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Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez 1709-1715 Ein Projektbericht Von Thomas Wallnig Seit April 2004 wird am Institut für österreichische Geschichtsforschung im Rahmen ei- nes vom FWF geförderten Forschungsprojekts an der Herausgabe des Briefwechsels der gelehr- ten Melker Benediktiner Bernhard (t 1735) und Hieronymus (t 1762) Pez gearbeitet 1 . Die Brüder gelten als früheste Verfechter kritischer Geschichtsforschung in Österreich: Bernhard plante die Herausgabe eines umfassenden benediktinischen Schriftstellerlexikons („Bibliotheca Benedictina") und setzte sich aus diesem Grund mit Gelehrten in ganz Europa in Verbindung; sein frater germanus Hieronymus half ihm bei seinen Forschungen und übernahm schließlich die Herausgabe der „Scriptores rerum Austriacarum". Bernhard gelang die Fertigstellung der „Bibliotheca Benedictina" nicht, er brachte jedoch zahlreiche Quellenpublikationen auf den Markt („Thesaurus anecdotorum novissimus", „Bibliotheca ascetica"). Von den rund 1000 Briefen an die Brüder, die in Melk erhalten sind, werden in der ersten Projektphase rund 250, namendich jene der ersten Korrespondenzjahre 1709 bis 1715, ediert. Die größtenteils lateinischen Texte werden durch ausfuhrliche deutsche Regesten aufbereitet und einzeln kommentiert. Der Kommentar zielt besonders darauf ab, den Nachlass der Brüder in Beziehung zu den Briefen zu setzen, da viele Briefe von Bücher- und Schriftstellerkatalogen oder sonstigen Beilagen begleitet waren, die sich häufig noch im Nachlass befinden. Parallel wird in auswärtigen Archiven und Bibliotheken nach den Briefen und Briefbeilagen von Bern- hard und Hieronymus Pez an ihre Korrespondenten gesucht. Derzeit teilen sich Mag. Thomas Stockinger und Dr. Thomas Wallnig die Projektstelle, geleitet wird das Projekt von Prof. Win- fried Stelzer. 1 Der folgende Text versteht sich als Arbeitsbericht, der auf die in Band 1 der Korrespondenz zu pu- blizierenden Ergebnisse verweist. Aus diesem Grund wird hier auf Quellen- und Literaturangaben ver- zichtet. An grundlegenden Werken seien erwähnt: Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katho- lische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Husum 2003), bes. 411—470 und 557-574; Christine GLASSNER, Verzeichnis der im Nachlaß der Melker Historiker Bernhard und Hiero- nymus Pez erhaltenen Briefe. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 110 (1999) 195-243; Ludwig HAMMERMAYER, Die Forschungszentren der deutschen Benediktiner und ihre Vorha- ben, in: Die historische Forschung im 18. Jahrhundert. Organisation, Zielsetzungen und Ergebnisse, hg. von Karl HAMMER-Jürgen Voss (Bonn 1976) 122-191; Eduard Ernst KATSCHTHALER, Über Bernhard Pez und dessen Briefhachlaß (39. Jahresbericht des k. k. Obergymnasiums Melk, Melk 1889). Die ein- schlägigen ungedruckten Bestände befinden sich in Archiv (Kartons 7-6 bis 7-11, 7-13, 85-22 bis 85- 30; die Kanons 7-6 und 7-7 enthalten die gebundenen Originalbriefe in drei Bänden) und Bibliothek des Stiftes Melk (Frau Dr. Glassner plant fur die nähere Zukunft die Herausgabe eines Verzeichnisses der Pez-Handschriften der Bibliothek). MIÖG 114 (2006) Brought to you by | University of Kentucky Libraries Authenticated Download Date | 10/1/14 2:42 AM

Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez 1709–1715

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Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez 1709-1715

