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Die Bruderschaft des Großen Meeres

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1.

Drei Männer kauerten hinter den Felsen und starrten

hinüber auf den nächtlichen Marktplatz von Candis.

Mitternacht war vorüber, und der Platz lag leer wie

auch die Kais. Die Schiffe, die eines neben dem andern

ankerten, waren dunkel und ohne Lichter. Des Königs

Flaggschiff, die Seehexe, war das einzige, auf dem noch

vereinzelte Lampen brannten.

Sie war das Ziel der drei Männer, aber um sie zu

erreichen, mußten sie den Platz überqueren, und das

war noch immer unmöglich, ohne daß die Deckwachen

auf dem Flaggschiff sie bemerkten.

Der Grund dafür, der den Männern leise Flüche

entlockte, waren die Fackeln, die an den Eingängen

dreier Tavernen brannten, und deren flackerndes Licht

die Männer von ihrem Vorhaben abhielt.

»Wie lange brennen die verdammten Dinger noch?«

murmelte der eine mit zusammengepreßten Lippen.

»Ich glaube, sie lassen sie niederbrennen.«

»Ja, du magst recht haben, Daraq. Das wird noch

eine ganze Weile dauern. Was tun wir, Kommandant?«

In den Tavernen war seit geraumer Weile alles still.

Die letzten Zecher hatten sie längst verlassen. Die

schweren Läden waren geschlossen. Daraq hatte recht.

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Der Wirt würde sich nicht mehr um die Fackeln

kümmern. Er schnarchte längst in seiner Kammer.

Der Kommandant der Gruppe, ein Hüne von

Gestalt, verzog das Gesicht.

Im Widerschein des Lichtes sah es aus, wie das

zerfurchte, boshafte Antlitz eines Trolls. Die lange

Narbe auf der linken Wange trug nichts dazu bei, den

abschreckenden Eindruck zu schwächen.

»Wir werden sie löschen müssen. Das hält uns zwar

auf, aber es geht vermutlich schneller, als hier zu

warten, bis sie niedergebrannt sind. Außerdem werde

ich krumm, wenn ich noch lange hier kauere. Wer

geht? Qarin?«

Der Angesprochene nahm seinen Bogen von der

Schulter. »Wie wäre es damit, Kommandant?«

Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nein. Ich

bezweifele deine Treffsicherheit nicht. Aber die Fackeln

stecken zu tief in den Halterungen, als daß ein Pfeil sie

herausholen könnte. Abgesehen von dem Lärm, den

der Beschuß verursachen würde. Es ist schade um die

Geschosse. Wir könnten sie noch brauchen, mögen die

Götter es verhüten. Wenn du aus einer der Gassen

kommst, wird niemand Verdacht schöpfen. Du löscht

sie aus, als wäre es deine Aufgabe, das zu tun. Laß dir

Zeit, es darf nicht nach Hast oder Verstohlenheit

aussehen. Ich bin sicher, daß die Deckwachen der

Seehexe die Fackeln im Auge haben. Deine Uniform als

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Soldat des Königs wird die Sache unverdächtig genug

erscheinen lassen. Also vorwärts.«

Qarin nickte, legte seinen Bogen ab und den Köcher

und war einen Moment darauf zwischen den dunklen

Felsen verschwunden.

Es dauerte längere Zeit, bis sie ihn in einer

Gassenmündung auftauchen sahen. Er ging ohne zu

zögern auf die erste Taverne zu, nahm die erste Fackel

aus dem Eisenring und tauchte sie in das

Wasserbecken daneben, das zu diesem Zweck dort

stand. Das Zischen drang deutlich bis zu den beiden

Männern. Die zweite Fackel verlosch. Die dritte, vierte

...

Niemand nahm daran Anstoß, und der Platz wurde

dunkel. Die beiden Männer atmeten auf, als Qarin

wieder bei ihnen auftauchte. »Alles klar, Kommandant.

Laß mich einen Augenblick verschnaufen. Könnte ja

sein, daß wir es plötzlich eilig haben.« Er grinste.

So warteten sie, bis Qarin seine Waffen wieder

aufnahm. Dann liefen sie gebückt, mit bloßen Füßen,

im Schutz der Dunkelheit auf das Flaggschiff zu. Es

war ein kitzliges Gefühl, denn eine der Deckwachen

mochte sie bemerken und einer von den Kerlen sein,

die erst schossen und dann fragten.

Doch sie erreichten das Schiff unbemerkt. Der Koloß

ragte vor ihnen hoch. Kleine Wellen brachen sich an

den Bordwänden mit leisem Plätschern. Das war gut,

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denn es würde kleine Geräusche übertönen.

Daraq war der erste, der den Weg über das Seil

nahm.

Als er die Reling fast erreicht hatte, schien die

Wache vom Bug irgendeinen Verdacht geschöpft zu

haben, denn der Mann tauchte nicht weit von Daraq

entfernt an der Reling auf und starrte in das dunkle

Wasser. Überraschenderweise bemerkte er Daraq nicht.

Nach einem Augenblick verschwand er, und sie hörten

seine Schritte sich zum Bug hin entfernen.

Qarin ließ aufatmend den Bogen sinken. Daraq

schwang sich über die Reling und war einen

Augenblick verschwunden. Als er wieder auftauchte,

winkte er den beiden zu.

Der Kommandant angelte sich als nächster an dem

Seil hoch. Als er an Deck sprang, sah er in ein paar

Schritt Entfernung den Wachposten liegen, gefesselt

und geknebelt und offenbar noch ohne Bewußtsein.

Gleich darauf war auch Qarin an Bord. »Keine

Wache am Heck?« flüsterte er.

»Sucht sie und macht sie unschädlich«, befahl der

Kommandant. »Dann laßt ein Boot zu Wasser, und

kappt die Taue von den übrigen. Und haltet euch

bereit. Mag sein, daß es rasch gehen muß, wie du schon

sagtest, Qarin.«

Er wartete einen Augenblick, bis die Männer in der

Dunkelheit mittschiffs verschwunden waren. Die

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Seehexe war ein schneller Segler, ein Dreimaster wie

die Schwarze Wellenreiterin, auf der er schon mit

Kapitän Jaggar zusammen in Balava und Kyrien

gewesen war. Er fand sich auf ihr recht gut zurecht.

Auf einer der Galeeren wäre es schwieriger gewesen.

Daß sie Jaggar nicht auf einer der Galeeren ans

Ruder gekettet hatten, konnte nur eines bedeuten- daß

sie Wichtigeres mit ihm vorhatten. Er war immerhin

der Vertraute des Königs gewesen.

Jaggar hatte recht gehabt mit seiner Behauptung, mit

dem König sei nicht alles richtig, seit dieser

Schlangenpriester nicht mehr von seiner Seite weicht.

Er hörte vom Heck her ein ersticktes Aufstöhnen. Sie

hatten die Wache.

Rasch schlich er zur Kajütentreppe. Die

Kapitänskajüte war leer. Der König würde erst im

Morgengrauen an Bord gehen mit dem Priester. Sie

mußten Jaggar irgendwo in den Laderäumen

eingeschlossen haben.

Er schlich an Deck zurück. Ein leises Scharren an der

Bordwand sagte ihm, daß Daraq und Quarin dabei

waren, das Boot hinabzulassen.

Er erreichte den Niedergang zu den

Mannschaftsräumen. Daran mußte er vorbei, wenn er

zu den Laderäumen wollte. Der Kommandant fluchte

lautlos. Es war eine Mausefalle. Wenn einer der

Mannschaft ihn hörte und neugierig wurde, war der

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Teufel los.

Dann war es am besten, er schloß sich gleich selbst

mit Jaggar ein.

Er dachte, daß sie Jaggar ebensogut irgendwo in den

Mannschaftsräumen eingeschlossen haben mochten.

Das würde eine Befreiung unmöglich machen.

Er wußte lediglich, daß Jaggar sich auf dem Schiff

befand. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hatten sie

ihn an Bord gebracht. Das hatte er beobachtet.

Vorsichtig schlich er an den Kajüten vorbei.

Schnarchen drang nach draußen. Da drinnen schien

alles zu schlafen.

Er erreichte die Laderaumeingänge. Die Finsternis

war absolut. Er schob den schweren Riegel zur Seite,

öffnete vorsichtig die Tür – fingerbreit um fingerbreit,

denn sie knarrte, als gelte es, Tote aufzuwecken. Doch

niemand erwachte. Er steckte den Kopf in die lautlose

Finsternis dahinter. Er öffnete den Mund, um leise

nach Jaggar zu rufen. Bevor er einen Laut

herausbrachte, war eine Bewegung vor ihm. Hände

faßten ihm ins Gesicht, glitten tiefer und hatten ihn in

würgendem Griff am Hals, bevor er dazu kam, eine

abwehrende Bewegung zu machen.

Er wurde nach innen gerissen, während die Tür

knarrend ganz aufflog und gegen die Wand knallte. Er

bemühte sich verzweifelt, einen Aufschrei zu

unterdrücken. Gleich darauf fiel es ihm nicht mehr

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schwer, denn die Hände drückten erbarmungslos zu,

und er hätte keinen Laut mehr hervorgebracht, selbst

unter größter Anstrengung. Ein Schwindelgefühl

erfaßte ihn. Er versuchte, seinem Gegner

zuzukrächzen, daß er ein Freund war, aber das

mißlang völlig. Denn der erste krächzende Laut

veranlaßte den anderen, den Druck seiner Hände noch

zu verstärken. Noch immer schien niemand etwas

bemerkt zu haben.

Von plötzlicher Wut erfüllt über diese irrsinnige

Situation, in der das Opfer seinen Befreier auf die

Balken legte, und unter Mißachtung aller Vorsicht ließ

er sich fallen und riß seinen Gegner, der niemand

anderer als Jaggar sein konnte, mit sich. Sie stießen

gegen irgendwelche Fässer, vermutlich Ölfässer, und es

gab ein höllisches Gerumpel. Den anderen schien das

nicht zu stören, aber für ihn selbst gab es nur noch

eines- ‚raus hier, bevor jemand sein Gesicht sah und

erkennen konnte, daß der Kommandant von Pequa

sich auf das Schiff des Königs schlich. Das würde das

Ende bedeuten.

Er bekam seinen Gegner an den Haaren zu fassen

und riß ihn nach vorn über seinen Kopf. Das ging nicht

ohne einen Aufschrei vor sich, aber die Hände gaben

seinen Hals frei. Er bekam wieder Luft.

»Ich bin es Moraq«, keuchte er. »Nergins Bart«,

entfuhr es dem anderen. »Warum sagst du das nicht

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gleich?«

Moraq rieb seinen Hals. »Wir müssen hier heraus«,

würgte er hervor. »Den Gedanken habe ich schon die

ganze Zeit«, murmelte Jaggar. »Aber es sieht aus, als ob

wir Pech hätten!«

Lärm kam vom Korridor. Der Kommandant stieß

einen Fluch aus. Es hörte sich an, als wäre das ganze

Schiff lebendig. Selbst wenn der König und seine

Leibgarde noch nicht an Bord war, mußten es

wenigstens zwei Dutzend Leute sein.

Gleich darauf flackerte draußen Feuer auf. Jemand

hatte eine Fackel angezündet.

Mit einem Sprung war Jaggar an der Tür und schloß

sie. Der Riegel hing unterhalb der Sperre. Wenn sie die

Tür verriegeln wollten, mußten sie sie erst einen Spalt

öffnen. »Was nun?« keuchte Jaggar, der wußte, daß er

die Tür solcherart nicht lange festhalten konnte. »Du

hast doch einen Plan, oder?«

»Nicht für den Fall«, erkärte Moraq brummend.

»Die Deckluke scheint der einzige Zugang zu sein ...!«

»Sie ist verschlossen. Das war das erste, das ich

versuchte, als ich die Fesseln los war«, erklärte Jaggar

zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Halt sie auf, solange es geht!« rief Moraq. Hastig

begann er zwei der Fässer unter die Luke zu rollen und

aufeinanderzustellen. Er kletterte hoch, erreichte die

Luke und trommelte wild dagegen.

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»Du wirst uns die ganze Flotte auf den Hals hetzen«,

knirschte Jaggar.

Moraq grinste. »Wart‘s ab.« Aber ganz sicher war er

sich seiner Sache nicht. Alles hing davon ab, was seine

Männer getan hatten. Wenn sie bei Losbrechen des

Tumults in Panik geraten und geflohen waren, oder

den Fehler begangen hatten, sich der Übermacht unter

Deck entgegenzuwerfen, um ihrem Kommandanten zu

helfen, dann standen die Chancen jetzt verdammt

schlecht.

Wenn sie aber klug waren und abwarteten, um eine

Befreiung zu versuchen, wenn sich die ganze

Aufregung wieder gelegt hatte, dann mußten sie nun

auch das Pochen hören.

Lange Augenblicke vergingen, während Jaggar

einen aussichtslosen Kampf an der Tür focht. Die

Männer draußen hatten sich darangemacht, in

unregelmäßigen Abständen gemeinsam an der Tür zu

reißen, so daß sie immer ein Stück aufruckte, aber doch

nicht weit genug.

Plötzlich ließ Jaggar los. Die Tür flog krachend auf.

Die Männer kullerten aufbrüllend in die hinter ihnen

stehenden Gefährten. Der Schwung fegte die halbe

Belegschaft zu Boden. Noch bevor sie dazu kamen, sich

aufzurappeln, versorgte Jaggar sie mit drei der

schweren, vollen Ölfässer. Schmerzensschreie drangen

in den Lagerraum.

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Da endlich wurde das Klopfen des Kommandanten

erhört. Die Luke über ihm knarrte und hob sich ein

Stück. Aber statt der helfenden Hände Daraqs und

Qarins kam ein Enterhaken herab, hieb dem

Kommandanten auf die in der Öffnung

festgeklammerten Fäuste, daß dieser schreiend den

Halt verlor und in den Laderaum zurückfiel. Dann

schloß sich die Luke wieder.

Fluchend schnappte er eines der Fässer, um Jaggar

zu Hilfe zu eilen. Aber in der Enge des Türbereichs

kam er damit nicht an Jaggar vorbei, der alle Hände

voll zu tun hatte, sich die Leute der Seehexe vom Leibe

zu halten.

Noch sah alles recht unblutig aus. Es war eine

Rauferei ganz nach ihrem Geschmack, und keiner hatte

eine Waffe bei sich, als sie aus ihren Kojen waren.

Aber es gab keinen Zweifel darüber, daß hier kein

Entkommen mehr war.

Der Kommandant zwängte sich an Jaggar vorbei,

der einen Bewußtlosen wie einen Schild vor sich hielt

und damit die meisten Schläge abfing.

Er entriß einem der Angreifer die Fackel. Er

schwang sie und stieß damit zu, daß die Funken

stoben, und die Männer aufbrüllend zurückwichen.

Das war der erste Schritt zu einem Gemetzel. Nun

war es keine Prügelei mehr. Die Angreifer erstarrten

einen Augenblick. Manche Hand fuhr an den nicht

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vorhandenen Gürtel und die nicht vorhandene Waffe.

Sie erinnerten sich wieder, daß sie aus dem Nachtlager

gesprungen waren, und daß es sie den Kopf kosten

wurde, wenn der Gefangene des Königs entkam.

Jaggar und Moraq waren bereits mitten unter ihnen,

auf halbem Weg zur Treppe, die an Deck führte, als sie

aus ihrer Starre erwachten und mit einem

vielstimmigen Wutschrei auf die beiden eindroschen,

als gelte es, eine gefährliche Bestie zu erschlagen.

Der Kommandant sah, wie Jaggar zu Boden ging.

Auch an seinen Armen klammerten sie sich fest. Die

Fackel drohte ihm zu entgleiten.

Aber instinktiv erkannte er, daß sie das Kostbarste

war. Die Männer hatten sein Gesicht gesehen und ihn

erkannt. Für ihn gab es keine Rückkehr mehr. Es sah

nicht aus, als ob Jaggar mit seinen Plänen viel Erfolg

haben wurde. Es blieb nur die Flucht oder der Tod,

wobei ersteres natürlich vorzuziehen war.

Er drehte sich mit einem gewaltigen Ruck herum

und ließ die Fackel kreisen. Für einen Augenblick war

er frei. Er wirbelte die Fackel, um sie sich vom Leib zu

halten. Einem loderte das Haar plötzlich auf, und seine

verzweifelten Löschversuche und sein Schreien lenkten

die Männer lang genug von Moraq und Jaggar ab, daß

es ihnen gelang, den Laderaum zu erreichen und die

Tür zuzuschlagen.

Mit Gebrüll stürzten die Seeleute hinterher und

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versuchten die Tür erneut zu öffnen. Jaggar sprang

zurück und hob eines der Fässer.

Die Tür wurde aufgerissen, aber die Männer hielten

inne, als sie die Gefahr sahen, die wenigstens auf die

ersten von ihnen zukommen wurde. Dann kam eine

befehlende Stimme von weiter hinten.

Die Männer schlossen die Tür und schoben den

Riegel vor.

Jaggar ließ schwer atmend das Faß sinken und

stellte es mit dumpfem Poltern auf den Boden. »Wie

lange wird sie noch brennen?« keuchte er.

»Lang genug, um dieses Schiff anzustecken«,

erwiderte der Kommandant.

Jaggar schüttelte den Kopf. »Wir werden nichts

dergleichen tun, Freund. Wir würden sterben in dieser

Mausefalle ...«

»Das werden wir ohnehin. Für mich ist alles zu

Ende. Die Männer haben mich erkannt. Selbst wenn

wir hier fliehen, warten auf Pequa bereits die Schergen

auf mich. Ebensogut kann ich ...«

»Wir haben eine Chance«, unterbrach ihn Jaggar,

»wenn wir den König überzeugen und für uns

gewinnen können.«

Der Kommandant lachte freudlos. »Der König ist auf

unserer Seite. Das war deutlich genug zu sehen.

Wenigstens war er sehr nachdenklich während des

Gesprächs mit dir. Du hast ihm bereits die Augen

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geöffnet. Aber der König vermag nichts gegen Serphat.

Er ist ihm zu Willen, so vollkommen, wie nicht einmal

ein Sklave zu sein vermag. Es ist, als ob Serphat mit des

Königs Mund reden würde. Er ist eine Puppe. Du

warst es nicht minder. Oder erinnerst du dich nicht

mehr daran?«

»Ich war ...?« begann Jaggar.

»Ja, ich sah es mit eigenen Augen. Du warst nicht

mehr du selbst. Du hättest dir einen Dolch in die eigene

Brust gebohrt, wenn er es gewollt hätte. Aber er hat

Pläne mit dir. Deine Beharrlichkeit, ihm an den Kragen

zu wollen, hat ihn beeindruckt!«

»Oh, ihr Götter«, stöhnte Jaggar. »Wie ist es

geschehen?«

»Erinnerst du dich an nichts, Kapitän?«

Jaggar saß grübelnd auf dem Faß und versuchte in

sich hineinzulauschen. »Doch«, sagte er dann. »Ich

erinnere mich, daß der König plötzlich erstarrte und

daß ich mein Geschick verfluchte, weil Serphat in der

Tür stand, und ich wußte, daß alles verloren war ...«

»Und dann?« fragte Moraq.

Jaggar dachte eine Weile nach. Schließlich schüttelte

er den Kopf. »Ich wachte hier auf – verschnürt und

halb erstickt von einem Knebel. Aber genug davon. Ich

will es später noch genauer hören. Jetzt müssen wir

sehen, daß wir hier verschwinden.«

Moraq lachte erneut. »Ich schätze Humor, mein

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Freund. Und ich bereue auch nicht, was mich in diese

Lage gebracht hat. Seit ich im Palast sah, welche

Teufelei im Gange ist, fühlte ich nur eines. Ich wollte an

deiner Seite kämpfen, mein Freund. Wie in den alten

Zeiten. Aber nun, da es vorbei ist ...«

Jaggar unterbrach ihn grinsend. »Wie in den alten

Zeiten. Wenn es nach dir gegangen wäre, wären wir

schon ein Dutzend Tode gestorben. Schluß damit. Aber

ich bin verdammt froh, daß du hier bist. Komm, wir

wollen uns umsehen, so lange sie uns Zeit dazu lassen.

Diese Lagerräume können manche Überraschung

bergen, wenn man Licht hat und sich umsehen kann.

Nur eines werden wir hier nicht finden- Schwerter. Sie

haben die Handwaffen in der Waffenkammer, und die

ist am Heck bei der Kapitänskajüte. Bist du allein

gekommen?«

Die Zuversicht Jaggars färbte auch auf Moraq ab.

»Nein«, berichtete er. »Ich hatte zwei Männer dabei. Sie

ließen eines der Boote zu Wasser, als ich nach unten

kam. Wir haben einen Segler ein gutes Stück östlich in

einer Bucht. Dort müßten wir hin ...«

Jaggar nickte. Er winkte Moraq zu, mit der Fackel

näher zu kommen. Als der herankam, durchwühlten

sie die Ladung, die in der Hauptsache aus Tauen, Öl

für die Lampen und zum Tränken der Katapultballen,

Pfeile, Enterhaken, Fackeln ...

Jaggar nahm einige der Fackeln und entzündete sie.

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Er hing sie in die vorgesehenen Halterungen, von

denen es drei im Laderaum gab. Er lachte, als der

Raum mit blendender Helligkeit gefüllt war.

»Nicht viel Brauchbares auf den ersten Blick,

abgesehen von der gefüllten Speisekammer. Es kann

nicht schaden, sich zu stärken.« Damit deutete er auf

den Berg von Mehlsäcken, die großen Krüge mit

Oliven, Hammelfett und allerlei anderen Dingen, die

der Koch für eine lange Reise brauchen würde.

Darüber hing Reihe um Reihe von Räucherfleisch und

Fisch, die einen appetitanregenden Duft verbreiteten.

»Wäre doch schade, das alles anzuzünden«, grinste

Jaggar. »Komm nur. Es wird schon keine

Henkersmahlzeit sein.«

Moraq reichte Jaggar seinen Dolch. Bald saßen die

beide kauend.

»Wie lange, denkst du, haben wir Zeit?« fragte

Moraq.

Jaggar zuckte die Achseln. »Kommt darauf an, ob sie

jemanden in den Palast geschickt haben, oder ob wir

ihnen hier sicher genug sind. Ich denke, daß im

Augenblick keine Maus ungesehen vom Schiff könnte.

Vermutlich wird auch auf der Sturmjungfer inzwischen

alles wach sein. Ich weiß nicht, welche Schiffe sonst

noch nah genug liegen. Deine beiden Männer müssen

verdammtes Glück gehabt haben, wenn sie ungesehen

davongekommen sind.«

Page 17: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Der Kommandant nickte stumm.

»Jedenfalls«, fuhr Jaggar fort, »werden sie nichts

gegen uns unternehmen, solange der König nicht

entschieden hat. Wir sind viel zu wichtige Gefangene.

Wir haben also Zeit genug, uns etwas auszudenken.«

»Deine Ruhe möchte ich haben«, erwiderte Moraq.

Jaggars Heißhunger schien ihn anzustecken. Das

Kauen drängte in der Tat die Gefahr ein wenig in den

Hintergrund.

»Was tun wir?« fragte er. »Schon eine Idee?«

»Wir warten«, erklärte Jaggar. »Die Chancen stehen

dafür, daß sie die Wachen verstärken und sich wieder

schlafen legen. Und früher können wir nichts tun.« Er

sah sich um, die fetten Finger an seinen Kleidern

abwischend. »Hier muß doch irgendwo ...« Er begann

einen Stapel Fässer zu untersuchen. »Das kann doch

nicht alles Öl sein«, murmelte er dabei. Moraq

wunderte sich, was er suchte.

»Ah, hier«, meinte Jaggar zufrieden. Er rollte ein Faß

nach vorn. »Gib mir eins der Eisen her.«

Moraq gab ihm einen der Enterhaken. Im Nu hatte

Jaggar das Faß offen. Er schöpfte ein wenig der roten

Flüssigkeit heraus und trank aus der hohlen Hand.

»Ah, bester Wein aus Balava. Wenn mich nicht alles

täuscht, einer, den ich selbst gebracht habe.« Er

ermunterte Moraq zu trinken. »Es hat seine Vorteile,

auf dem Schiff des Königs eingesperrt zu sein. Was

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denken diese Narren sich eigentlich, uns in ihre

Speisekammer zu sperren.«

Nach einigen kräftigen Schlucken sah alles schon

wesentlich anders aus. Es war nicht die

unangenehmste der Gefangenschaften.

Und der Tod stand ohnehin in Aussicht – früher

oder später!

Moraq deutete mit einem Stück Dörrfisch nach oben.

»Denkst du, daß vor der Luke einer steht?«

»Darauf kannst du deinen Kommandantenposten

verwetten«, meinte Jaggar.

Moraq zuckte die Achseln. »Um den ist es ohnehin

schlecht bestellt.«

»Du siehst natürlich schon wieder schwarz. Wer soll

dich schon gesehen haben? Im Fackellicht?«

»Einer genügt«, brummte Moraq bitter.

»Pah, keiner könnte es beschwören. Wenn

überhaupt einer auf den Gedanken käme, daß der

Kommandant von Pequa nachts auf Schiffen

herumstrolcht, um des Königs Gefangene zu befreien.«

Er lachte.

»Nicht so laut!« zischte Moraq. »Sie können uns

durch die Kajütenwand hören. Also, was tun wir? Ich

halte das Herumsitzen nicht mehr aus!«

Er sprang auf und schritt unruhig auf und ab.

»Setz dich!« sagte Jaggar. »Setz dich und hör mir

zu.«

Page 19: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Er wartete, bis Moraq wieder saß. »Mit einigem

Glück haben wir Gelegenheit für einen

Ausbruchsversuch. Für einen einzigen. Wenn er

mißlingt, werden sie entweder kurzen Prozeß mit uns

machen, oder uns so bewachen und lahmlegen, daß

wir keinen Finger rühren können, ohne daß sie es

merken. Das ist auch dir klar, nehme ich an?«

Der Kommandant nickte zögernd. »Er kann aber nur

gelingen«, fuhr Jaggar fort, »wenn wir nicht die ganze

Meute gegen uns haben. Also wiegen wir sie in

Sicherheit. Je mehr von den Kerlen sich wieder schlafen

legen, desto besser stehen die Chancen für uns.

Gut, ich sehe, das leuchtet dir ein. Ich kann mich auf

mein Gehör noch immer recht gut verlassen. Wenn

mich nicht alles täuscht, sind noch fast alle auf den

Beinen. Es wäre also noch viel zu früh für einen

Versuch. Außerdem war mir, als hätte ich Schritte über

dem Laufsteg gehört. Jemand ist von Bord gegangen.

Das kann nur bedeuten, daß sie den König holen. Er

wird eine Mordswut im Bauch haben, aber er wird

kommen ...«

»Und Serphat wird kommen«, unterbrach ihn der

Kommandant bleich.

Jaggar nickte. »Mit ziemlicher Sicherheit.«

»Dann sind unsere Chancen recht gering.«

»Das würde ich nicht sagen«, widersprach Jaggar.

