dass der Einzelne etwas, dasihm für seinen Lebensentwurf hilft und das einen gegenseitigen Austausch ver-bessert und ermöglicht, in ein Verhalten umsetzt, das wir bürgerschaftlich nen-nen. Formen der Selbsthilfe, der Bürgerbeteiligung und des Ehrenamtes verbindensich in der Situation und auf der persönlichen Handlungsebene zu einer Verhal-tensdimension, bei der die Betroffenen zu Koproduzenten der lokalen Daseins-vorsorge werden. Zahlreiche solche konkreten „Koproduktionen“ entstanden imZuge des baden-württembergischen Modellprojektes der Seniorengenossen-schaften (vgl. Hummel 1995 und 2001). Von großer Bedeutung ist es, dass der in-dividuelle Gewinn und Mehrwert weniger aus dem unmittelbaren Dienstleis-tungstausch kommt, sondern aus einer gegenseitigen Wertschätzung: „Ich tue et-was für dich, was ich gut kann, und nutze, was du gut kannst.“ Solche interakti-

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ven Vorgänge erfordern einen sensiblen Umgang mit Nähe und Distanz. Die spek-takulären Wohngemeinschaften sind seit 30 Jahren Ausnahmeinseln geblieben.Ganz anders im Quartier: Dort gibt es eine Chance, Nähe und Differenzen zu-gleich zu leben.

4.9 Stadtteil- und Nachbarschaftsentwicklung

Der hohe Anspruch, sich im eigenen Stadtquartier fürs Gemeinwohl einzusetzen,erscheint auf den ersten Blick als eine Sache aufgeklärter Minderheiten, gebilde-ter Bürger, welche über Selbstdisziplin, Empathie und Ressourcen verfügen. Diehistorisch beispielhaften Bürgerausschüsse in einigen NachkriegsstädtenDeutschlands bauten auf diesen Gruppen auf, und zwar damals schon stellver-tretend aus den drei zivilgesellschaftlichen Sektoren: der erfahrene Politiker oderBeamte, der selbst „nichts mehr werden muss“, neben dem mittelständischen Un-ternehmer, der seinen Anteil fürs Quartier beiträgt, und dem eher unpolitischenVereinsvorsitzenden, dessen Pfund die vielen loyalen Vereinsmitglieder waren.Moderne Stadtentwicklung darf sich nicht auf eine solche Auswahl beschränken.Sie muss veränderte, offene Lebensweisen als Chance begreifen, muss außerfa-miliäre Gemeinsamkeiten im Schutze der jeweiligen Milieus herstellen und siemuss Kompetenzen abrufen, nicht nur sprachlich-soziale, sondern auch techni-sche in und außerhalb von Betrieben. Dies muss gerade auch im hohen Alter ge-schehen, denn dort muss es leicht möglich sein, Milieugrenzen zu überwinden,auch wenn es Gewerkschaftssenioren und katholische Seniorenarbeit o.ä. sind.

Professionelle Quartiersmanager neigen schnell dazu, ein vermeintliches Ge-samtinteresse für das Quartier zu formulieren. Sie ergreifen Sprecherrollen und su-chen die Aktivität der Betroffenen. Dies lenkt eher davon ab, dass Bürgerengage-ment eine Voraussetzung, aber keine hinreichende Bedingung für direkte Bürger-aktion ist. Bürgerengagement entsteht an den Schnittstellen von privatem und öf-fentlichem Raum, von Milieus und Generationenunterschieden, dort bewegt essich und bewährt sich. Es entsteht umso mehr, wie Menschen sich in der Lagefühlen, Spaltungen an Schnittstellen in Handlungsenergie umzuwandeln. Nichtimmer wendet sich dies in eine aufgeklärte emanzipierte solidarische Aktion.

Marcel Spierts hat in einer breiten Analyse der niederländischen Gemeinde- undsoziokulturellen Arbeit Quartiersmanagement mit der Arbeit eines „Trapezkünst-lers“ beim Balancieren verglichen (vgl. Spierts 1998). Der Gemeinwesenartistmuss hochsensibel den Stabilitätsausgleich zwischen widerstrebenden Gewich-ten schaffen. Es geht eben nicht um die Leitung eines Quartiers oder dessen opti-mierte Versorgung, nicht um die Beglückung von Dritten oder um ablenkendes

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Entertainment, sondern darum, Menschen und Gruppen zu unterstützen, an denSchnittstellen ihrer eigenen Lebensmilieus und Differenzen zu anderen aktiv, pro-sozial und handlungsfähig zu werden. Kleine Alltagssorgen im Quartier müssenkein Gegensatz zu den großen Strategiefragen sein – entscheidend ist die Hand-lungschance und selbstbestimmte Handlungsfähigkeit im öffentlichen Raum.