Ein Projektbericht

Von Thomas Wallnig

Seit April 2004 wird am Institut für österreichische Geschichtsforschung im Rahmen ei-nes vom FWF geförderten Forschungsprojekts an der Herausgabe des Briefwechsels der gelehr-ten Melker Benediktiner Bernhard (t 1735) und Hieronymus (t 1762) Pez gearbeitet1. Die Brüder gelten als früheste Verfechter kritischer Geschichtsforschung in Österreich: Bernhard plante die Herausgabe eines umfassenden benediktinischen Schriftstellerlexikons („Bibliotheca Benedictina") und setzte sich aus diesem Grund mit Gelehrten in ganz Europa in Verbindung; sein frater germanus Hieronymus half ihm bei seinen Forschungen und übernahm schließlich die Herausgabe der „Scriptores rerum Austriacarum". Bernhard gelang die Fertigstellung der „Bibliotheca Benedictina" nicht, er brachte jedoch zahlreiche Quellenpublikationen auf den Markt („Thesaurus anecdotorum novissimus", „Bibliotheca ascetica").

Von den rund 1000 Briefen an die Brüder, die in Melk erhalten sind, werden in der ersten Projektphase rund 250, namendich jene der ersten Korrespondenzjahre 1709 bis 1715, ediert. Die größtenteils lateinischen Texte werden durch ausfuhrliche deutsche Regesten aufbereitet und einzeln kommentiert. Der Kommentar zielt besonders darauf ab, den Nachlass der Brüder in Beziehung zu den Briefen zu setzen, da viele Briefe von Bücher- und Schriftstellerkatalogen oder sonstigen Beilagen begleitet waren, die sich häufig noch im Nachlass befinden. Parallel wird in auswärtigen Archiven und Bibliotheken nach den Briefen und Briefbeilagen von Bern-hard und Hieronymus Pez an ihre Korrespondenten gesucht. Derzeit teilen sich Mag. Thomas Stockinger und Dr. Thomas Wallnig die Projektstelle, geleitet wird das Projekt von Prof. Win-fried Stelzer.

1 Der folgende Text versteht sich als Arbeitsbericht, der auf die in Band 1 der Korrespondenz zu pu-blizierenden Ergebnisse verweist. Aus diesem Grund wird hier auf Quel len- und Literaturangaben ver-zichtet. An grundlegenden Werken seien erwähnt: Stefan BENZ, Zwischen Tradition und Kritik. Katho-lische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich ( H u s u m 2003) , bes. 411—470 und 5 5 7 - 5 7 4 ; Christine GLASSNER, Verzeichnis der im Nachlaß der Melker Historiker Bernhard und Hiero-nymus Pez erhaltenen Briefe. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 110 (1999) 195-243 ; Ludwig HAMMERMAYER, Die Forschungszentren der deutschen Benediktiner und ihre Vorha-ben, in: Die historische Forschung im 18. Jahrhundert. Organisation, Zielsetzungen und Ergebnisse, hg. von Karl HAMMER-Jürgen Voss (Bonn 1976) 1 2 2 - 1 9 1 ; Eduard Ernst KATSCHTHALER, Über Bernhard Pez und dessen Briefhachlaß (39. Jahresbericht des k. k. Obergymnasiums Melk, Melk 1889) . D ie ein-schlägigen ungedruckten Bestände befinden sich in Archiv (Kartons 7 - 6 bis 7 - 1 1 , 7 - 1 3 , 8 5 - 2 2 bis 8 5 -30; die Kanons 7-6 und 7 - 7 enthalten die gebundenen Originalbriefe in drei Bänden) und Bibliothek des Stiftes Melk (Frau Dr. Glassner plant fur die nähere Zukunf t die Herausgabe eines Verzeichnisses der Pez-Handschriften der Bibliothek).

