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Die Politik der Sklaverei

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Ferdinand Schöningh

Jonas Schirrmacher

Die Politik der SklavereiPraxis und Konflikt in Kastilien und Spanisch-Amerika

im 16. Jahrhundert

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Bibliografijische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografijie; detaillierte bibliografijische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig.

© 2018 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill Gruppe(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland)

Internet: www.schoeningh.de

Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, MünchenHerstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn

ISBN 978-3-506-70712-3

Zugl. Diss. der Universität Bern und der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Umschlagabbildung:Image title: Mexico City Government Palace; mural by Diego Rivera, life of the Aztecs/Mexica in Tenochti-

tlan, their capital city.Credit line: Mireille Vautier / Alamy Stock Photo

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Inhalt

I Einleitung 11 Forschungsstand 42 Zentrale Methodenfragen, Quellen und Begrifffe 11

II Grundlagen der iberischen Sklaverei 191 „Cautivo de buena guerra“ – Der theologisch-juristische Hintergrund

der Sklaverei 191.1 Der „natürliche Sklave“ 201.2 Naturrecht und dominium – mittelalterliche Grundlagen des

frühneuzeitlichen Kirchenrechts 251.3 Der „gerechte Krieg“ 27

2 Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel: Ein longue-durée-Phänomen 382.1 Kontinuität und Wandel der iberischen Sklaverei zwischen

Mittelalter und Neuzeit 402.2 Verkaufen und Freilassen: Praktiken der Sklaverei und ihre

Institutionalisierung 492.3 Sklaverei als Wirtschaftsfaktor 68

III Prolog: Die Eroberung der Kanaren – Sklaverei als Politikum 75

IV Die guerra de Granada und die Versklavung der moriscos 1568–1571 971 Morisco-Politik zwischen Integration, Assimilierung und Repression

im 16. Jahrhundert 1002 Täter versus Opfer? Moriscos als Sklavenbesitzer 1063 Rebelión, revolución, guerra – Zur Ereignisgeschichte der guerra de

Granada 1114 Die politische Konzeptualisierung der morisco-Sklaverei 122

4.1 Gerechte Versklavung: Morisco-Sklaverei zwischen Zweifel und

Legitimation 1244.2 Sklaverei und Krieg: Praktiken und (Dys-)funktionen der

Versklavungen 1364.3 Gerechte Verteilung: Sklaverei und Beuteökonomie 1594.4 Sklaverei und Frieden 175

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vi Inhalt

5 Sklavereikritik? Theologisch-juristische Nachbetrachtungen durch die „Schule von Salamanca“ 193

6 Zwischenfazit 204

V Indio-Sklaverei in Spanisch-Amerika zwischen 1492 und 1600 2091 Unfreie Arbeit: Indios encomendados, naborías, esclavos 2162 Vorspiel: Die „karibische Phase“ 2223 Conquista und Sklaverei 248

3.1 Praktiken der Versklavung: Entradas de guerra – armadas de rescate 253

3.2 Zentrale Funktionen der Sklaverei 2624 Die Sklavereipolitik der Krone 292

4.1 Verbotspolitik 2924.2 Sklaverei als politische Verhandlungsmasse: Ausnahmen und

Kompromisse 3024.3 Administrative Kontrollversuche 314

5 Ausblick: Indio-Sklaverei im 17. Jahrhundert 3346 Zwischenfazit 343

VI Praktiken, Semantiken, Konfliktfelder: Indio- und morisco-Sklaverei im Vergleich 351

Anhang 359Abkürzungen 359Ungedruckte Quellen 360Gedruckte Quellen 361Literaturverzeichnis 364Orts- und Namensverzeichnis 389Sachregister 395

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© VERLAG FERDINAND SCHÖNINGH, 2018 | doi 10.30965/9783506707123_002

1 Wie der kastilische Konquistador Juan de Salazar Espinosa im Jahr 1553 an die Krone berich-tete, hatte eine portugiesische Expedition in der Gegend des Río de la Plata zahlreiche indios versklavt, bei denen es sich um Vasallen der kastilischen Krone handelte. Nachdem er sich bei Vertretern der portugiesischen Krone auf der Insel São Vicente hierüber beklagt hatte, wurde er festgenommen. Für die Folgejahre fijinden sich Schreiben Philipps II. sowohl an sei-nen Gesandten am portugiesischen Hof als auch an König Johann III. von Portugal selbst, in denen die umgehende Freilassung der indios und Juan de Salazar Espinosas gefordert wird. AGI, Papeles de Simancas, Est. 59, caj. 4, L. 3. Ediert in: Epistulario 7, Nr. 372, S. 43. AGI, Buenos Aires, 1, L. 2, fol. 27v-28v, ebd., fol. 30r.

I Einleitung

Bereits aus dem frühen 20. Jahrhundert liegen erste Veröfffentlichungen zur Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel vor. Dennoch hat es seitdem weitere einhundert Jahre gedauert, bis sie ihren festen Platz in der Geschichtsfor-schung eingenommen hat. Dass es in den iberischen Königreichen noch bis ins späte  18. Jahrhundert Sklaven gegeben hat, wird heutzutage nicht mehr bezweifelt. Untersucht wird die Sklaverei dabei zumeist unter sozial-, ideen- oder theologiegeschichtlichen Fragestellungen. Die zentralen Forschungssob-jekte sind also zum einen die theologischen oder philosophischen Postulate bekannter Gelehrter, wie etwa des vielgerühmten Dominikanerpaters Barto-lomé de Las Casas. Zum anderen sind es die versklavten Personen selbst, die im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen. War es in den vergangenen Jahr-zehnten die traditionelle Sozial- und Strukturgeschichte, die versuchte, Aus-sagen über die Lebensrealität der Sklaven und Sklavinnen und ihrer Besitzer zu trefffen, ist es heute das Konzept der slave agency, das einen akteurszent-rierten und praxeologischen Ansatz erlauben soll. Weniger beachtet wurden hingegen die herrschaftspolitischen, militärischen und ökonomischen Ausein-andersetzungen um die Sklaverei. Dabei war die Sklaverei nicht nur ein The-ma in den Studierzimmern der Klöster und Universitäten oder ein Phänomen der städtischen Handwerksstätten, Haushalte und Sklavenmärkte: Sie hatte auch eine zutiefst politische Komponente und fijindet sich entsprechend oft auf der Agenda der Krone, ihrer Ratsgremien und der unterschiedlichen lo-kalen Akteure. Sklaverei war in den verschiedensten Zusammenhängen und Szenarien ein viel diskutiertes Verhandlungsobjekt zwischen den politischen Akteuren. Dies führte soweit, dass die politische Auseinandersetzung um die indio-Sklaverei in den Fünfzigerjahren des 16. Jahrhunderts gar eine veritable diplomatische Krise zwischen den Kronen Kastiliens und Portugals auslöste, nachdem einer portugiesischen Expedition illegale Sklavenrazzien auf kastili-schem Kolonialgebiet vorgeworfen worden waren.1

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Einleitung2

In dieser Studie möchte ich das Phänomen der Sklaverei aus der Perspektive des Politischen betrachten. Es wird nicht darum gehen, ein rechtsgeschicht-liches, theologisches oder philosophisches Programm bekannter Gelehrter nachzuzeichnen. Die politischen Auseinandersetzungen um die Sklaverei zwischen der Krone, lokalen Amtsträgern, Konquistadoren, Söldnern und Siedlern können allerdings als Bindeglied zwischen dem ideengeschichtlichen Höhenkamm der politischen und theologischen Philosophie, verbunden mit so berühmten Namen wie Las Casas, Sepúlveda oder Vitoria, und den loka-len, historischen Alltagspraktiken der Sklaverei betrachtet werden. Entspre-chend habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die verschiedenen Szenarien, Funktionen und Dysfunktionen von Sklaverei anhand der unterschiedlichen politischen Fraktionen, Ökonomien und Praktiken herauszuarbeiten. Ich un-tersuche die Sklaverei als politisches, kontroverses Thema, über das zwischen der kastilischen Krone und lokalen Akteuren verhandelt wurde. Mit welcher politischen Taktik versuchten Akteure, die Sklaverei für sich zu nutzen oder sie zu bekämpfen? Wie reagierte die Krone auf die politischen, militärischen und ökonomischen Interessen und Notwendigkeiten der Sklaverei? Wie versuchte sie, eine spezifijische Sklavereipolitik zu konzeptualisieren und diese vor Ort umzusetzen? Da sich im Rahmen dieser Konfliktfelder spezifijische politische und administrative Praktiken entwickelten, stellt sich überdies die Frage, wel-chen Beitrag die vorliegende Arbeit zum Verständnis der Funktionalität vor-moderner Politik beitragen kann.

Am Beispiel der Versklavung der moriscos während des „granadinischen Krieges“ (guerra de Granada, 1568–1571) sowie der indigenen Bevölkerung während der Entdeckung und Eroberung (conquista) der „Neuen Welt“ im 16. Jahrhundert möchte ich zeigen, wie die kastilische Krone und andere Akteure versuchten, das stets brisante Thema der Sklaverei als politisches Instrument zu nutzen und wie Sklaverei als politische Verhandlungsmasse organisiert wurde. Obwohl sich das historische Setting beider Fallbeispiele erheblich von-einander unterschied, lassen sich in beiden Fällen ganz ähnliche Semantiken, Praktiken und Konfliktfelder beobachten, die in manchen Fällen schon von Zeitgenossen in gegenseitigen Bezug gesetzt wurden. Hierbei sei angemerkt, dass es sich nicht in erster Linie um eine komparative Studie handelt. Beide Fälle dienen mir als eigenständige Fallstudien. Selbstverständlich werde ich aber immer wieder Querverweise aufzeigen und im letzten Kapitel einige zen-trale Aspekte vergleichend betrachten.

Ganz bewusst werde ich mich auf diese beiden Untersuchungsfelder be-schränken und die sogenannten negro-Sklaverei – also die Versklavung und Verschleppung von Personen aus dem subsaharischen Afrika – ausklammern. Dies geschieht vor allem aus forschungspragmatischen Gründen: Einerseits

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3Einleitung

2 Einführend für das 16. Jahrhundert vgl.: Lockhart (1968), S. 171–199; Bowser (1974); Pal-mer (1976); Meissner u. a. (2008).

