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Die Lerngeschwindigkeit in einer Unternehmung als Erfolgsfaktor Horst Wildemann Inhaltsverzeichnis: 1. Organisatorisches Lernen: Ein Konzept zur Nutzung der Problemlösungskapa- zität der Mitarbeiter 2. Methoden zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit 2.1 GENESIS - lernen durch Verschwendungs- und Blindlei- stungsanalysen 2.2 Fabrik als Labor und Produktklinik - lernen durch die Wert - gestaltung von Prozessen und Produkten 2.3 Gruppenarbeit - lernen durch Arbeitsorganisation 2.4 Anreizsysteme - lernen durch Zielvereinbarung und Teilhabe am Erfolg 3. Chancen und Risiken der Steigerung der Lerngeschwindigkeit

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Die Lerngeschwindigkeitin einer Unternehmung

als Erfolgsfaktor

Horst Wildemann

Inhaltsverzeichnis:

1. Organisatorisches Lernen: Ein Konzept zur Nutzung der Problemlösungskapa-zität der Mitarbeiter

2. Methoden zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit

2.1 GENESIS - lernen durch Verschwendungs- und Blindlei-stungsanalysen

2.2 Fabrik als Labor und Produktklinik - lernen durch die Wert -gestaltung von Prozessen und Produkten

2.3 Gruppenarbeit - lernen durch Arbeitsorganisation

2.4 Anreizsysteme - lernen durch Zielvereinbarung und Teilhabe am Erfolg

3. Chancen und Risiken der Steigerung der Lerngeschwindigkeit

franz
© TCW GmbH & Co. KG
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Univ.-Prof. Dr. Horst WildemannTechnische Universität MünchenLehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt LogistikLeopoldstraße 14580804 München

Die Lerngeschwindigkeit in einer Unternehmung als Er-folgsfaktor

Zeit, Qualität und Kosten sind die drei Erfolgsfaktoren, die über Erfolg oderMißerfolg von Unternehmen entscheiden können. Als Differenzierungskrite-rium im Wettbewerb bietet sich ein weiterer Faktor an: die Lerngeschwindig-keit von Organisationen. Zwei Aspekte erscheinen hier relevant. Zum einendrückt das Lerntempo die Fähigkeit aus, Stimuli aus der Umwelt aufzugreifenund in marktfähige Kundenlösungen umzuformulieren. Neben dieser Eigen-schaft, neues Wissen zu verarbeiten, tritt als zweiter entscheidender Faktordie Geschwindigkeit für die Umsetzung von Verbesserungen auf. Danach er-langen diejenigen Unternehmen Wettbewerbsvorteile, die in der Lage sind,schneller als die Konkurrenz Produktivitätsreserven zu mobilisieren. Es isterst wenigen erfolgreichen Unternehmen gelungen, neue Konzepte wie Pro-duktkliniken, Gruppenarbeit und innovative Anreizsysteme, die zu einer Lei-stungssteigerung führen, durchgängig umzusetzen. Die Gründe hierfür sindvielschichtiger Art und erstrecken sich über alle Hierarchiestufen. Sie reichenvon Denkblockaden und Konstruktionsfehlern in der Organisation über Ver-haltenswiderstände im mittleren Führungskreis bis hin zu Machtbarrieren imTopmanagement. Zur Schaffung eines kundenorientierten und von allen Mit-arbeitern getragenen Unternehmens sind modulare Strukturen, kontinuierlicheProblemlösung bei hoher Umsetzungsgeschwindigkeit, persönliche Verant-wortung, ausgezeichnete Qualität und zeitliche Zielerfüllung erforderlich. DieMethoden des organisatorischen Lernens sind zwischenzeitlich in vielen Un-ternehmen bekannt. Sie haben aber noch nicht zu den für die Umsetzung

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zwingend notwendigen konkreten Handlungsempfehlungen geführt. Die Um-setzungsgeschwindigkeit ist letztlich eine Frage, wie schnell Lernprozesse inder Produktion, in der Administration und in den Produzenten-Lieferanten-Beziehungen vollzogen werden. Gefordert sind Konzepte, die über eine ziel-gerichtete Bündelung von Aktivitäten zu einer Erhöhung der Lernge-schwindigkeit führen.

1 Organisatorisches Lernen: Ein Konzept zur Nutzung der Pro-blemlösungskapazität der Mitarbeiter

Lernende Organisationen erhalten ihre Impulse aus vier Richtungen: Lernenvom Kunden, Lernen aus den Erfahrungen und erfolgreichen Praktiken ande-rer, Lernen aus eigenen Erfahrungen sowie systematisches Problemlösen. DasLernen vom Kunden beinhaltet die Erfassung der Kundenanforderungen, diezu Zielanpasssungen in der Organisation führen. Standen früher der Preis unddie Produktqualität im Vordergrund, so wandeln sich heute die Präferenzender Kunden in Richtung kürzere Lieferzeiten und höhere Servicequalität. Ler-nen von den Kunden ist eine Funktion der Kundenzufriedenheit und der Kun-denbindung. Letztere ist insbesondere in Marktsegmenten relevant, in denennicht -substituierbare, kundenspezifische Produkte angeboten werden. ZurUnterstützung des Lernens vom Kunden eignet sich die Methode QualityFunction Deployment.

Lernen von Kunden wird weiterhin durch die durchgängige Einführung vonKundenprinzipien erreicht und durch die Erzeugung von Marktdruck in allenTeilen der Organisation unterstützt. Durchgängige Kundenorientierung be-deutet, daß jede Stelle im Unternehmen Kunde in Bezug auf die von einervorgelagerten Stelle gelieferten Leistungen ist. Demnach gilt es in allen vor-gelagerten Stellen die internen Kundenanforderungen zu erkennen und diesebestmöglichst zu erfüllen. Um marktwirtschaftliche Prinzipien in der Organ-sation umzusetzen, besitzt jeder Kunde ein Vetorecht über die von ihm abzu-nehmenden Leistungen. Dieses Prinzip dient dazu, Qualität abzuliefern und

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unterstützt eine kosten- und zeitorientierte Denkweise bei der Durchführungder verschiedenen Geschäftsprozesse im Unternehmen.

