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Digitale Transformation der Arbeitswelt Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zukünftigen Arbeitswelten Die Wirtschaftspsychologie Felix C. Brodbeck · Erich Kirchler · Ralph Woschée Hrsg. Cornelia Gerdenitsch Christian Korunka

Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

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Digitale Transformation der ArbeitsweltPsychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zukünftigen Arbeitswelten

Die WirtschaftspsychologieFelix C. Brodbeck · Erich Kirchler · Ralph Woschée Hrsg.

Cornelia GerdenitschChristian Korunka

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Die Wirtschaftspsychologie

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Die Buchreihe Die Wirtschaftspsychologie informiert – praxisorientiert und wissenschaftlich fundiert – über aktuelle Themen aus dem beruflichen und wirtschaftlichen Alltag. Experten aus den Teilgebieten der Wirtschaftspsycho-logie (Arbeits- und Organisationspsychologie, Personalpsychologie, Markt- und Konsumentenpsychologie, Ökonomische Psychologie) verbinden in themen-spezifischen Einzelbänden praktische Relevanz mit wissenschaftlichem Rigor. Jeder Einzelband gibt Einblick in aktuelles psychologisches Wissen zur Beant-wortung praxisorientierter Fragen.Von Interesse sind die Einzelbände der Reihe für Arbeitnehmer, Manager und Betriebsräte sowie Marketingfachleute gleichermaßen, in privaten und öffent-lichen Unternehmen und der staatlichen Verwaltung, insbesondere auch für HR und Personalverantwortliche, Unternehmens- und Personalberater sowie Young Professionals und Studierende verschiedener berufsqualifizierender Fachgebiete, zum Beispiel BWL, VWL, Wirtschaftspsychologie, Erwachsenen-bildung, Ingenieurswesen …In leicht verständlicher Sprache wird auch Lesern ohne psychologische Grund-kenntnisse ein kurzweiliger und kompetenter Einblick in verschiedene Themen-gebiete geboten, mit Verweisen auf weiterführende Quellen.

Bereits erschienen:Werther, Jacobs, Organisationsentwicklung – Freude am ChangeBrodbeck, Internationale Führung – Das GLOBE-Brevier in der PraxisDiefenbach, Hassenzahl, Psychologie der nutzerzentrierten Produktgestal-tung – Mensch-Technik-Interaktion-ErlebnisMühlbacher, Zieser, Die Psychologie des SteuerzahlensReif, Spieß, Stadler, Effektiver Umgang mit Stress – Gesundheitsmanagement im Beruf

Weitere Bände in Vorbereitung:Stark, Kirchler, Entscheidungen (Arbeitstitel)Florack, Psychologische Strategien in Marketing und Werbung (Arbeitstitel)Watian, Coaching-Management in Organisationen (Arbeitstitel)

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Cornelia Gerdenitsch Christian Korunka

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Die WirtschaftspsychologieISBN 978-3-662-55673-3 ISBN 978-3-662-55674-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-55674-0

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Infor-mationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder im-plizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Planung und Lektorat: Marion Krämer, Martina Mechler

Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature.Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Cornelia GerdenitschAustrian Institute of Technology GmbHWien, Österreich

Christian KorunkaUniversität WienWien, Österreich

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Vorwort

In diesem Buch werden Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt thema-tisiert. Es soll verdeutlichen, dass dabei grundsätzliche Arbeitsstrukturen und Arbeits-weisen betroffen sind, und daher bei der Gestaltung von Arbeit zahlreiche veränderte Bedingungen zu beachten sind. Dies beinhaltet eine Veränderung von Arbeitszeit-strukturen, eine Veränderung von Arbeitsinhalten bis hin zu einer Zusammenarbeit mit intelligenten Technologien. Im Grunde genommen sind wir hier mit einem ra-dikalen Wandel konfrontiert, welcher Organisationen sowie die Gesellschaft prägt.

Ziel dieses Buches ist es ein solides Verständnis über die digitale Transformation der Arbeitswelt und deren Folgen aus einer arbeitspsychologischen Perspektive zu vermitteln. Es werden etablierte theoretische Ansätze sowie Ergebnisse wissenschaft-licher Studien dargestellt. Um diese zu verdeutlichen, finden sich im Buch auch zahl-reiche Praxisbeispiele. Fragen und Praxisübungen regen zur weiteren Reflexion an.

In ▶ Kap. 1 wird in einem ersten Schritt konkretisiert, was unter dem vielzitierten Wandel in der Arbeitswelt verstanden wird. Es beschreibt die zugrundeliegenden Entwicklungen wie Digitalisierung, Automatisierung und Individualisierung und daraus resultierende neue (flexible) Arbeitsmodelle sowie neue Anforderungen an Arbeitsumgebungen. Darauf aufbauend fokussiert sich ▶ Kap. 2 auf die Besonder-heiten von digital transformierter Wissens- und Industriearbeit.

Nach der Beschreibung von Entwicklungen und Besonderheiten ist in ▶ Kap. 3 die konkrete Gestaltung von Arbeitsumgebungen das Thema. Es wird auf moderne Arbeitsplatzkonzepte und neueste Technologien eingegangen. Das Kapitel wird von den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien für Gestaltung von Arbeitsumgebun-gen für WissensarbeiterInnen, z. B. aktivitätsbasierte flexible Büroumgebung oder Coworking Spaces, sowie für Arbeitende in der digitalisierten Produktion, wo z. B. Roboter und virtuelle bzw. erweiterte Realitäten Anwendung finden, getragen. In den Bereichen ohne existierende wissenschaftliche empirische arbeitspsychologische Studien werden verschiedene Szenarien anhand etablierter Theorien skizziert.

In ▶ Kap. 4 werden praktische Empfehlungen für die Gestaltung von Arbeitswel-ten, mit besonderem Fokus auf das Thema Führung, formuliert. Außerdem werden Empfehlungen für das Management und die Organisationsentwicklung gegeben sowie gesellschaftliche Implikationen diskutiert.

Das Buch dient dazu, dem/der Leser/in ein solides Verständnis über die Auswir-kungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt zu vermitteln. Darüber hinaus soll es zur Reflexion anregen und Anregungen für die Gestaltung seiner Arbeitswelt für sich selbst bzw. für MitarbeiterInnen oder Studierende geben.

Nun bleibt uns noch die angenehme Aufgabe mich bei jenen Personen zu bedanken, die das Entstehen dieses Buches unterstützt und ermöglicht haben: Erich Kirchler,

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Felix C. Broadbeck und Ralph Woschée als Herausgeber der Reihe „die Wirtschafts-psychologie“, die dieses Buch ermöglicht haben. Frau Krämer und Frau Mechler vom Springer Verlag für die redaktionelle Betreuung des Buches. Sowie zahlreiche GesprächspartnerInnen der letzten Jahre aus dem Freundeskreis sowie von Koope-rationspartnerInnen aus Industrie, Wirtschaft und Forschungseinrichtungen, für die Vermittlung von neuen Perspektiven sowie für die anregenden Diskussionen.

Abschließend wünschen wir viel Vergnügen beim Lesen!

Cornelia Gerdenitsch und Christian KorunkaWien, Juli 2018

VorwortVI

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Inhaltsverzeichnis

1 Die Arbeitswelt im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Cornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

1 .1 Ausgewählte Innovationen und Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 .2 Flexibles Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .71 .3 Veränderungen von Arbeitstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 .4 Anforderungen an die Gestaltung zukünftiger Arbeitsumgebungen . . . . . . . . 17

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2 Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit . . . . . . . . . . . . 23Cornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

2 .1 Digitalisierung: eine Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 .2 Nutzung digitaler Technologien: Daten und Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 .3 Die Besonderheiten digital transformierter Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

3 Gestaltung von Arbeitsumgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Cornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

3 .1 Elemente physischer Arbeitsumgebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 .2 Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

für ArbeitnehmerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 .3 Coworking Spaces – eine Arbeitsumgebung für Selbstständige . . . . . . . . . . . . . 973 .4 Fazit: Räumlichkeiten für WissensarbeiterInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1133 .5 Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143 .6 Arbeitsumgebungen für IndustriearbeiterInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

4 Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten . . . . . 165Cornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

4 .1 Führung in einer digitalisierten Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1664 .2 Gestaltung des digitalen Transformationsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1734 .3 Zusammenfassung der Empfehlungen zur Gestaltung von digitalen

Arbeitswelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1744 .4 Gesellschaftliche Implikationen und Ausblick : Kulturwandel

in Organisationen und in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

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1.1 Ausgewählte Innovationen und Entwicklungen – 41.1.1 Digitalisierung – 41.1.2 Automatisierung – 51.1.3 Individualisierung – 5

1.2 Flexibles Arbeiten – 71.2.1 Formen flexibler Arbeit – 81.2.2 Verbreitung flexibler Arbeit: Daten und Fakten – 12

1.3 Veränderungen von Arbeitstätigkeiten – 15

1.4 Anforderungen an die Gestaltung zukünftiger Arbeitsumgebungen – 17

1.4.1 Anforderungen bedingt durch flexibles Arbeiten – 191.4.2 Anforderungen bedingt durch die Arbeitstätigkeit – 19

Literatur – 21

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Die Arbeitswelt im WandelCornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Gerdenitsch, C. Korunka, Digitale Transformation der Arbeitswelt, Die Wirtschaftspsychologie DOI 10.1007/978-3-662-55674-0_1

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Die Arbeitswelt im WandelAnna, Robert und Matthias sind als GrafikerInnen beschäftigt. In dieser Branche gab es in den letzten Jahrzehnten einige Veränderungen. Besonders die verstärkte Nutzung digitaler Technologien hat die Arbeit eines/einer Grafikers/in maßgeblich verändert. Anna ist mit ihren 60 Jahren Teil der Babyboomer Generation (1942–1964; Bruch et al. 2009) und steht kurz vor ihrer Pensionierung. Als sie in den Beruf eingestiegen ist, hat es sogar vereinzelt noch Litho-grafen und Typografen gegeben. Lithografen waren für die Bildbearbeitung zuständig und Typografen für die Setzung von Schrift. Diese Berufsgruppen sind heutzutage nicht mehr existent. Auch die Ausbildung war damals noch ganz anders. Während ihrer Ausbildung hat sich Anna Fertigkeiten im Zeichnen angeeignet, jedoch nicht darin, einen Computer zu bedienen. Diese Fähigkeit hat sich Anna über die Zeit hinweg selbstständig angeeignet. Anna beschreibt, dass sich die Arbeitsprozesse enorm beschleunigt haben. Anna erinnert sich, dass beispielsweise Korrekturen von Grafiken sehr lang gedauert haben. Diese Korrekturen musste man nämlich früher über den Postweg versenden. Es war demnach auch undenkbar, ein Plakat innerhalb von zwei Monaten fertigzustellen und an den Kunden zu liefern. Die Kunden waren damals, da Werbung sehr aufwendig und teuer war, meist große Unternehmen. Heut-zutage wird Anna auch von kleineren Unternehmen beauftragt. Neben der Beschleunigung des Arbeitsprozesses und der verstärkten Nutzung von digitalen Technologien merkt Anna aber auch, dass sie bei ihrem Berufseinstieg mehr Arbeitsplatzsicherheit hatte, als sie es bei neuen MitarbeiterInnen heutzutage erlebt. Anna ist beispielsweise nach ihrer Ausbildung sofort in ein Unternehmen mit einer unbefristeten Stelle eingestiegen und war dort auch einige Jahrzehnte angestellt.Robert ist mit seinen 30 Jahren Teil der Generation Y (Bruch et al. 2009) und somit Teil der ersten Generation, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist. Man bezeichnet diese Generationen auch als „digital natives“ im Gegensatz zu den „digital immigrants“ (Prensky 2001). Robert ist freiberuflich in einer Agentur angestellt. Diese Agentur ist bereits sein dritter Arbeitgeber. In seinem Bekanntenkreis ist es nicht untypisch, Erfahrungen in unterschiedli-chen Agenturen zu sammeln und somit zwischen Arbeitgebern zu wechseln. Robert arbeitet fast ausschließlich mithilfe digitaler Technologien. Die Erstellung und Bearbeitung von Grafiken macht er in unterschiedlichen Programmen, die er auf seinem Laptop installiert hat. Wenn er unterwegs ist, arbeitet er direkt am Laptop, im Großraumbüro hat er zusätzlich einen großen Bildschirm, den er an den Laptop anschließen kann. Die Kommunikation mit Kunden ist meist virtuell, und Arbeitsergebnisse werden entweder per E-Mail verschickt oder über ein Cloud-System mit Kunden geteilt. Diese intensive Nutzung digitaler Technologien ermöglicht es ihm auch, zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten zu arbeiten. Robert genießt diese Flexibilität und nutzt gerne die Möglichkeit, seine Arbeit von unterschiedlichen Orten aus zu erledigen. Beispielsweise arbeitet er mindestens einen Tag die Woche von zu Hause aus. Die Vorteile dieser Arbeitsweise kann Anna, die seit Jahrzehnten zu fixen Zeiten von ihrem Einzelbüro aus arbeitet, nicht ganz nachvollziehen. Obwohl Robert die Freiheit in der Wahl des Arbeitsortes genießt, belastet ihn aber auch die dadurch fehlende Trennung zwischen Arbeit- und Privatleben. Darüber hinaus kommt es vor, dass er von daheim aus bis spät nachts arbeitet und dadurch wenig Zeit zur Erholung hat.Matthias, der nach 2000 geboren ist, ist noch in Ausbildung. Die Nutzung diverser digi-taler Technologien ist bei ihm stark ins Leben integriert. Er kann sich gar nicht vorstellen, dass er außerhalb von definierten Arbeitszeiten keinen Zugriff auf Dokumente oder E-Mails

2 Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel

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haben könnte. In der Ausbildung arbeitet Matthias hauptsächlich am Computer und lernt das Bedienen unterschiedlicher Grafikprogramme. Er ist es gewohnt, sich immer wieder in neue Programme einzuarbeiten. Matthias wünscht sich für seine zukünftige Anstellung eine möglichst sichere Beschäftigung.Wie man an diesen Beispielen sieht, hat sich das Berufsbild des/der Grafikers/in stark ver-ändert. Diese Veränderungen betreffen gleichzeitig unterschiedliche Generationen einer Berufsgruppe. Personen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Erfahrung, aber auch hinsicht-lich ihrer Erwartungen und Wünsche an eine passende Arbeitsumgebung. Bei der Gestaltung von passenden Arbeitsumgebungen ist dies zu beachten.

Die Art und Weise, wie Arbeit stattfindet, ist einem permanenten Wandel ausgesetzt. Besonders in den letzten 100 Jahren haben einige technische Entwicklungen und Innovationen Arbeit maßgeblich beeinflusst und verändert. Denken wir hier nur beispielsweise an die industrielle Revolution oder die Entstehung des Internets. Die Nutzung des Internets und digitaler Techno-logien wie des Laptops oder des Mobiltelefons ist heutzutage aus der Arbeitswelt schon gar nicht mehr wegzudenken. Oftmals ist das Öffnen des E-Mail-Postfachs die erste Arbeitstätigkeit, mit der Arbeitende ihren Arbeitstag starten. Aber auch virtuelle Kommunikationstechnologien, cloudbasierte Anwendungen zur Speicherung von Daten oder die Nutzung mobiler Endgeräte wie Laptop, Tablet oder Smartphone sind für viele Arbeitstätigkeiten notwendig geworden. Wenn wir beispielsweise an die Produktion denken, dann würde der Schichtleiter bei einer Än-derung in den Schichtplänen die Personen, die für ihn arbeiten, per Mobiltelefon kontaktieren. Im Produktionsbereich kommt hinzu, dass dort verstärkt Maschinen und Roboter eingesetzt werden. Der Mensch ist gefordert, sie zu steuern oder mit ihnen zu interagieren und zusammen-zuarbeiten. Der Einsatz von (intelligenten) Maschinen und Robotern führt auch dazu, dass manche Arbeit, die zuvor vom Menschen erledigt wurden, nun von Maschinen durchgeführt wird. Insofern wird der Mensch von Maschinen ersetzt und muss sich andere Arbeitstätig-keiten suchen. Das führt uns zu der zweiten Entwicklung, die hier genannt werden soll – der Automatisierung. Neben einfachen Routineaufgaben, die von Maschinen und Robotern über-nommen werden können, werden Maschinen in Zukunft auch so weit entwickelt sein, dass sie vermehrt komplexere Aufgaben übernehmen können. Grundlegende Veränderungen der menschlichen Arbeitstätigkeit sind somit die Konsequenz. Neben den Arbeitsmitteln, die für die Arbeit verwendet werden, ändern sich dadurch auch die Arbeitstätigkeiten.