3 Im Jahr 1553 etwa diskutierten zahlreiche Theologen, ob der asiento, den Philipp II. einem gewissen Francisco de Ochoa gewährt hatte, zu einer Monopolbildung im transatlantischen Sklavenhandel führen würde und ob dies politisch opportun wäre. AGS, CCA, Div. 6, 52. Vgl. zum System der Lizenzenvergabe zum Import von negro-Sklaven: Delgado Ribas (2013), S. 15–17; Almeida Mendes (2008); Zeuske (2006), S. 219 f.; Reinhard (1985), S. 90.

würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, andererseits ist dieses Feld be-reits ungleich besser erforscht als die indio- oder morisco-Sklaverei.2 Dennoch sei gesagt, dass sich auch bezüglich der negro-Sklaverei politische Komponen-ten analysieren ließen – etwa anhand des asiento-Systems, durch das Lizenzen zum Export von Sklaven vor allem aus Gegenden des heutigen Guinea Bissau, Mali, Gambia und Senegal nach Spanisch-Amerika in das System der königli-chen Belohnungsökonomie integriert wurden.3

Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Um die Versklavung der indios sowie der moriscos historisch einzuordnen, werde ich mit einigen einleiten-den Ausführungen zum System der Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel be-ginnen (II). Ich werde den rechts- und ideengeschichtlichen Hintergrund der frühneuzeitlichen Sklaverei skizzieren und dabei die wirkmächtige Theorie des „gerechten Krieges“ in den Mittelpunkt stellen. In einem zweiten Schritt möchte ich das Verständnis für die Alltäglichkeit der Sklaverei in der Vormo-derne stärken und so zentrale Referenzpunkte für spätere Überlegungen schaf-fen. Hierzu werde ich in einem Makroüberblick die Strukturen der Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert beleuch-ten und danach die zentralen Praktiken der Versklavung, des Sklavenverkaufs und der Freilassung besprechen, wobei ich die Sklaverei vor allem als ein longue-durée-Phänomen zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit ver-orten werde. Nach einem Prolog zur Versklavung der indigenen Bevölkerung der Kanarischen Inseln (III), anhand dessen ich einen kurzen Problem-aufriss bezüglich der politischen Rolle der Sklaverei wagen möchte, wird der Fokus auf die guerra de Granada gerichtet (IV). Nach einigen einleitenden Ausführungen zur morisco-Politik der kastilischen Krone im 16. Jahrhundert, zur Täter-Opfer-Beziehung der beiden Konfliktparteien und zur Ereignisgeschichte des Krieges werde ich zur politischen Konzeptualisierung der morisco-Sklaverei kommen. Ich werde die Debatten um die Rechtfertigung der Sklaverei skizzieren, ihre multidimensionalen Funktionen und Dysfunktionen erörtern und die Praktiken der Versklavung sowie die Rolle analysieren, die sie in der Kriegs- und Beuteökonomie spielten. Abschließend wird es um die Bedeutung von Sklaverei als Verhandlungsobjekt während des Friedensprozesses gehen.

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Einleitung4

Der zweite große Abschnitt des Hauptteils ist schließlich der Versklavung der indigenen Bevölkerung der „Neuen Welt“ gewidmet (V). Nachdem ich die indio-Sklaverei begriffflich von anderen Formen indigener Zwangsarbeit abge-grenzt habe, werde ich auf die Transformation und Adaption verschiedener Praktiken und Legitimationsmuster der Sklaverei während der sogenannten „karibischen Phase“ von 1492 bis etwa 1519 eingehen. Anschließend wird es um die Bedeutung der indio-Sklaverei für die conquista gehen. Ich werde zunächst klären, welche Handlungsoptionen für den eigentlichen Akt der Versklavung zur Verfügung standen und welche politischen Konfliktfelder sich hier aufta-ten. Daraufhin wird es um die Funktionen gehen, die der Sklaverei von Sei-ten der unterschiedlichen Akteure zugeschrieben wurden. Hierauf stellt sich die Frage, wie die Krone mit einer spezifijischen Politik auf die Konfliktfelder und Notwendigkeiten der indio-Sklaverei reagierte. Entsprechend werde ich die forcierte Sklavereipolitik der Krone ab den 1520er-Jahren mit ihren Skla-vereiverboten und Einschränkungen den zahllosen Gesetzesrücknahmen, Ausnahmeregelungen und politischen Kompromissen gegenüberstellen und anschließend die administrativen Kontrollversuche der Krone analysieren. Um die allgemeingültige Annahme, die Sklaverei sei mit den Leyes Nuevas (1542) weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, kritisch zu überprüfen, werde ich abschließend noch einen Ausblick in das 17. Jahrhundert bieten.

Die Entscheidung, die morisco-Sklaverei vor der indio-Sklaverei zu be-handeln, ist chronologisch auf den ersten Blick fragwürdig. Aufgrund der sichtbaren Kontinuitäten von den Konflikten zwischen den christlichen und muslimischen Reichen des Mittelalters sowie der Kriegsführung der kastili-schen Krone in Nordafrika in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur guerra

de Granada, habe ich mich aber letztlich für diese Reihung entschieden. In einem Schlusskapitel (VI) werden noch einmal die zentralen Praktiken, Se-mantiken und Konfliktfelder der beiden Untersuchungsbereiche bilanziert und vergleichend betrachtet werden.

1 Forschungsstand

Die internationale Forschung zur Sklaverei erlebt derzeit einmal mehr einen Boom. Mit diesem geht ein fundamentaler Perspektivenwechsel einher: Waren es in den Achtziger- und Neunzigerjahren noch die großen, essentialistischen Theorieentwürfe, die sich auf die Sklaverei der griechisch-römischen Antike oder die Plantagensklaverei des Antebellum South stützten, rücken nun ver-mehrt Weltgegenden in den Fokus, in denen Sklaverei bisher als höchstens marginal wahrgenommen wurde. Neue, globalhistorische Ansätze richten sich gegen die Konzentration auf die Sklaverei der westlichen Welt und versuchen,

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5Einleitung

4 Vgl. Vlassopoulus (2016).5 Schiel/Hanß (2014), S. 26.6 Hanß/Schiel (2014). Die mediterrane Sklaverei ist auch zentral bei: Bono (2010).7 Van Deusen (2015).8 Kaiser (2008a, 2009); Priesching (2012); Fiume (2009).9 Braudel II (1998), S. 548 f.10 Verlinden (1955/1977); Heers (1981). Darüber hinaus fijinden sich auch bei Abulafijia

häufijig Ausführungen zur Sklaverei im Mittelmeerraum. Abulafia (2014).11 So der Kurztext des Verlagshauses zu Hanß/Schiel (2014). Https://www.chronosverlag

.ch/node/20802 (acc. 12.2.2018).12 Zur transatlantischen Geschichte vgl. Verlinden (1966); Pietschmann (1998); Bailyn

(2005). Zum Forschungskonzept des Atlantiks als Interaktionsraum und den „drei Kon-zepten atlantischer Geschichte“ vgl. Armitage (2002); Reinhard (2016), S. 61 f.

universalistische Defijinitionen der Sklaverei zu vermeiden. Stattdessen wird sich darum bemüht, die Instrumentalität der Sklaverei, ihre Praktiken und die Rolle, die die Sklaven selbst als historische Akteure einnahmen, zu betonen.4 In diesem Zuge lässt sich seit wenigen Jahren auch eine neue Tendenz erken-nen, die mediterrane Welt der Vormoderne zum Untersuchungsrahmen zu machen. Sogar von einer „neue[n] Generation der Sklavereiforschung“5 ist die Rede. Erkennbar ist dies an zentralen Veröfffentlichungen wie dem 2014 erschienenen Züricher Tagungsband zur mediterranen Sklaverei6, der eine der ersten deutschsprachigen Veröfffentlichungen zum Thema darstellt, oder dem jüngst veröfffentlichten Werk Nancy van Deusens zu Einzelschicksalen indigener Sklaven in Kastilien.7 Eng verwandt ist hiermit überdies das aktu-elle Thema des Gefangenenloskaufs zwischen muslimischen und christlichen Mächten im Mittelmeerraum.8 Die Fokussierung auf den mediterranen Raum ist dabei nicht neu: Schon Braudel thematisierte in seinen berühmten Studi-en zum Mittelmeer die Sklaverei9 und Charles Verlinden sowie Jacques Heers konzentrierten sich explizit auf die mediterranen Räume des Mittelalters.10 In-novativ ist die neu gewählte methodische Herangehensweise, die die großen Theorieentwürfen zur Sklaverei ablehnt: Die Forscher und Forscherinnen se-hen sich vielmehr „im Feld einer Sozialgeschichte, die kulturwissenschaftliche Theorien mit mikrohistorischen und praxeologischen Ansätzen verbindet und Sklaverei als kontextabhängige soziale Relation konzipiert“11. Auf diese Weise soll der Heterogenität und Komplexität der verschiedenen historischen Aus-formungen der Sklaverei Rechnung getragen werden und eine systematische Historisierung der Sklaverei erreicht werden, ohne eine heuristische Modell-bildung vorauszusetzen.

Mit der Betonung des Mediterraneums als Forschungsfeld grenzt sich die neuere Forschung auch geographisch von der bisher dominanten „transatlan-tischen Geschichte“12 ab, die ebenfalls in einem globalhistorischen Kontext zu

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Einleitung6

13 Thomas (2006); Simon-Aaron (2008); Klein (2010); Eltis/Richardson (2008).14 Zeuske (2004, 2006).15 Einige Beispiele wären Delacampagne (2004); Flaig (2009); Heuman/Burnard

(2011); Grenouilleau (2014).16 Zu nennen sind vor allem: Rodríguez (1997); Finkelman/Miller (1998); Eltis/

Engerman (2011).17 Fra-Molinero (1997).18 Phillips Jr. (1998a).19 Eltis/Engerman (2011).20 Hierzu mehr siehe: Kap. 2.2.

verorten ist. Dieser Ansatz, der den atlantischen und damit auch den koloni-alen Raum zum Forschungsgegenstand macht, bietet sich für die Erforschung eines Systems der Sklaverei, das über Jahrhunderte hinweg Millionen von Sklaven von Afrika in die „beiden Amerikas“ exportierte, verständlicherwei-se an. Den jüngsten angloamerikanischen Werken von Hugh Thomas, Charles Simon-Aaron und Herbert S. Klein sowie dem Sammelband von David Eltis und David Richardson13 schließen sich einige deutschsprachige Werke an, vor allem die des Kölner Historikers Michael Zeuske14. Globalgeschichtliche Über-blicksdarstellungen15 ebenso wie großangelegte Handbücher über die Welt-geschichte der Sklaverei16 haben nach wie vor Konjunktur. Bei dieser großen Aufmerksamkeit, die die koloniale Sklaverei von der Forschung erhielt, ist es nicht verwunderlich, dass die vermeintlich unbedeutende frühneuzeitliche Sklaverei auf dem südeuropäischen Festland weitgehend unbeachtet blieb. Besonders deutlich wird diese Unterrepräsentation in den erwähnten Hand-büchern. Finden sich zur iberischen Sklaverei in der „Historical Encyclopedia of World Slavery“17 und in der „Macmillan Encyclopedia of World Slavery“18 immerhin noch jeweils ein sehr kurzer Artikel, so verzichtet die neue vierbän-dige „Cambridge World History of Slavery“19 gänzlich auf eine Darstellung der Sklaverei auf der frühneuzeitlichen Iberischen Halbinsel. Dieser einseitige Fo-kus erklärt sich aus der zentralen gesellschaftspolitischen Bedeutung der Skla-verei in den USA bezüglich des Abolitionismus und Rassismus sowie die rein zahlenmäßige Überlegenheit der kolonialen Plantagensklaverei.