Lernprozesse können sich an den Leistungen des Klassenbesten orientieren.Als Methode, um von der Konkurrenz und den erfolgreichen Praktiken ande-rer zu lernen, bietet sich der Benchmarking-Ansatz an. Benchmarking stelleneinen Prozeß zur Ermittlung von herausragenden Methoden und Aktivitätendar. Die Bestleistungen können sich auf Produkterstellung, Prozeßbeherr-schung, Dienstleistungsangebote und Methodeneinsatz beziehen. Zielsetzungist es, aus dem Vergleich des eigenen Unternehmens mit solchen Unterneh-men, die eine wettbewerbsrelevante Aktivität ausgezeichnet beherrschen,marktorientierte Zielvorgaben zu ermitteln und gleichzeitig Wege zur Errei-chung dieser Ziele aufzuzeigen.

Das Lernen aus eigenen Erfahrungen bedeutet Erfolge und Fehlschläge imeigenen Unternehmen zu untersuchen, systematisch zu bewerten und die Be-funde für jeden Mitarbeiter transparent zu machen. In diesem Sinne schlägtsich eine lernende Organisation in einer veränderten Controlling-Konzeptionnieder. Zur Sicherung eines ständigen Informationsaustausches zwischen or-ganisatorischen Einheiten bieten sich Instrumente der Visualisierung und dergegenseitigen Auditierung an. Beide Instrumente eignen sich im Gegensatz zuherkömmlichen Controlling-Konzepten nicht nur zur Steuerung von Ergebnis-sen, sondern auch zum Controlling von Leistungsprozessen. Zielsetzung derVisualisierung, also der bildlichen Darstellung von Informationen über Ar-beitsabläufe und -ergebnisse, ist es, die Transparenz über Ziele, Prozesse undLeistungen als Grundlage des Lernens voneinander im Unternehmen zu erhö-hen. Die Visualisierung ermöglicht den Mitarbeitern eine unmittelbareSelbstkontrolle der Zielerreichung und bildet die Basis für eine gegenseitigeKontrolle über Gruppen und Hierarchieebenen hinweg. Visualisierung stelltsomit auch ein Hilfsmittel der gegenseitigen Auditierung dar. Im Gegensatzzu herkömmlichen Auditierungsansätzen, bei denen eine feste Instanz andereOrganisationsbereiche ode Abteilungen auditiert, beurteilen sich bei der ge-genseitigen Auditierung verschiedene Organisationseinheiten abwechselnd.

Lernen durch Nutzung der Problemlösungskapazitäten der Mitarbeiter betontden aktiven Charakter organisatorischer Lernvorgänge. Das Einbeziehen der

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Fähigkeiten der Mitarbeiter trägt zur Komplexitätshandhabung bei. Das Über-angebot an Informationen läßt sich durch dezentrale Kompetenzen undSelbstorganisation auf ein überschaubares Ausmaß reduzieren. Auf dieseWeise wird Komplexität durch eine systemeigene "Ordung der Ordnung" be-herrscht, also durch eine selbstorganisierende statt einer fremdorganisiertenOrganisation. Nicht nur das vorhandene Wissen der Mitarbeiter steht im Vor-dergrund, sondern gleichfalls die permanente Aktualisierung und Verbreite-rung der Wissensbasis ist Gegenstand organisatorischer Lernprozesse. DieNutzung vorhandener Problemlösungskapazitäten äußert sich in der Erledi-gung der übertragenen Aufgaben mit Blick auf die Kundenbedürfnisse, unab-hängig davon, ob es sich um externe oder interne Kunden handelt. Die Nut-zung von Problemlösungskapazitäten geht jedoch über eine rein kundenorien-tierte Verrichtung einzelnen Tätigkeiten hinaus. Sie schließt vielmehr einenBeitrag zur Weiterentwicklung und Verbesserung von Strukturen, Methodenund Arbeitsabläufen ein.

2 Methoden zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit

2.1 GENESIS - lernen durch Verschwendungs- und Blind-leistungsanalysen

Der Wettbewerbsfaktor Geschwindigkeit bei der Einführung und Umsetzungvon Restrukturierungsmaßnahmen steht im Vordergrund von Verbesserungs-programmen wie GENESIS. GENESIS (Grundlegende Effektivitäts-verbesserung nach einer Schulung in schlanker Produktion, Organisation undBeschaffung) basiert auf einem praxiserprobten Work- shop-Konzept, beidem Lösungsansätze, Methoden und standardisierte Vorgehensweisen zurkurzfristigen Schaffung schlanker Strukturen vor Ort geboten werden.GENESIS bewirkt innerhalb von vier Tagen sofortige Produktivitätssteige-rungen und stellt eine kurzfristig wirksame Einführungsstrategie von Lean-Prinzipien in Produktion, Organisation und Zulieferung sicher. Hauptzielset-zung der Workshops ist eine fundamentale Neuausrichtung von einzelnen Ab-schnitten der Wertschöpfungskette und die Beseitigung jeglicher Art von Ver-schwendung. Die Einbeziehung der Erfahrungen und der Problemlösungska-