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Sämtliche Korrespondenzen orientieren sich am lateinischen Freundschaftsbrief humanis-tischer Prägung, wie er in den Jesuitenschulen erlernt wurde, mit mehr oder weniger monasti-scher Färbung {amicus bzw. confratei). Gemeinsam mit den Briefen in Ballen {ballar) versendet wurden Bücher, handschriftliche Beilagen und mitunter auch alte Handschriften. Pez selbst entwickelte ein Verweissystem, durch welches er Briefen Beilagen zuordnen konnte. Oft ist es eine schwierige editorische Entscheidung, ob ein Text als Brief eingestuft, folglich im Volltext und mit Regest wiedergegeben wird, oder ob man ihn als Beilage behandelt und nur summa-risch beschreibt. (Bei beigelegten Schriftstellerkatalogen erhalten die genannten Autoren einen Eintrag im Register.)

Neben der Liste dieser Beilagen wird im Rahmen der Edition auch eine Liste der erwähn-ten Briefe von und an Dritte erstellt, die noch deutlicher die Verwobenheit der Pez-Korrespon-denz mit der zeitgenössischen Res publica literaria zum Ausdruck bringt. Sachkommentare zu den einzelnen Briefen liefern ad hoc notwendige Informationen, größere Themenkomplexe (Toggenburgerkrieg, Bulle „Unigenitus", Streit um die „Cura salutis") werden ausfuhrlicher in der Einleitung angesprochen. Dort finden sich auch biographische Skizzen zu den einzelnen Pez-Korrespondenten und Ausführungen zu relevanten Rahmenthemen (lateinischer Gelehr-tenbrief, katholisch-benediktinische Res publica literaria, Postwesen). Ein Sammelregister (Per-sonen, Werke, Orte; eigenes Register für mythologisch-klassische und biblische Anspielungen und Zitate) soll den Band abschließen, dessen Fertigstellung fur 2007/2008 geplant ist.

Auf den folgenden Seiten soll nun versucht werden, die wichtigsten Briefwechsel und The-men kurz zu charakterisieren.

Die zentrale Korrespondenz des Zeitraums 1709-1715 ist jene mit dem Mauriner René Massuet, nicht nur, weil hier beide Seiten des Briefwechsels nahezu vollständig überliefert sind, sondern auch, weil zahlreiche andere wichtige Korrespondenzen mit der Achse Pez-Massuet in Verbindung stehen oder von ihr ausgehen.

Massuet hatte 1709 von den Maurinersuperioren den Auftrag zur Fortsetzung der Bene-dikrinerannalen erhalten, die Mabillon bei seinem Tod 1707 bis ins Jahr 1066 (gedruckt) vo-rangebracht hatte. Mabillons Nachfolger Thierry Ruinart starb, bevor er sich ernsthaft mit der Weiterfuhrung befassen konnte, und so oblag es Massuet, den fünften Band, den Mabillon handschriftlich hinterlassen hatte, zu überarbeiten und für die folgenden Bände zusätzliches Material zu sammeln. Hier rückten nun jene Gebiete in den Fokus des Interesses, die unter dem Begriff Germania subsumiert werden können, nämlich die ober-, mitteldeutsche und ös-terreichische Klösterlandschaft: Man benötigte in Paris Material zu jener Zeit, der eine Vielzahl dieser Klöster ihre Existenz verdankten (11. und 12. Jahrhundert).

Pez seinerseits begann 1709 mit seinen Forschungen für die „Bibliotheca Benedictina" und sandte ein Zirkulare an Kongregationen (Bayern, Böhmen, Mauriner, Monte Cassino, Burs-felde) und einzelne Klöster seines Ordens, in welchem er um die Einsendung von Informatio-nen zu den Schriftstellern des jeweiligen Klosters bat. 1709 begann aber nun gleichzeitig eine Enzyklik Ruinarts bzw. Massuets in Deutschland zu zirkulieren, die einen ähnlichen Fragenka-talog, abgestimmt auf die Bedürfnisse des maurinischen Vorhabens, enthielt. Pez verteilte diese maurinische Enzyklik gemeinsam mit seiner eigenen und sammelte für Massuet Material, im Gegenzug gab dieser umfassende bibliographische Unterstützung, beriet Pez bei der Auswahl von Literatur und beschaffte Bücher am französischen Markt. Außerdem setzte er sich in seiner Kongregation dafür ein, dass das Thema des benediktinischen Schriftstellerkatalogs - bisher eine Lücke im maurinischen Programm - Pez exklusiv vorbehalten blieb. Für Massuet bedeu-tete die Unterstützung durch Pez hinwiederum den Zugang zu Quellen, die ihm selbst auf-grund der antifranzösischen Haltung in vielen oberdeutschen Klöstern vorenthalten geblieben wären.

