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Die Polarforschung 1 , ihre Ziele und Ergebnisse. Von Euaen Oberhuinmer. Vortrag, gehalten den 30. Januar 1907. Verein nat. Kenntn. 48. Bd. 32 ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

Die Polarforschung1 - zobodat.at · Zirkumpolarsterne und ist nach der Polhöhe eines Ortes ver-schieden. ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter

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Die Polarforschung1,

ihre Ziele und Ergebnisse.

Von

Euaen Oberhuinmer.

Vortrag, gehalten den 30. Januar 1907.

Verein nat. Kenntn. 48. Bd. 32

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Vorbemerkung .

Das Folgende ist die schriftliche Ausarbeitungeines Vortrages, welcher im „Verein zur Verbreitungnaturwissenschaftlicher Kenntnisse" gehalten und späterfür die Salzburger Hochschulkurse (1907) zu einemkleinen Zyklus erweitert wurde. Die Niederschrift decktsich nur in den Umrissen mit den gesprochenen Vor-trägen, welche in der Zeit beschränkt und zum Teile aufdie Vorführung von Lichtbildern aus der reichen, wennauch für die einzelnen Polargebiete ungleichmäßigenSammlung des Geographischen Institutes der WienerUniversität gerichtet waren. Letztere hier in Form vonIllustrationen beizugeben, war aus verschiedenen Grün-den ausgeschlossen; dafür konnte der Text etwas aus-führlicher gehalten sein. Gleichwohl wird in dieser füreinen weiteren Leserkreis bestimmten Übersicht niemandneue Tatsachen erwarten. Dagegen habe ich mich be-müht, die allgemeinen Gesichtspunkte herauszuarbeitenund die Entwicklung der Polarforschung in einer fürmanchen Leser vielleicht neuen Beleuchtung zu zeigen.

Die literarischen Angaben beschränken sich haupt-sächlich auf die wichtigeren Erscheinungen der letztenJahre, während die älteren Quellen aus den im Anhangnamhaft gemachten Hilfsmitteln zu entnehmen sind.

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Noch vor wenigen Jahrzehnten zeigte das Karten-bild unserer Erde große weiße Flecken unbekannten Ge-bietes. In meiner Schulzeit war das große südafrikanischeDreieck eine solche öde Fläche voll geheimnisvoller Rät-sel, der größte Teil des Inneren von Australien war un-durchforscht, große Strecken von Südamerika und Zen-tralasien waren noch von keines Reisenden Fuß betreten.Das hat sich rasch geändert, besonders seit Stanley vornunmehr 30 Jahren seinen kühnen Zug durch das Kongo-becken vollendete. Die Karte Afrikas ist heute bis in dasinnerste Herz des Erdteiles mit Namen beschrieben, dieweißen Flächen der anderen Erdteile sind durchkreuztvonRouten der Forschungsreisenden, nur einzelne Wüsten-gebiete, wie Südarabien und die Libysche Wüste, bildennoch heute klaffende Lücken im Kartenbilde der großenKontinente. Wenn wir freilich Karten der einzelnenLänder in größerem Maßstabe zur Hand nehmen, dannmehren sich vor unserem Auge die unbekannten Stellenaußerordentlich und wir brauchen nicht einmal Europazu verlassen, um schon in der Türkei zahlreiche ganzunerforschte oder nur sehr unsicher bekannte Land-strecken zu finden. Aber so viel hier auch noch zu tunist und so weit wir noch von einer genauen Kenntnis des

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größeren Teiles der Erdoberfläche entfernt sind, an demGesamtbilde unserer Erde vermag die Ausfüllung jenerLücken nichts Wesentliches mehr zu ändern, insbesonderedas Verhältnis der Land- und Wasserflächen zueinandernicht zu verschieben.

Nur an zwei Stellen der Erdkugel ist die elementarsteVoraussetzung für den Entwurf eines zutreffenden Karten-bildes, die Kenntnis der Ausdehnung des festen Landesnoch nicht gegeben, in der Umgebung der beiden Pole.Noch vor 10 Jahren, nach dem erfolgreichen VorstoßNansens im Norden Asiens, konnte Supan1) das ganzunbekannte Gebiet um den Nordpol mit der Fläche deseuropäischen Eußland oder halb Europa vergleichen,jenes um den Südpol aber auf die doppelte Größe unseresErdteiles berechnen. Durch die Polarreisen des letztenJahrzehntes, besonders jene von Peary und Sverdrup imNorden und die verschiedenen Expeditionen, nach demSüdpol ist dieses unbekannte Gebiet nicht unerheblicheingeschränkt worden, so daß es auf der Südhalbkugelnur noch auf die anderthalbfache Größe Europas, imganzen auf höchstens 20 Millionen Quadratkilometer zuveranschlagen ist. Das ist aber immer noch eine gewaltigeFläche, deren Bedeutung vielleicht am besten in dieAugen springt, wenn man sich vorstellt, daß der ganzeErdteil Europa und noch ein ebenso großes Stück vonAsien dazu, etwa ganz Vorderasien mit Iran, aus unsererKenntnis der Erde einfach ausgeschaltet wäre! Was das

*) Petermanns Mitteilungen 1897, S. 15 ff.

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nicht nur für das Bild der Erdoberfläche, sondern auchfür unser Wissen von dem Zusammenhange der physikali-schen Erscheinungen auf der ganzen Erdkugel zu be-deuten hat, soll später noch ausgeführt werden. Nurdie merkwürdige Tatsache sei hier hervorgehoben, daß unsdie Topographie der Polarkalotten des Mondes auf deruns zugewandten Seite besser bekannt ist als jene unsererErde; ja in gewissem Sinne gilt dies sogar für den Mars,dessen wechselnde Schnee- und Eiskappen schon im17. Jahrhundert beobachtet wurden und uns wenigstensin allgemeinen Umrissen durch das Fernrohr erkennbarsind, während auf der nächsten Umgebung unserer Polenie das Auge eines menschlichen Wesens geruht hat!Nichts ist geeigneter, die Schranken unseres Wissenshandgreiflich vor Augen zu führen als die Tatsache, daßwir von einem so großen Teile unserer Erdoberflächebis heute nicht wissen, ob er aus Land oder Wasserbesteht und wie sich demgemäß diese beiden Elementeauf der ganzen Erde verhalten, während unsere Teleskopein unfaßbare Fernen des Himmelsraumes dringen und demfreien Auge unsichtbare kosmische Nebel in Haufen ein-zelner Sterne aufzulösen vermögen. Ein gewisses Gegen-stück zu der bisher noch allen Angriffen trotzenden Un-zugänglichkeit der Pole bilden die eisumpanzerten Re-gionen der Hochgebirge. Während die höchsten Er-hebungen Europas schon längst, jene von Afrika undAmerika in den letzten Jahrzehnten dem Anstürme er-legen sind, haben sich bekanntlich die 8000 m über-steigenden Gipfel Asiens bis heute als unnahbar erwiesen.

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Die Distanz, welche das Erreichte von dem höchstenZiele trennt, mag virtuell füglich jener verglichen werden,die annoch zwischen dem Nordpol und den äußersten Vor-stößen gegen denselben klafft. Vielleicht sind wir nahedaran, beide überwunden zu sehen; der menschliche Ehr-geiz, gegenwärtig die mächtigste Triebfeder für dieseUnternehmungen, wird sicher nicht ruhen, bis die letztenHindernisse beseitigt sind.

Nicht immer sind die Ursachen, welche die Kennt-nis der Polarregionen gefördert haben, die gleichen ge-wesen. Zu einer Zeit, wo der geographische Horizontdes Kulturmenschen auf das eigene Land und dessenNachbargebiete (Ägypten, hebräische Völkertafel, Indien,China usw.) beschränkt war oder sich doch nur aufkleine Teile der Erdoberfläche erstreckte (Mittelmeer-länder im klassischen Ältertume), sind Kriegszüge undHandelsfahrten die mächtigsten Träger für die Erweite-rung geographischer Kenntnisse gewesen (Ramses II.,Kyros, Alexander, Cäsar, Kreuzfahrer usw.), und sosehen wir auch die Hauptperiode des ersten Vordringensder Weißen in die Polarwelt durch das Streben nach Land-erwerb und Handelsgewinn ausgezeichnet. Das Alter-tum kommt hiefür noch kaum in Betracht. Wohl hat dieErkenntnis von der Kugelgestal t der Erde, eine derglänzendsten Ruhmestaten des hellenischen Geistes, dieFrage nahegelegt, wie die unbekannten Teile dieser Ku-gelfläche beschaffen seien, eine Fragestellung, welchevor der Renaissance eben nur den Griechen in denSinn kommen konnte. Theoretisch haben sie diese Frage

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bezüglich der Polargebiete tatsächlich gelöst. Sie habenaus den scheinbaren Bewegungen der Sonne und der Ge-stirne die eigentümlichen Beleuchtungsverhältnisse inner-halb des Polarkreises erkannt, nachdem die zunehmendeLänge der Sommertage und Winternächte gegen Nordenhin auf Grund praktischer Erfahrungen und Erkundi-gungen schon längst festgestellt war und bereits in derepischen Dichtung erkennbar ist.1) Für den Ausbau derLehre von der Erdkugel war die Veränderung der Tages-längen eine der wichtigsten Stützen; später, vielleichtschon: zu Herodots Zeit, wurde die Erkenntnis der halb-jährigen P o l a r n a c h t theoretisch erschlossen. Freilichdauerte es noch geraume Zeit, bis der P o l a r k r e i s alsdie Linie, welche der Pol der Ekliptik um den Pol desÄquators beschreibt, definiert wurde.2) Aber schon dereleatische Philosoph P a r m e n i d e s hat im 5. Jahrhundertn. Chr. die fünf klimatischen Z o n e n auf der Erde unter-schieden und damit den Begriff der Polargebiete theo-retisch begründet. Mit der Bestimmung der Ekliptikschiefenach dem Abstande des Wendekreises vom Äquator warauch der Winkelabstand des Polarkreises vom Pol als

1) Od. X, 82 ff., über die kurzen Sommernächte imLande der Lästrygonen, anderseits ebd. XI, 14 fi. die inewigem Dunkel lebenden Kimmerier. Die astronomischeDeutung ist allerdings viel jünger, s. H. Berger, Gesch.d. wiss. Erdk. d. Griech., 2. A., S. 444 f., 450 f.

2) Zuerst bei P o s i d o n i u s , s. H. Berger, a. a. 0. S. 244.Der „arktische Kreis" der Alten bezeichnet die Grenze derZirkumpolarsterne und ist nach der Polhöhe eines Ortes ver-schieden.