Eine dritte Entwicklung, die hier erwähnt werden soll, ist die der Individualisierung. Pon-gratz und Voß (2003) beschreiben eine verstärkte Individualisierung von Arbeit. Im Postfor-dismus (also nach der Zeit, die durch von Henry Ford in der Automobilindustrie eingeführten standardisierten Arbeitsabläufe geprägt wurde, ▶ Abschn. 1.1.3) ist der/die Arbeitskraftunter-nehmer/in vorherrschend. Dieser Arbeitskrafttyp ist unternehmerisch denkend, jedoch in einer Organisation beschäftigt. Er ist unter anderem gefordert, sich selbst zu kontrollieren, und hat demnach auch mehr Verantwortung für die Arbeitstätigkeit.

Die Entwicklungen Digitalisierung, Automatisierung und Individualisierung beeinflussen die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet ist. Dabei sind diese Entwicklungen nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich vielmehr gegenseitig. Beispielsweise führen Innova-tionen im Bereich der Digitalisierung dazu, dass immer mehr Szenarien für Automatisierung denkbar sind. Als Konsequenzen dieser Entwicklungen werden hier zwei Aspekte genannt. Einerseits kommt es zu einer Flexibilisierung von Arbeit. Durch die Nutzung digitaler Informa-

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tions- und Kommunikationstechnologien werden feste Arbeitszeiten und Arbeitsorte aufgelöst. Arbeitende haben die Möglichkeit, zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die Arbeit verrichtet wird, und die Freiheit, zu entscheiden, an welchem Arbeitsort die Aufgabe erledigt wird. Diese flexible Art zu arbeiten wird auch als „new ways of working“ bezeichnet (Demerouti et al. 2014). Eine weitere Konsequenz ist die Veränderung von Arbeitstätigkeiten. Einfache Routineaufgaben werden von Maschinen übernommen, was beispielsweise dazu führt, dass sich der/die Arbeits-kraftunternehmer/in selbstständig passende Arbeitstätigkeiten suchen muss, in denen er/sie der Maschine überlegen ist. Diese Wirkzusammenhänge sind in . Abb. 1.1 schematisch dargestellt und werden im Folgenden detaillierter beschrieben.

1.1 Ausgewählte Innovationen und Entwicklungen

1.1.1 Digitalisierung

Digitalisierung ist ein Begriff, den man grundlegend auf zwei Arten interpretieren kann. Die technische Interpretation beschreibt die digitale Umwandlung von analoger in digitale Infor-mation. Wenn man beispielsweise bei einer Besprechung handschriftliche Notizen macht, dann sind das analoge Informationen. Wenn man diese analogen Informationen einscannt oder ab-fotografiert, dann kommt man dadurch zu einer digitalen Repräsentation dieser Informationen. Dieser Vorgang wird als Digitalisierung bezeichnet. Neben dieser technischen Interpretation des Begriffes Digitalisierung gibt es auch die Bedeutung der Aufgabenübertragung vom Menschen auf den Computer. Digitalisierung beschreibt demnach auch die digitale Revolution oder die Computerisierung. Man spricht hier auch von der digitalen Wende (Hess 2017).

> Der Begriff Digitalisierung lässt sich auf zwei unterschiedliche Arten interpretieren. Die traditionelle Interpretation ist die technische. Danach beschreibt die Digitalisierung die Überführung von einer analogen in eine digitale Speicherform. Eine zweite Interpreta-tion betrifft die Aufgabenübertragung vom Menschen auf den Computer (Hess 2017).

In ▶ Kap. 2 wird besonders auf diese zweite Interpretation der Digitalisierung eingegangen. Konkret wird dort die digitale Transformation von Wissens- und Industriearbeit beschrieben. Wir behandeln dabei, wie sich durch die Nutzung von Informationstechnologien Arbeit wan-delt, und beschreiben Besonderheiten von digitaler Wissens- und Industriearbeit.

. Abb. 1.1 Arbeitswelt im Wandel: Innovationen und Entwicklungen und deren Konsequenzen

Flexible Arbeitsformen

Entwicklungen

Digitalisierung

Individualisierung

Automatisierung

Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien

Flexibilität hinsichtlich der Zeit, innerhalb derer Arbeit stattfindet

Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsortes

Arbeitstätigkeiten

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel4

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1.1.2 Automatisierung

Eng mit der Digitalisierung verwoben ist die Automatisierung. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Mensch erstmals verstärkt von Maschinen verdrängt. In einer ersten Automatisierungswelle der Industrie wurden nun Arbeiten, die zuvor vom Menschen mit Handarbeit erledigt wurden, von Maschinen übernommen. Beispielsweise wurde durch die Entwicklung der Dampfenergie der Transport von Rohstoffen erleichtert. Rohstoffe konnten somit schneller von einem Ort zum anderen transportiert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten ersten industriellen Revolution. Zwischen 1860 und 1914 kam es dann unter anderem durch die Entwicklung von Elektromotoren und der Nutzung von Elektrizität zu einer beschleunigten Kommunikation zwischen den Menschen. Menschliche Arbeit wurde dabei ein Stück weit von der Maschine verdrängt (zweite industrielle Revolution). Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Roboter sowie andere hochentwickelte Technologien und Computersysteme entwickelt, die zunehmend Aufgaben vom Menschen übernommen haben. Diese sogenannte Automatisierung repräsentiert die dritte industrielle Revolution. Im Gegensatz zur ersten und zweiten indus-triellen Revolution werden hier nicht nur handwerkliche Arbeiten, sondern auch Kopfarbeiten von Maschinen beziehungsweise Computersystemen übernommen. Beispielsweise werden die Planung, Steuerung und Verwaltung betreffende Arbeitsprozesse automatisiert (Rifkin 2016). Durch Innovationen im Bereich von intelligenten Maschinen und Robotersystemen können immer mehr Arbeitstätigkeiten übernommen werden. Das führt dazu, dass sich besonders im Produktionsbereich Arbeitstätigkeiten des Menschen grundlegend ändern. Im folgenden Fall-beispiel ist eine besonders radikale Veränderung der Arbeitsaufteilung zwischen Mensch und Maschine dargestellt.

Changying Precision Technology Company (Dongguan City, China) ist ein Produktionsbetrieb in China. Dieser Betrieb produziert Mobiltelefone. In dieser Fabrik waren bis vor kurzem 650 menschliche Arbeits-kräfte beschäftigt. Diese 650 menschlichen Arbeitsplätze wurden auf 60 reduziert. Gleichzeitig wurden 60 Roboter eingesetzt. Im Gegensatz zur menschlichen Arbeitskraft können diese Roboter, bis auf Wartungsarbeiten, rund um die Uhr eingesetzt werden. Durch den Einsatz dieser Roboter hat sich die Arbeitstätigkeit der restlichen 60 Menschen verändert. Sie fokussieren sich nun auf die Überwachung der Roboter und des Produktionsprozesses. Nur drei der 60 Personen überprüfen dabei die Produktion, die anderen 57 überwachen das digitale Kontrollsystem. Schätzungen zufolge können die übriggeblie-benen 60 menschlichen Arbeitskräfte auf 20 reduziert werden. Diese radikale Ersetzung menschlicher Arbeitskraft hat sich positiv auf die Produktionszahlen der Organisation ausgewirkt. Die Organisation konnte ihre Produktivität um 250 % erhöhen und die Häufigkeit von Mängeln um 80 % reduzieren (Javelosa und Houser 2017).

1.1.3 Individualisierung

In einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sind unterschiedliche Arbeits-krafttypen denkbar. Der Proletarier war dabei in den ersten Phasen des modernen industriellen Kapitalismus der dominante Arbeitskrafttypus. Ein prototypischer Proletarier ist ein wenig qualifizierter Fabrikarbeiter. Dieser Arbeitskrafttyp wird bei der Arbeit starr und direkt kon-trolliert und hat auch keine soziale Absicherung. Daher war das Leben des Proletariers durch Un-sicherheit gekennzeichnet. Zu dieser Zeit stand die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft

Fallbeispiel: Arbeitskraft Fabrikroboter | |

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im Zentrum. Eine Erholung von der oft physisch belastenden Arbeit war nur selten möglich. Im Fordismus kam ein weiterer Arbeitskrafttyp auf. Dieser Arbeitskrafttyp hatte eine standardisierte Qualifikation und arbeitete an strukturierten Arbeitstätigkeiten basierend auf der wissenschaft-lichen Betriebsführung nach Taylor (siehe ▶ Exkurs „Wissenschaftliche Betriebsführung nach Taylor“). Im Gegensatz zum Proletarier genoss dieser bereits vermehrten Schutz durch den Staat und litt unter weniger Ausbeutung. Das Arbeitsleben und das Privatleben waren strikt getrennt. Darüber hinaus gab es eine Geschlechtertrennung beziehungsweise Rollenverteilung dahin-gehend, dass der Mann der Erwerbsarbeit nachging und die Frau sich um das Familienleben kümmerte (Pongratz und Voß 2003).

Der/die Arbeitskraftunternehmer/in (englisch: entreployee) ist der Arbeitskrafttyp im Post-fordismus. Diese Form einer Arbeitskraft ist vorherrschend in westlichen Industriegesellschaften. ArbeitskraftunternehmerInnen haben individuelle Qualifikationen und sind gefordert, sich bei der Arbeit selbst zu kontrollieren. Demnach können sie sich auch selbst ausbeuten. Der/die Ar-beitskraftunternehmer/in wird beschrieben als jemand, der/die unternehmerisch denkt, jedoch in einer Organisation angestellt ist. Proaktives Verhalten und Selbstverwirklichung gilt dabei als akzeptiertes beziehungsweise sogar gefordertes Arbeitsverhalten (Pongratz und Voß 2003).

Pongratz und Voß (2003) formulieren drei wesentliche Charakteristika, durch die der/die Arbeitskraftunternehmer/in beschrieben werden kann:1. Selbstkontrolle: ArbeitskraftunternehmerInnen sind zunehmend für die Planung, die Kon-

trolle und die Überwachung der Arbeit selbst zuständig. Die Kontrolle von Arbeit, die bei anderen Arbeitskrafttypen Aufgabe der Organisation beziehungsweise der Vorgesetzten war, ist nun Aufgabe der arbeitenden Person selbst. Außerdem steht vielmehr die Arbeits-leistung und weniger der Arbeitsprozess beziehungsweise der Weg zum Arbeitsergebnis im Vordergrund. Anders gesagt geht es um das Endergebnis und nicht darum, wie es erzielt wird. Der Prozess bis dahin ist eine Aufgabe der arbeitenden Person selbst, die gefordert ist, diesen selbstbestimmt und effizient zu erledigen.Denken wir daran, dass eine Mitarbeiterin einer Unternehmensberatung in einer Woche einen Workshop zum Thema Führungskräftetraining halten muss. Sie ist nun gefordert, selbst zu planen, wie lange sie für die Vorbereitung des Workshops braucht, und sich ihre Zeit so einzuteilen, dass die Vorbereitungen fristgerecht fertig sind. Ihrer Vorgesetzten ist weniger wichtig, an welchen Tagen sie wie lange an den Vorbereitungen arbeitet, sondern nur dass sie fristgerecht fertig sind. Es steht somit weniger die Arbeitszeit im Vordergrund, sondern vielmehr das Endergebnis. Dies beinhaltet auch, dass die Mitarbeiterin selbst die Verantwortung über das Zeitmanagement und die fristgerechte Erledigung der Aufgabe übernimmt.

2. Selbstvermarktung: ArbeitskraftunternehmerInnen sind zunehmend gefordert, die eigenen Potentiale und Kompetenzen zu vermarkten. Dies ist sowohl innerhalb der Organisation als auch außerhalb der Organisation wichtig. Demnach muss die arbeitende Person nicht nur die Perspektive auf ihre Arbeit selbst, sondern auch auf ihr Zukunftspotential am Arbeits-markt und innerhalb der Organisation überdenken. Strategisches Planen und Vermarktung sind demnach wichtig, um attraktiv zu bleiben. Arbeitende bleiben so lange in der Orga-nisation, wie sie es schaffen, zu signalisieren, dass sie gebraucht werden, beziehungsweise anders formuliert, solange sie profitabel sind.Denken wir wieder an die Mitarbeiterin der Unternehmensberatung. Sie ist nach ihrem Studium in diese Branche eingestiegen und seit einem Jahr hier beschäftigt. Um in dieser Branche Karriere zu machen, versucht sie, ihre nächsten fünf Jahre strategisch zu planen. Sie möchte mindestens noch ein Jahr im selben Unternehmen bleiben und dann einen MBA

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel6

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(Master of Business Administration) im Ausland machen. In ihrem Bereich sind Weiter-bildung und internationale Erfahrungen sehr wichtig, um aufsteigen zu können. Nur durch Zusatzausbildungen kann sie sicherstellen, dass sie auch in der Zukunft in dieser Branche eine attraktive Arbeitskraft bleibt.

3. Selbstrationalisierung: Hierbei geht es um Selbstkommerzialisierung von Arbeitskräften. Ar-beitende werden UnternehmerInnen ihres eigenen Potentials. Obwohl die Arbeit nicht das ei-gene Unternehmen ist, ist ein ähnliches Verhalten gefordert. Arbeit und Privatleben sind nicht mehr strikt getrennt; permanente Erreichbarkeit und Verfügbarkeit zu jeder Zeit stehen im Vordergrund. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, brauchen Arbeitende eine klare Organisation und Kontrolle des eigenen Lebens. Obwohl die Wichtigkeit des Unternehmens im Vordergrund steht, sind das tägliche Leben und langfristige Pläne dennoch selbstbestimmt.Zurück zur Mitarbeiterin in der Unternehmensberatung. Die Thematik, auf die sie sich in ihrem Unternehmen spezialisieren möchte, ist Beratung zu Führungsthemen. Sie versucht daher, sich sehr aktiv in Projekte in diesem Bereich einzubinden. Auch in den Gesprächen mit ihrer Führungskraft bespricht sie diesen Fokus, den sie innerhalb ihrer Arbeit haben möchte. Sie versucht, sich dadurch als unternehmensinterne Expertin in diesem Bereich zu positionieren. Gleichzeitig versucht sie auch, das Unternehmen nach außen diesbezüg-lich zu vertreten. Daher ist sie diversen Arbeitsgruppen und Vereinen beigetreten, die sich mit denselben Themen beschäftigen. Sie geht zu Networking-Veranstaltungen, diskutiert in LinkedIn-Gruppen zu diesem Thema und beschreibt auch auf ihrem eigenen Blog Ge-danken zu Führungsthematiken.

1.2 Flexibles Arbeiten

Die zuvor beschriebenen Entwicklungen beeinflussen und verändern die Art und Weise, wie Ar-beit heutzutage gestaltet wird. Insbesondere die Verwendung digitaler Technologien ermöglicht zeitlich und örtlich flexibles Arbeiten. Im Gegensatz zu „9-to-5-Arbeitsmodellen“, bei denen Arbeitende zu festen Anfangs- (9 Uhr vormittags) und Endzeiten (5 Uhr nachmittags) an einem gleichbleibenden Arbeitsplatz ihre Tätigkeiten ausführen, können digital Arbeitende flexibel ar-beiten. Fixierte zeitliche und räumliche Grenzen von Arbeit werden ein Stück weit aufgelöst. Folg-lich spricht man in diesem Zusammenhang auch von Entgrenzung von Arbeit (Voß 1998). Je nach Grad dieser Auflösung der Strukturen sind unterschiedliche Formen flexibler Arbeit denkbar. Im Folgenden wird eine Auswahl ebendieser Arrangements beschrieben. Dabei repräsentieren Gleit-zeit und Telearbeit bereits etablierte beziehungsweise verbreitete flexible Arbeitsformen, während Jobsharing und Crowdsourcing noch weniger verbreitete flexible Arbeitsformen darstellen.