»Unsere Chancen steigen schon gewaltig dadurch, daß

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der König an Bord kommt, selbst wenn der Priester ihn

in seiner Gewalt hat. Haben wir erst den König in der

Hand, wird keiner wagen, die Waffe gegen uns zu

erheben ...«

»Du vergißt Serphats magische Kräfte, seine Macht,

die er über andere hat. Er hatte dich schon einmal in

seiner Gewalt. Das mag wieder geschehen. Mit dir und

mit mir.«

»Das ist das Risiko, das wir eingehen müssen,

Moraq. Ich sagte nicht, daß es leicht sein wird. Aber

wir haben das Feuer, und vielleicht die Überraschung

auf unserer Seite. Feuer ist etwas, das der Priester

fürchtet. Vielleicht das einzige. Da verliert er die

Kontrolle über sich, erst recht über andere. Wenn wir

ihn gleich vom ersten Augenblick an damit aus seiner

Fassung bringen, dann wird er gar nicht dazu

kommen, seine magischen Kräfte auf uns zu richten.

Wir müssen es ganz einfach wagen. Und ich werde

nicht ohne König Jellis hier verschwinden. Was dann

geschieht, liegt in der Hand der Götter.«

2.

Es dauerte nicht lange. Während sie noch dabei waren,

einige der schweren Wurfgeschosse für die Katapulte

Page 21: Die Bruderschaft des Großen Meeres

auseinanderzunehmen und das brennbare Material zu

kleineren, leichteren Bündeln zu schnüren und mit Öl

zu tränken, vernahmen sie Hufgeklapper am Kai.

Gleich darauf eilige Schritte auf der Laufplanke und

schließlich Tumult an Deck.

»Der König ist an Bord«, flüsterte Jaggar. »Jetzt wird

es ernst.«

Der Kommandant nickte.

Sie rollten die Ballen zur Tür, den größten, um ihn

dazwischenzuklemmen, wenn sie sich öffnen sollte, die

anderen, um sie anzuzünden und hinauszuwerfen.

Alles hing vom Überraschungsmoment ab und davon,

ob der König für sie erreichbar war.

Sie wußten, diesmal würde es keine Rauferei geben.

Dieses Mal starrte da draußen alles vor Waffen.

Der Ruhe nach zu schließen, wurden die

Ankömmlinge von der Lage in Kenntnis gesetzt.

»Warum der König sich unseretwegen in seiner

Nachtruhe stören läßt und die Mühe nicht scheut, um

diese Zeit an Bord zu kommen, will mir nicht recht

einleuchten«, murmelte Moraq.

Jaggar nickte. »Nun bist du es, der den

Schlangenpriester vergißt. Er mag sich den König zum

Sklaven gemacht haben und vielleicht noch zwei oder

drei andere, aber nicht die ganze Bruderschaft des

Großen Meeres. Er mag sie leicht überzeugen von

seinen Plänen, besonders mit Hilfe des Königs, aber er

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kann sich keine Aufwiegler unter den Kapitänen

leisten, die den Spieß wieder umzudrehen versuchen,

sobald er mit anderen Dingen beschäftigt ist. Daß

jemand versucht hat, mich zu befreien, noch dazu

jemand in der Uniform der Soldaten des Königs, das

muß ihn verdammt bedenklich stimmen. Hoffen wir,

daß es ihn nicht entmutigt, wenn unsere Flucht gelingt,

und daß er der Intrigen müde wird.«

»Was meinst du damit?«

»Etwas scheint ihn nach Myra zu treiben – um jeden

Preis.

Er könnte es mit Gewalt versuchen, wenn es mit List

nicht klappt. Ich weiß nicht, welcher Dinge er mit

seinen Kräften fähig ist, aber die Götter mögen uns

davor bewahren ... Still, sie kommen ...!«

Schritte kamen die Treppe herab. Unverständliches

Flüstern folgte.

»Halte dich aus der direkten Sicht«, zischte Jaggar

und winkte seinen Gefährten ungeduldig zur Seite.

Moraq begab sich seitlich an die Tür. So konnte ihn erst

jemand bemerken, wenn er im Raum stand.

»Jaggar!« rief jemand dicht vor der Tür.

Es war die Stimme des Königs. Sie klang befehlend.

Jaggar grinste. »König?« erwiderte er.

»Ich komme ’rein!« rief König Jellis. An seiner

Stimme war schwer abzuschätzen, ob und wie stark er

unter Serphats Einfluß stand.

Page 23: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Nein«, widersprach Jaggar. »Ich komme ’raus!

Oder es fließt Blut!«

Einen Augenblick war Schweigen. Schließlich

stimmte der König zu. »Welche Bedingungen stellst

du?«

Jaggar atmete auf. Man schien da draußen nicht auf

einen Kampf erpicht. Man wollte ihn lebend. Blieb

noch herauszufinden, warum.

»Schick die Männer fort. Laß ein Boot zu Wasser.

Wir gehen an deiner Seite von Bord. Ich will nur eine

Unterredung mit dir, mein König. Allein – ohne

Serphat!«

Wieder war eine Weile Stille, in der die beiden

Gefangenen mit angehaltenem Atem lauschten.

Schließlich sagte der König: »Du verlangst viel!«

»Ich bin nicht irgendeiner, mein König. Es gab eine

Zeit, da genoß ich dein Vertrauen.«

»Das ist noch immer so, Jaggar.«

»Warum zögerst du dann, König?«

Hastiges Flüstern folgte, als jemand auf den König

einzureden versuchte. Aber Jellis unterbrach ihn mit

einer barschen Bemerkung. Dann hörten sie, wie er

Befehl gab, an Deck zu gehen und das Boot ins Wasser

zu lassen.

Grinsend wandte sich Jaggar an Moraq. Dieser

schüttelte den Kopf. Er schien es nicht zu fassen. »Es ist

ein Trick«, warnte er.

Page 24: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Mit ziemlicher Sicherheit«, stimmte Jaggar zu.

»Aber was macht das schon? Wenn wir erst von hier

draußen sind und in dem Boot sitzen, sind unsere

Chancen gewaltig gestiegen ...«

»Es wird keine Reling im Umkreis geben, die nicht

von gespannten Bogen, starrt. Es wird ein

Preisschießen geben, und wir werden gespickt sein wie

das Nadelkissen einer Jungfer.«

»Nicht mit dem König im Boot«, beschwichtigte

Jaggar ihn.

»Es ist alles bereit, Kapitän«, rief Jellis. »Ich öffne

jetzt.«

Gleich darauf ging die Tür auf. Der König stand

davor. In seinem Gesicht war wenig Freundlichkeit.

»Wo ist Serphat?« fragte Jaggar.

»Im Palast«, erwiderte der König. »Aber wir sollten

keine Zeit vergeuden und den Augenblick nutzen, der

uns gegeben ist.« Es klang beinah bittend. Jaggar sah

den König verwundert an. Dann winkte er Moraq, der

zögernd ins Licht trat und dem König unsicher

entgegenblickte. Der König musterte ihn kurz und

nickte.

»Gehen wir?«

Jaggar nickte. Sie nahmen den König in die Mitte

und schritten den leeren Korridor entlang.

»Ohne Fackel!« bestimmte Jaggar, als sie die Treppe

erreichten. Er löschte beide. »Je weniger dein Gesicht

Page 25: Die Bruderschaft des Großen Meeres

erkennen können, desto besser. Und sie werden nicht

wissen, wer von uns der König ist. »Gib mir deinen

Mantel, mein König.« In der Dunkelheit schlüpfte

Jaggar in den Mantel.

»Du bist ein umsichtiger Mann, Jaggar«, bemerkte

Jellis.

»Das ist der Grund, warum ich noch lebe«,

erwiderte Jaggar ironisch.

»Ich hätte auf dich hören sollen, nicht wahr?«

Jaggar gab keine Antwort. »Vorwärts jetzt.«

Sie schritten die Treppe hoch, langsam, fast

unbekümmert. An Deck stand die gesamte Besatzung,

mehr oder weniger verborgen. Ein Mann kam ihnen

entgegen. Ein wenig furchtsam, wie es schien. Er

deutete auf die Reling vor ihnen. »Das Boot wartet,

Erhabener.« Dabei glitt sein Blick ein wenig zu

forschend über die drei. Er hob die Hand, und es

schien Jaggar wie ein Zeichen. Rasch faßte er den Mann

am Arm. »Du kommst mit, mein Freund.« Es war auch

um Moraqs willen, denn der Mann war nahe genug

gewesen, um ihn zu erkennen.

»Aber Kapitän ...«

»Keine Widerrede!« Er schob ihn zwischen Moraq

und den König. Sie erreichten die Reling. Jaggar warf

einen Blick nach unten und sah beruhigt das Boot im

Wasser.

»Geh voran«, befahl er dem Bootsmann.

Page 26: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Als der unten war, folgte Moraq. Danach der König

und zum Schluß Jaggar. Es war dunkel unten im Boot.

Der Bootsmann und Moraq griffen zu den Rudern und

stießen das Boot von der Bordwand ab.

Jaggar runzelte die Stirn, während er die

entschwindende Seehexe nicht aus den Augen ließ. An

Deck begannen immer mehr Fackeln aufzuleuchten.

Auch zwei der in der Nähe verankerten Schiffe hatten

eine Menge Licht an Bord.

»Aus dem Hafen, und dann nach Osten, der Küste

entlang«, wies Moraq den Bootsmann an.

Jaggar fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Es war

alles zu glatt gegangen. »Wo ist Serphat?« fragte er den

König noch einmal.

Der König lächelte beruhigend. »Im Palast.«

Irgendwie war alles falsch, durchfuhr es ihn

plötzlich. Der König war zu freundlich, zu bereitwillig.

Angst durchzuckte ihn, aber nur für einen Augenblick,

dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Es galt, das

Gesicht zu wahren.

Die beleuchteten Schiffe waren inzwischen weit

genug weg, daß ihr Licht sie kaum noch erreichte. Die

Hafenausfahrt lag vor ihnen. In der Lautlosigkeit der

Nacht war nur das Plätschern der Ruder in dem

ruhigen Wasser zu vernehmen. Links und rechts ragten

die dunklen Kolosse der verankerten Schiffe in den

Himmel. Auf ihnen war alles still. Ihre Besatzungen

Page 27: Die Bruderschaft des Großen Meeres

schliefen den letzten Schlaf im Heimathafen für eine

lange Zeit. Sobald der Morgen graute, würden sie

aufbrechen nach Myra, und manch einer würde nicht

mehr zurückkehren.

Die Deckwachen schienen das kleine Boot nicht zu

beachten.

Außerhalb des Hafens bogen sie nach Osten ab. Die

beiden Ruderer keuchten bereits vor Anstrengung.

Jaggar löste Moraq ab.

»Noch weit?«

Moraq schüttelte den Kopf. »Nein. Hier kommt

gleich eine Bucht. Wir gehen an Land und zu Fuß

weiter.«

Kurze Zeit später erreichten sie die Bucht und

stiegen aus. Seltsamerweise erhob der König keinen

Einwand, obwohl ihm bereits klar sein mußte, daß es

nicht mehr um eine Besprechung ging, sondern um

eine Entführung. Aber trotz seines Mißtrauens schrieb

Jaggar es der Tatsache zu, daß Jellis sich vielleicht frei

fühlte vom Joch des Priesters und hoffte, auf diese Art

selbst entfliehen zu können. Das mochte vieles

erklären, das Jaggar mit Mißtrauen erfüllte.

Nicht weit entfernt sahen sie undeutlich ein zweites

Boot.

»Meine Begleiter sind hier in der Nähe«, erklärte

Moraq. »Es muß ihnen im Hafen zu gefährlich

geworden sein.«

Page 28: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Tatsächlich tauchten gleich darauf Daraq und Qarin

aus der Dunkelheit der Felsen auf und begrüßten ihren

Kommandanten und Jaggar freudig. Erst einen

Augenblick später erkannten sie, daß auch der König

dabei war, und sie schienen zu erkennen, daß sie an

einer verdammt wichtigen Sache beteiligt waren.

Die Gruppe bewegte sich unter Moraqs Führung

einen schmalen Fischerpfad entlang. Jaggar bildete

hinter dem König den Abschluß, während Moraqs

Männer den Bootsmann der Seehexe in die Mitte

genommen hatten, um ihn im Auge zu haben.

Wenig später erreichten sie eine felsige Bucht, in der

Moraqs Küstensegler ankerte. Sie waren am Ziel.

Noch immer stellte der König keine Fragen. Und das

war irgendwie beunruhigend. Sie begaben sich an Deck

und lichteten Anker. Vier weitere Männer Moraqs

bedienten die Ruder und lenkten die Schaluppe hinaus

aus der Bucht. Das Segel wurde ausgerollt. Der Wind

war nicht sehr günstig, aber Moraq war zuversichtlich,

daß sie durch geschicktes Kreuzen Pequa in einer

guten Stunde erreichen konnten, lange bevor der

Morgen graute. Niemand würde Verdacht schöpfen.

Aber als das Boot leicht gegen den Wind nach

Westen stieß, gab Moraq plötzlich völlig gegenteilige

Befehle, die selbst seine Männer verwirrten, denen sie

aber nachkamen, als er sie mit Nachdruck wiederholte.

»Kurs auf den Hafen!«

Page 29: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Was?« entfuhr es Jaggar, der die ganze Zeit über

den König nicht aus den Augen gelassen hatte.

»Zurück zum Hafen«, wiederholte Moraq fest. Dann

rief er Daraq und Qarin zu sich und deutete auf Jaggar.

»Nehmt ihn fest!«

»Bist du verrückt!« rief Jaggar.

Daraq und Qarin zögerten. Sie verstanden nicht, was

das alles sollte. Schließlich waren sie

hierhergekommen, um Jaggar zu befreien.

In der Dunkelheit war nicht viel zu erkennen, aber

Jaggar fühlte, daß mit Moraq etwas nicht stimmte.

Seine Stimme klang ... irgendwie leblos.

Jaggar wandte sich dem König zu, der reglos an der

Reling stand, den Blick auf Moraq gerichtet.

Jaggar dämmerte, was vor sich ging, und in diesem

panischen Begreifen tastete etwas nach seinem

Verstand. Sein Kopf ruckte hoch, während Daraq und

Qarin auf ihn zukamen. Er kümmerte sich nicht um sie,

er sah nur des Königs Gesicht vor sich, das in der

Dunkelheit wie das eines Dämons war – im

Widerschein einer unirdischen Glut der Augen.

Das war nicht der König! hämmerten Jaggars

Gedanken. Das war Serphat!

Daraq und Qarin waren nicht die Feinde, die er

fürchten mußte. Sie nahmen ihn an den Armen in ihre

Mitte, aber sie hielten ihn nicht zu fest. Sie wußten

immer noch nicht, was nun eigentlich vorging.

Page 30: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Jaggars Gedanken drohten zu verschwimmen, als

Serphat mit seinen Kräften nach ihm griff. Von Panik

erfüllt, riß er sich aus Qarins Griff los und stieß Daraq

auf den vermeintlichen König zu. Dabei zog er mit

einem raschen Griff den Dolch aus seinem Gürtel.

Jellis-Serphat hatte einen Augenblick Mühe, von

dem Anprall des stürzenden Mannes nicht über die

Reling geworfen zu werden. In dem Maß, in dem er

mit sich selbst beschäftigt war, ließen die Kräfte nach,

mit denen er Moraq in seiner Gewalt hatte und Jaggar

zu fassen versucht hatte.

Während Moraq noch dabei war, die Benommenheit

abzuschütteln, sprang Jaggar vor, auf den taumelnden

König zu, nur von einem Gedanken beseelt, ihm keine

Chance zu geben, seine Kräfte noch einmal gegen sie

anzuwenden.

»Feuer!« brüllte er. »Bringt Fackeln!«

Er stieß Jellis-Serphat im vollen Schwung seines

Ansturms zu Boden und bohrte ihm mit beiden

Händen den Dolch mitten in die Brust.

Ein Zucken ging durch die Gestalt unter ihm. Dann

kam ein Lachen aus des Königs Kehle, das nur ein

Irrsinniger in dieser Lage hervorzubringen vermochte.

Es war schwanger von Spott und Verachtung. Aber es

überzeugte auch Moraq von der Gefahr, in der sie

schwebten. Vielleicht erkannte er in diesem Augenblick

noch nicht die volle Wahrheit wie Jaggar, aber er

Page 31: Die Bruderschaft des Großen Meeres

spürte die Gefahr, und das Entsetzen ließ ihn handeln.

»Feuer! Rasch!« rief er.

Qarin sprang unter Deck, völlig verwirrt. Aber der

Gedanke an Feuer und damit Licht verlieh ihm Flügel.

Doch es dauerte endlos, bis der Funke endlich zündete

und die erste Flamme an der Fackel in seinen

zitternden Händen hochzüngelte.

Daraq sprang instinktiv dem König zu Hilfe. Aber

während er dabei war, Jaggar hochzureißen, sah er

verblüfft, wie Moraq mit einem Enterhaken auf den

König einschlug, daß der Schädel aufklaffte. Und mit

noch mehr Verblüffung sah er, daß die Gestalt nicht

starb, sondern sich wand und einen unmenschlichen

Laut ausstieß, der ihm schier das Herz gefrieren ließ.

Dann kam Qarin an Deck und brachte Helligkeit. Im

flackernden Licht sahen sie mit Grauen, daß kein

Tropfen Blut aus den Wunden des Königs sickerte, und

daß der graue Stoff seines Körpers von eigener

Lebendigkeit war. Die Züge zerrannen wie Teig und

verloren alle Ähnlichkeit mit dem König.

Der Schädel einer Schlange formte sich. Ein runder

Leib reckte sich hoch.

Moraq überwand sein Entsetzen. Oder es war das

Entsetzen, das ihm Kraft gab. Er sah, wie Jaggars Dolch

immer wieder in den grauen Körper fuhr, wie die

Wunden sich schlossen, wie Jaggars Kraft erlahmte. Er

riß Qarin die Fackel aus der Hand und bohrte die Glut

Page 32: Die Bruderschaft des Großen Meeres

in den Rachen des Ungeheuers, das kreischend

zurückwich und über die Reling fiel. Als die

klatschenden Fluten sich schlossen, erstickte das

Kreischen.

Die Stille an Bord war unnatürlich. Sie schmerzte in

den Ohren. Erst nach einem Augenblick ließen das

Entsetzen und die Anspannung in den Männern nach.

Moraq sah, daß Jaggar sich nicht regte. Er griff nach

ihm und zog erschrocken seine Hand zurück. Jaggar

war kalt wie Eis.

»Wir brauchen mehr Licht«, rief Moraq.

»Es wäre besser unter Deck, Kommandant. Die

ganze Flotte sieht, wo wir ...«

»Dann haben sie die eine bereits gesehen. Rasch.«

Während er Daraq die eine Fackel zum Halten gab,

rollte er Jaggar auf den Rücken. Erleichtert erkannte er,

daß der Kapitän schwach atmete und nur bewußtlos

schien.

Wasser spritzte weit hinter dem Boot in der

Dunkelheit, als tauchte ein großer Fisch aus den Fluten.

Die Männer erstarrten. Sie dachten alle nur eines:

Wer oder was immer sie eben noch an Bord bekämpft

hatten, war noch nicht tot. Es eilte hinter ihnen her.

Qarin kam mit einem Arm voll Fackeln. Er hatte

unter Deck das Platschen nicht gehört, aber er sah die

Männer erstarrt nach dem Heck blicken. Etwas

Dunkles bewegte sich in der Luft.

Page 33: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Kommandant!« rief er. Er sprang mit den Fackeln

auf sie zu und entzündete mit fliegender Hast eine

nach der anderen. Als er bei der vierten angelangt war,

erklang ein Rauschen über dem Schiff, und ein Wind

fegte über die kauernden Männer hinweg- ein Wind

wie von gewaltigen Flügeln. Sie starrten hoch. Einer

schrie auf vor Entsetzen.

Ein riesiger Vogel flatterte mit ausgebreiteten

Schwingen über dem Deck. Ein Geier! Und er senkte

sich mit schrillen Schreien herab, hackte mit dem

gewaltigen Schnabel nach den Männern, die hinter

Masten und Aufbauten Schutz suchten. Nur Jaggar lag

auf dem Deck. Er kam zu sich und richtete sich auf. Der

Vogel nahm ihn wahr und stürzte auf ihn los. Die

Krallen senkten sich herab.

»Ihr Götter!« entfuhr es Moraq. Mit dem Mut der

Verzweiflung verließ er seine Deckung und lief auf

Jaggar zu. Er schwang die Fackel, versengte den Flaum

des Gefieders am Bauch der Bestie. Diese wandte sich

mit schrillen Lauten dem neuen Widersacher zu.

Moraqs Fackel tanzte über das Gefieder, das Feuer fing

und den Vogel zu einem wütenden Tanz auf dem

schwankenden Deck veranlaßte. Quarin und Daraq

und noch zwei Männer, auch der Bootsmann der

Seehexe tauchten neben Moraq auf mit Fackeln in den

Händen. Der Schnabel hackte mitten unter sie, traf

einen, der mit einem spitzen Schmerzensschrei fiel.

Page 34: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Einer traf ein Auge des Vogels. Als das halbe Gefieder

brannte, flatterte er kreischend hoch, taumelnd. Dann

stieg er mit kräftigem Flügelschlag höher, und der

Wind löschte einen Großteil des Feuers. Dennoch sah

man ihn noch lange nach Süden, dem Land zu fliegen –

ein Fanal von Göttern oder Dämonen, das sich tief in

die Herzen jener brennen würde, die es sahen.

Jaggar kam taumelnd auf die Beine. »Was war das?«

Bleich antwortete der Kommandant: »Die Schlange

scheint nicht die einzige Gestalt zu sein, die er

anzunehmen vermag. Woher wußtest du, daß es nicht

der echte König war?«

»Als du Befehl gabst, zurück in den Hafen zu segeln,

kam mir der Verdacht ...«

»Ich gab was ...?« rief Moraq.

»Und mich festzunehmen«, fuhr Jaggar fort. »Deine

Männer hier werden es bestätigen.«

Daraq und Qarin nickten bestürzt.

»Dann war ich ... in seiner Gewalt ...?« murmelte

Moraq.

Jaggar nickte zustimmend. »Und ich war nahe

dran.« Er schwankte erschöpft. »Es ist nicht ratsam, ihn

zu berühren. Es ist, als ob das Leben ausfließt ...« Die

Männer stützten ihn. Er deutete vor den Bug des

Schiffes. »Das Schauspiel ist nicht unbemerkt

geblieben.«

Die Männer zuckten zusammen. Die gesamte Flotte

Page 35: Die Bruderschaft des Großen Meeres

schien aus der nächtlichen Ruhe geweckt. Hunderte

flackernder Lichter verwandelten das Gebiet um den

Hafen in ein Feuermeer.

Der Kommandant fluchte. »Das hat uns noch

gefehlt. Hier kommen wir nicht unbemerkt vorbei.

Verdammt, was tun wir? Irgendwelche Vorschläge,

Käpt‘n?«

»Jaaahh«, meinte Jaggar gedehnt, und es klang wie

aus tiefster Seele ... weg von hier!«

»Wohin? Nach Pequa? Das dürfte schwierig sein ...«

»Gleich wie schwierig es auch ist, wir müssen hin.

Löscht die Fackeln. Wir segeln nach Osten und machen

einen weiten Bogen, und wenn wir den Rest der Nacht

rudern müßten gegen diesen Wind. Es ist ein guter

Wind, denn er wird die Flotte am Auslaufen hindern.

So bleibt uns noch ein wenig Zeit. Wir müssen zu

meinem Schiff. Es ist unsere einzige Chance, unseren

Kopf zu retten. Vielleicht ergibt sich später eine

Möglichkeit, noch etwas zu unternehmen. Auf dem

Weg nach Myra.«

Die Männer nickten beklommen. Sie wußten, sie

waren nun Ausgestoßene wie Jaggar.

Und sie hatten einen gewaltigen Feind. Aber es war

auch Triumph in ihren Herzen. Ihr Feind war nicht

allmächtig. Er hatte eine Schlappe erlitten.

Die zweite bereits, wenn die Berichte des Käpt‘ns

die Wahrheit waren.

Page 36: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Und sie zweifelten nicht daran.

Dunkelheit umfing sie. Die Schaluppe drehte ihren

Bug nach Osten und segelte neben dem Wind. Das

Lichtermeer verschwand in der Ferne. Sie waren bald

verloren in der Finsternis. Aber nun begann die harte

Arbeit. Als im Osten die Dämmerung den Himmel

emporkroch, rafften sie das Segel und ruderten nach

Nordwesten.

Sie hatten Glück. Der Wind drehte leicht, so daß sie

ohne große Mühe nach Nordwesten kreuzen konnten,

ohne mit der Flotte in Berührung zu kommen.

Als die Sonne aufging, waren sie ein ganzes Stück

nördlich von Pequa. Wie erwartet lief die Flotte nicht

aus. Der Wind war zu ungünstig.

Nicht für Moraqs Schaluppe, die gute Fahrt nach

Süden machte und sich vorsichtig Pequa näherte. Sie

bemerkten zwei Galeeren vor den Fischerdörfern. Ihre

Bedeutung war unschwer zu erraten. Sie ankerten

nicht, sie hatten die Ruder ausgelegt. Sie warteten.

Jaggar bangte um die Schwarze Wellenreiterin. Aber

als sie die Bucht erreichten, lag der Schnellsegler

friedlich vor Anker.

Sie verloren keine Zeit. Mit der Schaluppe im

Schlepp lief die Wellenreiterin aus- direkt vor die

Nasen der beiden Galeeren, die sofort einen Hagel von

Geschossen losfeuerten, der, bedingt durch die

Überraschung, verhältnismäßig harmlos verpuffte.

Page 37: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Keines der Segel wurde ernstlich beschädigt, und die

Brandpfeile kohlten nur die Decksplanken an. Zu

Katapultschüssen kam es nicht, weil diese

aufwendigen und kostbaren Werfer allesamt noch

dicht unter Segelplanen vertaut waren und erst kurz

vor Erreichen Myras der derben Seeluft ausgesetzt

werden sollten.

Auf der Schaluppe befanden sich die gefangenen

Seeleute aus Phelos. Jaggar ließ das Seil kappen, und

das Boot kam einer der Galeeren zwischen die Ruder.

Damit blieb nur mehr einer der Gegner. Der feuerte

eine zweite Salve ab, die beinahe das Focksegel in

Brand steckte. Dann machte sich jedoch die höhere

Wendigkeit und Schnelligkeit der Wellenreiterin

bemerkbar.

Die Galeere fiel zurück und gab bald darauf die

Verfolgung auf.

Wenig später war sie nur noch ein dunkler Punkt

am Horizont.

»Ah«, seufzte Jaggar. »Hier auf meinem Schiff fühle

ich mich endlich wieder wie ein Mensch. Die erste

Runde haben wir für uns entschieden ...«

»Ja«, meinte Moraq brütend. »Aber um welchen

Preis! Wir sind Ausgestoßene.«

»Wir werden es ändern, Freund«, erwiderte er

zuversichtlich. »Noch ist die Flotte nicht in Myra.«

Page 38: Die Bruderschaft des Großen Meeres

3.

Im marmornen Königspalast hoch über dem Hafen

Myras währte eine Audienz weit über die

mitternächtliche Stunde. Die Gesichter der

Versammelten waren ernst.

Dragon, der König, saß am Kopfende des langen

Ebenholztisches in der privaten Audienzkammer im

Flügel der königlichen Gemächer. Er hatte den

Umhang mit dem myranischen Wappen achtlos von

den Schultern gestreift, und die Schnüre des weißen

Hemdes an der Brust offen. Es war heiß.

Die übrigen Anwesenden hatten nicht minder

zwanglos ihre Überwurfe abgelegt. Und der Inhalt der

Besprechung war auch nicht dazu angetan, die

Gemüter abzukühlen.