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die Seite des dem Kreise eingeschriebenen 15 Eckes

( QfiO ""V

= 24°, genauer 2S1/2° ) von den Alten mit über-

raschender Genauigkeit bestimmt worden und durch dievon Eratosthenes u. a. berechnete Größe der Erdkugelauch die Möglichkeit gegeben, die Flächenausdehnungder Polargebiete annähernd zu bestimmen.

Diese auf Grund astronomischer Beobachtung undtheoretischer Schlußfolgerung gewonnene Erkenntnis derGriechen, welche noch heute die Elemente der mathema-tischen Geographie bildet, ist um so bewundernswerter,als ihnen selbst das Betreten des eigentlichen Polarge-bietes versagt blieb. Nur ein griechischer Reisender,Pytheas von Massilia, ist um 330 v. Chr. wenigstensbis in die Nähe des Polarkreises gekommen und hat,selbst wissenschaftlich gebildet und mit der Methodeastronomischer Beobachtung vertraut, auch über diephysischen Verhältnisse des hohen Nordens Erkundi-gungen heimgebracht, die dem Verständnisse seiner Zeitweit vorauseilten. Ihm dankt man die Nachricht von T h u 1 eals des äußersten Landes im Norden, das über ein Jahr-tausend lang einen schwankenden Begriff bildete und zu-letzt auf Island haften blieb. Hierauf paßt auch am bestendie in ein mythisches Gewand gekleidete Andeutung derMitternachtssonne1) sowie die Schilderung vom „gefrore-nen Meer", wo Nebel und Eismassen das weitere Vor-dringen unmöglich machten. Neben dieser ersten Er-

Berger, a. a. 0. S. 343.

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wähnung des Eismeeres , das als mare Cronium, auchim späteren Altertum und frühen Mittelalter mehrfachgenannt wird, ohne daß über seine Natur völlige Klar-heit herrschte, ist bei Pytheas vielleicht auch die ersteErwähnung des Nordl ichtes zu finden, wenn die Er-klärung Gerlands richtig ist, der die von Pytheas unterdem sonderbaren Namen „Meerlunge" beschriebene Er-scheinung darauf bezieht.1) Daß auch den Römern diesefür den Norden so charakteristische Naturerscheinungnicht unbekannt war, geht aus Stellen bei Seneca undTacitus hervor. So sind also alle wesentlichen Züge derPolarnatur (Dauer von Tag und Nacht, Kälte, Eismeer,Nordlicht usw.) den Alten schon bekannt gewesen, ob-wohl sie.in dieselbe nicht eigentlich eingedrungen sind.2)

Schon lange ehe der antike Kulturmensch staunendund furchtsam die Wunderwelt des hohen Nordens streifte,hatten andere Völker, durch die Not des Lebensunter-haltes getrieben, den Kampf mit der rauhen Natur ge-wagt und bis weit jenseits des Polarkreises ihre Wohn-sitze aufgeschlagen. Als echte Randvölker haben finni-sche Stämme den Nordrand von Europa bevölkert undihre Lebensweise frühzeitig der Polarnatur angepaßt,wie unter anderem die auf germanischer Vermittlung be-ruhende Schilderung der Skrithifinen („Schreitfinnen",

a) Vgl. die Literatur über Pytheas in meinen Be-richten zur antiken Geographie im Geogr. Jahrbuch 1896,1899, 1905.

2) Näheres bei Heinrich Weber, Die Entwicklung derphysischen Geographie der Nordpolarländer. München 1898.

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d. h. auf Schneeschuhen fahrende Lappen) bei dem by-zantinischen Historiker Prokopios (6. Jahrh.) zeigt. Min-destens ebenso alt ist die Niederlassung anderer ural-al taischer Völker, der Samojeden, Ostjaken, Jakuten,Tungusen am Rande des asiatischen Eismeeres, wohinsie offenbar durch die Ausbreitung glücklicherer Gliederderselben großen Völkerfamilie hinausgedrängt wordensind, während die ethnographisch ganz isolierten Juka-giren, Tschuktschen und andere Völkersplitter (Itelmen)als Relikten einer einst vielleicht größeren Gruppe dieSchwierigkeit des Kampfes ums Dasein in dieser äußerstenRandlage bezeugen. Am vollständigsten hat sich die An-passung an die Polarnatur zweifellos bei den Eskimosvollzogen, welche das Verbreitungsgebiet des Menschenam weitesten polwärts (bis über den Smithsund 82° n. B.)vorgeschoben haben. Ob freilich die Eskimos schon seitBeginn der historischen Zeit ihre heutige Ausbreitungerlangt haben, muß dahingestellt bleiben; die KüstenGrönlands sind jedenfalls zuletzt und vielleicht erst wäh-rend unseres Mittelalters besiedelt worden. Selbst mitihren Wohnsitzen und deren Verbindungen wohl ver-traut, haben die Eskimos wiederholt Polarreisenden durchihre geographische Orientierung und selbst durch Ent-wurf von primitiven Kartenskizzen wertvolle Dienste ge-tan und erscheinen somit als die ersten Naturgeographendes hocharktischen Gebietes.1)

*) Vgl. dazu jetzt W. Dröber, Kartographie bei denNaturvölkern (Erlangen 1903) S. 69 ff.

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Das erste Volk, welches die europäische Kultur-menschheit mit der Polarwelt praktisch vertraut gemachthat, waren die Nordgermanen, speziell- ihr am wei-testen nach Norden vorgeschobener Zweig, die Norwe-ger. Waren auch der Landhunger, der namentlich diejüngeren Söhneder Grundbesitzer hinaustrieb und der Frei-heitsdrang, dem erstarkenden Königtum und Einheitsstaatim Mutterlande trotzend, die mächtigsten Triebfedern fürdie Niederlassung normannischer Seefahrer erst an deneuropäischen Gestaden, dann in den noch unbekanntenLändern unter dem Polarkreis, so ist es doch eine be-merkenswerte und für den germanischen Volkscharakterbezeichnende Tatsache, daß vielfach auch bloßer Taten-drang, ja Wißbegierde, der erste Keim zu wissenschaft-licher Forschung, für ihre Fahrten maßgebend war. Sohat der Trieb, das Unbekannte zu erkunden, um dieMitte des 9. Jahrhunderts den Norweger 0 there alsersten Weißen an die Nordspitze Europas geführt undihm um diese herum den Weg zum Weißen Meere ge-wiesen, den sieben Jahrhunderte später englische See-fahrer neu entdecken mußten! Wie weit bei der Ent-deckung Islands und. Grönlands dieser Drang nach demUnbekannten neben den materiellen Rücksichten desLandgewinnes zur Gründung einer Existenz und Siche-rung der persönlichen Unabhängigkeit maßgebend war,ist schwer zu entscheiden. Wo einer durch Zufall neuesLand gesehen, da lockte es den Nächsten, dieses Ziel zuerreichen. So führte der Weg über Island und Grönlandan das Festland von Nordamerika und nordwärts bis

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gegen den Smithsund. Es hat ein halbes Jahrtausendgedauert, bis ersteres nach Lei fund Thorfinn wiedervon einem Weißen, dem älteren Cabot (1497) erreichtwurde und über sechs Jahrhunderte, bis Baffin (1616)in noch höhere Breite (78°) gelangte, die dann erst im19. Jahrhundert überschritten worden ist. Ein glänzendesBeispiel für den aufgeweckten Sinn und die Beobachtungs-gabe, mit welcher die Nordländer die arktische Naturerfaßten, ist der sogenannte „Königsspiegel", eine alt-nordische, in Dialogform gekleidete Schilderung Grön-lands aus dem 13. Jahrhundert, die ein treffendes Bildvon der Beschaffenheit dieses Landes, dem Eismeere, demInlandeise, der Witterung und Möglichkeit der Besiede-lung gibt.1) Auch der Umstand, daß nach den Angabender nordischen Seefahrer, die den Kompaß nicht kannten,der Däne Claudius C lav us vor 1427 eine Karte her-stellen konnte, welche das Nordende Europas, Islandund Grönland zum erstenmal, und zwar in leidlich richti-ger Lage wiedergab und durch die Aufnahme in denAtlas des Ptolemäus, dessen erste moderne Ergänzungsie bildete, Gemeingut der Gebildeten wurde,2) muß unsmit Achtung vor den Leistungen' der Nordgermanen fürdie Anfänge wissenschaftlicher Kenntnis des hohen Nor-dens erfüllen.

x) Am besten 'zugänglich in der deutschen Bearbei-tung von 0. Brenner im Jahresber. der Geogr. Ges. inMünchen f. 1885 (10. Heft).

2) Näheres bei Josef Fischer, Die Entdeckungen derNormannen in Amerika. Innsbruck 1902.

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Mit dem Untergang der normannischen Ansiedlun-gen in Grönland, welche im 15. Jahrhundert völlig ver-schollen sind, endet die erste Periode der Erschließungder Polarländer. Gegenüber den theoretischen Spekula-tionen des Altertums, welches wohl zur mathematisch-physikalischen Kenntnis der Arktis den Grund legte, be-züglich ihres Kartenbildes aber völlig im Dunkel tappte,ist die Entschleierung der ganzen Polarzone vomWeißen Meere bis zur Baffin sbai sowie die sieghafteÜberwindung der Polarhatur durch den weißenMenschen als das Hauptergebnis des Mittelal tershinzustellen.

Die Neuzeit tritt mit einem frischen Faktor ein,dem Interesse des überseeischen H a n d e l s und demBestreben, dem Weltverkehr neue Bahnen zu er-schließen, die das Hauptziel jener Periode, die reichenLänder Indiens und Ostasiens auf anderem und womög-lich kürzerem Wege zugänglich machen sollten als jenen,den die Portugiesen um Afrika herum gefunden und dieSpanier in westlicher Richtung vergeblich gesucht hatten.Zwei neue Völker treten auf den Plan, auch sie germani-schen Stammes und ihre Zukunft bauend auf dem mäch-tigsten Träger der Herrschaft des Menschen über denErdball, dem Meere. England, aus den engen Schran-ken seines mittelalterlichen Interessenkreises sich mächtigemporhebend und das kleine, nach hartem Freiheitskampfzu politischer und wirtschaftlicher Selbständigkeit sichdurchringende Holland wetteifern seit Mitte des 16. Jahr-hunderts um die Lösung des Problems der nordöstlichen

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Durchfahrt, während das der nordwestlichen, dasschon die beiden Cabot (1497 und 1517), den Portu-giesen C or tereal (1500) und den Franzosen C a r t i e r(1534) beschäftigt hatte, in jener Zeit ganz zur Domäneder Engländer wurde. Die Periode des Aufschwungesder englischen Seemacht und des englischen Handelsunter Königin Elisabeth bedeutet nicht nur die Be-gründung der Kolonialmacht dieses Landes (Virginien)und seinen Eintritt in den Weltverkehr (Drakes Welt-umseglung 1577—1580), sondern auch den Beginn plan-mäßigen Vordringens in das Polargebiet. In der kurzenZeit von 1576—1616 sind vier große Expeditionen unterMartin Frobisher , John Davis, Henry Hudson undWilliam Baffin abgegangen, um die Durchfahrt im Nor-den des amerikanischen Festlandes zu erzwingen. Dasgeographisch bedeutsame Ergebnis war die Aufnahmeder Westküste Grönlands bis zum Smithsund und derwestlichen Umrandung von Davisstraße und Baffinsbaisowie die Entdeckung der Hudsonstraße und Hudsonbai,womit die östliche Hälfte des Nordrandes von Amerikaim wesentlichen festgelegt war. Aber die gesuchte Durch-fahrt wurde nicht gefunden; der Mißerfolg und die be-stimmte Erklärung Baffins, daß eine solche Verbindunghier überhaupt nicht vorhanden sei, legte die weitereForschung in dieser Richtung auf zwei Jahrhundertelahm, so daß man zu Anfang des 19. Jahrhunderts vonjenen Gegenden nicht wesentlich mehr wußte als zu An-fang des siebzehnten. Nicht einmal der hohe Preis desenglischen Parlaments von 20.000 £ (480.000 K), eine

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für jene Zeit kolossale Summe, vermochte zu neuen Unter-nehmungen zu ermutigen!