Exkurs: Wissenschaftliche Betriebsführung nach Taylor

Frederick Winslow Taylor (1856–1915) entwickelte das Konzept der wissenschaftlichen Betriebs-führung. Ziel dieses Managementkonzeptes war es, Arbeitsabläufe zu optimieren beziehungsweise die Produktivität von menschlicher Arbeit durch eine wissenschaftliche Herangehensweise zu steigern. Dafür werden Arbeitsprozesse in kleinste Einheiten eingeteilt. Für diese kleinsten Einheiten benötigt der Mensch nur wenige Denkvorgänge und kann diese auch schnell und repetitiv ausführen. Diese Einheiten werden definiert anhand von Ergebnissen aus Bewegungs- und Zeitstudien. Hinsichtlich der Arbeitsmotivation nahm Taylor an, dass Menschen lediglich durch monetäre Anreize motiviert werden können. Leistungslohn sollte daher zur Steigerung von Arbeitsleistung führen (Maier und Bartscher 2017; Taylor 2006).

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1.2.1 Formen flexibler Arbeit

1.2.1.1 GleitzeitUnter Gleitzeit oder gleitender Arbeitszeit versteht man ein flexibles Arbeitsmodell, inner-halb dessen die Arbeitenden den Beginn und das Ende der Arbeit zu einem gewissen Ausmaß selbst bestimmen können. Es gibt sogenannte Kernarbeitszeiten wie beispielsweise von 10 bis 15 Uhr, zu denen Anwesenheit erwartet wird. Diese Kernarbeitszeiten werden vom Arbeitgeber festgelegt. Vor und nach dieser Kernarbeitszeit gibt es die sogenannte Gleitspanne, innerhalb welcher die Arbeitenden selbst entscheiden können, zu welchen Zeiten sie arbeiten. Die In-tentionen, Gleitzeitmodelle einzuführen, sind vielfältig. Beispielsweise ermöglicht ein Gleit-zeitmodell Gestaltungsspielräume für Arbeitende. Des Weiteren kann auch die Entlastung des Berufsverkehrs in Ballungsräumen ein Argument für Gleitzeitmodelle darstellen (Bartscher und Wichert 2017a).

Definition

Gleitende Arbeitszeit: Bei einer gleitenden Arbeitszeit gibt es keine bestimmten Anfangs- und Endpunkte von Arbeit. Der Arbeitnehmer beziehungsweise die Arbeitnehmerin kann je nach persönlichen Präferenzen innerhalb eines bestimmten Rahmens den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende selbst wählen. Durch diese Arbeitsform wird Arbeitszeit flexibilisiert und individualisiert (Bartscher und Wichert 2017a).

Gleitzeitmodelle erfordern eine passende Art der Zeiterfassung von Arbeit. Hier gibt es auch bestimmte Regelungen im Arbeitszeitgesetz. Es sollte sichergestellt werden, dass es nicht zu ver-stärkten Plusstunden (Überstunden) oder Minusstunden kommt. Hierzu kann beispielsweise eine zulässige Höchstzahl dieser Art von Stunden festgelegt werden beziehungsweise es kann ein Zeitraum definiert werden, innerhalb dessen diese Stunden ausgeglichen werden müssen. Je nach Gleitzeitmodell muss diese Zeiterfassung unterschiedlich stattfinden. Gleitzeitmodelle können nämlich sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Neben der Gestaltung der täglichen Arbeitszeit beinhalten Gleitzeitmodelle auch die Gestaltung über die wöchentliche, jährliche oder Lebensarbeitszeit (Bartscher und Wichert 2017a). Im Folgenden werden Beispiele von unterschiedlichen Gleitzeitmodellen beschrieben.

Beispiel tägliche Gleitzeit: Peter arbeitet in einer Werbeagentur in einer größeren Stadt. Er fährt täglich eine Stunde mit dem Auto ins Büro. In der Agentur gibt es für alle MitarbeiterInnen eine verpflichtende Anwesenheit zwischen 10 Uhr und 15 Uhr. Außerhalb dieser fixierten Zeit kann Peter selbst entscheiden, wie er die restliche Arbeitszeit pro Tag einteilt. Peter startet seinen Arbeitstag um 10 Uhr und bleibt bis mindestens 18 Uhr im Büro. Durch diese tägliche Arbeitszeitgestaltung kann er den morgendlichen Ver-kehr vermeiden und sich somit eine längere Anfahrt ersparen.Beispiel wöchentliche Gleitzeit: Ursula arbeitet als Angestellte in einer Versicherung. Neben ihrer Büro-tätigkeit arbeitet Ursula als Trainerin einer Fußballmannschaft. Ursula hat sich ihre Woche so eingeteilt, dass sie an drei Tagen (montags, mittwochs und freitags) länger und an zwei Tagen (dienstags und donnerstags) weniger lange im Büro arbeitet. Dadurch ist es Ursula möglich, ihre Trainingsstunden, die jeden Dienstag und Donnerstag stattfinden, gut mit ihrer Arbeit zu vereinbaren.Beispiel Sabbatical: Michael hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in einer internationalen Unter-nehmensberatung. Seine Arbeit ist mit vielen Überstunden verbunden. Nach einer bestimmten Zeit

Gleitzeitmodelle | |

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel8

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gibt es jedoch die Möglichkeit, eine Art „Auszeit“ – ein Sabbatical – zu nehmen. Diese Auszeit kann bis zu acht Wochen dauern, und es besteht die Möglichkeit, sie mit Urlaub zu verbinden. Dadurch werden die angesparten Überstunden abgebaut. Michael hat bereits zweimal dieses Sabbatical in Anspruch genommen und hat währenddessen unterschiedliche Länder bereist.Beispiel Jahresarbeitsvertrag: Karin ist Anwältin und in einer größeren Kanzlei beschäftigt. Mit ihrem Arbeitgeber hat sie eine Anzahl von Stunden für das gesamte Jahr vereinbart, die sie für die Kanzlei arbeitet. Karin zeichnet über das Jahr ihre Stunden auf und bespricht quartalsweise ihre Auslastung. Innerhalb dieser Gespräche trifft sie auch Vereinbarungen bezüglich ihrer Anwesenheit im Büro.

1.2.1.2 TelearbeitNeben der Gleitzeit, welche die zeitliche Gestaltung von Arbeit betrifft, geht es bei der Telearbeit um den Ort, an dem die Arbeit verrichtet wird. Telearbeit beschreibt dezentralisierte Bürotätig-keiten, die durch die Nutzung von geeigneten Informations- und Kommunikationstechnologien möglich sind. Arbeit geschieht abseits vom zentralen Unternehmensstandort beziehungsweise dem Büro. Neben der Teleheimarbeit und der mobilen Telearbeit gibt es Telearbeit auch von Satellitenbüros oder von Zweigstellen aus (Lackes et al. 2017). Die Tele-Heimarbeit ist auch unter dem Begriff Home-Office verbreitet.

Definition

Telearbeit: Unter Telearbeit versteht man dezentralisierte Bürotätigkeiten, die möglich sind durch die Nutzung von geeigneten Informations- und Kommunikationstechnologien (Lackes et al. 2017).

Für eine möglichst problemfreie Telearbeit ist eine funktionierende Technik Grundvorausset-zung. Je nach Arbeit beziehungsweise Tätigkeit unterscheiden sich die technischen Anforderun-gen. In den meisten Fällen benötigt man einen mobilen Computer (Laptop oder Ähnliches), Zugang zu den notwendigen Daten (Zugang zu Servern oder zu Cloud-Systemen), bestimmte Software und einen Internetzugang. Dadurch kann eine (virtuelle) Verbindung zu KollegInnen, Vorgesetzten (ArbeitgeberInnen) oder zu Kunden (AuftraggeberInnen) ermöglicht werden. Die nun virtuell stattfindende Kommunikation und Zusammenarbeit ist von einigen Besonderhei-ten gekennzeichnet, auf die wir im ▶ Kap. 2 näher eingehen werden.

Nicht jede Tätigkeit ist für Telearbeit geeignet. Informationsverarbeitende Tätigkeiten be-ziehungsweise Tätigkeiten, die relativ unabhängig von persönlichen Kontakten mit KollegInnen verrichtet werden können, werden als geeignet für Telearbeit beschrieben. Außerdem ist es notwendig, dass die Aufgaben innerhalb von Telearbeit eindeutig definiert werden und das Arbeitsergebnis ein bewertbares ist (Lackes et al. 2017). Im Folgenden werden zwei Beispiele von Telearbeit beschrieben.

Beispiel Homeoffice: Peter arbeitet als Softwareentwickler bei einem klein- und mittelständischen Unternehmen. Peter hat zwei Kinder, die er und seine Frau abwechselnd in den nahegelegenen Kinder-garten bringen und abholen. Das funktioniert sehr gut, außer freitags, da an diesem Tag der Kinder-garten schon früher schließt. Daher arbeitet Peter am Freitag von Zuhause aus und kann dadurch seine

Telearbeit | |

9 11.2 • Flexibles Arbeiten

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Kinder vom Kindergarten abholen. Gemeinsam mit seiner Führungskraft hat er abgesprochen, welche Tätigkeiten er von Zuhause aus erledigen kann. Er arbeitet an Aufgaben, die er alleine erledigen kann beziehungsweise bei denen man sich längere Zeit konzentrieren muss. Im Homeoffice erlebt Peter nämlich weniger Unterbrechungen durch KollegInnen.Beispiel Telearbeit in Satellitenbüros: Tanja arbeitet bei einer internationalen Bank und leitet ein Team von fünf Personen. Diese Bank hat neben dem Hauptsitz in einer größeren Stadt sechs weitere Satelliten-büros eingerichtet. Ziel dieser Maßnahme war es, Büroflächen im teuren Ballungsraum einzusparen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass ArbeitnehmerInnen nun eine geringere Anfahrtsdauer zur Arbeit haben. Tanja arbeitet in einer dieser Satellitenbüros, das auch näher bei ihrem Wohnort liegt. Für wöchentliche Besprechungen und größere Besprechungen mit allen Mitgliedern ihres Teams treffen sich alle am Hauptsitz.

1.2.1.3 Jobsharing (Arbeitsplatzteilung)Im Gegensatz zu Gleitzeit und Telearbeit ist das Modell des Jobsharings weniger verbreitet und bekannt. Ähnlich wie bei der Telearbeit ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch eines der Hauptmotive, Jobsharing einzuführen beziehungsweise anzunehmen. Jobsharing oder Arbeitsplatzteilung liegt vor, wenn sich ArbeitnehmerInnen einen Vollarbeitsplatz teilen. Diese Teilung kann durch zwei Personen, aber auch durch mehrere Personen geschehen. Wichtig ist, dass die ArbeitnehmerInnen gemeinsam die Arbeit eines vollen Arbeitsplatzes übernehmen. Jobsharing ist sowohl für niedrig- als auch für hochqualifizierte Positionen möglich. Beispiels-weise gibt es Jobsharing auch bei Führungskräften und wird dort als Topsharing bezeichnet. Ein Vorteil gegenüber einem Teilzeitverhältnis ist hier, dass ein Arbeitsplatz in der gesamten Zeit besetzt und bei Urlaub oder Krankheit einfach eine Vertretung vereinbart werden kann (Bartscher und Wichert 2017b).

Definition

Jobsharing (Arbeitsplatzteilung): Beim Jobsharing teilen sich zwei oder mehrere Personen einen Vollarbeitsplatz. Es wird ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber und nicht nur einer, sondern mehreren Personen abgeschlossen. Wie die Gesamtarbeitszeit aufgeteilt wird, obliegt den ArbeitnehmerInnen in Absprache mit dem Arbeitgeber (Bartscher und Wichert 2017b).

Bei Jobsharing-Modellen sind unterschiedliche Vorteile und Herausforderungen denkbar. Ein Vorteil dieses Modelles für den Arbeitgeber ist es, dass er die (möglicherweise sehr unterschied-lichen) Kompetenzen zweier oder mehrerer MitarbeiterInnen zur Verfügung hat. Des Weiteren ist auch eine höhere Produktivität denkbar, da die Arbeitslast einer Stelle auf zwei Personen auf-geteilt werden kann und es demnach zu weniger Ermüdungserscheinungen kommt. Andererseits sind jedoch auch zahlreiche Herausforderungen möglich. Beispielsweise entsteht ein erhöhter Kommunikationsaufwand zwischen den Personen, die Jobsharing betreiben, und den Personen, die mit dieser Stelle kommunizieren. Im Folgenden finden Sie drei Beispiele zu Jobsharing.

Beispiel Jobsharing im Museum: In einem Museum war eine Vollzeitstelle für den Verkauf von Karten an der Kassa ausgeschrieben. Die KunststudentInnen Michael, Karin und Peter haben sich für diese Stelle

Jobsharing | |

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel10

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beworben mit der Idee eines Jobsharings. Sie haben diese Stelle auch bekommen und arbeiten nun zu je einem Drittel im Museum. Den zeitlichen Arbeitsplan machen Sie jedes Semester neu unter sich aus und können ihren Arbeitsplan somit an ihren Studienplan anpassen. Die Verantwortung dafür, dass die Arbeit getan wird beziehungsweise die Übergabe reibungslos vonstattengeht, liegt bei den Studieren-den selbst.Beispiel Jobsharing zweier Ärzte: Jakob und Lukas haben vor kurzem ihre Ausbildung als Zahnarzt abge-schlossen und sind nun am Beginn ihres Erwerbslebens. Beide haben Kinderbetreuungspflichten und können daher derzeit nicht Vollzeit arbeiten. Darüber hinaus benötigt man als Zahnarzt teure Geräte, die sie sich derzeit nur schwerlich leisten können. Letztendlich kommt hinzu, dass Fachkräftemangel bei ZahnarztgehilfInnen besteht und daher gutes Personal schwer zu finden ist. Daher haben die beiden vereinbart, dass sie sich eine Praxis teilen. Sie nutzen dieselben Räume, Geräte und auch dasselbe Per-sonal.Beispiel Topsharing: Tom und Nora arbeiten beide als Führungskräfte in einem Automobilunternehmen. Beide sind vor kurzem Eltern geworden und möchten ihre Arbeitszeit reduzieren. Gleichzeitig möchten sie aber ihre Führungsverantwortung nicht abgeben beziehungsweise nicht in niedrigqualifizierte Positionen wechseln. Tom und Nora teilen sich daher nun die Verantwortung, indem jeder von ihnen Führungsverantwortung für gewisse Projekte übernimmt.

1.2.1.4 CrowdsourcingBeim Crowdsourcing lagert ein Unternehmen oder eine Institution eine bestimmte Aufgabe an eine undefinierte Menge von Arbeitenden aus. Dafür startet dieses Unternehmen einen of-fenen Aufruf über eine Online-Crowdsourcing-Plattform. Der Auftraggeber, der die Aufgabe ausschreibt, wird als „Crowdsourcer“ bezeichnet, die Menge an potentiellen Arbeitenden als „Crowd“ und die Arbeitenden selbst als „Crowdsourcees“.

