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Frantzen. 170 Oedichte des Archipoeta. DIE OEDICHTE DES ARCHIPOETA. Mit der Volkslyrik hat die Vagantendiehtung, neben den Neoph. V, 1 S. 70 hervorgehobenen Zfigen, auch die Anonymit~it der Verfasser und die Art der Uberlieferung gemein. Die grofle Masse geht namenlos oder unter dern Deekrnantel eines litterarischen Pseudonyms, wie Golias, Primas u. dergl.; bestirnrnte Zuweisungen sind selten und fiberdies nicht zuverl~issig. An "Versuchen, die hervorragendsten Figuren zu identifizieren, hat es nicht gefehlt; bei dern Golias episeopus yon Wrights Latin poems ist das, seitdem Walter Mapes abgetan hat, nicht gelungen; die Pers6nlichkeit des Archi- primas Aurelianus ist uns dutch W. Meyer greifbarer geworden. Auch in Bezug auf den Gr6Bten yon AII~, den yon Grimm 1843 aus der Ver- gessenheit ans Licht gezogenen Archipoeta der G6ttinger I-Is., hat man t~[ngere Zeit hin und her geraten; Grimm suehte ihn in dern ,Archipoeta Nicolaus', einern fahrenden Kleriker, der nach dern Bericht des Caesarius yon Heisterbach urn 1219 krank und schwach das Ordenskleid nahrn, aber nach seiner Genesung wieder aus dern Kloster entwieh; Giesebrecht und Gaston Paris in Walther yon Lille (Chfitillon); neuerdings ist er jedoch, besonders durch W. Meyers und Schrneidlers Arbeiten wohl endgfiltig als Landsmann und jiingerer Zeitgenosse Reinalds yon Dassel, des beriihrnten Erzkanzlers, erkannt. Das ist aber auch alles: sein Name bleibt uns, wie seine engere HHeirnat, verborgen, und yon seinen Schicksalen erfahren wir nur das Wenige, was die zehn erhaltenen Lieder andeuten. So bleibt uns seine Gestalt r~itselhaft: aus dem Dunkel taucht er irn Jahre 1161 hervor, urn nach 1165 wieder zu versehwinden. Hat vielleicht der pl6tzliche Tod seines hohen G6nners im Jahre 1167 auch seiner litterarisehen Laufbahn ein Ende gernacht? Oder erlag er selbst so frfih k6rperlichern Siechturn, wie er es in seiner Vision vorahnt? Jedenfalls verdiente der Name dieses Unbe- kannten unter den besten Narnen des 12. Jhrs., ja des ganzen Mittelalters genannt zu werden. Er ist einer yon den wenigen Dichtern jener so stark gebundenen Zeit, die auf uns den Eindruck freier Genialit~it rnachen: ein innerlich reicher, selbstbewuBter, fiberlegener Geist, der sich auch unter dem Druck widrigster Verh~iltnisse behauptet, ein Poet ersten Ranges, dessen Herrschaft fiber Sprache, Stil und Technik ihn in Stand setzt, scheinbar mtihelos lateinische Verse zu sehreiben yon einer flotten Elegartz und dazu von einer verblfiffenden Einqachheit und Klarheit, so dab den Leser dfinkt, er h~itte das auch rnachen k6nnen. Darin gleicht unser Archipoeta Heinrich Heine, rnit dem er auch sonst Manehes gernein hat, dadurch auch erhebt er sich fiber seine gelehrten Confratres, deren Kfinsteleien und Pedantereien allzu h~iufig nach der Studierlampe riechen. Eben wegen dieser leicht- flieBenden, wohllautenden Verse hat man den Dichter ffir einen Rornanen gehalten, da einem Solchen ja das Latein viel n/iher stand und weniger Mfihe machte, als dem ungelenken Deutschen, der sich gdw6hnlich durch allerlei stilistische und rhythmische H~irten verr[it. Wahrscheinlich abet stand seine Wiege am Rhein, unter dern franz6sisch gebildeten eurteis povel, davon tier Marner spricht, was seine natfirliche Anlage erkl[iren wfirde, und jeden- falls hat er, wie so viele seiner Genossen, in Frankreich seine Ausbildung

Die Gedichte des Archipoeta

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Frantzen. 170 Oedichte des Archipoeta.

DIE O E D I C H T E DES ARCHIPOETA.