Die historiographische Dominanz der kolonialen und transatlantischen Sklavereiforschung sowie die Konzentration auf die großen Sklavereisysteme der Weltgeschichte verstellten also lange Zeit den Blick auf die Aspekte der me-diterranen Sklaverei. Dies geht einher mit einer seit Marc Bloch weit verbrei-teten Marginalisierung der europäischen Sklaverei, die angeblich schon im 11. Jahrhundert weitgehend vom Feudalsystem verdrängt worden sei.20 Aus die-sem Grund bemerkte Henry Kamen schon 1970 die „überraschende Vernach-lässigung der Sklavereiforschung in einem Land, das mehr Sklaverei in seiner

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7Einleitung

21 „This surprising neglect of research into slavery in one nation that had more slavery in its history than any other part of Europe.“ Kamen (1970), S. 212.

22 „Se olvida que ésta [die Sklaverei, Anm. d. V.] existió en la España en la Edad Moderna.“ Cortés Alonso (1964), S. 9.

23 Miret y Sans (1917).24 Domínguez Ortiz (2003, erstmals 1952).25 Cortés Alonso (1964).26 Graullera Sanz (1978).27 Franco Silva (1979, 1992).28 Martín Casares (2000a, 2000b, 2004).29 Siehe zum Beispiel: Lobo Cabrera (1993); Periáñez Gómez (2006).30 Blumenthal (2009, 2014).

Geschichte hatte als jeder andere Teil Europas“21. Auch Vicenta Cortés Alonso stellte einige Jahre zuvor fest, dass man vergessen habe, dass die Sklaverei in der spanischen Frühen Neuzeit existierte.22 Trotz dieses weitgehenden Ni-schendaseins entwickelte sich vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-derts eine eigenständige spanische Sklavereiforschung. Eine erste Studie legte Joaquin Miret y Sanz bereits 1917 mit einem Beitrag zu Sklaverei in Katalonien in der Revue Hispanique vor.23 Nachdem 1952 der bekannte Sozialhistoriker Antonio Domínguez Ortiz seinen Aufsatz „La esclavitud en Castilla durante la Edad Moderna“24 veröfffentlichte, kam es im Laufe der Sechziger- und Siebzi-gerjahre zu einem ersten Aufschwung der Sklavereiforschung in Spanien. Im Zuge der aufkommenden Sozialgeschichte interessierten sich Vicenta Cortés Alonso25 und Vicente Graullera Sanz26 für die sozialen Aspekte der Sklaverei in Valencia. Ausgehend von Notariatsakten versuchten sie vor allem mit statis-tischen Methoden die Strukturen der Sklaverei zu beschreiben. Auf ähnliche Weise erforschte Alfonso Franco Silva die Sklaverei in Sevilla und Andalusien.27 Durch die Konzentration dieser strukturgeschichtlichen Arbeiten auf Sta-tistiken, die sie in erster Linie aus Notariatsakten (Kauf- und Freilassungsur-kunden, Testamente) gewannen, wurden die demographischen Grundlagen der Sklavereigeschichte erarbeitet. Neuen Schwung brachte ab den Neun-zigerjahren insbesondere die Erschließung der Sklaverei für die Geschlech-terforschung. Diese, vor allem mit der Historikerin Aurelia Martín Casares28 verbundene Herangehensweise, entwickelte zahlreiche neue Sichtweisen be-züglich der Sklavenarbeit, der sozialen Stellung von Sklaven und Sklavinnen sowie deren Beziehung zu ihren Besitzern.29 In engem Kontakt hiermit steht auch die hervorragende, 2009 erschienene Studie Debra Blumenthals zur Skla-verei in Valencia.30 Aufbauend auf den Beobachtungen der Geschlechter- und neueren Kulturgeschichte legen beide Forscherinnen im Einklang mit der ein-gangs erwähnten „neuen Generation der Sklavereiforschung“ viel Wert darauf,

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Einleitung8

31 Van Deusen (2015).32 Zu diesen Ausnahmen gehören: Pike (1967, 1983); Phillips Jr. (1985, 2011, 2014).33 Eine Auswahl: Ladero Quesada (1967); Sánchez Herrero (1980); Aranda Don-

cel (1981a, 1981b, 1984); Lora Serrano (1982); Pereiro (1986); Pino (2001); Izco Rei-na (2002); Arévalo (2006); Morgado García (2009, 2010a, 2010b); Pérez García/Fernández Chaves (2010).

34 Eine Auswahl: Larquié (1970); Fernández Martín (1988); Rodríguez Martín/López Adán (1993); Periáñez Gómez (2004, 2008).

35 Als grundlegende Studie zur Kultur und Geschichte der moriscos gilt Caro Baroja (1957); ebenso Reglá (1964); Chejne (1983); Domínguez Ortiz/Vincent (1984). Hin-zu kommen die jüngeren Studien von Harvey (2005); Ingram (2009–2015); Amelang (2013). Eine ausführliche Bibliographie fijindet sich bei: Rubiera Mata (2006).

Sklaverei als kontextabhängige Beziehung zu kategorisieren und Sklaven und Sklavinnen in ihrer Rolle als Akteure (slave agency) zu subjektivieren. In eine ähnliche Kerbe schlägt Nancy van Deusen mit ihrem jüngsten Buch über in-digene Sklaven aus der „Neuen Welt“, die nach Kastilien verschleppt worden waren. Durch die mikrohistorische und ethnographische Analyse von 127 Ge-richtsverfahren gelingt es ihr nicht nur, die individuellen Lebenswege dieser Sklaven und Sklavinnen nachzuzeichnen, sie verknüpft auch innovativ globale und lokale Dimensionen von Sklaverei.31 Darüber hinaus stellen die Werke van Deusens und Blumenthals neben wenigen Ausnahmen die einzigen englisch-sprachigen Arbeiten zum Thema dar.32

Neben dieser chronologischen und paradigmatischen Entwicklung der Sklavereiforschung fällt vor allem die regionale und lokale Zergliederung auf. Der Schwerpunkt liegt hier, infolge der großen Bedeutung für den kastilischen Sklavenmarkt, in Andalusien. Aufbauend auf den Arbeiten Franco Silvas gibt es mittlerweile für fast jede andalusische Stadt zumindest eine Fallstudie.33 Dabei weisen diese Aufsätze nahezu alle eine ähnliche Struktur auf. Anhand von Notariatsakten aus den lokalen Archiven werden statistisch Herkunft, Al-ter, Geschlecht, Namen, Preise und Besitzer der Sklaven katalogisiert, wobei sich die Ergebnisse nur in Nuancen unterscheiden. Was die Erforschung der übrigen Regionen Spaniens angeht, so beschränkt sich diese zwar auf einige wenige Studien; dass es im nördlichen Teil der Iberischen Halbinsel kaum Sklaven gegeben habe, gilt aber mittlerweile als widerlegt.34

Innerhalb der Sklavereiforschung nehmen Studien zur morisco- und indio-Sklaverei – die für die vorliegende Studie besonders relevant sind – eine Sonderrolle ein. Da die maurische Vergangenheit Spaniens stets ein virulenter Streitpunkt der spanischen Geschichtsschreibung war, ist auch die Geschichte der moriscos gut erforscht.35 Mit dem erstmals im Jahr 2010 publizierten Buch „Blood and Faith“ begeisterte Matthew Carr gar ein breites Publikum außerhalb

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9Einleitung

36 Carr (2017). Insbesondere der Bezug von Carrs Thesen zu heutigen politischen Entwick-lungen wurde von den Feuilletons sehr positiv aufgenommen. Vgl. die Rezension in der New York Times von Wheatcroft (2011). Die massenhaften Versklavungen während der guerra de Granada erwähnt Carr jedoch lediglich beiläufijig.

37 Lynch (1981); Ruiz Pérez (1991); Kamen (1997a); Sánchez Ramos (2000), S. 224–233. Bei Fernández Álvarez, der in seiner Biographie Philipps II. der guerra de Granada ein ganzes Kapitel widmet, fehlt hingegen jeglicher Hinweis auf die Versklavung der moriscos. Fernández Álvarez (1998), S. 455–466.

38 Martín Casares (1997, 2013); Benítez Sánchez-Blanco (2010); Garrido García (2000, 2001); Cabrillana (1975).

39 Eine von Joseph C. Miller zusammengestellte Bibliographie listet für die Zeit von 1900 bis 1996 500 Werke bezügliche der Sklaverei in den kastilischen Kolonialgebieten auf. Hier-von beschäftigen sich allerdings nur zwanzig explizit mit der indio-Sklaverei. Miller (1993/1999).

40 Lockhart (1983); Bethell (1984); Pietschmann (1994a); Pohl (1996); Eltis (2000); Wendt (2000); Edelmayer u. a. (2005); Maltby (2009); Elliott (2009); Bakewell (2010); König (2010). Im jüngsten Werk Henry Kamens fijinden sich immerhin zwei Seiten zur indio-Sklaverei. Kamen (2003), S. 124 f.; ebenso bei Konetzke (1965), S. 165–172.