Für den Auftraggeber ist der Vorteil von Crowdsourcing der Zugriff auf einen großen Wis-sens- und Kompetenzpool. Im Gegensatz zu aufwendigen Personalbeschaffungsprozessen, bei denen ein Inserat geschaltet und potentielle BewerberInnen rekrutiert und interviewt werden müssen, bieten Crowdsourcing-Plattformen gleich direkt eine Menge an potentiellen Kan-didatInnen für die Arbeitsaufgabe. Ein weiterer Vorteil für das Unternehmen ist die Kosten-senkung aufgrund von geringen Entlohnungen, die hier möglich sind. Des Weiteren können diese MitarbeiterInnen vielleicht Lösungsansätze wählen, die man intern im Unternehmen gar nicht mehr mitdenkt. Demnach wäre die Auslagerung von Aufgaben über Crowdsourcing auch eine Möglichkeit zur Innovation. Neben diesen Vorteilen gibt es auch einige Nachteile für das Unternehmen. Um Aufgaben auszulagern, müssen sie äußerst präzise definiert werden, um beispielsweise Missverständnisse zu vermeiden. Implizites Wissen über die Umstände der Arbeitsaufgabe haben zwar oft MitarbeiterInnen im eigenen Unternehmen, Crowdsourcees jedoch nicht. Ein weiterer Nachteil sind potentielle Widerstände, die von der internen Be-legschaft kommen können. Besonders wenn Aufgaben an billigere Arbeitskräfte ausgelagert werden, könnte sich die interne Belegschaft Sorgen um ihren zukünftigen Arbeitsplatz machen. Ein dritter Nachteil ist der Kontrollverlust in Bezug auf die Aktivitäten der Crowdsourcees. Der Auftraggeber stellt eine Aufgabe online, eine Person aus der Crowd nimmt sie an, bearbeitet sie und übergibt das Endergebnis dem Auftraggeber. Die Tätigkeiten zwischen der Annahme der Aufgabe und der Übermittlung des Endproduktes sind für den Auftraggeber nur schwer zu kontrollieren. Für eine Qualitätssicherung des Endproduktes ist dies jedoch oft notwendig (Leimeister und Zogaj 2013).

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Definition

Crowdsourcing: Beim Crowdsourcing werden bestimmte Arbeitsaufgaben auf die soge-nannte „Crowd“ ausgelagert. Die Crowd besteht aus Crowdsourcees, die diese Arbeiten dann ortsunabhängig bearbeiten. Dieses Arbeitsmodell ist erst durch die Nutzung von Informati-ons- und Kommunikationstechnologien möglich geworden (Leimeister und Zogaj 2013).

? Reflektieren Sie nun über die vorgestellten flexiblen Arbeitsformen. Inwieweit wird jede dieser Arbeitsformen von den zuvor beschriebenen Entwicklungen (Digitalisierung, Auto-matisierung, Individualisierung) beeinflusst? Was meinen Sie, werden diese vorgestellten Arbeitsformen in Zukunft häufiger oder weniger häufiger genutzt werden? Begründen Sie Ihre Annahmen, und überlegen Sie auch Vor- und Nachteile der vorgestellten Arbeitsmodelle.

Beispiel Plattform Clickworker: Auf der Plattform „Clickworker“ sind in etwa 700.000 Personen (= Click-worker) registriert. Die meisten sind Studierende und Selbstständige. Aufgaben, die auf dieser Plattform angeboten werden, sind Beschreibungen von Produkten, Recherchen zu bestimmten Themen im Inter-net oder die Produktdatenpflege (clickworker.de).Beispiel Plattform My little Job: Die Plattform „my little job“ wurde 2011 gegründet. Hier sind 110.000 StudentInnen aus 18 Fachrichtungen registriert. Arbeiten, die erledigt werden, sind unter anderem Abschriften von Interviews, Videos oder Mitschriften, Übersetzungen, Gestaltung von Onlineshops oder Seiten im Internet, Pflege von Datenbanken oder Recherchetätigkeiten bezüglich Kontaktadressen, Umsatzzahlen oder Marktdaten. Seit der Gründung von „my little job“ wurden in etwa 86.000 Arbeiten durchgeführt (mylittlejob.de).

1.2.2 Verbreitung flexibler Arbeit: Daten und Fakten

Die zuvor beschriebenen flexiblen Arbeitsformen sind unterschiedlich stark verbreitet. Im Folgenden werden keine Daten zu der konkreten Verbreitung dieser Arbeitsformen genannt, jedoch zur Prävalenz der zugrundeliegenden Charakteristika, nämlich der zeitlichen und ört-lichen Flexibilität.

Hierzu werden Daten herangezogen, die von Eurofound erhoben werden. Eurofound ist eine Einrichtung der Europäischen Union, die in enger Zusammenarbeit mit Organen der Europäischen Union, Regierungen, Gewerkschaften und ArbeitgeberInnen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union mitgestaltet. Ein zentraler Aufgabenteil ist dabei die empirische Sozialforschung. Genauer gesagt erhebt Eurofound Daten, anhand derer Entwicklungstendenzen und Veränderungen bei Arbeits- und Lebensqualität, Arbeitsbeziehun-gen und Strukturwandel erkannt werden können. Dabei ist eines der eingesetzten Instrumente die sogenannte Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS, European Wor-king Conditions Survey; Eurofound 2015). Der EWCS ist eine umfassende Erhebung über die Arbeitsbedingungen in Europa und wird von Eurofound seit 1990 alle fünf Jahre durchgeführt.

> Der EWCS (European Working Conditions Survey) ist eine umfassende Erhebung in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in Europa und wird von Eurofound seit 1990 alle fünf Jahre durchgeführt (Eurofound 2015).

Crowdsourcing-Plattformen | |

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel12

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Mithilfe des EWCS werden Arbeitsbedingungen von Selbstständigen und Erwerbstätigen in Ländern der Europäischen Union und Europa beschrieben. Derzeit werden beispielsweise die folgenden Themen abgefragt (eurofound.europa.eu):- Beschäftigungsstatus- Arbeitsorganisation- physische Risikofaktoren- psychosoziale Risikofaktoren- Gesundheit- Sicherheit am Arbeitsplatz- Verdienst- finanzielle Sicherheit.

Im Jahr 2015 fand die sechste Erhebung des EWCS statt. Dabei wurden in 28 europäischen Mitgliedsstaaten, fünf weiteren EU-Kandidatenländern (Albanien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei) sowie in der Schweiz und Norwegen ArbeitnehmerInnen und Selbstständige befragt. Pro Land wurden 1000 bis 3300 Personen im Zeitraum zwischen Februar und Sep-tember 2015 persönlich im direkten Gespräch befragt. Unter anderem wurde eine Frage zur zeitlichen Flexibilität von Arbeit gestellt. Konkret wurden die Befragten gefragt: Wie ist Ihre Arbeitszeit geregelt? Dabei gab es vier verschiedene Antwortalternativen:- Die Arbeitszeiten werden von der Organisation definiert ohne Möglichkeit zur Verände-

rung.- Man kann Arbeitsstunden innerhalb definierter Zeiten anpassen (z. B. in flexiblen Arbeitszeitmodellen).- Man kann zwischen verschiedenen von der Organisation definierten Arbeitszeitmodellen wählen.- Die Arbeitszeiten werden von den ArbeitnehmerInnen selbst bestimmt.

Die Ergebnisse dazu aus der Erhebung 2015 sind getrennt für unterschiedliche Länder in . Abb. 1.2 dargestellt.

Wie aus der Grafik ersichtlich ist, sind im Durchschnitt über die Hälfte der ArbeitnehmerIn-nen (55 %) aus der Europäischen Union an die von den Unternehmen definierten Arbeitszeiten gebunden. Demgegenüber gibt es 17 %, die vollkommen frei entscheiden können, wann sie ihre Arbeit verrichten. Diese Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Arbeitszeit ist am stärksten in den Ländern Albanien (48 %), Türkei (34 %) und Griechenland (31 %). Die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit flexibel innerhalb eines definierten Rahmens anzupassen, ist am stärksten in den Ländern Norwegen (43 %), Schweden (41 %), Dänemark (39 %) und Finnland (36 %). Eine Vorgabe, wann gearbeitet wird, ist am stärksten in Bulgarien (80 %), Litauen (75 %) und Zypern (74 %).

Die Flexibilität hinsichtlich des Ortes, an dem ArbeitnehmerInnen ihrer Arbeit nachgehen, wird derzeit noch weniger umfassend erfragt. Jedoch gibt es eine Frage nach der Anzahl der Ar-beitsorte, die mit „ein Arbeitsplatz“ oder „mehrere Arbeitsplätze“ zu beantworten ist. . Abb. 1.3 zeigt die entsprechenden Ergebnisse im Ländervergleich.

Die Grafik zeigt, dass Arbeitende in den Ländern der Europäischen Union hauptsächlich an einem Arbeitsplatz arbeiten. Im europäischen Durchschnitt sind es 70 %, wobei 30 % an mehr als einem Arbeitsplatz arbeiten. Im Vergleich zwischen den Ländern ist zu erkennen, dass ArbeitnehmerInnen in Finnland (46 %), Norwegen (43 %), Schweden (44 %) und Dänemark

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(41 %) am häufigsten an mehr als einem Arbeitsplatz arbeiten. Das Gegenstück hierzu bilden die Länder Slowakei (23 %), Italien (21 %), und die Türkei (17 %).

Statistiken zu Arbeitsbedingungen in Europa | |

Besuchen Sie die Webseite von Eurofound (eurofound.europa.eu/surveys/european-working-conditions-surveys), und stöbern Sie in den Ergebnissen. Lassen Sie sich für unterschiedliche Fragen Grafiken ausgeben, und vergleichen Sie die Ergebnisse zwischen Ländern, Altersstufen sowie männlichen und weiblichen StudienteilnehmerInnen. Welche Ergebnisse überraschen Sie? Welche Ergebnisse haben Sie erwartet?

. Abb. 1.2 Ergebnisse aus der sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (Eurofound 2016a) zu der Frage danach wie Arbeitszeiten geregelt sind

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel14

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1.3 Veränderungen von Arbeitstätigkeiten

Digitalisierung, Automatisierung und Individualisierung führen nicht nur dazu, dass Arbeit vermehrt digital sowie zeitlich und örtlich flexibel stattfindet und somit unterschiedliche For-men flexibler Arbeit entstehen, sondern sie beeinflussen auch Arbeitstätigkeiten an sich. Durch die Automatisierung werden Routinearbeiten oder körperlich anstrengende Arbeitstätigkeiten, wie sie beispielsweise am Fließband zu finden sind, zunehmend von Maschinen oder Robotern

. Abb. 1.3 Ergebnisse aus der sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (Eurofound 2016b) zu der Frage nach der Anzahl an Arbeitsorten

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übernommen. Der Mensch kümmert sich vermehrt um komplexere Arbeitstätigkeiten wie beispielsweise Steuerung und Überwachung der Maschinen und Roboter.

Insbesondere wissensbasierte Arbeit gewinnt dadurch an Bedeutung. Der Begriff des/der Wissensarbeiters/in wurde ursprünglich von Peter Drucker eingeführt. Der Begriff ist zwar we-nig scharf abgegrenzt, wir nennen hier dennoch die ursprüngliche Definition. Drucker (1991) definiert Wissensarbeit als Arbeit, die sich mit Wissen anstatt mit dem Einsatz von Muskelkraft beschäftigt. Das folgende Zitat beschreibt seinen Ansatz.

Definition

„An employee whose major contribution depends on his employing his knowledge rather than his muscle power and coordination, frequently contrasted with production workers who employ muscle power and coordination to operate machines“ (Drucker 1991, S. 564).

Definition

WissensarbeiterInnen (englisch: knowledge workers) beschäftigen sich mit Wissen anstatt mit dem Einsatz ihrer Muskelkraft (Drucker 1991).

Drucker beschreibt zudem, dass es die größte Managementaufgabe des 21. Jahrhunderts ist, Wissensarbeit produktiv zu gestalten. Dies ist der entscheidende Wettbewerbsfaktor der Welt-wirtschaft. Im Vergleich dazu beschreibt er, dass es die Aufgabe im letzten Jahrhundert war, die manuelle Arbeit produktiv zu machen (Drucker 1991). An der Definition des Begriffes Wissensarbeit gibt es einige Kritik, die besonders die Allgemeinheit und geringe Trennschärfe zu anderen Arbeiten betrifft. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den unterschied-lichen Definitionen von wissensbasierter Arbeit findet sich bei Hube (2005).

Obwohl der Begriff der Wissensarbeit oft unzureichend definiert wurde, können wir hier festhalten, dass es neben der physisch fordernden Arbeit auch eine wissensbasierte Arbeit gibt, innerhalb derer Informationen verarbeitet werden. Diese wissensbasierten Arbeitstätigkeiten be-inhalten unterschiedliche Arbeitstypen und -inhalte. Beispielsweise ist hier konzentriertes Arbei-ten denkbar, aber auch interaktive Arbeitstätigkeiten wie Kommunikation und Zusammenarbeit.

All diese Arbeitstätigkeiten sind und werden in Zukunft von Veränderungen in der Ar-beitswelt betroffen sein. Physische Arbeitstätigkeiten werden entweder vollkommen von der Maschine übernommen oder der Mensch wird dabei durch Technologien unterstützt (siehe die Beschreibung zum Stuttgarter Exo-Jacket in der ▶ Box). Die wissensbasierten oder kognitiven Arbeitsfähigkeiten verändern sich beispielsweise dahingehend, dass sie auch vermehrt virtuell umgesetzt werden.

Stuttgart Exo-Jacket

Das Exo-Jacket ist eine Jacke, die ein Arbeitender in der Montage, Logistik oder Produktion nutzen kann und dadurch bei physisch anstrengenden Hebetätigkeiten und Überkopfarbeiten unterstützt wird. Dieses Exoskelett bietet Kraftunterstützung und leitet die zusätzliche Last entweder in die Hüfte oder auch in den Boden ab. Dadurch wird die Arbeitstätigkeit für den/die Mitarbeiter/in weniger belastend, und arbeitsbedingten Erkrankungen des Bewegungsapparats kann vorgebeugt werden. Besonders im Hinblick auf den demografischen Wandel, welcher mit sich bringt, dass in Zukunft auch vermehrt ältere ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden, hilft so ein Exoskelett, gewisse Arbeitstätigkeiten langfristiger und schädigungsfrei auszuführen (Fraunhofer Future Work Lab, futureworklab.de).

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel16

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Zusammengefasst ändern sich die Arten der Arbeitstätigkeiten, die vom Menschen über-nommen werden, aber auch die Ausführung oder Beschaffenheit von erhaltenen Arbeitstätig-keiten. Dies hat einen Einfluss auf die Art und Weise, wie passende Arbeitsumgebungen für diese zukünftigen Arbeitstätigkeiten gestaltet sein sollten.

1.4 Anforderungen an die Gestaltung zukünftiger Arbeitsumgebungen

Eine wesentliche Fragestellung, die man sich im Kontext des Wandels von Arbeit stellen sollte, ist die nach der Gestaltung von passenden Arbeitsumgebungen und Räumlichkeiten. Wie zu-vor beschrieben, wird durch die technologischen Innovationen und Entwicklungen die fixierte Struktur von Arbeit aufgebrochen, was unter anderem auch dazu führt, dass Arbeit verstärkt immer und überall möglich ist. WissensarbeiterInnen sind mobil sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Organisation. Dies bringt neue Anforderungen an Arbeitsumgebungen mit sich. Aber auch die Veränderungen von Arbeitstätigkeiten führen zu Anforderungen an die Arbeitsumgebung. Komplexe Arbeitstätigkeiten erfordern beispielsweise eine ungestörtere Umgebung als Routinetätigkeiten.

Aber was ist überhaupt eine Arbeitsumgebung, und wie lässt sie sich definieren? Wir definie-ren als Arbeitsumgebung jene Umgebung, in der sich ein arbeitendes Individuum befindet. Dies umfasst das traditionelle Einzelbüro genauso wie das Kaffeehaus. In einer Arbeitsumgebung sind einerseits physische Aspekte wie Einrichtungsgegenstände oder Technologien zu finden, aber auch soziale Aspekte wie zum Beispiel Lebewesen (Menschen und Tiere). Diese Aspekte beziehungsweise Einheiten, die in der Arbeitsumgebung zu finden sind, können entweder real existieren oder virtuell abgebildet sein (siehe . Abb. 1.4).