Alle bis auf zwei waren Vertraute des Königs. Da

war Partho, der Befehlshaber des Heeres, das östlich

der Stadt lagerte, und Cheron, Oberhaupt von Myras

kleiner Gruppe von Söhnen von Atlantis, sodann Yina,

ein Mädchen von siebzehn Sommern mit dem Gesicht

einer Maus und dem Geist einer Zauberin, denn sie

vermochte die Gedanken der Menschen um sie zu

lesen und so den König vor seinen Feinden zu warnen.

An des Königs linker Seite, ein wenig abseits vom

Page 39: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Tisch, saß Ubali, ein schwarzhäutiger Hüne mit einem

breiten, lebhaften, freundlichen Gesicht, der nicht nur

einmal an des Königs Seite gefochten hatte.

Die beiden Fremden waren ein junges Mädchen,

schwarzhaarig, mit einer seltsamen Glut in den

dunklen Augen, die in Dragon Erinnerungen an Arzan

Shor weckten. Sie hieß Selaqua und war eine Iquani.

Aber nur wenige wußten, was es bedeutete. Ihr junger

Begleiter ahnte es, aber er vermied es, darüber

nachzudenken. Sie war, wenn Kapitän Jaggar die

Wahrheit gesagt hatte, eine Tochter König Jellis – eine,

die er liebte und die er geheimhielt vor der Welt, weil

die Menschen in Candis nichts mehr haßten und

fürchteten als die Iquani.

Ihr Begleiter war Wigor, ein keine zwanzig Sommer

zählender Myraner aus Deyman, der auf eine

abenteuerliche Fahrt gegangen war, um eine verlorene

Braut zu suchen, und eine andere gefunden hatte.

Die Beratung drehte sich um eine Nachricht, die mit

den beiden Besuchern nach Myra gelangt war:

Daß dreihundert Schiffe von der Schlangeninsel

unterwegs waren, um Myra anzugreifen!

Eine ungeheure Flotte!

Eine, der Myra nichts Gleichwertiges

entgegenzusetzen hatte. Es blieb wenig Zeit. Zwei,

höchstens drei Tage. Mindestens aber einen. Myras

neue Verbündete, das Wasservolk der Tainu, hielt

Page 40: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Ausschau auf dem Meer und würde rechtzeitig

warnen, wenn die Flotte in Sicht kam. Von diesem

Augenblick an, da Yina die gedankliche Warnung des

Wasservolks empfing, würde noch ein voller Tag

vergehen, ehe die Segel von Jellis‘ Flotte vor dem

myranischen Horizont auftauchten.

Niemand in Myra außer den Versammelten wußte

etwas von der drohenden Gefahr. Aber Boten waren

bereits unterwegs, um die Kapitäne in den Palast zu

beordern und die Daikane, soweit sie noch in der Stadt

weilten.

Es war alles im Umbruch, alles im Aufbau. Der

Angreifer kam, gelinde gesagt: ungelegen.

Sie hatten Wigors Erzählung von der Flucht aus dem

nächtlichen Hafen von Candis gelauscht.

»Sagt mir eines, Herr Wigor«, wandte sich Yina an

den Erzähler, während Dragon nachdenklich die Stirn

runzelte. »Ihr berichtet von Kapitän Jaggar, als wäre er

ein Edelmann und nicht der Schurke, der Mädchen

raubt, mit seiner Besatzung wehrlose Dörfer überfällt

und Opfer für den Krokodilsteich des Königs der

Schlangeninsel beschafft ...«

»Ihr sprecht fast, als ob ihr ihn kennt, junges

Fräulein«, erwiderte Wigor mit der gezierten

Page 41: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Höflichkeit, wie sie in den südlichen Küstengegenden

Myraniens zur allgemeinen Galanterie gehört, die dem

Edelmann wie dem Bettelmann mit gleicher

Leichtigkeit von der Zunge floß.

»Ja, ich kenne ihn, ich war eine Gefangene auf

seinem Schiff ...«

»Und Ihr seid geflohen?« rief Wigor.

Yina nickte zustimmend, ein wenig verwundert

über sein seltsames Gebaren.

»Dann habt Ihr also dem Kapitän den Kopf

verdreht«, meinte Wigor mit einer Offenheit, die sie

erröten ließ. Alle wandten sich ihr interessiert zu, und

ihr Gesicht wurde noch dunkler.

»Ich hatte was ...?« entfuhr es ihr.

»Ah, verzeiht meine unbedachten Worte«, sagte

Wigor entschuldigend ... Aber es ist wahr, der Käpt‘n

war sehr angetan von Euch. Er sprach nur einmal von

Euch, aber Ihr habt einen tiefen Eindruck in seinem

Herzen hinterlassen, wie noch keine Frau zuvor. Und

glaubt mir, er kennt viele Frauen!«

»Er ist ein Schurke, ein Mörder, und sicherlich nicht

eines solchen Gefühls fähig, wie Ihr ...«

Wigor schüttelte den Kopf, und das Mädchen

verstummte. »Er ist kein Mörder. Ich fand keinen

faireren im Kampf. Und keinen besseren. Er ist ein

Dieb, ja, das weiß ich, und auch auf diesem Gebiet

leider einer der besten. Ein Pirat der Bruderschaft des

Page 42: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Großen Meeres ...«

Dragon sagte plötzlich: »Ich glaube, es gibt keinen

Zweifel darüber, wer dieser geheimnisvolle Priester

der Schlange ist. Was meint ihr?« Er nickte Partho und

Cheron zu.

»Cnossos«, erwiderte Partho ohne Zögern. »Er hat

wieder ein Heer gefunden, das er gegen uns zu Feld

schicken kann. Wird das nie ein Ende haben?«

»Wer ist Cnossos?« fragte Wigor.

»Wir nennen ihn den Gott der vielen Namen. Er

erscheint oft in Gestalt eines Geiers, und er besitzt

Kräfte über den Geist mancher Menschen, daß sie ihm

willige Sklaven bis in den Tod sind. Er hat nur ein Ziel:

das zu zerstören, was ich aufbauen will. Eine bessere

Zukunft, eine wie sie in meinen Erinnerungen und

Träumen ist. Eine, die selbst nach den Sternen greift.«

Letzteres hatte er mehr zu sich selbst gesagt. Dann

straffte er sich und schüttelte die Gedanken ab. »Er

kann die Gestalt jedes Menschen annehmen. Er tötete

Zamoc und kam in seiner Gestalt an den Hof König

Zogors. Und er hetzte Myranien in den Krieg gegen

Urgor. Er hat seine Tempel und seine Verbündeten

überall. Die Geschöpfe der Nacht sind es, die an seinen

Altären beten. Er ist ein Gott oder ein Dämon. Er ist

kein Mensch. Es gibt nur eine wirksame Waffe gegen

ihn, der sich jeder bedienen kann: Feuer!«

Wigor nickte hastig. »Dann sind Kapitän Jaggars

Page 43: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Gedanken richtig. Dieser Priester hat König Jellis in

seiner Gewalt!«

Dragon stimmte zu. »Unser alter Feind hat noch

immer nicht genug.«

»Aber laßt Euch nicht täuschen, erhabener König.

Wenn Ihr diesen Cnossos erledigt, ist noch nicht alles

abgetan. Auch ohne ihn hat der König der

Schlangeninsel ein Auge auf Myra geworfen. Nicht

Serphat oder Cnossos müßt Ihr schlagen, sondern die

Flotte. Und es ist etwas, das längst fällig ist, damit die

Menschen an Myraniens Küsten wieder frei atmen

dürfen. Jellis‘ Piratenbruderschaft ist von Tag zu Tag

frecher geworden und dünkt sich Herr über die Küsten

des Großen Meeres, von Balava bis zur Totenküste. Es

ist an der Zeit, daß jemand sie in ihre Schranken weist

...«

Dragon schüttelte den Kopf. »Wir haben einer Flotte

von dreihundert Schiffen nichts Vergleichbares

entgegenzusetzen. Wir können sie abwehren und

daran hindern, daß sie myranischen Boden betreten,

wenn wir wissen, wo sie zuschlagen. Aber von, in die

Schranken weisen, kann nicht die Rede sein. Und

gehörte nicht das Volk der Tainu zu unseren

Verbündeten, so könnte ein Überraschungsangriff der

Flotte empfindliche Wunden schlagen. Mein junger

Freund, ich fürchte, Ihr überschätzt die Schlagkraft

eines Reiches, das erobert worden ist. Wir haben die

Page 44: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Männer, gewiß. Aber uns fehlen Schiffe ...«

»Haben wir keine Verbündeten?« erwiderte Wigor

heftig.

»Doch«, gab Dragon zu. »Die Zunter sind auf

unserer Seite. Und die Katmahzari. Und Dan. Es würde

Wochen dauern, bis ihre Schiffe hier einträfen. Die

feindliche Flotte aber mag morgen nacht schon vor

Myra kreuzen.«

Wigor nickte nachdenklich. »Verzeiht, mein König,

daß ich so rasch mit der Zunge war und so langsam

mit dem Verstand ...«

Dragon lächelte. »Ihr seid ein mutiger junger Mann,

wenn alles seine Wahrheit hat, das Ihr mir erzählt habt.

Ich hoffe, Ihr werdet an meiner Seite kämpfen.«

»Ja, mein König«, erwiderte Wigor freudig, während

seine Begleiterin unwillig die Stirn runzelte, als hätte

sie andere Pläne gehabt.

»Issola meldet sich!« rief Yina plötzlich.

Die Umsitzenden sahen sie gespannt an. Es konnte

nur bedeuten, daß die Späher des Wasservolks die

Flotte gesichtet hatten.

»Ihre Beobachter sind noch weiter nach Süden

vorgedrungen. Von der Flotte noch keine Spur. Die

Winde sind sehr ungünstig. Aber sie können jederzeit

umschlagen. Inzwischen hat das Talatta beschlossen ...«

»Das Talatta?« unterbrach Wigor sie. »Um der

Götter willen, was ist das?«

Page 45: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Ihre Regierung«, erklärte Yina geduldig. »Die

Runde der Seemütter. Es hat beschlossen, daß das Volk

der Tainu nicht nur eine passive Rolle von Beobachtern

und Spähern spielen wird. Zweihundert Männer

werden noch in der Nacht in Myra eintreffen- mit

wichtigen Schlachtplänen.«

»Sage ihr unseren aufrichtigen Dank, Yina.«

»Zweihundert nur«, meinte Wigor enttäuscht. »Als

sie uns vor dem Ertrinken retteten, als der Orkan uns

aus dem Boot schleuderte, und sie erfuhren, welche

Gefahr Myra drohte, da wollten sie mit vollen Kräften

zu Hilfe eilen ...«

»Unterschätzt sie nicht«, unterbrach ihn der König.

»Ihr müßt bedenken, daß sie ein sehr kleines Volk sind.

Ein paar tausend von ihnen mag es geben, sicherlich

nicht mehr. Aber das Wasser ist ihr Element. Auf See

wiegt einer von ihnen ein Dutzend myranische

Soldaten auf. In einer Schlacht auf See, wie sie uns

wahrscheinlich bevorsteht, sind sie die besten

Verbündeten, die wir finden können.«

Zum erstenmal meldete sich das Mädchen zu Wort:

»Diese Tainu können die Gedanken lesen, nicht wahr?«

»Nur ihre Frauen«, erklärte Yina.

Das Mädchen wurde ein wenig bleich, und Yina

merkte sich vor, bei nächster Gelegenheit Issola

darüber zu befragen, welches Geheimnis dieses

Mädchen umgab.

Page 46: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Nach und nach kamen die Kapitäne und Daikane in

den Palast, von den königlichen Boten aus tiefstem

Schlummer gerissen. Als sie die Neuigkeit erfuhren,

waren sie mit einem Schlage hellwach, besonders die

Kapitäne. Es gab eine tumultartige Unterredung, bei

der noch keine endgültigen Pläne gefaßt wurden. Man

wollte erst die Ankunft der Wassermenschen abwarten.

Dragon zweifelte nicht, daß Myra, die Stadt selbst,

das Angriffsziel sein würde. Vielleicht hätte König

Jellis andere, klügere Pläne gehabt. Aber nicht Cnossos,

der nur nach Vergeltung und der Vernichtung Dragons

dürstete. Es besaß also trotz allem Vorteile, daß

wiederum Cnossos ihr Gegner war. So kannten sie sein

Angriffsziel.

Dragon!

Wigor wurde immer wieder aufgefordert, von seiner

Flucht zu berichten. Aus seiner Erzählung gingen

einige wichtige Punkte hervor. Die Besatzungsstärke

der Segler zum Beispiel, die Wigor mit einer

Mindestzahl von zwei Dutzend anzugeben wußte. Bei

den Galeeren mußten es über drei sein, wenn man von

den Rudersklaven absah. Nahm man also an, daß ein

kleiner Teil der Schiffe als Last- und

Versorgungsschiffe dienten, so ergab sich noch immer

die stattliche Anzahl von fünfzig bis sechzig

Hundertschaften, die nach reicher Beute in Myra

Page 47: Die Bruderschaft des Großen Meeres

lechzten. Das war eine mittlere Zahl. Es mochten

weniger, aber auch mehr sein.

Der Gedanke war alles andere denn erfreulich, vor

allem in Anbetracht der vergleichsweise dürftigen

Flotte, die Myra ihnen entgegenzusetzen hatte. Die

Kapitäne rauften sich die Haare. Nur Partho schien

zufrieden. Seine Rechnung war aufgegangen. Er hatte

es für günstiger befunden, mit der Entlohnung der im

Augenblick nicht benötigten Heereseinheiten zu

warten, bis der ständige Zustrom einstiger Soldaten

Zogors versiegte, die nun auch unter dem neuen König

dienen wollten, vor allem, weil sie nicht viel anderes

gelernt hatten als ein Schwert zu führen. So konnte er

eine bessere Auswahl für das stehende Heer von etwa

vierzig Hundertschaften treffen und einzelne

Bereitschaftstrupps in ihre Heimatprovinzen

entsenden, wo sie im Ernstfall das meiste leisten

konnten, weil sie mit dem Land vertraut waren.

Aber zur Entsendung war es noch nicht gekommen.

Das Heer setzte sich aus siebzig Hundertschaften

zusammen, ganz abgesehen von den zehn

Hundertschaften urgoritischer Soldaten, die ihren

Dienst als Wachen und Gardetruppen innerhalb der

Stadt taten.

Die Aufzählung der Kapitäne war weniger

ermutigend. Hundert Schiffe würden bis zum Abend

flott sein, viele von ihnen kleinere Segler, die nur

Page 48: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Zählwert hatten und keinen wesentlich strategischen.

Daran war auch in den nächsten Tagen nichts zu

ändern.

Daraus ergaben sich verschiedene Probleme. Das

Landheer war zu unbeweglich. Es nützte nur etwas,

wenn es gelang, die feindliche Flotte in Myra

festzunageln. Wenn diese jedoch erkannte, daß an

Land eine Übermacht harrte, würde sie Myra verlassen

und vielleicht an einer anderen Stelle der myranischen

Küste landen. Die Schiffe waren in jedem Fall rascher

als das Heer, das besonders im Süden des Reiches nur

schwerlich Wege nach Osten fand.

Es gab nur eine Möglichkeit: die feindliche Flotte in

eine Falle zu locken. Die Chancen dafür standen gut

genug, denn Jellis konnte nicht wissen, daß die

Wassermenschen Myra bereits einen ganzen Tag vor

Ankunft der Flotte zu warnen vermochten.

Jellis mußte glauben, ein völlig unvorbereitetes

Myra vorzufinden. In dem Glauben mußte man ihn

lassen, bis es zu spät war. Ihn und Cnossos.

Ein völlig friedliches, einladendes Myra mußte sich

den Augen der Feinde bieten und sie reizen, in den

Hafen einzufahren und die Stadt im Handstreich zu

nehmen.

Alle dreihundert Schiffe würden sicher nicht im

Hafen Platz haben, auch nicht in dem langen

Meeresarm bis Faraun. Aber das was draußen bleiben

Page 49: Die Bruderschaft des Großen Meeres

mußte, damit würde die myranische Flotte fertig

werden.

Die Stimmung begann gewaltig zu steigen. Kurz vor

dem Morgengrauen kam eine Abordnung der

Wassermenschen, schlanke, hochgewachsene Männer

mit feingliedrigen Körpern und schulterlangem

weißem Haar. Seit Dragons Bündnis mit ihnen sahen

die meisten myranischen Bürger sie mit anderen

Augen. Waren sie vordem halb Legenden, halb

kinderverschlingende Seegeister gewesen, so hatte

ihnen die Tatsache, daß sie vor myranischen Schiffen

oft unvermutet aus den Fluten tauchten und ohne

Scheu ihren Gruß entboten, viel von ihrer Dämonie

genommen. Aber noch immer war es ein Ereignis,

ihnen gegenüberzustehen. So auch hier im Palast.

Einzig Wigor und Selaqua, die einige Stunden der

Erholung auf ihrer Insel zugebracht hatten, begegneten

ihnen völlig ohne Scheu. Und Yina natürlich, die durch

ihre fast artverwandte Gabe des Gedankenlesens längst

Freunde unter den Tainu gefunden hatte.

Ihre mächtigen Brustkörbe und die verkümmerten

Ohren, hinter denen die Kiemenöffnungen sichtbar

waren, sowie ihre blasse Haut bildeten einen

unglaublichen Kontrast zu den dunkelgebrannten,

untersetzten Bewohnern Myras.

Sie sprachen das Myranische ein wenig zischend,

und sie froren in der kühlen Nachtluft in ihren

Page 50: Die Bruderschaft des Großen Meeres

spärlichen Hüllen aus Fischhaut. Dragon ließ ihnen

Mäntel geben. Das war ein erneuter Gegensatz zu den

heißblütigen Myranern und Urgoriten, denen die

Nachtluft keine Kühlung zu bringen vermochte.

Sie waren höflich und zurückhaltend und tief im

Innersten erfüllt von der jahrhundertealten Furcht des

kleinen Volkes vor einem gewaltigen Feind- dem

Festlandmenschen, der sie aus Unverstand fürchtete

und haßte und tötete.

Bis Dragon gekommen war. Aber die alten Ängste

erloschen nicht so rasch. Erst die Zeit würde die

Wunden heilen. Die Zeit und gemeinsame Gefahren,

die miteinander verbanden. Wie jetzt.

Sie waren Kinder des Meeres – und Meister des

Meeres.

Sie bereicherten Dragons Pläne und erhöhten seine

Zuversicht gewaltig.

Die Aufforderung des Königs, an seiner Seite zu

kämpfen, war so recht nach Wigors Geschmack. Er

hatte bereits begonnen, das Leben an Jaggars Seite zu

vermissen. Daran vermochte auch Sela nichts zu

ändern, obwohl er eine manchmal beinahe

schmerzliche Zuneigung für sie empfand. Er sehnte

sich nach ihr. Seit Tagen war er mit ihr zusammen, und

nie hatte sich die Gelegenheit ergeben, das zu tun,

wonach ihn seine seltsame Leidenschaft drängte, wenn

Page 51: Die Bruderschaft des Großen Meeres

er das Mädchen nur anblickte. In ihren Augen glaubte

er zu sehen, daß auch sie nichts anderes mehr zu

wünschen schien.

Aber im Boot hatte sie der Sturm überrascht, und im

Sturm die Wassermenschen, die ihnen das Leben

retteten. Und seither hatte es wenig mehr als die

nötigste Ruhe gegeben.

Jetzt endlich, als die Audienz beim König vorüber

war, und Iwa, eine ältere Frau, ihnen Gemächer im

Palast anwies, in denen sie bis auf weiteres wohnen

sollten, damit Dragon sie jederzeit bei der Hand hatte,

wenn er Auskünfte brauchte, jetzt schien der

Augenblick gekommen, da er sie in die Arme nehmen

konnte.

»Du wirst nicht an des Königs Seite kämpfen, mein

Geliebter«, sagte sie drängend, als sie allein waren.

Er sah sie verblüfft an. »Aber warum, Sela? Es ist

eine große Ehre, für den König zu kämpfen ...«

»Und zu sterben, ich weiß.« Sie nickte. »Aber nicht

du. Wenn du kämpfen und sterben mußt, dann für

mich. Ich bin eine Iquani, die ihr Herz nur einem Mann

schenken ...«

Er nahm sie in die Arme. »Und seine Seele dafür

nehmen?« fragte er neckend.

Sie nickte ernst. »Du wirst nicht für den König

kämpfen. Nicht gegen meinen Vater ...«

Er starrte sie an. »Es geht gar nicht gegen deinen

Page 52: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Vater, sondern diesen Cnossos, dessen Sklave dein

Vater ist.«

Sie achtete nicht auf seine Worte. »Der König wird

mich als Geisel verwenden. Er weiß, daß ich Jellis‘

Tochter bin ...«

»Woher?«

Sie machte sich aus seinen Armen frei. »Hast du es

nicht gehört? Die Tainufrauen können die Gedanken

lesen. Sie wissen alles über uns- über das, was du über

uns beide weißt. Ich vermag mich dagegen zu

schützen. Alles aber, was du weißt, ist diesen

Fischweibern ein offenes Buch gewesen, in dem sie

eifrig geblättert haben. Diese Yina weiß inzwischen

sicher alles, was sie erfahren haben. Und was dieses

Mädchen weiß, erfährt der König. Du kannst dich

darauf verlassen. Wir sind keine Gäste hier im Palast,

sondern Gefangene. Und wir werden heute noch

fliehen.«

»Nein, Sela«, erwiderte er heftig. »Das werden wir

nicht. Ich habe keine Mühen gescheut, um

hierherzukommen und den König zu warnen ...!«

»Du hast ihn gewarnt. Genügt das nicht?«

»Nein, Sela, es genügt nicht. Es ist mein Kampf

ebenso wie der des Königs ...«

»Pah«, unterbrach sie ihn. »Des Königs! Er ist kein

myranischer König, hast du das vergessen? Er ist ein

Eroberer ...!«

Page 53: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Und wenn schon«, sagte er ungehalten. »Er ist ein

guter König. Darin sind sich alle einig. Keiner von

diesen despotischen Teufeln, denen ein Menschenleben

nichts bedeutet. Wie es Zogor war. Und wie es dein

Vater ist ...!«

Überraschenderweise nickte sie »Es stimmt, was du

sagst. Aber eine Iquani wird sich niemals gegen ihr

Blut wenden, was es auch immer tut. Mein Geliebter,

du wirst dich entscheiden müssen ...«

»Zwischen dir und dem König?« fragte er und

schüttelte den Kopf. »Sela, das ist nicht dein Ernst ...«

»Ich will dich ganz. Ohne Myranien.« Sie sah

forschend in seine Augen, und er dachte, wie

wunderschön sie war. Der Gedanke kam so plötzlich

und lenkte ihn von seinen zwiespältigen Überlegungen

ab. Verlangen erfüllte ihn mit einer schmerzlichen

Heftigkeit.

Es war ihm fast, als könne er nicht mehr klar

denken.

»Armer Wigor«, murmelte sie und schlang die Arme

um ihn. Ihre Nähe hatte etwas Berauschendes. Und er

mochte den Blick nicht abwenden vom Wunder ihrer

dunklen Augen.

»Mein Liebster«, murmelte sie. »Komm. Für dich ist

schon längst entschieden.«

Er verstand nicht, was sie sagte. Es gelangte nicht in

seine trunkenen Sinne. Aber er begriff die Lockung

Page 54: Die Bruderschaft des Großen Meeres

ihrer Arme, ihrer Lippen, ihres Körpers, der wie das

rollende Meer unter ihm war mit einem dunklen,

schimmernden Grund, in dem er sich verankert fühlte.

Immer aber ruhten ihre Augen auf ihm, und in all

der Leidenschaft, die er verspürte, hatte er das

beängstigende Gefühl, etwas zu verlieren.

Wider Erwarten gab es ein Emportauchen an Licht und

die Nüchternheit von Marmor und seidenen Decken,

kostbaren Teppichen und dem Lächeln Selas.

Er fühlte sich leer. Sein Blick fiel auf sein Schwert an

der Seite des Bettes, halb verdeckt von seinen Kleidern.

Er berührte es. Es fühlte sich kalt und fremd an.

Was war nur mit ihm los? Er drehte sich herum,

starrte an die Decke und kämpfte gegen die plötzliche

Furcht in seinem Herzen.

Aber erst Selas Gesicht, das sich zu ihm herabneigte,

löschte sie aus. Ihr schwarzes Haar berührte seine

Wangen, strich wie der sanfteste Wind darüber.

Sie küßte ihn. Wieder fingen ihre Augen die seinen

und hielten sie fest wie etwas Greifbares.

Instinktiv wußte er, was geschehen war, noch bevor

sie es sagte.

»Du gehörst nun mir, mein Liebster, das weißt du,

nicht wahr?«

»Ja«, sagte er tonlos.

»Du weißt auch, daß ich deine Seele habe, damit du

Page 55: Die Bruderschaft des Großen Meeres

mir gehorchst, wo immer du bist, damit du meinen Ruf

hörst, wenn ich dich brauche, und damit unsere

Tochter nicht ohne Seele geboren wird ...«

»Ja, Sela, ich weiß es.«

Sie richtete sich auf. Ihre Finger strichen liebkosend

über seinen Mund, aber mit keiner sinnlichen

Zärtlichkeit, sondern dem abwesenden Spiel mit einem

goldenen Armreif, oder einer kostbaren Fibel – einem

Stück Schmuck, von dem man sich gedankenlos

überzeugt, daß es noch da ist.

Sie dachte an die Dinge, die es nun zu tun galt. Ihr

Kopf war voller Pläne. Und voll Triumph.

Sie besaß eine Seele. Und mit ihr einen Geliebten,

der selbst den König töten wurde, wenn sie es ihm

befahl.

Vielleicht ... vielleicht würde sie es ihm befehlen ...

Als die Versammlung beendet war, und die Männer

sich daranmachten, erste Vorbereitungen zur

Verteidigung zu treffen, erwartete Yina Dragon an der

Tür des Audienzraumes.

»Onkel«, sagte sie und zog ihn ein Stück mit sich

fort. »Ich habe Neuigkeiten.«

Dragon lächelte müde. Er hatte in dieser Nacht

kaum ein Auge zugetan. »Noch mehr Neuigkeiten,

Yina?«

Sie nickte. Ȇber Selaqua ... diese Freundin des

Page 56: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Herrn Wigor ...«

»Ja?« meinte Dragon. »Ist sie nun doch nicht die

Tochter König Jellis‘?«

»Doch. Daran besteht kein Zweifel.

Ich habe versucht, ihre Gedanken zu lesen. Es ... es

ging nicht. Sie vermag eine Art Mauer zu errichten,

und sie scheint zu spüren, wenn man in ihren

Gedanken zu lauschen versucht. Aber die Tainu fanden

doch einiges heraus während des Aufenthalts auf ihrer

Insel, denn Selaqua war zu erschöpft, um auf ihre

Abwehr zu achten. Sie ist eine Iquani ...«

»Ja, davon habe ich gehört. Wigor sprach davon.

Weißt du, was es bedeutet?«

»Ein wenig«, erklärte das Mädchen. »Sie sind ein

Stamm von Frauen. Nur Frauen, nicht wie die

Katmahzari, bei denen die Männer da sind, nur eben

eine untergeordnete Rolle spielen. Es heißt, daß sie nur

einen einzigen Mann lieben können in ihrem Leben,

und daß sie ihm während des Liebesakts die Seele

rauben ...« Yina errötete.

»Die Seele?« fragte Dragon verständnislos.