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pazitäten der Mitarbeiter vor Ort, selbständiges Denken und Handeln, Lern-und Leistungsbereitschaft sind wesentliche Voraussetzungen zur Verbesse-rung der Arbeitsqualität und -produktivität. Das GENESIS-Programm hilftdurch interdisziplinäre Teams, die sich zur Lösung einer gemeinsamen Auf-gabe jenseits von Hierarchien und Schnittstellen verpflichten. Die Teilnehmerbringen die Erfahrungen der betrieblichen Zusammenhänge und Kenntnisseüber Probleme ein. Durch das Zusammenwirken aller Beteiligten in kleinenGruppen und in einer kommunikativen Lern- und Arbeitsatmosphäre entste-hen kurzfristig realisierbare Verbesserungsvorschläge. Die Teilnehmer habendie Aufgabe, nach einem fixierten Schema innerhalb von 4 Tagen (vgl. Abb.1), Prozesse zu analysieren und Verschwendung zu eliminieren. Zur Be-schleunigung der einzelnen Arbeitsschritte liegt jeder Phase des GENESIS-Programmes eine standardisierte Vorgehensweise zugrunde. Die Erhebungder Grunddaten, der Prozeß der Problemgewichtung, die Ursachenanalyse,und der Lösungsentwicklung werden durch die Anwendung von spezifischenMethoden, Checklisten und Standardformularen unterstützt. Weiterhin kanndie Bildung kleinerer Arbeitsgruppen erfolgen, die parallel unterschiedlicheAnalyseschwerpunkte bearbeiten und auch bei der Erarbeitung der Problemlö-sungen zusammenbleiben. Durch die Arbeitsteilung wird gewährleistet, daßdie gesamte Untersuchungsbreite in der erforderlichen Tiefe abgedeckt wird.

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Abb. 1: Ablauf und Inhalte eines GENESIS-Programms

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GENESIS-Workshops eignen sich hervorragend als Initialzündung für dieEinführung von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen im Rahmen desProduktivitätsmanagements. Die Teilnehmer erlernen an konkreten Beispie-len die operative Anwendung von Methoden zur Problemanalyse und -lösungund erhalten damit einen Nachweis für die Wirksamkeit der Methoden. Da-durch versetzt GENESIS die Mitarbeiter in die Lage, die gewonnenen Erfah-rungen in Folgeprojekten selbständig nach dem Schneeballprinzip auf andereBereiche zu übertragen. Das Verbessern einer Vielzahl von kleinen Dingenführt auf breiter Ebene zu einer besseren Ausführung der Arbeit. Ziele gelan-gen nach dem Erreichen zu einem höheren Anspruchsniveau und bewirkeneine kontinuierliche Produktivitätssteigerung. Unterstützt wird der Prozeßdurch die Visualisierung der Verbesserungsvorschläge, Maßnahmen und Er-gebnisse für alle Mitarbeiter. Für die erfolgreiche Ausweitung der Erschlie-ßung weiterer Einsparungspotentiale im Unternehmen sind zusätzliche Work-shops erforderlich, in die weitere Mitarbeiter aus anderen Bereichen einb-ezogen werden. Nach dem Schneeballprinzip übernehmen Teilnehmer derersten GENESIS-Workshops Folgeprojekte. Diese Vorgehensweise gewähr-leistet einen höchstmöglichen Diffusionsgrad durch das Unternehmen. EinErfolgscontrolling der Projekte erfolgt durch regelmäßige Auditierung (vgl.Abb. 2).

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GENESIS

Phase 1:• Schulung• Information und Selbstver- pflichtung der Teilnehmer

Phase 2:• Regelung der Zusammenarbeit• Konkretisierung von Zielen und Maßgrößen• Basisdaten

Phase 3:• Erarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen zur Vermei- dung von Verschwendung

Phase 4:• Identif izierung von Verschwendung in den betrachteten Bereichen

Phase 6:• Diffusion im Unternehmen, bzw. Auswei- tung auf externe Dienstleister

Phase 5:• Umsetzung und Controlling

GENESIS-Programm

Abb. 2: Phasen des GENESIS-Programmes

Da die Umsetzung von GENESIS-Maßnahmen eindeutig im kurzfristigen Be-reich liegt, erhalten die Teilnehmer umgehend eine Rückkopplung über dieerreichten Ergebnisse, was sich hochgradig motivierend für weitere Ak-tivitäten auswirkt.

2.2 Fabrik als Labor und Produktklinik

Lernen durch die Wertgestaltung von Prozessen und Produkten

Kreativitäts- und Innovationsmanagement ersetzt Produktivitätsmanagementmehr und mehr. Lernorte dienen als Keimzellen organisatorischer Lernpro-zesse. Konzepte wie Produktkliniken und die Fabrik als Labor integrieren alsLernorte die verschiedenen Funktionsbereiche des Unternehmens und schaf-fen damit die Voraussetzung für einen organisatorischen Lernprozeß.

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Das Entwickeln und Verändern von Organisationen und die gezielte Verhal-tensbeeinflussung von Personen ist selbst ein Lernprozeß, der - je schnellerdurchlaufen - zu umso deutlicheren Wettbewerbsvorteilen führen kann. AlsLösungsansatz wird vorgeschlagen, das gesamte Unternehmen als Labor zugestalten, in dem Neues ausprobiert und weiterentwickelt werden kann. DieInnovation darf nicht mehr alleine aus Planungs-, Forschungs- und Entwick-lungsabteilungen kommen, sondern muß aus dem Kreativitätspotential allerMitarbeiter entstehen. Zur zentralen Managementaufgabe wird die Organisati-on von Veränderungen und die Beschleunigung des Verbesserungsprozesses.Dies erfordert das Schaffen von Freiräumen, wo Neues ausprobiert werdenund wachsen kann. Eine Priorisierung einzelner Instrumente führt weder zurständigen Verbesserung, noch lassen sich Lohnhöhe, Fertigungszeit oder Fer-tigungstiefe, Automation oder Arbeitszeiten als Hindernisse für einen ständi-gen Verbesserungsprozeß anführen. Zur Erhöhung der Organisationsprodukti-vität ist eine Organisation zu schaffen, die Engpässe vermeidet und die Vor-aussetzungen für den Einsatz von Instrumenten ermöglicht sowie zu einerständigen Kommunikation aller am Wertschöpfungsprozeß Beteiligten führt.Dies soll durch die Organisation der "Fabrik als Labor" erreicht werden. Star-re hierarchische Strukturen verringern die Lerngeschwindigkeit von Organisa-tionen. Eine Voraussetzung für Lernprozesse sind flache Hierarchien, in de-nen den Entscheidungsträgern die Konsequenzen ihres Handelns unmittelbarverdeutlicht werden. Absicherungsstrategien und Redundanzen sowie langeEntscheidungswege behindern die Weiterentwicklung von Organisationen, dasie keine individuellen Lernprozesse unterstützen, sondern kollektives "Un-Lernen" fördern: jeder weigert sich, seine Verhaltensweise zu ändern, kannaber die Ursachen dafür auf vor- und nachgelagerte Hierarchieebenen abwäl-zen. Flache Hierachien dagegen bedingen, daß jede Handlung und Entschei-dung in ihrer Wirkung unmittelbarer und verantwortlicher zu sehen ist. Absi-cherung durch eine Vielzahl von Stufen zwischen Ausführendem und demUrteil des Kunden ist für das Lernen in Organisationen kontraproduktiv.