Mit der Volkslyrik hat die Vagantendiehtung, neben den Neoph. V, 1 S. 70 hervorgehobenen Zfigen, auch die Anonymit~it der Verfasser und die Art der Uberlieferung gemein. Die grofle Masse geht namenlos oder unter dern Deekrnantel eines litterarischen Pseudonyms, wie Golias, Primas u. dergl.; bestirnrnte Zuweisungen sind selten und fiberdies nicht zuverl~issig. An "Versuchen, die hervorragendsten Figuren zu identifizieren, hat es nicht gefehlt; bei dern Golias episeopus yon Wrights Latin poems ist das, seitdem Walter Mapes abgetan hat, nicht gelungen; die Pers6nlichkeit des Archi- primas Aurelianus ist uns dutch W. Meyer greifbarer geworden. Auch in Bezug auf den Gr6Bten yon AII~, den yon Grimm 1843 aus der Ver- gessenheit ans Licht gezogenen Archipoeta der G6ttinger I-Is., hat man t~[ngere Zeit hin und her geraten; Grimm suehte ihn in dern ,Archipoeta Nicolaus', einern fahrenden Kleriker, der nach dern Bericht des Caesarius yon Heisterbach urn 1219 krank und schwach das Ordenskleid nahrn, aber nach seiner Genesung wieder aus dern Kloster entwieh; Giesebrecht und Gaston Paris in Walther yon Lille (Chfitillon); neuerdings ist er jedoch, besonders durch W. Meyers und Schrneidlers Arbeiten wohl endgfiltig als Landsmann und jiingerer Zeitgenosse Reinalds yon Dassel, des beriihrnten Erzkanzlers, erkannt. Das ist aber auch alles: sein Name bleibt uns, wie seine engere HHeirnat, verborgen, und yon seinen Schicksalen erfahren wir nur das Wenige, was die zehn erhaltenen Lieder andeuten. So bleibt uns seine Gestalt r~itselhaft: aus dem Dunkel taucht er irn Jahre 1161 hervor, urn nach 1165 wieder zu versehwinden. Hat vielleicht der pl6tzliche Tod seines hohen G6nners im Jahre 1167 auch seiner litterarisehen Laufbahn ein Ende gernacht? Oder erlag er selbst so frfih k6rperlichern Siechturn, wie er es in seiner Vision vorahnt? Jedenfalls verdiente der Name dieses Unbe- kannten unter den besten Narnen des 12. Jhrs., ja des ganzen Mittelalters genannt zu werden. Er ist einer yon den wenigen Dichtern jener so stark gebundenen Zeit, die auf uns den Eindruck freier Genialit~it rnachen: ein innerlich reicher, selbstbewuBter, fiberlegener Geist, der sich auch unter dem Druck widrigster Verh~iltnisse behauptet, ein Poet ersten Ranges, dessen Herrschaft fiber Sprache, Stil und Technik ihn in Stand setzt, scheinbar mtihelos lateinische Verse zu sehreiben yon einer flotten Elegartz und dazu von einer verblfiffenden Einqachheit und Klarheit, so dab den Leser dfinkt, er h~itte das auch rnachen k6nnen. Darin gleicht unser Archipoeta Heinrich Heine, rnit dem er auch sonst Manehes gernein hat, dadurch auch erhebt er sich fiber seine gelehrten Confratres, deren Kfinsteleien und Pedantereien allzu h~iufig nach der Studierlampe riechen. Eben wegen dieser leicht- flieBenden, wohllautenden Verse hat man den Dichter ffir einen Rornanen gehalten, da einem Solchen ja das Latein viel n/iher stand und weniger Mfihe machte, als dem ungelenken Deutschen, der sich gdw6hnlich durch allerlei stilistische und rhythmische H~irten verr[it. Wahrscheinlich abet stand seine Wiege am Rhein, unter dern franz6sisch gebildeten eurteis povel, davon tier Marner spricht, was seine natfirliche Anlage erkl[iren wfirde, und jeden- falls hat er, wie so viele seiner Genossen, in Frankreich seine Ausbildung

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erhalten. Auf franz6sische Aussprache des I.at. deuten z. B. Reime, wie decor. mecor (moechor) III, 6; ecgs (equus): Orecus VII, 31; dz'stortg: ab$ort# (absorptae) VIII, 40; Schreibungen, wie tisicus statt phtisicus I, 18 u. /i.