Hier taucht jedoch ein wesendiches Problem auf, da die an Pez eingeschickten Unterlagen oft nicht fiir die historische Weiterverarbeitung geeignet schienen: Es handelte sich zum Teil

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um „panegyrische" bzw. „rhetorische" „Fabeln" (Pez), nicht etwa um Urkundenabschriften, auf denen man ein gesichertes historisches Gebäude errichten konnte. Dieser Umstand war Pez ebenso bewusst wie Massuet, gemeinsames Ideal waren die „kritischen Studien" (critica studiò). Mabillon hingegen war für Pez eher als Ordenshistoriker denn als Hilfswissenschaftler von Be-deutung: Als ihm De re diplomatica angeboten wurde, wollte er das Werk zurückschicken. Ab-gegrenzt werden diese „kritischen Studien" gegenüber der Fabuliererei ignoranter Mönche (de-liria indoctorum monachorum et ludibria prudentum, Pez), ebenso gegen die wortreiche, aber sinnendeerte scholastische Philosophie, wie sie dem jesuitischen Lehrbetrieb an den Universi-täten entsprach (nugae scholasticae. Pez), aber auch gegenüber der übertriebenen und das Maß des religiös Tragbaren sprengenden Kritik, wie sie besonders in England und Holland beliebt war (Anglis Batavisque haud ingrata, Bartenstein). Feindbild für Massuet war Pierre Bayle, von dessen Lektüre er Pez nachdrücklich abriet.

Eine dramatische Wendung erfuhr die Korrespondenz nach 1713, als infolge der Bulle „Unigenitus" Papst Klemens' XI. (Verurteilung der jansenistischen Thesen des Oratorianers Quesnel) der französische Klerus in zwei Lager gespalten wurde: Die Jansenisten, allen voran der Pariser Erzbischof und Kardinal Noailles, verteidigten die Gallikanischen Freiheiten, wäh-rend besonders die jesuitische Hofpartei die Unterstellung unter Rom forderte. Die Mauriner, die besonders durch ihre „Augustinus"-Ausgabe in ein Naheverhältnis zu der jansenistischen Strömung gerückt (worden) waren und außerdem in überkommenem Gegensatz zu den Jesui-ten standen, wurden von den Auseinandersetzungen in Mideidenschaft gezogen, Massuet fürchtete selbst um Leib und Leben. In dieser Situation spielte Pez ihm wichtige Informationen aus seinem Wiener Umfeld hinsichdich der Promulgation der Bulle in Österreich zu und suchte gemeinsam mit Gentilotti (siehe unten) nach einem geeigneten Fluchtort für den Ernstfall.

Der freundschaftliche Kontakt mit Massuet befestigte in Pez sicher die Verehrung für Ma-billon und die Mauriner (als Ordenshistoriker), eine Haltung, die Massuet seinerseits dadurch zu befördern wusste, dass er immer wieder auf die Überlegenheit Frankreichs in gelehrten Sa-chen zu sprechen kam (Sed vereor, utpluribus [sc. viris eruditis] abundet ea Germaniae pan, in qua degis, Massuet). Pez' bereits zu dieser Zeit gehegter Wunsch, selbst nach Frankreich zu rei-sen, realisierte sich erst knapp zwei Jahrzehnte später, und auch die folgenden Kontakte zu St. Germain-des-Prés nach Massuets Tod 1716 erreichten nie mehr die Intensität der ersten Jahre.