Eine Voraussetzung für Lernprozesse in einer als Labor gestalteten Fabriksind flexible Organisationsstrukturen, die die richtige Balance zwischen Chaosund Ordnung ermöglichen, in der Innovationen entstehen können. FlexibleOrganisationsstrukturen zeichnen sich durch die Merkmale zeitlicher Begren-

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zung, Überschaubarkeit und Objektorientierung aus. Im Bereich der Produk-tentwicklung handelt es sich hierbei um Formen der Projektorganisation, diezeitlich begrenzt für die Entwicklung eines Produktes gebildet und nach derMarkteinführung wieder aufgelöst werden. Als weiteres Beispiel von flexi-blen Organisationseinheiten lassen sich Fertigungssegmente aufführen. Diesesind produktorientierte, kleine, überschaubare Einheiten, in der Produkte oderProduktkomponenten autonom hergestellt werden. Fertigungssegmente kön-nen bei großer Ähnlichkeit des angebotenen Produktspektrums für mehrereProduktgenerationen angelegt sein oder bei geringer Ähnlichkeit des Pro-duktspektrums nach der Einstellung der Fertigung einer Produktgenerationaufgelöst werden. Weitere Formen der flexiblen Organisation stellen spezifi-sche Problemlösungsgruppen wie Qualtitätszirkel und Lernstatt dar. Wichtig-stes Element flexibler Organisationsformen ist die Teamarbeit. Diese istdurch kurze Rückkoppelungswege gekennzeichnet. Je kürzer die Rückkop-pelungswege sind, umso schneller können Lernprozesse stattfinden und einpermanentes Lernen institutionalisiert werden.

Für eine ständige Anregung zur Verbesserung von Produkten und Prozessenwird als Konzept die Einrichtung einer "Produktklinik" vorgeschlagen. DerGrundgedanke der Produktklinik besteht darin, daß eigene aktuelle Produkteund Prozesse, aufbauend auf Markt-, Wettbewerbs- und Kundendaten, direktauf physischer Ebene mit den Mitbewerbern verglichen werden. Nach einersystematischen Analyse von Funktionen und Leistungsgrößen werden dieLücken des eigenen Produktes auf Teilfunktionsebene analysiert und auf diezugehörigen Funktionsträger zurückgeführt. Die eigenen Lösungsansätze wer-den mit den Bestlösungen des jeweiligen Wettbewerbers verglichen und eswird versucht, die Einzelkonzepte kurz- oder langfristig auf das eigene Pro-duktkonzept zu übertragen oder anzupassen. Unterstützt durch unterneh-mensintern verfügbares Expertenwissen werden auf diesem Wege neue Pro-dukte, Abläufe und Strukturen geschaffen sowie neue Zulieferanten für Ein-kaufsteile gefunden (vgl. Abb. 3).

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Abb. 3: Untersuchungsebenen der Produktklinik und der Fabrik als Labor

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Den einzelnen Beteiligten bietet sich durch die Produktklinik die Möglich-keit, einen Lernprozeß zu durchlaufen, der durch die methodische Aufberei-tung zu einem umfassenden Lernprozeß im Unternehmen führt. Durch denGrundgedanken der Produktklinik - die Analyse von bekanntem technischenund organisatorischen Wissen und die anschließende Synthese der Best-Practice-Lösungen - wird sowohl die Effektivität wie auch die Effizienz desInnovationsprozesses im Unternehmen gesteigert, als auch die kompletteWertschöpfungskette verändert. Bei gravierenden Produktivitätsnachteilenkann die Option einer Standortverlagerung bewältigt werden. Als konstitutiveMerkmale der Produktklinik lassen sich nennen:

- Lernen am konkreten Ort,- Arbeiten im interdisziplinären Team,- räumliche Darstellung deds Projektes,- Berücksichtigung der externen Einflußgrößen,- methodisch unterstützte Auswertung,- Quantifizierung der Unterschiede,- offene Kommunikation der Ergebnisse im Unternehmen,- konstruktives Aufnehmen fremder Lösungskonzepte und- direkte Umsetzung der Ergebnisse in Maßnahmen.

Die mit der Produktklinik realisierbaren Wirkungen zielen in zwei Richtun-gen. Einerseits werden die Unterschiede in Produkten, Abläufen und Struktu-ren gegenüber der Konkurrenz quantifiziert und dienen intern als Maßstab fürdie zu erreichende Verbesserung von Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität.Der Vertrieb kann die Daten zur argumentativen Abgrenzung gegenüber demWettbewerb nutzen. Außerdem wird durch die Zusammenführung der Vor-teile klasssischer Formen des Wissenstransfers ein Lernort im Unternehmengeschaffen, der als Keimzelle neuer Produkte, Abläufe und Strukturen fun-giert. Die Praxisfälle haben außerdem die Auswirkung auf die Lerngeschwin-digkeit verdeutlicht. Die Zusammenführung von in- und externem Know-howführt im Ergebnis zu mehr als einer Addition von Wissen. Vielmehr werdendie internen Wissensträger durch Kenntnisnahme der Vorteile anderer Lö-sungsansätze animiert, in anderen Dimensionen zu denken. Das führt dazu,daß Bestlösungen nicht im Sinne einer reinen Imitation kopiert werden, son-