41 Klein (1967); Blackburn (1997); Eltis (2000); Meissner u. a. (2008); Schmidt- Nowara (2011); Fradera/Schmidt-Nowara (2013). Im „Oxford Handbook of Slavery

der historischen Wissenschaft für die Geschichte der moriscos.36 Neben der allgemeinen Geschichte ist auch immer wieder die für diese Arbeit so zentrale guerra de Granada ein Thema. Zwar sind sich die Forscher und Forscherinnen über die massiven Versklavungen von moriscos während des Krieges einig, eine genaue Analyse der Funktionen der Sklaverei bleiben sie allerdings schuldig.37 Gegenüber diesen Gesamtdarstellungen sind auch einige einschlägige Veröf-fentlichungen über den Zusammenhang zwischen moriscos, Rebellion und Sklaverei erschienen, die die Alltagspraxis der Sklaverei anhand von Lokalstu-dien herausarbeiten, diese jedoch in keinen gesamtpolitischen Kontext stellen und ihre Quellenauswahl oft auf die bekannten Chroniken beschränken.38

Was die Erforschung der Versklavung der indigenen Bevölkerung Spanisch- Amerikas angeht, so fällt das Urteil ambivalent aus. Zunächst kann festge-stellt werden, dass die indio-Sklaverei im Schatten der starken Konzentration der Forschung auf die Plantagen- und negro-Sklaverei sowie anderer Formen der Zwangsarbeit – wie etwa der encomienda – steht.39 Entsprechend fijinden sich in den meisten Einführungen und Handbüchern zur Kolonialgeschich-te Spanisch-Amerikas meist nur sehr knappe oder keine Hinweise zur indio- Sklaverei.40 Auch in den zahlreichen Überblickswerken zur Sklaverei in den „beiden Amerikas“ bleiben die Hinweise zur indio-Sklaverei erstaunlich spär-lich. In der Regel wird sie höchstens einleitend erläutert und dient so als blo-ßes Scharnier zwischen der Sklaverei der „Alten Welt“ und der kolonialen Plantagensklaverei.41 Die Bedeutung der indigenen Sklaverei für die kastilische

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Einleitung10

in the Americas“ fijindet sich immerhin ein kurzer Artikel zur indio-Sklaverei, der aller-dings innerhalb des 800 Seiten starken Bandes lediglich sechs Seiten einnimmt. Gallay (2010).

42 Helps (1855–1861).43 Saco (1932, posthum).44 Rumeu de Armas (1969).45 Konetzke (1983, erstmals 1949); Zavala (1967); Sherman (1979); Mira Caballos

(1997); García Añoveros (2000); Lucena Salmoral (2002).46 Radell (1967); Jiménez (1986).47 Deive (1995); Aimes (1967).48 MacLeod (2008); Hanisch Espíndola (1991).49 Eine kleine Auswahl: Hanke (1959, 1965, 1974); Pagden (1988); Beuchot (1994); Gill-

ner (1997, 1998); Castillo Urbano (2000); Delgado (2002, 2007, 2011); Bordat (2006); Castro (2007); Brunstetter (2010, 2012).

Eroberung und Herrschaft wird so weitgehend marginalisiert und höchs-tens für die koloniale Anfangszeit anerkannt. Auf der anderen Seite ist die indio-Sklaverei auf der Basis der königlichen Gesetzgebung schon seit dem 19. Jahrhundert immer wieder Thema der Forschung gewesen. Den Anfang mach-te die monumentale, vierbändige Arbeit von Arthur Helps.42 In eine ähnliche Richtung gehen die beiden Bände José Antonio Sacos zu Sklaverei, reparti-

miento und encomienda43 sowie das Werk Rumeu de Armas zur indio-Politik Königin Isabellas44. Alle drei stellen noch heute wichtige Referenzen zur Er-eignisgeschichte der conquista und ihrer Verbindung zur Versklavung der in-

dios dar. Problematisch ist allerdings die offfenkundige Tendenz, die königliche Sklavereigesetzgebung von der Entdeckung der „Neuen Welt“ bis zur vermeint-lichen Abschafffung der indio-Sklaverei in den Leyes Nuevas zu verfolgen und in eine teleologische Fortschrittsgeschichte einzupassen, die letztlich „antiescla-vista“ gewesen sei (hierzu später mehr). In dieser Forschungstradition stehen überdies viele weitere Veröfffentlichungen zum Thema. Zu nennen wären etwa die bekannten Arbeiten Silvio Zavalas, Richard Konetzkes, García Añoveros, Mira Caballos, William Shermans und Lucena Salmorals.45 Hinzu kommen ei-nige teils wertvolle Regional- und Lokalstudien. Besonders hilfreich waren die Arbeit David Radells zum Sklavenhandel in der Provinz Nicaragua und die von Morella Jiménez zur indio-Sklaverei in Venezuela.46 Ferner das Werk Carlos Esteban Deives zu Hispaniola und das von Hubert Aimes zu Kuba47 sowie die Abhandlung Mudro MacLeods zu Zentralamerika und die von Hugo Hanisch Espíndola zu Chile.48 Eine weitaus größere Rolle spielt die indigene Sklave-rei darüber hinaus für Theologie- und Ideengeschichte, was letztlich auf die prominente Figur des Bartolomé de Las Casas zurückzuführen ist, hier aller-dings nur von untergeordneter Bedeutung sein wird.49 Letztlich wird deutlich,

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50 Vgl. einführend: Watson (1980); Miers (2003).51 Vgl. Bloch (1975); Godelier (1977). Weitere Beispiele wären: Hindess/Hirst (1975),

S. 109–177; Meillassoux (1975).

dass die Ereignisgeschichte der indio-Sklaverei zumindest für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts recht gut erforscht ist. Oft kommen die vorliegenden Ar-beiten jedoch nicht über eine überblickshafte Darstellung der königlichen Ge-setzgebung hinaus – was anhand der Quellenauswahl, die sich meist auf die ediert vorliegenden königlichen Verordnungen (reales cédulas) beschränkt, verständlich ist. Eine Verknüpfung des Themas mit der politischen Kulturge-schichte Spanisch-Amerikas, eine Analyse der mannigfaltigen Funktionen und Dysfunktionen der Sklaverei und der Rolle, die sie im zeitgenössischen politi-schen Diskurs spielte, steht folglich noch aus.

Wie die eingangs erwähnten Entwicklungen des internationalen For-schungsfeldes zeigen, besteht zunehmend Bedarf, neue, innovative Ansätze in die Sklavereiforschung zu integrieren. Dies gilt auch für die Sklaverei in Kasti-lien und Spanisch-Amerika. Während bereits einschlägige Veröfffentlichungen mit einer rechts-, sozial-, geschlechter- oder alltagsgeschichtlicher Perspekti-ve vorliegen, ist die politische Rolle der Sklaverei außerhalb der bloßen Ge-setzgebung bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Eine Arbeit, die mit einem praxisorientierten Ansatz die Funktionen der Sklaverei in einem po-litischen Konfliktfeld zwischen königlichem Hof und den Akteuren vor Ort analysiert, kann an die Entwicklungen der neueren Sklavereiforschung an-knüpfen. Nicht zuletzt ist in diesem Abschnitt auch der geographische Dua-lismus ( europäisch-mediterran und transatlantisch-kolonial) innerhalb der Geschichtswissenschaft aufgefallen; eine Kluft, die durch den hier forcierten Fokus auf die politische Konzeptualisierung der Sklaverei während der guerra

de Granada einerseits und der Versklavung der indios in der „Neuen Welt“ an-dererseits, überbrückt werden soll.

2 Zentrale Methodenfragen, Quellen und Begrifffe

Insbesondere seit den Achtzigerjahren halten Geschichtswissenschaft, Anth-ropologie und Soziologie ein kaum mehr zu überblickendes Theorieangebot zum historischen und aktuellen Phänomen der Sklaverei bereit.50 Die ein-zelnen Herangehensweisen stützen sich auf je unterschiedliche konstituti-ve Defijinitionsmerkmale, die sie der Sklaverei zuschreiben. Neomarxistische Deutungen etwa gründen ihre Überlegungen auf dem ökonomischen und pro-duktionsorientierten Aspekt der Sklaverei. 51 Die erzwungene Ausbeutung der

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52 Zimmern (1928). Interessant ist Zimmern vor allem deshalb, weil Norbert Elias seine Ausführungen zur Sklaverei in seinem wirkmächtigen „Prozess der Zivilisation“ auf die-sen stützt. Elias (1999), S. 78 f.

53 Tuden/Plotnicov (1970), S. 11. Ebenso betont der bekannte Althistoriker Moses I. Fin-ley den Besitzaspekt. Finley (1968), S. 307 f.

54 Patterson (1982), S. 5.55 Finley (1976), S. 819 f.56 Kopytoff/Miers (1977), S. 3–88.57 Vgl. Stollberg-Rillinger (2005), S. 13.58 Für beides gibt es gerade in der Geschichte der iberischen Reiche zahlreiche Beispiele.

Vgl. Moreno (1997); Blumenthal (2005).

Arbeitskraft stellte auch der Politologe Alfred Zimmern in den Mittelpunkt sei-ner Defijinitionsversuche.52 Wieder andere sehen den Eigentumsaspekt und die absolute Verfügbarkeit als das essentielle Konstitutiv der Sklaverei. Eine der bekanntesten Defijinitionen lautet nach Arthur Tuden und Leonard Plotnicov etwa: „We propose defijining slavery as the legal institutionalization of persons as property.“53 Einer der wohl wirkmächtigsten Ansätze stammt vom Soziolo-gen Orlando Patterson. Als konstituierendes Faktum der Sklaverei machte er den „sozialen Tod“ (social death) des Sklaven aus. In seinem Buch „Slavery and social death“ heißt es hierzu: „The slave, however recruited, [was] a socially dead person. Alienated from all ‚rights’ or claims of birth, he ceased to belong in his own right to any legitimate social order.“54 Der Althistoriker Moses I. Finley argumentierte ganz ähnlich: „The slave, in sum, was always an outsider in the fullest sense of that term, and that distinguishes slaves as a class from all other forms of involuntary labour.“55 Einen konkurrierenden Ansatz entwi-ckelten Igor Kopytofff und Suzanne Miers anhand präkolonialer Sklaverei in Afrika. Sie betonten vor allem die Integrationsleistung der Sklaverei. In einem „slavery-to-kinship-continuum“ würden die zunächst fremden Sklaven allmäh-lich in die aufnehmende Gesellschaft integriert.56 Diese Ansätze wurden zu-letzt von Kostas Vlassopoulus im Sinne der Kulturgeschichte des Politischen57 als zu essentialistisch für die neue, global orientierte Sklavereiforschung abge-lehnt. In der Tat ist es äußerst fraglich, wie sich etwa lineare Machtbeziehun-gen, wie sie eine Verabsolutierung des Eigentumsaspektes voraussetzt, mit der schon angesprochenen slave agency vertragen. Auch das Konzept des social

death stößt spätestens dann an seine Grenzen, wenn der Sklave in die Familie des Besitzers integriert wurde oder sich in religiösen Bruderschaften mit an-deren Sklaven zusammenschloss.58 Ansätze, die sich auf eine wie auch immer defijinierte Essenz der Sklaverei berufen, scheitern folglich oft an ihrem selbst formulierten universellen Anspruch. Gerade die Tatsache, dass die meisten

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59 Vgl. Füssel (2015), S. 30; Elias u. a. (2014), S. 7. Einleitend zu den theoretischen und me-thodischen Grundlagen der Praxeologie in der Geschichtswissenschaft siehe: Reichardt (2007); Nicolini (2012); Elias u. a. (2014); Brendecke (2015).