Große Sanierungsprogramme können folgenlos sein, wenn nicht viele Menschenmit dem „Herzen“ erreicht werden, wie es der US-Sozialwissenschaftler Bellah(vgl. Bellah et al. 1987) gezeigt hat. Die Menschen müssen aus ihrer privaten Hautein Stück weit heraustreten, ohne Mitläufer zu sein, denn schließlich steckt auchin der kollektiven Hysterie und Gefolgschaft ein Stück Engagement. Die bekann-ten Muster der Skandalisierung, der Zuspitzung misslicher Vorgänge im Quartieroder der Lebenslage Benachteiligter machen das Mittel zum eigentlichen Zweck,während es doch darum geht, diese Vorgänge und Lebenslagen zur eigenen Sa-che zu machen und das Engagiertsein als einen Ausdruck dessen zu nehmen, dasses auf gesellschaftliche Lagen nur gesellschaftliche Antworten geben kann.

Bürgerengagement lebt aus erlebten, gestaltbaren Differenzen und dem produk-tiven Versuch, den Anteil Eigensinn und Individualität darin zu erkennen, das Ge-meinsame in aktiven Grenzverletzungen, Aktionen und vielfältigsten Kooperatio-nen auszuloten. Je weniger wirksam große Familien und Institutionen uns ihreNormen vorgeben, desto mehr hat jeder sein Alter, sein Alleinsein, seine Religi-onszugehörigkeit, sein Hobby, seine Neigungen auf der Bühne der Gesellschaftselbst zu verteidigen. In der Regel geschieht dies mit Brauchtumspflege der neuenArt: Frauen, Senioren oder Mitglieder bestimmter Glaubensrichtungen tun sichverstärkt zusammen. Es kommt darauf an, in der Öffnung dieser unterschiedlichenMilieus die allseitige Wertschätzung zu erhöhen. Seniorenclubs kochen für Wär-mestuben, Motorradfahrervereine gestalten eine Behindertenausfahrt, Umwelt-gruppen kooperieren mit Managern. Differenzerfahrungen werden zu Reibungs-punkten bei jenen Bürgern führen, die nicht von vornherein ein altruistisches, für-sorgliches Engagement propagieren. Selbst die Institutionen im Quartier tun sichschwer mit „Zuständigkeitsüberschreitungen“ und haben zahlreiche Rechtferti-gungen dafür: Die Fördervorschriften ihrer Zuschüsse erlaubten es nicht, die Pro-fessionen hätten dies nicht gelernt, die Haftungsfragen seien ungeklärt, die eigeneKlientel werde „überfremdet“.

Im öffentlichen Diskurs gelten Eindeutigkeiten, Sicherheiten, Ausschließlichkei-ten, Richtlinien usw. Nun ist aber weder jeder Deutschtürke hedonistisch oder ar-beitslos noch wird jedes Großelternpaar in der eigenen Familie versorgt, wederhat jeder Sponsor immer ganz begriffen, was er fördert, noch klären Versicherun-

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gen die wirklichen Risiken. Nicht alle Migranten müssen integriert werden undumgekehrt sind wahrlich nicht alle deutschen Senioren integriert. Differenz undIntegrationsbedarf ergibt sich nicht exklusiv für bestimmte Menschen, sonderngehört als ein Element zur Modernität unserer Lebensformen, betrifft also im un-terschiedlichen Maß jeden. Dieser soziale Prozess des Wandels wird nicht zumStillstand kommen. Ulrich Beck fordert deshalb eine „reflexive Moderne“: Die Ins-titutionen – nicht nur die Individuen(!) – sollen lernen, wie mit Unsicherheit, Un-gewissheit, Ambivalenz umzugehen ist (vgl. Beck/Lau 2004).

Quartiersmanagement jongliert mit solchen Lebensentwürfen, Milieus und Teil-habewünschen und balanciert sie mit Sachzwängen, Ressorts, Großorganisatio-nen oder Verbänden aus, ohne die Veränderungen nicht nachhaltig wären. Indi-viduelles Fallmanagement und politische Strategiearbeit müssen beim Quar-tiersmanagement kein Widerspruch sein. Ziel des Quartiersmanagements ist letzt-lich der engagierte Bürger und nicht das Quartier als solches. Ziel der Stadtent-wicklung ist dann die Pflege des Quartiers, in dem Verwurzelung und aktiver Auf-bruch möglich sind.