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dern eigene Ideen einfließen, die zu einer Know-how-Generierung auf höhe-rem Niveau führen. Neben dem Lernen in Fachdisziplinen werden die betei-ligten Mitarbeiter durch die interdisziplinäre Zusammensetzung zu einemfachübergreifenden Lernprozeß animiert, der durch die Bildung eines DV-gestützten funktionsneutralen Produkt-Daten-Modells zu einer für alle Mitar-beiter nutzbaren Informationsquelle wird und damit eine umfassendere Perso-nalqualifikation ermöglicht. Die positive Einstellung bei der Kenntnisnahmeder Wettbewerbslösungen kann mit der für organisatorisches Lernen notwen-digen Rückkoppelung von Handlung und Umwelt gleichgesetzt werden. Al-lerdings werden die Rückkoppelungswege deutlich verkürzt, so daß ein per-manentes Lernen institutionalisiert wird. Die dadurch erreichbare schnelleEvolution der Wissensbasis führt dazu, daß vorhandenes Wissen anderen Or-ganisationsmitgliedern zur Verfügung gestellt und aus vorhandenem Wissendurch Kombinationen Neues kreiert wird.

2.3 Gruppenarbeit - lernen durch Arbeitsorganisation

Arbeitsteilung und Spezialisierung in traditionellen Führungs- und Organisati-onsstrukturen haben dazu geführt, daß Problemlösungskapazität und Kreativi-tät der Mitarbeiter durch ihren unmittelbaren Aufgabenbereich im Unterneh-men nur noch zum geringsten Teil genutzt werden. Im Rahmen der Arbeitsor-ganisation sind durch Gruppenarbeit erweiterte Handlungs- und Dispositions-spielräume zu schaffen, die die Mitwirkung aller Mitarbeiter am Verbesse-rungsprozeß fördern. Um dieser Forderung gerecht zu werden, sind Prolemlö-sungsaktivitäten nicht nur in der Sekundärorganisation in Form von reinenProblemlösungsgruppen oder crossfunktionalen Teams zu berücksichtigen;Problemlösung sollte als eigenständige Aufgabe permanenter Arbeits- undProblemlösungsgruppen in die Primärorganisation integriert werden.

Diese Arbeitsgruppen sind auf Dauer angelegt und fest in der Primärorganisa-tion des Unternehmens verankert. Die Problemlösungsaktivitäten in den Ar-beitsgruppen sind ausschließlich auf bereichs- und gruppenbezogene Verbes-serungen und Probleme ausgerichtet. Die Gruppenmitglieder erhalten eineganzheitliche Arbeitsaufgabe zur Verantwortung. Neben der Erweiterung desArbeitsinhaltes hinsichtlich der direkten Funktionen erfolgt eine Beteiligungder Mitarbeiter an dispositiven Tätigkeiten wie Arbeitsverteilung, Fertigungs-

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fortschrittsüberwachung und Betriebsmittelüberprüfung. Die Übertragung vondispositiven Tätigkeiten auf Mitarbeiter bedeutet, daß diese Aufgaben über-nehmen, die sich auf den gesamten Fertigungsprozeß beziehen und nicht nurauf die eigenen Arbeitsgänge oder auf die für die Bearbeitung notwendigenArbeits- und Betriebsmittel und Informationen.

Im Rahmen der Gruppenarbeit werden Planungs-, Entscheidungs-, Kontroll-und Koordinationsbefugnisse, wie für die Mitwirkung und Optimierung beider Aufgabenverteilung, für die Anforderung und den Einsatz von Arbeits-mitteln sowie für die Gestaltung von Arbeitsplätzen und -abläufen an dieGruppe übertragen, wodurch das Führungssystem entlastet wird. Möglichstviel Verantwortung für Planung und Kontrolle an die Mitarbeiter zu delegie-ren und sie damit zu höherer Produktivität zu motivieren, entspricht derGrundphilosophie von Arbeits- und Problemlösungsgruppen. GewandelteWertvorstellungen äußern sich darin, daß sich die Mitarbeiter nicht mehr mitherkömmlichen, repetitiven Tätigkeiten zufriedengeben, sondern auch Ver-antwortung übernehmen wollen. Die Verantwortung hinsichtlich Menge,Qualität, Kapazitätsnutzung, Terminen sowie sonstiger beeinflußbarer Kostenliegt innerhalb eines vorgegebenen Rahmens gemeinsam bei allen Gruppen-mitgliedern. Dabei führt auch die Nichtwahrnehmung einer übertragenen Ver-antwortung zu Konsequenzen. Zur Erarbeitung von Verbesserungsmaßnah-men sowie zur Lösung organisatorischer, technischer und personeller Proble-me des Tagesgeschäftes sind Gruppengespräche erforderlich. Die Festlegungvon Dauer und zeitlicher Lage dieser Gespräche liegt bei der Gruppe selbstoder erfolgt in Absprache mit dem disziplinarisch Vorgesetzten, wobei si-chergestellt sein muß, daß die Arbeit in vor- und nachgelagerten Bereichennicht beeinträchtigt wird. Ebenfalls darf der mögliche Stückzahlausstoß inner-halb der Arbeitszeit nicht reduziert und die Qualität nicht beeinträchtigt wer-den, d.h. Gruppengespräche sind bei längeren Produktionsunterbrechungen,bei geplanter Stückzahlenabsenkung innerhalb der Schichtzeit, ansonsten au-ßerhalb der Schichtzeit durchzuführen. Die für Gruppengespräche anfallendenAufwendungen werden durch Verbesserungen im Arbeitsablauf bzw. in denArbeitsergebnissen kompensiert.