60 Graf (2008), S. 128.61 Vgl. Reichardt (2007), S. 48; Elias u. a. (2014), S. 4; Reckwitz (2015), S. 22 f.;

Brendecke (2015), S. 15.

Theorieangebote anhand der Plantagensklaverei im Antebellum South oder der griechisch-römischen Antike erarbeitet wurden, macht eine Übertragbarkeit auf die Sklaverei der iberischen Frühen Neuzeit äußerst schwierig.

Dieser sehr knappe Aufriss einiger bekannter traditioneller Sklavereitheori-en reicht bereits aus, um festzustellen, dass solche Herangehensweisen noch aus einem ganz anderen Grund nicht für die vorliegende Arbeit in Frage kom-men können: Ich betrachte die Sklaverei nicht primär als soziale Institution; nicht die versklavte Person an sich, ihre individuelle Leiderfahrung, die Arbeit, ihr marginaler Status oder die Beziehung zu ihrem Besitzer stehen im Fokus. Vielmehr begreife ich die Sklaverei in dieser Arbeit als ein kontextabhängiges politisches Instrument, über das zwischen den verschiedenen Fraktionen in unterschiedlichen Situationen verhandelt wurde. Dabei folge ich den neues-ten Entwicklungen der Sklavereiforschung zumindest ein Stück weit: Auch für mich sind die Praktiken der Sklaverei zentral. Allerdings nicht im Sinne einer slave agency, sondern aus der Sicht des politischen Handelns der Krone und der lokalen Akteure. Der sozialgeschichtliche und akteursorientierte Blick auf die versklavte Person wird so um eine politische Sphäre erweitert. Auf der an-deren Seite lässt sich der omnipräsente ideen- und rechtsgeschichtliche Hö-henkamm durch einen starken Praxisbezug unterlaufen. Die Sklaverei kann so als kontroverses und praxisrelevantes Thema in den zeitgenössischen politi-schen Debatten verorten werden und befijindet sich somit auf der Schnittfläche von juristisch-theologischem Diskurs und historischer Alltagspraxis. Im Ein-klang mit den jüngsten Überlegungen der Kultur- und Sozialwissenschaft bie-tet die Praxeologie allerdings auch mir keine theoretische Blaupause.59 Sie ist mir zunächst einmal begrifffliche und konzeptionelle Orientierung und – wenn man so will – durchaus die Anwendung „gesunden Menschenverstandes“60. Dabei erscheint mein Praxisbegrifff auf den ersten Blick trivial, aber dennoch nicht illegitim: Es geht um das Aufzeigen routinisierter Handlungsvollzüge historischer Akteure.61 Welche politischen und sozialen Praktiken standen in Bezug auf die Sklaverei abseits von theologischen und normativen Postula-ten zur Verfügung? Gerade angesichts der traditionellen Sklavereiforschung, die sich kaum vom teleologischen Druck des Abolitionismus befreien konn-te, bietet sich eine Verschiebung der Beobachtungsperspektive an, wie sie die

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62 Vgl. Elias u. a. (2014), S. 6; Füssel (2015), S. 29; Brendecke (2015), S. 13.63 Vgl. Brendecke (2015), S. 18. Zu der Problematik, dass die Frühe Neuzeit von der his-

torischen Forschung oftmals als für die Moderne vorbestimmend und gleichzeitig im Abgleich mit dieser als „defijizitär“ charakterisiert wird, siehe: Ebd.; ebd. (2013).

64 Vgl. Reichardt (2007), S. 44.65 Vgl. Braddick (2000); Meumann/Pröve (2004); Asch/Freist (2005); Freist (2005);

Brakensiek (2005); Reinhard (2005). Insbesondere da die Sklaverei ein stetes Objekt des politischen Aushandelns zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren und der Kro-ne war, werde ich immer wieder auf dieses Konzept zurückkommen.

66 Eine gute Übersicht gibt es bei: Emich u. a. (2005). Vgl. Koenigsberger (1971); Rein-hard (1979, 1996); Eisenstadt/Roninger (1980); Mączak (1988, 2005); Asch/Birke (1991); Martínez Millán (1992); Edelmayer (1999); Haug u. a. (2016).

67 Vgl. Redlich (1956); Jucker (2008, 2014); Kaiser (2008a); Carl/Bömelburg (2011); Deuchler (2015). Hierzu mehr in Kap. IV.

Praxeologie verspricht:62 Indem man den Blick von den Postulaten (etwa ei-nes Las Casasʼ oder der Leyes Nuevas von 1542) auf die Praktiken richtet, lässt sich die Gefahr vermeiden, in der Sklavereipolitik der Krone oder den theo-logischen Werken der Zeit rückwirkend nach vormoderner, abolitionistischer und moralisch-ethischer Pionierarbeit zu fahnden, was unweigerlich in einer ahistorischen Teleologie münden würde. Im Hinblick auf die königliche Skla-vereigesetzgebung etwa, die von der historischen Forschung oft auf abolitio-nistische Tendenzen reduziert wird, lassen sich auf diese Weise Widersprüche aufzeigen, die unter den normativen und theologisch-philosophischen Schich-ten verdeckt sind.63 Ein weiterer Vorteil des praxisorientierten Zugrifffs für die-se Studie betriffft die Verbindung von Mikro- und Makrogeschichte. Durch ihn lassen sich die langfristigen Entwicklungen der Sklaverei in der Frühen Neu-zeit mit ihren lokalen Praktiken verknüpfen.64 Ergänzend hierzu werde ich ei-nige andere methodische Ansätze immer wieder in die Arbeit integrieren, sie aber ebenso nicht zum theoretischen Dogma erheben: Ohne die bekannten Konzepte des politischen „Aushandelns“ (negotiation)65, der Patronage- und Klientelforschung66 und vor allem den neueren, ebenfalls praxeologischen Ansatz der Beuteökonomie67 ließe sich keine politische Geschichte der Skla-verei schreiben.

Entlang dieser Überlegungen galt es, entsprechend praxisnahes empirisches Material auszuwählen. Die meisten Veröfffentlichungen zur frühneuzeitlichen Sklaverei auf der Iberischen Halbinsel stützen sich auf Notariatsakten wie Kaufverträge, Testamente und Freilassungsurkunden, die zu hunderttausen-den in spanischen Archiven erhalten sind. Diese Dokumente geben Auskunft über die demographische Entwicklung der Sklaverei, über die verrichtete Arbeit der Sklaven und möglicherweise über den Grad der Integration des

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Sklaven in Haushalt und Gesellschaft. Weitere verbreitete Quellenbestände – insbesondere auch in Bezug auf die morisco- und indio-Sklaverei – sind Chro-niken und Werke zeitgenössischer Theologen und Juristen sowie Gesetzestex-te, wie die bekannten Siete Partidas (ca. 1265) oder die Leyes Nuevas (1542). Um jedoch einen möglichst genauen Fokus auf die politischen Prozesse der Sklaverei zu erhalten, bieten sich diese Art von Quellen nur bedingt an. Daher wurde die Suche nach geeigneten Quellen stark auf den Hof und den Indien- sowie Kastilienrat ausgerichtet. Es galt, nach praxisnahen Schriftstücken zu fahnden, die Einblick in die internen Debatten über Herrschaft und die Ver-handlungen zwischen Krone und lokalen Eliten, Soldaten, Siedlern und Kon-quistadoren gewähren und so Aufschluss über die politische Konzeptualisie-rung von Sklaverei geben können. Aus diesem Grund stehen die Schriftwechsel zwischen Krone und lokalen Akteuren im Mittelpunkt der Untersuchung. Auf der einen Seite sind dies Verordnungen, Gesetze und Briefe, die vom Hof an regionale und lokale Akteure gesandt wurden. Auf der anderen Seite stehen Briefe, Suppliken und Petitionen, Memoriale und Gutachten, die von lokalen Eliten, Konquistadoren, Söldnern und Siedlern an den Hof geschickt wurden und das Thema der Sklaverei behandeln. Hinzu kommen mit den sogenann-ten  consultas – Schriftstücke, die den König über die in den Ratsgremien disku-tierten Probleme informierten – Quellen, die Einsicht in die hofijinternen Ent-scheidungsprozesse erlauben können. Der quellenspezifijische Fokus liegt damit vor allem auf den beiden großen spanischen Archiven, dem Archivo General de

Simancas (AGS) und dem Archivo General de Indias (AGI). In beiden Archiven konnte eine Vielzahl einschlägiger Quellenfunde verzeichnet werden. Bezüg-lich der guerra de Granada und der Versklavung der moriscos befijinden sich die zentralen Quellenkorpora im AGS in den Abteilungen Consejo de Estado (Est), Guerra Antigua (GA) und Cámara de Castilla (CCA). Im Falle der Versklavung der indigenen Bevölkerung Spanisch-Amerikas liegen die wichtigsten Akten im AGI vor allem in den Abteilungen Patronato und Indiferente sowie in den Sektionen der verschiedenen Appelationsgerichtshöfe (audiencias). Darüber hinaus wurden Bestände der Real Academia de la Historia (RAH) und des Ar-

chivo Histórico Nacional (AHN) in Madrid und Toledo hinzugezogen. Für den Fall der indio-Sklaverei bieten sich ferner einige edierte Quelleneditionen an. In diesen unterschiedlichen colecciónes, die in erster Linie königliche Befehlsschreiben wie die Reales Cédulas sammeln, fijinden sich immer wieder Einzeltexte, die das Thema der Sklaverei berühren.68 Weitere wertvolle Quel-leneditionen sind darüber hinaus das „Epistolario de Nueva España“69 und die

68 Konetzke: Colección, Bd. 1; Codoin-e, Bde. 1–2; Cododes, Bde. 2–3; Codoin-2, Bd. 2.69 Paso y Troncoso: Epistolario, Bde. 1 und 4–7.

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70 Hanke (1976, 1978).71 Fernández de Oviedo y Valdés: Historia general; Díaz del Castillo: Historia ver-

dadera; Benzoni: History.72 Vgl. Macleod (2008), S. 50.73 Hurtado de Mendoza: Guerra. Als Nefffe und Wafffengefährte des Marqués de

Mondéjar – einer der Hauptprotagonisten des Krieges – verfügte Hurtado de Mendoza über eine hohe Detailkenntnis.