Stadtentwicklung wird sich noch weiter wegbewegen von der Bauerschließungund Wohnbebauung hin zu einer stadtgesellschaftlichen Entwicklungsarbeit. Bür-gerengagement ist in der Stadtentwicklung weniger ein Mittel zum Zweck derBaurealisierung, sondern es ist selbst ein Stück des Zieles, dem die Stadtentwick-lung zu dienen hat: Menschen Raum zu bieten, in dem sie sich engagieren wol-len, und Chancen und Anlässe für ein solches Engagement. Es gilt, Quartiere zu-nehmend so zu definieren, dass sie in Abwägung ökonomischer und zivilgesell-schaftlicher Sachzwänge einen Aufforderungscharakter haben und einen Hand-lungsspielraum für Menschen bieten. Das gilt unter den Bedingungen des demo-grafischen Wandels im Besonderen und für Milieus im Allgemeinen. Diese liegen„unter Tage“ und müssen in ihrer Verschiedenheit „gehoben“ werden. Sie schie-ben Generationen, Geschlechter, Religionen, Einkommensschichten und Ethnienzusammen und auseinander. An ihren Schnittstellen kann das Bürgerengagementerwachsen, das die Stadtgesellschaft letztlich zusammenhält.

Was Schule und Qualifikation für die Wissensgesellschaft sind, das sind Engage-mentpolitik mit offenen Institutionen und Teilhabechancen für alle für die Städteder Zukunft. Der Zusammenhalt der Stadtgesellschaften hängt von der Belebungder Bürgerschaft ab. Vorübergehend wird es dafür eigene Bürgerzentren, Foren,Ämter oder Stabstellen brauchen mit dem Ziel, sich quer einzumischen, sowohlauf Dezernenten- als auch auf Ämterebene. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dasseine solide Engagementpolitik sehr viel mehr Konflikte auslöst, als gemeinhin an-

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genommen wird. Bürgerschaftskompetenz, Projekte, Netzwerke, individuellesEngagement stellen Herrschaftsstrukturen in Frage und schichten den Stellenwertvon Gruppen in der Stadtgesellschaft um. Herrschaftslogiken aufzubrechen, ruftWiderstände hervor – auch im zivilgesellschaftlichen Bereich. Die klassischeStadtplanung tut sich noch schwer damit, Bürgerengagement anders darzustellenals in Broschüren (mit Methoden wie den Bürgerzirkeln), mit Marketingveranstal-tungen (mit Slogans wie „Die beste Bürgerstadt schlechthin“) oder empirischenErhebungen, welche Stadt die meisten Vereine hat. Stadtplanung muss ein breite-res Bild von Engagement in der Stadt abbilden und sich im Sinne der Aktionsfor-schung auch an den Schnittstellen einsetzen, an denen Bürger Parteilichkeit be-anspruchen. Die Notwendigkeit einer Bürgerengagementpolitik wird darin deut-lich, wie nachhaltig erfolgreich vernetzte Projekte auf die daran beteiligten Bür-ger wirken. Zygmunt Baumann nennt die Fähigkeit, im größten „Multikulturalis-mus“ nicht zum Konsens, sondern zu Kommunikation und wechselseitigem Ver-stehen zu kommen, eine zwingende Notwendigkeit für das Überleben der De-mokratie: „Individuelle Freiheit kann nur das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungsein“ (Baumann 2000).

5. Perspektiven der Bürgergesellschaft

5.1 Zur Zukunft der Städte

Die Welt des Bürgerengagements ist zuerst einmal lokal; die Herausforderungenan die Bürgergesellschaft aber sind global. Oskar Negt hat noch vor der großenFinanzkrise der Börsen und damit des freien Kapitalismus auf die Paradoxie hin-gewiesen, dass sich der vermeintlich triumphierende Wirtschaftssektor, je mehrer sich des Staates entledigt, selbst zerstört (Negt 1999). Am Ende bedarf es wie-der des Staates, für den ebenso wie für die Wirtschaft die Bürgergesellschaftnachrangig ist. Wenige Jahre zuvor wurde der Leviathan Staat, der unbezahlbareund unregierbare Staat virtuell zu Grabe getragen. Allen stand der schlanke, er-möglichende und aktivierende, aber vielen auch der schwache Staat vor Augen.Jahrzehntelang wurde beschworen, dass das Bürgerengagement den (Sozial-)Staatkeinesfalls ersetzen dürfe, und die meisten Engagierten beteuerten, den Staat auchkeinesfalls „lieben“ zu wollen.