Nach Grimms Ausgabe und vortrefflicher Einleitung t)ist lange Zeit nichts f~r die Kritik und Erkl/irung der Gedichte des Archipoeta geschehen. Erst 1882 gab W. Meyer durch seine Studie fiber den Ludus de Antichristo den Anstol3 zu neuer Forschung2). Er hat durch seine Textkritik manehes zur Besserung des Wortlautes und zur Erkl~irung beigetragenS), sein letzter Vortrag 8) ist eine feine, wenn auch nicht einwandfreie Charakteristik des Diehters. Ihm folgte Spiegel 1892 mit seinem frfiher genannten Programm. Schmeidler4) untersuchte besonders die Beziehungen der Gedichte zu den Zeitereignissen und stellte danaeh ihre Chronologie lest. Ibm verdanken wir auch eine flotte, mitunter etwas freie I~lbersetzung b). Da nun also Grimms Ausgabe veraltet war, und die Abh. der Pr. Ak., wie die KI. Schr., sich ffir den Seminar- und Schulgebraueh nicht eigneten, war es ein guter Gedanke des Redaktors der ,Mfinchener Texte', eine handliche und billige, kritische Einzel- ausgabe mit Einleitung und Noten zu veranstalten. Kein Geringerer, als Max Manitius, der Verfasser der Oesch. d. mlat. Litteratur (I, Mfinchen 1911), nahm die Arbeit auf sich 6). Von einem solchen Kenner durfte man ja das Beste erwarten. Ich muB aber gestehen, dab eine Prfifung dieser Ausgabe auf ihre Verwendbarkeit im Kolleg oder Seminar reich sehwer enttg.useht hat. Die Nachl~issigkeit des Druckes, der Mangel an Kritik in der Gestaltung und Beurteilung des Textes, die Migverst/indnisse und Schnitzer in den Noten sind so zahlreich und auffallend, dab man sich fragt, ob dem gelehrten Herausgeber bei der Arbeit hier und da passiert ist, was auch dem braven Homer nachgesehen wird. Merkwiirdigerweise wird in den verschiedenen ]obenden oder empfehlenden Anzeigen des Bfichleins, yon Weyman, Huemer u. A., mit keinem Wort auf diese M/ingel hingewiesen, und sogar Schmeidler, tier bei seiner l~Ibersetzung Anlag gehabt hat, sich in alle Schwierigkeiten und Einzelfragen zu vertiefen, sagt nichts yon diesen Dingen, sondern begnfigt sich in seiner Besprechung (Lit. Centr. 64, 888) mit einer leise ironischen Anspielung auf die geringe Selbstandigkeit des yon M. Geleisteten und einem offenen Widerspruch gegen dessen Auffas- sung yon deln Charakter des Poeten. In diesem Punkte muB ich Schm. unbedingt beistimmen: trotz der Bewunderung des Herausgebers ffir den liebenswiirdigen Humor, den Geist und Witz seines Dichters wird er ihm doch nicht v611ig gerecht; er verkennt den festen, tier menschlichen Kern seiner Pers6nlichkeit, der sich in dieser gl/inzenden I-lfille birgt. Nie glaubt er an den Ernst des Dichters; wo dieser nur auf einen Augenblick die Hiille yon seinen Seelen- und Leibesn6ten lfiftet, da ist er sofort dabei zu

I) Abh. d. K. Pr. Ak. d. IF. 1843 S. 143 ft. auch Kleinere Schriflen l l I 1-102. 2) M~nch..Sitzungsb. 1882. Meyers rhythmische Studien sind jetzt beqnern zu iibersehen in

Gesamraelte Abhandlungen z. mlat. Rythmik. 2 Bde. Berlin 1905. 3) OStt Nachr. 1907 S. 170--172 und besonders Oesch. Mitteil. 1914 S. 99--114. 4) Hist. Vierteljahrsschrift XIV, 367-395. s) Schmeidler, Die Oedichte des Archipoeta. Leipzig 1911. e) Max Manitius, Die Oediehte des Archipoeta. Miinchen 1913.

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bemerken, dab das Alles nur scherzhafte Obertreibung set. Ich f~hre al~ charakteristisches Beispiel Str. 21 der Vision (Man. IX, Grimm V) an:

Tussis indeficiens et defectus vocis. cum ruinam nuncient obitus velocis, circumdant me gemitus in secretis locis, nec tam libet solitis delectari iocis.

Zu 1--2 bemerkt Manitius, das set jedenfalls Obertreibung, eine starke Erk~iltung ffihre ja noch lange nieht zum "rode; und zu 3--4: ,,ist mit groBer Offenherzigkeit gesagt; gemitus, n/imlich fiber Schmerzen in secretis Ioeis; ganach sind die soliti ioci yon der Liebe zu verstehen." Wenn also der Dichter klagt: ,Seufzer umschweben reich in der Einsamkeit, und ich kann reich nicht mehr an den alten Scherzen erfreuen', so heil3t das bei M.; ,Ich bin geschlechtskmnk und kann nicht mehr der Liebe pflegen'! Und das nennt er Humor! Von der sprachlichen Unm6glichkeit dieser Interpretation sehen wir hier ab.

Wo noeh so viel Unklarheit herrscht, da scheint es nicht unangemessen, das yon den Rezensenten Vem~iumte nachzuholen, und bet dieser Reinigungs- arbeit gewisse Schwierigkeiten der Textgestaltung und Erkl/irung zu be- sprechen. Zuv6rderst jedoch miissen wir diejenigen Anst6Be aus dem Wege r/iumen, die auf naehl~.ssiger Korrektur beruhen. Zur Interpunktion: Komma fehlt II, 6 u. 7 nach caligini und quare. Punkt fehlt II, 12 nach falsilas. Punkt start Komma steht VII, 27 naeh conflictus, VIII, 27 nach lascivus. Druckfehler: VII, 29 spes et mea solus I. es; VII, 17 priorum stature 1. priorem; VIII, 24 r 1. cetum, 85 egit 1. eget; IX, 15 abeo 1. ab eo. (Die Noten sind hierbei nicht berficksichtigt.

II (Grimm I) Str. 25 heiBt es vom jfingsten Gericht:

Mundus totus commotus acriter vindicabit auetorem graviter et torquebit reos perhenniter quamvis iuste, tamen crudeliter.

Das kann schon deshalb nicht richtig seth, weil torquebit das Subjekt auctor erfordert (Schm. umgeht in seiner Obersetzung S. 38 die Schwierig- keit, indem er das Subjekt beseitigt). Manitius' Konjektur mundum totum- auctor tunc ist bis auf die H/irte: tunc sehr annehmbar.