»Soviel die Tainu herausbekamen, lähmen sie den

Mann mit ihrem Blick ... und nehmen seinen Willen

irgendwie auf. Sie verstehen es auch nicht ganz. Aber

der Mann ist ihnen danach vollkommen zu Willen, so

lange sie leben. Er würde sich selbst töten, wenn sie es

verlangten. Die Liebesgemeinschaft hält nie lange an,

Page 57: Die Bruderschaft des Großen Meeres

meist nur bis zur Geburt des Kindes, das immer eine

Tochter ist, auf die die geraubte Seele übergeht.«

»Auch die Macht über den Vater?«

»Nein. Sonst hätte Selaqua auch Macht über Jellis

haben müssen. Die hatte sie nicht ...«

»Wo ist ihre Mutter. Hat sie keine Macht über

Jellis?«

»Ihre Mutter ist tot. Nicht durch seine Hand. Aber

weiter: Sobald das Kind geboren ist, trennen sich die

Eltern. Aber wie groß die Entfernung auch immer sein

mag, wenn sie ihn ruft, muß er gehorchen. Es heißt,

daß selbst über das Große Meer hinweg der Ruf einer

Iquani vom Geliebten immer gehört wird. Und daß er

dem Ruf Folge leistet, wie wichtig auch gerade seine

Aufgaben sein mögen.«

»Es ist eine ähnliche Kraft, wie Cnossos sie hat«,

murmelte Dragon nachdenklich.

»Ja, Onkel«, stimmte das Mädchen zu.

»Vielleicht sind sie von seinem Blut«, sann Dragon.

Dann sah er sie an. »Sie ist auf Wigor aus, oder?«

»Ja, und er ist ihr verfallen. Er dachte immer nur an

sie.« Wiederum errötete sie. »Es waren gute

Gedanken ...«

»Du meinst, kein Trick von ihr?«

Yina nickte. »Aber sie will ihn. Und sie will zur

Schlangeninsel zurück. Sie wird keine Mühen scheuen.

Auch Blut nicht. Sie könnte ihm befehlen, sie

Page 58: Die Bruderschaft des Großen Meeres

zurückzubringen, und er würde es um jeden Preis zu

tun versuchen.«

»Er würde auch mich töten, wenn ich mich ihm in

den Weg stellte ...?« fragte Dragon.

»Ja«, sagte sie eindringlich. »Obwohl er sehr viel

Achtung vor dir hat, das konnte ich seinen Gedanken

entnehmen. Er wäre dir ein guter Gefolgsmann ...

Onkel ...« Sie zögerte. »Wenn es wirklich geschieht, daß

sie ... ihm seine Seele nimmt, und daß du in seinem

Weg stehst ... laß nicht ihn für ihre Taten büßen.«

Dragon sah sie erstaunt an. »Er scheint dir ans Herz

gewachsen, Maus.«

»Seine Gedanken gefallen mir. Er wäre ein guter

Freund ...«

»Und ein guter Tröster für Bodo?«

»Onkel!« rief sie empört.

»Ich wollte dich nicht kränken«, sagte er lächelnd.

»Ich werde Wigor im Auge behalten – wenn ich sie

noch lange genug offenhalten kann ...«

»Sonst werde ich es für dich tun.«

»Bist du nicht müde?« fragte er verwundert.

»Noch nicht. Ich ...« Sie bekam einen roten Kopf.

»Ich möchte sehen, was geschieht.«

»Kannst du ihn nicht warnen?«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Er liebt sie zu sehr,

als daß er auf mich hören würde. Außerdem glaube

ich, daß es bereits zu spät ist. Ich höre ...« Sie ließ

Page 59: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Dragon plötzlich los und lief den Korridor hinab zu

den Besuchergemächern. Der König starrte ihr

kopfschüttelnd nach.

Sie begann erwachsen zu werden, und er ahnte, daß

ihr diese Gabe des Gedankenlesens noch viel Kummer

bereiten würde.

Yina fühlte, wie Wigors Gedanken kräftiger wurden, je

näher sie den Gemächern kam, die er mit Sela teilte.

Ihre hingegen waren so verschlossen, daß nicht die

Spur nach außen drang. So, als wäre sie nicht hier.

Aber Yina spürte instinktiv, daß das Iquani-Mädchen

bei Wigor war.

Nah bei Wigor, dessen Gedanken so voller

Leidenschaft waren, daß Yinas Gesicht heiß wurde. Sie

schämte sich ihrer Neugier und wollte kehrtmachen.

Aber dann gewahrte sie eine rasch wachsende

Verwirrung in Wigors Gedanken. Undeutlich hörte sie

Sela sagen: »Armer Wigor.«

Etwas geschah mit Wigors Verstand, das Yina nicht

begriff, etwas, das mit Selas Augen zusammenhing.

Dann war da wieder Selas Stimme, beschwörend:

»Mein Liebster. Komm, für dich ist längst

entschieden.«

Noch einmal das Aufwallen der Leidenschaft, das

Yinas Gesicht erglühen ließ.

Dann mit einmal nichts mehr. Absolute Leere. So

Page 60: Die Bruderschaft des Großen Meeres

wie sie es bisher nur empfunden hatte, wenn einer

starb und sein Geist erlosch.

Aber Wigor war nicht gestorben. Im Gegenteil. Sein

Geist schwieg, aber sein Körper lebte um so deutlicher

in Selas Armen. Er lebte in den höchsten Sphären.

Bleich wandte Yina sich ab und lief den Korridor

zurück und die Treppen hoch zu den königlichen

Gemächern. Dort hielt sie keuchend an und lehnte sich

gegen den kühlen Marmor. Ein Schluchzen entrang

sich ihrer Kehle.

Wigor war tot und doch nicht tot. Was hatte das

Mädchen mit ihm gemacht? War er ein Zomby – wie

jene Sklaven Cnossos‘ auf Koroskhyr?

Sie schauderte.

4.

Die Schwarze Wellenreiterin kreuzte seit dem frühen

Morgen vor der Küste Samarkins, einer von

zahlreichen kleineren Inseln auf dem geradesten Kurs

nach Myra. Der zweite Tag ihrer Flucht war

angebrochen. Das Wetter hatte sie gut vorankommen

lassen, obwohl das Schiff nur über die halbe Besatzung

verfügte, die es eigentlich brauchte, wenn die See

Page 61: Die Bruderschaft des Großen Meeres

stürmisch war. Ein gutes Dutzend waren sie, ein

verschworener Haufen, der es sich vorgenommen

hatte, gegen einen Dämon zu kämpfen.

Samarkin war einer der besten Punkte, um auf die

Flotte zu warten. Hier konnten sie Lebensmittel und

Frischwasser laden. Und in diesem Gewirr von Inseln

konnten sie tagelang Versteckspielen, wenn die Flotte

sie entdecken und verfolgen sollte.

Aber tagelang hatte Serphat nicht Zeit.

Natürlich würde die Flotte nicht in Sichtweite der

Küste oder der Fischerboote vorbeisegeln. Sie würden

jedwedes Land vermeiden und Schiffe

gefangennehmen, die ihren Weg kreuzten. Niemand

sollte erfahren, daß die Schlangeninsel ohne Schutz

war, eine leichte Beute- für die kyrischen Nachbarn

beispielsweise ...

Deshalb wagte sich die Wellenreiterin weit genug

nach Westen, um sicherzugehen, daß die Flotte nicht

vielleicht einen Bogen um Naphir machte und westlich

von Morgos nach Norden segelte.

Aber sie kamen auf dem geraden Kurs an Samarkin

vorbei. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und die

Wellenreiterin zog sich an die felsige Küste zurück, die

zum Teil bereits im Schatten lag. Hier würden die

Späherschiffe sie nicht mehr ausmachen können.

Eines dieser Späherschiffe, ein Dreimaster wie die

Wellenreiterin, aber kleiner und gedrungener, kein

Page 62: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Schnellsegler, sondern ein bauchiger Händler, den

Jellis beschlagnahmt hatte, brachte Jaggar auf eine Idee.

Die Wellenreiterin mußten sie früher oder später

zurücklassen. Sie war zu auffällig. Die gesamte Flotte

hielt vermutlich nach ihr Ausschau. Aber mit einem

dieser Späherschiffe mußte es möglich sein, an das

Flaggschiff und den König heranzukommen.

Ganz unbemerkt blieb die nach Norden vorstoßende

Flotte nicht. Mehrere Fischerboote kamen hastig in die

Häfen zurück, kurz bevor zwei Segler mit dem

Piratenbanner der Schlangeninsel ziemlich nahe der

Insel vorbeikamen. Sie waren Teile der Nachhut.

Die Wellenreiterin blieb unentdeckt.

Jaggar wartete ungeduldig, bis die Schiffe außer

Sichtweite waren. Die Sonne verschwand im Meer. Die

Dunkelheit fiel rasch, als Jaggar die Verfolgung

aufnahm. Er hatte keine Angst, die Flotte aus den

Augen zu verlieren, die aus verschiedenen Schiffen

bestand und sich nicht schneller bewegen konnte, als

das langsamste ihrer Schiffe.

Die Nacht war angebrochen, als sie das Inselgebiet

hinter sich ließen. Vor ihnen war das Meer offen. Die

Flottenkapitäne sahen keine Gefahr, in der Finsternis

weiterzusegeln, solange der Wind nicht kräftiger

wurde. Gefährlich würde die Strecke erst gegen

Morgen werden, wenn sie die Untiefen von Marakor

erreichten.

Page 63: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Der Himmel war wolkenlos. Der Kurs konnte leicht

nach den Sternen bestimmt werden.

Jaggar machte gute Fahrt, und bald tauchten dunkle

Kolosse auf dem flach rollenden Meer auf. Sie hatten

den Anschluß an die Flotte geschafft. Nun galt es

vorsichtig zu sein. Die Nachhut mochte sie trotz des

dunkleren südlichen Himmels entdecken. Wenn sie sie

auch nicht zu identifizieren vermochten, so würden sie

sich doch wundern, daß hinter ihnen noch etwas kam.

Ein dünnes, halbverwehtes Hornsignal ertönte.

Augenblicke später leuchteten Lampen auf. Das ganze

Meer vor der Wellenreiterin war übersät mit

schwachen Lichtpünktchen. Es war ein faszinierender

Anblick. Die Lampen gaben nur gedämpftes Licht.

Man hatte sie offenbar mit Ruß bestrichen, damit ihr

Licht nicht zu weit reichte, aber doch weit genug, daß

die Schiffe genügend Abstand voneinander halten

konnten.

Nur die Nachhutschiffe blieben dunkel. Aber gegen

den helleren nördlichen Himmel waren sie deutlich zu

sehen.

Unaufhaltsam pirschte sich die Wellenreiterin näher

an sie heran. Moraq war nervös. Er schlich mit

geballten Fäusten an Deck umher. Das Wagnis schien

ihm zu groß. Aber er wußte auch, daß ihnen nicht viele

andere Möglichkeiten blieben, wenn sie nicht den

Ausgang der Schlacht abwarten wollten. Das wollte

Page 64: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Jaggar nicht. Er wollte dem König vorher die Augen

öffnen, daß ein Teufel sie um jeden Preis in ein

Abenteuer stürzen wollte, das auch ihr Verderben sein

konnte.

Moraq hingegen meinte, daß der Angriff auf Myra

nun nicht mehr aufzuhalten sei, daß auch der König

ihn nicht mehr abbrechen würde. Die Dinge waren zu

weit fortgeschritten, und Jellis hatte immer schon im

Sinn gehabt, Myra anzugreifen. Warum also nicht die

Schlacht abwarten?

Aber Jaggar glaubte, daß es nach dieser Schlacht, ob

sie nun siegten oder verloren, keinen König Jellis mehr

geben würde – nur noch Serphat in seiner Gestalt.

Und noch etwas war für ihn ausschlaggebend: Er

glaubte nicht, daß er nach dieser entscheidenden

Schlacht je seine alten Ehren wieder zurückgewinnen

würde. Jetzt war der Augenblick zu handeln.

Eines der Nachhutschiffe begann zurückzubleiben.

Trotz der Dunkelheit war zu erkennen, daß der

Abstand zwischen ihm und seinen beiden Begleitern

sich vergrößerte. Gleichzeitig verringerte sich der

Abstand zur Wellenreiterin.

Das konnte nur bedeuten, daß es den Nachzügler

entdeckt hatte und sich überzeugen wollte, wer da

noch Anschluß suchte. Jaggar ließ einen Teil der Segel

reffen. Die Wellenreiterin verlor an Fahrt. Aber auch

das andere Schiff verlangsamte. Mehr und mehr

Page 65: Die Bruderschaft des Großen Meeres

verschwanden die Lichter der Flotte am Horizont.

Auch von den anderen Nachhutschiffen war bald keine

Spur mehr zu sehen.

»Jetzt lassen wir ihn herankommen«, entschied

Jaggar.

Bald war das Schiff so nah, daß die Männer das

Ächzen der Masten und Takelagen über dem Rauschen

des Wassers vernehmen konnten.

»Sie werden uns erkennen«, warnte Moraq. »Daß

der Name verdeckt ist, wird sie stutzig machen.«

»Siehst du ihren Namen?« erwiderte Jaggar. »Es ist

viel zu dunkel, daß sie etwas Genaueres erkennen

könnten. Außerdem erwarten sie sicher nicht, daß wir

der Flotte folgen. Und wenn sie Verdacht schöpfen,

wird es zu spät sein. Wenn alles klappt«, fügte er

hinzu.

»Ja, das mögen die Götter geben«, murmelte Moraq,

dem die ganze Sache nicht gefiel.

Wenig später waren Jaggar und seine Männer bereit.

Das andere Schiff lag fast längsseits. Undeutlich sahen

sie mehrere Männer an der Reling.

»Wer seid ihr?« kam eine Stimme über die Gischt.

»Gib ihnen Antwort«, sagte Jaggar zu Moraq. »Das

ist zwar keiner der Kapitäne der Bruderschaft, aber es

mag mit dem Teufel zugehen, daß er mich trotzdem

erkennt ...«

»Und mich als Kommandant von Pequa erst recht«,

Page 66: Die Bruderschaft des Großen Meeres

brummte Moraq. Achselzuckend formte er mit den

Händen einen Trichter vor seinem Mund. »Hier ist

Mezkin, Kapitän der Schwert von Candis!« rief er. »Wir

haben eine Botschaft für den König.«

»Welche Botschaft?« rief der andere zurück.

»Eine sehr wichtige!« erklärte Moraq. »Wir

begegneten kyrischen Kriegsschiffen in der Nähe von

Thira!«

»Kelims Blut!« entfuhr es dem anderen. »Bei Thira

sagst du? Dann mögen sie die Flotte gesehen haben ...«

»Das ist leicht möglich. Kannst du uns zum

Flaggschiff bringen?«

»Das ist unmöglich! Bei der Fahrt die ihr macht, sind

wir eher in Myra!«

»Wir hatten ein Gefecht«, erklärte Moraq, »und

haben einen Teil unserer Segel eingebüßt. Könnt ihr

uns Tuch geben?«

»Warum steigst du nicht über? Wir bringen dich

rasch zum König!«

»Das will ich gern tun, wenn ich mein Schiff

versorgt weiß. Wir brauchen auch ein paar Männer.

Wir hatten einige Tote. Wie ist es? Helft ihr uns aus?«

Eine kurze Pause folgte, während der sich der

Kapitän mit einigen seiner Leute besprach, und

während der das Schiff ganz längsseits kam. Nun

konnten sie ihren Namen lesen. Es war die Meleqa von

Lithiq aus einem Hafen der Südküste der

Page 67: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Schlangeninsel. Moraq atmete auf. Es war

unwahrscheinlich, daß der Kapitän ihn kannte.

Lichter begannen aufzuleuchten auf der Meleqa.

Gleich darauf meldete sich die Stimme des Kapitäns

wieder. »Wie viele Männer braucht ihr?«

»Fünf«, erwiderte Moraq, als Jaggar ihm mit

gespreizten Fingern einer Hand deutete.

»Gut«, gestand der Kapitän zu. »Zündet Lampen an

und macht alles zum Übersteigen bereit!«

Moraq bestätigte, und Jaggar gab Anweisung, die

Reling zu beleuchten und die Entertaue festzuzurren.

»Wer steigt über?« fragte Moraq.

»Du«, meinte Jaggar. »Aber nicht allein. Ich komme

mit – als kyrischer Gefangener. Ebenso Daraq, sein

krauses Haar sieht am meisten nach kyrischem Blut

aus. Wir werden uns ein wenig herrichten. Ein paar

kleinere Schnitte geben genügend Blut, um unsere

Gesichter unkenntlich zu machen. Ihr bringt uns mit

gefesselten Händen nach drüben. Aber so, daß wir die

Fesseln im rechten Augenblick lösen können ...«

»Ihr?« fragte Moraq.

»Ja, du und zwei meiner Männer. Qarin soll das

Schiff führen während unserer Abwesenheit. Er scheint

mir der fähigste Mann. Und er wird doppelt vorsichtig

sein müssen, weil fünf fremde Seeleute an Bord sind,

die keinen Verdacht schöpfen dürfen.«

Lampen erhellten das Deck der Wellenreiterin.

Page 68: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Kaum fünf Mannslängen neben ihr hob und senkte sich

die Meleqa in den langen, flachen Wogen. Enterhaken

kamen durch die Dunkelheit. Männer sprangen, um

die Taue zu befestigen. Strickleitern wurden von Schiff

zu Schiff gezogen.

Während dieser Vorbereitungen, machten sich die

Männer, die mit Moraq gehen sollten, bereit. Jaggar

und Daraq wurden bis auf die unteren Beinkleider

entkleidet. Geringfügige Wunden, deren Blutfluß rasch

stockte, gaben ihnen ein verwildertes Aussehen, wozu

zerrauftes Haar, Schmutz und ein notdürftiger

Verband an Jaggars rechter Schulter noch ihren Teil

beitrugen. Dazu kamen Ketten, die ihnen wohl

gestatteten, die Arme zu bewegen, aber sie doch in

ihrer Bewegungsfreiheit sehr einschränkten. Die

Gelenkstücke allerdings waren leicht zu öffnen, was

aber nur jemand erkennen würde, der sich die Mühe

nahm, sie eingehend zu prüfen. Wozu es gar nicht erst

kommen sollte.

Als Moraq mit seinen beiden Gefangenen und den

zwei Wachen wieder an Deck kam, waren die fünf

Seeleute der Meleqa bereits bei ihrem waghalsigen

Balanceakt über die schwankenden Strickleitern keine

zwei Lanzenlängen über dem schwarzen,

schäumenden Wasser. Moraq begrüßte sie an Bord und

erklärte ihnen, daß sie bis zur Rückkehr seinem

Stellvertreter Qarin unterstanden.

Page 69: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Dann machte sich Moraqs Gruppe auf den nicht

ungefährlichen Weg. Ein Absturz mochte den Tod

bedeuten. In der Finsternis würde man den

unglücklichen Schwimmer rasch aus den Augen

verlieren. Abgesehen davon, daß die Haie in diesem

Gebiet gefürchtet waren.

Es gab einen kitzligen Augenblick, als Daraq ausglitt

und sich einzig mit seinen Ketten vor dem Absturz zu

retten vermochte.

»Du bringst vier Männer mit dir?« fragte der

Kapitän verwundert.

»Ja, aber du wirst diesen Umstand bestimmt

verstehen. Zwei sind kyrische Gefangene. Aber rasch

jetzt. Löst die Taue. Je früher wir den König erreichen,

desto besser. Es ist gut möglich, daß wir gar nicht nach

Myra fahren mit der kyrischen Flotte im Rücken.«

Der Kapitän nickte. »Komm in meine Kajüte. Es mag

einige Stunden dauern, bis wir die Flotte eingeholt und

das Flagschiff erreicht haben. Deine Männer ...«

»Sie bleiben bei den Gefangenen, wenn du erlaubst,

Kapitän ...«

»Ich bin Kapitän Liglin. Komm, ich bin sicher, du

weißt eine Menge zu erzählen.«

Er gab seinen Männern Anweisung, die Taue zu

lösen und die Leitern einzuziehen.

Und die Lampen zu löschen, bis sie wieder

Anschluß an die Flotte hatten.

Page 70: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Als er hinter Liglin in die Kajüte trat, war die

Wellenreiterin bereits zurückgefallen und wurde rasch

von der Dunkelheit verschluckt.

Der Mond ging auf und warf verwaschene Flecken von

Silber auf das Meer. Kurz nach Mitternacht befanden

sie sich schon mitten in der Flotte. Mit einer

charakteristischen Anordnung seiner Decklichter ließ

Kapitän Liglin die Schiffe wissen, daß er als

Späherschiff mit einer dringlichen Nachricht zum

König unterwegs war. Es entstand eine freie

Wasserstraße, durch die die Meleqa mit merklich

schnellerer Geschwindigkeit segelte. Auf den meisten

der Schiffe waren nur verstärkte Deckwachen und

Ausguckposten wach, außer dem Steuermann, der in

wichtigen Angelegenheiten den Kapitän wecken

würde. Der Großteil der Mannschaften schlief. Die

äußeren Schiffe an den Flanken würden wohl ebenso

wie die Späherschiffe auch nachts in ständiger

Bereitschaft sein.

Das Flaggschiff, die Seehexe, befand sich in der

vordersten Ansammlung von etwa drei Dutzend

Schiffen. Es fuhr in ihrer Mitte, geschützt und im

Sichtbereich aller.

Kapitän Liglin war einigermaßen neugierig, aber

Moraq wußte die Begegnung mit den Kyriern so

lebendig zu schildern, daß der Kapitän beeindruckt

Page 71: Die Bruderschaft des Großen Meeres

war und keinen Zweifel hegte, sondern vielmehr mit

der Frage beschäftigt war, ob die Kyrier die Chance

nützen würden, die ihrer Verteidigungskräfte entblößte

Schlangeninsel anzugreifen. Vermutlich sah er seine

Heimatstadt bereits in Flammen. Moraq lächelte. Der

gute Glauben des Mannes gab ihm Zuversicht. Es

mochte nicht schwer sein, auch die anderen zu

täuschen- bis es zu spät war.

Als sie in die Gruppe um das Flaggschiff vorstießen,

hielt Jaggar die Zeit für gekommen. Er streifte die

Ketten ab und gab Daraq ein Zeichen. Auch der

entledigte sich seiner Fesseln. Gemeinsam mit ihren

beiden Wachen marschierten sie zur Kapitänskajüte.

Einige Männer begegneten ihnen, die aber nichts daran

ungewöhnlich fanden, daß die Gefangenen zum Käpt‘n

gebracht wurden. Es war schließlich sein gutes Recht,

sie genauer in Augenschein zu nehmen. Daß sie nicht

mehr gefesselt waren, fiel in der Dunkelheit

niemandem auf.

Liglin sah erstaunt auf, als er die Schritte mehrerer

Männer vernahm, die auf die Kajüte zukamen. Moraq

ahnte, daß der Zeitpunkt zum Handeln war.

Unauffällig machte er sich zum Aufspringen bereit.

Seine Hand glitt an den Dolch in seinem Gürtel.

Die Tür sprang auf. Die Gefangenen stolperten

herein, gefolgt von Jaggars Männern.

»Was ...?« begann Liglin. Dann sah er, daß die

Page 72: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Gefangenen frei waren. Seine Hand fuhr ans Schwert,

aber Moraq stand an seiner Seite und setzte ihm das

Messer an den Hals, was den Kapitän stocksteif

innehalten ließ.

Moraqs zweite Hand griff nach dem Schwert des

Kapitäns und zog es aus der Hülle. Er tastete ihn nach

weiteren Waffen ab und fand einen Dolch. Auch den

nahm er an sich, während Liglin mit dem Messer an

der Kehle keinen Laut von sich zu geben wagte.

»Gebt auf die Tür acht!« befahl Jaggar seinen beiden

Männern. »Laßt niemanden herein.« Dann deutete er

auf Liglin. »Laß ihn sich setzen. Er versteht auch so,

scheint mir, daß sein Hals der erste ist, der seinen Kopf

verliert, wenn ihm irgendwelche Ideen kommen.«

Moraq nahm das Messer fort, hielt aber das Schwert

bereit und trat einen Schritt zurück, damit Liglin sich

setzen konnte. Der blickte bleich in die entschlossenen

Gesichter.

»Wer ... wer seid ihr?«

»Das tut nichts zur Sache. Sagen wir, wir sind

Freunde des Königs und wollen ihm aus einer

verdammt mißlichen Lage helfen ...«

»Aber ...«, stammelte Liglin, »wozu dann die

Gewalt? Wir ... wir sind doch alle für den König ...«

»Das Dumme ist«, fuhr Jaggar fort, »der König weiß

nichts von seiner Lage, und du könntest denken, wir

hätten etwas Krummes mit ihm vor. Deshalb fragen

Page 73: Die Bruderschaft des Großen Meeres

wir dich gar nicht erst um deine Meinung. Du wirst

uns behilflich sein oder keine Gelegenheit mehr haben,

uns im Weg zu stehen. Leuchtet dir das ein?«

Wütend starrte der Kapitän die Eindringlinge an.

Moraqs auffordernder Ruck mit der Schwertspitze

schien ihm die Entscheidung jedoch mehr oder

weniger abzunehmen. Er nickte zähneknirschend.

»Bevor du dich in deinem scheinbar so gerechten

Zorn zu Unbedachtsamkeiten hinreißen läßt«, mahnte

Jaggar eindringlich, »für die alle Reue zu spät kommen

würde, laß dir sagen, daß der König unser Handeln

schätzen wird. Wenn du klug bist, wartest du ab, bis

du keine Zweifel mehr hast, wer Freund und Feind ist.

Vorwärts jetzt!«

Moraq schob ihn zur Tür, wo die beiden Wachen zur

Seite traten.

»Kelims Bart! Was erwartet ihr von mir?« rief der

Kapitän.

»Laß ein Boot zu Wasser!« befahl ihm Jaggar. Er

deutete auf Daraq. »Ich werde mit dem Mann hier

übersetzen, um mit dem König zu reden. Du wirst dem

Schiff drüben begreiflich machen, daß ein Mann mit

einer wichtigen Botschaft, mit einer vertraulichen

Botschaft für den König an Bord gelassen werden

möchte. Und denk an meine Worte, Kapitän!«

Sie traten aus der Kajüte und schoben den Kapitän

voraus. Der sah sich zögernd um. Dann schritt er

Page 74: Die Bruderschaft des Großen Meeres

entschlossen aufs Vordeck und gab einem Bootsmann

den Befehl, eines der Boote zu Wasser zu lassen und

Taue bereitzuhalten. Jemand würde auf das Flaggschiff

übersetzen.

Das Flaggschiff war zum Greifen nahe. Dort war

man inzwischen auf das herankommende Schiff der

Nachhut aufmerksam geworden. Die Deckwachen

winkten mit Fackeln, ein Zeichen, das Liglin erwidern

ließ. Eine Losung wurde verlangt, die der Kapitän gab,

worauf er erklärte, was sein Begehr sei.

Es gab eine kurze Pause, dann kam vom Flaggschiff

der Befehl, den Nachrichtenbringer überzusetzen.

Entertaue flogen von Reling zu Reling. An einem

hing das Boot, in dem Jaggar und Daraq saßen. Da die

Schiffe ihre Geschwindigkeit nicht verminderten, wäre

ein Hinüberrudern unmöglich gewesen. Statt dessen

hing es wie eine Fähre am Tau und wurde von einem

Dutzend Leute der Seehexe Zug um Zug eingeholt.