Es wurde der individuelle Egoismus und die Schwäche des Bürgerengagementsals „unzuverlässig“ und „mittelstandslastig“ doppelzüngig beklagt, anstatt konse-quent an der Befähigung der Bürgerschaft zu arbeiten. Von der Schule bis zur Er-wachsenenbildung und dem „learning by doing“ in Verwaltung, Parteien, Verei-nen und Wirtschaft gilt es, die Befähigung nicht den Kultusbürokratien zu über-lassen und sie nicht auf Formalbildung und Wahlvorgänge zu beschränken. „Ein-

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mischen in die eigenen Angelegenheiten“ (Max Frisch) ist immer noch der ein-fachste Ansatz, mit dem Engagement beginnt.

Je mehr sich die globalen Konflikte zuspitzen, umso eher erstarken die ideologi-schen Debatten zwischen Staat und Markt. In Sonntagsreden wird auf eine ro-mantische Verklärung der „sozialen Marktwirtschaft“ zurückgegriffen. Differen-zierter vielleicht fällt die Perspektive aus, dass Europa im globalen Wettbewerbmit einer spezifischen Variante „ökosozialer Marktmodelle“ eine Chance habe,wenn sie bei den asiatischen Netzwerkökonomien Anleihen nehmen könne – ge-gen eindimensionale und Mensch oder Natur ausbeuterische Ordnungsmodelle(Radermacher 2008). Es braucht Konzepte, die weiter führen als duale Konflikt-und Konsensmodelle von Staat versus Wirtschaft, Arbeitgeber versus Arbeitneh-mer oder Verwaltung versus Bürgerschaft.

Ähnliches gilt in den Städten, wenn es um Konzernentscheidungen über Arbeits-plätze oder um Standortmarketing geht. Ähnliches gilt für die Stadtplanung, beider es bestenfalls um Beteiligung der Bürger und um ein Aushandeln zwischenStaat und Wirtschaft geht. Ähnliches gilt für den zivilgesellschaftlichen Sektor,dessen Vereine, Initiativen und Projekte marginalisiert werden, wenn sich Schul-,Familien- und Arbeitsplatzkarrieren verändern, wenn die Flexibilität der Arbeit-nehmer jede Verbindlichkeit im Verein unmöglich macht. Und ähnliches gilt beiStiftungen und sozialem Wirtschaftsengagement: Noch sind es nur neue Akteure,die ihre ernsthafte Kooperation und Koproduktion im trisektoralen Feld beweisenmüssen. Was tragen sie zur Stärkung der Bürgerschaft, zur Wahrnehmung vonRechten und Pflichten, von Eigenverantwortung und Solidarität bei? Viele versu-chen, in dieser Defensive des Bürgerengagements und der BürgergesellschaftChancen zu erkennen. Noch nie seien die Bürger so kompetent und offen gewe-seb, die Institutionen so niedrigschwellig für alle und die kulturelle Vielfalt so be-reichernd.

Es stimmt: Die Potenziale sind nicht ausgeschöpft. Die Beispiele im Land zeigen,dass alle Milieus erreicht werden können und ernsthafte Koproduktionen lokalerWohlfahrt möglich sind. Aber es braucht eine klare Vorstellung dessen, was mitder Bürgergesellschaft gewollt wird. Wenn diese nur auf Kosten des Sozialstaatesoder zugunsten eines schwachen Staates zur Ablenkung von einer „unkontrol-lierbaren“ Wirtschaft gewollt wird, wird es keine Bürgergesellschaft der prinzipi-ell freien, gleichen und verantwortlichen Bürger geben. Es bedarf einer präzisengesellschaftspolitischen Ortsbestimmung, die die Sehnsucht, „eine zivile Ord-nung herzustellen, in der die Menschen wieder lernen, dass sie aufeinander an-gewiesen sind und dass sie einander brauchen“ (Senett 1998), zusammenbringt

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mit den pragmatischen, konkreten, konfliktreichen Niederungen der Politik, denVerfahren der Problemlösung und Entscheidungsfindung in repräsentativen De-mokratiemodellen. Noch bietet die Bürgergesellschaft ein unübersichtliches Mo-saikbild von „Dienstleistungsfragmenten“: Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen,Mehrgenerationenhäuser, Pflegestützpunkte, Bürgerbüros, Nachbarschafts-heime, Quartiersmanager, Selbsthilfekontaktstellen, Civitas-Netzwerkknoten. ImIdealfall bilden sie ein Ensemble milieu- und anlassbezogener Anschlussstellenfür Bürgerengagement, im schlimmsten Fall ein Sammelsurium mit sich selbst undder eigenen Finanzierung beschäftigter Missionsstationen der Bürgergesellschaft.Auch dies ist eine Folge davon, wenn auf politischer Spitzenebene von Ministe-rien, Parteien und Verbänden zu ambivalent, zu unentschieden von Bürgerge-sellschaft die Rede ist.