III (X) ist die bertihmte Beichte, das einzige allgemein verbreitete und bekannte Gedicht des Archipoeta. Schm. gibt am Schlusse seiner Abhandlung 391--395 einen auf Grund yon zw61f Hss. konstituierten Text nebst Lesarten. Seine Ubersetzung des Gedichtes ist trefflich gelungen.

An den Eingangszeilen

Estuans intrinsecus ira vehementi In amaritudine loquor me~ mend,

scheint niemand ]e AnstoB genommen zu haben. Ich verstehe aber den Dativ meae menti nicht; man erwartet doch mentis, auch nach dem yon Schm. und M. angeffihrten Bibelvers Job X, 1: loquar in amaritudine animae meae. Hat sich der A. des Reimes wegen so weir vergangen?

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Sir. 7. Res est arduissima vineere naturam, In aspectu virginis mentem esse puram; Juvenes non possumus legem sequi duram Leviumque corporum non habere curam.

will M. lesen ,l~vium ,jugendlieh sch6ner, reizender', wohl im Hinblick auf virgines". Natfirlicher scheint doch der Bezug auf Str. 5 4 mortuus in anima curare gero curls. So auch Schmeidler: ,dab des Leibes Triebe wir in uns niederringen.'

Str. 9 heil3t es yon der verfiihrerischen Stadt Pavia:

Si ponas Ypolitum hodie Papi~, Non erit Ypolitus in sequenti di~: Veneris in thalamos ducunt omnes vi~, Non est in tot turribus turris Alethig.

Die turris Alethi~ (var. Alicie, Alachie, Oalatie)ist bis jetzt ein R~itsel geblieben. Allgemein hat man in diesem Namen die Bezeiehnung einer unnahbar keuschen Jungfrau gesucht. Schm. mutmaBt (Hist. Vjzschr. 394): ,vielleicht hat der A. dem griechischen Worte d2r~Osm f~ilschlich die Be- deutung yon Keusehheit beigelegt." M. meint, Alethia sei als die (ehristliehe) Tugend sehlechthin zu fassen. Man hat sogar an die allegorische christliche SchMerin Alithia gedacht, die in einer Ekloge des Theodulos mit dem Heiden Pseustis fiber Religion disputiert[ Am n[ichsten lag natfirlich der Gedanke an den Turin der Danae, Tochter des Acrisius. Turris Acrisiae wagt abet Schm. ,,bei der einstimmigen Uberlieferung des l in der Mitte nicht einzusetzen." Die L6sung des R~.tsels liegt jedoch nicht nach der weiblichen, sondern naeh der m~innlichen Seite hin, bei dem keuschen Hippo- lytus, dem hellenisehen Joseph, mit welchem die Strophe anhebt. Wunder- licher Weise zitiert M. hier Vergil Aen. VII, 761 ft. und Ovid. Met. XV, 497 ft., ohne zu merken, dab dies eben die Quellen sind, aus denen der A. geschfpft hat. Danaeh hatte Diana ihren als Opfer seiner Keuschheit ge- fallenen Liebling mit Aesculaps Hfilfe wieder zum Leben erweckt und vor dem Zorne Jupiters in ihrem heiligen Hain bei Aricia (in Latium am FuBe des mons Albanus) geborgen. Dort lebte er ferner in Sicherheit mit seiner Gemahlin Aricia. Mit turris Ariciae (das einstimmig /iberlieferte I war also doch falseh!) meint der A. demnach einen Zufluchtsort ffir den Jfingling, der in Pavia seine Keaschheit bewahren will. Bei Vergil und Ovid ist nur yore Hain und Tempel der Diana Aricina die Rede; den Turm erg~inzte der .A. aus seiner Anschauung der turm[ihnlichen Kastelle, welehe die Patrizier Pavia's bewohnten, wobei er vielleicht doch yon der Erinnerung an die turks Acrisiae beeinfluBt wurde. Jedenfalls aber ist es jetzt klar, dab tier A. mit Aricia (anstatt Aricina) die Diana meinte. So verstehen wit erst die chiastiseh aufgebaute Antithese: Veneris in thalamos . . . . omnes vi~ / non est . . . . turris Aricig: ,Zu einer Venus-Kammer f~hren alle StraBen/doch keine unter all den Burgen ist eine Burg Diana's !'

Die eingeschobenen Strophen 14--19 entwickeln im AnschluB an I-'Ioraz den Gegensatz zwischen den Stubenhockern, die miihselig arbeitend bei der Studierlampe ihre Verse schmieden, und dem Poet,a, der dazu gutes Essen

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und Trinken benOtigt. Sonderbar, dab M. hier nicht auf die betr. Horaz- stellen hinweist. Zu Str. 18, 2--3:

Nihil possum facere, nisi sumpto cibo; Nihil valent penitus, qu~ ieiune scribo.

bemerkt M., daft Schm. sie in seiner Obersetzung (S. 44): ,Leisten kann ich iiberhaupt gar nichts vor dem Essen; / Miihn muB ich reich ffirchterlich und entsetzlich pressen' ganz migverstanden habe; der Gedanke beruhe auf Terenz Eun. IV, 5, 6: sine Cerere et Liberofriget Venus, und sei yon da auf die Poesie iibertragen. Aber die erste Zeile ist w6rtlich iibersetzt, die zweite allerdings ganz frei - - was soll also der Hinweis auf Terenz? Warum nicht bei nisi sumpto eibo an das Horazische nunquam nisi potus (Ep. 1, XIX, 7~ und bei nihil valent penitus an Nulla placere diu nee vivere r possunt, quae seribuntur aquae potoribus (ib. 2) erinnert?

