Die Zeit: »Da muss man doch dabei sein«

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  • 8/8/2019 Die Zeit: Da muss man doch dabei sein

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    14. Oktober 2010 DIE ZEIT No 42 13

    Da muss man doch dabei seinTrotz aller Affren: Die Rechtspopulisten haben in sterreich selbst Jrg Haider berlebt und triumphieren in Wien VON JOACHIM RIEDL

    W

    Die Luft ist stickig im Festzeltneben dem Wiener Rathaus.Zigarettenqualm, Bierdunst,verschwitzte Gesichter. Dis-comusik wummert aus den

    Lautsprechern. Lngst darf niemand mehr indas berfllte Zelt. Mit Konfettikanonen imAnschlag wartet eine Gruppe von Wahlhelfernauf den Triumphator, der jede Minute zu derSiegesfeier stoen soll.

    Gleich vorn bei der Bhne sitzt ein ltererArbeiter in grner Strickjacke an einem derBiertische. Da muss man doch dabei sein,agt er strahlend in schwerer alpenlndischer

    Mundart und erzhlt, dass er 200 Kilometeraus der Steiermark angereist sei, um diesenAugenblick nicht zu verpassen. Vor ihm liegtein Stapel Ansichtskarten der Walzerstadt. Aufede schreibt er die immer gleiche Freudenbot-chaft an die Kameraden daheim in der Pro-

    vinz: Wien, 10. 10. 2010. Wir haben riesiggesiegt! Gleich kommt der HC.

    Unvermittelt drhnt der aufpeitschendeSchlusschor aus der Kantate Carmina BuranavonCarl Orff. Er ist die neue Erkennungsmelodie desfreiheitlichen Parteifhrers Heinz-Christian Stra-che, den Freund und Feind nur mit den Initi aleneines Vornamens rufen. Jubel brandet auf, Wol-

    ken blauer Papierschnitzel regnen auf die Menge,

    mhsam bahnt sich der 41-jhrige Anzugtrgereinen Weg durch seine Anhnger im Partyzelt. Wien hat gewhlt, und Strache ist es an

    diesem Abend gelungen, seine Partei, dierechtspopulistische FP, wieder zu alter Grezu fhren: in jene Hhen der Whlergunst, dieie bereits einmal vor zehn Jahren erklommen

    hatte, bevor sein verstorbener Vorgnger JrgHaider die eigene Partei auseinandersprengte.27 Prozent der Wiener, doppelt so viele wienoch vor fnf Jahren, stimmten am vergange-nen Sonntag bei der Wahl in der Hauptstadtfr einen Barrikadenredner, der eigentlich nurein Thema kennt: die Angst vor berfrem-dung, vornehmlich jener durch Muslime.

    Auslnderalarm lautete einst auch das Er-folgsrezept fr die Siegesserie des Populismus-

    Pioniers Haider. Doch in Ton und Inhalt, schrillund hetzerisch, bertrifft Strache sein Vorbildbetrchtlich. Wortgewaltig kmpft er gegen dieErrichtung von Minaretten, in denen er Sie-geszeichen des Islam ber das Christentum er-kennen will selbst wenn sich nirgendwo auch

    nur ein Gebetstrmchen in Planung befindet.Er beschwrt den Kollaps aller sozialen Errun-genschaften, die von fremdlndischen Schma-rotzern ausgeplndert wrden. Er beklagt dasvollkommene Scheitern aller Integrationsbem-hungen und rief den Belagerungszustand in ei-ner Stadt aus, die keine Ghettoisierung kenntund die wenig, verglichen mit anderen europi-schen Grostdten, unter der Ausbreitung vonParallelgesellschaften leidet. Allein er und seinesoziale Heimatpartei knnten unser schnes

    Wien noch vor dem Verfall bewahren, predigteer in seinem Dauerwahlkampf.