Selbstverständlich braucht die Bürgergesellschaft einen starken, aber selbstkriti-schen Staat und eine effiziente und nachhaltige Wirtschaft. Konservative Populis-ten trennen dies, weil sie einerseits das Bürgerengagement, bildlich gesprochen,auf eine Wiese vor der Stadt stellen möchten und andererseits die Bürgergesell-schaft nicht mit ihren eigenen Widersprüchen, Herrschaftsstrukturen, aber auchihrem legitimen Förder- und Qualifikationsbedarf konfrontieren wollen. Sie wol-len einfach einen guten und zufriedenen Bürger, ohne ihm letztlich zu vertrauen.Dem steht eine populistische Linke nicht nach; mit Ausnahme weniger militanterAktionen ist für sie das Bürgerengagement Mittelstandserscheinung und irrelevantfür das „gute Leben“ (Walzer).

Die Bürgergesellschaft hat heute – ob mit oder ohne klassischer Förderungspolitik– eine unübersehbare Breite, Differenziertheit und Widersprüchlichkeit entwickelt.Sie wird auf der konkreten Ebene der Engagierten und ihrer Projekte zum Abbildmoderner Milieus und neuer Spaltungen und Gesellungen in der Gesellschaft. Bür-gerengagement ist eine produktive, ökonomische Größe als koproduktive Da-seinsvorsorge und ein Forum von Lebensformen und Positionierungen um kultu-relle Hegemonien herum. Wer hat die Deutungshoheiten in der Mediendemokra-tie? Wie werden sich die Bürger über ihre Institutionen und ihre Milieus einbringenund welche Muster werden Oberhand gewinnen? Dabei gibt es keinerlei Garantie,dass dies immer nur in Richtung der Vorherrschaft moderner Lebensmilieus gehenmuss. In Zeiten globaler Unsicherheiten wird es auch Rückschritte, Rehierachisie-rungen oder den Neofundamentalismus geben. Die Entwicklung des Bürgerenga-gements wird auch darauf seismographisch reagieren, wie zuletzt in den USA: Mit-ten in die Ermüdung der Bush-Ära und die ökonomische Marginalisierung großerBevölkerungsgruppen im Zuge der Finanzkrise trat die „Gegenbewegung“ breiter(und junger!) Bevölkerungsschichten zugunsten Präsidents Obama ein.

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In den Städten ist noch wenig politischer Handlungswille, Zivilcourage und sys-tematisches Planungswissen für die Entwicklung von Bürgerengagement vorhan-den. Noch beschränkt es sich auf die „Auslagerungen“ der Engagementaufgabenin Förderagenturen und Anerkennungsprogramme. Manche Empfehlung ähnelteher einer Werbe- oder Marketingagentur als einem strategischen Vorgehen, umauf den Stand der Dinge und den Zustand der Bürgerschaftsseele angemessen zureagieren. Die praktisch- lokale Bürgergesellschaft als „Projekt der Projekte“ ent-steht nicht durch die Gewinnung einiger Helfer, sondern durch den Umbau poli-tischer Prozesse und Verfahren, für den es Wissen und Haltungen braucht.

5.2 Leadership im Bürgerengagement

Neben der konkreten Quartiers- oder Projektarbeit erfordert die Stärkung der Bür-gergesellschaft im größeren kommunalen und politischen Raum ein methodischgesichertes Vorgehen, eine Verständigung über Zuständigkeiten und eine umfas-sende Qualifizierung der Akteure. Dies ist in einigen Städten an vielen Integrati-onsbeispielen gelungen mit erheblichen positiven Auswirkungen auf Menschen,Institutionen und deren Öffnung. An anderen Stellen bleibt der Wandel vorläufig,bruchstückhaft und ruft Widerstände hervor, besonders wenn es um die Fehlein-schätzung geht, Engagement sei nur reine Interessenvertretung der „Sprechenden“und nicht aller – auch der „Unsichtbaren“ – in dieser Gesellschaft. Zu dieser Ver-kürzung neigen verständlicherweise auch kleine Parteien, Bürgerinitiativen oderSelbsthilfegruppen und treffen damit bei den Volksparteien auf Ablehnung. Wi-derstände in bürgerschaftlichen Prozessen sind weniger Verständigungsproblemebei Innovationen als versteckte Interessenkonflikte um Meinungsführerschaft undLegitimationsmacht. Die Entwicklung hin zu intelligenteren, lebensweltnäherenund flexibleren Lösungen, der Weg weg von der Dienstleistungskommune zur ko-produktiven Bürgerstadt wird vernachlässigt (vgl. Osner/Witte 2008).