Str. 23 gelobt der Siinder Besserung: Iarn virtutes diligo, viciis irascor., Renovatus animo spiritu renascor; Quasi modo genitus novo lacte pascor; Ne sit meum amplius vanitatum vas cor.

Von der Bibelstelle Petr.. I, 2: Deponentes igitur omnem maliliam . . . . sieur modo geniti infantes, rationabile sine dolo lac concupiscite ffihrt M. nur das sicut. . , infantes an. Hier w/ire zu zeigen gewesen, wie der A. Bibel- stellen benutzt. Die durch die Taufe Wiedergeborenen legen alle Bosheit ab und werden wie die Kinder; sie n/ihren sich mit der Milch der Heilslehre. Vergl. I Cor. 3, 2 (an die parvuli in Christo): lac vobis potum dedi, non escam, nondum euim poteratis und Hebr. V, 12--14 : facti estis quibus lacte opus sit, non solido cibo. Omnis enim qui lactis est particeps expers est sermonis iustitiae, parvulus enim est. Perfectorum autem est solidus r etc. So ist unser Dichter geistig wiedergeboren und n~ihrt sich mit der neuen Milch.

IV (VII). Ein Loblied auf den Erzkanzler, zu Allerheiligen 1162 gesungen. Es weist C/isur- und Endreirne auf. Str. 7 lautet bei M. nach der Hs.:

In regni negocio fit, quodcumque precipis, qui sine consilio nichil prorsus incipis; invidet tanto socio mens Romani principis.

Zu der SchluBzeile bemerkt. Schm. S. 79: ,invidet paBt weder zum Sinn, noch zum Versmag'. Das ist unwidersprechlich: die Verse des A. sind immer tadellos gebaut; eine Verletzung der Regel durch Auftakt, wie in- rider, kommt nie vor. Das scheint abet M. nicht zu kfimmern, und was den Sinn betHfft, meint er, es sei doch einfach: ,Sogar der Kaiser beneidet ihn~ der die Stfitz~ seiner Herrschaft bildet, urn seinen grogen Geist'. Dagegen l~igt siCh freilich nicht streiten[ Schm. fibersetzt, als stiinde da gaudet. Ich schlage vor: viget tanto socio. Der Fehler wird dadurch entstanden sein, dal~ ein Schreiber, durch das vorhergehende incipis verleitet, inviget schrieb, und dies unversffindliche Wort sp~iter zu invidet ge~indert wurde. Das Verbum vigere c. abl.-instr, ist, wie im klassischen Latein, auch in der Vagantenpoesie sehr gebr~uchlich fiir ,gedeihen, bliihen, stark sein oder werden durch etw'. So redet der A. I (III) 10 den Kanzler an: Vir tacione v~ens; bei Wright

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Lal. poems p. 39 finde ich: Romae viget phy'siea bursts constipatis, und C. B. 65 (De Phyllide et Flora) 69: (locus) ubi viget maxime/suusl) deo euitus. Der Sinn wiire also: ,Des Kaisers Geist (Einsieht und Tatkraft) wird gest~rkt durch einen so groBen Genossen', wie es Str. 2 heiBt, dab er dureh dessen Glanz erleuchtet werde: caius luce iubaris / illusimtur animus Friden'ci Caesaris. Daran schlieflt sich ganz natfirlich der Gedanke, dab ohne diese Hfilfe, nisi dei gmtia te dedisset soeium, Mailands Mauern noch stehen w~irden.

Str. 10 ebenfalls nach der Hs., wie bei Grimm: Dum sanctorum omnium colitur celebritas, singuli colentium gerunt vestes inelitas, archicancellarii vatem pulsat nuditas.

Es scheint s~mtlichen Forschern entgangen zu sein, dab in dieser Fassung der dritte C~isurreim auf into fehlt. Wir mfissen natfiflich lesen: archicaneel- latium vatem: der Dichter braucht das Wort als ein Ad~ektiv auf arias nach dem Muster yon vinarias, pomarius u. ~.

Str. 11 enth~ilt eine berfichtigte crux: Poeta composuit racionem rithmicam, atyrus imposuit melodiam musicam, unde bene meruit mantellum et tunicam.

Fiir atyrus schlug Grimm vor Sat yrus oder Tityrus, was aber keinen Sinn ergibt; fiberdies beweist z. 3, dab composuit und imposuit dasselbe Subjekt haben. Spiegel vermutete sinngem[ig: atque hale, abet eine solche Kakophonie ist dem A. nicht zuzutrauen, der iiberdies Hiat auch mit h vermeidet, und huie III, 124: sit dens propitius kuie potatori zweisilbig braucht. Ich glaube vielmehr, dab er geschrieben hat: syllabis imposuit melodiam musieam, d. h. er hat zuerst das rhythmisehe Silbengef~ige aufgebaut, und diesem dann die Melodie aaf- oder, wie wit sagen wiirden, untergelegt. Der Urheber der Corruptel hat vermutlich die Vokale verwechselt: sallybis, und daran ist dann wieder herumgebessert, bis Satyrus herauskam; das s ist, wie so Munches am linken Rande, ausgefallen. Jellineks Einfall (ZfdA. LV. 156)wird man wohl nicht ernst nehmen.