Durch den Wandel in der Arbeitswelt und insbesondere durch technologische Innovatio-nen, sind die Umgebungen, in denen sich ein arbeitendes Individuum befinden kann, erweitert worden. Die folgenden Beispiele sollen die Bandbreite von Arbeitsumgebungen, innerhalb derer Arbeit stattfindet, verdeutlichen.

Beispiel 1 | |

Grafikerin Anna arbeitet in einem Einzelbüro. Hier hat sie einen eigenen Schreibtisch mit einem Laptop und einem Bildschirm. Sie ist schon länger in diesem Büro und hat es sich daher mit unterschiedli-chen Dingen persönlich eingerichtet. Bilder ihrer Kinder und auch Fotos von Reisen hängen an den Wänden. Außerdem hat sie einige Pflanzen, da sie gerne in einer grünen Atmosphäre arbeitet. In ihrem Einzelbüro hat Anna auch einen kleinen Besprechungstisch mit zwei Sesseln, den sie für kurzfristige Besprechungen nutzt. Für größere Besprechungen geht sie in den großen Besprechungsraum nebenan.

. Abb. 1.4 Aspekte einer Arbeits-umgebung

Virtualität

Physische Arbeitsumgebung

SozialeArbeitsumgebung

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Reflexion über unterstützende und belastende Aspekte von Arbeitsumge bungen |

Denken Sie nun die Beispiele durch und überlegen Sie, welche Aspekte der Arbeitsumge-bung hier physisch und welche sozial sind. Inwieweit sind diese Aspekte real oder virtuell existent? Wie könnte man diese Aspekte der Arbeitsumgebung so gestalten, dass sie für die Arbeitenden unterstützend sein können? Wie würde eine Gestaltung aussehen, die Arbeitende belastet?

Beispiel 2 | |

Martin ist selbstständig als Softwareentwickler tätig. Er arbeitet in verschiedenen Projekten mit Auf-traggebern aus unterschiedlichen Ländern. Zwischendurch macht er auch kleinere Arbeiten über Crowdsourcing Plattformen. Martin reist gerne und ist daher viel in anderen Ländern unterwegs. Das Reisen und seine Arbeitstätigkeit sind so wenig voneinander getrennt, dass es oft vorkommt, dass er vom Hotel aus oder sogar vom Strand aus arbeitet. Für seine Arbeit braucht er lediglich einen Laptop, Internet und sein Mobiltelefon. Die sonstige physische Arbeitsumgebung ändert sich stetig. Der Kontakt mit KundInnen findet häufig nur virtuell statt.

Beispiel 3 | |

Sarah ist Unternehmensberaterin. Ihre Arbeit ist sehr belastend, da sie täglich bis spät abends arbeitet. Um einen Ausgleich zu schaffen, fährt sie dabei stets mit dem Fahrrad zur Arbeit, zu Kunden oder von der Arbeit nach Hause. Während dieser Wege kommt es häufig vor, dass Sarah mit ihren MitarbeiterIn-nen telefoniert. Für diese Fälle nutzt sie einen Kopfhörer, den sie an ihr Smartphone ansteckt. Während der Fahrt bespricht sie dann beispielsweise mit einer Mitarbeiterin eine bevorstehende Besprechung mit Kunden. In diesem Fall ist die Arbeitsumgebung von Sarah ihr Anfahrtsweg. Das wesentliche Arbeitsmittel ist dabei das Mobiltelefon.

Beispiel 4 | |

Markus arbeitet in einer Produktionsanlage. Er bedient dort mehrere Maschinen gleichzeitig. Seine arbeitsbezogenen Interaktionen erfolgen daher hauptsächlich mit der Maschine. Kontakt mit anderen MitarbeiterInnen hat er lediglich in den Pausen. In seiner Arbeitsumgebung befinden sich hauptsächlich Maschinen, die auch Lärm verursachen.

Beispiel 5 | |

Julia ist bei einem Automobilkonzern angestellt und ist in einem Team für die Qualitätssicherung zuständig. Dabei muss sie einzelne Teile des Fahrzeuges oft ein- und ausbauen. Für diesen Vorgang verwendet sie eine Brille, die ihr mithilfe von AR-Anwendung die einzelnen Arbeitsschritte anzeigt (Anmerkung: AR steht für Augmented Reality, also erweiterte Realität). Ihre Arbeitsumgebung besteht daher nicht nur aus realen, sondern auch aus virtuellen Aspekten. Diese virtuellen Aspekte können unterstützend sein, aber auch belastend, wenn Kenntnisse zum Umgang mit dieser Technologie fehlen.

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel18

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Bei der Gestaltung von Arbeitsumgebungen ist zu beachten, dass Arbeit im digitalen Zeitalter nicht mehr nur in einem vordefinierten Rahmen versehen wird, sondern immer und überall stattfinden kann. Des Weiteren sind KollegInnen, Vorgesetzte und KundInnen nicht mehr nur real existent, sondern auch virtuell. KollegInnen sind auch nicht mehr nur menschlich, sondern können auch Maschinen oder Roboter sein. Neben dieser veränderten Ausgangslage stellen flexible Arbeitsformen und veränderte Arbeitsfähigkeiten Anforderungen an die Gestaltung von Arbeitsumgebungen.

1.4.1 Anforderungen bedingt durch flexibles Arbeiten

Flexible Arbeitsformen wie Gleitzeit, Telearbeit, Jobsharing oder Crowdworking stellen jeweils andere Anforderungen an Arbeitsumgebungen. Um eine optimale Gestaltung der Arbeits-umgebung zu erzielen, ist es wichtig hier jeweils passende Lösungen zu finden. Es gibt jedoch zwei wesentliche Aspekte, die für alle (und speziell für jene) flexible Arbeitsformen zu be-achten sind.- Erstens ist es wichtig, geeignete und funktionierende Informations- und Kommunika-

tionstechnologien zur Verfügung zu haben. Ohne sie wäre Telearbeit beschränkt und Crowdworking gar nicht möglich. Geeignete Technologien beinhalten mobile Endgeräte und (Cloud-)Lösungen, die es ermöglichen, Information von unterschiedlichen Stand-orten zu bearbeiten.- Zweitens sind Räumlichkeiten erforderlich, innerhalb derer diese Technologien funktio-nieren. Für Video- oder Telefonkonferenzen sind beispielsweise eine gute Internetverbin-dung, ausreichend Steckdosen und eine geeignete Raumakustik notwendig. Zu beachten ist auch, dass in Organisationen, innerhalb derer die Anzahl flexibel Arbeitender hoch ist, die Auslastung der Büroräumlichkeiten über den Tag oder die Woche hinweg stark variiert. Hier sind Unternehmen gefordert, passende Arbeitsumgebungen bereitzustellen, um auch ein Gefühl eines leeren Büros zu vermeiden (siehe auch flexible Büroumge-bungen in ▶ Kap. 3).

1.4.2 Anforderungen bedingt durch die Arbeitstätigkeit

Arbeitstätigkeiten können einerseits physischer oder wissensbasierter Natur sein. Bei wissens-basierten Arbeitstätigkeiten sind unterschiedliche Formen von konzentriertem Arbeiten bis hin zur Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen denkbar. Diese Arbeitstätigkeiten haben unterschiedliche Anforderungen an Arbeitsumgebungen.- Konzentrierte Arbeitstätigkeiten benötigen beispielsweise eine ungestörte und ruhige Ar-

beitsumgebung. Insbesondere Unterbrechungen durch KollegInnen, Vorgesetzte sollten hier vermieden werden. Am digitalisierten Arbeitsplatz sind Unterbrechungen auch ver-mehrt elektronisch möglich. Empfangene E-Mails können hier Arbeitsprozesse unterbre-chen, besonders wenn dabei die Push-Funktion und ein Signalton eingestellt sind. Aber auch Anrufe oder Nachrichten durch andere Dienste, die durch einen Signalton oder ein visuelles Signal auf sich aufmerksam machen, können hier unterbrechen. Räumlich-keiten, die einerseits eine physische, andererseits eine virtuelle Barriere schaffen, können den Arbeitenden dabei unterstützen, sich für eine gewisse Zeit Ablenkungen und Unter-brechungen zu entziehen und konzentriert zu arbeiten.

19 11.4 • Anforderungen an die Gestaltung zukünftiger Arbeitsumgebungen

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- Arbeitstätigkeiten, die Kommunikation und Zusammenarbeit beinhalten, benötigen hingegen andere Räumlichkeiten. Räumlichkeiten, die zum Austausch und Verweilen anregen, sind beispielsweise geeignet, informelle Kommunikation zu unterstützten. Wenn man innerhalb eines Workshops ein Thema erarbeiten möchte, benötigt man Räumlich-keiten mit einer passenden Größe und passender Ausstattung.- Physische Arbeitstätigkeiten in Zusammenarbeit mit Maschinen sollten in Umgebungen stattfinden, die auch ausreichend Sicherheit bieten. Besonders wenn Menschen und Roboter eng miteinander arbeiten, ist die Planung und Gestaltung der Arbeitsumgebung äußerst relevant hinsichtlich der Sicherheit. Da diese Arbeitstätigkeiten für den mensch-lichen Körper belastend sind, ist hier auch ein Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Erholung stattfinden kann. Nur so kann eine langfristige schädigungsfreie Ausübung von Arbeit ermöglicht werden.

Bei der Gestaltung von Arbeitsräumen sind daher besonders die Arbeitstätigkeiten ausschlag-gebend, deren Ausführung durch eine passende Umgebung unterstützt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass sich durch den Wandel in der Arbeitswelt die konkrete Ausführung von Arbeitstätigkeiten ebenfalls verändert. Eine genaue Analyse dieser Tätigkeiten ist daher für die optimale Gestaltung von Arbeitsumgebungen notwendig.

Veränderungen in der ArbeitsweltDie Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten so stark gewandelt, dass nun Generationen in einer Organisation aufeinandertreffen, die ganz unterschiedliche Arbeitsweisen kennengelernt haben. Das Arbeiten im heutigen digitalen Zeitalter ist besonders durch die intensive Nutzung von digitalen Technologien und durch eine (dadurch bedingte) Flexibilität gekennzeichnet. Menschen können mittlerweile an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten ihren Arbeitstätigkeiten nachgehen. Dadurch sind neue Formen von flexibler Arbeit denkbar, die vor einigen Jahrzehnten unmöglich gewesen wären. Allerdings zeigen aktuelle Zahlen, dass die Nutzung von zeitlicher und örtlicher Flexibilität in Europa lediglich von der Hälfte der arbeitenden Menschen genutzt wird.

Neben der Flexibilität ändern sich jedoch auch die Arbeitstätigkeiten selbst. Routineaufgaben werden vermehrt automatisiert, was dazu führt, dass sich der Mensch verstärkt mit komplexen und steuernden Arbeitsaufgaben beschäftigt. Fließbandarbeit verliert an Bedeutung, während kognitive Arbeitstätigkeiten relevanter werden.

Die genannten Konsequenzen der technologischen Innovationen führen auch dazu, dass Ar-beitsumgebungen, innerhalb derer menschliche Arbeit verrichtet wird, neu gedacht werden müssen. Generell wird die Bandbreite an Arbeitsumgebungen größer. Eine Arbeitsumgebung ist die Summe aller physischen und sozialen Aspekte der Umgebung eines arbeitenden Individuums. Diese Aspekte können real oder virtuell sein. Es stellt sich nun die wichtige Frage nach der passenden Gestaltung dieser Arbeitsumgebung. Um hier jedoch konkrete Hinweise geben zu können, ist es in einem ersten Schritt notwendig und wichtig, das arbeitende Individuum im digitalen Zeitalter genau zu verstehen.

Kapitel 1 • Die Arbeitswelt im Wandel20

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21 1Literatur

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Digitale Transformation der Wissens- und IndustriearbeitCornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

2.1 Digitalisierung: eine Begriffsdefinition – 24

2.2 Nutzung digitaler Technologien: Daten und Fakten – 27

2.3 Die Besonderheiten digital transformierter Arbeit – 29

2.3.1 Herausforderungen virtueller Kommunikation – 292.3.2 Koordination von virtuellen Teams – 342.3.3 Arbeitsplatzunsicherheit – 402.3.4 Kommunikation und Koordination

in der Mensch-Maschine-Interaktion – 442.3.5 Kompetenz- und Karriereentwicklung – 482.3.6 Flexibilität: Autonomie und Selbstbestimmung? – 502.3.7 Struktur und Routinen im flexiblen Arbeitsalltag – 522.3.8 Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben – 55

Literatur – 61

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Gerdenitsch, C. Korunka, Digitale Transformation der Arbeitswelt, Die Wirtschaftspsychologie DOI 10.1007/978-3-662-55674-0_2

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2.1 Digitalisierung: eine Begriffsdefinition

Bevor man die Effekte der Digitalisierung auf die Arbeitswelt erörtern und daraus Hinweise auf die Gestaltung neuer Arbeitsumgebungen ableiten kann, ist es unumgänglich, zunächst den Terminus „Digitalisierung“ zu definieren, dessen Ursprünge zu kennen und ihn begrifflich abzugrenzen. Die Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik (Hess 2017) liefert zwei unterschied-liche Interpretationsansätze von Digitalisierung (siehe . Abb. 2.1).

Fallbeispiel 1: Bankfilialen | |

Die vermehrte Nutzung neuer digitaler Technologien durch MitarbeiterInnen und KundInnen beein-flusst die Arbeit in verschiedensten Dienstleistungsbereichen maßgeblich. Besonders betroffen ist hier beispielsweise der Banken- und Finanzsektor, insbesondere die Arbeit in Bankfilialen: Durch geeignete mobile Applikationen können KundInnen Überweisungen auf ihren mobilen Endgeräten tätigen bzw. hier auch einen Überblick über ihr eigenes Konto inklusive der erfolgten Kontobewegungen gewinnen. Diese Nutzung des Onlinebankings (die Abwicklung der Bankgeschäfte über das Internet) führt dazu, dass Aufgaben, die bislang von MitarbeiterInnen in einer Bankfiliale getätigt wurden, nun von KundInnen selbst übernommen werden. Gleichzeitig ist es heutzutage auch möglich, Abhebungen und Einzahlungen von Geldbeträgen an verschiedensten Standorten zu tätigen, was zur Folge hat, dass die Nutzung einer einzigen lokalen Bankfiliale sukzessiv an Bedeutung verliert. Diese Entwicklungen führen unter anderem zu einer veränderten Kommunikation zwischen KundInnen und MitarbeiterInnen der Bankfilialen. So kann ein Kunde bzw. eine Kundin beispielsweise über Nach-richten innerhalb des Onlinebanking-Kontos mit MitarbeiterInnen der Bankfiliale und mit Computer-programmen (z. B. Chatbots) zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit kommunizieren. MitarbeiterInnen des Finanzdienstleistungssektors sind daher gefordert, sich Kompetenzen hinsichtlich der virtuellen Kommunikation anzueignen. Aufgrund des Umstands, dass Beratung und Service vermehrt virtuell stattfinden, sinkt auch die Notwendigkeit zur räumlich dichten und flächendeckenden Bereitstellung von Bankfilialen, und speziell ersetzen fokussierte größere Kundenzentren, in denen gezielt persönliche Beratung stattfindet, viele kleinere Bankfilialen.