Stadtentwicklung wird sich in turbulenten globalen Zeiten auf Alexander Mit-scherlichs Auftrag von 1965 besinnen müssen, dass die Kommune der „Ort derEntstehung der Freiheit als Lebensgefühl“ und heute der Ort der Ermöglichung vonBürgerengagement sein muss, also der Umsetzung von Rechten, Pflichten, Rollenund Teilhabechancen aller in der Stadt. Städte sind heute Kern künftiger Metro-polregionen. Was der antike Markt (Agora) und der städtische Markplatz des Mit-telalters war, nämlich die Verknüpfung von Handel, Wirtschaft und Zivilgesell-schaft, werden in postnationaler und postindustrieller Zukunft die Metropolen umKernstädte herum sein. Im heutigen Europa werden sie als Regionen definiert, inden USA als Metropolen. Ihre Leistungsmerkmale sind geknüpft an produktivesWachstum (Beschäftigung), inklusives Wachstum (Bildung, Human- und Sozial-

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kapital) und nachhaltiges Wachstum (Energie, Klima, Verkehrs- und Landschafts-politik) (vgl. Brookings 2007). Deren unmittelbare Verknüpfung untereinander er-fordert eine Politik, die ein Instrumentarium für alle Politikbereiche, also auch fürdie Bürgergesellschaft, entwickelt hat.

Die Instrumente einer ökologischen Energie- und Verkehrspolitik und auch einernachhaltigen Arbeitsmarktpolitik sind uns in Ansätzen bekannt, nicht aber derenWechselwirkung mit der Zivilgesellschaft und mit der Integrationsleistung von Zu-wanderungsgesellschaften. Welche Wirkung werden sie auf die Gerechtigkeits-fragen und das Vertrauen von Konsumenten und Bürger haben (vgl. Barber 2007)?Es wird genau solcher Wechselwirkungen in der Integrationspolitik bedürfen.Langfristige Einstellungsmuster sowohl bei den Einheimischen als auch bei denZugewanderten müssen durch aktive Teilhabemöglichkeiten und durch Chancenim Bildungsbereich und mit dem Rechtsstaat als Garant verändert werden. Ähn-liche Wechselwirkungen braucht es bei der Arbeitsplatzpolitik. Kurzfristiger Job-politik und flexiblen Arbeitsmarkteinsätzen muss eine Chance zu längerfristigenStandort-, Heimat- und Vereinsbindungen gegenüberstehen mit der Kommune alsGarantin für optimale Verbindungen von Mobilität, Arbeit, Familie und Wohnen.

Im Vergleich zwischen Europa und den USA erscheint die Mobilisierung vonCommunities eine amerikanische und die Infrastruktur eine europäische Stärke.Der US-amerikanische Weg setzt für die Zivilgesellschaft aufgrund der langen Zu-wanderertradition ganz auf die Persönlichkeitsentwicklung. Einzelpersönlichkei-ten haben dort die hohe Leistung der Integration in eine moderne Zivilgesellschafthervorzubringen. Sie sollen die Führer – leadership – der nächsten Generationsein (vgl. Plehwe/Bohne 2008). Überall werden in den USA Leadership-Kurse an-geboten, Bürgerengagement auf die Schienen großer Leistungstugenden gesetzt.Inhalte sind sowohl die Lebensführung als auch die Verhandlungsführung, dieSachkompetenz und die Sozialkompetenz, für sich und für andere Verantwortungzu übernehmen. Anders in Europa: Die Führungsfunktionen in den europäischenZivilgesellschaften scheinen mit den „natürlichen“ Vertretern der politischenKlasse besetzt zu sein; sie warten nicht auf die Abgänger bürgerschaftlicherFührungskurse. Neues Engagement kann, soll und darf in Europa nur bei den jun-gen und den alten Menschen entstehen. Damit aber werden Herrschafts- undFührungsfragen umgangen. In den europäischen Zivilgesellschaften wird derhohe Stellenwert noch unterschätzt, den eine aktiv zivilgesellschaftlich qualifi-zierte Gesellschaft für jede Art von zukunftsfähiger Ökonomie spielt. Notwendigist ein Verständnis von Bürgerengagement, das sich eindeutiger an der Identitäts-bildung der jeweiligen Bürger in der Gesellschaft orientiert. Notwendig ist auchdie Mitgestaltung der Milieugruppen und die Integrationskraft des Bürgerengage-

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ments für den Zusammenhalt vielfältiger Gesellschaften. Neben der Fähigkeit desSich-Zusammenschließens (bonding) ist die Fähigkeit des Brückenbauens (brid-ging) zu betonen (vgl. Schnur 2008).