VI (IV) ist ebenfalls an den Kanzler gerichtet, der den Poeta aufgefordert hatte, ein Epos yon des Kaisers Taten zu dichten. Str. 5 lautet:

Vis et infra circulum parve settimane bella scribam forcia breviter e tnane, que vix in quinquennio scriberes, Lucane, vel tu, vatum maxime, Maro Mantuane.

In nane mug ein Fehler stecken. M. schl~tgt zweifelnd vor: plane. SoUte nicht zu lesen sein: breviter et sane ,kurz und (doch) genau' ?

Sodann m6chte ich die Aufmerksamkeit auf die vorhergehende Str. richten : Iubes angustissimo spacio dierum me fracture seriem augustarum rerum, quas neque Virgilium posse nec Homerum annis quinque scribere constat esse verum.

I) Wahrsch. zu lesen suo. Es soil wohl he/Ben: ,wo der Dienst Amors blfiht dutch die. Macht seines Oottes'. Be/ Haur~au, Not. et Extr. VI, 278 ft. lautet die Stelle: hie semper ab. omnibus [est Cap~do caltus.

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Keinern Forscher scheint es aufgefallen zu sein, dab diese Str. eine voll- st~indige Dublette yon Str. 5 ist! Der Inhalt ist genau derselbe; nur tritt in 5 Lucanus fiir Homerus ein - - des Reirnes wegen. So kann der A. sich nicht wiederholen; wir haben hier offenbar mit zwei verschiedenen Fassungen zu tun, aus welchen der Dichter vielleicht keine endgiiltige Wahl getroffen hat, sodag eine in den Text, die andere an den Rand gesetzt wurde. Durch Abschreiber geriet letztere dann in die Strophenreihe. lm Zusarnrnenhang darnit rn6chte ich auch das nunrnehr sinnlose Vis et durch V/s ut ersetzen.

Str. 16: Scribere non valeo pauper et mendicus, que gessit in Latio Cesar Fridericus, qualiter subactus est Tuscus inirnicus, preter te, qui Cesaris integer amicus.

erregt praeter Bedenken. Die Hs. hat nach Schrn. pter. M. hezieht prefer te auf v. 1. und i.ibersetzt: ,ohne dich, d. h. ohne deine Unterstiitzung kann ich, da ich bettelarrn bin, nicht dichten'. Dafiir spricht der Urnstand, daft alle folgende Strophen yon der Arrnut des Dichters handeln, der urn Gahen bittet. Schm. dagegen bezieht ~ter auf qualiter subactus est und liest propter re, sodaB also die Erfolge des Kaisers zum Teil seinern Kanzler zugeschrieben w/jrden, wie IV, 8. Daf/jr spricht wieder der Zusatz qui Cesaris integer amiens, der nichts mit der Armut der Dichters zu schaffen hat. Jedenfalls ist der Obergang auf letzteres Thema etwas abrupt, weshalb Meyer hier Ausfall yon einigen Strophen angenornrnen hat.

VII (XI) ist odas schwungvolle Loblied auf Barbarossa, das der Dichter wohl anstatt des gew/jnschten Epos verfagt hat.

Str. 3, 3 - 4 : tibi colla subdirnus tygres et forrnice et cum cedris Libani vepres et mirice.

mug doch nach sgbdimus Komrna stehn ; f/Jr das Folgende ist dann subdunt zu erg~inzen, ungef~ihr wie damus in dem bekannten Vers des Venantius Fortunatus (An Lupus): Nos tibi versicalos, dent barbara carmina legdos; Zu Str. 9 erinnert Meyer (Mitt. 100-101), daB auch der ebenfalls aus Barbarossa's Urngebung starnrnende Lndus de Antichristo den R/ickgang tier Reichsmacht der desidia seiner Vorg~inger zuschreibt.

VIII (II). Dieses geistreiche Gedicht, in welchem der Archipoeta, der seinem Patron enfflohen ist und nun abgerissen und reurn/jtig zur/jckkehrt, sich selbst mit dem Propheten Jonas, und sein Elend mit dessert Zustand im Bauche des Walfisches vergleicht, ist bei M. sehr schleeht davongekommen. In den Strophen 3 - 5 wird der Walfisch (eetgs) f/jnfrnal genannt. Gleich in der dritten Strophe aber bleibt der Druckfehler celgm stehen:

Lacrirnarum fluit rivus, quas effundo fugitivus intra eelum semivivus, tuus quondam adoptivus. sed pluralis genitivus, nequam nirnis et lascivus, rnihi factus.est nocivus.