Betrachten wir nun kurz jene Briefwechsel, die Pez erst in die Lage versetzten, Massuet et-was Gleichwertiges, nämlich handschriftliche Materialien aus bayerischen, schwäbischen und österreichischen Klöstern, anzubieten. Pez' Korrespondenten in diesen Klöstern (der alte Melker Verband ist noch spürbar und wird auch thematisiert) sandten - in der Regel auch recht solide -Hausgeschichten und Schriftstellerkataloge ein; die häufige Bemerkung, die alten Schriften wä-ren Zerstörungen durch Unglücksfalle oder Kriegseinwirkungen, insbesondere im Dreißigjäh-rigen Krieg, anheim gefallen, hatte zwar durchaus topischen Wert, entsprach oft aber auch den Tatsachen. An einigen Stellen fanden sich rührige Männer, die von sich aus in ihrem Umfeld versuchten, Pez' Sache zu betreiben, dabei aber stets über geringes Interesse und mangelhafte Be-teiligung der anderen Klöster klagten, so z. B. Hyazinth Baumbach in St. Stephan, Würzburg, Placidus Haiden in Niederaltaich, Ansgar Grass in Corvey, Alphons Hueber in Tegernsee, An-selm Fischer in Ochsenhausen oder Rupert Hausdorf in Bïevnov, Prag. Nicht selten waren diese aktiveren Korrespondenzpartner selbst historiographisch tätig (so auch Felix Egger in Petershau-sen und Benedikt Cherle in Thierhaupten), oft finden wir sie auch mit Lehrämtern (Philosophie oder Theologie), mitunter mit dem Amt des Priors betraut, und auch Äbte sind unter ihnen.

Was an den Beiträgen dieser oberdeutschen Benediktiner besonders auffällt, ist das Inter-esse für ihre gelehrten Ordensgenossen des 17. Jahrhunderts. Hier liefern die eingesandten Schriftstellerkataloge (meist mit Werksverzeichnis) nicht selten Informationen, die über die ge-samte heute verfügbare biographische Literatur hinausgehen. Das Interesse an der unmittelba-ren eigenen Vergangenheit erklärt sich aus der Erholung der Benediktiner im beginnenden

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17. Jahrhundert (Kongregationsgründungen, Universität Salzburg) und aus dem Wunsch, der (so empfundenen) Übermacht der Jesuiten im Bildungswesen etwas Adäquates entgegenzuset-zen. Vor diesem Hintergrund muss auch das Pezsche Vorhaben gesehen werden, und in diesem Bereich fördert die Behandlung der Korrespondenz auch völlig neue Informationen zutage.

Ähnlich wie in Oberdeutschland gestaltete sich die Mitarbeit in der Schweiz und in (Ober)-Italien: Einige wenige Männer (Adalbert Defuns in Disentís, Stefano Omodeo in S. Simpli-ciano, Mailand) sandten Schriftstellerkataloge ein, ein wirklicher Austausch auf breiterer Ebene kam aber nicht zustande. Auffallend ist, dass es wenig Korrespondenz mit den Klöstern der un-mittelbaren Umgebung Melks (Österreich ob und unter der Enns, Steiermark) gibt, sieht man vielleicht von jener mit Augustin Erath ab (CRSA St. Andrä an der Traisen), die auf eine syste-matische Sichtung und gegenseitige Ergänzung der Klosterbibliotheken durch Doubletten-tausch schließen lässt. Freilich mag das kommunikative Geflecht der österreichischen Benedik-tiner und Kleriker überhaupt (Universität Salzburg, Gebetsverbrüderung, Gastaustausch) das Fehlen umfangreicherer Briefwechsel zum Teil erklären.