Nicht viel besser erging es im Osten. Nachdemhier Engländer zuerst (1553) den Weg ins Weiße Meergefunden und die Holländer ihnen (seit 1566) dorthingefolgt waren, scheiterten alle Versuche, die schon aufHerbersteins Karte von 1549 verzeichnete Mündungdes Ob zu erreichen, auf dem man einen bequemen Zu-gang bis tief in das Innere Asiens erhoffte, an den Eis-lnassen, welche sich aus dem Karischen Meere zwischendem Festlande und Nowaja Semlja vorschoben. Aberdie Entdeckung dieser großen Doppelinsel und besondersdie vollständige Festlegung des Nordrandes von Europawar ein wichtiges Ergebnis dieser Fahrten, unter denenbesonders die holländischen Expeditionen gegen Endedes 16. Jahrhunderts hervorragen. Noch lebt in derKomantik unserer Jugendschriften die Erinnerung anden wackeren Willem Barents und seinen GenossenHeemskerk, die mit ihrer Mannschaft an der Nord-spitze von Nowaja Semlja die Leiden des arktischenWinters (1596/97) erduldeten, denen schon 1553 SirHugh Wi Hough by mit seiner Mannschaft auf derHalbinsel Kola erlegen war. Ehe Barents selbst dendamals noch ganz ungewohnten Strapazen des Polar-winters erlag, war ihm mit der Aufnahme von No-waja Semlja und einem Vorstoße ins Karische Meerdurch die Jugorstraße (1594), ganz besonders aber mitder Entdeckung von Spitzbergen (1596) eine Be-reicherung des geographischen Wissens gelungen, die

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seinen Namen für immer unsterblich machen wird undin der Benennung der Barentssee ihren verdientenAusdruck gefunden hat. Es mag auch hier besondershervorgehoben sein, daß seit Barents, dem man die Ent-deckung der beiden wichtigsten europäischen Polarländerverdankt, das Kartenbild des europäischen Eismeeres erstmit der Auffindung von Franz Josef-Land durch dieösterreichisch-ungarische Expedition (1874) einen we-sentlich neuen Zug erhalten hat, so daß der Anfang des17. Jahrhunderts als abschließend für diese Periode derPolarforschung gelten muß, die unmittelbar aus dem„Zeitalter der Entdeckungen" hervorgeht.

Die Folgezeit brachte wenig Neues aus dem Eis-meere, obwohl es dort von Walfängern wimmelte. DasInteresse an der Auffindung neuer Seewege war nachden gemachten Erfahrungen erlahmt und damit der An-laß für geographische Entdeckungen entfallen. Man be-schränkte sich darauf, die ergiebigen Fanggründe in rück-sichtslosester Weise auszubeuten, was notwendig zu derenVerödung führen mußte. Das 17. Jahrhundert bezeichnetden Höhepunkt dieses Treibens im europäischen Eismeere,an dem sich die seefahrenden Völker West- und Nord-europas um die Wette beteiligten, die Holländer allenvoran. Im Sommer herrschte auf Spitzbergen und JanMayen, den Hauptstationen des Walfanges und der Tran-siedereien, ein Leben, von dem man sich heute schwereine Vorstellung macht; noch heute erinnern die Gräberholländischer Seefahrer bei „Smeerenburg" und derName der „Däneninsel" an der Nordwestecke Spitz-

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bergens, wo auch Andrees unglücklicher Aufstieg statt-fand, an jene Blütezeit des nordischen Fischfanges, durchwelche Spitzbergen vorübergehend in die Ökumeneeinbezogen wurde. Man lernte die Inselgruppe dadurchziemlich gut kennen und konnte schon im Jahre 1662 inHolland eine in den Grundzügen richtige Karte ent-werfen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts ging diese Herr-lichkeit zu Ende, da Wale und Robben in der Umgebungder Inseln selten zu werden begannen und nur noch aufhoher See zu finden waren. Spitzbergen verödete undist erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder das Zielwissenschaftlicher, zuletzt auch rein touristischer Reisengeworden.

Hatte die Periode der englisch-holländischen Unter-nehmungen zur Auffindung neuer Seewege das Polarge-biet vom Karischen Meere bis zum Smithsund und zurHudsonsbai erschlossen, im ganzen nicht viel mehr alswas schon die Normannen erreicht hatten, so blieb diegrößere Hälfte der Umrandung des Polarmeeres zwi-schen 80 °W. und 70 ° 0. = 210 Längengraden oder7/12 des ganzen Umfanges noch völlig unbekannt. DasVerdienst, ein gewaltiges Stück dieser klaffenden Lückein überraschend kurzer Zeit ausgefüllt und dadurch dasmenschliche Wissen von den Umrissen der großen Land-massen wesentlich gefördert zu haben, gebührt denRussen. Schon um die Mitte des 16. Jahrhundertsblühte der Pelzhandel mit den finnisch-ugrischen Völ-kern des hohen Nordens und erhielt einen mächtigenAufschwung durch die Eröffnung des Seeweges zum

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Weißen Meere und die Gründung von Archangelsk(1554). An der Kama erwarb das Handelshaus derStröganoff große Besitzungen (1558) und von dortging ein Handelsweg über den Ural zur Soswa und zumOb, wo unterhalb der Mündung des Irtysch die SlataBaba oder „Goldene Frau", das hochverehrte Götzen-bild der Ostjaken, stand, ein Gegenstück zu dem Heilig-tum des finnischen Gottes Jumala an der Mündung derDwina, das die Normannen Günstein, Karli und ThorerHund um 1217 (?) erreicht hatten. Aber erst als diedonischen Kosaken unter der kühnen Führung JermakTimofejefs, vor dem Grimm Iwan des Schrecklichenfliehend, im Jahre 1577 selbst den Kamm des Ural über-schritten und die Tura abwärts an den Tobol gelangten,wo unweit der jetzigen Hauptstadt Westsibiriens die Re-sidenz des Kutschum Chan, des mächtigsten Tataren-fürsten, lag, Sibir genannt, die dann dem ganzen Nor-den des Erdteiles den Namen gab, wurde der Fortschrittein rascher. Von Strom zu Strom drangen die Kosakennach dem Zusammenbruch der Herrschaft KutschumChans (1598) vor, die schiffbaren Zuflüsse auf- und ab-wärts benützend, und genau ein halbes Jahrhundert später(1648) standDeschnew an der Ostspitze des Kontinents,die mit Recht jetzt seinen Namen trägt. Ein Raum von100 Längengraden völlig unbekannten Landes war indieser kurzen Zeit durchmessen worden, die Eismeer-küste auf weite Strecken seitwärts der Flußmündungenfestgelegt und nur das am weitesten nach Norden vor-geschobene Mittelstück wurde erst später durch die große,

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von der russischen Regierung ausgerüstete sibirischeExpedition (1734—1743) erforscht und von Tschel-juskin 1742 die nach ihm benannte Nordspitze desErdteiles (77°n.Br.) auf dem Landwege erreicht.1) DieBedeutung beider Entdeckungen mag daraus erhellen,daß Kap Deschnew, dessen erste Auffindung erst 1898durch die Umtaufe des „Ostkap" die gebührende An-erkennung gefunden hat, von dem Seefahrer Vitus Be-ring 1728 ohne Kenntnis der Leistung seines Vorgängersneu aufgefunden und erst dadurch der Zweifel über denZusammenhang der Alten und Neuen Welt unter demPolarkreise endgültig gelöst wurde, Kap Tscheljuskinaber seither nur noch dreimal, und zwar auf dem See-wege von F. A. Nordenskiöld (1878), F. Nansen (1893)und den bei den Neusibirischen Inseln verunglücktenBaron E. v. Toll (1901) erreicht worden ist.

Zur völligen Umrahmung des nördlichen Eismeeresfehlte nach dem Vorstoß der Kosaken bis zur OstspitzeAsiens nur noch die Küste Amerikas bis zur Hudson-bai, immerhin eine Strecke von fast 90 Längengraden.Sie hat am längsten allen Angriffen widerstanden undist erst im 19. Jahrhundert in ihrem ganzen Verlaufe

*) Wie der Bebringstraße auf älteren Karten das my-thische Fretum Anianum vorausgegangen ist und dieMagalhaensstraße schon vor ihrer Entdeckung auf denGloben Schöners antizipiert wurde, so erscheint schon aufMercators Weltkarte von 1569 die Nordspitze Asiens mitdem Namen Cap Tabin als „vorauseilender Schatten" desKap Tscheljuskin.

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bekannt geworden. Das Verdienst daran gebührt aus-schließlich den Engländern. Der Seeweg erwies sichhier lange ebenso unzugänglich wie .bei Asien. Der großeSeefahrer James Cook kam bei seiner dritten Weltreise1778 nicht weit über die Beringstraße hinaus und er-reichte nur die Nordwestecke des Kontinents am Eis-kap, dessen Name die Schwierigkeit weiteren Vordringenszur Genüge beleuchtet. Aber von der Landseite her wur-den zwei Küstenpunkte erreicht und damit zum erstenmaldie Ausdehnung des Kontinents nach Norden klargestellt.Wie bei Nordasien für die Russen war auch hier derPelzhandel das treibende Motiv, die großen Strömeder Weg, der zur Eismeerküste führte. Von den äußerstenBlockhäusern der 1670 gegründeten Hudsonbaikompaniedrang 1771 Samuel Hearne längs des Kupferminen-flusses und 1789 Alexander Mackenzie längs des nachihm benannten Stromes zum Eismeere vor. Damit warenzwei Punkte jenseits des Polarkreises gegeben, überwelche sich die Festlandsküste vom Eiskap bis zur Hud-sonbai wenigstens hypothetisch ziehen ließ, so daß end-lich auch die Umrisse des amerikanischen Kontinentsfeste Gestalt gewannen.