74 Ginés Pérez de Hita: Historia.75 Mármol Carvajal: Historia.76 Ebd.: Buch 5/Kap. 25 und 35; 6/3; 6/21; 6/30; 9/3; 10/6.77 Ebd., 5/32.

von Lewis Hanke herausgegebenen Bände über die Korrespondenzen und In-struktionen der Vizekönige.70 Neben den archivalischen Quellen stellen auch die zahlreichen zeitgenössischen Chroniken interessantes Material sowohl be-züglich der indios als auch der moriscos bereit. Für ersteren Fall wären etwa die berühmten Chroniken Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdésʼ, Bernal Díaz del Castillos oder Girolamo Benzonis zu nennen.71 Hier fijinden sich beispielsweise häufijig – selten objektive – Hinweise auf Beute- und Sklavenverteilungen aus erster Hand.72 Bezüglich der moriscos existieren drei einschlägige Chroniken. Erstens der zweite Band des dreibändiges Werkes Diego Hurtado de Mendoza y Pachecos, das posthum 1627 erschienen ist und durch seine Detailgenauig-keit aufffällt. Er erwähnt die Versklavungen zwar beiläufijig, scheint sie jedoch für eine Alltäglichkeit des Krieges gehalten zu haben, die wie die übrige Beute nicht im Detail erläutert werden musste. 73 Beim zweiten Chronisten handelt es sich um einen der bekanntesten Vertreter der Literatur des Siglo de Oro, Ginés Pérez de Hita74, der ebenfalls Kriegsteilnehmer war. Im Gegensatz zu den an-deren Chroniken hat dieser Text allerdings stark literarischen Charakter. Die dritte und aufschlussreichste Chronik stammt aus der Feder Luis del Mármol Carvajals75, der als Beobachter (veedor) an einer Kampagne des Krieges unter der Leitung Don Juan de Austrias teilnahm. Neben seiner exakten Schilderung der Kriegseinsätze und der politischen Hintergründe berichtet er an etlichen Stellen über die massenhaften Versklavungen, Plünderungen und die häufiji-gen Streitigkeiten zwischen Soldaten und der Truppenführung über den Um-gang mit den Gefangenen.76 Darüber hinaus widmet er den Debatten um die Rechtmäßigkeit der Versklavungen ein eigenes Kapitel.77 Insgesamt stellt die Chronik das relevanteste historische Schriftstück über die guerra de Granada dar. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wieder. So wirken zahlreiche der oben vorgestellten Arbeiten bezüglich der Ereignisgeschichte des Krieges über weite Strecken wie Nacherzählungen Mármol Carvajals. Dabei sollte nicht ver-gessen werden, dass er seine Chronik im Zuge des Legitimationsdiskurses über

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78 Vgl. Barletta (2007), S. 4.79 „Existe una indudable negación de las mujeres esclavas.“ Martín Casares (2000a), S. 45.80 Dies wird meist damit begründet, dass Hausarbeit eines der Hauptaufgabenfelder von

versklavten Personen gewesen sei. Hinzu kommen eine höhere Lebenserwartung von Frauen und die Möglichkeit der sexuellen Ausbeutung. Überschätzt wurde dagegen lange Zeit die Rolle der Natalität unter den Sklaven und Sklavinnen. Vgl. Lobo Cabrera (1993), S. 297 f.; Martín Casares (2000a), S. 250–255; ebd. (2000b), S. 55 f.; Períáñez Gómez (2006), S. 140 f.

81 Im Gegensatz zu subsaharischen Sklaven, bei welchen Frauen 47 Prozent ausmachten. Vgl. Martín Casares (2000a), S. 238.

82 Heers schreibt: „Les captifes de guerre, hommes surtout mais aussi femmes et enfants, ap-portaient dʼimportants contigents serviles.“ Heers (1981), S. 23. Hiergegen betont Martín Casares, dass „los cautivos de guerra son mujeres sobretodo.“ Martín Casares (2000a), S. 240.

die Ausweisung der moriscos im Jahr 1609 verfasst hat.78 Dementsprechend handelt es sich bei Mármol Carvajals Werk um eine Mischung aus historischen Fakten und einer mehr oder weniger unterschwelligen Rechtfertigung der kö-niglichen morisco-Politik und sollte somit kritisch gelesen werden.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle noch einige wenige technische und begrifffliche Dinge klären. Ein erster Punkt betriffft den Verzicht, den Skla-venbegrifff konsequent zu gendern. Entsprechend werde ich aufgrund der besseren Lesbarkeit und eines einheitlicheren Schriftbildes in überwiegender Mehrheit den Begrifff „Sklave“ anstelle von „Sklavin“ gebrauchen. Hierbei muss betont werden, dass die Geschlechtergeschichte schon seit den Neunzigerjah-ren mit Recht darauf hingewiesen hat, dass die historische Forschung den weib-lichen Aspekt der Sklaverei über lange Zeit verleugnet hat79, obwohl Frauen mehr als die Hälfte aller versklavter Personen ausmachten und auch Nachfrage und Kaufpreis höher waren.80 Gerade im Falle der morisco-Sklaverei stellten Sklavinnen mit 67 Prozent die Mehrheit.81 Die Aussage Jacques Heers, Kriegs-gefangene wären überdurchschnittlich Männer gewesen, gilt mittlerweile als entsprechend widerlegt.82 Darüber hinaus leistete die Geschlechtergeschich-te weit mehr als die bloße Sichtbarmachung der weiblichen Sklaverei. Sie er-öfffnete neue Perspektiven auf die Sklavenarbeit und die soziale Beziehung von versklavter und besitzender Person. Somit war sie maßgeblich daran be-teiligt, die Marginalisierung der iberischen Sklaverei zu relativieren. Die Ge-schlechterforschung war letztlich auch Wegbereiterin des populären Konzepts der slave agency. Es zeigt sich also, dass eine Studie, die sich mit Sklaven und Sklavinnen beschäftigt, nicht an einer Problematisierung dieser Thematik vor-beikommt. Dies sollte, wenn ich der Einfachheit halber von „Sklaven“ spreche,

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83 Vgl. Brendecke (2009), S. 29. Der bipolare Charakter der Begrifffspaare „Zentrum – Kolonie“ sowie „Zentrum – Peripherie“ ist auch im Hinblick auf neuere Überlegungen zu „polycentric monarchies“ problematisch. Vgl. Cardim u. a. (2012), S. 3–8. Wenn ich jedoch für Spanisch-Amerika hinsichtlich der Versklavung der indigenen Bevölkerung etwa von „Peripherie“ spreche, so möchte ich dabei nicht auf eine herrschaftstrukturierende oder staatsbildende Analysekategorie hinaus. Ich bezeichne auf diese Weise vielmehr kolonia-le Randgebiete, in denen die kastilische Herrschaft noch militärisch durchgesetzt werden musste und die aufgrund dessen als Sklavenlieferzonen gelten konnten.

stets mitbedacht werden, auch wenn mein Fokus nicht auf der slave agency liegt.

Zur Bezeichnung der versklavten Personen in der guerra de Granada und während der conquista werde ich die Quellenbegrifffe morisco-Sklave (esclavo

morisco) respektive indio-Sklave (esclavo indio) verwenden. Da diese Bezeich-nungen bereits für die Zeitgenossen einen stereotypisierenden Charakter hatten, werde ich sie durchgehend kursiv setzen. Andere häufijig verwen-dete spanischsprachige Begrifffe – etwa Audiencia, Casa de la Contratación oder Real Cédula – werde ich nach der Ersterwähnung als Fachbegrif-fe in den deutschen Text integrieren. Ausnahmen bleiben die meisten Amtsbezeichnungen – wie veedor oder procurador general – und Begrifffe, die spezifijische Praktiken beschreiben (zum Beispiel entrada, cabalgada, ar-

mada). Diese werde ich nach einer kurzen Erläuterung unübersetzt lassen und kursiv kennzeichnen. Der Einfachheit halber werde ich darüber hinaus den zeitgenössischen Begrifff für die neuentdeckten überseeischen Gebiete (las Indias) durch den Terminus „Spanisch-Amerika“ ersetzen. Ferner werde ich aus demselben Grund die kastilische Herrschaft meist als „kolonial“ be-zeichnen, obwohl es sich rein formalrechtlich um überseeisches Territorium der kastilischen Krone handelte und eben nicht um Kolonien.83 Quellenzita-te werden im Text ins Deutsche übersetzt, in der Fußnote jedoch im Original wiedergegeben.

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© VERLAG FERDINAND SCHÖNINGH, 2018 | doi 10.30965/9783506707123_003

1 Dieser schrieb 1576: „So wäre ich dafür, Sklaven ebenso wie Freien das Bürgerrecht zu ge-währen. Ist es nicht dreister menschlicher Hochmut, ja Frevel, seine eigene menschliche Herkunft zu vergessen und dieses von Gott geschafffene Wesen nach schmählicher Berau-bung seiner Freiheit nicht nur zu zwingen, einem nach eigener Willkür zu dienen, sondern es sogar zum Vieh hinzuzuzählen oder gar noch geringer achten zu wollen?“ Bodin: Sechs Bücher III, 8, S. 547.

II Grundlagen der iberischen Sklaverei

Im folgenden Kapitel sollen die Grundlagen des iberischen Sklavereisys-tems besprochen werden. Ich werde einleitend fragen, wie sich die Sklaverei zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit entwickelte. Wie bildeten sich die Legitimationsdiskurse heraus, auf die spätere Generationen rekurrieren konn-ten? Auf welche Ideen, Grundsätze und Rechtsvorstellungen stützte sich das System der frühneuzeitlichen Sklaverei? Um eine historische Einordnung der Sklaverei in den iberischen Kontext vorzunehmen, werde ich in einem zwei-ten Abschnitt einen Makroüberblick über die Entwicklung der Strukturen der Sklaverei sowie der Sklavenmärkte im Mittelmeerraum zwischen Mittelalter und Neuzeit geben und auf die zentralen Praktiken und Verfahren der Sklave-rei eingehen. Anhand der Praktiken, die zur Versklavung respektive Freilassung von Menschen zur Verfügung standen, sowie der wirtschaftlichen Bedeutung der Sklaverei soll gezeigt werden, wie stark die Sklaverei in der iberischen Ge-sellschaft der Frühen Neuzeit verankert war. Ohne einen Einblick in dieses Sys-tem, das sich über Jahrhunderte in den iberischen Reichen entwickeln konnte, wäre sowohl die Versklavung der indios als auch der moriscos unverständlich. Ferner möchte ich das Kapitel nutzen, um einige tradierte Narrative der Skla-vereigeschichte kritisch zu hinterfragen.