Jaggar überprüfte das Seil, das er um seinen

Oberkörper geschlungen hatte. Daraq war der erste,

der die Strickleiter an der Bordwand des Flaggschiffes

hochkletterte. Jaggar folgte ihm. Sein Gesicht sah noch

immer entstellt genug aus, daß ihn wohl kaum einer

auf den ersten Blick erkennen würde. Und so lange,

daß es für einen zweiten Blick reichte, hatte er nicht vor

an Bord zu bleiben.

Das Problem war Serphat, der Schlangenpriester. Es

Page 75: Die Bruderschaft des Großen Meeres

konnte geschehen, daß sie wiederum einen falschen

König entführten. Aber es war doch unwahrscheinlich,

denn sicher hatten sowohl der König, als auch der

Priester bequeme Räumlichkeiten, und der Priester

würde nicht das Risiko eingehen, vor den Augen

einiger der engsten Vertrauten des Königs vielleicht

Fehler zu begehen, die unnötiges Mißtrauen

hervorriefen. Er hatte den König gut genug in der

Gewalt. Daß er im Ernstfall die Gestalt des Königs

selbst annehmen würde, das war ein Trumpf, den er

sich sicherlich zum Schluß aufsparen würde.

Aber möglicherweise war Serphat bei der

Unterredung zugegen. Dann war höchste Vorsicht und

schnellstes Handeln geboten. Und vor allem eines, das

er auch Daraq eingeschärft hatte: Sie durften nicht an

ihren Plan denken – mit keinem Gedanken. Denn der

Priester vermochte Gedanken zu erkennen. Sie würden

dieses Schiff nicht mehr verlassen.

Als sie an Deck kamen, betrachteten die Männer der

Seehexe sie neugierig, aber vorerst schien keiner

Verdacht zu schöpfen. Sicher trugen auch die

Dunkelheit und das flackernde Licht dazu bei, daß man

Jaggar nicht erkannte.

»Folgt mir. Der König erwartet euch.« Das war

Merkin, der Kommandant der Garde, und die Götter

mochten wissen, was er auf dem Flaggschiff sollte.

Sicher war es eine von Jellis Launen. Oder eine von

Page 76: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Serphat?

Er führte die beiden zur Kajütentreppe. Dort

warteten zwei Männer, denen er einen Wink gab,

worauf sie sich daran machten, Jaggar und Daraq nach

Waffen abzusuchen. Sie fanden nichts außer dem Seil,

das Jaggar bei sich hatte. Einer der Wachen wollte es

ihm abnehmen, aber Merkin winkte ab. Er schritt mit

der Fackel voran die Treppe hinab und pochte an der

Tür. Jaggar und Daraq folgten ihm.

»Kommt ‚rein.« Das war Jellis‘ Stimme.

Sie traten ein, Merkin voran, der ihnen die Tür

aufhielt, sie hinter ihnen wieder schloß, aber keine

Anstalten machte, zu gehen.

Jaggar musterte Jellis. Allen Anschein nach war es

der König, aber Jaggar war klug genug, vorsichtig zu

sein mit seinen Gedanken, und er hoffte, daß Daraq es

auch war. Im Hintergrund der Kajüte war eine Tür, die

einen Spalt offenstand. Die Dunkelheit dahinter war

wie eine fühlbare Drohung. Er hatte das unbestimmte

Empfinden, daß dort etwas lauerte. Es konnte wenig

Zweifel darüber geben, was dieses Etwas war: Serphat!

Aber Jellis schien frei von Serphats Geist, wenigstens

von dessen dirigierender Kraft. Es schien Jaggar, als

wollte Serphat abwarten, was geschah, um im rechten

Augenblick einzugreifen.

»König Jellis?« fragte Jaggar.

Der König nickte. Jaggars Stimme schien ihm

Page 77: Die Bruderschaft des Großen Meeres

irgendwie vertraut. Es war deutlich zu sehen, daß er

aufhorchte.

Unbeirrt fuhr Jaggar fort: »Es ist eine vertrauliche

Nachricht.«

Der König nickte. »Laß uns allein, Merkin.«

Der Gardekommandant ging widerwillig. Jaggar

warf einen Blick auf die offene Tür im Hintergrund.

»Hier ist niemand«, stellte der König verärgert fest.

Aber es klang nicht überzeugend. Der König wußte

genau, wer dort stand und lauschte. Auch der

vertraute Ärger war ein gutes Zeichen. Im Augenblick

wenigstens hatte Serphat den König nicht in seiner

Gewalt, er mochte vielleicht in seinen Gedanken

lauschen, aber er beherrschte ihn nicht. Noch ließ er ihn

selbst handeln und entscheiden.

Das war eine günstige Voraussetzung.

»Es würde mich aber beruhigen, o König, wenn sie

geschlossen wäre«, erwiderte Jaggar vorsichtig.

»Zweifelst du etwa an meinem Wort?« brauste Jellis

auf.

»Es heißt, daß ein Priester deine Gunst hat, König.

Und daß er wundersame Dinge vollbringt. Es heißt

aber auch, daß er mehr Macht über dich hat, als recht

ist«, meinte Jaggar gleichmütig. »Es spricht sich herum,

daß der König nur ein Sklave ist, und der Priester sein

Herr ...«

»Wer sagt das?« rief Jellis und wurde blaß.

Page 78: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Jedermann. Das Volk ist nicht blind.« Er gab Daraq

einen Wink. »Laß meinen Begleiter die Tür schließen.

Ich bezweifle deine Worte nicht. Aber ich werde erst

reden, wenn ich deine Ohren als die einzigen weiß, die

mich vernehmen können.«

»Du wagst eine ganze Menge, Fremder. Weißt du

nicht, daß ich dich auspeitschen lassen könnte, bis dir

die Worte von den Lippen kommen wie ...«

»Es würde dir nicht gefallen, König«, unterbrach ihn

Jaggar rasch. »Es wäre dir unangenehm, wenn andere

hörten, was ich dir zu sagen habe. Also?«

Es gab eine merkliche Pause, so als gäbe etwas dem

König die Erlaubnis. Dieser nickte schließlich, und

Daraq ging zur Tür und schloß sie. Er schob den Riegel

vor.

»Nun sind wir unter uns«, sagte der König. »Wer

bist du, und wie lautet deine Botschaft?«

Jaggar nickte Daraq zu. Dieser schlich auf den König

zu, umklammerte ihn plötzlich von hinten, wobei er

ihm mit der Linken den Mund zuhielt und mit der

Rechten nach dem Dolch im Gürtel griff. Kaum daß

Jellis sich von seiner Überraschung erholt hatte, schlug

ihn Daraq mit dem Dolchgriff gegen den Kopf. Jellis‘

Gestalt sackte zusammen.

Währenddessen hatte Jaggar das Seil von der

Schulter gezogen, halb ausgerollt und das eine Ende

um Jellis‘ Mitte geschlungen und mit dem Gürtel

Page 79: Die Bruderschaft des Großen Meeres

verschnürt. Daraq kam mit einem Schwert auf ihn zu,

das er in der Kajüte entdeckt hatte.

Alles war in wenigen Augenblicken geschehen.

Aber nicht unbemerkt!

An der hinteren Tür rüttelte etwas mit

erschreckender Wildheit. Ein wütender Laut drang in

die Kajüte. Dann begann etwas, das Jellis und Daraq

das Blut in den Adern gefrieren ließ. Eine graue Masse

quoll durch den Türspalt und floß wie eine dünne

Gallerte am Holz entlang.

Jaggar sprang mit einem Fluch zur Wand und riß

die Öllampe aus der Halterung. Er warf sie gegen die

Tür. Das Glas splitterte in tausend Teile. Das Öl floß

über das Holz und die graue Masse. Das Feuer

züngelte hinterher. Es machte keinen Unterschied

zwischen Holz und der Masse. Es brannte lichterloh.

Die Gallerte zuckte zurück und wand sich wie ein

flachgetretener riesiger Wurm. Ein unheimlicher Laut

hallte durch das ganze Schiff, einer, der aus großer

Qual geboren war.

Jellis erwachte. Er sah, was an der Tür geschah und

versuchte aufzuspringen. Daraq und Jaggar hielten ihn

fest.

»Fort von hier!« rief Jaggar. »Solange uns noch Zeit

bleibt!«

Sie brauchten den König nicht mitzuzerren. Seine

Augen waren weit aufgerissen. Er war frei von allem,

Page 80: Die Bruderschaft des Großen Meeres

was über ihn geherrscht hatte. »Ihr Götter!« stammelte

er. »Fort. Nur fort!« Er wich zurück vor dem

dämonischen Schauspiel der sich windenden,

zurückziehenden Masse.

Alle drei erreichten die Tür und stürzten nach

draußen, während der Kajütenteil aufloderte und den

blendenden Schein der Flammen über das ganze Schiff

warf.

Merkin kam ihnen entgegen, als sie die Treppe

hochhasteten. Er versuchte, sie aufzuhalten, aber der

König schob ihn einfach zur Seite. »Verlaßt das Schiff!«

krächzte er, und Merkin, der nur das Feuer sah und

nicht wußte, was sich in der Kajüte abgespielt hatte,

sah ihn verständnislos an.

»Mein König ...«, begann er.

»Rasch«, drängte Jellis. Er meinte seine beiden

Begleiter. Merkin legte es anders aus. Er brüllte etwas

von Löschkommandos.

Ein eiliges Durcheinander entstand, das die

Fliehenden unbemerkt zur Reling gelangen ließ. Jaggar

band sich hastig das andere Ende des Seils um die

Mitte, während Daraq nach unten kletterte.

Plötzlich fühlte Jaggar, daß mit dem König eine

Veränderung vorging. Er erstarrte mitten in der

Bewegung. Jaggar wußte, was es bedeutete. Serphat

hatte das Feuer überlebt und trachtete nun danach, den

König wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Page 81: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Und allem Anschein nach hatte er damit Erfolg.

Jaggar zögerte nicht. Er umklammerte den König,

daß dessen Arme an seinen Leib gepreßt waren, und er

sich mit den Händen nirgends festhalten konnte.

Niemand schien sie zu beobachten. Alle waren mit

dem Feuer beschäftigt. Nur Serphat lauerte irgendwo

in der Dunkelheit.

Jaggar schwang sich über die Reling und zerrte den

sich plötzlich wehrenden König mit sich. Sie fielen

beide. Einen Augenblick fürchtete Jaggar, sie könnten

in das Boot fallen und sich das Genick brechen. Aber

dann tauchten sie in das kalte heftig schäumende

Wasser, das in einem raschen Strom zwischen den

beiden Schiffen dahinschoß.

Es gab einen schmerzhaften Ruck, und sie hingen an

dem Seil wie an einer Angel. Jaggar kam hoch und

schnappte nach Luft. Direkt neben ihm befand sich das

Boot, das wild in den Heckwirbeln der Meleqa tanzte.

Daraq hatte das Seil gekappt, mit dem das Boot mit der

Seehexe verbunden gewesen war. Es hing nun nur

noch an der Meleqa, gute zehn Lanzenlängen hinter

dem Heck. Niemand auf dem Schiff machte sich daran,

das Tau mit dem Boot einzuholen. Aber Moraq schien

auf dem Posten, denn die Meleqa vergrößerte den

Abstand zur Seehexe.

Helfende Hände griffen nach Jaggar. Daraq

versuchte ihn in das schwankende Boot zu zerren.

Page 82: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Aber er war zu schwach, denn am Seil hing auch noch

der König, der verzweifelt gegen die Strömung

kämpfte.

Jaggar kämpfte sich Griff um Griff am nassen Rand

des Bootes entlang, bis auch Jellis es fassen konnte.

Danach war es einfacher. Mit Daraqs Hilfe gelang es

ihnen, sich über den Bootsrand zu ziehen, von wo sie

erschöpft in das Innere fielen.

Das Feuer auf der Seehexe wurde schwächer. Die

Mannschaft schien seiner Herr zu werden. Ein Teil

stand mit Fackeln an der Reling. Undeutlich sahen die

drei im Boot, wie einige Bogenschützen sich unter die

Fackelträger mischten. Gleich darauf flogen die ersten

Brandpfeile zur Meleqa, auf der die Mannschaft sich

jedoch auf das Löschen beschränkte und das Feuer

nicht erwiderte. Sie gewann stetig Abstand und würde

bald außerhalb der Reichweite der Bogenschützen sein.

Diese hatten jedoch plötzlich das Boot entdeckt, das

hinter der Meleqa im Schlepp hing. Die drei Insassen

legten sich flach auf den Boden. Bald war das Boot

gespickt von brennenden Geschossen, die das

schäumende »Wasser jedoch rasch löschte.

Einen Moment, während das Boot schaukelte, sahen

sie eine von den Fackeln hell beleuchtete Gestalt an der

Reling der Seehexe stehen. Sie war zu deutlich zu

sehen, als daß es ein Irrtum hätte sein können.

»Der König ist noch an Bord!« entfuhr es Daraq

Page 83: Die Bruderschaft des Großen Meeres

verblüfft.

Jaggar schüttelte den Kopf. Er sah triumphierend

auf Jellis, der hinter ihm im Boot lag und mit weit

aufgerissenen Augen auf sein Ebenbild an der in der

Dunkelheit entschwindenden Reling der Seehexe

starrte.

Die Pfeile kamen nun zu kurz und tauchten

zischend in das Wasser. Die Schützen schienen es

einzusehen, denn sie stellten den Beschuß ein.

Eines der Begleitschiffe kam langsam näher. Aus der

Entfernung ließ sich nicht viel erkennen, aber die

gesamte Besatzung schien an Deck versammelt zu sein,

der Anzahl von Fackeln und Lampen nach zu

schließen. Das kleine Feuergefecht war nicht

unbemerkt geblieben. Aber wenn die Meleqa ihren

Kurs beibehielt, gelangten sie aus der Gefahrenzone,

ohne weiteren Schiffen allzu nahe zu kommen.

Außerdem hatten die Männer der Meleqa begonnen,

das Boot einzuholen.

»Überzeugt, mein König?« rief Jaggar über das

Rauschen.

Jellis kam aus seiner Starre und schüttelte

verwundert den Kopf, so als gelte es eine

Benommenheit abzuschütteln. Aber die Benommenheit

nahm zu. Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich. »Helft ...

mir ...!« krächzte er plötzlich, und bevor einer der

beiden ihn festhalten konnte, sprang er auf und stürzte

Page 84: Die Bruderschaft des Großen Meeres

sich in die Fluten.

Geistesgegenwärtig warf sich Daraq auf Jaggar. Der

Ruck, als sich das Seil spannte, das noch immer den

König an Jaggar fesselte, ließ die beiden Männer

schmerzhaft gegen die Bootswand schlagen.

Verzweifelt klammerte sich Jaggar an einer der Bänke

fest, während Daraq sich daranmachte, das Seil

einzuziehen. Es war ein mühevolle Tätigkeit, um so

mehr, als der König selbst keinerlei Hilfe war. Er schien

die Besinnung verloren zu haben. Er regte sich auch

nicht, als sie ihn ins Boot zogen. Aber er atmete

schwach.

Jaggar war vorsichtig genug, das Seil vorerst nicht

zu lösen, bis er ganz sicher sein konnte, daß Serphats

Macht über den König gebrochen war. Keiner konnte

sagen, wie weit sie reichte. Vielleicht hörte sie niemals

auf, aber deutlich erkennbar war, daß sie mit der

Entfernung schwächer wurde. Jaggar dachte, daß es

von nun an gefährlich sein würde, den König allein

und ohne Aufsicht zu lassen, auch wenn sein Hilferuf

deutlich gemacht hatte, daß er wieder frei denken

konnte wenigstens zeitweilig.

Sie näherten sich immer mehr den äußeren Schiffen

der Flotte. Das ließ sich leicht an den Lichtern

erkennen. Zwei oder drei Schiffe mochten noch

zwischen ihnen und der schützenden Dunkelheit

liegen. Aber sie waren keine große Gefahr mehr. Sie

Page 85: Die Bruderschaft des Großen Meeres

segelten zu weit am Rand, als daß sie etwas von dem

mitbekommen hatten, was auf dem Flaggschiff

geschehen war. Vor allem würden sie es nicht mit der

Meleqa in Verbindung bringen.

Das Boot war bald so weit eingeholt, daß es

scharrend an der Bordwand hing. Strickleitern kamen

herab.

»Du zuerst«, befahl Jaggar und starrte Daraq nach,

während dieser hochkletterte. Der König kam stöhnend

zu sich, als Jaggar ihn aufrichtete und über die Schulter

werfen wollte, um so mit ihm hochzusteigen. Jaggar

ließ ihn wieder los und wartete, bis der König sichtbar

wahrnahm, was um ihn geschah. Jellis starrte ihn an

und erkannte zum erstenmal, wen er vor sich hatte.

»Jaggar«, murmelte er betroffen.

Jaggar nickte. »Ja, mein König. Wirst du Kraft genug

haben, hinaufzusteigen?«

Jellis sah hoch und nickte. Er stieg die ersten

Sprossen der schwankenden Strickleiter hoch, glitt ab,

aber Jaggar, der dicht hinter ihm die Leiter ergriffen

hatte, fing ihn. »Ein Seil!« rief er.

Gleich darauf fiel ein Seil nach unten. Das Ende

baumelte neben ihnen. Jaggar nahm es und schlang es

um Jellis. »Hoch! Aber langsam!«

Er selbst folgte vorsichtig, als er das Seil, das ihn mit

dem König verband, von seinem Gürtel gelöst hatte. Es

wäre zu gefährlich gewesen. Einer hätte den anderen

Page 86: Die Bruderschaft des Großen Meeres

mitgerissen, wenn er abgestürzt wäre.

Oben angekommen, gab es eine Überraschung.

Daraq lag bewußtlos am Boden, und zwei Männer der

Besatzung waren dabei, ihn kunstgerecht zu

verschnüren. Jaggars Blick flog in die Runde. Er

gewahrte Moraq und die beiden Männer der

Wellenreiterin entwaffnet und mit erhobenen Händen

vor dem Steuerhaus, während mehrere Männer sie mit

blanken Klingen in Schach hielten.

Jaggar unterdrückte das Verlangen, einfach

zurückzuspringen. Statt dessen ergriff er den König am

Arm, der schwankend auf Deck stand und sich

verwundert umsah. »Mein König«, sagte er rasch.

Kapitän Liglin kam mit entschuldigender Miene auf

Jellis zu. Aber man sah ihm auch die Verblüffung an.

Denn wie alle anderen hatte er König Jellis zuletzt an

der Reling des Flaggschiffes gesehen, und zwar, als das

Boot schon längst nur noch im Schlepp der Meleqa

hing. Aber es zweifelte doch keiner, den König vor sich

zu haben, von denen, die ihn von Angesicht zu

Angesicht kannten.

Jellis mochte noch immer verwirrt sein, aber er

begriff rasch. »Deine Männer?« fragte er Jaggar.

Der nickte.

»Laß sie frei!« befahl der König mit schwacher

Stimme. Es war nicht zu übersehen, daß er erschöpft

war – aber nicht vom Körper her. Etwas lag lähmend

Page 87: Die Bruderschaft des Großen Meeres

über seinen Gedanken. »Laßt diese Männer frei!«

wiederholte er, als die Besatzung nicht sofort reagierte.

Er wartete, bis die Fesseln gefallen waren und nickte

den Befreiten mühsam zu. »Ich danke euch.«

Kapitän Liglin sah sich von den Umständen

überrumpelt. Er stand unsicher vor dem König. »Wir

sind alle deine Diener, König«, sagte er. »Wir dachten

...«

Jellis unterbrach ihn mit einem kurzen Nicken.

»Dieses Schiff ... wie ist sein Name?«

»Meleqa von Lithig«, antwortete Liglin stolz.

»Die Meleqa von Lithig steht ab sofort unter meinem

Kommando«, erklärte Jellis. Er griff nach Jaggars Arm.

»Kapitän Jaggar ist mein Stellvertreter. Seine

Anordnungen sind ohne Widerrede zu befolgen.«

Erstauntes Raunen ging durch die Männer der

Meleqa. »Jaggar?« entfuhr es Liglin. »Der Verräter ...?«

Er griff unbewußt nach seinem Schwert.

»Ja«, erwiderte Jellis. »Jaggar, der Verräter. Aber

wenn einer es wagen sollte, dieses Wort in den Mund

zu nehmen, wird es sein letztes sein!« Er schwankte. Er

preßte seine Fäuste an die Stirn. »Bringt mich hier

weg«, sagte er beinahe flehend. Sein Blick verschleierte

sich. Die Männer wichen entsetzt zurück. Sie wußten

nicht, was mit dem König geschah, aber sie spürten

instinktiv, daß etwas Dämonisches vorging, etwas

Gespenstisches. Als wären zwei Seelen in ihm, die

Page 88: Die Bruderschaft des Großen Meeres

miteinander rangen.

»Das ist Serphats Werk!« rief Jaggar. »Rasch, in die

Kajüte. Wir müssen ihn festbinden, bis er wieder frei

ist. Es mag sein, daß er über die Reling springt oder

Amok läuft ...!«

»Festbinden?« schrie der Kapitän. »Den König

festbinden?«

Jellis begann sich zu wehren. Jaggar und Moraq

nahmen ihn in die Mitte und führten ihn auf die Kajüte

zu. Er fluchte innerlich. Das war der ungünstigste

Augenblick für einen Angriff des Priesters. Der

Kapitän fing erneut an, die Lage mißzuverstehen.

Wahrscheinlich glaubte er, der König wäre in seiner,

Jaggars Gewalt. Aber jetzt blieb keine Zeit,

nachzudenken.

Sie schoben den König in die Kajüte, während Daraq

und die beiden Männer Jaggars ihnen den Rücken

deckten. Die Mannschaft begann sich drohend

zusammenzurotten.

Jellis begann sich immer mehr wie ein Wahnsinniger

zu betragen, während die beiden ihn in der Koje

festzubinden versuchten. Er schrie und biß, und

Schaum trat vor seinen Mund, als wäre er krank.

Jaggar gebrauchte seine Faust. Er schlug mit

zusammengebissenen Zähnen zu. Die Gestalt wurde

schlaff. Die Züge entspannten sich augenblicklich. In

dem Augenblick, da er die Besinnung verlor, hörte

Page 89: Die Bruderschaft des Großen Meeres

auch die Kontrolle des Priesters auf.

Jaggar atmete auf. Das war wenigstens etwas. Er

fing an, für die kleinen Dinge dankbar zu sein. Sie

banden ihn fest und waren kaum fertig, als Daraq

hereingestürmt kam.

»Käpt‘n! Sie werden uns angreifen ...!«

Durch die offene Kajütentür sahen sie die Männer

der Besatzung herankommen. Langsam und noch ein

wenig zögernd. Aber mit blanker Klinge.

Jaggar nahm den Dolch, den er dem König

abgenommen hatte und drückte ihn mit der Schneide

an Jellis‘ Kehle. Er sah auf, als seine beiden Männer

hereinkamen und die Besatzung durch die enge Tür zu

quellen begann.

Moraq griff entschlossen zu einem runden,

niedrigen Hocker, den er an einem Bein wie einen

Schild hielt, in der anderen Hand einen Dolch.

Als sie den Dolch an der Kehle des Königs sahen,

wollten sie zurückweichen, aber die hinter ihnen

Kommenden schoben mit aller Gewalt herein.

»Einen Schritt noch, und es fließt Blut«, sagte Jaggar

ruhig.

Ein Tumult begann, als die vordersten mit aller

Gewalt zurückdrängten. Plötzlich torkelte einer aus der

bereits halb im Raufen begriffenen Besatzung. Liglin.

Er starrte bleich auf Jaggar und den zu sich

kommenden König.

Page 90: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Nun, wie ist es, Liglin«, fragte Jaggar drohend ...

Willst du den König haben?«

»Ja. Jaggar«, erwiderte der Kapitän

zähneknirschend. »Aber nicht tot ...«

»In deiner Hand wäre er tot besser aufgehoben«,

meinte Jaggar.

»Was willst du damit sagen, du ...« Das Wort

Verräter lag ihm sichtlich auf der Zunge. Aber etwas an

dem erwachenden Blick des Königs ließ ihn stocken.

»Das mag er dir selbst sagen, wenn die Flotte weit

genug fort ist. Vorerst lautet des Königs Befehl, daß du

meine Befehle befolgst. Und er hat ihn noch nicht

widerrufen. Bring uns zu meinem Schiff zurück.

Moraq, geh an Deck und wache darüber, daß keine

Signale ausgetauscht werden. Und nimm meine beiden

Männer mit. Daraq bleibt hier!‘ »Gut. Käpt‘n.«

Moraq und Jaggars Männer verschwanden, und

Kapitän Liglin mit ihnen, um seiner Mannschaft

klarzumachen, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als

zu gehorchen.

Vorerst.

Aber seine Blicke ließen keinen Zweifel darüber, daß

er abrechnen wurde.

5.

Page 91: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Am Tag sah alles anders aus.

Wigor blinzelte in der Sonne, als er den Palast

verließ. Der König war im Hafen, und zu ihm wollte er.

Es sollte eine Hochzeit geben, noch vor dem Angriff,

und dazu wollte er des Königs Segen. Das war eine

große Ehre, die ihm in Deyman viel Ansehen

verschaffen wurde. Er war zwar keiner, den die

Standesdünkel plagten, aber die Gelegenheit war

günstig. Der König schien ihm gut gesinnt, und

außerdem- wenn er an des Königs Seite focht, warum

sollte er nicht auch an des Königs Seite heiraten?

Sela bedeutete ihm viel. Er spürte es mit jeder Faser

seines Körpers. Die vergangene Nacht mit ihr war

etwas, das sich tief in sein Herz und seinen Verstand

geprägt hatte. Und symbolisch, ja, symbolisch, dachte

er, hatte sie ihm seine Seele genommen. Auf eine

wunderbare Weise war er ihr verfallen.

Aber war das nicht bereits auch vorher so gewesen?

Als er mit ihr von Kapitän Jaggars Schiff floh? Hatte er

da nicht auch bereits das übermächtige Verlangen

gespürt, sie in den Armen zu halten? Wäre er

wahrhaftig ohne sie geflohen? Nein, er liebte sie ... seit

... vielleicht seit dem Augenblick, da er sie zum

erstenmal sah. Es war nichts wirklich Magisches an

diesem Seelenraub, dem die Iquani-Mädchen soviel

Bedeutung beizumessen schienen. Doch, es war

Page 92: Die Bruderschaft des Großen Meeres

magisch, aber nicht auf dämonische Weise. Wenn diese

Liebe Ketten waren, nun gut, dann war sie leichter zu

tragen als manche Freiheit.

Daß Sela nicht dulden wollte, daß er an der Seite des

Königs focht, war eine keineswegs ungewöhnliche

weibliche Einstellung. Welche Frau ließ ihren Mann

gern in den Krieg ziehen. Dazu kam ein wichtiger

Punkt, der ihm selbst einige Kopfzerbrechen bereitete.

Er würde gegen Selas Vater und gegen Kapitän Jaggar

kämpfen müssen. Was geschah, wenn er tatsächlich

Jaggar gegenüberstand? Würde er zustoßen? Oder

Selas Vater. König Jellis, an dessen Blut er nun

teilhatte?

Er schob den Gedanken beiseite. Dieser Umstand

würde wohl kaum eintreten. Der Zufall wäre zu groß.

Sein Platz war hier. Seine Heimat war bedroht. Sein

König rief ihn. Nichts würde ihn davon abhalten, in

der Verteidigung Myras seinen Mann zu stehen.