Diese Umrisse im einzelnen genauer festzulegen,sollte mehr Arbeit und Menschenleben kosten, als manerwarten konnte. Der Hauptfortschritt in der Erforschungdes arktischen Amerika hängt aufs engste zusammen mitdem Wiederaufleben der Frage der nordwestlichenDurchfahrt in England und der neuen Epoche derPolarforschung, die hiemit zu Anfang des 19. Jahr-

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hunderts einsetzt. Freilich hatte die ganze Frage jetztein anderes Antlitz gewonnen als zur Zeit der KöniginElisabeth. Seitdem die Ausdehnung des Festlandes nachNW. hin feststand, konnte kaum mehr im Ernste darangedacht werden, hier einen Weg nach Ostasien zu finden,der neben dem allerdings bedeutend längeren um Afrikaund Indien praktische Bedeutung gehabt hätte. Gleich-wohl erneuerte das Parlament im Jahre 1818 seinenPreis und eröffnete damit die glänzende Folge modernerenglischer Polarexpeditionen. Ihr Zweck war jetzt inerster Linie ein wissenschaftlicher und nautischer. DieLeistungsfähigkeit der britischen Marine sollte auf dieProbe gestellt werden, die Lösung des Problems derNordwestpassage wurde eine Ehrensache der englischenNation. Drei Namen leuchten vor allen aus den Unter-nehmungen jener Zeit: Edward Par ry , der die Inselnund Meeresstraßen im Westen der Baffinsbai erforschteund 1827 im Norden von Spitzbergen auf Schlitten diehohe, erst 1876 von Markham übertroffene Breite von82° 45' erreichte; John Roß, der 1831 den magneti-schen Nordpol an der Westküste von Boothia Felix ent-deckte; John Frankl in , der auf drei Expeditionen unterunerhörten Entbehrungen und Verlusten an Mannschaftden größten Teil der noch unbekannten EismeerküsteAmerikas erforschte und 1845 die letzte verhängnisvolleReise antrat, deren tragisches Schicksal lange Zeit ganzEuropa beschäftigte. Die Suche nach den Verschollenenveranlaßte eine ganze Reihe von Expeditionen, die manals die Periode der „Franklinsucher" zu bezeichnen

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pflegt. Die Aufhellung des Geschickes Franklins undseiner Leute, die von 1847—1850 einer nach dem an-dern der Kälte und dem Hunger erlagen, gelang damalsnur teilweise, vollständig erst einer amerikanischen Ex-pedition unter Schwatka (1880).

In die Periode der Franklinsucher fällt auch diefreilich unvollkommene Lösung des Problems der nord-westlichen Durchfahrt durch M' Clure, der von derBeringstraße aus in das amerikanische Eismeer vor-,drang und nach dreimaliger Überwinterung mit Zurück-lassung des Schiffes über das Eis durch eine von Ostengekommene Expedition unter M' Clintock gerettetwurde (1853). Indem so zum erstenmal der Weg im Nor-den um Amerika herum vollständig zurückgelegt wurde,schien zugleich die Unmöglichkeit erwiesen zu sein, daß jeein Schiff die Durchfahrt vollende, und wer etwa noch andem Gedanken einer Handelsverbindung auf diesem Wegefesthielt, der mußte nunmehr jede Hoffnung begraben.

Gleichwohl ist in unseren Tagen die Aufgabe, wel-che mit M' Clures Reise abgetan schien, wieder aufge-griffen und die Durchfahrt wirklich erzwungen worden.Ein junger norwegischer Polarforscher, Roald Amund-sen, Teilnehmer an der Südpolarexpedition der „Belgica",rüstete hauptsächlich zum Zwecke erdmagnetischer Be-obachtungen und neuerlicher Feststellung des von Roßgefundenen magnetischen Nordpoles ein kleines Schiff,die „Gjoea", aus und erreichte mit demselben 1903 dieUmgebung des magnetischen Poles bei King William-land. Zwei Jahre wurden dort im Eise mit magnetischen

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Beobachtungen und topographischen Aufnahmen zuge-bracht und 1905 die Weiterreise längs der Festlands-küste angetreten; jenseits des Mackenzie wurde dasSchiff nochmals vom Eise eingeschlossen, so daß erst1906 die Rückreise durch die Beringstraße erfolgenkonnte. Was seit Jahrhunderten der Ehrgeiz zahlreicherkühner und wohlausgerüsteter Seefahrer war, ist demunternehmenden Norweger wenn auch nicht ohne Ge-fahren, so doch ohne allzugroße Schwierigkeiten aufeinen Wurf gelungen. Das Geheimnis seines Erfolgesliegt neben der seit Nansen wesentlich vervollkommnetenTechnik moderner Polarreisen hauptsächlich in der K1 e i n-heit des Schiffes, eines Schuners von nur 48 Register-tonnen mit einem Petroleummotor, das aber nach denErfahrungen der neuesten Zeit eisfest gebaut war undden Weg durch schmale Kanäle im Eise fand, die fürjedes größere Fahrzeug unpassierbar gewesen wären.Amundsen hat uns hier in Wien selbst über seine Unter-nehmung berichtet1) und kürzlich ein anziehendes Buchdarüber veröffentlicht, das für einen weiteren Leserkreisden Verlauf der Reise schildert und besonders auch derEigenart der dortigen, von europäischer Kultur nochganz unberührten Eskimos gerecht wird.2)

Es ist nicht möglich, im Rahmen dieser kurzenSkizze den Hergang auch nur der wichtigeren unter denneueren Polarexpeditionen im einzelnen zu verfolgen. Nur

J) In einer Versammlung der k. k. GeographischenGesellschaft vom 16. März 1907.

2) R. Amundsen, Die Nordwest-Passage. München 1908.

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die allgemeinen Gesichtspunkte, welche sich aus ihrerzeitlichen und räumlichen Verteilung für die Entwick-lung der modernen Polarforschung ergeben und gewisser-maßen deren große Richtlinien bezeichnen, können hierhervorgehoben werden.

Eine solche große Kategorie von Expeditionen, diesich die Erreichung des Poles zum Hauptziele ge-setzt haben, sind jene, die dieses Ziel am kürzesten längsder Westküste Grönlands durch den Smithsund zu er-reichen glaubten. Die Amerikaner, seit Mitte des 19.Jahrhunderts in die Polarforschung eingetreten, habendiesen Weg zu dem ihrigen gemacht und bis heute fastausschließlich als ihre Domäne behauptet. In engem Zu-sammenhange damit steht die Frage des offenen Polar-meeres, welches sich im Norden des Smithsundes be-finden sollte und lange Zeit im Mittelpunkt einer leb-haften Diskussion stand, bis neuere Expeditionen auchdiesen Traum zerstörten. Unter den Expeditionen, wel-che durch den Sraithsund vordrangen, ist als erste jenedes englischen Franklinsuehers Inglefield (1852) zunennen. Ihm folgten der Amerikaner Kane mit seinemSchiffe „Advance" (1853) auf dem gleichen Wege, ebensodessen Begleiter Isaak Hayes (1860—1861) und späterFrancis Hall, dessen Expedition mit der „Polaris" (1871—1873) bis zur höchsten vor der „Fram" von einemSchiff erreichten Breite von 82° 16' der deutsche Teil-nehmer E. Bessels beschrieben hat.

Inzwischen war es in Deutschland dem unver-gleichlichen Organisationstalent und agitatorischen Ge-

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schick von August Peter mann gelungen, das Interessefür die Polarforschung zu wecken und die deutscheNordpolexpedition unter Führung von Karl Koldewey(1869/70) zustande zu bringen, welche zwar das vonPetermann an der Ostküste Grönlands vermutete offeneFahrwasser nicht vorfand, aber doch mit reichen Ergeb-nissen zurückkehrte. Ihr folgte bald die österreichisch-ungarische Expedition (1873/74), deren Zustande-kommen hauptsächlich den Bemühungen des Grafen HansWilczek zu danken ist. Von Karl Weyprecht und Ju-lius Payer vortrefflich geführt, hat die Expedition be-kanntlich durch die Entdeckung von Franz Josefs land,der ersten wesentlichen Bereicherung in der Kenntnisdes europäischen Polarmeeres seit Barents (s. o.) sowiedurch die unter großen Schwierigkeiten vollzogene Rück-reise großen Ruhm geerntet. Die englische Expeditionunter George Nares und A. H. Markham (1875/76)schlug wieder den Weg der Amerikaner durch den Smith-sund ein und sicherte durch das Vordringen bis 83° 20'England noch bis auf weiteres den von Parry 1827 ge-wonnenen Rekord.

Bei den amerikanischen, englischen und deutschenExpeditionen war der Wetteifer um die Erreichung desPoles das Leitmotiv. Die irrige Voraussetzung, daß esirgendwo, sei es im Westen oder im Osten von Grönland,eine offene Wasserstraße dorthin gebe, schloß von vorne-herein den Erfolg aus. Nichtsdestoweniger sind diese Ex-peditionen für die Kenntnis der Arktis außerordentlicherfolgreich gewesen.

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Anders standen die Aussichten für die Durchfüh-rung eines Unternehmens, mit dem Schweden ruhmvollin die erste Reihe der polarfahrenden Nationen einge-treten ist. Adolf Erik Nordenskiöld, durch mehrerevorhergehende Expeditionen nach Spitzbergen, Grönlandund Sibirien mit der Eisschiffahrt und der praktischenPolarforschung wohl vertraut, hatte das alte Projekt dernordöstlichen Durchfahrt wiederaufgenommen unddie Umschiffung Asiens (1878/79) tatsächlich ausgeführt.Seit Barents, der natürlich bei der damals noch herr-schenden Ungewißheit über die Ausdehnung Asiens nochkeine Vorstellung von der Tragweite des Projektes habenkonnte, war kein ernstlicher Versuch in dieser Richtungunternommen worden. Seitdem von der Landseite herdie Umrisse Asiens festgestellt waren, war ja hier nochweniger ein praktischer Erfolg für Abkürzung der Indien-fahrten zu erhoffen als bei der Umschiffung Amerikas. Sowar das Ziel von Nordenskiölds Expedition von Anfangan wesentlich ein wissenschaftliches, verbunden mit demEhrgeiz, ein nautisches Problem zu lösen. Der Erfolghat ihm Recht gegeben und seinen Namen zu den glän-zendsten in der Geschichte der Polarforschung gestellt.Umso tragischer berührt das Schicksal der amerikani-schen Expedition unter de Long mit der „Jeannette"(1879—1881); den Schweden durch die Beringstraßeentgegengeschickt und bald vom Eise besetzt, nahm dieExpedition ein ähnlich trauriges Ende wie jene Franklins,nur daß wenigstens ein Teil der Mannschaft gerettetwurde. Gleichwohl sollte auch das Unglück der „Jean-

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nette" nicht umsonst gewesen sein. Die Drift von ein-zelnen Gegenständen; die von diesem Schiffe stammten,über den Pol hin bis an die Küste von Grönland hat unsunerwartete Aufschlüsse über die Strömungen im Polar-meere gebracht und Nansen hat seinen großen Planhauptsächlich auf die Beobachtung dieser Drift aufgebaut.