Fallbeispiel 2: Logistiklager von Amazon.com | |

Der amerikanische Online-Versandhändler Amazon.com setzt in seinen Logistikzentren vermehrt auf den Einsatz komplexer Robotersysteme, die 24 h täglich an sieben Tagen die Woche eingesetzt werden können. Da in der Regel lediglich Wartungsvorgänge einen Arbeitsausfall der Roboter verursachen, kann somit die Produktivität innerhalb des Logistiklagers maßgeblich erhöht werden. Amazon.com verfügt zu diesem Zweck über einen eigenen Entwicklungsbereich namens AmazonRobotics.com. Hier wird an neuen Robotersystemen für den Logistikbetrieb und an der Optimierung der bereits bestehenden Systeme gearbeitet, unter anderem an kleinen orangefarbenen Transportrobotern. Diese Transportroboter wurden ursprünglich von Kiva Systems entwickelt und werden nun von Amazon.com weiter optimiert und umfassend eingesetzt. Weltweit verwendet Amazon.com Robotersysteme in 20 von insgesamt 350 Amazon.com-Logistikzentren, wobei bereits ca. 45.000 der kleinen orangefar-benen Maschinen im Einsatz sind. Aufgabe dieser Transportroboter ist es, mit Waren befüllte Regale zu Stationen zu befördern, an denen jeweils Menschen diese Waren einordnen, in Pakete verpacken und versandfertig machen. Simple Transporttätigkeiten werden demnach von Robotern erledigt, und (wenige) Menschen übernehmen die komplexeren Tätigkeiten (Fuchs 2017). Diese veränderten Arbeits-abläufe bringen auch neue Anforderungen an menschliche Arbeit mit sich – Fähigkeiten, in denen Menschen den Robotern überlegen sind, gewinnen an Bedeutung, wohingegen einfache Routinetätig-keiten vermehrt von computergestützten Systemen übernommen werden.

Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit24

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Der erste davon ist technischer Natur. Diesem Ansatz zufolge beschreibt Digitalisierung das Überführen analoger Informationen in eine digitale Speicherform; so können beispielsweise analoge Informationen in Papierform eingescannt und digital abgespeichert werden. Ähnliche Vorgänge gibt es bei analogem Bild- oder Tonmaterial. Das Gerät, welches zur Überführung analoger Informationen in digitale (d. h. binäre) Form verwendet wird, wird Digitizer genannt, in Anlehnung an den englischen Fachausdruck für die Überführung von analoger zu digitaler Speicherung, welches als „digitizing“ bezeichnet wird. Ein Digitizer nutzt einen Sensor, um die analoge Information zu erfassen, und eine Software, die diese Information in ein digitales Format überführt. Im Gegensatz zu analogen Inhalten sind digitale Inhalte nicht an ein Medium gebunden, sondern können auf unterschiedlichen Endgeräten präsentiert werden.

Neben dieser technischen Interpretation auf rein technischer Ebene beschreibt Hess (2017) jedoch eine zweite und neuere Deutung des Begriffs. Hier wird unter Digitalisierung die Über-tragung von Aufgaben auf den Computer verstanden, der Ausdruck bezeichnet demnach eine spezielle Form von Automatisierung, konkret ausgedrückt: die (Teil-)Automatisierung mithilfe der Nutzung von Informationstechnologien. Bisher übernahmen Computer hauptsächlich Auf-gaben, die durch ihren repetitiven Charakter gekennzeichnet waren, mittlerweile werden jedoch auch weniger stark formalisierte und strukturierte Aufgaben digital ausgeführt. Ein Beispiel hierfür sind Systeme, die das NutzerInnenverhalten auf Webseiten analysieren und NutzerInnen gezielt ansprechen, ob Hilfe bei der Suche benötigt wird.

Definition

Digitalisierung kann somit auf unterschiedliche Art und Weise interpretiert werden. Die technische Interpretation beschreibt Digitalisierung als Überführung von analogen Infor-mationen in eine digitale Speicherform, der andere, „operationale“ Deutungsansatz bezieht sich auf die Übertragung von Aufgaben, die bislang von Menschen ausgeführt wurden, auf den Computer (Hess 2017).

Digitalisierung wird oftmals auch mit digitaler Transformation gleichgesetzt. Unter digitaler Transformation ist ganz allgemein der gesellschaftliche Veränderungsprozess zu verstehen, welcher durch die Weiterentwicklung im Bereich der Informationstechnologien hervorgerufen

. Abb. 2.1 Ver-anschaulichung zur Interpretation des Begriffes Digitalisierung. (Nach Hess 2017)

(1) Technische Interpretation: Umwandlung von analoger in digitale Information

(2) Übertragung von Aufgaben auf den Computer

Analoge Information Digitale InformationDigitizer

25 22.1 • Digitalisierung: eine Begriffsdefinition

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wird. Digitale Transformation ist mittlerweile in vielen Bereichen erkennbar, wobei die Aus-wirkungen für Organisationen besonders hervorzuheben sind. Organisationen beschäftigen sich dabei mit Veränderungen von Kernprozessen, veränderten Schnittstellen zu KundInnen, neuen Produkten und Services sowie neuen Geschäftsmodellen (Hess 2017).

> Unter digitaler Transformation ist der Wandel zu verstehen, welcher durch die Weiter-entwicklung von Informationstechnologien hervorgerufen wird (Hess 2017).

Die beiden Fallbeispiele über Bankfilialen und Logistiklager veranschaulichen die digitale Trans-formation von Arbeitsabläufen. Die menschliche Arbeitstätigkeit – sowohl in der Bankfiliale als auch im Logistiklager – verändert sich durch den vermehrten Einsatz von digitalen Techno-logien. Diese Technologien sind im Falle der Bankfiliale Informations- und Kommunikations-technologien, im Falle des Logistiklagers Robotersysteme. Diese beiden Beispiele verdeutlichen die Bandbreite von Technologien, die die digitale Transformation von Arbeit verursachen.

Generell lassen sich Computer als Maschinen definieren, die durch digitale Informations-verarbeitung und flexible Programmierbarkeit gekennzeichnet sind. Computer bestehen aus Hardware und Software, wobei Hardware die physikalischen Komponenten umfasst, die typi-scherweise aus Prozessoren, Speicher, Peripherie- bzw. Ein- und Ausgabegeräten sowie deren Datenverbindung durch Bussysteme bestehen. Die Software dagegen ist die Programmierung und beinhaltet üblicherweise ein Betriebssystem und Anwendungssoftware (Applikationen). Computer können durch Netzwerke miteinander verbunden werden, um Daten auszutauschen oder um Applikationen auf mehrere Computer zu verteilen. Beispiele dafür sind Applikationen, die der Client-Server-Architektur folgen, wie z. B. ein Web-Browser, der Daten von einem Web-Server lädt, oder eine betriebliche Anwendung, die Daten in einer zentralen Unternehmens-datenbank speichert. Das Internet ist ein solches Netzwerk zwischen Computern, das sich zum globalen Standard entwickelt hat und von sehr vielen Menschen und Unternehmen zu ver-schiedensten Zwecken wie Informationsaustausch, Kommunikation, Handel, Übertragung von Unterhaltungsmedien und vielem mehr genutzt wird.

Anhand dieser Unterscheidung bestehen digitale Technologien, beispielsweise mobile Endgeräte, (Laptop, Smartphone, Smart Watch, Tablet) aus Hardware, auf denen Software-Anwendungen wie beispielsweise Kommunikationsapplikationen, soziale Medien, Browser, Nachrichtendienste, Arbeitsprogramme, Cloud-Dienste laufen. Auch eine 3D-Brille kann als Hardware dienen, wobei diese Programme und Anwendungen beinhaltet, mit deren Hilfe der Mensch sich in erweiterte (Augmented Reality) oder virtuelle Realitäten (Virtual Reality) be-geben kann. Innerhalb dieser Realitäten kann man kommunizieren, miteinander arbeiten oder Aufgaben lösen. Aber auch ein Supercomputer, auf dem typischerweise Spezialanwendungen wie z. B. Big-Data-Analysen, Wettervorhersagen oder sogenannte Künstliche-Intelligenz-Sys-teme laufen können, ist Hardware. Desgleichen kann eine Maschine im Produktionsbetrieb als Hardware gelten, deren Software mittlerweile die Kommunikation zwischen verschiedenen Maschinen einer oder mehrerer Produktionsstätten erlaubt. Roboter bzw. Robotersysteme halten verstärkt Einzug in Produktionsbetriebe. Oft sind sie mit Sensoren ausgestattet, um Informationen aus der Umwelt zu sammeln, Muster zu analysieren und um entsprechende Aktionen in Gang zu setzen.

Der Einsatz aller dieser digitalen Technologien führt zu einem Wandel in der Wissens- und Industriearbeit, mit anderen Worten: Durch all diese Technologien findet die digitale Trans-formation von Arbeit statt. Daher ist auch in der Diskussion über Digitalisierung und digitale Transformation von Arbeit die Bandbreite möglicher Technologien zu beachten.

Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit26

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2.2 Nutzung digitaler Technologien: Daten und Fakten

Im täglichen (Arbeits-)Leben ist in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten ein Anstieg in der Nutzung von digitalen Technologien zu verzeichnen. In Restaurants, Kaffeehäusern oder an öffentlichen Plätzen begegnet man immer häufiger Menschen, die verschiedenste Technologien nutzen, mithilfe derer sie sich in sozialen Medien über Entwicklungen in der Welt informieren, mit Freunden und Bekannten über Videotelefonie kommunizieren oder beim Sport Daten über Puls und Geschwindigkeit aufzeichnen. Im Arbeitskontext ist die Verbreitung von portablen PCs und Mobiltelefonen längst zur Norm in vielen Unternehmen geworden, und ohne die Nutzung dieser digitalen Technologien ist Arbeiten in diesen Unternehmen meist gar nicht mehr denkbar. Es scheint, als ob digitale Technologien bereits weitgehend Einzug ins Arbeits- und Sozialleben gefunden haben. Aber ist dieser Eindruck zutreffend? Ist dies nur in wirt-schaftsstarken Industriestaaten der Fall? Die folgenden Daten und Fakten sollen einen Überblick darüber vermitteln, wie sich die Verbreitung digitaler Technologien in den letzten Jahrzehnten in Europa und weltweit entwickelt hat.

Die Weltbankgruppe sammelt weltweit Daten zu unterschiedlichen Themenbereichen. In Bezug auf die Digitalisierung wurden jährlich Daten zur Nutzung von Festnetzanschlüssen, Internet, Breitbandverträgen und Mobilfunkverträgen erhoben. Besonders hervorstechend ist dabei der starke Anstieg in Bezug auf die Nutzung mobiler Technologien innerhalb der letzten 20 Jahre. Die folgende Abbildung verdeutlicht diese Zahlen (siehe . Abb. 2.2).

Die Zahl der Festnetzanschlüsse hat zwischen 1970 und 2005 weltweit stark zugenommen. Im Jahre 1970 waren es lediglich 6 Personen (von 100), die über einen Festnetzanschluss ver-fügten; im Jahr 2005 waren es bereits 19. Dieser Anstieg hat sich jedoch nicht bis ins Jahr 2015 fortgesetzt, im Gegenteil, die Anzahl der Personen mit einem Festnetzanschluss reduzierte sich auf 14 im Jahr 2015 (Daten der Weltbank 2017a). Ein ganz anderes Bild vermitteln die Zahlen zur Internetnutzung, zur Nutzung von Breitbandinternet und zu Mobilfunkverträgen: In allen drei Bereichen zeichnet sich seit der Jahrhundertwende ein weltweiter linearer Anstieg in Bezug auf die Nutzung ab. Bis 1996 nutzte weniger als eine Person unter 100 das Internet; im Jahr 2015 hingegen waren es bereits 44 (Daten der Weltbank 2017b). In Bezug auf die Nutzung des Breit-bandinternets stehen einer Person im Jahr 2001 11 Personen im Jahr 2015 gegenüber (Daten der Weltbank 2017c). Ein besonders hoher Anstieg ist hinsichtlich der Mobilfunkverträge zu

. Abb. 2.2 Weltweite Nutzung digi-taler Technologien (Zahlen pro 100 Personen)

Festnetzanschlüsse Breitbandinternet

Internetnutzung Mobilfunkverträge

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Anmerkung: Zahlen beziehen sich auf pro 100 Personen; Daten stammen aus Erhebungen der Weltbank (data.worldbank.org)

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1970 2005 2015

1 11

2001 2015

1 44

1996 2015

2 99

1995 2015

27 22.2 • Nutzung digitaler Technologien: Daten und Fakten

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verzeichnen. Im Jahr 1995 waren es noch 2, im Jahr 2015 dagegen 99 von 100 Personen, die weltweit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen haben (Daten der Weltbank 2017d).

Bezüglich der Daten und Fakten im Bereich der Robotik gibt der sogenannte Welt-Roboter-Report (von der International Federation of Robotics, IFR) aus dem Jahr 2016 Aufschluss über die weltweite Verbreitung von Robotern. Im Jahr 2005 wurden weltweit 120.000 industrielle Roboter eingesetzt, eine Zahl, die sich bis zum Jahr 2015 auf 254.000 erhöht hat. Der Interna-tional Federation of Robotics (IFR) zufolge werden bis zum Jahr 2019 insgesamt mehr als 1,4 Mio. neue industrielle Roboter in Produktionsstätten eingesetzt werden.

Derzeit werden die meisten Roboter in den Bereichen Automobilherstellung, Elektro/Elek-tronik und Metallverarbeitung eingesetzt. Seit 2013 ist China der größte Markt für Roboter-systeme (International Federation of Robotics 2016), eine Vormachtstellung, die sich auch nach Betrachtung der Zahlen zu Patenten im Bereich der Robotik zeigt. IFI (2016; zitiert aus Waters und Bradshaw 2016) hat eine Statistik über die Patente im Bereich von Robotik erhoben, der-zufolge die USA, China, Japan, Südkorea und Europa im Jahr 2006 jeweils um die 1000 Patente angemeldet haben. Im Jahr 2015 unterschied sich die Anzahl für China beträchtlich von der der anderen Länder: China meldete mehr als 3000 Patente an, wobei die übrigen betrachteten Länder knapp unter jeweils 1500 lagen.

Neben den weltweiten Daten, die durch die Weltbankgruppe und die IFR erhoben wer-den, zeigen Daten von Eurostat die Entwicklung digitaler Technologien speziell für Europa. Die Richtung des europäischen Trends unterscheidet sich dabei nicht vom weltweiten: Auch hier ist die Zunahme der Nutzung digitaler Technologien erkennbar. Beispielsweise zeigen die Daten, dass die Haushalte mit Internetnutzung von 2007 bis 2016 deutlich zugenommen haben. Im Jahr 2016 nutzten bereits 85 % aller Haushalte das Internet, wobei hier die Nut-zungsrate in den Ländern Luxemburg und Niederlande mit jeweils 97 % am stärksten war (Eurostat 2017a).

> Die Internetnutzung in Europa hat zwischen 2007 und 2016 deutlich zugenommen. Im Jahr 2016 nutzten im Durchschnitt bereits 85 % der europäischen Haushalte das Internet (Eurostat 2017a).

Die statistischen Daten veranschaulichen auch den Einfluss von Alter und Ausbildung auf die Internetnutzung. In der Altersgruppe zwischen 16 und 24 Jahren nutzen bereits 96 % regel-mäßig das Internet, im Vergleich dazu sind dies in der Altersgruppe zwischen 55 bis 74 Jahren jedoch nur 57 %. In Bezug auf den Bildungsstand zeigte sich, dass Personen mit höherer Aus-bildung das Internet häufiger nutzen als Personen mit geringerer Qualifikation. Außerdem wird deutlich, dass das Internet hauptsächlich zur Kommunikation und zur Beschaffung von Informationen genutzt wird (Eurostat 2017b).

Die Hälfte der NutzerInnen verwendet das Internet mithilfe mobiler Endgeräte wie bei-spielsweise Laptops, Tablets und Smartphones. Eine von fünf Personen benutzt die sogenannte „Cloud“ zur Speicherung von Daten. In der Cloud lassen sich große Datenmengen und Software speichern, und Nutzer von Cloud-Diensten können persönliche Daten in der virtuellen Cloud (metaphorisch „Wolke“) ablegen, was bedeutet, dass diese Daten in einem entfernten (im Ge-gensatz zu einem lokalen) Server in einem Rechenzentrum gespeichert werden. Darüber hinaus kann man auch Programme aus der Cloud abrufen und nutzen. Jüngere Personen (16–24 Jahre) nutzen Cloud-Dienste häufiger als ältere Personen (55–74 Jahre), wobei offenbar die Haupt-barriere zur Nutzung von Cloud-Diensten in Bedenken wegen der Sicherheit der Daten und der Privatsphäre besteht (Eurostat 2017a).

Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit28

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Definition

Durch die Nutzung von Cloud-Diensten kann man Daten in der Cloud (metaphorisch „Wolke“) speichern; dies bedeutet, dass sie in einem entfernten (im Gegensatz zu einem lokalen) Rechenzentrum gespeichert werden (Eurostat 2017a). Beispielsweise lassen sich über Google Drive oder Dropbox Daten in der Cloud speichern.

Neben der individuellen Nutzung erhob Eurostat auch Daten zur organisationalen Nutzung von digitalen Technologien. Soziale Medien haben auch für Organisationen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ziel dabei ist einerseits die Vermittlung eins bestimmten Images und andererseits die Vermarktung von Produkten. Seit 2013 kam es unter Organisationen zu einem starken Anstieg in der Nutzung sozialer Medien, sodass im Jahr 2015 bereits 79 % der Unternehmen soziale Medien nutzten (Eurostat 2017c).

> Durch soziale Medien können NutzerInnen vernetzt werden und über sie kom-munizieren und kooperieren. Häufig ist diese Form profilbasiert, d. h., einzelne Personen legen ein persönliches Profil an und vernetzen sich mit anderen Personen bzw. Profilen (Bendel 2017). Weit verbreitete soziale Medien sind derzeit Facebook, Instagram und Snapchat.

Neben der Internetnutzung steigt auch die Zahl der industriellen Roboter in Europa stetig an. In ausgewählten Ländern in Westeuropa (Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, England) stieg die Zahl industriell eingesetzter Roboter von 23.000 im Jahr 2010 auf 35.000 im Jahr 2015, und bis zum Jahr 2019 wird ein weiterer Anstieg auf bis zu 46.000 erwartet. Geringere Zahlen, aber ein ähnlicher Trend, sind für Mittel- und Osteuropa zu vermerken: Hier lag die Anzahl industrieller Roboter im Jahr 2010 bei 3000 und im Jahr 2015 bei 6000. Auch hier ist bis zum Jahr 2019 von einem Anstieg auszugehen (International Federation of Robotics 2016).

2.3 Die Besonderheiten digital transformierter Arbeit

Durch die Nutzung der eingangs beschriebenen digitalen Technologien verändert sich die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet ist: Bislang von Menschen ausgeführte Aufgaben werden dem Computer übertragen, es kommt zu einer verstärkten Flexibilität von Arbeit und zu neuen Anforderungen an technologische Kompetenzen der Mitarbeiter. Der Mensch arbeitet somit vermehrt digital und flexibel, sowohl im Bereich der Wissensarbeit als auch im Industriebereich. Diese neue Art von Arbeit bringt bestimmte Besonderheiten mit sich, die im Folgenden näher beleuchtet werden. Konkret ist auf die folgenden Besonderheiten digitaler und flexibler Arbeit einzugehen: Kommunikation und Koordination in virtuellen Teams sowie zwischen Mensch und Maschinen, Arbeitsplatzunsicherheit und selbstständige Karriereentwicklung, Flexibilität und Struktur im Arbeitsalltag sowie Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben.

2.3.1 Herausforderungen virtueller Kommunikation

Zusätzlich zur persönlichen Kommunikation findet Kommunikation zwischen Arbeitenden häufiger virtuell statt. Diese virtuelle Kommunikation erfolgt mithilfe mobiler Endgeräte wie

29 22.3 • Die Besonderheiten digital transformierter Arbeit

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beispielsweise Mobiltelefone, Smartphones oder spezieller Anwendungen auf Laptops oder Tablets. Neben einer mündlichen virtuellen Kommunikation (z. B. über Anrufe am Mobil-telefon) besteht auch die Möglichkeit der schriftlichen virtuellen Kommunikation (z. B. über E-Mails oder Messenger-Dienste). Aufgrund der Tatsache, dass Arbeitende häufig flexibel, d. h. zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten arbeiten, ist diese letztgenannte Art der Kommunikation besonders hilfreich. Arbeitende können so einerseits von unterschied-lichen Orten aus miteinander kommunizieren, andererseits aber auch Nachrichten senden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Empfänger gelesen oder abgehört werden können. Neben diesen Vorteilen birgt die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien jedoch auch einige Herausforderungen. Für eine sehr verbreitete Art der virtuellen Kommunikation in Organisationen – die Kommunikation via E-Mails – haben Derks und Bakker (2010) solche Herausforderungen zusammengefasst:1. Fehlende nonverbale Hinweisreize: Non-verbale Hinweisreize bestehen in der nichtvirtuellen

bzw. persönlichen Kommunikation im Ton der Stimme, der Sprechgeschwindigkeit oder in Mimik und Gestik. Insofern beinhaltet eine Nachricht, die von einem Sender an einen Emp-fänger kommuniziert wird, neben der aufgabenorientierten Information auch eine soziale Information. In der Kommunikation via E-Mail können allerdings nonverbale Hinweisreize nicht bzw. nur limitiert transportiert werden. Daher bleibt diese Kommunikation oft nur auf die aufgabenbezogene Information reduziert, was besonders in Situationen, die durch Un-sicherheit bezüglich der Auslegungsmöglichkeiten gekennzeichnet sind, problematisch wird, denn in solchen Fällen wird die Einschätzung der Nachricht durch den Empfänger erschwert. Andererseits aber kann durch das Weglassen von Emotionen innerhalb einer Kommunikation die Sachlichkeit erhöht werden. Demnach kann eine E-Mail-Kommunikation auch förderlich sein, wenn es darum geht, Emotionen zu regulieren (Derks und Bakker 2010).Dieses Fehlen nonverbaler Hinweisreize hat dazu geführt, dass sich im Rahmen dieser Kommunikationsform Möglichkeiten zur Substituierung entwickelt haben. So werden beispielsweise zum Ausdruck von Stimmungen oder Gefühlszuständen häufig Emoticons verwendet (ein lächelndes Gesicht etwa lässt sich durch :-) oder :) ausdrücken). Verschie-dene Messenger-Dienste bieten bereits ein umfassendes Repertoire an Emoticons an, die in Nachrichten verwendet werden können. Darüber hinaus können auch Bilder, die be-stimmte Emotionen verdeutlichen, gesendet werden; sie werden als „Sticker“ bezeichnet. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von mehreren Ausrufezeichen als Signal für Dringlichkeit. Auch die Verwendung von Großbuchstaben in einer Nachricht hat eine Bedeutung, nämlich die des Schreiens – in Großbuchstaben geschriebene Worte ver-mitteln also, dass der Absender sie sehr laut und aufgeregt äußert. Gerade die letzteren beiden Beispiele, also die Verwendung mehrerer Ausrufezeichen und die Verwendung von Großbuchstaben, gelten jedoch im organisationalen Kontext als wenig professionell, unter anderem deshalb, weil sie eine gewisse Aggressivität vermitteln. Besonders bei der Übermittlung negativer Emotionen kann die schriftliche Kommunikation über virtuelle Medien kritisch sein, da der Sender nicht die unmittelbare Reaktion des Empfängers bei Erhalt der Nachricht sieht. Generell zeigt sich aber, dass in der virtuellen schriftlichen Kommunikation eher positive Emoticons verwendet werden als negative (Derks et al. 2008). Zusammengefasst kann man festhalten, dass der E-Mail-Kommunikation zwar nonverbale Hinweisreize fehlen, jedoch geeignete Möglichkeiten entstanden sind, sie durch Emoticons, Satzzeichen oder Bilder zu ersetzen. Die Beispiele in der folgenden Tabelle (. Tab. 2.1) sollen einen Überblick über die Möglichkeiten, auch in E-Mails Emo-tionen zu transportieren, vermitteln. Beispiel A beschreibt eine neutral formulierte E-Mail,

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die wenig Aufschluss darüber gibt, in welcher emotionalen Verfassung der Sender war. Beispiel B hingehend wurde von einem aufgebrachten bzw. wütenden Sender verfasst. Beispiel C beschreibt eine nett formulierte Nachricht, die den Eindruck erweckt, als ob der Sender Interesse daran habe, eine positive Beziehung zum Empfänger aufzubauen bzw. zu erhalten.

2. Missverständnisse: Eine weitere Herausforderung bei der Kommunikation via E-Mail stellen Missverständnisse in der Kommunikation dar, die besonders bei egozentrischem Verhalten des Senders auftreten können. Dadurch entsteht Stress, wenn beispielsweise der Sender da-von ausgeht, seine/ihre Nachricht (z. B. einen Arbeitsauftrag) klar kommuniziert zu haben, der Empfänger die Nachricht jedoch anders interpretiert. Auch humoristische oder sarkas-tische Inhalte können zu Missverständnissen führen. Wenn Missverständnisse auftreten, wird die Investition wertvoller Zeit und Ressourcen in deren Aufklärung erforderlich, diese Zeit und Ressourcen sind jedoch oftmals nicht vorhanden. Insofern kann E-Mail-Kom-munikation bei Missverständnissen Stress auslösen (Derks und Bakker 2010). . Tab. 2.1 liefert auch hierzu ein Beispiel: Hier versucht der ursprüngliche Sender, den Empfänger daran zu erinnern, dass er einen Bericht abschicken sollte. Der Empfänger gewinnt jedoch dadurch den Eindruck, dass eine zwischen ihm und dem Sender gemeinsam vereinbarte Zeitplanung vergessen wurde. Dieses Missverständnis muss erst richtig gestellt werden.

3. Feedback: Feedback ist im Arbeitskontext sehr wichtig, da es die Weiterentwicklung der Ar-beitenden unterstützt. Feedback kann sowohl eine kritisierende als auch eine motivierende

. Tab. 2.1 Beispiele zu Herausforderungen von E-Mail-Kommunikation

Fehlende-non-verbale Hinweisreize

Beispiel ASehr geehrter Herr Weber,senden Sie mir bitte den Ab-schlussbericht zu.Beste GrüßeStefanie Krass

Beispiel BSehr geehrter Herr Weber,senden Sie mir ASAP den Ab-schlussbericht zu!!!SK

Beispiel CSehr geehrter Herr Weber,senden Sie mir bitte den Ab-schlussbericht, sobald sie ihn fertig durchgesehen haben, zu.Vielen Dank ☺ und beste Grüße,Stefanie Krass

Missverständnisse: Verlauf einer E-Mail-Kommunikation zwischen Frau Krass und Herrn Weber

Sehr geehrter Herr Weber,Ich möchte Sie noch an den Abschlussbericht erinnern.Beste GrüßeStefanie Krass

Sehr geehrte Frau Krass,Ich hab Ihnen gesagt, dass ich erst morgen dazu komme, ihn durchzusehen! Danach werde ich ihn an Sie übermitteln …Beste GrüßeMatthias Weber

Sehr geehrter Herr Weber,Ja das wusste ich eh – wollte sie dennoch daran erinnern, dass Sie den Abschlussbericht wie vereinbart morgen schicken.Beste GrüßeStefanie Krass

* Anmerkung: asap = as soon as possible (so schnell wie möglich)

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Komponente beinhalten, und die Art und Weise, in der der kritisierende Inhalt transportiert wird, ist ausschlaggebend dafür, ob und wie Feedback vom Empfänger aufgenommen und akzeptiert wird. Dies hängt auch von der jeweiligen Organisationskultur ab. So ist es im westlichen Raum beispielsweise üblich, in starkem Maße kritisches Feedback nicht über E-Mail zu kommunizieren, sondern sich mit dem Empfänger persönlich zu treffen.

4. Unterschiede zwischen Sender und Empfänger: Es kann Unterschiede zwischen Sender und Empfänger geben, die bei der Kommunikation beachtet werden sollen. So kann es zu Situa-tionen kommen, in denen die Kommunikation über das Medium E-Mail für den Sender ein schneller und hilfreicher Weg ist, vom Empfänger jedoch als unpassend wahrgenommen wird. Sender und Empfänger können sich auch bezüglich ihrer Erwartungen hinsichtlich der Reaktionszeit auf E-Mails unterscheiden, was ebenfalls als stressverursachend emp-funden werden kann (Derks und Bakker 2010).

Je nachdem, wie man mit diesen beschriebenen Herausforderungen umgeht, kann somit die Kommunikation via E-Mail als unterstützend oder belastend wahrgenommen werden. Im organisationalen Kontext gibt es hier oft Regeln und Normen zu der Art und Weise, wie die Kommunikation via E-Mail zu gestalten ist. Bei Google Inc. gibt es beispielsweise genaue Regeln dazu, wie man die E-Mail-Kommunikation effizient einsetzt. Zwei Mitarbeiter haben diese Re-geln zur Kommunikation via E-Mail in einem Buch publiziert; in der folgenden ▶ Box werden neun dieser Regeln beschrieben.

Eine Forschergruppe in Japan hat sich auch damit beschäftigt, wie man Roboter nutzen kann, um die fehlenden Hinweisreize in virtueller Kommunikation zu kompensieren. Sie ent-wickelten einen Telenoiden, um ein engeres Gefühl der Verbundenheit zwischen Sender und Empfänger zu ermöglichen (siehe ▶ Exkurs „Telenoid R1“).

Jedoch reicht es nicht, lediglich Technologien bereitzustellen, die Unterstützung bei virtuel-ler Kommunikation bieten. Denn auch die Arbeitenden selbst, die über digitale Technologien miteinander kommunizieren, benötigen eine bestimmte Kompetenz im Umgang mit diesen Kommunikationstechnologien. Dies beinhaltet nicht nur das Wissen über die Bedienung der Geräte, sondern auch das Wissen darüber, wie man die Technologien dazu nutzen kann, nega-tive Folgen zu vermeiden. Durch einen beschleunigten Fortschritt im Bereich neuer Techno-logien sind Arbeitende immer wieder neu gefordert, sich einen geeigneten Umgang mit neuen Technologien anzueignen bzw. ihn anzupassen.

Wie zuvor beschrieben, besteht eine Möglichkeit dazu in der Definition von Regeln und Arbeitsanweisungen zur Nutzung der Kommunikationstechnologie, eine weitere betrifft die Trennung der privaten von der Diensttelefonnummer. Eine andere Möglichkeit ist es, z. B. innerhalb eines Teams über Erwartungen bezüglich Erreichbarkeit und Antwortdauer zu spre-chen und diesbezüglich ein gemeinsames Regelwerk zu vereinbaren. Aber warum sind solche Kommunikationsregeln wichtig? Einerseits kann dadurch die Effizienz und Effektivität in der Kommunikation erhöht werden, andererseits aber lässt sich dadurch vermeiden (bzw. lässt sich die Gefahr eingrenzen), dass sich Arbeitende durch die Kommunikationstechnologie belastet fühlen.

Derks und Bakker (2010) haben in ihrer Aufzählung von Herausforderungen in der E-Mail-Kommunikation auch darauf hingewiesen, dass diese Art der Kommunikation beim Sender und/oder Empfänger Stress auslösen kann. Vor allem mobile Endgeräte, die einen Signalton bei eingehenden Anrufen und Nachrichten abgeben und auf denen man theoretisch permanent erreichbar sein kann und sollte, können hier belastend wirken.

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Regeln zur Kommunikation via E-Mail (Schmidt und Rosenberg 2014)

Im Time Magazine veröffentlichten zwei Personen aus der obersten Führungsebene von Google (Eric Schmidt und Jonathan Rosenberg) die folgenden Regeln zur Kommunikation via E-Mail:1. Beantworte deine E-Mails möglichst schnell. Unterscheide dabei nicht zwischen Absendern. Jede/r

Absender/in sollte dasselbe Recht haben, eine Antwort zu erhalten. Dabei können die Antworten auch sehr kurz sein. Durch die schnelle Reaktion auf E-Mails signalisiert man Interesse und wird somit auch in Zukunft in Kommunikationen eingebunden. Außerdem lässt sich durch dieses Reaktionsverhalten eine leistungsorientierte Organisationskultur mit flachen Hierarchien formen. Wenn sich eine schnelle Beantwortung von E-Mails in den Arbeitsalltag eingespielt hat, ist es auch vorteilhaft, KollegInnen oder MitarbeiterInnen gezielt die Bedeutung einer Nichtantwort zu kom-munizieren. Beispielsweise könnte dies ein Signal der Zustimmung zu einem Vorschlag bedeuten. Die Sender wissen dadurch, dass man als Empfänger keine Einwände hat, und können dann ihren Arbeitsprozess weiter fortführen.