Auch nicht seine geliebte Sela. Es war ihr Vater, der

den Krieg begann mit oder ohne den Priester.

Er wußte, daß Sela anders dachte, daß eine Iquani

nicht wie eine gewöhnliche Frau denkt. Aber er

glaubte, daß er sie letztendlich überzeugen konnte, daß

es für sie beide jetzt keinen Weg zurück ins Meer gab,

aus dem sie gekommen waren. Ganz abgesehen davon,

daß kein Schiff Myra im Umkreis von zwei Tagesritten

verlassen konnte, ohne daß die Späher der

Page 93: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Wassermenschen es bemerkt hätten. Und sie ließen

keines der Schiffe durch. Niemand durfte das Gebiet

um Myra verlassen. Nicht das unbedeutendste

Fischerboot wurde außer acht gelassen. So lautete des

Königs Anordnung.

Niemand sollte die Flotte warnen können vor der

Falle, die man emsig vorbereitete.

Während er die gewundene Straße des Glanzes in

das Hafenviertel hinabritt, kam ihm etwas in den Sinn,

das ihn trotz der warmen Luft frösteln ließ, obwohl er

sich dabei einen Narren schalt. Irgendwo in dieser

Nacht mit Sela war ein dunkler Punkt. Da war immer

ein Gefühl der Panik, wenn seine Gedanken in diese

Richtung wanderten. Eine instinktive Furcht.

Irgend etwas war geschehen, das er nicht verstand,

oder besser, an das er sich nicht zu erinnern vermochte,

so sehr er es auch versuchte.

Es mochte ebensogut ein Traum gewesen sein. Aber

etwas in ihm wollte sich mit dieser einfachen Erklärung

nicht zufriedengeben. Augen hatten etwas mit dieser

Furcht zu tun. Dunkle Augen.

Selas Augen?

Er erreichte die Kais und sah sich staunend um. Der

Hafen bot ein ungewöhnliches Bild. Die großen Schiffe

der Flotte waren alle ausgelaufen. Dennoch wirkte der

schmale, lange Meeresarm alles andere denn leer.

Kleinere Segler wechselten wie Fähren von einem

Page 94: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Ufer zum anderen. Große Flöße aus gewaltigen

Stämmen hatten Schleudermaschinen geladen, dazu

Geschosse und Taue, Ölfässer und Wasserbehälter.

Dutzende dieser Maschinen wurden herangeschafft

und gut getarnt an den steilen Hängen beidseitig des

Hafenbeckens aufgestellt. Für die feindliche Flotte

würden sie selbst für scharfe Augen bis zum Einsatz

unsichtbar sein. Dann allerdings würden sie große

Gesteinsbrocken und Feuerbrände auf die Schiffe

hinabschleudern. Steinlawinen wurden aufgeschüttet

die mit einem Axthieb in Bewegung gesetzt werden

konnten.

Die ganze Stadt war an den Arbeiten beteiligt. Jeder,

der eine Axt nicht nur zum Kämpfen zu verwenden

wußte, wurde gebraucht. Und jeder half bereitwillig

genug. Sie wußten, daß es um ihr Leben ging. Und des

Königs Plan war gut. Nicht ein Stein Myras würde vom

anderen gerissen werden, wenn er Erfolg hatte.

Wigor sah auch, daß ein Großteil des Heeres aus

dem Osten der Stadt heranrückte. Ein Teil würde wohl

die Flotte bemannen, die zwar genügend Seeleute und

Ruderer hatte, aber zu wenig Krieger, um volle

Manövrierfähigkeit und Kampfkraft zu haben.

Faszinierend zu beobachten waren die Tainu, die

mit ihren Delphinen und den kleinen Wassergleitern

die wichtigsten und schnellsten Helfer im Hafen

waren. Sie sprangen mit halsbrecherischer

Page 95: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Behendigkeit über die Wellen. Es hieß, daß der König

eine ganz besondere Verwendung in der Schlacht für

sie hätte, eine, die sie ihm selbst vorgeschlagen hatten,

eine zudem, die ihm große Zuversicht gab.

Noch immer war von den Tainu-Spähern keine

Nachricht gekommen. Das bedeutete, daß wenigstens

noch der ganze Tag und die folgende Nacht Zeit für die

Vorbereitungen blieb.

Wigor riß sich los von dem Anblick des regen

Hafens und begann sich gezielt umzusehen. Wo sollte

er den König finden?

Aber er spürte, daß es nicht schwer sein würde. Er

brauchte nur abzusitzen und weiterzugehen. Etwas

würde ihn direkt zum König führen. Das war ein

höchst verwunderlicher Gedanke, und Wigor lächelte

innerlich darüber, aber der Gedanke kam beharrlich

wieder. Er spürte einen deutlichen Drang, abzusteigen

und auf eines der Schiffe zuzugehen.

Er schüttelte den Kopf. Was sollte der König dort ...?

Aber dann sah er ein Mädchen in hellen Röcken über

die Laufplanke rennen und auf dem Kai warten. Er

erkannte sie sofort wieder. Das war Yina, die immer in

der Nähe des Königs anzutreffen war.

Der König konnte also nicht weit sein.

Gleich darauf kam auch Dragon vom Schiff und

schritt an Yinas Seite auf wartende Pferde zu. Hinter

ihnen kam der schwarzhäutige Krieger aus Shi-but,

Page 96: Die Bruderschaft des Großen Meeres

den Wigor schon bei der Besprechung bemerkt hatte.

Er schien seine Leibwache zu sein.

Das erschwerte alles ein wenig, aber er brauchte nur

Vertrauen in seine Kraft. Die Überraschung war auf

seiner Seite. Er kam nicht mehr dazu, über diesen

seltsamen Gedanken nachzudenken.

Er sprang in den Sattel und trieb sein Pferd an. In

gestrecktem Galopp raste er auf die Gruppe zu und

fühlte mit einem Mal einen Dolch in seiner Faust. Als

er heran jagte, drehte das Mädchen sich plötzlich

herum. Sie rief etwas – etwas, das dem König das

Leben rettete. Denn Dragon duckte sich, und Wigors

Dolch stieß ins Leere. Einen Augenblick war ein

schmerzliches Gefühl des Versagens in ihm und etwas

Tröstendes. Dann fühlte er sich umklammert und aus

dem Sattel gerissen. Er sah schwarze Arme, die ihn wie

in einer Zange hielten. Dann kam der steinerne Boden

auf ihn zu.

Der Aufprall brachte die ganzen widerstreitenden

Empfindungen und Gedanken in ihm zum Erlöschen.

Als er erwachte, fand er sich in einem kleinen Raum

wieder, vor dessen Eingang ein Soldat mit einer Lanze

stand. Auf Wigors Stöhnen warf er einen Blick hinein.

»Endlich wach«, murrte er. »Wenn‘s nach mir

gegangen wäre, hätten die Fische an dir was zu beißen

gehabt. Aber unser König, die Götter mögen ihn uns

Page 97: Die Bruderschaft des Großen Meeres

lang erhalten, hat ein verdammt weiches Herz. Er

meinte, mit dir wäre nicht alles richtig. Scheint mir

auch so.« Er wandte sich wieder nach draußen, ohne

eine Antwort des Gefangenen abzuwarten. »He, Jagor,

du kannst die Kleine benachrichtigen. Der

Messerstecher ist aufgewacht.«

Die Wache schien wenig Liebe für ihn zu hegen.

Was war nur geschehen?

Wigor versuchte sich zu erinnern. Er war auf dem

Weg zum Hafen gewesen. Wußten sie nicht, wer er

war? Warum hatten sie ihn hier eingesperrt?

Sein Kopf schmerzte, und seine Unterarme waren

notdürftig verbunden. Hatte es einen Kampf gegeben?

War etwa schon die Schlacht vorbei? Er hatte gehört,

daß es Männer gab, die im Kampf verwundet wurden

und ihr Gedächtnis verloren. War er nun einer von

ihnen? Wohl kaum. Den Worten der Wache nach zu

schließen, mußte er viel eher ein Verbrechen begangen

haben.

Er zermarterte sich eine Weile vergeblich sein

Gehirn, bis sich Schritte näherten, und ein Mädchen

eintrat.

Yina, die Begleiterin des Königs.

Als sie seine Verwirrung sah, schüttelte sie traurig

den Kopf. »Herr Wigor«, sagte sie vorwurfsvoll, »was

habt Ihr da nur angestellt?«

»Ja«, sagte er heiser, »was ... was habe ich denn

Page 98: Die Bruderschaft des Großen Meeres

angestellt?«

»Wißt Ihr es denn nicht?«

»Nein«, erwiderte er gequält.

Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann nickte

sie, als begriffe sie, was geschehen war. Offenbar

zweifelte sie nicht an seiner Antwort, so unglaublich

sie auch klingen mußte.

Sie ballte ihre kleinen Fäuste. »Wenn ich Euch nur

helfen könnte ... Wenn ich Euch nur irgendwie

schützen könnte ...«

»Schützen«, meinte er verständnislos. »Wovor?«

»Vor Euch selbst, Herr Wigor. Und vor dem, was

sich in Euch eingenistet hat. Ihr habt heute morgen

versucht, den König zu ermorden.«

Wigor wurde bleich. »Ich habe waaaas ...?«

Sie nickte. »Irgend etwas warnte mich, und ich sah

Euch rechtzeitig kommen. Ubali hat Euch vom

galoppierenden Pferd gerissen. Es war sein

Meisterstück.«

Ihre Anerkennung schwand rasch und machte der

Traurigkeit wieder Platz.

»Und was geschieht jetzt?« fragte er.

»Onkel Dragon ... der König will mit Euch sprechen.

Kommt mit, Herr Wigor. Und habt keine Furcht, ich

werde für Euch sprechen ... das heißt, wenn Ihr mich

als Eure Fürsprecherin annehmt ...?«

Sie lächelte und schritt voran. Mehrere Wachen

Page 99: Die Bruderschaft des Großen Meeres

folgten. Menschen blieben stehen und starrten ihn an.

Es war ihm, als müsse er versinken. Sie befanden sich

im Hafengebiet. In einem Schiff am Kai erwartete der

König sie. Er war allein. Sie fanden ihn über Pläne

gebeugt.

Er musterte Wigor prüfend. Die Zerknirschung des

Jungen entging ihm nicht. Er warf einen fragenden

Blick auf Yina. Diese nickte. »Alles deutet darauf hin,

daß meine Vermutung stimmt. Da er sich nicht erinnert

...«

»Bist du dessen sicher, Yina? Sagtest du nicht, es

wäre dir bei ihm nicht möglich, so etwas festzustellen

...?«

»Das ist es auch nicht«, gab das Mädchen zu. »Aber

ich bin dennoch sicher, daß er die Wahrheit sagt ...«

»Du darfst dich nicht von freundschaftlichen

Gefühlen leiten lassen.«

Yina nickte. »Das tu ich auch nicht, Onkel, aber Herr

Wigor ist unschuldig.«

»Ja«, entfuhr es Wigor in impulsivem

Einverständnis. Er hatte noch gar nicht daran gedacht –

aber nun, da das Mädchen es sagte, gab es gar keinen

Zweifel mehr. Er war unschuldig. Erstaunt lauschte er,

wie das Mädchen fortfuhr.

»Es ist Selas Werk, Onkel.«

Dragon runzelte die Stirn. »Dann stimmt es also, daß

die Iquani-Mädchen ihren Geliebten die Seele rauben,

Page 100: Die Bruderschaft des Großen Meeres

damit er ihnen gehorsam bleibt bis zum Tod?«

»Nein, ich glaube, es stimmt nicht ganz«,

widersprach Yina. »Soviel ich mitbekam«, dabei wurde

sie ein wenig rot und vermied es tunlichst, Wigor

anzusehen, »... ist das mit der Seele nur symbolisch zu

nehmen – was die Leute von ihnen glauben, weil sie es

nicht besser

wissen ...«

»Was ist es dann?« fragte Dragon.

»Ich glaube, die Iquani nehmen den Männern nichts

weg, sondern sie pflanzen ihnen etwas von sich ein ...

in ihren Geist. Damit können sie dann ihren Willen

beherrschen.«

»Aber wie ...«, begann Dragon. »Mit der Kraft ihrer

Augen«, erklärte das Mädchen.

»So wie Arzan Shor es bei mir gemacht hat«,

murmelte Dragon nachdenklich.

»Wahrscheinlich.« Das Mädchen nickte.

»Wollt Ihr damit sagen, mein Fräulein«, brach es aus

Wigor hervor, »daß Sela mir befahl, den König zu

töten ...?«

»Ja«, sagte Yina traurig.

»Warum sollte sie den Tod König Dragons

wünschen?« rief er.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Das weiß ich

nicht. Vielleicht, weil der König Euch seine Gunst

geschenkt hat, weil Ihr an seiner Seite kämpfen wollt –

Page 101: Die Bruderschaft des Großen Meeres

gegen ihren Vater ...«

»Das wißt Ihr?« entfuhr es Wigor.

Yina nickte. »Wir wissen eine ganze Menge«,

erklärte Dragon. »Von den Tainu. Sie haben starke

Geisteskräfte, denen nicht vieles verborgen bleibt. Sie

sagen auch, daß die Iquani nicht ganz menschlich sind.

Sie meinen, daß sie von den Göttern stammen, die vor

vielen tausend Jahren auf die Erde kamen und sich mit

irdischen Frauen vermählten ...«

»Legenden ...«, meinte Wigor.

Dragon nickte. »Ja, vielleicht. Aber sie würden die

Kräfte erklären, die die Iquani besitzen. Aber all das ist

jetzt unwichtig. Betrachtet es als ein Zeichen unseres

guten Willens und unseres Vertrauens, Herr Wigor,

daß wir Euch nach dieser Tat weder bestrafen, noch in

den Kerker werfen. Da wir aber fürchten müssen, daß

der Vorgang sich wiederholen könnte, muß ich Euch

überwachen lassen und muß Euch bitten, Ubalis

Gegenwart bis auf weiteres zu dulden.«

Wigors Gesicht war anzusehen, daß ihm das gar

nicht gefiel, aber er widersprach nicht. Er schien

einzusehen, daß er sich dem Willen des Königs wohl

beugen mußte, nach allem, was geschehen war, wenn

er nicht sein Vertrauen verlieren wollte.

Während er mit Ubali das Schiff verließ, in dem

König Dragon vorübergehend sein Hauptquartier

aufgeschlagen hatte, schlich sich ein anderer Gedanke

Page 102: Die Bruderschaft des Großen Meeres

in sein Herz, der noch wesentlich schmerzlicher war:

Wenn es stimmte, was sie sagten, daß es Selas Wille

war, daß er den König ermorden sollte, dann bedeutete

ihr sein Geschick wenig oder gar nichts. Wäre Zogor

noch König gewesen, dann hätte den Meuchelmörder

auf der Stelle sein Schicksal ereilt. Sela schien nicht

davor zurückzuschrecken, sein Leben aufs Spiel zu

setzen.

Er zweifelte nicht, daß etwas Fremdes in ihm war. Er

hätte nie selbst den Dolch erhoben gegen einen Mann,

der mit dem Rücken zu ihm stand. Das Etwas in ihm

hatte weniger Skrupel. Konnte es wirklich Sela sein?

Er mußte Klarheit haben. Der König hatte recht, es

konnte jederzeit wieder geschehen. Er hatte keinen

ruhigen Augenblick mehr. Entschlossen wandte er sich

an seinen schwarzen Begleiter. »Du heißt Ubali?«

Der Schwarze nickte grinsend. Er schien keinen

Groll gegen ihn zu hegen. Wigor atmete auf.

»Hältst du mich für einen Mörder?« fragte er.

»Der König sagt, nein«, erwiderte Ubali. Damit

schien die Sache auch für ihn geklärt.

»Aber du würdest mir eher den Hals umdrehen, als

mich entwischen zu lassen, hm?«

Das Grinsen des Schwarzen wurde breiter. Es war

ansteckend. Wigor konnte nicht umhin, ebenfalls zu

grinsen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Ubali

war ein Kerl nach seinem Geschmack. Furchtlos,

Page 103: Die Bruderschaft des Großen Meeres

geschickt. Einer wie Jaggar ...

Entschlossen wandte er sich um. »Komm, mein

schwarzer Freund. Mit Bewachen allein ist nicht viel

gewonnen. Wir werden der Sache auf den Grund

gehen. Zum Palast!«

Ubali nickte. Er war erfreut, daß er nicht einfach

hinter dem Jungen herzustapfen brauchte. Dieser

Wigor war ein Mann der Tat. Und für Taten war Ubali

immer zu haben.

Sie gingen zu den Pferden und ritten durch das

Hafenviertel zur Straße des Glanzes. Viele Menschen

waren hier nicht unterwegs, nur ein Karren kam, mit

dem alle Tage Wein und Fleisch und Brot und allerlei

andere Dinge in den Palast gebracht wurden.

Als sie den halben Weg zum Palast hinter sich

hatten, fühlte Wigor eine verwirrende Betäubung in

seinem Kopf. Instinktiv erinnerte es ihn an eine

Empfindung, die er heute schon einmal erlebt hatte. Er

wußte nicht wo, aber er hatte plötzlich Angst.

»Ubali!« rief er und wandte sich um. Sein Gesicht

verzerrte sich.

Ubali sah es und handelte sofort. Er trieb sein Pferd

vorwärts, um Wigor zu halten. Aber der trieb im selben

Augenblick seinem Pferd die Fersen in die Weichen,

daß es sich aufbäumte und die steile Serpentinenstraße

vorwärtsraste, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Ubali, obwohl ein ausgezeichneter, ja, vielleicht

Page 104: Die Bruderschaft des Großen Meeres

sogar der bessere Reiter der beiden, hatte Mühe,

dranzubleiben. Den jungen Wigor schien seiner

Meinung nach ein Dämon vorwärtszutreiben.

So war es auch.

Er nahm nicht mehr wahr, was um ihn geschah.

Etwas hatte von ihm Besitz ergriffen. Etwas rief ihn.

Etwas, wogegen er sich nicht zu wehren vermochte,

das ihn völlig für sich beanspruchte.

Etwas, das seine Hilfe brauchte.

Ubali sah verblÜfft, daß Wigor nicht die Straße zum

Palast nahm, sondern hinter dem Kamm des Berges

verschwand. Es war ein halsbrecherischer Ritt, der

selbst Ubali die Zähne zusammenbeißen ließ. Wigor

verließ die Straße und nahm einen schmalen Pfad den

Berg der Könige hinab, ohne seine Geschwindigkeit

merklich zu vermindern. Unten erreichten sie die

Straße, die in den nördlichen Hafen Myras führte, den

ältesten Teil der Stadt. Es war die Straße der Henker,

die direkt auf den alten Richtplatz mundete. Hier

standen auch die ältesten Häuser- seltsam

verschnörkelte, schlanke, turmartige Häuser aus einer

Zeit vor den großen myranischen Königen, die noch

von alten Völkern kündeten, die hier vor den

myranischen Eroberern lebten. Auch die verfallenen

Tempel waren fremdartig und beherbergten Götter

und Altäre, zu denen seit Jahrhunderten niemand mehr

betete.

Page 105: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Obwohl viele diesen Ort mieden und abergläubische

Scheu davor empfanden, war er nicht unbewohnt: ein

Viertel, das allen jenen Unterkunft bot, die den Hunger

mehr fürchteten als die alten Götter.

Auch in diesem Stadtteil waren die Vorbereitungen

für den Empfang der feindlichen Flotte bereits weit

gediehen, und niemand hatte in diesen Stunden wohl

viel Zeit, an die alten Götter und Dämonen zu denken.

Ein Großteil des Heeres benutzte die Straßen, um die

Nordküste des Hafenarmes zu erreichen und dort die

Stellungen zu beziehen, wie der König mit Hilfe

Parthos und der Daikane und ihrer Vertreter festgelegt

hatte.

Wigor kümmerte sich wenig um die Menschen auf

den Straßen. Manch einer, der nicht schnell genug zur

Seite sprang, machte Bekanntschaft mit dem harten

Pflaster und dem Schmutz, mit dem der spärliche

Regen nicht fertig wurde.

Ubali konnte es sich nicht leisten, langsamer zu sein.

Aber er hatte als der Verfolger den Vorteil, daß die

Straßen bereits frei waren.

Es war ein bereits bekanntes Gebäude, vor dem

Wigor aus dem Sattel sprang ...

Arzan Shors Turm – aus dem sie den König befreit

hatten. Das lag erst ein paar Tage zurück.

Ubali nahm sich keine Zeit für verwunderte

Überlegungen. Er eilte hinter Wigor die schmalen

Page 106: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Treppen hoch. Von oben kam ein knirschendes,

brechendes Geräusch. Dann ein wütender Aufschrei.

Und gleich darauf eine weibliche Stimme voller

Triumph: »Töte ihn! Töte ihn, mein Geliebter!«

Ubali erreichte die Tür, die Wigor eingeschlagen

hatte, und sah ein gefesseltes Mädchen auf einem

schweren, altarartigen Tisch. Es war Sela, die sich in

ihren Fesseln krümmte, um zu sehen, was hinter ihr

vorging. Immer wieder stachelte sie Wigor zum Töten

auf.

Ubali stürzte auf die beiden ineinander verkrallten

Männer zu und stieß sie mit der ganzen Wucht seines

gewaltigen Körpers zu Boden.

Die Kämpfenden prallten zurück und stürzten. Aber

Wigors Fäuste gaben den Schwarzgekleideten nicht

frei.

»Das Mädchen!« kreischte Wigors Gegner. »Sie lenkt

ihn!«

Ubali verstand nicht, was es bedeutete – nicht den

wahren Sinn. Aber er sah, daß die Rufe des Mädchens

Wigor aufstachelten. »Töte ihn, Wigor! Töte! Töte!«

Und Wigor verdoppelte seine Anstrengungen. Er

schleuderte den eingreifenden Ubali wie ein Kind zur

Seite. Er hatte keine Waffe bei sich, aber seine Fäuste

bearbeiteten seinen schwarzgekleideten Gegner, die

nur auf eines hindeuteten- er wollte ihn töten!

Benommen sah Ubali die verzerrten Züge Wigors.

Page 107: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Er war von Sinnen. Da dämmerte Ubali die Wahrheit.

Was er von Yina und dem König gehört hatte, kam ihm

in diesen Augenblicken in den Sinn.

Das Mädchen! Sie mußte die treibende Kraft sein.

Sie besaß Wigors Seele. Das war es wenigstens, das er

mitbekommen hatte. Er zögerte nicht länger. Er sprang

zum Tisch, faßte das Haar der sich Windenden und

drehte ihren Kopf zur Seite. Ein spitzer Schrei entrang

sich ihren Lippen. Gleichzeitig sah er aus den

Augenwinkeln, wie Wigor von seinem Gegner abließ

und sich aufrichtete. Sein irrer Blick richtete sich auf

Ubali.

Mit einem raschen Schlag gegen die Schläfe brachte

er das Mädchen zum Schweigen. Sie sank zusammen.

Stille herrschte einen Augenblick in dem Raum, und

nach dem Schreien und Brüllen und Kampflärm wirkte

sie unnatürlich. Wigor war mitten in der Bewegung

erstarrt. Seine Augen weiteten sich. Entsetzen kam in

seine Züge. »Ubali ...«, murmelte er. »Was ist ...?«

Erleichtert grinste Ubali ihm zu. »Eine Hexe«, sagte

er einfach und deutete auf die bewußtlose Sela.

»Sollten sie töten!«

Wigor sah ihn groß an. »Nein!« rief er und sprang

auf Sela zu. Er stellte sich schützend vor sie. »Sie mag

an all dem schuld sein, aber ich liebe sie nun einmal ...«

Ubali schüttelte den Kopf. »Ihr mordet Herr ... auf

ihr Geheiß. Niemand sonst.«

Page 108: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Bevor Wigor antworten konnte, begann sich der

Schwarzgekleidete zu regen und erhob sich mühsam.

Den spitzen Bart, die stechenden Augen, das dunkle

Gesicht ... Ubali glaubte auf Grund der Erzählung

Dragons zu wissen, wen er vor sich hatte.

»Arzan Shor«, rief er und griff zum Messer.

Der nickte und hob abwehrend die Hände. »Ja, ja,

ich bin es. Woher du auch immer meinen Namen

weißt, schwarzer Bruder ...«

»Kein Bruder«, sagte Ubali drohend.

Wigor, der merkte, daß Ubali gründliche Arbeit

geleistet hatte und all sein Streicheln die bewußtlose

Sela nicht zu sich brachte, ließ von ihr ab und

versuchte, seinen schwarzen Freund zu beruhigen.

»He! Hört auf zu streiten!« Er wandte sich Arzan

Shor zu. »Ihr, mein Herr, habt mir einiges zu erklären.«

Der Magier nickte hastig. »Aber laßt sie nicht

aufwachen!« Er deutete auf das Mädchen.

»Und sprecht die Wahrheit! Oder Ihr würdet es

bereuen!« sagte er drohend.

Arzan Shor schob die Faust beiseite, mit der Wigor

vor seinem Gesicht fuchtelte. »Das wiederum würdet

Ihr bereuen, junger Freund ...«

»Ich glaube nicht, daß ich Euer junger Freund bin«,

erwiderte Wigor barsch.

Der Magier lächelte. »Das mag sich rasch ändern.

Ich kann Euch nämlich helfen ...«

Page 109: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Ihr könnt mir ...?« entfuhr es Wigor, und Ubali

beugte sich interessiert näher.

»Euch helfen«, ergänzte Arzan Shor. »Wieder von

Eurer Freundin frei zu sein.«

Ungläubig starrte Wigor ihn an. »Was wißt Ihr

davon?«

»Mehr als Ihr denkt. Ich kenne die Kräfte, die ihr

innewohnen. Ich besitze sie selbst auch. Das ist der

Grund, warum ich sie entführte ...«

»Ihr meint«, unterbrach ihn Wigor, »Ihr habt die

Kräfte der Iquanis?«

»Ich kann Menschen durch die Kraft meines Willens

lenken«, erklärte der Magier, »ohne daß sie wissen, was

sie tun. Ihr könnt El Dschafar, den Dieb, fragen. Oder

auch den König. Und ich brauche dazu weder seine

Liebe, noch seine Seele.« Letzteres klang verächtlich.

»Aber meine Kräfte haben ihre Grenzen. Durch eine

Verbindung mit ihr hoffte ich, meine Macht zu

vergrößern ...«

»Ihr habt sie aus dem Palast entführt?«

Arzan Shor nickte. Er lächelte. »Es war nicht schwer.

Sie war tief in Trance, als ich sie fand ...«

»In Trance ...?« fragte Wigor verständnislos.

»Ein magisches Wort, mein Freund, das bedeutet,

daß der Geist tief in einem inneren Sehen begriffen ist.

Aber was erkläre ich einem sterblichen Narren die

Dinge jenseits der Seele ...«

Page 110: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Vorsicht, Magier«, knurrte Wigor verärgert, »so

unsterblich seid Ihr auch nicht. Die Faust bringt meist

den Geist zum Schweigen, bevor die großen Dinge

gedacht sind!«

Ubali berührte ihn an der Schulter. »Wenn er helfen

kann, Herr Wigor ...«

»Was wolltet Ihr von ihr?« fragte Wigor den Magier.

»Ihr klarmachen, was für eine Zukunft vor uns läge,

wenn sie sich mit mir zusammentät ...«

»Auf diese Art wolltet Ihr das tun?« Wigor deutete

auf das gefesselte Mädchen.