Die europäischen Qualifizierungsvorstellungen sind stark staatsorientiert vom al-ten Ehrenamt geprägt und brauchen stärker die Kompetenz, teilautonom zu führenund zu organisieren. Sowohl Menschen als auch Metropolregionen müssen stän-dig neue integrierte Lösungen finden. Die alten Institutionen und Ressorts brau-chen neue und wechselnde Verhandlungspartner. Solche Verhandlungen zeit-und problembezogen, gemeinwohlorientiert und nachhaltig führen zu können, isteine Kompetenz von erheblicher Tragweite. Sie betrifft weniger die organisierteInteressenvertretung als die Fähigkeit zu vertretbaren und pragmatischen Kom-promissen. In Europa wird unter Qualifizierung im Bürgerengagement vorrangigverstanden, Interessen effektvoll bis zur nationalen Entscheidungsebene durch-strukturieren zu können. Nachhaltige neue Lösungen in den Kernlandschaftenkünftiger Weltökonomie und in den vielkulturellen Quartieren unserer Städtebenötigen aber variable Problemlösungsverfahren und neue Verfahrenswege, diedem „geheimen Lehrplan“ der Bürgergesellschaft gerecht werden. Dieser ge-heime Lehrplan orientiert sich an anderen Spielregeln als Staat und Wirtschaft.Staat und Unternehmen werden als Garanten des sozialen Rechtsstaates und derwirtschaftlichen Prosperität benötigt. Im zivilgesellschaftlichen Wertekanon da-gegen zählt, was die Bürgerschaft als Ganze für den Einzelnen identitäts- und in-tegrationsfähig macht und was sie an Teilhabe und Solidarität erfahren lässt.Nachhaltige bürgerschaftliche Lösungen geben dem Bürger genauso viel Zeit,dies zu erproben und zu erlernen, wie es die Institutionen selbstverständlich beiGesetzesänderungen oder technischen Umstellungen für sich in Anspruch neh-men. Es gilt, in einer modernen transnationalen Sozialpolitik Betroffene zu Betei-ligten zu machen (Pries 2008), mit ihnen „in Verhandlungen zu treten“ und Trans-fers und Dienstleistungen stärker aus ihrer passiv machenden Funktion zu lösen.

In der Debatte um die Qualifizierungsschritte in der Bürgergesellschaft bewegt sichdas Pendel von der Schulung im Stile der „Kaderschmiede“ über den „Wissens-vermittlungskurs“ bis zum staatsbürgerlichen Erziehungs-Curriculum (vgl. die Ci-tizenship-Programme der EU und die Ansätze der Deutschen Gesellschaft für De-mokratiepädagogik). Ansätze der Leadership-Kurse aus den USA finden sich beider Bertelsmann Stiftung mit dem Kurs „Brückenbauer der Integration“, dem Ma-trix-Kurs von common purpose oder den „Peerleaders“ der Freudenberg-Stiftung.Die hier vorgestellte Einbettung von Haltungen und Führungskompetenzen in derBürgergesellschaft, quasi in das Top-Management für neue Zukunfts-herausforderungen, ist dem konsensorientierten Ansatz in Deutschland fremd.

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Richtig aber ist, dass eine vielkulturelle Gesellschaft neben den politischen Rah-menbedingungen auch Vorbilder benötigt, die Eigenverantwortung und Solidaritätvorleben und die Multiplikatoren sind, auf die weder Verbände noch Wirtschaftverzichten können. Gemeinschaftsinteressen zu erkennen, zu Gehör zu bringen,neu zu formieren, zwischenzeitlich zu interpretieren, Spielräume auszuloten,pragmatisch und normativ zugleich vorzugehen und sich ständig wechselnden An-lässen zu stellen, ist eine höchst anspruchsvolle Führungsaufgabe in einer Zivilge-sellschaft. Sie benötigt auch das Vertrauen Dritter in den „Brückenbauer“ und um-fasst eine Arbeit am Fremdbild der Protagonisten. Bisher erwuchs solches Ver-trauen hierzulande aus Massenloyalität und Auswahl des Führungspersonals. Künf-tig wird Vertrauen stärker erwachsen aus Authentizität, Transparenz und aus derBereitschaft, im Team auf Zeit zu arbeiten, sowie aus der Kompetenz, sich Sach-wissen anzueignen und durch Haltungen zu überzeugen (vgl. Stengel 2008).