Damit kehren wir zurück zur Achse Pez-Massuet, mit der am engsten der Briefwechsel des Moritz Müller in St. Gallen verbunden ist. Er stellte den Kontakt zwischen den beiden her (St. Gallen war im Spanischen Erbfolgekrieg neutral): nicht jedoch, wie er selbst behauptete, als guter Freund der Mauriner und Korrespondent Mabillons, sondern als Unbekannter, den Mas-suet denn auch als solchen ansprach. Müller, ein geschickter Geschäftsmann mit guten Kontak-ten zum Verlags- und Bankenwesen in Schaphausen und Ulm, spielte in der Folge eine wich-tige Rolle bei der Anschaffung der Maurinerwerke fur Melk (pretto certe mi fiori prae omnibus aliis Germaniae librariis, Müller). Durch ein Handelsabkommen zwischen St. Gallen und der französischen Krone gab es zollfreien Handel mit Lyon, wodurch der Buchpreis um ein Vielfa-ches gesenkt werden konnte. Dieser geschäftliche Aspekt - Massuet empfahl, Müller besorgte die Literatur - zeigt die Entstehung des Mauriner-Mythos von seiner pragmatischen Seite.

Auch Müller wurde in die politischen Geschehnisse der Zeit verwickelt, als 1712 Truppen der reformierten Kantone Zürich und Bern St. Gallen besetzten und Abt Bürgisser mit seinem Konvent vertrieben. Aus den Briefen Müllers, die er nun im Exil in Rheinau verfasste, spricht der Wille, am Geschehen zu partizipieren und bei den Melkern um Intervention beim Kaiser einzukommen - freilich ohne Billigung seines Abtes ( Taceat, Bürgisser). Das Verhältnis zu Pez wurde in den letzten Jahren der Korrespondenz auch dadurch getrübt, dass Müller einige Folia aus einem Kodex des Schottenklosters, die zum Teil von der Hand des St. Gallers Jodok Metz-ler stammen sollten und die Pez ihm zur Einsichtnahme übersendet hatte, nicht zurück-schickte. Tatsächlich befinden sich an der einschlägigen Stelle im Kodex heute einige Blätter mit der Handschrift Pez', offenbar eine vorsorglich angelegte Abschrift.

Sowohl im Briefwechsel mit Massuet als auch in jenem mit Müller spielt Anselm Schramb, Verfasser des „Chronicon Mellicense" und um 1700 sicher der wichtigste Hausgelehrte in Melk, eine bedeutende Rolle. Schramb, der als Studienpräfekt am Melkerhof in Wien tätig war, korrespondierte parallel zu Pez mit beiden Genannten. Müller wollte Schrambs Kontakte bei Hof fur die Sache St. Gallens verwenden, Massuet korrespondierte mit ihm in durchaus kriti-scher Weise über das nach Paris geschickte „Chronicon" und andere historische Fragen, distan-zierte sich aber in der Folge, da er nicht in den literarischen Streit Schrambs (und Korbinian Khamms) mit dem bereits genannten Augustin Erath um die Präzedenz zwischen Augustiner-Chorherren und Benediktinern hineingezogen werden wollte. Auch Pez hatte Schrambs diesbe-zügliche Schrift „Antilogia" vernichtend kritisiert und sich bei Abt Dietmayr gegen die Publi-kation ausgesprochen (diese kam dann unter Pseudonym zustande) - so fanden Pez und Mas-suet wieder zueinander in ihrer Ablehnung des „Scholastikers" Schramb, dem die kritische Me-thode eben nicht vertraut sei. Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die reichhaltige Melker Uberlieferung nur die Brüder Pez berücksichtigt: Die Korrespondenz Abt Dietmayrs ist ein Torso, jene Schrambs fehlt völlig.