Die Erfolglosigkeit aller seit Mitte des 19. Jahrhun-derts unternommenen Versuche, gegen den Pol anzu-rennen, ließ diesen Gedanken mehr und mehr zurück-treten, zumal das Erreichte nicht im Verhältnis zu stehenschien mit dem Aufwände" an Mitteln und Menschenleben.Karl Weyprecht war es, der zuerst die Nutzlosigkeitdieser „internationalen Hetzjagd nach dem Pole" in nach-drücklicher Weise hervorhob und mit Ausschaltung derBefriedigung, welche die Überwindung außerordentlicherSchwierigkeiten und ein Vordringen in jungfräuliche Ge-biete dem persönlichen und nationalen Ehrgeiz gewährenkonnte, das Heil der Polarforschung in der planmäßigenAnlegung rein wissenschaftlicher Beobachtungsstationenerblickte. Sein Plan, dessen Verwirklichung er selbstnicht mehr erleben sollte, kam 1882/83 durch ein inter-nationales Übereinkommen zustande und wurde auch aufdas Südpolargebiet ausgedehnt. Der Hauptwert diesesgroßartigen Unternehmens lag in der gleichzeitigenund durch ein ganzes Jahr mit Einschluß des Wintersnach einem gemeinsamen Plane fortgesetzten Beobach-tungen, welche hauptsächlich der Meteorologie undder Lehre vom Erdmagnetismus zugute kamen. Geo-graphische Entdeckungen im eigentlichen Sinne waren da-

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bei ebensowenig zu erwarten wie aufregende Erlebnisse.Nur die am weitesten nach Norden vorgeschobene ame-rikanische Station unter Greely hatte ein hartes Losund teilte beinahe das Schicksal Franklins und de Longs.

So bedeutend auch die (bis heute noch nicht end-gültig verarbeiteten) Ergebnisse des „internationalen Po-larjahres" waren, das große Publikum nahm daran wenigAnteil. In den Augen der Menge wird eine kühne Tat,welche alle früheren Leistungen hinter sich läßt, wirdeine von dem prickelnden Reiz der Gefahr und des Un-gewöhnlichen umkleidete Unternehmung immer mehrgelten als die wertvollste Reihe entsagungsvoller Beob-achtungen. Es mußte ein neuer Gedanke in die Polar-forschung gebracht werden, um die allgemeine Anteil-nahme wieder zu beleben, ein Vorkämpfer mußte aufste-hen, der neue und unerhörte Pfade einschlug.

Und dieser Mann war ein Norweger, ein Mann vonjenem Volke, das zuerst den weißen Menschen unter denPolarkreis geführt und in der jüngsten Zeit wieder eineführende Stellung in der Polarforschung eingenommenhat, war Fridtjof Nansen. Durch den sensationellenErfolg seiner Durchquerung Grönlands (1888) in denAugen der Zeitgenossen zu außergewöhnlichen Leistungenberufen, durch systematische sportliche Übung und Ab-härtung wie kaum einer seiner Vorgänger auf die Über-windung aller Schwierigkeiten vorbereitet, gewappnetmit dem Rüstzeug wissenschaftlicher Schulung, hat Nan-sen die Polarforschung um einen mächtigen Ruck vor-wärts gebracht und durch die eigenen Erfolge das Inter-

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esse und den Unternehmungsgeist für dieselbe neu be-lebt. Während alle früheren Polarfahrer bei den Eis-pressungen für Schiff und Leben zittern und jeden Augen-blick bereit sein mußten, mit der notdürftigsten Habe undkärglichem Proviant auf eine Eisscholle zu fliehen undsich einem Ungewissen Schicksal zu überlassen, hat Nan-sen das polarfeste Schiff erdacht und sich und seine Mann-schaft Jahre hindurch sorglos der Drift im Eise über-lassen. Wo ehedem die Einförmigkeit der Lebensmittelund oft der Mangel an Nahrung die Gesundheit der See-fahrer bedrohte und der Skorbut als gefürchteter Gastseinen Einzug hielt, hat die „Fram" ihre Mannschaft miteinem sorgfältig ausgewählten und abwechslungsreichenProviant versorgt, und durch alles, was das Leben in derEinsamkeit behaglich machen kann, nicht zum mindestenauch durch die regelmäßige Beschäftigung mit Arbeit,ist die psychische Verfassung und Widerstandskraft derTeilnehmer stets auf der Höhe gehalten worden, auchwährend der langen Polarnacht, der sonst die Überwin-ternden mit Schrecken entgegenzusehen pflegten. End-lich hat Nansen entgegen der sonstigen Übung, vomSchiffe oder festen Stationen aus Schlittenreisen zu unter-nehmen und wieder dorthin zurückzukehren, das toll-kühne Wagnis unternommen, alle Brücken hinter sich ab-zubrechen und mit nur einem Begleiter den Weg überdas unbekannte Polareis anzutreten. Man muß den Be-richt hierüber in seinem Buche „In Nacht und Eis" auf-merksam verfolgen, um sich eine Vorstellung von der un-geheuren Energie zu machen, welche der fortwährende

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Kampf mit den endlos sich wiederholenden Höckern undRinnen im Eise, den in steter Bewegung befindlichen, an-einander vorübertreibenden und mahlenden Schollen, mitwidrigen Driften, Sturm und Kälte erforderte, bis end-lich Franz Josefsland erreicht war, wo den beiden nocheine Überwinterung unter Verhältnissen bevorstand, dieehedem sicheren Tod bedeutet hätten. War naturgemäßauch diese Schlittenreise wissenschaftlich weniger er-gebnisreich als die einförmige Drift der mit allen Hilfs-mitteln ausgerüsteten „Fram", so hat sie doch gezeigt,welcher Ausbildung die Technik der Polarreisen fähigist, und in Verbindung mit der erreichten hohen Breite( 86° 4') ; durchweiche die erfolgreichsten Vorgänger umdrei Breitengrade geschlagen wurden, Nansen die Be-wunderung der Mitwelt in einem Maße eingetragen, dasin der Geschichte der Polarforschung einzig dasteht. DieErgebnisse der Expedition für unsere Kenntnis des Polar-beckens stehen hinter dem äußeren Erfolg nicht zurück.Daß zwischen den Neusibirischen Inseln und Franz Jo-sefsland, beziehungsweise Spitzbergen sich kein Landbefindet, daß vielmehr der Meeresboden dort bis zu Tie-fen von 3000—4000 m absinkt und tatsächlich eine stän-dige Drift sich in der von Nansen vermuteten Richtungbewegt, sind neben der Fülle meteorologischer, magneti-scher, ozeanographischer und biologischer Beobachtungen,die jetzt in den „Scientific Results" verarbeitet vorliegen,Tatsachen von größter Tragweite für unser Wissen vonder Arktis. Über die Karte von Franz Josefsland, die seitPayer durch Nansen, Jackson usw. vielfache Verschiebun-

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gen erfahren hat, ist das letzte Wort noch nicht ge-sprochen.1)

Die Rücksicht auf den hier beschränkten Eaum ver-bietet näheres Eingehen auf die unglückliche Ballonfahrtvon Andree (1897); auf die erfolgreiche Expedition desHerzogs der Abruzzen, Prinz Amadeus von Savoyen,dessen Begleiter Cagnies(1900) gelang, seine Schlitten-reise nördlich von Franz Josefsland 1/2° über die von Nan-sen erreichte Breite auszudehnen und so auch Italieneinen hervorragenden Platz in dem Kampfe um den Nord-pol zu sichern, auf die gleichfalls ergebnisreiche Fahrt,welche Otto Sverdrup, der Kapitän der „Fram", mit die-sem Schiffe 1898—1902 im Nordwesten von Grönlandunternahm und durch die Entdeckung neuer Polarländer(König Oskarland, Axel Heibergland, Amund und EllefRingnesland, König Christianland) krönte. Nur einesMannes sei hier noch gedacht, der gegenwärtig den Re-kord der höchsten Breite in Händen hält und von allenjetzt lebenden Polarforschern am meisten berufen er-scheint, die so heiß umstrittene Siegespalme zu erringen,des Amerikaners Robert Peary. Schon seine erstegrößere Expedition von Smithsund über den NordrandGrönlands bis zur „Independence-Bai" (1892) war eingroßer, in Europa damals nicht ganz nach seiner Bedeu-tung gewürdigter Erfolg, der uns zum ersten Male dienördliche Ausdehnung Grönlands kennen lehrte und die

*) Vgl. die Ausführungen von Brosch in Mitt. Geo-graph. Ges. Wien 1900 und 1901 sowie E. Hammer inGeograph. Jahrb. 1902, S. 463.

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Frage, ob dieses eine große Insel oder Teil eines arkti-schen Festlandes sei; endgültig entschied. Seither hatPeary auf einer Reihe weiterer Fahrten konsequent dieBahn durch den Smithsund verfolgt, nur daß er den Aus-gangspunkt seiner Vorstöße mehr westlich, von Grönlandnach Grantland verlegte. Am 21. April 1906 hat Pearyvon dort aus die bisher höchste Breite von 8 7° 6',d. i. 1/2° mehr als Cagni und 1° mehr als Nansen erreichtund dadurch die Distanz vom Pol auf 324 hm vermindert,eine Strecke, die immerhin noch beinahe der Luftlinievon Wien bis München oder Triest gleichkommt. Nurden außergewöhnlich ungünstigen WitterungsVerhältnis-sen des Winters 190.5/06 schreibt Peary es zu, daß derPol diesmal nicht erreicht wurde, und nichts vermag ihnin dem festen Vertrauen auf den endlichen Sieg seinerbeharrlichen Anstrengungen zu erschüttern. Wer Pearykennt, wozu der Geographenkongreß in Washington(1904) auch zahlreichen europäischen Gelehrten Gelegen-heit gegeben hat, wird sich der Überzeugung nicht ver-schließen können, daß dieser Mann, in dem sich reichearktische Erfahrung mit seltener Entschlossenheit undTatkraft paart, nicht rasten und immer wieder von neuemaufbrechen wird, bis seine Kraft erliegt oder das Sternen-banner über dem Nordpol webt. Ohne wissenschaftlicheBeobachtungen zu vernachlässigen, betrachtet Peary diesedoch mehr als Nebensache, verzichtet auf umfangreicheliterarische Publikationen *) und konzentriert seine ganze

l) Nach einigen englischen, bei uns selten zu finden-den Publikationen über Pearys frühere Reisen liegt jetzt

Verein nat. Kenntn. 48. Bd. 34

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Kraft nur auf das eine Ziel, sich und seiner Nation denRuhm der Erreichung des Poles zu sichern.