Solche Persönlichkeiten müssen nicht ausgereift und ihre Führungsrollen keinemystischen Anführerrollen sein. Es ist eher verwirrend, den Heldenrummel der Me-dien über Freiwillige zu lesen. Führungsaufgaben in der Bürgergesellschaft erfor-dern auch die Notwendigkeit, sich mit den Grenzen von Macht, der Anstrengungvon Kompromissen und der eigenen individuellen Leistungsfähigkeit auseinander-zusetzen und damit emphatisch zu sein für den Mitbürger, den man zum Engage-ment ja gewinnen will. Kommunen werden sowohl mehr Bürger als bisher als auchmehr Mitarbeiter als bisher mit diesen Anforderungsprofilen benötigen, um den Zu-kunftsanforderungen lokaler Stadtentwicklung unter globalen Bedingungen de-mokratisch gerecht zu werden. Die Bürgerschaft muss auf eine authentische undpersonenzentrierte Art ernst genommen, beteiligt und herausgefordert werden, da-mit sie ihrerseits den sozialen Wandel und die Vielfalt leben und demokratisch ge-stalten kann. Bürgerengagement wird so zu mehr als einem reinen Mittel der Bür-gerbeteiligung. Es ist Teil der Identitätsbildung und Lebensführung in der Moderne.

Wo eine Stadt ihrer Bürgerschaft das Engagement nicht nur ermöglicht, sondernsie dazu auffordert, sie vernetzt, individuell stärkt und mit Herausforderungen desWandels konfrontiert, wo sie sich in die demokratische Alltagsbildung aller ihrerBürger einmischt, wird sie ihrer Rolle als Integrationszentrum gegen die zentrifu-galen Kräfte einer gespaltenen, parzellierten Gesellschaft gerecht. Dort verdientsie, sich im Sinne von „Citizen Governance Work“ für das nächste Jahrzehnt zurüsten (vgl. Box 1998). So vermeidet die Stadt, sich zurückzuentwickeln zu einemfestungsähnlichen, erstarrten, kurzum manipulierenden, passiven Ort gegen dieglobalisierte Welt „draußen“, um kein Spielball eines beliebigen Wirtschafts-standortes oder Unterhaltungsjahrmarkts zu sein. Genau hierin zeigt sich eine an-gemessene Engagementpolitik.

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Abbildungen

Übersicht

1) SIGMA Milieus in Deutschland (Quelle: SIGMA).2) Die SINUS-Milieus in Deutschland (aus: vhw Forum Wohneigentum, Heft

1/2008, S. 49).3) Erwartungen an freiwilliges Engagement (aus: Sozialministerium Baden-

Württemberg 2000, S. 67).4) Motive, die neues bürgerschaftliches Engagement fördern (aus: Ueltzhöffer

1996, S. 100).5) Das ist den Bürgern „sehr wichtig“ (aus: Sozialministerium Baden-Württem-

berg 1997 a, S. 59).6) „Bürger können ... viel bewegen“ (aus: Augsburg 2003, S. 62).7) „Bürger können ... wenig/überhaupt nichts bewegen“ (aus: Augsburg 2003,

S. 66).8) Freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement in Vereinen (aus: Augsburg

2003, S. 76).9) Freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement in Schule, Kindergarten (aus:

Augsburg 2003, 80).10) Interesse, sich dort in Zukunft zu engagieren (aus: Augsburg 2003, S. 100).11) „Ich bin auch Menschen gegenüber offen, die ich nicht sehr gut kenne“ (aus:

Sozialministerium Baden-Württemberg 1997 b, S. 45).12) Augsburg: Milieustruktur (aus: WBG 2007, S. 76).13) WBG Augsburg: Milieustruktur (aus: WBG 2007, S. 78).14) Die Migranten-Milieus in Deutschland 2007 (aus: Kunz 2008, S. 131).15) Magisches Viereck der Engagementförderung (eigene Skizze).

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Abbildung 14

Wertegrundlagen, Themen,Politische Kultur (Leitbilder)

Differente Milieusder Stadtgesellschaft

Methoden derGemeinschafts-bildung(beteiligend,organisierend,berücksichtigend)

Führungs- undVerfassungs-strukturen (Zu-ständigkeiten,Führungsstile,Infrastruktur)

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Der Autor

Konrad Hummel, geb. 1951, Dr. rer. soc., Studium in Frankfurt a.M., 1977–1987:Heimleitung in Fellbach, 1987–1990: Leitstelle Älterwerden in der Stadt Augs-burg, 1990–2002: Leiter der Geschäftsstelle Bürgerengagement und Seniorenge-nossenschaften im Sozialministerium Baden-Württemberg, 2002–2008: Sozial-dezernent der Stadt Augsburg (berufsm. Stadtrat), seit 2009: WissenschaftlicherMitarbeiter des Verbandes Stadtentwicklung (vhw), Berlin. Beiratsmitglied derZeitschrift „Blätter der Wohlfahrtspflege“, Mitbegründer des BundesnetzwerkesBürgerengagement (BBE) und Mitglied in zahlreichen Fachverbänden, zeitweiseMitglied der Arbeitsgruppe des Bundespräsidenten zum Bürgerengagement.

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