Der zeitliche Dispositionsspielraum von Arbeitsgruppen reicht von starrenArbeitszeitsystemen bis hin zu zeitautonomen Arbeitsgruppen. Im ersten Fall

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besitzen die Mitarbeiter keinen Einfluß auf die Festlegung von Dauer undLage der Arbeitszeit in der Gruppe. Zunehmende Zeitautonomie wird denMitarbeitern bei flexiblen Gleitzeitmodellen, Baukastensystemen und Teil-zeitmodellen eingeräumt; hier bestehen Einflußmöglichkeiten der Mitarbeiterhinsichtlich Beginn und Ende sowie Dauer der Arbeitszeit. Bei sehr flexiblenModelle, wie zeitautonomen Arbeitsgruppen, wird sowohl die Lage als auchdie Dauer der Arbeitszeit autonom von den Gruppen festgelegt. Wie bei denProblemlösungen muß eine Anbindung der Gruppenziele an die Bereichs- undUnternehmensziele erfolgen. Die zu erreichenden Ziele können entweder vonden direkten Vorgesetzten vorgegeben werden oder im Rahmen einr Zielver-einbarung gemeinsam von Vorgesetzten und Gruppen festgelegt werden. Dieautonome Bestimmung von Zielen durch die Gruppe ist bei permanenten Ar-beits- und Problemlösungsgruppen in Bezug auf den Leistungserstellungspro-zeß nicht sinnvoll, da in diesem Falle die Gefahr einer Suboptimierung be-steht.

Viele "klassische" Führungsfunktionen wie Planen, Probleme lösen, Ent-scheidungen treffen, Koordinieren und Kontrollieren gehen in Arbeitsgruppenauf die Gruppe über. Die Übertragung dieser Aufgaben und Kompetenzen andie Gruppe führt zu einer verstärkten Selbstorganisation in der Gruppe, dieProblemlösungsfähigkeit der Mitarbeiter wird eingesetzt. In den Unternehmenführt die Einführung von Gruppenarbeit im Rahmen einer Reorganisation zueiner flacheren Hierarchie durch Wegfall einer oder mehrerer Hierarchieebe-nen. Gruppenarbeit bewirkt einfachere Entscheidungsprozesse und eine ver-änderte Entscheidungsqualität. Entscheidungen, die innerhalb einer Gruppegetroffen werden, zeichnen sich durch eine höhere Entscheidungsqualität undeine schnellere Umsetzung aus. Die Entscheidungen sind weniger anfällig fürFehler, da eine Überprüfung durch eine größere Zahl von Gruppenmitgliedernerfolgt. Die Übernahme von Verantwortung für das Ergebnis des Wertschöp-fungsprozesses in der Gruppe läßt sich durch Selbstcontrolling sowie die Ein-richtung eines Kunden-Lieferanten-Verhältnisses zu anderen Teams errei-chen. Ziel ist eine permanente Verbesserung des Leistungserstellungsprozes-ses im Sinne einer Kundenorientierung.

Lernwille und die Motivation zur Mitwirkung am Veränderungs- und Verbes-serungsprozeß sind durch Führungsverhalten und die entsprechende Ausrich-

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tung von Anreizsystemen zu unterstützen. Einen entscheidenden Einflußfak-tor auf die Motivation des Personals und für Nutzung des Problemlösungspo-tentials der Mitarbeiter stellt der Führungsstil der Vorgesetzten dar. Ein ko-operativer oder partizipativer Führungsstil wird dabei den Anforderungen ei-ner intrinsisichen Motivation durch einen wesentlich erweiterten Entschei-dungsspielraum der Gruppenmitarbeiter und einer Ausdehnung ihres Tätig-keitsspektrums am ehesten gerecht. Der hohen Bedeutung der intrinsischenMotivation für das Verhalten der Gruppenmitglieder, die durch die Arbeitsin-halte selbst entsteht, wird durch einen autoritären Führungsstil nicht Rech-nung getragen.

2.4 Anreizsysteme - lernen durch Zielvereinbarung und Teilhabeam Erfolg

Die Ausgestaltung der Führung im Rahmen der Implementierung des organi-satorischen Lernens bedeutet, in selbstorganisatorischen Prozessen die Über-nahme der Funktion eines „Change Agent“. Es ist die wechselnde Balancezwischen der Überwindung änderungshemmender Kräfte und der Aktivierungänderungsfördernder Kräfte herzustellen, so daß Innovationen zielgerichtetentwickelt, angepaßt und eingeführt werden können. Das Führungsverständnismuß auf der Erkenntnis basieren, daß technische und soziale Innovationenletztlich von Verhaltensweisen aller betroffenen Mitarbeiter, ihren Fähigkei-ten und vom Willen und der Möglichkeit zur Veränderung bestehender Sy-steme in ihrem Erfolg bestimmt sind. Unter dem Aspekt der arbeitsteiligenErfüllung stellenübergreifender Aufgaben durch hierarchisch gleichgestellteOrganisationsmitglieder, sind günstige Kooperationsbedingungen zwischenAbteilungen herzustellen, damit übergreifende Nutzeneffekte erschlossenwerden können.

Die konsequente Verfolgung von Konzepten zur Steigerung der Lernge-schwindigkeit impliziert damit die Notwendigkeit der Kopplung von Lohnbe-standteilen an vereinbarte Ziele. Dies hat zur Folge, daß leistungsgebundeneHonorare vereinbart werden. Der Zeitfaktor wird in der Praxis zwar berück-sichtigt, aber auch die Qualität der Arbeit, der Ruf und die Zuverlässigkeitwerden bezahlt. Es wird also mehr die Qualität der Leistung oder des Pro-dukts, denn die aufgewendete Zeit honoriert. Eine solche Verlagerung ist