"Werfen wir nach dieser kurzen Übersicht über denEntwicklungsgang und die leitenden Motive der Nord-polarforschung noch einen kurzen Blick auf das Süd-polargebiet, so können wir auch hier nur die großenZüge der antarktischen Forschung skizzieren, ohne beiden Einzelheiten zu verweilen. Die rein theoretischenAnschauungen des Altertunis und die hieraus erwachseneHypothese eines großen, weit nach Norden hervortreten-den Südlandes brauchen wir hier nur insoferne zu er-wähnen, als dieselben indirekt den Anlaß zum wirklichenBeginn der antarktischen Forschung gegeben haben. DieUmsegelung Afrikas durch Vasco da Gama (1498), Ame-rikas, wo die Auffindung der Magellanstraße noch Raumfür die Auffassung des Feuerlandes als Ausläufer einesSüdkontinents ließ, durch Leinaire und Schouten(1616), Australiens durch AbelTasman (1642) erwie-sen bereits die Zuspitzung der Kontinente nach Südenund das Nichtvorhandensein des großen südlichen Fest-landes, das man sich als Gegenbild der Kontinentalmasseauf der Nordhemisphäre dachte.

Um die letzten Zweifel über den Südkontinent, soweit man ihn noch in bewohnbaren Breiten vermutete,zu beheben, unternahm James Cook 1772—1774 seineberühmte Fahrt rings um den südlichen Polarkreis, den

in deutscher Sprache vor: E. E. Peary, Dem Nordpol amnächsten. Leipzig 1907. (Gute Bilder.)

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er als erster Sterblicher im Januar 1773 überschritt. Ob-wohl er in der Folge ihn noch zweimal in verschiedenenLängen kreuzte und im Januar 17 74 bis 71° 10' vordrang,traf er nirgends auf die uns jetzt bekannten antarktischenLandmassen und schloß seine Reise mit der Versiche-rung, daß er dem Suchen nach dem Südkontinente ein-für allemal ein Ende gemacht habe und kein Mensch eswagen werde, weiter vorzudringen!

Allerdings fiel es nun niemand mehr ein, die „TerraAustralis" der alten Karten, deren Namen inzwischen aufdem fünften Weltteil haften geblieben war, noch weiterzu suchen, und von einer antarktischen Forschung, alsderen Pionier Cook bezeichnet werden muß, ist Jahr-zehnte hindurch keine Rede. Aber schon 1819 erschienbereits eine russische Expedition unter Bellingshau-sen unter dem südlichen Polarkreis1) und bald drangenenglische und amerikanische Walfänger, durch den Reich-tum an wertvollen Robben im Süden Amerikas angelockt,dort weit in das Eismeer vor, ja James Wed del 1 kam1823 ungehindert bis 74° 15'. Die Fahrten weitererFangschiffe im folgenden Jahrzehnt stießen mehi'fach aufLand nahe unter dem Polarkreis, dessen weitere Erfor-schung bald darauf gleichzeitig von drei großen wissen-schaftlichen Expeditionen weitergeführt wurde. Das fran-zösische Schiff „Astrolabe" unter dem Kommando von

J) Eine deutsche Bearbeitung des ursprünglich russischgeschriebenen Reisewerkes hat vor kurzem der Verein fürErdkunde in Dresden herausgegeben: „Fovsclmngsfahrt imsüdlichen Eismeer" (Leipzig 1902).

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Dumont d'Urville, ein amerikanisches unter CharlesWilkes und zwei englische unter James Ross, demNeffen und Begleiter von John Ross auf dessen Fahrtzum magnetischen Nordpol, waren um 1840 unterwegsund stellten das Vorhandensein einer Reihe eisumstarrterKüsten fest, deren Zusammenhang wir auch heute nurmehr vermuten als bestimmt behaupten können. Weit-aus den größten Erfolg hatte Ross, indem er längs derKüste des von ihm entdeckten „Viktorialandes", des süd-lichsten Landes der Erde, zweimal (1841/1842) bis über78° vordrang und dort die überraschende Entdeckungzweier gewaltiger Vulkane machte, deren einer, der Ere-bus, mit 3900 m dem höchsten Berge unserer Monarchie,dem Ortler, an Meereshöhe gleichkommt.

Das Motiv, welches im 19. Jahrhundert bei denNordpolfahrten eine so hervorragende Rolle spielte, dieErreichung des Poles, war diesen Expeditionen durch-aus fremd. Ihre Hauptaufgabe war neben der Feststel-lung der Umrandung des südlichen Eismeeres durchKüsten und Inseln hauptsächlich die Erforschung dererdmagnetischen Elemente, ein zunächst rein wissen-schaftliches Problem, das aber für die Schiffahrt zugleichvon hoher praktischer Bedeutung war. Da die Abweichun-gen der Magnetnadel gegen die Pole hin immer größerund unregelmäßiger werden, so bedarf es systematischangestellter Beobachtungen unter höheren Breiten, umeines der wichtigsten Fundamente der Steuermannskunstzu sichern. Solche fehlten aber im Süden weit mehr alsim Norden. Schon bei der Umsegelung der drei südhemi-

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sphärischen Kontinente Afrika, Amerika und Australienlitt die Navigation an Unsicherheit durch die mangelhafteKenntnis der Variation der Magnetnadel. Für die immerhäufiger vordringenden Fangschiffe war die Verbesse-rung dieser Kenntnis ein dringendes Bedürfnis geworden,und so war es gerade die Hauptaufgabe der englischen Ex-pedition unter Ross geworden, die von dessen Oheimim Norden so erfolgreich durchgeführte Erforschungder magnetischen Elemente auch auf den weit wenigerbekannten Süden zu übertragen, wozu die grundlegendentheoretischen Arbeiten des deutschen MathematikersGauß die Anregung gegeben hatten. Ihm verdankte mandie erste Berechnung der Lage des magnetischen Süd-poles, welche in das Innere von Viktorialaud führte.

Auch in neuerer Zeit steht die Südpolarforschungvorwiegend unter dem Zeichen des tellurischen Magnetis-mus. Aber es dauerte lange, ehe das um 1840 so inten-siv bearbeitete Forschungsgebiet neuerdings betretenwurde. Mehr als ein halbes Jahrhundert sollte vergehen,bis die großartige Entdeckung von Ross wieder von einesMenschen Auge geschaut wurde. Nur im Eismeergebietsüdlich von Amerika, das wir uns jetzt gewöhnt haben,als die Westantark t i s zu bezeichnen, drangen ab undzu wieder Walfänger ein und einzelne Seefahrer, wie derdeutsche Kapitän Dalimann (1874) und später der Nor-weger Larsen (1893), konnten dort die Karte wesentlichbereichern und verbessern. Im übrigen war jedoch diein der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so erfolgreichbegonnene Südpolarforschung ganz ins Stocken geraten.

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Das Interesse hiefür neu belebt und deren hohewissenschaftliche Bedeutung immer wieder mit Nach-druck betont zu haben, ist das Verdienst eines deutschenGelehrten, des noch jetzt, hochbetagt, für die Wissen-schaft tätigen Geophysikers Georg v. Neumayer. NachJahrzehnte hindurch in Wort und Schrift unermüdlichfortgesetzter Agitation1) gelang es ihm, 1895inDeutsch-land einen Kreis von Männern zu finden, welche sich dieVerwirklichung seiner Pläne zum Ziele setzten. Es ge-reicht dem Verfasser dieser kleinen Schrift zur besonde-ren Genugtuung, diesem Kreise von Anfang an angehörtund zur Verbreitung des Verständnisses und Interessesfür die neue Aufgabe mit beigetragen zu haben. Immer-hin war eine wirksame Förderung des Planes nur zu er-warten, wenn nicht bloß private Kreise, sondern dieReichsregierung und andere maßgebende Faktoren sichder Sache annahmen. Durch das Interesse, welches derdeutsche Kaiser sowie der Reichstag ohne Unterschiedder Parteien dem Unternehmen entgegenbrachten, gelanges, die Mittel für eine groß angelegte und nach einemsorgfältig ausgearbeiteten Plane vorbereitete Expeditionzu gewinnen und dadurch auch die Teilnahme andererNationen anzuregen.2) Speziell von England, wo man in

x) Vgl. die Sammlung seiner hierauf bezüglichenReden und Schriften in dem Buche „Auf zum Südpol!"(Berlin 1901).

2) Über diese vorbereitenden Schritte geben aufGrund amtlichen und sonstigen Materials Auskunft meineim Anhang angeführten drei „Berichte".

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wissenschaftlichen Kreisen, ebenfalls auf Anregung Neu-mayers, schon seit Jahren für eine ähnliche Expeditionagitierte, kam die Sache erst in Fluß, als man erfuhr, daßdas deutsche Unternehmen gesichert sei.

Inzwischen hatte (1895) der Norweger CarstenBorchgrevink an Bord eines Walfängers als erster seitRoss Viktorialand erreicht und betreten, während sichRoss selbst auf die Aufnahme der Küste vom Schiffe ausbeschränkt hat. Auf einer zweiten Fahrt mit einem eng-lischen Schiffe, das die Ausbeutung der bei Viktorialandentdeckten Guanolager bezweckte, kam Borchgrevinknochmals dorthin, ließ sich auf Viktorialand mit einigenBegleitern aussetzen und brachte dort den Südwinter1899 zu; mit Schiff und Schlitten gelang es ihm im Fe-bruar 1900, bis 78° 50' vorzudringen und so über die vonRoss im Februar 1841 erreichte Breite nicht unerheblichhinauszukommen.1) Schon vorher hatte aber das belgi-sche Expeditionschiff „Belgica" unter A. de Gerlacheden Südwinter 1898, den ersten, welchen Menschen jen-seits des südlichen Polarkreises zugebracht haben, in derWestantarktis verbracht, worüber von dem Expeditions-leiter sowie von den Teilnehmern H. Arctowsky undF. A. Cook eine Reihe von Veröffentlichungen vorliegen.