Anstatt das nun zu bessern, rnaeht M. sich dar/jber Gedanken und fragt: ,SoN das heiBen: ,,Halbtot, wenn ich jetzt in den Hirnmel kiirne? Oder

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meint der Dichter mit intra celum die N/ihe Reinalds?' Man traut seinen Augen nicht, wenn man so etwas lies/[ - - Zu pluralis geaitivas bemerkt M. : ,die Anspielung ist mir nicht klar'; ich habe jedoch schon V, 1 S. 69 darauf hingewiesen, dab Genitivus in der Vaganten- und Schulpoesie des M. A. den Geschlechtsakt (und den Aktor) andeutet (vgl. Vers 89: genilivis iarn so#iris / sanctior sam heremiLis). Ebenso bezeichnen Ablativas und Dativus in den gegen die Hierarchie gerichteten Satiren den Erpresser und den Geber, und auf die Bedeutung yon Vocativas hat schon Grimm hingewiesen. Die Sache ist also fiir den Kenner dieser Litteratur ganz klar: der Dichter hat nicht dutch 6in ,,eindeutiges Liebesabenteuer" (M.), sondern durch fort- gesetzte Liederlichkeit Argernig erregt. Demzufolge, heigt es wetter:

Voluptate volens frui conparabar brute sui, nec cum sancto sanctus fui. unde timens tram tui, sicut lonas dei sui, fugam petens fuga rut.

Hierzu bemerkt M. : brate sat = bratae eius ,einem seiner Tiere'. Er meint: ~der Kanzler hat den Poeten mit einem seiner Tiere(!) verglichen." Das ist schon stark, aber es kommt noch dazu, dab dieses sat oder eius sich auf nichts beziehen kann, da der Kanzler noch gar nicht genannt ist[ Obrigens h/itte ein solcher Verskiinstler auch nicht den rtihrenden Reim sui: sM in demselben Wortsinne gebraucht. Der Sinn ist nat~irlich: ,man verglich reich mit einem schmutzigen Schwein' -- das ist das ,,kr/iftige Schimpfwort," nach dem M. vergebens sucht. Der Erzbischof hat dabei gewif~ an II Petr. 2, 22 gedacht, wo auf die Getauften, die, yon Gott abgewendet, wieder der luxuria fr6hnen, das Sprichwort angewandt wird: Sas lota in volutabro luti. Vergl. Lat. poems, 166 v. 100: (vivet zzti) amica lato sas.

Die zwei folgenden Strophen lauten bet M.

35 Ionam deprehensum sort~, reum tempestatis ort~, condempnatum a cohort~ mox absorbent ceti port~. sic et ego dignus mort~

40 prave vivens et distorts, cuius carnes sunt absort(~, sed cor manet adhuc fort(~, reus tibi. Vereor t~ miserturum mihi fort~.

45 Ecce Ionas tuus plorat; culpam suam non ignorat, pro qua cetus eum vorat, veniam vult et implorat, ut a peste, qua ]aborat,

50 solvas eum, quem honorat, tremit colit et adorat.

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Frantzen. 178 Oedichte des Archipoeta.

Hier weiB sich der Hg. gar nicht in die Darstellung des Dichters hinein- zufinden. ,40 f., sagt er, sind zu verschiedenen Zeiten zu denken, nii.mlich 40 yon der Vergangenheit (da ich damals verkehrt und gottlos war) und 41 yon der Gegenwart) dessen Leib jetzt abgemagert ist, seitdem er aus der freiwilligen Verbannung zuriickkehrte." Er iibersieht abet, dab alle Verba deshalb im Pr~s. stehen, weft das ,Verschlucktsein' yore Walfisch, d. h. der elende Zustand, noch fortdauert, bis der Kanzler ihn herausretten wird, indem er, wie Gott, dem Fisch gebietet, ihn auszuspeien:

52 Si remittas hunc reatum et si ceto das mandatum, cetus, cuius os est latum, more suo dans hiatum vomet vatem decalvatum . . . .

V. 41-42 bedeuten also: ,dessen Fleisch verschlungen (vom Elend verzehrt) ist, dessen Herz aber noch stark bleibt'. Die Interpunktion yon V. 42--44 verstehe ich nicht: reus tibi wird doch dutch V. 42 yon ego (39) getrennt; es geh6rt zum Folgenden: ,ira BewuBtsein meiner Schuld dir gegentiber scheue ich dich (vergl. 51 tremit), der sich vielleicht (doch) meiner erbarmen wird'. Ich setze also nach forte Punkt und lese dann: Reus tibi vereor re, miserturum mihi forte. Wir finden hier wieder die Antithese: reus tibi - - miserturum mihL M. scheint te miserturum als acc. c. inf. zu fassen, aber wie stimmt das zu vereor?

V. 66-69. Hunc reatum si remittas, inter enses et sagittas tutus ibo, quo me mittas, hederarum ferens vittas.

sind nicht ganz klar. M. umschreibt sehr frei: ,Wenn ich deine Gunst genieBe, liegt die Zukunft heiter vor mir, dann wird mir ein Efeukranz als Waffe mitten im Kriegsgetiimmel geniigen', und verweist auf Hor. Carm. I, 1, 29 doctarum hederae praemia frontium. Es muB abet jedenfalls eine Anspielung auf Jon. iV, 6 darin liegen: Et praeparavit D. D. hederam, et ascendit super caput lonae, ut esset umbra super caput eius et protegeret eum (laboraverat enim); etwa: Wie der Herr den Propheten vor den Pfeilen der Sonne schiitzte, so wird die Gunst des Pr~ilaten den Dichter vor den Pfeilen der Bosheit un d MiBgunst schiitzen?