Arzan Shor nickte freudlos. »Das war ein Versuch,

sie wenigstens dazu zu bringen, daß sie mir zuhörte.

Aber sie hatte andere Pläne, und zwar mit Euch. Aber

das merkte ich erst, als Ihr zur Tür hereinbracht ...«

Wigor konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen.

»Und Ihr könnt mich frei machen von dieser Macht, die

sie über mich hat?«

Der Magier nickte erneut. »Wenn Ihr dafür Euren

Groll begrabt ...«

»Auch ohne diese Bedingung würdet Ihr es liebend

gern tun, oder?« fragte Wigor. »Wenn sie nämlich

erwacht, wird sie sich zuerst an Euch erinnern. Ich

wette, Ihr seid der erste, den sie mir zu erwürgen

befehlen

wird ...« Er sah Ubali an. »Aber ich bin nicht

nachtragend, und die Sache ist für uns beide von

Page 111: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Gewinn. Was meinst du, Ubali, können wir ihm

trauen?«

»Ich glaube ziemlich sicher, Herr Wigor.« Dabei

ballte er seine mächtigen Fäuste, und seine weißen

Zähne blitzten.

Arzan Shor starrte ihn bleich an. »Ihr könnt mir

trauen, edler Herr. Aber wir sollten rasch handeln ...

bevor sie wieder aufwacht ...«

»Dann wird Ubali sie noch einmal streicheln.«

»Ihr scheint sie nicht mehr zu lieben«, begann der

Magier.

»Mehr denn je, wenn ich erst frei bin von ihr. Aber

sie hat eine kleine Abreibung verdient für das, was sie

mit mir getan hat.«

»Vielleicht liegt es in ihrer Natur ...«

Ungeduldig unterbrach ihn Wigor. »Ich werde es

herausfinden. Wie ist es? Was habe ich zu tun?«

Arzan Shor trat nah zu ihm. »Seht mir in die

Augen.«

Er hätte nachher nicht zu sagen vermocht, was

geschehen war. Nur an ein Gefühl erinnerte er sich, so

als ob jemand durch seine Augen in seinen Schädel

gestiegen wäre und etwas sehr Schmerzliches getan

hätte.

Als er in die Wirklichkeit zurückfand, sah er Ubali

über Sela gebeugt, die Hand zum Schlag erhoben, denn

das Mädchen kam stöhnend zu sich. Als dieser sah,

Page 112: Die Bruderschaft des Großen Meeres

daß Wigor und der Magier zum Ende gekommen

waren, richtete er sich erleichtert auf.

Wigor sah sich verwirrt um. Er fühlte keinen

Unterschied. »Hast du gesehen, was er getan hat,

Ubali?«

Der Schwarze nickte. »Nur tief in die Augen

gesehen und gemurmelt. Mächtige Formeln ...«

»Aha«, meinte Wigor. »Formeln. Wie ein

Wunderheiler! Schwarzkünstler!« Arzan Shor hob

drohend die Faust und schüttelte sie. »Das sagt Ihr

nicht mir, nicht Arzan Shor, der Königen in die Seele

gesehen hat ...!«

Eine neue Stimme ließ sie beide herumfahren. Das

Mädchen hatte sich in den Fesseln aufgebäumt und

starrte die beiden an. Ihr Gesicht war verzerrt vor

Anstrengung – weitaus mehr Anstrengung, als für das

Aufbäumen notwendig gewesen wäre. »Wigor!«

kreischte sie. »Töte ihn!«

Aber Wigor fühlte keinerlei Verlangen danach.

Ubali entspannte sich, als er es sah. Und Arzan Shor

tat, als war das selbstverständlich für ihn. Das

Mädchen hingegen sah ungläubig von einem zum

ändern.

»Warum gehorchst du mir nicht, mein Geliebter?«

»Das ist vorbei, Sela«, erklärte Wigor ruhig. »Binde

sie los, Ubali.« Er trat zu ihr und drehte ihr Gesicht,

daß sie ihn ansehen mußte. »Es gibt jetzt nur noch eine

Page 113: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Macht, die mich an dich kettet – die des Herzens. Und

das verdanken wir diesem Meister aller ...« Verblüfft

stellte er fest, daß sich der Magier aus dem Staub

gemacht hatte. Von der Straße drangen hastige Schritte

herauf.

Ubali grinste. »Scheint seine Art zu sein. Er lief auch

beim erstenmal weg.«

Sela sah Wigor bleich an und setzte sich auf, als die

letzten Stricke fielen. »Dieser Scharlatan hat wahrhaftig

alles ausgelöscht, was du von mir in dir hattest?«

»Allerdings, mein Liebling«, erwiderte Wigor. »Und

ich bin einigermaßen froh darüber. Das kannst du mir

wohl glauben ...«

»Oh, ihr Götter!« flüsterte sie. Sie sank zurück auf

den Tisch und barg den Kopf in den Armen. »Oh, ihr

Götter«, schluchzte sie.

6.

Als der Morgen dämmerte, waren sie bis zur Nachhut

zurückgefallen. Kapitän Liglin hatte wohl im stillen

beschlossen, abzuwarten, denn er unternahm nichts

gegen die Männer der Wellenreiterin.

Sie waren weit außerhalb der Flotte gesegelt, um

König Jellis aus dem Einflußbereich des

Page 114: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Schlangenpriesters zu bringen, denn Jaggar war fest

davon überzeugt, daß mit der Entfernung die Kraft

schwand.

Er behielt auch recht.

Nach und nach fiel alle Benommenheit von Jellis ab.

Er konnte freier denken. Ein porgisches Fischerboot

begegnete ihnen. Sie mußten sich also bereits auf der

Höhe von Porga befinden. Mit gutem Wind würde die

Flotte am nächsten Morgen vor Myra stehen.

Ein Späherschiff kam näher, erkannte die Meleqa.

Die Männer winkten. Sie hatten keinen Verdacht, und

sie schienen nichts von den nächtlichen Geschehnissen

zu wissen.

Jaggar weckte den König aus seinem Schlummer,

um ihn von der Lage zu unterrichten. Die Gelegenheit

wäre günstig gewesen, das Späherschiff auf ihre Seite

zu bringen. Es war an der Zeit, ihre Streitmacht zu

vergrößern, denn früher oder später wurden sie sich

gegen den falschen König stellen müssen.

Jellis fühlte sich völlig frei von jedem Zwang.

Serphats Griff war gebrochen, Die Erleichterung in

Jaggars Zügen entlockte dem König ein Lächeln.

»Später«, sagte er, »wirst du mir berichten, wie das

alles geschehen ist.« Er erhob sich und griff nach

seinem Waffengurt. Er sah Daraq im Hintergrund der

Kajüte und nickte dem Mann zu, der seinen Schlaf mit

dem Schwert bewacht hatte.

Page 115: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Ich habe tapfere Männer um mich und weiß es

nicht. Was bin ich nur für ein König! Aber ihr sollt

nicht länger allein kämpfen.«

»Als erstes«, sagte Jaggar, als sie die Kajüte

verließen, »gilt es, Kapitän Liglin zu überzeugen. Er

denkt, wir hielten dich gefangen. Er versteht nicht, daß

es nur zu deinem Schutz war, daß wir dich festbinden

mußten ...«

»Ihr mußtet mich festbinden?« fragte der König.

»Ja, König. Der Priester hatte dich so fest in seiner

Gewalt. Du wolltest über Bord. Es gibt nur eine

Erklärung dafür: Er wollte dich töten.«

Jellis nickte langsam. »Das mag schon sein. Damals

in Candis, als du in den Palast kamst, da glaubte ich dir

nur halb. Aber inzwischen hat Serphat seine Maske

fallenlassen. Er ließ es mich fühlen, daß ich nach

seinem Willen tanzte. Und er wird es büßen.«

Kapitän Liglin verlor seine feindliche Haltung

weitgehend, als er Jaggar an der Seite des Königs auf

Deck sah. Aber er beobachtete Jaggar mißtrauisch.

»Käpt‘n Liglin«, sagte Jellis streng. »Hab ich dir

nicht befohlen, den Befehlen dieses Mannes Folge zu

leisten?« Dabei deutete er auf Jaggar.

Liglin nickte unsicher.

»Statt dessen bekämpfst du ihn. Bist du von

Sinnen?«

Bleich antwortete der Kapitän: »Ich wähnte dich in

Page 116: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Gefahr, mein König. Es sah aus, als ...«

»Kümmere dich nicht darum. Es sind Teufelskräfte

in mir, die nur langsam ihre Wirkung verlieren. Jaggar

weiß es. Er weiß auch, wann sie beginnen, und was zu

tun ist. Behindert ihn nicht mehr, Kapitän. Er hat mein

volles Vertrauen.«

»Ja, mein König«, beeilte sich Liglin zu versichern.

Er sah noch immer nicht ganz klar, aber er hatte

erkannt, daß Jaggar nicht der Schurke war, für den er

ihn gehalten hatte.

Aber weder der König noch Jaggar hatten Zeit,

nachtragend zu sein. Außerdem war beiden klar, daß

Liglin nur aus gutem Gewissen so gehandelt hatte und

auf des Königs Seite stand.

Es galt keine Zeit zu verlieren. Das Späherschiff

schien genug gesehen zu haben. Es fiel zurück und

nahm Kurs auf Porga.

»Wer ist der Kapitän dieses Schiffes?« fragte Jellis.

»Larenque«, erwiderte Liglin.

Der König nickte. »Einer der Bruderschaft also. Gut.

Gebt ihm Signal, längsseits zu gehen. Ich möchte an

Bord.«

Der Kapitän ließ Klüver- und Besansegel einholen,

was die Geschwindigkeit des Schiffes merklich

verringerte. Hornsignale machten die Maranqa, so hieß

das Späherschiff, auf ein Bord-an-Bord-Manöver

aufmerksam.

Page 117: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Von da an schien alles einfach.

Die Maranqa stellte sich ohne Zögern in den

persönlichen Dienst des Königs. Nach ihr auch zwei

Nachhutschiffe, die Sturmvogel und die Meliqa.

Sie hatten nun genügend Männer, um auch die

Wellenreiterin ausreichend zu bemannen. Qarin war

erfreut, sie wiederzusehen. Er hatte schon Angst

gehabt, die Gefährten in Ketten in Myra

wiederzutreffen.

Die kleine Flotte von fünf schnellen Seglern nahm

unter der Führung der Schwarzen Wellenreiterin, auf

der sich nun auch der König befand, Kurs nach

Nordosten, zur Insel Vassor. Für Jaggar war dies ein

vertrautes Gebiet. Dorthin hatten seine Beutefahrten

ihn oft geführt. Von dort aus gelangte man an einen

günstigen Punkt der myranischen Küste, von dem aus

Myra zu Pferd in wenigen Stunden erreichbar war.

Die Kapitäne hatten anfangs darauf gedrängt,

weitere Schiffe auf ihre Seite zu bringen, aber Jellis

wollte die Flotte nicht schwächen.

»Ihr werdet verstehen, daß es im Grunde völlig

gleich ist, wer Myra erobert. Dieser Priester vermag das

ebenso gut wie ich. Was ihm an strategischem Verstand

fehlen mag, ersetzt er durch andere Eigenschaften. Mit

diesem Aufgebot an Schiffen und dem überraschenden

Auftauchen der Flotte müßte es mit Quel zugehen,

Page 118: Die Bruderschaft des Großen Meeres

wenn wir Myra nicht im Handstreich nehmen.«

Die Kapitäne nickten. Jaggar nur zögernd. Gewiß, es

war eine gewaltige Macht. Aber dieser Dragon hatte

nicht nur eine Stadt erobert, sondern das ganze

myranische Reich. Er mußte stark sein. Die Dinge

wiederholten sich, dachte er ein wenig bitter. Nun

stand er wieder vor dem König und warnte ihn.

»Es dürstet diesen Priester nach Myra«, fuhr Jellis

fort. »Er will es um jeden Preis haben. Er wird alles tun,

um es zu erobern. Einen besseren Verbündeten

könnten wir uns gar nicht wünschen – bis nach der

Schlacht.« Er sah von einem zum anderen. »Solange er

sich als der König ausgibt, und seine

gestaltwandlerische Fähigkeit macht ihm dies leicht

genug, solange gehorchen ihm die Kapitäne der

Bruderschaft ohne Disput. Er wird also seine Maske

solange wie möglich aufrechthalten, und wir werden

sie nicht aufdecken. Aber er wird den Thron Myras nie

besteigen. Ich werde es sein. Und keiner wird den

Tausch bemerken ...«

»Warum erst so spät?« wandte einer der Kapitäne

ein. »Warum ein Risiko eingehen, wenn du die Flotte

um vieles besser führen könntest? Wäre es nicht

möglich, ihn bereits auf dem Schiff ...«

»Nein«, entschied der König. »Das wäre das

wirkliche Risiko. Jaggar mag ein Lied davon singen,

wie schwierig es ist, an das Flaggschiff

Page 119: Die Bruderschaft des Großen Meeres

heranzukommen. Die meisten würden in gutem

Glauben und Gewissen so handeln wie Kapitän Liglin

...«

»Und dann ist noch etwas zu bedenken«, ergriff

Jaggar das Wort. »Wir standen diesem Teufel schon

einmal auf der Wellenreiterin gegenüber, und später

auf dem Boot Moraqs. Es ist zu leicht für ihn, dem

Feuer zu entkommen. Er ist der Priester der Schlange,

vergeßt das nicht. Und als solcher ist das Wasser sein

zweites Lebenselement. Er braucht nur über Bord zu

verschwinden. In Myra aber haben wir ihn an Land.

Dort mag es eher gelingen, ihn in die Enge zu treiben

und sich zu vergewissern, daß nichts den Flammen

entkommt.« Nachdenklich fügte er hinzu. »Ich warne

immer noch vor einem allzu sorglosen Angriff auf

Myra, aber unter den gegebenen Umständen ist des

Königs Plan der beste.«

Der Wind blieb günstig während der ganzen Fahrt. Sie

vermieden die gefährlichen Gewässer der

Marakorinseln mit ihren Untiefen und Tangfeldern.

Unangefochten erreichten die fünf Schiffe in der

Abenddämmerung Vassor, wo sie sich bis Einbruch der

Dunkelheit verborgen hielten.

Als der Mond aufging, wagte sich die kleine Flotte

an die myranische Küste heran. Das Wasser war ruhig,

fast glatt, die Nacht unglaublich still. Sie machten nur

Page 120: Die Bruderschaft des Großen Meeres

geringe Fahrt in dem spärlichen Wind.

»Bei Quel«, murmelte der König. »Eine Flaute hat

uns noch gefehlt.«

Jaggar gab keine Antwort. Leises Plätschern

übertönte gelegentlich das Rauschen des Wassers an

Bug und Heck. Die vier Schiffe waren nicht mehr als

dunkle Flecken hinter ihnen, kaum vom Wasser zu

unterscheiden.

Jaggar begab sich zum Ausguckposten am Bug.

»Was ist da draußen los?«

»Nichts zu sehen, Käpt‘n. Ich denke, es sind Haie.

Soll eine Menge davon hier geben.«

Jaggar nickte. »Halte die Augen offen.«

»Sicher, Käpt‘n.«

Nach einer Weile hatte er das Gefühl, daß sich ihre

Fahrt beschleunigte. Der Bootsmann blickte von der

Reling auf und starrte verwundert auf die kaum

geblähten Segel.

»Käpt‘n«, sagte er, »ich weiß, es ist unmöglich, aber

wir machen plötzlich mehr Fahrt!«

»Allerdings«, knurrte Jaggar. »Und es gefällt mir so

wenig wie dir.«

Er begab sich an die Reling und starrte in das

Wasser. Zu sehen war nichts. Sollte es hier Strömungen

geben? Sie waren ihm bei seinen bisherigen Fahrten in

diesem Gebiet verborgen geblieben. Aber es gab keinen

Zweifel, sie wurden merklich schneller, und auch die

Page 121: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Richtung stimmte nicht mehr.

Er lief zum Steuerhaus. Im Mondlicht sah er

plötzlich nasse Fußspuren quer über das Deck.

»Was zum ...!« entfuhr es ihm. Irgendwoher kam ein

Stöhnen. Er hielt den Atem an und lauschte. Es kam

von unter Deck. Er wollte sich der Kajütentreppe

zuwenden, als der Steuermann aus seinem Haus kam.

»Käpt‘n!« rief er.

Jaggar lief auf ihn zu. »Wir sind vom Kurs ab,

Mann!« sagte Jaggar barsch, um das Gefühl der

Unsicherheit zu verbergen. »Siehst du das nicht?«

»Doch, Käpt‘n!« erwiderte der Steuermann

keuchend. »Aber das Steuer spricht nicht an. Sieh

selbst!«

Es stimmte. Jaggar drehte, aber das Schiff behielt

seinen Südostkurs bei. Irgend etwas geschah mit ihnen.

Die Gefahr schien fast greifbar.

Da war eine Bewegung an Deck, zu rasch, um sie

genau zu erfassen. Vom Bug her war ein kurzes

Aufblitzen zu sehen. Jaggar stürmte an Deck. Als er am

Bug angelangte, sah er frische Fußspuren- naß, als wäre

jemand aus den Fluten gestiegen und über Deck

gelaufen, Wasser um sich sprühend. Der Bootsmann

war verschwunden.

Von plötzlicher abergläubischer Furcht erfüllt,

starrte er um sich.

An Deck war alles still. »Steuermann!« rief er

Page 122: Die Bruderschaft des Großen Meeres

halblaut.

Keine Antwort.

Er hastete zurück. Es war leer. Das große Rad drehte

sich unter unsichtbarer Führung. Die Haare in seinem

Nacken begannen sich zu sträuben. Aus den

Augenwinkeln glaubte er eine Bewegung zu sehen.

Rasch fuhr er herum. Aber das Deck war leer bis auf

diese nassen Fußstapfen, die quer über Deck zum

Steuerhaus führten.

Die Segelstangen knarrten leise an den Masten. Wie

in Panik fuhr Jaggar herum. Aber es war nur der Wind.

Er sah nach dem Heck.

Neues Entsetzen packte ihn. Die vier Schiffe waren

verschwunden.

»Verrat!« rief er. »Mein König ...!«

Eine nasse, kalte Hand legte sich über seinen Mund

und erstickte die Rufe. Ein Arm umschlang seinen

Körper und preßte seine Arme an seinen Körper. Der

Geruch von Meerwasser war das letzte, das seine Sinne

wahrnahmen.

7.

Als der erste Schimmer der Morgendämmerung hinter

den Hügeln Myras in den Himmel griff, lag die Flotte

Page 123: Die Bruderschaft des Großen Meeres

in Formation vor dem Kap von Karanya.

Seit einer guten Stunde waren zwei Späherboote

unterwegs, um den Hafen auszukundschaften und

Lotungen vorzunehmen.

Merkin, der bärtige Kommandant der Garde, blickte

düster in das schwachschimmernde Wasser des

Hafens. Noch war nichts zu erkennen, außer den

helleren Umrissen des Wassers. Er wandte sich um und

musterte den König mit einem tiefempfundenen

Mißtrauen. Seit dem Besuch Jaggars und dem Brand

auf dem Schiff war mit dem König etwas geschehen.

Gewiß war es nichts Neues. Seit der Ankunft des

Priesters der Mis in Candis war der König schon

seltsam verwandelt gewesen. Aber hier hatte es sich

noch verstärkt. Der Priester selbst war seit Jaggars

Flucht nicht mehr an Deck gewesen.

Es war eine schweigsame Fahrt gewesen während

der letzten beiden Tage. Verschlossen wie des Königs

Miene war auch die Mannschaft ihrer Arbeit

nachgegangen.

Der Schlachtplan war besprochen, die Schiffe lagen

zum Losschlagen bereit – zum Losschlagen auf einen

Feind, der im eigenen Blut erwachen würde aus seiner

Ahnungslosigkeit.

Der Haß in den Augen und Worten des Königs war

es vor allem, der Merkin zu denken gab. Denn es war

nicht des Königs Art, zu hassen. Sein Jähzorn mochte

Page 124: Die Bruderschaft des Großen Meeres

ihn zu manchem hinreißen, aber er hatte nie gehaßt.

Die Männer ließen sich auch nicht anstecken davon.

Sie waren hier, weil sie sich stark fühlten, weil sie auf

Eroberung aus waren, weil sie reiche Beute erhofften-

aber nicht, weil sie haßten!

Leise Ruderschläge näherten sich dem Flaggschiff.

Der König erwachte aus seiner brütenden Starre.

Merkin sah eines der Späherboote aus der Dunkelheit

auftauchen. Einer der Männer kam an Bord und

erstattete Meldung.

Tatsächlich schien Myra völlig ahnungslos. Einige

Kriegsschiffe lagen im Hafen, auch einige Händler,

aber keine abwehrbereite Flotte.

»Könnte es eine Falle sein?« fragte Merkin und

erntete dafür einen kalten Blick des Königs.

»Wenn, dann ist es eine verdammt gute und auf

lange Zeit vorbereitet ...«

»Wenn sie von unserer Ankunft wüßten, dann

würde hier heute keine Seele schlafen«, unterbrach ihn

der König ungeduldig. »Sie könnten es nicht früher als

ein paar Stunden vor unserer Ankunft erfahren haben

und hätten kaum Zeit gehabt, Vorbereitungen zu

treffen.«

»Trotzdem erscheint es mir verwunderlich«,

erwiderte Merkin, »daß keine Flotte im Hafen ist, daß

Myra so vollkommen schutzlos daliegen sollte ...«

»Da kann ich dich beruhigen, Kommandant«,

Page 125: Die Bruderschaft des Großen Meeres

meinte der Späher. »Sie hatten ihre Hafenschenken

noch auf. Wir konnten einiges erfahren. Sie erwarten

Schiffe aus Dan und Nicos. Es scheint ziemlich wichtig

zu sein, denn ein Teil der Flotte ist als Begleitschutz

unterwegs ...«

»Und der Rest?« fragte Merkin mißtrauisch.

»Das war nicht zu erfahren. Leider, Kommandant«,

meinte der Mann.

»Sie muß in der Nähe sein ...«, begann Merkin.

»Und wenn schon«, schnitt ihm der König das Wort

ab. »Wir haben nicht erwartet, Myra auf goldenen

Tabletten überreicht zu bekommen. Natürlich wird es

Kampf geben. Doppeltes Glück, daß die halbe Flotte

unterwegs ist. So machen wir in Ruhe die eine Hälfte

fertig und warten auf die andere. Wie ist die Einfahrt?«

»Nicht sehr breit, mein König. Links ist das Wasser

zu seicht. Dort ankern auch keine Schiffe ...«

»Wie viele nebeneinander?«

Der Mann runzelte die Stirn. »Es war sehr dunkel

und schwer abzuschätzen, aber ein halbes Dutzend,

wenn sie dicht fahren. Aber ich fürchte, da werden die

Ruder einander behindern. Drei nebeneinander wären

eine sichere Sache ...«

»Wir fahren zu sechst«, sagte der König hart.

»Das ist gefährlich in der Dunkelheit«, wandte

Merkin ein, und der Kapitän pflichtete ihm bei. »Die

Schiffe werden sich behindern ...«

Page 126: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Genug!« sagte der König scharf. »Der erste Schritt

ist der wichtigste. Die vordersten Reihen müssen den

empfindlichsten Schlag führen. Wir haben nicht den

ganzen Morgen Zeit, um einzulaufen. Irgendwo im

Osten der Stadt lagert das Urgoriterheer, das uns

früher oder später auf den Pelz rücken wird. Zu

diesem Zeitpunkt müssen wir die Stadt in der Hand

haben. Es wird leichter sein, sie gegen ein Heer zu

verteidigen, als sie einem Heer abzunehmen. Zu sechst

also. Und laßt keinen mehr etwas über die Dunkelheit

sagen. Die Schiffe, die am rechten Ufer ankern, werden

uns den Weg leuchten. Gebt das Zeichen!«

Lichter flammten auf. Signalmänner schwenkten

Laternen und Fackeln. Am Flaggschiff vorbei glitten

die großen, dunklen Formen der Galeeren unter dem

dumpfen Trommelschlag des Rudermeisters und dem

Ächzen der Rudersklaven, dem Geklirr ihrer Ketten

und gedämpften Kommandorufen.

Sie formierten sich weit voraus in eine Sechserreihe.

Eine zweite folgte. Eine dritte, vierte ...

Fünf Dutzend Schiffe fuhren in den schmalen

Meeresarm, der schließlich in den Hafen von Myra

mündete.

Dann setzte sich das Flaggschiff in Bewegung. Ein

weiteres halbes Hundert Galeeren folgte. Damit glitt

ein Großteil von Jellis‘ Macht in den Hafen. Zurück

blieben die kriegsuntüchtigen Händlerschiffe, die

Page 127: Die Bruderschaft des Großen Meeres

rekrutiert worden waren, um den Waffen und

Nahrungsnachschub zu tragen, und etwa zehn

Dutzend schnelle Segler, die in dem schmalen

Hafenbecken zu eingeengt gewesen wären, um viel zu

leisten. Ihre Stunde war gekommen, wenn der erste

Schlag getan war. Ein Dutzend Galeeren blieben zu

ihrem Schutz bei ihnen, für den Fall, daß die

myranische Flotte einen Angriff wagen sollte, die

Serphat-Jellis nicht sehr schlagkräftig einschätzte, und

die Dan wohl nur erobert hatte, weil dieses keinen

Widerstand leistete.

Merkin sah, wie auf einem der in der wachsenden

Dämmerung nun deutlich gegen den östlichen Himmel

erkennbaren Berge ein großes Feuer aufflackerte.

»Das ist das Leuchtfeuer von Faraun«, murmelte

einer der Männer, die mit dem Schwert in der Faust an

der Reling standen. »Jetzt haben sie uns entdeckt.«

Drinnen im Hafen antwortete ein Feuer. Das Signal

war gesehen worden. Nun würden sich die wenigen

wachen Augen auf die Hafeneinfahrt richten und es

nicht fassen. Der Auftakt zur Panik!

Rechterhand hoben sich die felsigen, teils

verwachsenen Hänge steil in den Himmel. Hier war

kein Landen möglich. Es gab keinen Uferweg.

Feuerpfeile zuckten weit voraus in die Dunkelheit

zur Rechten. Zögernd erst, dann immer rascher fraßen

sich die Flammen in das erste der ankernden Schiffe. Es

Page 128: Die Bruderschaft des Großen Meeres

wurde zu einer gewaltigen Fackel, die bis in den Hafen

hinein leuchtete und die ersten Häuser des

Hafenviertels in fahles, flackerndes Licht tauchte. Die

Hügel hinter dem Hafen erwachten aus ihrer

Düsternis. Zahllose Lichter flammten auf.

Merkins Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

Der Schwertgriff fühlte sich klamm an in seiner Faust.

Das große Erwachen begann. Für viele das letzte.

Der östliche Himmel hinter der Stadt wurde heller,

rötlich in der Vorahnung des Blutes. Ein Regen von

Feuerpfeilen ergoß sich gegen das dunkle Ufer. Zwei,

drei, vier Schiffe begannen zu brennen. Die Einfahrt

begann taghell zu werden.

Das Flaggschiff glitt an dem ersten der brennenden

Schiffe vorbei. Der Gluthauch nahm den Männern den

Atem. Ein starker Geruch von Oliven lag in der Luft.

Dann griff der Kapitän sich plötzlich an die Brust.