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notwendig, um die Frage zu beantworten, wofür die Zeit eingesetzt wird undnicht, wieviel Zeit eingesetzt wird. Insofern hängen Entlohnungsfragen un-mittelbar mit der Form der Arbeitszeiten zusammen. Eine Entlohnung nachZielvereinbarungen setzt mehr Zeitautonomie, also mehr Freiheit voraus.Wird die Arbeitszeit verrechnet, können die Mitarbeiter nur mehr verdienen,wenn sie länger arbeiten; wird die Qualität der Leistung in Rechnung gestellt,erhalten diejenigen eine Prämie, die rationeller oder besser arbeiten. Damitverändern sich auch die Controllingsysteme, weil nun jeder die Verantwor-tung dafür trägt, daß er seine Zeit produktiv nutzt. Diesem Entlohnungskon-zept liegt die Sichtweise zugrunde, daß die Entlohnung gemeinsam mit ande-ren Faktoren motivationsfördernd wirkt, wenn folgende Voraussetzungen er-füllt sind: der Mitarbeiter kennt die an ihn gestellten entgeltrelevanten Anfor-derungen; der Mitarbeiter ist an der Festlegung der Anforderungen und zu er-reichenden Ziele in ihrer Höhe beteiligt und identifiziert sich mit diesen. Beieiner Entlohnung nach Zielvereinbarung erhalten die Mitarbeiter zusätzlichzum tariflichen Grundlohn Boni, die sich am Erfüllungsgrad vereinbarter Zieleorientiert. Die verstärkte Nutzung der Kreativität der Mitarbeiter spiegelt sichdarin wider, daß sie aktiv in den Prozeß der Zielvereinbarung einbezogenwerden. Die Möglichkeit der Dynamisierung der Ziele gestattet eine direkteKopplung zwischen Entlohnung und organisatorischen Lernprozessen, da aus-gehend vom jeweils erreichten Niveau im Verbesserungsprozeß, neue Zieledefiniert und neue Vorgaben für bestehende Ziele vereinbart werden können.

3 Chancen und Risiken der Steigerung der Lernge-schwindigkeit

Eine Steigerung der Lerngeschwindigkeit im Unternehmen durch Einsatz vonKonzepten wie Gruppenarbeit, Produktklinik, Controlling, GENESIS-Workshops, neue Anreizsysteme erlaubt es, Effekte zu realisieren, die bislangals gegensätzlich und nicht miteinander kompatibel betrachtet wurden, undzwar in überschaubaren Zeiträumen. In der Vergangenheit wurde die Steige-

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rung der Produktivität mit einem Verlust an Flexibilität durchgesetzt. DieSteigerung der Effizienz hängt jedoch in erster Linie von der Kompetenz unddem Know-how der Mitarbeiter zusammen, die durch kontinuierliche Lern-prozesse wesentlich unterstützt werden können. Durch Problemlösungsgrup-pen und Produktkliniken entstehen neuen Lernorte. Gruppen- und Teamarbeitwerden zum zentralen Nukleus einer lernenden Organisation. Sie bilden dieVoraussetzungen dafür, Prinzipien der Selbstregulation und der Rückkoppe-lung ebenso in organisatorische Prozesse einzubauen wie die Integration ur-sprünglich ausdifferenzierter Funktionen. Das Lernen bezieht sich nicht mehrausschließlich auf individuelle Qualifikationen und Kompentenzen, sondernauf individuelle Zusammenhänge und organisatorische Netzwerke. Wird vor-handenes Wissen effizient genutzt, so können sich die primären Aktivitätender Mitarbeiter auf die Lösung innovativer Fragestellungen konzentrieren.Organsatorisches Lernen bewirkt eine Produktivitätssteigerung in Sinne einerkontinuierlichen, unabhängig von den Marktzyklen durchzuführenden Verbes-serung der Input-Output-Relationen (vgl. Abb. 4).

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Abb. 4: Betriebswirtschaftliche Wirkungen der Gruppenarbeit (n=354)

Durch die laufende Verbesserung aller Geschäftsprozesse werden diemarktrelevanten Erfolgsfaktoren deart positiv beeinflußt, daß zusätzliche Be-schäftigung und Wertschöpfung geschaffen und damit eine Produktivitätsstei-gerung verwirklicht wird. Produktivität im diesem Sinne kann als effizienteErfüllung von bestehenden und zukünftigen Marktanforderungen aufgefaßtwerden. Organisatorisches Lernen führt zu quantifizierbaren Wirkungen, diesich unmittelbar in Wettbewerbsvorteilen niederschlagen. Die effiziente Nut-zung der vorhandenen Ressoucen hat eine signifikante Reduzierung derDurchlaufzeiten in den Geschäftsprozessen zur Folge. Untersuchungen desVerfassers zeigen Zeiteinsparungspotentiale von 20 bis 80%. Ausgangspunkt

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für diese Produktivitätssteigerung ist die konsequente Vermeidung von Ver-schwendung und Blindleistung. Insbesondere die Durchführung von Vier-Tages-Workshops ist geeignet, in kürzester Zeit erhebliche Produktivitätsfort-schritte zu realisieren.

Die Anwendung dieser Workshops in 138 Fällen (direkte und indirekte Berei-che) zeigt folgende Ergebnisse:

- Steigerungen der Produktivität zwischen 5% und 39% ∅ 25%),- Reduzierung der Durchlaufzeiten zwischen 5% und 83% (∅ 39%),- Ausschußsenkung zwischen 10% und 92% (∅ 47%),- Einsparung von Kosten zwischen 25 TDM und 2,4 Mio DM (∅ 500

TDM) und- Flächeneinsparung zwischen 5% und 48% (∅ 25%).

Die Mitwirkung an Problemlösungs- und Verbesserungsprozessen führt beiden Mitarbeitern zu einem steigenden Interesse an der eigenen Tätigkeit undzu einer erhöhten Arbeitsmotivation, die sich direkt in einer höheren Wirt-schaftlichkeit niederschlägt. Problemlösungsgruppen und Verbesserungspro-gramme sind geeignet, eine höhere Akzeptanz von Veränderungen, Entschei-dungen und Zielen bei den Mitarbeitern zu erreichen.

Die mit der Produktklinik realisierbaren Wirkungen zielen in zwei Richtun-gen. Einerseits werden die Unterschiede in Produkten, Abläufen und Struktu-ren gegenüber der Konkurrenz quantifiziert und dienen intern als Maßstab fürdie zu erreichende Verbesserung von Kosten, Zeit, Qualität und Flexibilität.Andererseits führt die integrierte Betrachtung von Produkten und Prozessenund die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Produktklinik ebenfalls zueinem deutlich meßbaren Lernprozeß. Produktbenchmarking und Produkt-zerlegung ergaben klar quantifizierte Daten (vgl. Abb. 5), die für die weiterengetroffenen Maßnahmen eine von allen Beteiligten akzeptierte Basis bilden.So gehen von den Ergebnissen der Produktklinik positive Effekte auf alleFunktionsbereiche des Unternehmens aus. Der Vertrieb erhält darüber hinausfür seine Verhandlungen mit Kunden eine Argumentationshilfe, um Vorteiledes eigenen Produktes gegenüber dem Wettbewerb herausstellen zu können.