1 „Cautivo de buena guerra“ – Der theologisch-juristische Hintergrund der Sklaverei

Im Gegensatz zu Jean Bodin in Frankreich1 hat im iberischen Kontext kein Autor des 16. Jahrhunderts die Sklaverei in ihrer Grundsätzlichkeit kritisiert. Nichtsdestoweniger unterlag die Versklavung von Menschen stets einem si-tuativ abhängigen Legitimationsdruck, der die Basis für einen komplexen kanonistisch-juristischen und philosophischen Diskurs bildete. Sowohl die

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Grundlagen der iberischen Sklaverei20

2 Aristoteles: Politik 1254a.3 Fernández Álvarez (1998), S. 224; Martín Casares (2000a), S. 68; Domínguez Ortiz

(2003), S. 40 f. Diese Sichtweise fijindet sich etwa auch bei: Elliot (2009), S. 198.4 Aristoteles: Politik 1254b 20.5 Ebd., 1254a. Das aristotelische Konzept des „natürlichen Sklaven“ ist ein kaum mehr zu

überblickendes akademisches Streitthema. Dies liegt schon daran, dass es Aristoteles selbst offfenbar sehr schwer fijiel, den „natürlichen Sklaven“ überhaupt zu defijinieren. Vgl. Garn-sey (1996), S. 107–127; Brunt (1993), S. 343–381; Hermann-Otto (2009), S. 19–22; Allain (2002), S. 13. Später stellte Cicero die Idee einer „natürlichen Sklaverei“ in den Dienst des römischen Imperialismus. Hier fijindet sich auch das Motiv, die Sklaverei sei dann gerecht,

Frontstellung der iberischen Reiche mit den muslimischen Rivalen im Süden der Halbinsel, im Mittelmeer und in Nordafrika als auch die Entdeckung und Eroberung der atlantischen Inseln und der „Neuen Welt“ boten Anlass, das Ver-hältnis des Christentums zu sogenannten „Ungläubigen“ zu diskutieren. Die Debatten um die Rechtmäßigkeit von Krieg und Eroberung fremder Länder waren dabei stets eng mit der Diskussion um die Versklavungen ihrer Bewoh-ner verbunden. Um die komplexen Legitimationsmuster, auf die ich in spä-teren Abschnitten immer wieder verweisen werde, verständlich zu machen, werde ich im Folgenden die theologisch-philosophischen und juristischen Grundlagen der frühneuzeitlichen Sklaverei skizzieren. Da diese Thematik hier nicht umfassend analysiert werden kann, werde ich mich auf einige vor-moderne Autoren beschränken und anhand ihrer Texte die zentralen Punkte der Verbindung von Krieg, Eroberung und Sklaverei herausarbeiten.

1.1 Der „natürliche Sklave“Häufijig ist in der Fachliteratur zu lesen, die frühneuzeitliche Sklaverei beruhe auf der aristotelischen Idee des sogenannten „Sklaven von Natur“. Ausschlag-gebend hierfür sei die ab der Renaissance verstärkt einsetzende Rezeption des antiken Philosophen. Entsprechend sehen etwa Martín Casares, Domínguez Ortiz oder Fernández Álvarez in der Unterscheidung zwischen einem von Na-tur aus freien Menschen und einem Menschen, „der von Natur aus ein Sklave ist“2, einen zentralen Legitimationsaspekt.3 Nach Aristoteles ist der „natürliche Sklave“ in erster Linie mit dem nicht-griechischen Barbaren zu identifijizieren. Dieser zeichne sich vor allem dadurch aus, nicht vernunftbegabt zu sein. Le-diglich die Sklaverei würde es erlauben, dass der Barbar durch seinen Herrn an dessen Vernunft teilhaben könne.4 Weiter heißt es: „Der Sklave ist nicht nur Sklave des Herrn, sondern er gehört jenem überhaupt an. Wer nämlich von Natur aus nicht sich selbst gehört, sondern als Mensch eben einem anderen, der ist von Natur aus ein Sklave.“5 Die These der „natürlichen Sklaverei“ übte

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21Der theologisch-juristische Hintergrund der Sklaverei

wenn auch die versklavte Person hieraus einen – zum Beispiel erzieherischen – Nutzen ziehe. Cicero: Re Publica III, 36.

6 Zum aristotelischen Konzept des „Sklaven von Natur“ und wie es zur Legitimation der conquista instrumentalisiert wurde siehe: Pagden (1988), S. 27–57; Brunstetter (2012), S. 26–32.

7 Vgl. Hanke (1959), S. 14; Losada (1971), S. 300 f.; Fisch (1984), S. 227 f.; Delgado (2007), S. 366.

8 Palacios Rubios: Islas, S. 25–39. Vgl. Maxwell (1975), S. 59 f.; Fisch (1984), S. 228 f.9 Vgl. Brunstetter (2012), S. 50–53; Pagden (1988), S. 109–119; Maxwell (1975), S. 62 f.

und 82 f.10 Zur Biographie Sepúlvedas siehe: Fernández-Santamaria (1977), S. 163–169; Pietsch-

mann (1994b).11 Pietschmann (1987), S. 143–166, hier 144.12 Gillner (1997), S. 133; Bordat (2006), S. 79.13 Gillner (1997), S. 133. Auch nach Blackburn vertrat Sepúlveda einen „strenuous racism

and imperialist apologetics.” Blackburn (1997), S. 151.14 Bordat (2006), S. 54.

durchaus Einfluss auf einige frühneuzeitliche Autoren aus.6 So verwendete der einflussreiche schottische Moraltheologe John Major (1470–1550) bereits 1510 eine von ihm postulierte natürliche Inferiorität der indigenen Ethni-en als Grundlage des Rechtes der kastilischen Krone, die „Neue Welt“ zu er-obern.7 Durch die Rezeption Majors seitens des kastilischen Gelehrten Juan López de Palacios Rubios (1450–1527) im Zuge der Debatten um die Gesetze von Burgos (1512) fanden dessen Ideen Eingang in den kastilischen Diskurs um die Rechtmäßigkeit der conquista.8 Zu beachten ist jedoch, dass mit die-ser Argumentation keineswegs die faktische Versklavung der indios impliziert wurde. Vielmehr wurde sie dazu verwendet, die conquista der „Neuen Welt“ generell zu legitimieren. In der Denktradition des „natürlichen Sklaven“ wird in der Regel auch Juan Ginés de Sepúlveda (1490–1573) verortet.9 Der offfijiziel-le päpstliche Übersetzer des Aristoteles, spätere Hofchronist Karls V., Erzieher Philipps II.10 und nach Pietschmann „Buhmann der Menschheitsgeschichte“11, gilt in der Forschung meist als Musterbeispiel für die Rechtfertigung der In-feriorität der indios und deren Unterdrückung. In Abgrenzung zum Domini-kanerpater Bartolomé de Las Casas (1484/85–1566) wird ihm von Theologie und Rechtsgeschichte mitunter ein „europäischer Ethnozentrismus“12, ein „rassisches Überlegenheitsgefühl“13 und „europäische Arroganz“14 attestiert. Auf der anderen Seite wurde diese anachronistische Verdammung Sepúl-vedas angeprangert: Castillo Urbano etwa betont zwar Sepúlvedas Zivilisa-tionskonzept, aus dem eine „natürliche Inferiorität“ der indios hervorgehe. Hieraus ergebe sich aber lediglich ein temporäres Herrschaftsverhältnis, das

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Grundlagen der iberischen Sklaverei22

15 Castillo Urbano (2000), S. 43–48.16 Quirk (1954), S. 357–361; Pietschmann (1987), S. 163–165; Jáuregui/Restrepo (2008),

S. 110; Brunstetter (2012), S. 57.17 Sepúlveda: Democrates Segundo, S. 20.18 Eine gute Übersicht über das Verhältnis von Sklaverei und Naturrecht fijindet sich bei:

Weigand (1967), S. 64–78 und S. 259–283. Vgl. Allain (2002), S. 12.19 So etwa in den Digesten bei Florentin: „Servitus est constitutio iuris gentium, qua quis

dominio alieno contra naturam subicitur.“ Dig. 1, 5, 4 pr. (Florentin), ediert in: CRRS I, S. 42. Ebenso bei Ulpian: „Cum iuri naturali omnes liberi nascerentur.” Dig. 1, 1, 4 (Ulpian), ediert in: Ebd., S. 40. Später betont Ulpian noch einmal: „Quod ad ius naturali attinet, omnes homines aequales sunt.” Dig. 50, 17, 32 (Ulpian), ediert in: Ebd., S. 80. Vgl. Allain (2002), S. 9 f. Auch für die Sophistik (5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) galt die naturrechtliche Gleichheit aller Menschen einschließlich der „Barbaren“. Antiphon schreibt etwa: „Denn von Natur aus sind alle in jeder Hinsicht gleich, ob Barbaren oder Hellenen.“ Zit. nach: Capelle (2008), S. 308.

20 Corpus iuris Canonici. Pars I. Decretum Gratiani.

nicht zu Unterdrückung und Versklavung der indigenen Bevölkerung berech-tigt habe. Darüber hinaus sei der Begrifff „servus“ in Sepúlvedas Gesamtwerk nicht als „Sklave“ zu verstehen, sondern als „Untergebener“. Sepúlveda habe die indios demnach in keinem Fall als „Sklaven von Natur“ betrachtet.15 Auch Quirk, Pietsch mann, Jáuregui und Brunstetter folgen dieser Argumentation.16 Sepúlveda selbst grenzt einen juristischen Sklavenbegrifff von einem philoso-phischen ab: Ersterer stehe für einen Sklaven, der nach dem Völker- oder Zi-vilrecht durch einen anderen Mensch besessen wird. Der philosophische Skla-venbegrifff, den er auf die indios angewendet wissen will, basiert dagegen nicht auf einem Besitzverhältnis. Gemeint ist eher eine naturrechtlich begründete Herrschaft des Perfekten über das Imperfekte, mit dem Ziel der Zivilisierung der indios.17 Sepúlveda rechtfertigt somit die Eroberung der „Neuen Welt“, nicht jedoch die Versklavung ihrer Bewohner per se. Das Konzept des „natürli-chen Sklaven“ spielte folglich schon bei ihrem vermeintlich bekanntesten ibe-rischen Vertreter nicht die Rolle, die ihr von der Forschung oft zugeschrieben wurde. Es diente zur Legitimation von Eroberung und Herrschaft, ist aber nicht mit einem Recht auf die faktische Versklavung von Menschen zu verwechseln.