Zwei Bootsleute neben ihm ebenfalls. Sie taumelten,

brachen zusammen- lautlos in dem ohrenbetäubenden

Prasseln der Flammen. Merkin sah gefiederte Schäfte

aus ihren Körpern ragen. Die Umstehenden hatten es

noch nicht begriffen. Selbst der König stand schutzlos

auf Deck, hell beleuchtet von dem brennenden Schiff,

hinter dem sich die Schützen befinden mußten.

An der Reling taumelten die Männer zurück und

stürzten, als mähte eine unsichtbare Hand sie nieder.

Eine Falle! dachte Merkin. Ihr Götter, es war doch

Page 129: Die Bruderschaft des Großen Meeres

eine Falle. Er wollte schreien, aber wie gelähmt sah er,

wie das Deck plötzlich gespickt war von dunklen

Schäften, wie der König gegen den Mast gerissen

wurde von der Gewalt der Pfeile. Und sein Grauen

wuchs, als er sah, wie der König sich losriß von seinen

gefiederten Nägeln, ohne daß Wunden blieben. Aber er

kam nicht mehr dazu, über dieses unheimliche

Geschehen nachzudenken.

Zwei, drei Pfeile bohrten sich mit pochendem

Aufschlag in die Planken zu seinen Fußen. Zwei

durchbohrten seine Brust und rissen ihn herum wie ein

welkes Blatt.

Wigor starrte in die Finsternis jenseits des Hafens.

Wenn die Tainu recht gehabt hatten, mußte die Flotte

bereits da draußen stehen. Aber es war zu dunkel, um

irgend etwas zu erkennen. Das Boot, das vor einer

Weile im Hafen angelegt hatte, mochten Späher

gewesen sein, aber das war von hier aus nicht zu

erkennen.

Er kauerte hinter den Felsen des Steilhangs. Seine

war die dritte Hundertschaft von Männern, die

kampfbereit in den Felsen lauerten. Unter ihnen,

zwischen den Büschen und vereinzelten Bäumen

standen vier der mächtigen Schleudermaschinen und

warteten auf das Kommando. Sechs weitere standen

bis zum eigentlichen Stadtbeginn, die letzte zwischen

Page 130: Die Bruderschaft des Großen Meeres

den ersten Häusern. Man würde sie vorrollen, sobald

der Feind in Schußweite war.

Weitere fünf Hundertschaften sperrten den Uferweg

in die Stadt. Aus dem Hafenviertel selbst waren alle

Frauen, Kinder und älteren Leute in Sicherheit

gebracht worden, mit Ausnahme der Spelunken, in

denen noch vereinzelte Mädchen den flüchtigen

Beobachter darüber hinwegtäuschten, daß die ganze

Stadt ein Heerlager war.

Auch das jenseitige Ufer der Bucht war besetzt, und

keine Maus würde unbemerkt einen Fuß an Land

setzen. »He, laßt los!« hörte er plötzlich eine weibliche

Stimme in der Dunkelheit hinter sich. »Von solch

trautem Führen war nicht die Rede! Ihr solltet mich

lediglich zu eurem Kommandanten bringen.«

Selas Stimme! durchfuhr es ihn. Gleich darauf kam

das Mädchen zwischen den Felsen hervor, flankiert

von zwei Soldaten, die sie mehr oder weniger robust in

ihrer Mitte hatten. Sie konnten nicht wissen, daß Sela

vermutlich besser kletterte als sie und ihnen

wahrscheinlich auch mit dem Schwert überlegen war.

Aber Sela hatte ungewöhnliche Geduld mit ihnen. Das

mußte Gründe haben.

Die beiden Soldaten nickten Wigor zu. »Sie wollte

unbedingt zu dir, Kommandant.«

»Es ist schon recht. Seid bedankt.« Die beiden

zögerten. »Wenn du uns brauchst, um das Fräulein

Page 131: Die Bruderschaft des Großen Meeres

zurückzubringen ...«

»Ich finde den Weg allein«, sagte Sela heftig.

»Schon gut, schon gut«, lachte der eine.

»Da ist Feuer drin, was?« meinte der andere. Dann

machten sie, daß sie wegkamen.

Wigor nahm das verärgerte Mädchen in die Arme

und zog sie zu sich auf den Boden.

»Es ist verrückt, jetzt hierherzukommen«, sagte er.

»Jeden Augenblick mag der Angriff folgen ...«

»Ich habe mir alles überlegt«, unterbrach sie ihn.

»Du liebst mich, und ich gehöre zu dir. Oder hast du

inzwischen begonnen, mich zu hassen?« »Nein«, sagte

er rasch. »Trotz all der Dinge, die ich ...?« »Nein«,

wiederholte er. »Du bist eine Iquani, und du bist

anders als die gewöhnlichen Menschen. Ich darf dich

nicht mit ihren Maßstäben messen. Es scheint mir, ihr

könnt nicht lieben- nicht mit dem Herzen. Ich bin

traurig darüber, weil es uns beide trifft. Aber wie

könnte ich dich deshalb hassen, wenn ich dich liebe?«

Er küßte sie, und sie ließ es willig geschehen. Sie

schlang sogar die Arme um ihn. Das war die erste

Zärtlichkeit, die sie ihm erwies, seit sie aus Arzan Shors

Turm zurückgekehrt waren.

»Es ist zu gefährlich, hierzubleiben«, sagte er. »Geh

in den Palast zurück, ich ...«

»Hältst du mich für ein myranisches Mädchen?«

unterbrach sie ihn. »Hast du vergessen, wie wir auf der

Page 132: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Wellenreiterin kämpften? Ich wäre dir eine schlechte

Gefährtin, wenn ich jetzt nicht an deiner Seite bliebe.

Laß mich an deiner Seite kämpfen! Laß mich es sein,

die deinen Rücken deckt! Laß mich so beweisen, daß

ich ...«

»Daß du mich doch liebst?« fragte er.

»Daß du mir soviel bedeutest wie mein Leben«,

ergänzte sie. »Vielleicht ist das ein wenig von der

Liebe, die du möchtest.« Sie spürte plötzlich ein

unwirkliches Gefühl von Geborgenheit, als er sie an

sich gedrückt hielt. Es war vollkommen ungewohnt –

etwas, das wohl noch keine Iquani empfunden hatte.

Das Verlangen, etwas Männliches zu ... sie fand kein

rechtes Wort dafür. Aber es erfüllte sie mit einem

plötzlichen Drang, sich anzuvertrauen, zu reden ...

»Ich bin keine Iquani mehr!« stieß sie hervor, und

bevor Wigor es richtig begriffen hatte, fuhr sie fort:

»Das, was die Iquani Liebe nennen – daß sie einem

Mann die Seele nehmen, um sie für ihre Tochter zu

besitzen –, das geschieht nur einmal im Leben eines

Iquani-Mädchens. Danach nie wieder. Daß dieser

Magier dich mir genommen hat, bedeutet, daß das

Kind, das du mir gezeugt hast, nicht sein wird wie eine

Iquani Tochter. Ich bin noch zu jung, um es genau zu

verstehen, aber die alten Mütter wissen es. Sie sagen,

daß ein Teil der Kraft des Mannes während der

Schwangerschaft auf die Frau überfließt, und daß sie

Page 133: Die Bruderschaft des Großen Meeres

mit dieser Kraft das Kind in ihrem Leib formt, so daß

es wird wie sie – ihr Ebenbild.«

Sie stockte, fuhr dann aber tapfer fort: »Von dir

fließt nun keine Kraft über. Ich fühle mich so leer. Ich

werde mein Kind nicht formen können. Es wird keine

Iquani. Es wird vielleicht nicht einmal ein Mädchen. Es

wird nackt und schutzlos sein. Vielleicht werde ich es

nicht einmal lieben können. Würdest du es denn

lieben? So wie mich?«

»Ja«, sagte er einfach, und sie empfand es

wundervoll tröstlich. »So wie dich ...«

»Auch wenn sie ohne Seele ist?« Sie hielt den Atem

an.

Er lächelte, aber sie sah es nicht in der Dunkelheit.

»Ich glaube viel eher, daß es nun eine Seele bekommen

wird. Ich bin sehr froh darüber, was mit uns geschehen

ist ...«

Eine Weile saßen sie stumm in der Finsternis,

aneinandergelehnt. Dann flüsterte Sela: »Ich auch ...

eines Tages. Ja, eines Tages, Wigor ...«

Das Leuchtfeuer in Faraun flammte auf.

»Sie kommen«, murmelte Wigor. Er hatte keine

Furcht, aber er fühlte sein Herz wilder schlagen, wie

immer vor dem Kampf. Mochten sie kommen, die

Teufel aus dem Süden. Er hatte Sela gewonnen. Er

würde auch eine Schlacht gewinnen!

»Versprich mir eines, mein Geliebter«, sagte Sela.

Page 134: Die Bruderschaft des Großen Meeres

»Mein Vater wird nicht durch deine Hand fallen, wenn

es die Götter wollen, daß du ihm gegenüberstehst.«

»Du hast mein Wort. Und versprich du mir eines:

Jaggar wird nicht durch deine Hand fallen!«

»Du magst ihn?« Sie nickte. Es war eigentlich keine

Frage. »Ich auch. Er war der einzige, der meinem Vater

zu widersprechen wagte. Ich möchte noch immer

wissen, warum er mich auf sein Schiff entführt hat. Er

war der einzige außer dem König, der von mir wußte

...«

»Es war die beste Tat seines Lebens. Du wärst heute

nacht nicht an meiner Seite ohne ihn!«

Zwei seiner Männer kamen aus den Stellungen

unter ihm. »Sollen wir sie zurückbringen,

Kommandant?«

»Nein, sie bleibt hier. Wir können jeden Mann

brauchen ...«

»Mann?« meinte einer.

Wigor grinste. »Im Kampf zählt nur die Klinge,

Freund.« Er sah aus den Augenwinkeln, wie Sela ihre

Röcke abstreifte. Sie trug die Beinkleider der Soldaten

darunter und die Stiefel mit dem Eisen an Schienbein

und Ferse und über dem Hemd das bis auf die

Schenkel reichende Kettenhemd.

Aber sie hatte keine Waffen. Die Männer boten sich

an, ihr welche zu bringen, und kamen gleich darauf mit

einer Klinge und Schild zurück.

Page 135: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Inzwischen hatten unten am Ufer die ersten

Kampfhandlungen begonnen. Brennende Pfeile von

den Angreifern steckten eines der geankerten Ölschiffe

in Brand.

»Sie schaufeln sich ihr eigenes Grab«, murmelte

Wigor und sah fasziniert die schier endlose Reihe von

nun nicht länger gedämpften Lichtern und Fackeln, die

in den Hafen glitt. Noch fiel kein menschlicher Laut.

Noch hielt alles den Atem an.

Weitere Schiffe gingen am Ufer in Flammen auf. Es

wurde hell im Hafen. Die Sechserreihen der

angreifenden Schiffe waren deutlich zu erkennen. Die

Männer standen im hellen Licht.

Die ersten Schiffe hatten fast die Kais erreicht, als die

Falle in Bewegung kam. Die myranischen Bogen

begannen zu singen und pflückten die Krieger auf den

Schiffen wie reife Früchte von überladenen Bäumen.

Die gleichmäßigen Ruder wurden stockend. Die

ufernächsten Schiffe fielen aus der Formation und

verkeilten sich mit ihren Nachbarn. Schreie klangen

hoch, vermischt mit dem Prasseln und Knacken des

Feuers und halb verweht vom Wind.

Sie schienen langsam da unten zu begreifen, daß sie

in der Falle saßen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Sie versperrten einander selbst den Weg. Sie hatten

nicht damit gerechnet, umkehren zu müssen. Sie waren

auf einen leichten Sieg gekommen.

Page 136: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Aber das war erst der Beginn.

Die in den Uferhängen aufgestellten

Schleudermaschinen traten in Aktion. Sie warfen

schwere Gesteinsbrocken bis in die dritte und vierte

Reihe der Schiffe. Das Krachen und Bersten

splitternden Holzes erfüllte den Hafen, vermischt mit

vielfachen Schreien.

Vereinzelte Schleudermaschinen auf den Schiffen

warfen Feuerbrände gegen die Uferhänge, und wo sie

auf das trockene Buschwerk trafen, begann es

lichterloh zu brennen. Aber die Angreifer waren noch

immer blind. Sie warfen aufs Geratewohl. In den

zerklüfteten Felswänden waren die Verteidiger nur

schwer zu sehen. Außerdem blendeten sie die

brennenden Schiffe am Ufer, während sie selbst ein

deutliches Ziel abgaben.

Dann barst das erste der Ölschiffe auseinander, das

bis auf den Laderaum niedergebrannt war. Die

Flammen schlugen haushoch in den Himmel. Öl aus

Dutzenden von Fässern floß zwischen die Angreifer-

und die Flammen mit ihm. Ein Teil des Hafens war ein

Flammenmeer geworden. Dutzende von Schiffen

wurden vom Feuer erfaßt und konnten sich nicht mehr

befreien. Es fraß mit gierigen Zungen alles, was

brennbar war- die Schiffe, die Männer, den Traum vom

Sieg. Die Schwerter und Äxte und Schilde sanken auf

den Meeresgrund hinab wie in einen dunklen Schlund

Page 137: Die Bruderschaft des Großen Meeres

hinter dem feurigen Rachen.

Einige der Galeeren versuchten, sich auf das andere

Ufer zu retten, aber sie blieben im Sand der Untiefen

hängen, und das Feuer holte sie ein.

Die Haie hatten reiche Beute. Und die wenigen

Krieger, die das Ufer schwimmend erreichten, wurden

zwischen den Felsen mit scharfen Klingen empfangen.

Das zweite und dritte Ölschiff brachen fast

gleichzeitig auseinander, und nun brannte beinahe die

gesamte rechte Hälfte der Hafeneinfahrt bis Faraun

und wetteiferte mit der Helligkeit der ersten

Sonnenstrahlen, die auf den Schauplatz des Dramas

fielen.

Mehr als dreiviertel der feindlichen Galeeren

brannten, und die Glut ließ die Männer an den Hängen

schwerer atmen. Noch hatte kein feindlicher Krieger

den Fuß auf myranischen Boden gesetzt.

Jene, die ihren Blick auf das offene Meer richteten,

sahen auch jenseits von Faraun schwarzen Rauch in

den Himmel steigen. Dort hatte König Dragon mit der

myranischen Flotte den zweiten Teil der Candisser

Streitmacht angegriffen.

Wigor dachte an die Rudersklaven, die in ihren

Ketten da unten verbrannten, ohne eine Chance zu

haben. Und es erfüllte ihn mit Stolz und Dankbarkeit,

daß auf myranischen Schiffen solches Unrecht nicht

mehr geschah; daß die Männer das Ruder mit der

Page 138: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Klinge vertauschen konnten, wenn der Augenblick

gekommen war.

Das Chaos im Hafen hatte seinen Höhepunkt

erreicht.

Die wenigen Schiffe, die sich aus den verkeilten

hilflosen, brennenden Wracks zu lösen vermochten,

sahen nur eine Chance – die Küste zu erreichen und

sich dem Feind entgegenzuwerfen. Nicht mehr als ein

halbes Dutzend Galeeren erreichten das Ufer. Die

Krieger sprangen an Land; rußgeschwärzt tauchten sie

aus dem Flammenmeer auf und kamen wie Dämonen

aus der Unteren Welt herangestürmt.

Eine der aufgehäuften Steinlawinen ergoß sich

zwischen sie und begrub die meisten. Dann begannen

die ersten Schwerter aufeinanderzuklirren, und der

metallische Klang von Schwerthieben auf die runden

Schilde hallte über den Hafen.

Das letzte der manövrierfähigen Schiffe legte mit

einem Brechen von Rudern an Wigors Teil der Küste

an. Er hörte, wie Sela den Atem scharf einzog und nach

ihrem Schwert griff.

Jetzt war der Augenblick des Kampfes gekommen-

Mann gegen Mann.

Als die Krieger aus dem Schiff stürmten, gab Wigor

Befehl, die Steine loszulassen. Ein Schwert durchhieb

ein Seil, und- wie an den anderen vorbereiteten Stellen

auch- eine Lawine von Felsgestein begann ins Tal zu

Page 139: Die Bruderschaft des Großen Meeres

poltern. Aber nur ein kleiner Teil der Angreifer wurde

von ihr überrascht. Als der Staub sich legte, sah Wigor,

die Angreifer ausschwärmen. Er gab Befehl zum

Angriff.

Dann stürmten sie hinab. Wigor vergewisserte sich,

daß Sela bei ihm blieb. Sie in diesem Kampf zu

verlieren, wäre unerträglich für ihn gewesen. Aber sie

blieb an seiner Seite, auch als sich ihnen die ersten

Gegner in den Weg stellten. Es gab Augenblicke, da

waren sie vollkommen von feindlichen Kriegern

umgeben. Schon im nächsten aber mochte es sein, daß

Wigors Männer tiefe Lücken in die feindlichen Reihen

hieben. Schreien und Klirren und der Geruch von

Schweiß war um sie; wütende Rufe, Flüche, die

Geräusche von Töten und Sterben.

Dann standen sie plötzlich vor dem Schiff. Hinter

ihnen erklang nur noch vereinzelt Kampf lärm.

Das Schiff ragte vor ihnen auf- leer und verlassen.

Sie kletterten an Bord. Es lag seltsam tief im Wasser.

Als sie unter Deck starrten, sahen sie, daß der

Ruderraum voller Wasser war. Die spitzen Felsen

mußten den Rumpf aufgerissen haben. Die

Rudersklaven waren alle ertrunken.

Sie kamen an Deck zurück. Sela deutete auf einen

Segler, der scheinbar steuerlos heranglitt. Er mutete

seltsam an, denn er war das einzige Segelschiff des

Feindes, das in den Hafen gekommen war.

Page 140: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Es war die Seehexe.

»Vaters Schiff!« entfuhr es Sela.

»Das Flaggschiff?«

»Ja.« Sie wich zurück. »Es wird uns rammen!«

Jetzt erst bemerkten sie die einsame Gestalt am Bug,

halb auf dem Klüverbaum stehend.

Als der Bug des Seglers scharrend und polternd die

Bordwand der Galeere entlangscheuerte, sprang er.

»Vater!« rief Sela, die sofort König Jellis erkannte.

Aber der König kümmerte sich gar nicht um das

Mädchen. Er schien sie nicht zu erkennen. Sie war auch

nicht erkennbar in den Soldatenkleidern, mit dem

verrußten Gesicht und dem blutigen Schwert in der

Faust.

Der König eilte an ihr vorüber.

»Vater!« rief sie erneut. »Ich bin es, Sela ...!« Sie

stürzte auf ihn zu, als er über die Bordwand an Land

klettern wollte, um ihn aufzuhalten. Sie warf das

Schwert fort und griff nach ihm.

Wigor machte unwillkürlich einen Schritt auf die

beiden zu, als Sela mit einem spitzen Aufschrei

zurückfuhr und zu Boden stürzte.

Wigor lief zu ihr und sah das Entsetzen in ihren

Augen. »Er war ...«, stammelte sie, »... kalt wie Eis ...«

»Wie Eis?« rief er, als die Erinnerung auftauchte an

das nächtliche Erlebnis auf der Wellenreiterin.

»Serphat!« stieß er hervor. »Das ist nicht dein Vater

Page 141: Die Bruderschaft des Großen Meeres

gewesen, Sela. Das war Serphat in seiner Gestalt ...!« Er

sprang auf und starrte auf den von Männern

schwärmenden Hang.

Es war unmöglich, einen einzelnen herauszufinden.

Bleich lehnte er sich an die Reling des Totenschiffs.

Nun war das Grauen in Myra gelandet.

Dragon versuchte den dichten Qualm zu

durchdringen.

Seine Schiffe standen in weitem Halbkreis vor der

Bucht, so daß dem Feind nur die Wahl blieb, in den

Hafen zu fahren- aber da hielt der Tod reiche Ernte-

oder sich zum Kampf zu stellen.

Und das tat er – siegessicher mit mehr als zehn

Dutzend kampffähigen Schiffen und schnellen Seglern.

Aber dann hatte plötzlich ein Alptraum begonnen.

Bei Dutzenden von Schiffen gehorchte gleichzeitig

das Steuer nicht mehr.

Die Schiffe prallten gegeneinander, verkeilten sich

auf dem offenen Meer. Manche sanken. Es war ein

gespenstischer Anblick, der die Männer mit

abergläubischer Furcht erfüllte.

Dragons Männer beobachteten es nicht minder

fasziniert. Aber sie empfanden keine Furcht. Sie

wußten, daß ihre Verbündeten, die Wassermenschen

mit ihren Delphinen, am Werk waren und die

Steuerruder der feindlichen Schiffe verkeilten.

Page 142: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Dann begann der zweite Streich.

Während die feindliche Flotte ihre

Schleudermaschinen nicht in Schußstellung zu bringen

vermochte, da die Schiffe ihnen nicht gehorchten,

begannen Dragons Katapulte einen wahren Feuerhagel

auf den in Panik geratenen Feind. Immer mehr der

Schiffe gerieten außer Kontrolle.

Gleichzeitig mußten sie mitansehen, wie im Hafen

der Hauptteil ihrer Kriegsschiffe in Flammen aufging.

Sie begannen sich zu ergeben- vereinzelte Schiffe

erst, die die Aussichtslosigkeit des weiteren Kampfes

einsahen und bemerkten, daß ihnen auch eine Flucht

verwehrt war; und nach und nach die gesamte Flotte.

Beziehungsweise die Schiffe, die noch von ihr übrig

waren.

Gegen Mittag erst ließ sich das volle Ausmaß der

Verwüstung abschätzen. Von den über hundert

Galeeren, die in den Hafen eingedrungen waren, hatte

keine den Kampf unbeschädigt überstanden. Die

meisten waren verbrannt oder gesunken, viele lagen

halb mit Wasser vollgelaufen auf den untiefen Stellen

der Hafenbucht.

Die Besatzungen der Galeeren waren bis auf etwa

hundert Gefangene ertrunken, verbrannt oder

erschlagen. Das war mehr als die Hälfte von König

Jellis Streitmacht. Beinahe zwei Dutzend

Page 143: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Hundertschaften.

Von König Jellis selbst fehlte jede Spur.

Wigor und Sela berichteten Dragon von ihrer

Begegnung mit dem König, der niemand anderer

gewesen sein konnte als der Schlangenpriester Serphat

oder – wie Dragon ihn nannte – Cnossos.

Cnossos in Myra – kein angenehmer Gedanke. Auch

wenn er eben wieder eine Schlappe erlitten hatte.

Yina brachte dann die verblüffendste Botschaft von

Issola und den Tainu:

Fünf Schiffe seien auf dem Weg nach Myra, eines

davon die Schwarze Wellenreiterin. Auf ihr seien

König Jellis und ein alter Bekannter von Yina: Kapitän

Jaggar.

Die Schiffe waren in der Nacht von den Tainu

gekapert worden und die Mannschaften

gefangengenommen. Ihre Gedanken gaben reichlich

Aufschluß über die Geschehnisse der letzten Tage.

8.

Jellis blickte düster auf den myranischen König, der

nicht einen Fingerbreit von seinen Forderungen

abwich.

Die Hälfte der verbliebenen Flotte sollte in Myra

Page 144: Die Bruderschaft des Großen Meeres

bleiben, unter anderem die Wellenreiterin.

Wie sollte er mit dem kärglichen Rest an Schiffen die

Schlangeninsel verteidigen, wenn es diesen

verdammten Kyriern einfallen sollte anzugreifen? Aber

man hielt ihm entgegen, daß er sich um diese Frage

auch nicht gekümmert habe, als er mit der gesamten

Flotte nach Myra aufbrach.

Richtig? Richtig.

Die Auflösung der Bruderschaft!

Welch ein Jammer, diese Geißel des Großen Meeres

einfach auszulöschen! Niemand würde mehr ein

Piratenschiff von der Schlangeninsel fürchten- weil

keine Macht mehr dahintersteckte!

Zudem waren es zwei Gründe, daß sein engster

Vertrauter ihn verließ. Kapitän Jaggar würde unter

Dragons Flagge segeln, mit Wigor zusammen, der sich

seine Iquani-Tochter angelacht hatte.

Der Junge würde sich noch wundern.

Jaggars Abschied war am schmerzlichsten für Jellis.

Aber er wußte, daß Jaggar auch an seinem Hof nur die

Bruderschaft gehalten hatte, und die Freiheit, die sie

ihm garantierte, und das Abenteuer, das er auf den

Meeren fand.

Dies alles konnte ihm jetzt nur noch Dragon bieten.

»Ihr werdet einen Eid schwören, König von Candis«,

sagte Dragon fest, »bei der Ehre Eures Königshauses

und bei Eurem Leben, daß unter Eurer Regentschaft

Page 145: Die Bruderschaft des Großen Meeres

künftig weder Ihr noch einer Eurer Untertanen die

bewaffnete Hand erhebt wider ein myranisches Schiff

oder Leben oder gegen einen Wassermenschen. Vor

den hier versammelten Zeugen, Euren Kapitänen der

einstigen Bruderschaft, erklärt Ihr Euch selbst für

vogelfrei, wenn Ihr Euer Wort brecht. Dann mag Euch

jeder einfache Mann töten, jeder Bürger Eures Landes,

ohne daß er dafür bestraft wird. Schwört es, Jellis!«

Und Jellis schwor- mit zusammengebissenen

Zähnen. Dann meinte er: »Aber eines mußt du

einsehen, König von Myra, das Volk der

Schlangeninsel ist arm. Wenn wir keine Flotte mehr

haben, um uns zu nehmen, was wir brauchen, wird

unsere Armut ohnegleichen sein. Du kannst nicht

verlangen, daß wir auch die Sklaverei abschaffen. Sie

ist die Grundlage unserer ...«

Dragon unterbrach ihn tadelnd: »Wir wollen nicht

verhandeln, König. Ihr habt meine Bedingungen zu ...«

Ubali unterbrach den König mit einem warnenden

Ausruf. Seine Hand deutete zum Himmel.

Über der Stadt schwebte ein ungewöhnlich großer

Geier.

»Cnossos!« entfuhr es ihm.

Auch die anderen starrten nun, während das Tier

majestätisch seine Kreise zog- so, als wollte es gesehen

werden. Es hielt etwas Weißes in den Krallen, das aus

dieser Entfernung nicht zu erkennen war.

Page 146: Die Bruderschaft des Großen Meeres

Plötzlich schien der Geier der Kreise müde zu sein.

Er stieß einen Schrei aus, der triumphierend klang, und

verschwand mit mächtigen Flügelschlägen nach Süden.

Yina wurde mit einemmal aschfahl. Mit zitternder

Stimme sagte sie: »Onkel ... da ist eine Nachricht von

Kim aus dem Palast ... Prinz Atlantor ist

verschwunden ...«

ENDE

Die »Bruderschaft des Großen Meeres« mußte

kapitulieren, der Kampf um Myra wurde zugunsten

des Atlanters entschieden.

Dennoch kann auch der Balamiter einen wichtigen

Punkt für sich buchen, indem es ihm gelingt, Dragons

Kind aus dem myranischen Königspalast zu entführen

und den König zu erpressen.

Die erste Forderung des Cnossos lautet: »Töte den

WÄCHTER DER TOTENKÜSTE« ...

WÄCHTER DER TOTENKÜSTE unter diesem Titel

erscheint auch der nächste Dragon-Band. Verfasser des

Romans ist Ernst Vlcek. Der Roman selbst wird, wie

seit Anbeginn der Serie, nach einem Expose von G. M.

Schelwokat geschrieben.

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