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+12%

Kostenreduzierung

-10%

min

-25% -60%

Ø max

Reduzierung der Anzahl Einzelteile

-3%

min

-6% -18%

Ø max

Leistungssteigerung

min Ø max

+6% +22%

Abb. 5: Wirkungen der Produktklinik

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Evolutionsprozesse bergen allerdings auch Risiken. Die Steigerung der Ent-wicklungsdynamik von Unternehmen ist nur bis zu einem gewissen Maßmöglich und sinnvoll. Werden Organisationsveränderungen, Produkt- undProzeßinnovationen und soziale Veränderungen in zu kurzer Folge realisiertoder nicht aufeinander abgestimmt, besteht die Gefahr, daß nur Kerngruppenin den Veränderungsprozeß einbezogen werden und die Basis für eine umfas-sende Systemoptimierung fehlt. Damit treten Erfahrungs- und Lerneffekte nurbei wenigen Personen auf, eine Nutzung der Problemlösungsfähigkeit allerMitarbeiter unterbleibt. Risiken bestehen auch darin, über die erzielbaren undkurzfristig realisierbaren Erfolge, beispielsweise durch autonom initiierte undgesteuerte Workshops, die Bedeutung einer fundierten analytischen Basis zuunterschätzen. Auch für Nichtbeteiligte ist die Nachvollziehbarkeit der Ver-änderungen zu gewährleisten und die Begründung für getroffene Maßnahmenjederzeit transparent zu machen, so daß Suboptima vermieden werden kön-nen. Nachdem Veränderungsprozesse immer auch emotional und machtbezo-gen sind, ist ein weiterer Risikofaktor der subtile Aufbau von Gegenmachtund Beharrungskräften, insbesondere dann, wenn sich das Machtgefüge ändertund Gegner von Innovationen über weitreichende informelle Beziehungenund Einflußmöglichkeiten in der Organisation verfügen. Es ist davon auszu-gehen, daß auch von vielen Mitarbeitern getragene und vorangetriebene Re-strukturierungen von Führungskräften mit dem Ziel der Machterhaltung undVergrößerung des Einflußbereiches nicht mitgetragen oder schlimmstenfallsbewußt hintertrieben werden. Daher kommt der Auswahl und Zusammenset-zung der in Verändungsprozesse einbezogenen Mitarbeiter eine entscheiden-de Rolle zu. Perspektiven, die sich für die Beteiligten nach der Veränderungergeben, sind ebenso aufzuzeigen wie die Schaffung des Verständnisses fürihre Notwendigkeit und den zu erwartenden Nutzen.

Die aufgezeigten Konzepte zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit stelleneine Investition in die Humanressourcen dar, wodurch Wettbewerbsvorteileerzielt werden können, die von der Konkurrenz nur schwer imitierbar sind. Essind mit diskontinuierliche Leistungssteigerungen in großem Umfang und innahezu allen Bereichen möglich Diese setzen allerdings heterogene Maßnah-men und gezielte Anstrengungen zur Steigerung der Lerngeschwindigkeit aufallen Lernebenen der Organisation voraus, die erheblich von der Willensstär-

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ke und Hartnäckigkeit der vom Veränderungsbedarf überzeugten Personenabhängt.

Literatur:

Albach, H.: Innovationsstrategien zur Verbesserung der Wettbewerbsfähig-keit, in ZfB 59(1989) 12, S. 1338-1351

Bleicher, K.: Das Konzept integriertes Management, Frankfurt, New York1992

Brinkmann, E.P./Heidack, C.: Unternehmenssicherung durch Ideenmanage-ment, Bd. 2: Mehr Erfolg durch Motivation, Teamarbeit und Qualität, 2Aufl., Freiburg i.B. 1987

Hartz, P.: Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht, Die Volkswagen-Lösung, Frank-furt/New York 1994

Heidack, C.: Neue Lernorte in der beruflichen Weiterbildung, Ansätze zu ei-ner Lernkonzeption in der beruflichen Weiterbildung, in: Heidack, C.(Hrsg.): Neue Lernorte in der beruflichen Weiterbildung, Berlin 1987, S.9-28

Wildemann, H.: Arbeitszeitmanagement, St. Gallen 1992

Wildemann, H. (Hrsg.): Schnell lernende Unternehmen: Konzepte und Fall-studien zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen in Kosten, Zeit, Qualitätund Flexibilität, München 1995

Wildemann, H.: Fertigungsstretegien: Einführungsstrategien für eine schlankeProduktion und Zulieferung, 3. Aufl., München 1997

Wildemann, H.: Fertigungsstrategien, 2. neub. Aufl., München 1995

Wildemann, H.: Die modulare Fabrik: Kundennahe Produktion durch Ferti-gungssegmentierung, 5. Aufl., Zürich-München 1998

Wildemann, H.: Produktionscontrolling: Systemorientiertes Controllingschlanker Produktionsstrukturen, 4. Aufl., München 1998

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Wildemann, H.: Personal- und Führungskräfteaudit. Leitfaden zur Anal yse desManagementpotentials und der Problemlösungskapazität der Mitarbei-ter; 1. Aufl., München 1998

Wildemann, H.: Produktklinik - Wertgestaltung von Produkten und Prozes-sen, TCW-report Nr. 2, München 1998

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andrey
http://www.tcw.de/tcw_V1/main.php?Action=DoPublics.showPage&menuId=8
franz
Informationen zu den Beratungsleistungen der TCW GmbH & Co. KG zum Thema Produktionsmanagement finden Sie unter:
franz
http://www.tcw.de/publikationen/aufsaetze/
franz
Diesen und weitere Aufsätze von Prof. Wildemann finden Sie unter:
andrey
http://www.tcw.de/publikationen/aufsaet
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