Dass die Bedeutung des Konzeptes des „natürlichen Sklaven“ nicht über-schätzt werden sollte, zeigt auch ein Blick auf das römische und kanonische Recht, deren Rezeption durch die Legisten und Dekretisten des hohen Mittelal-ters die Basis der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaften bildete.18 Im Corpus

Iuris Civilis sowie bei den Glossatoren des hohen Mittelalters gilt der Mensch auf der Grundlage des Naturrechts als frei geboren.19 Ähnliches gilt für das kanonische Recht: Während Gratian kaum auf diese Problematik eingeht20,

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23Der theologisch-juristische Hintergrund der Sklaverei

21 Vgl. Weigand (1967), S. 264.22 Ius gentium wird häufijig missverständlich mit „Völkerrecht“ übersetzt. Um einer Ver-

wechslung mit dem modernen Völkerrecht zu vermeiden, ist eine Übersetzung mit dem deutschen Begrifff „Völkergemeinrecht“ geeigneter. Ius gentium oder „Völkergemeinrecht“ bezeichnet ein Recht, das bei allen Völkern in Geltung ist: „Ius gentium est, quo gentes humanae utuntur quod a naturali recedere facile intellegere licet, quia illud omnibus ani-malibus, hoc solis hominibus inter se commune sit.“ Dig. 1, 1, 1, 4 (Ulpian). Vgl. Weigand (1967), S. 8 f.; Wieling (1999), S. 2 f.

23 Nach Genesis 9, 21–27 verfluchte Noah seinen Sohn Ham, nachdem dieser ihn in betrun-kenem Zustand nackt gesehen hatte. Der Fluch bezieht sich auf Hams Sohn Kanaan, der zu ewiger Sklaverei verdammt wurde. Vgl. hierzu sowie zur Rezeption des Fluches in Mit-telalter und Neuzeit: Whitford (2009); Goldenberg (2003); Haynes (2002); Braude (2002).

24 Vgl. Weigand (1967), S. 274.25 „Doch ist von Natur, wie Gott den Menschen anfangs schuf, niemand eines Menschen

oder der Sünde Knecht.“ Augustinus: Vom Gottesstaat 19, 15. Vgl. Garnsey (1996), S. 206–219; Maxwell (1975), S. 35.

26 „Q[uod] hunc hominem esse servum, absolute considerando, magis q[uam] aliu[m], non habet rationem naturalem, sed solum secundu[m] aliquam utilitatem consequentem.” Aquin: Summa, II-II, quaes. LVII, a. III. Vgl. Mensching (2005), S. 127 f.

fijinden sich bei den Dekretisten zahlreiche Ausführungen zur naturrechtlichen Freiheit aller Menschen.21 Dass die Sklaverei – wie auch schon im Alten und Neuen Testament – dennoch eine rechtmäßige Institution war, begründeten Legisten und Dekretisten auf unterschiedliche Weise. In den meisten Fällen versuchten sie, die Sklaverei mit der naturrechtlichen Freiheit aller Menschen zu harmonisieren, indem sie darauf verwiesen, dass das Naturrecht in diesem Punkt von einem „Völkergemeinrecht“22 (ius gentium) abgelöst worden sei. In kanonistischer Argumentation wurde dies häufijig noch damit verknüpft, dass Gott die Sklaverei als Strafe für menschliche Sünden – insbesondere seit dem Fluch Noahs über seinen Sohn Ham23 – eingeführt habe.24 Eine ähnliche Recht-fertigung der Sklaverei fijindet sich beim Kirchenvater Augustinus von Hippo (354–430), der zentralen Autorität für die hochmittelalterliche Scholastik. Auch er vertrat die Ansicht, dass der Mensch durch die Gottesebenbildlichkeit von Natur aus frei sei. Erst der Sündenfall Adams hätte zu jenem Zustand ge-führt, der Besitz, Herrschaft und Sklaverei überhaupt ermöglichte.25 In seiner „Summa Theologica“ legte auch Thomas von Aquin (1225–1275) in Anlehnung an römisches Recht dar, dass die Grundlage der Sklaverei nicht das göttliche respektive das natürliche, sondern das von den Menschen geschafffene positive Recht sei. Demnach sei die Sklaverei eine akzidentelle, zweckmäßige Institu-tion, die dem Wohl des bonum commune diene, aber keinesfalls naturgegeben sei.26 Durch das sklavische Abhängigkeitsverhältnis profijitiere nicht nur der

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Grundlagen der iberischen Sklaverei24

27 Vgl. ebd., S. 117–129.28 „Servitus est contra primam intentionem naturae, sed non est contra secundam, quia na-

turalis ratio ad hoc inclinat et hoc appetit natura ut quilibet sit bonus. Sed ex quo aliquis peccat, natura etiam inclinat ut ex peccato poenam reportet; et sic servitus in poenam peccati introducta est.“ Aquin, Summa, II-II, LII, a. I, ad. 2. Vgl. Scattola (2007), S. 322; Maxwell (1975), S. 47.

29 „Non sunt amentes, sed habent pro suo modo usum rationis.“ Vitoria: De Indis I, I, 15.30 „Sine dubio barbari erant publice et privatim ita veri domini, sicut Christiani.” Ebd. 1,

25. Vgl. Castro (2007), S. 30; Brunstetter (2012), S. 36 f.; Killoran (1987), S. 94 f.; Muldoon (1979), S. 144 f.; Fisch (1984), S. 170.

31 Insbesondere die Deklaration zum Sklavereiverbot durch Königin Isabella von 1501, die Gesetze von Burgos (1512), die päpstliche Bulle „Sublimis Deus“ (1537) und letztlich die Leyes Nuevas (1542) zeigen deutlich, dass das aristotelische Konzept „des Sklaven von Na-tur“ bezüglich der frühneuzeitlichen Sklaverei kaum Anwendung fand. Vgl. Van Deusen (2015), S. 3.

32 So die Leyes de Toro von 1504 und die Nueva Recopilación aus dem Jahr 1567.

Herr, sondern auch der Sklave, da er als eine Art Schutzbefohlener dem stärke-ren und klügeren Herrn unterstehe.27 Allerdings, so schränkt Thomas ein, ver-stoße die Sklaverei nur gegen eine erste Bestimmung des Naturrechts, die von einer zweiten relativiert werde. Diese zweite Absicht der Natur sehe vor, dass ein Mensch, der gegen die natürliche Vernunft handele, mit Sklaverei bestraft werden könne.28 Ebenso verneinte der wohl einflussreichste iberische Theo-loge seiner Zeit, Francisco de Vitoria (1483–1546), dass die indios „Sklaven von Natur“ seien. Vielmehr seien alle Menschen als „Abbilder Gottes“ vernunft-begabt: „Sie [sind] in Wirklichkeit nicht vernunftlos […], sondern [ befijinden] sich auf ihre Weise im Gebrauch der Vernunft.“29 Vitoria erkannte so auch das dominium der indios – also die rechtmäßige Herrschaft über sich selbst und ihr eigenes Land – an.30 Die Meinung Vitorias entsprach letztlich dem vor-herrschenden zeitgenössischen Verständnis, das indios als vernunftbegabte Menschen begrifff. Die Ablehnung, indios als „natürliche Sklaven“ zu betrach-ten, schlug sich letztlich – wie später ausführlicher gezeigt werden wird – auch in der königlichen Sklavereipolitik nieder.31

Auch die berühmten Siete Partidas, die unter der Herrschaft Alfonso X., el

Sabio, in den Jahren 1251 bis 1265 entstanden und durch ihre Folgewerke32 auch im 16. Jahrhundert noch Gültigkeit besaßen, verwarfen die Idee eines „Sklaven von Natur“:

Sklaverei ist der Status und die Institution, welche die Völker der Antike für solche Menschen eingerichtet haben, die von Natur aus frei waren, aber entgegen der natürlichen Vernunft zu Sklaven gemacht wurden. […]

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25Der theologisch-juristische Hintergrund der Sklaverei

33 „Servidumbre es postura é establecimiento que fijizieron antiguamente las gentes por la qual los omes que eran naturalmente libres, se fazen siervosé se meten à señorío de otro, contra razón de natura. [...] Fue establecida por los emperadoreS. Ca antiguamente todos cuantos cativavan, mataban. Mas los Emperadores tuvieron por bien y mandaron que los non matassen, mas que los guardasen y se sirviesen dellos.“ Siete Partidas IV, XXI, I.

34 Scattola (2007), S. 313.35 Vgl. Doerig (1966), S. 337–361; Allain (2002), S. 12 f.36 „The conclusions at which the Spanish school arrived are obviously implicit in twelfth-

century canonists with explicit elaborations in the fourteenth an fijifteenth centuries.” Mattingly (1964), S. 246.

Dies wurde durch die Kaiser eingerichtet. Früher wurden alle getötet, die gefangen genommen wurden. Aber die Kaiser beschlossen Besseres und befahlen, dass diese nicht getötet werden, sondern dass sie dienen sollen.33

Sklaverei wird explizit als eine Institution beschrieben, die der natürlichen Ordnung widerspricht. Wie so oft fußen die Siete Partidas auch hier auf dem oben angesprochenen römischen Recht, das die naturrechtliche Freiheit der Menschen vorsah.34 Legitimiert wird die Sklaverei vielmehr durch die Autori-tät der römischen Kaiser sowie durch das Argument des minus malus, das die Sklaverei als geringeres Übel im Vergleich zur Todesstrafe beschreibt.35 Dieser Punkt wird unter dem Namen „alternativa a la muerte“ in den Debatten um die Versklavung der moriscos und indios zentral sein.

Im Zuge der Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Herrschaft der Kasti-lier über die „Neue Welt“ wurde immer wieder die geistige oder zivilisatori-sche Rückständigkeit der indigenen Bevölkerung proklamiert. Um jedoch die Versklavung anderer Menschen zu rechtfertigen, eignete sich das berüchtigte Konzept des „Sklaven von Natur“ nur bedingt. Zwar war die Sklaverei im römi-schen und kanonischen Recht durchweg erlaubt. Dies geschah allerdings nicht auf der Basis der aristotelischen „Natürlichkeit der Sklaverei“. Im Gegenteil zeigt eine Lektüre der wichtigsten mittelalterlichen Kanonisten, dass „Ungläu-bigen“ sogar ein unbestreitbares Recht auf Herrschaft zugeschrieben wurde.

1.2 Naturrecht und dominium – mittelalterliche Grundlagen des frühneuzeitlichen Kirchenrechts

Vitoria, Las Casas und andere frühneuzeitliche Autoren wurzelten in der Geisteswelt des Mittelalters. Nach Garrett Mattingly fijinden sich die zentralen Denkfijiguren der „spanischen Schule” der Frühen Neuzeit bereits in der Kano-nistik des 12. Jahrhunderts.36 Auf dieser These der Kontinuität von mittelal-terlichem und frühneuzeitlichem Denken aufbauend, datiert die Forschung