    Mit diesem apokalyptischen Mantra, das be-vorzugt in Reimen unters Volk gebracht wird(Mehr Mut / fr unser Wiener Blut), punkteteder gelernte Zahntechniker vor allem in dengroen Stadtrandbezirken, in denen der Anteil anBewohnern mit Migrationshintergrund deutlichunter dem Wiener Durchschnitt liegt. Aktuellgehren 35,8 Prozent der Wiener zu der erstenoder zweiten Generation von Zuwanderern.

    Gerade dort allerdings, wo nur vergleichs-weise wenige Auslnder leben, in den grofl-

    chigen Wohnbezirken nordstlich der Donauetwa, kam die Angstbotschaft an. Offensicht-lich, so die Analyse der Meinungsforscher, be-frchte ein wachsender Teil der Bevlkerung,aus seinem kleinbrgerlichen Idyll vertriebenzu werden, in dem bislang alle Dinge des All-tags von einer omniprsenten Stadtverwaltunggeregelt wurden. Nun fhlen sich Brger be-reits durch kleine integrative Bemhungen ge-strt, mit denen sich die Stadt an die Normali-tt einer multikulturellen Gesellschaft anzun-hern versucht. Wenn beispielsweise hier und daeine auslndische Familie eine Wohnung erhlt,wo sonst fast nur sterreicher wohnen.

    Diese Viertel mit einem hohen Anteil an f-fentlichen Wohnsiedlungen, den in Wien sprich-wrtlichen Gemeindebauten, gelten als die Hoch-

    burgen der Sozialdemokraten. Die haben zwarihre absolute Mehrheit eingebt, werden aberauch in den nchsten fnf Jahren die Stadt re-gieren. In den vergangenen Wahlkampfmonatenhatte die Partei von Brgermeister Michael Huplsich groe Mhe gegeben, die ngste der Bevl-

    kerung zu zerstreuen, indem sie stndig stdtischeOrdner in ihrem angestammten Revier auf Pa-trouille schickte. Der Erfolg blieb aus. Wie schonzu den Hochzeiten von Jrg Haider wechseltendiese sozialdemokratischen Whler in Scharen zuden freiheitlichen Herausforderern.

    Ihre wiedererstarkte Position nutzt der FPallerdings vorlufig wenig. Noch will niemandmit den Schmuddelkindern der sterrei-chischen Politik ein Bndnis eingehen. Siebleiben weiterhin auf ihre Rolle als Fundamen-talopposition beschrnkt. Eine Koalition, wiesie vor zehn Jahren der konservative Parteichef

    Wolfgang Schssel von der sterreichischenVolkspartei mit Jrg Haider gewagt hatte,scheint derzeit noch in weiter Ferne.

    Vor allem auch deshalb, weil sich die Parteiunter Strache heute wieder als das Auffangbeckenehemaliger Nationalsozialisten auffhrt. Zwi-schenzeitlich abgelegt, dominieren besonders beiden Wiener Freiheitlichen vlkische Ideologen,die groteils schlagenden Burschenschaften ent-stammen. Strache ist der Anfhrer dieses strammrechten Gesinnungstrosses. Zwar wird ihm mit

    einem effekthascherischen Fhrerkult gehuldigt,doch gleichzeitig belcheln die tonangebendenParteifunktionre den Nichtakademiker.

    Bei der freiheitlichen Siegesfeier in der WienerInnenstadt beobachteten die zernarbten Banner-trger der Partei zufrieden, wie ihnen neue An-hnger aus einem Milieu zustrmten, das tradi-tionell nicht zu ihrer Mnnerbndelei gehrt.Kommentatoren in Wien befrchten indes bereits,bei der nchsten Wahl knnte der neue starkeMann in sterreich Heinz-Christian Stracheheien, wenn nicht einmal ein versierter Wahl-kampfprofi wie der Wiener Brgermeister Huplihn stoppen kann. Den Anspruch auf den Br-germeisterposten hatte Strache schon vor Jahrenerhoben. Damals klang das grenwahnsinnig.Nach dem Triumph vom Sonntag nicht mehr.

    HC im Partyzelt:Heinz-Christian

    Strache, der Parteichefder FP, feiert

    mit Anhngern nachder Wahl

    Foto:Dieter

    Nagl/AFP/GettyImages

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