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Kommen wir abschließend zu jenen Briefpartnern, die am ehesten der konfessionen- und nationenübergreifenden Res publica literaria zugerechnet werden können. Im Herbst 1714, als aufgrund der Friedensverhandlungen auch wieder Briefverkehr mit Frankreich möglich wurde, kam der junge Straßburger Juristensohn Johann Christoph Bartenstein auf seiner Kavalierstour von Paris nach Wien, um die Möglichkeiten fur eine Anstellung bei Hof zu sondieren. In Paris war er besonders vom Mauriner Montfaucon betreut worden, der ihn um eine gelehrte Gefäl-ligkeit in Wien gebeten und mit entsprechenden Empfehlungsschreiben ausgestattet hatte. Bar-tenstein, dessen Familie bereits über einen guten Namen in der gelehrten Welt verfugte, wandte sich in der Causa an den eben noch in Wien weilenden Leibniz ebenso wie an Hofbibliotheks-präfekt Gentilotti und Bernhard Pez. Bartenstein, er wurde begleitet vom Hamburger Patrizier-sohn Konrad Widow, kannte die Praktiken des gelehrten Umgangs und brachte so nach seiner Weiterreise im Winter - als Protestant waren ihm in Wien die Tore verschlossen - Pez, ebenso wie Anton Steyrer SJ , in Kontakt mit seinen gelehrten Bekannten in Mitteldeutschland (Jo-hann Burchard Mencke, Johann Gotthelf Struve). Die Briefe Bartensteins sind von einer sehr herzlichen und geistvollen Sprache, gerade in den Dingen, die ihm besonders wichtig sind: sei-nem eigenen Fortkommen, dessen Stagnieren er beklagt (ad honores aditus nisi per genitivum, uri loquuntur, darivumtjue casum, Bartenstein), und den Geschicken der befreundeten Mauri-ner in den Unruhen rund um die Bulle „Unigenitus" 1715, von denen er - durch seinen Vater gut informiert - Pez laufend berichtet. In Bartensteins teilweise neckendem, vertraulichem Ton schwingt ein gewisser jugendlicher Elan mit, mit dem er seine Weltgewandtheit nach Wien trägt, ohne dabei jedoch zu Pez jene wirklich enge Bindung (mit einem Dialog eben auch in Konfessionsfragen) aufzubauen, die ihn mit Montfaucon verband.

Die Sorge um die befreundeten Mauriner und die Zuneigung zu Bartenstein verband im selben Zeitraum auch Pez und Gentilotti, den Hofbibliothekspräfekten von Trientiner Adel. So erwog man gemeinsam für den Erstfall eine Flucht Massuets nach Salzburg. Jenseits davon ist das Verhältnis jedoch von höflicher Distanz getragen, in der sich bereits jene Konflikte andeu-ten, die die beiden Männer wenige Jahre später offen gegeneinander austragen sollten. Bern-hard (sie) Pez nämlich plante neben der „Bibliotheca Benedictina" auch die Herausgabe von „Scriptores rerum Austriacarum", und Gentilotti, der aus der Hofbibliothek viel Material dazu beigesteuert hätte, wollte als erster am Frontispiz stehen. Auch die literarische Kontroverse mit den Jesuiten, in die Pez sich 1715 begab (Streitschrift „Epistolae apologeticae pro ordine saneti Benedicti"), dürfte ihn den italienischen Hofkreisen eher entfremdet haben, und 1717 schließ-lich befehdeten er und Gentilotti einander öffentlich im Zusammenhang mit der Herausgabe des „Codex Udalrici".

Schon in den ersten Jahren der Korrespondenz erscheinen also die wesendichen Themen im Zusammenhang mit Pez angesprochen, die zugleich wichtige Strömungen der Zeit wider-spiegeln: Pez' komplexe Affinität zu den Maurinern, die ihm eine Projektionsfläche fur seine ei-gene Abgrenzung gegenüber Schulphilosophie und monastischer Unbildung in seiner eigenen Umgebung boten; ein Hang zur Polemik, der ihn sowohl den Jesuiten als auch den Ansätzen katholischer Aufklärung (Gentilotti) entgegenstellte; schließlich ein ungebrochener Glaube an die Erneuerungskraft traditioneller Erbauungs- und Spiritualitätsquellen als Hauptmotivation für historische Forschung und eine bewusste und starke Verwurzelung in der oberdeutsch-österreichischen Gelehrsamkeit des 17. Jahrhunderts. Diese feinen, aber folgenreichen innerka-tholischen Abgrenzungen und Differenzierungen stellen den eigentlichen Erkenntnisgewinn für eine Epoche dar, deren geistige und intellektuelle Dimension bisher bestenfalls als Vorge-schichte der Aufklärung verstanden worden ist.

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