Sowohl die belgische wie die norwegisch-englischeExpedition waren erfolgreiche Vorläufer der großen Un-

x) Eine deutsche Ausgabe des anziehenden Buchesvon Borchgrevink, der auch in Wien durch seine Vor-träge bekannt geworden ist, erschien 1905 unter dem Titel„Das Festland am Südpol".

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ternehmungen, welche 1901 fast gleichzeitig von Deutsch-land, England, Schottland und Schweden ins Werk ge-setzt wurden. Die deutsche Expedition unter Führungvon Erich v. Drygalski stieß 1902 südlich von Ker-guelen unter dem Polarkreis auf ein neues Polarland,das Kaiser Wilhelm II.-Land, konnte aber infolge un-günstiger Eisverhältnisse, aus denen das Schiff erst nachJahresfrist freikam, dessen Ausdehnung nur auf kurzeStrecke verfolgen und mußte sich hauptsächlich auf dienach einem umfassenden Plane mit größter Sorgfalt aus-geführten wissenschaftlichen Beobachtungen beschrän-ken.1) Daß den Teilnehmern nach der Rückkehr bis Kap-stadt trotz der vorzüglichen Verfassung von Schiff undMannschaft nochmals einen Vorstoß nach Süden zu machennicht gestattet, und der für Polarzwecke gebaute undtrefflich bewährte „Gauß" veräußert wurde, wodurch fürDeutschland die Möglichkeit, sein ruhmvolles Eintretenfür die antarktische Forschung durch eine neue Expe-dition fortzusetzen, so gut wie abgeschnitten ist, muß alsein bedauerlicher Mißgriff bezeichnet werden.

Den größten äußeren Erfolg unter den damals ab-gegangenen Expeditionen hatte zweifellos die englischeunter R. P. Scott. Sie war mit einem doppelt so großen

*) Die reichen wissenschaftlichen Ergebnisse erscheinengegenwärtig in einem auf Reichskosten herausgegebenenmonumentalen Werke: „Die deutsche Südpolexpedition".Eine Schilderung des Verlaufes der Expedition gibt E. vonDiygalski in „Zum Kontinent des eisigen Südens" (Ber-lin 1904).

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Kostenaufwande wie die deutsche (fast vier MillionenKronen) ins Werk gesetzt worden und hatte von vorne-herein das günstigste Arbeitsfeld, nämlich den von Rosseröffneten Weg längs der Küste von Viktorialand, vorsich. In bezüg auf die mit Schlitten erreichte Breite von82° 17' (Dezember 1902) und neue geographische Ent-deckungen hat sie beiweitem alle anderen Expeditionenübertroffen und dürfte wohl auf längere Zeit die äußersteGrenze des menschlichen Vordringens gegen den Südpolbezeichnen. Eine reich ausgestattete Beschreibung istkürzlich in englischer Sprache von dem Expeditionsleiterherausgegeben worden.1)

Ein Jahr später als England sandte Schottlandseine Expedition unter William Bruce aus, nachdem miteiniger Mühe die Mittel auch hiefür aufgebracht waren.Ihr Arbeitsgebiet war die Westantarktis, wo sie den Süd-winter 1903 verbrachte und unter 72—74° südlicher Breiteim Weddellmeer ein neuesLand, Coats Land, entdeckte.Über die Ergebnisse ist vor kurzem ein von mehrerenTeilnehmern bearbeitetes zusammenfassendes Werk er-schienen.2) Nach der gleichen Richtung des Eismeereswandte sich auch die schwedische Expedition von OttoNo r d e n s k iö 1 d, eines Neffen des Bezwingers der nordöst-lichen Durchfahrt. Mit weit geringeren Mitteln ausgerüstetals die deutsche und englische und gleich der schottischenwesentlich auf private Beiträge angewiesen, hat diese Ex-

*) R. F. Scott, The Voyage of the Discovery, 2 Bde.London 1905.

2) The Voyage of the Scotia, Edinburgh 1906.

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pedition gleichwohl sehr wertvolle Ergebnisse gezeitigtund durch ihre abenteuerlichen Schicksale die allgemeineTeilnahme erregt. Der Verlust des Schiffes, die zweimaligeÜberwinterung (1902 und 1903) der in drei Gruppenverteilten Mannschaft und deren schließliche wunderbareEettung erinnern an die aufregendsten Episoden derNordpolarforschung, während die meisten Expeditionennach dem Südpol sonst äußerlich verhältnismäßig ein-förmig verlaufen sind. Wichtiger als diese mehr das großePublikum interessierenden Erlebnisse sind die wissen-schaftlichen Resultate, die besonders in geologischerHinsicht schöne Aufschlüsse gebracht haben.1)

Als Nachzügler zu den vier vorgenannten Expedi-tionen erschien 1904 noch ein französisches Schiffunter J. B. Char cot in der Westantarktis an der Küstevon Grahamland und brachte nach glücklicher Überwinte-rung ebenfalls dankenswerte Ergebnisse nach Hause.2)Dadurch ermutigt, plant Charcot gegenwärtig eine neueExpedition, welche noch 1908 auslaufen soll, ebenso wieeine zweite belgische unter H. Arctowsky. Beide ha-ben sich das unbekannte Gebiet im sogenannten Ross-quadranten südlich des Stillen Ozeans als Arbeitsfeldausersehen, während eine englische Expedition unterE. H. Shackleton bereits seit Juli 1907 nach Viktoria-land unterwegs ist und die Erforschung des von Scott ge-

*) 0. Nordenskiöld, Antarctic, 2 Bände, Berlin 1904.— S. A. Düse, Unter Pinguinen und Seehunden, Berlin 1905.

2) J. B. Charcot, Le „Frangais" au Pole Sud, Paris1906.

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sichteten „Edward VII.-.Landes" sich zum Ziele setzt.Mehr als früher tritt auch jetzt im Süden der Kampf umden P o l in den Vordergrund, gegen den Arctowskyund Shackleton mit Hilfe von Automobilen vordringenwollen!

Wie man sieht, ist durch den ungewöhnlichen Auf-wand an Mitteln und Arbeitskraft zu Anfang dieses Jahr-hunderts das Interesse an der Südpolarforschung keines-wegs erschöpft, sondern erst recht angeregt worden. Umso bedauerlicher ist es, daß Deutschland, nachdem eshierin die Führung übernommen hatte, infolge des vor-zeitigen Abbruches seiner Beteiligung jetzt hinter denanderen Nationen zurückstehen muß. Schon ist der Planeiner internationalen Kooperation für die Polarfor-schung aufgetaucht, die auf dem WeltwirtschaftskongreßinMons (1905) ernstlich diskutiert wurde. Bestehtauchwenig Aussicht, denselben in der vorgeschlagenen Formzu verwirklichen, so zeigt doch die lebhafte Erörterungder Probleme und die intensive Tätigkeit, welche gegen-wärtig in beiden Polargebieten herrscht,1) daß die Auf-gaben der Polarforschung gar mannigfaltig sind und dasBedürfnis nach ihrer Lösung ein bei allen Kulturvölkernempfundenes ist.

Diese Aufgaben wenigstens in einigen allgemeinenUmrissen zu skizzieren, soll hier zum Schlüsse versuchtwerden. Für nähere Ausführungen fehlt der Raum und

x) Auf eine Reihe kleinerer Unternehmungen derletzten Jahre im Nordpolargebiet konnte hier aus Mangelan Raum nicht eingegangen werden.

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wir müssen uns daher mit einigen Andeutungen be-gnügen. Das nächste und wohl auch wichtigste Problemwird immer, wie schon eingangs hervorgehoben, die Fragenach der Verteilung von Wasser und Land bilden. DieEntdeckungen, welche hier gemacht werden, fallen jedem,auch dem Laien, durch die Darstellung auf der Karte so-fort in die Augen, wie andererseits die leeren Stellen amGlobus die Lücken unserer Kenntnis greifbar vorführen.Doch ist es nicht das allein. Mit Recht sagt Supan:1)„Man muß daran festhalten, daß die Kenntnis der Ver-breitung von Wasser und Land die Grundlage bildet füralle anderen Wissenschaften. Das verkannt zu haben,war der Fehler des Weyprechtschen Programms." Andie Umrisse der Länder und Meere schließt sich natur-gemäß die Erforschung ihres Reliefs, der Erhebung desLandes über den Meeresspiegel wie der Formen undTiefenverhältnisse der Meeresbecken. Es sei nur da-ran erinnert, welche zum Teil überraschenden Ergeb-nisse in dieser Beziehung die beiden Expeditionen Nan-sens geliefert haben (Ansteigen Grönlands im Inneren,Tiefsee im Norden von Asien). Die Kenntnis der Strö-mungen, Driften und Temperaturverhältnisse des Mee-res und seiner Eisbedeckung ergibt sich als weitere For-derung ebenso wie jene der Gletscher und des Inland-eises auf den Landflächen. Die Phänomene des Eiseszu studieren, waren die beiden Grönlandexpeditionen derBerliner Gesellschaft für Erdkunde unter Führung von

x) Petermanns Mitteilungen 1905, S. 282.

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Dry gal ski (1891 und 1892/93) ausgerüstet worden. DieWichtigkeit der geologischen Untersuchung des Lan-des wie auch des Meeresbodens bedarf keiner näherenErörterung. Ist doch die Geschichte der Bildung derKontinente und ihrer Beziehungen in früheren geologi-schen Epochen nur im Zusammenhange mit den Polar-ländern zu ergründen. Die schwedische Südpolarexpe-dition bat in dieser Hinsicht besonders wertvolle Finger-zeige gegeben, wie andererseits die Entdeckung tätigerVulkane durch Ross im äußersten Süden ein ganz uner-wartetes Ergebnis war.

Auf die hohe Bedeutung der Lehre vom tellurischenMagnetismus nicht nur für die Wissenschaft vom Erd-ganzen, sondern auch für die praktische Navigation wurdebereits oben hingewiesen. Das Polarlicht, dessen Er-klärung als Fluoreszenzerscheinung (Kathodenstrahlen)in Verbindung mit elektrischen Strömen durch die Unter-suchungen von Lemström in Finnland und Paulsen aufIsland wesentlich gefördert worden ist, mag als eininteressantes Phänomen im Anschluß daran genannt sein.Von größerer Bedeutung als letzteres sind die meteoro-logischen Verhältnisse, besonders Luftdruck, Tem-peratur und herrschende Windrichtungen. Da es sichhier um Ausgleichserscheiuungen handelt, die nur ingroßen Zusammenhängen über die ganze Erdoberflächehin ergründet werden können, liegt es auf der Hand, wiestörend der Mangel an Beobachtungen an einem so großenTeile der Kugelfläche, wie es die unbekannten Polar-gebiete auch jetzt noch sind, auf unsere Kenntnis wirken

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müssen. Daß auch hier praktische Interessen der Schiff-fahrt mitspielen, sei nur kurz erwähnt.