IX (X) ist in die beliebte Form einer Vision im Himmel eingel~leidet, und erinnert an die Apocalypsis Goliae. $tr. 8 verbietet der Erzengel Michael dem Poeta, die himmlischen Geheimnisse und Ratschliisse zu offenbaren. Wenn es dann Str. 9 weiter heiBt:

Unde quamvis cernerem de futuris multa, que sunt intellectibus hominum sepulta, celi tamen prodere videor occulta. tu veto ne timeas, presul, sed exulta.

so ist wohl mjt Schm. (und M) anstatt videor zu vermuten vereor; darauf bezieht sich dann tu vero ne timeas, also: ,ich kann nur mit Furcht und Zagen die Zukunft enthtillen; du aber fiirchte nichts!'

Str. 12 stoBen wir wieder auf ein seltsamesMiBverstiindniB, dem vorigen ~hnlich:

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Frantzen. 179 Oedichte des Archipoeta.

Per hune 1) regnum Sieulum fief tui iuris, ad mdieem arboris ponitur seeuris: tyrannus extollitur et est sine curls, sed eius interitus venit instar furis.

Es ist die Rede von dem geplanten Feldzug gegen den Normannenk6nig Wilhelm yon Sizilien. Zu den zwei letzten Zeilen bemerkt M. : ,,Star des Pr/isens in extollitur, est und venit erwartet man das Futurum". Das mag zur Not ffir venit gelten (obgleich es an sieh sehon futurisch), abet extollitur und est beziehen sich auf die Gegenwart; ,der Tyrann ist fibermiitig und unbesorgt, abel" sein Untergang wird kommen wie der Dieb (in der Nacht)'. Das hat aber M. g~.nzlich miBverstanden: er verwechselt wahrscheinlieh extollitur mit expellitur; ferner ilbersetzt er est sine curis mit: ,wird sein Amt verlieren' und gar die letzte Zeile mit: ,wie ein Dieb wird er gehenkt werden' [ Wunderbar, dab ihm gerade diese allbekannte Bibe.lstelle I Thess. 5, 2--3 : dies Domini sicut f u r in node ira veniet und repentinus eis superveniet interitus nicht einf~illt[

X (VI) ist, wie I 0II), in (gereimten) Hexametern. Der Dichter, derstudierens- halber nach Salerno gezogen ist, hat dort schwer hank gelegen und kehrt nun zu seinem G6nner zuriick. Dem sinnlosen V. 19: Pro vili panno sum vilis parque tyranno h[itte M. bet ~iniger Vertrautheit mit Vagantenpoesie sofort dutch ~,nderung yon tyranno in trutanno aufhelfen k6nnen, wie auch Meyer gesehen hat; es ist das fr. truand ,Vagabund'; trutannizans inhoneste nennt sich der A. VIII, 83.

Noch ein Wort zum SchluB fiber das yon W. Meyer entworfene Charakter- bild des Archipoeta. Der Grund weshalb es mir nicht ganz gelungen scheint, liegt in der schon Neoph. IV, 1 S. 63 erw/ihnten Ansicht Meyers vom Wesen der Vagantenpoesie, welehe er in jenem Vortrag noch einmal ausfilhrlich dargelegt hat. Die fahrenden Kleriker, meint er, verkommene Vagabunden, haben mit der son. Vagantendichtung nichts zu tun. Diese isf das ErzeugniB gelehrter, in vornehmen Kreisen verkehrender M/inner: Geistliche, Scholarchen, Beamte, die ihre Lieder zur Unterhaltung der gebildeten Gesellschaft dichteten. So war auch der A. kein fahrender Schiller, wie er in seinen Gedichten erscheint, sondern ein beim Hofhalt des Kanzlers ordentlich angestellter Ministeriale, der wohl in der guten Jahreszeit Ferien nahm zu Vergniigungs- oder Studienreisen, aber jedesmal zum Herbsttermin wieder seinen Dienst antrat. Sein Gehalt bestand, wie das seiner Kollegen, aus Naturalien: Kleider, Zieraten, Pferde, und Geld. Solche Geschenke wurden besonders zu bestimmten Zeiten z.B. Michaelis, Martini, ausgeteilt, und M. nimmt an, dab der A. an solchen Tagen oder auch sonst zur Erheiterung des Holes in zerlumpter Kleidung als Vagabund auftrat, und dabei um die Gaben betteRe, die fiir ihn bereit lagen. Ich brauche kaum zu sagen, dab diese Ansicht mir ganz verfehl.t scheint. Sie raubt nicht nur den Dichtungen des A. allen tiefern menschlichen Gehalt und wiirdigt sie, wie Manltius, zu frivolen, grotesken oder gar zynischen Sp/iBen herab, sondern sie ist auch in schreiendem Widerspruch mit den gegebenen Tatsachen.

Utrecht. FRANTZ EN.

0 Des Kanzlers Schutzengel.