Der Anteil der biologischen Wissenschaften ander Polarforschung führt weit über das rein geographi-sche Gebiet hinaus. Die Bereicherung der Botanik undZoologie durch neue Formen der Pflanzen- und Tierweltsowohl am Lande wie besonders im Meere (Plankton undTiefseefauna) ist an sich eine bedeutende. Dazu kommendie wichtigen Fragen der Verbreitung dieser Formen undihres genetischen Zusammenhanges mit den nächstver-wandten Gruppen der benachbarten Kontinente, der An-passung an die eigentümlichen Lebensbedingungen(Polarnacht und dauernde Belichtung im Sommer, Mi-mikry, Ernährung), der Wanderungen der Tiere (Renn-tiere auf Spitzbergen, Moschusochsen auf Grönland usw.),endlich auch das Vorkommen der wirtschaftlich nutz-baren Seesäugetiere (Robben und Wale) in den einzelnenGewässern.

Ein besonderes Augenmerk wird neuerdings demDasein des Menschen in den nordischen Regionen zu-gewendet. Seit der dänischen Besiedelung Grönlands(1721) sind die Eskimos Gegenstand eifrigen Studiumsgewesen, das freilich dort mit dem europäischen Kultur-einflusse zu rechnen hat. Umso wertvoller sind die Nach-richten; welche uns Peary, Amundsen u. a. über die vonfremder Einwirkung noch gänzlich unberührten Eskimosdes amerikanisch-arktischen Archipels, das am weitestennach Norden vorgeschobene Glied der Menschheit, ge-bracht haben. Die Verwandtschaftsbeziehungen dieser

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Eskimos zu den Urbewohnern Amerikas einerseits, zuden mongoloiden Asiaten andererseits bilden eines derwichtigsten Probleme der Ethnographie. Unter denNordasiaten selbst haben wir außer den Angehörigen dergroßen uralaltaischen Sprachengruppe eine Anzahl völligisolierter Restvölker (Inkagiren usw.), deren Stellungnoch ganz ungeklärt ist. Die Anpassungsfähigkeit desMenschen an die Polarnatur, die Art und Weise, wie ersich deren spärliche Hilfsmittel zunutze macht und ihreGefahren überwindet, ist ein bei allen Polarvölkern gleichinteressantes Problem, obwohl die einzelnen es verschie-den gelöst haben (Gegensatz der alt- und neuweltlichenArktis). Es betrifft auch den weißen Menschen, dessenPolarfestigkeit durch jNansen, Peary u. a. in früher un-erhörtem Maße erprobt worden ist.

So sind die Aufgaben überaus mannigfaltig, welcheder Polarforschung harren. Und doch stehen alle zurückhinter dem eingestanden oder stillschweigend fast allenExpeditionen vorschwebenden Ziele, der Erreichung desPoles. Mag es hundertmal gesagt werden, daß das Vor-dringen nach diesem mathematischen Punkte weder prakti-sche noch erhebliche wissenschaftliche Bedeutung habeund des Einsatzes von Geld und Menschenleben nichtwert sei, der Trieb nach dem Unerreichten wird immerdieselbe magische Anziehungskraft beweisen wie bei denhohen Berggipfeln, die lange unersteiglich schienen undschließlich doch bezwungen wurden, obwohl sie demForscher weit weniger bieten als der Weg durch das Talund an praktischer Bedeutung hinter jedem Paßübergang

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zurückstehen. Sehr treffend bemerkt Ferdinand v. Richt-hpfen in seiner letzten Arbeit:1) „Es sind oft Phantome,•welchen der Mensch ruhmstrebig nachgeht — Heroischsetzt er seine Körperkräfte ein, um Hindernisse zu über-winden und im Wettlauf den ersten Rang einzunehmen.Solche Ziele sind die Gipfel der höchsten Berge, sind diePole der Erdachse —- Und doch ist der Zielpunkt an sichmeist von zufälliger Bedeutung. — Von weit größererWichtigkeit ist in der Regel, was methodisch auf demWege zum Gipfelpunkte gefördert wird, Aber niemandvermag sich der subjektiven Befriedigung durch einenziffermäßig ausgedrückten Rekord zu entziehen und tat-sächlich führt der Wettlauf nach ihm zu den größten Er-rungenschaften in der Kenntnis des Erreichten und zuder Einführung von Methoden zur Überwindung natür-,licher Schwierigkeiten."

Daß die Pole, zunächst wohl der nördliche, werdenerreicht werden, unterliegt meines Erachtens keinemZweifel. Es wird, wie bisher, immer Männer geben, diemit Anspannung aller Energie den Schwierigkeiten undGefahren trotzen und gerne ihr Leben aufs Spiel setzenwerden, um das letzte Ziel zu erobern. Mit welchenMitteln, ist eine offene Frage. Eine Zufahrt im offenenFahrwasser, falls der Pol nicht landfest ist, erscheintnach unserer jetzigen Kenntnis des Eismeeres ganz aus-geschlossen. Die Eisdrift, auf welche sich Nansen vor-

*) Ergebnisse und Ziele der Siidpolarforschung, Ber-lin 1905, S. 21.

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ließ, kann wohl auch einmal über den Pol hinwegführenstatt daran vorbei; aber wie oft läßt sich ein solches Ex-periment wiederholen? Die Fahrt mit Hundeschlitten,auf die zurzeit Peary noch seine Hoffnungen setzt, kannbei günstigen Eis- und Witterungsverhältnissen sehr wohlzum Ziele führen, besonders wenn der Versuch mit Zähig-keit wiederholt wird. Ob das Automobil, natürlich inentsprechender Konstruktion, auf dem antarktischen Eisewirklich verwendbar ist, muß erst die Probe lehren. Dasvon Anschütz-Kämpfe seit Jahren vertretene Projekt,mit dem Unterseebot vorzudringen, scheint kaum aus-führbar und könnte leicht den Unternehmern ein ähn-liches Schicksal bereiten wie die Ballonfahrt Andröes.Daß letztere bei dem damaligen Stande der Luftschiff-fahrt und ohne die Gewähr, einen Ballon mehrere Tageschwebend erhalten zu können, unglücklich endigenmußte, war mit größter Wahrscheinlichkeit vorauszu-sehen und dem Führer wohl auch bewußt. Heute liegtdie Sache durch den Fortschritt des lenkbaren Luft-schiffes wesentlich anders und wenn auch die reklame-haften Versuche des Amerikaners Wellmann nicht dazubeigetragen haben, das Vertrauen auf diese Methode zubefestigen, so muß doch zugegeben werden, daß der Polmit dem Luftschiff unter günstigen Verhältnissen amraschesten und vielleicht auch am sichersten erreichtwerden kann. Wer immer es sein möge, dem der großeWurf gelingt, und welches der Weg, der zum Ziele führt,die ganze Welt wird ihm zujubeln und sein Volk wirdihn als Nationalhelden feiern. Denn bereits ist der Sieges-

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preis zu einer Sache nicht mehr bloß persönlichen, son-dern auch nationalen Ehrgeizes geworden, und jenseitsdes Ozeans glaubt man die Palme schon in Händenzu halten. Ist das Ziel einmal erreicht, so wird es raschim Werte sinken und die planmäßige Forschung wiedermehr in den Vordergrund treten. Einstweilen wird dieWissenschaft auch von den mehr oder minder vergeb-lichen Versuchen Nutzen ziehen und jeden Fortschrittgegen den Pol mit Freuden begrüßen.

Zur Literatur.„Die Literatur über die Polarregionen der Erde" ist

bis 1878 zusammengestellt von J. Chavanne , A. Karpfund F. v. Le Monnier (herausgegeben von der k. k. Geogr.Ges. in Wien 1878).

Eine ausführliche „Geschichte der Nordpolfahrten vonden ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart" mit Quellen-nachweisen gibt F. v. Hellwaid, Im ewigen Eis, Stutt-gart 1881. Manche Abschnitte dieses noch vor der jüng-sten erfolgreichen Periode der Polarforschung erschienenenWerkes, wie über Pytheas und die Entdeckungen der Nor-mannen, sind durch neuere Forschungen überholt. Wesent-lich kürzer behandelt denselben Gegenstand, jedoch mitAusdehnung auf das von Hellwald nicht berücksichtigteSüdpolargebiet und bis zum Beginn dieses JahrhundertsKurt Hasser t , Die Polarforschung, Leipzig 1902; auchhier reichliche Literaturangaben. Für das Südpolargebietspeziell hat kürzlich H. R. Mill, The Siege of the SouthPole, London 1905, eine eingehende, von trefflichen Bildernbegleitete Darstellung gegeben.

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Eine gute Gesamtübersicht über die Geographie undEntdeckungsgeschichte der Polarländer verdanken wir jetztW. Küken tha l in W. Sievers, Australien., 2. Aufl.,Leipzig 1902. Ein Anhang dazu enthält den Nachweisder wichtigsten Literatur. Vollständiger findet man letztereverzeichnet in den Berichten über Polar forsch ung des vonHermann Wagner herausgegebenen „Geographischen Jahr-buchs" (zuletzt 1904). Mehrere der seither erschienenenPolarwerke sind in den Anmerkungen zu dieser Schriftaugeführt. Von mir selbst sind früher noch folgende Bei-träge zur Polarfrage erschienen:

Die Seefahrten der Normannen und die erste Ent-deckung von Amerika. Jahresber. d. Frankfurter Ver. f.Geogr. u. Stai, 57.-59. Jahrg. (1896), S. 21—23 (Auszug).

Die deutsche Südpolarexpedition. Bericht über dievorbereitenden Schritte usw. Jahresber. d. Geogr. Ges. inMünchen für 1896/97 (17. Heft), S. 1—48.

Desgl. Zweiter Bericht. Ebd. 1898/99 (18. Heft), S. 9 4 -134, Tafel V.

Desgl. Dritter Bericht. Ebd. 1900/01 (19. Heft), S. 99—132, Taf. II/III.

Die Erschließung der Antarktis. Österreich. Kund-schau IV, 54—64 (1905).

Die nordwestliche Durchfahrt. Neue Freie Presse,14. März 1907 (auch S.-A. 12 S.).

Die besten Ka r t en des Gebietes für den Hand-gebrauch sind die von H. B e r g h a u s entworfenen, vonH. H a b e n i c h t bearbeiteten Blätter „Nordpolarkarte" und„Südpolarkarte" in Stielers Handatlas Nr. 5 und 6 (1905).Auch die von V. v. Haar dt herausgegebene „Südpolar-karte" (Wien 1896) und „Nordpolarkarte" (Wien 1899),können wegen ihres großen Maßstabes als Wandkarten undder sorgfältigen Eintragung der Eeisewege noch guteDienste leisten.

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