2. Sei so klar und präzise in deiner Kommunikation wie möglich. Dies ist besonders bei Arbeitsaufträ-gen wichtig. Daher sollte man ausreichend Zeit in das Verfassen von E-Mails investieren. Vorteilhaft ist es auch, gezielt Wörter und Sätze, die nicht notwendig sind, d. h. keinen zusätzlichen Informati-onsgehalt haben, zu löschen.

3. Entrümple deinen Posteingang: Denk mal darüber nach, wie oft du deine E-Mails im Posteingang ansiehst und überlegst, welche dieser Anfragen du zuerst beantworten solltest. Diese Tätigkeit und das mehrmalige Lesen und Durchdenken von E-Mails benötigt Zeit und ist nur wenig effizient. Hier kann das OHIO-Prinzip (only hold it once) helfen. Nach diesem Prinzip soll jede E-Mail nur einmal angesehen und bearbeitet werden. Wenn man also eine E-Mail liest und weiß, was zu tun ist, dann sollte man dies sofort erledigen. Ein weiterer Tipp ist, dass man versuchen sollte, abends nicht mehr als fünf unbearbeitete E-Mails übrig zu haben. Dadurch vermeidet man es, am nächsten Tag mit einer langen Liste an Arbeitsaufgaben konfrontiert zu sein. Eine Anhäufung von vielen abzuar-beitenden E-Mails kann nämlich zu einem Gefühl der Überforderung führen.

4. Verwende das Prinzip „Last In, First Out“. Beantworte immer zuerst jene E-Mails, die eben erst im Posteingang gelandet sind. Manchmal werden ältere E-Mails auch von anderen Personen, die in die Kommunikation eingebunden wurden, bearbeitet.

5. Wenn du über E-Mail Informationen bekommst, die auch für andere KollegInnen oder Vorgesetzte relevant sein können, dann leite sie gezielt weiter. Wenn sich alle MitarbeiterInnen einer Organisa-tion daran halten, dann kann das vorhandene Wissen innerhalb der Organisation besser genutzt werden.

6. Das Feld BCC (blind carbon copy) kann in E-Mails genutzt werden, bei denen man vermeiden möchte, dass sich die Empfänger gegenseitig sehen. Dafür muss man alle Empfänger in BCC setzen. Man kann in einer E-Mail-Kommunikation auch Personen in BCC setzen, die von der Kommunika-tion erfahren sollen, ohne dass dies der Empfänger sieht. Denke darüber nach, welchen Eindruck man durch die Verwendung von BCC vermittelt. Die Nutzung von BCC liefert immer auch den Eindruck, dass man etwas verbergen möchte. In einer transparenten Organisationskultur ist dies jedoch kontraproduktiv.

7. Schrei nicht! Wenn du das Bedürfnis hast zu schreien, dann konfrontiere dich mit der Person direkt und persönlich im realen Leben. Oft geschieht das „Schreien“ innerhalb von E-Mails (Anmerkung: Schreien in E-Mails funktioniert durch die Verwendung von Großbuchstaben) schnell, ohne dass man darüber nachdenkt, was man damit auslösen kann. Durch die Asynchronität der Kommunika-tion erlebt man nämlich auch die direkte Reaktion des Gegenübers nicht.

8. Formuliere deine Mails so, dass es für dich einfach nachzuvollziehen ist, ob deine formulierten An-fragen bereits bearbeitet wurden. Wenn man eine E-Mail mit einem Arbeitsauftrag schreibt und da-nach nachvollziehen möchte, ob er erledigt wurde, dann kann man sich selbst in CC (carbon copy) setzen. Somit kann man die E-Mail mit dem Arbeitsauftrag schnell wiederfinden und gegebenen-falls nochmals senden und nachfragen, ob die Anfrage bereits bearbeitet wurde.

9. Nutze Stichworte, die es dir erleichtern, nach E-Mails zu suchen. Setze dich selbst in CC und ver-setzte E-Mails mit Stichworten, nach denen du später suchen kannst. Versuche so, dir selbst dein eigenes System so zu gestalten, dass du dich gut zurechtfindest.

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Der durch die Nutzung von Technologien ausgelöste Stress wird auch von Salanova et al. (2013) thematisiert. Die AutorInnen bezeichnen diese Form des Stress als „Technostress“ und beschreiben dabei zwei zentrale Dimensionen: „Technostrain“ und „Technoaddiction“.- Unter „Technostrain“ verstehen die AutorInnen die Belastung, die durch die Nutzung von

Technologie ausgelöst wird. Menschen erleben negative psychologische Zustände wie Angst, Erschöpfung, Skepsis und ein Gefühl von Ineffizienz. Beispielsweise kann durch die Nutzung von Kommunikation via E-Mail ohne geeignete Regeln bezüglich Zuständig-keiten Stress entstehen. Dies ist besonders der Fall, wenn die Abarbeitung der E-Mails viel langsamer geschieht als der Eingang neuer E-Mails. Hier kann ein Gefühl von Ineffizienz und längerfristig von Erschöpfung entstehen.- Als zweite Dimension – „Technoaddiction“ – fassen die AutorInnen eine exzessive und zwanghafte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. NutzerInnen erleben hierbei einen unkontrollierbaren Impuls, diese Technologien immer und überall zu benutzen. Dieser Abhängigkeitscharakter in der Nutzung ist ebenfalls mit Gefühlen von Angst und Erschöpfung verbunden (Salanova et al. 2013).

> Stress, der durch die Nutzung von Technologien ausgelöst wird, wird als Technostress bezeichnet. Dieser Stress beinhaltet eine Belastungs- und eine Abhängigkeitsdimen-sion (Salanova et al. 2013).

Salanova et al. (2013) haben Daten zu Technostress bei NutzerInnen von Informations- und Kommunikationstechnologien erhoben und Unterschiede zwischen intensiver und weniger in-tensiver Nutzung gefunden. Konkret zeigten sich Unterschiede hinsichtlich der Charakteristika Angst, Skepsis und Ineffizienz. Personen, die Technologien wenig intensiv nutzten, berichteten häufiger von Angst, Skepsis und Ineffizienz. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Kennt-nisgrad über Technologien auch ausschlaggebend dafür ist, ob negative Effekte auftreten.

Praxistipp | |

Lesen Sie sich die Regeln zur E-Mail-Kommunikation in der Box genau durch. Überlegen Sie nun bei jeder Regel, welchen Einfluss die Anwendung dieser Regeln auf Sie selbst, Ihre KollegInnen, KundInnen und MitarbeiterInnen haben kann. Versuchen Sie dabei, sich in die unterschiedlichen Rollen hineinzuversetzen. Haben Sie den Eindruck, dass die Zusammen-arbeit mit den genannten AkteurInnen besser (effizienter bzw. effektiver) funktioniert, wenn Sie selbst diese Regeln anwenden? Welche Effekte könnten diese Regeln auf das Stress-empfinden der Beteiligten haben? Haben Sie den Eindruck, dass sich dadurch ein besseres Arbeitsklima schaffen lässt? Versuchen Sie zu reflektieren, was die Gründe dafür sein können.

2.3.2 Koordination von virtuellen Teams

Wenn Mitglieder eines Teams überwiegend über Technologien kommunizieren und an dezen-tralisierten und delokalisierten Arbeitsorten arbeiten, dann spricht man von einem virtuellen Team (Konradt und Hertel 2002). Stellen wir uns ein Unternehmen im eCommerce-Bereich vor. In diesem Unternehmen gibt es ein Team aus fünf Personen, die von Deutschland, Österreich, Niederlande, Schweden und Italien aus arbeiten. Die Kommunikation innerhalb des Teams

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findet meist virtuell über Videotelefonie und Nachrichtendienste statt; das Team hat jedoch auch einen gemeinsamen Chat, in dem es sich informell austauscht.

> Definition virtueller Teams: „Als virtuelle Teams werden flexible Arbeitsgruppen standortverteilter und ortsunabhängiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezeich-net, die auf der Grundlage von gemeinsamen Zielen bzw. Arbeitsaufträgen ergebnis-orientiert geschaffen werden und informationstechnisch vernetzt sind.“ (Konradt und Hertel 2002, S. 18)

Virtuelle Teams bieten einige Vorteile, bringen jedoch auch Herausforderungen hinsichtlich des Arbeitsablaufes mit sich. Cascio (2000) hat die folgenden Vorteile formuliert:- Virtuelle Teams erleichtern Zugänge zu ExpertInnen oder externen BeraterInnen. Exper-

tInnen zu gewissen Themenbereichen sind an unterschiedlichen Orten weltweit ver-breitet. Bei virtueller Teamarbeit laufen Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Teammitgliedern bereits virtuell ab. Dadurch wird es leichter möglich, bei Problemen oder Fragen gezielt ExpertInnen mit Fragen zu kontaktieren und in die virtuelle Kom-munikation einzubinden, und es ist nicht mehr notwendig, sie mit großem Kostenauf-wand zu persönlichen Treffen einzuladen.- Ein Team kann auch zusammenarbeiten, ohne dass die physische Anwesenheit aller Mit-glieder erforderlich ist.- Ein virtuelles Team kann ExpertInnen aus unterschiedlichen Ländern zur Mitarbeit an einem Projekt einladen. Dadurch, dass physische Anwesenheit nicht notwendig ist, wird es stark vereinfacht, auch über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus lassen sich auch Menschen in die Zusammenarbeit integrieren, die beispielsweise aufgrund von Beeinträchtigungen schwer zu einem fixen Arbeitsort gelangen können. Demzufolge kann die Arbeit in virtuellen Teams inklusiv wirken.- Das Arbeitsleben lässt sich leichter mit dem Privatleben vereinbaren.- Der Wechsel zwischen Arbeitsprojekten wird erleichtert. Arbeitende können einfacher zwischen verschiedenen Arbeitsprojekten wechseln und auch leichter gleichzeitig an unterschiedlichen Projekten arbeiten.- Die Kommunikation innerhalb des virtuellen Teams sowie Berichte und Dokumente, die innerhalb des Arbeitsprozesses entstehen, sind digital und online verfügbar, sodass jeder

Exkurs: Telenoid R1

Der Telenoid R1 ist ein menschenähnlicher Roboter (Android), der im Labor von Hiroshi Inshiguro in Japan entwickelt wurde. Der Telenoid R1 ist ca. 80 cm groß, wiegt 50 kg und besteht aus Silikongummi. R1 wird hauptsächlich in der mündlichen virtuellen Kommunikation verwendet, bei der der Telenoid die Rolle eines Transmitters hat, der auditive Reize (das Gesprochene) und Bewegungsreize des Senders auf-nimmt und dem Empfänger mitteilt. Merkmale des Senders werden somit auf den Telenoid R1 projiziert, sodass der Empfänger sie direkt und ohne Zeitverzögerung sieht. Die NutzerInnen haben somit in der virtuellen Kommunikation mit einem weit entfernten Gesprächspartner ein stärkeres Gefühl von Nähe und Unmittelbarkeit, da sie die Person nicht nur am Bildschirm sehen, sondern auch zusätzliche non-verbale Reize wahrnehmen. Daher liegt der primäre Nutzungsbereich von R1 in dessen Einsatz in Video-konferenzsystemen. Allerdings kann R1 auch von Arbeitenden verwendet werden, die nicht zur Arbeit kommen bzw. an einer Besprechung teilnehmen können, und dann als Stellvertreter im Besprechungs-raum platziert werden. Dadurch können diese Personen vollwertig an Besprechungen teilnehmen, ohne real anwesend zu sein (▶ http://www.geminoid.jp/en/index.html).

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leicht auf Inhalte und Arbeiten, die innerhalb des Teams bearbeitet werden, zugreifen kann. Insofern wird auch der Übergabeablauf bei einem Wechsel von Verantwortlich-keiten erleichtert.

Neben diesen Vorteilen formuliert Cascio (2000) auch Nachteile von virtuellen Teams:- Da die Kommunikation in virtuellen Teams über Technologien geschieht, gibt es wenig physische Interaktion zwischen den Teammitgliedern, und somit fehlen in der Kom-munikation auch die nonverbalen Hinweisreize.- Durch dieses Fehlen von zusätzlichen Informationen in der Kommunikation kann es zu Unsicherheiten kommen.- Gleichzeitig kommt es bei der Arbeit in virtuellen Teams zu höheren Anforderungen an Selbststeuerung und Selbstkontrolle der Mitarbeiter. Die Arbeitenden sind also ver-stärkt selbst dafür verantwortlich, wann – und vor allen Dingen dass – sie ihre Arbeits-tätigkeiten ausüben. Infolgedessen wird das Vertrauen innerhalb eines virtuellen Teams zunehmend relevant, da die Teammitglieder sich gegenseitig vertrauen können müssen, dass vereinbarte Arbeitstätigkeiten von KollegInnen auch wirklich erledigt werden.

Neben diesen generellen Vor- und Nachteilen virtueller Teams gibt es auch speziell, was die Organisation betrifft, gewisse Vor- und Nachteile durch die Einführung virtueller Arbeits-plätze. Diese werden in der ▶ Box „Vor- und Nachteile virtueller Arbeitsplätze aus Sicht der Organisation“ beschrieben.

Cascio (2000) beschreibt sehr umfassend, dass virtuelle (Team-)Arbeit zwar einige Vorteile mit sich bringt, dabei jedoch auch Herausforderungen und Probleme zu beachten sind. Eine besondere Rolle bei der Umsetzung erfolgreicher virtueller Teamarbeit nimmt das Vertrauen ein. Es kann zwischen Teammitgliedern untereinander sowie zwischen Führungskraft und MitarbeiterInnen unterschiedlich stark vorhanden sein. Cascio (2000) geht in einer Studie zu virtuellen Teams näher auf die Rolle des Vertrauens ein. In dieser Studie wurden 29 virtuelle Teams über einen Zeitraum von sechs Wochen hinweg untersucht. Während dieser sechs Wochen kommunizierten die Team-mitglieder lediglich über E-Mail miteinander. Es wurden das Vertrauen untereinander sowie die Produktivität des Teams gemessen und die Kommunikation untereinander analysiert. Die Ergeb-nisse zeigten, dass diejenigen Teams, deren Mitglieder sich gegenseitig am stärksten vertrauten, produktiver waren. Diese virtuellen Teams zeichneten sich durch folgende Charakteristika aus:a. Zu Beginn der virtuellen Teamarbeit stellten sich die Mitglieder einander vor. Bei dieser

gegenseitigen Vorstellung teilten die Mitglieder der produktivsten Teams neben der Vor-stellung ihrer Arbeitstätigkeit auch soziale und persönliche Informationen.

b. Die Mitglieder im Team haben ihre Rollen und Verantwortlichkeiten klar untereinander kommuniziert.

c. Die Einstellung der Teammitglieder zeichnete sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich po-sitiv war.

Diese Ergebnisse zeigen, dass besonders die erste Kommunikation, also der erste Eindruck, auch innerhalb eines virtuellen Teams für die Schaffung von Vertrauen wichtig ist (Cascio 2000).

Es bleibt jedoch die Frage offen, wie man virtuelle Teams erfolgreich koordinieren kann. Die Herausforderung dabei besteht darin, die Kommunikation, Arbeitsumgebung und Arbeitspro-zesse so zu gestalten, dass die Vorteile virtueller Teams genutzt werden können und gleichzeitig die Probleme vermieden werden. Die folgenden zehn Praxistipps aus der Harvard Business Review bieten hierbei Hilfestellung (Watkins 2013).

Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit36

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Vor- und Nachteile virtueller Arbeitsplätze aus Sicht der Organisation

Aus der Warte der Organisationen lassen sich etliche Argumente sowohl für als auch gegen den Einsatz virtueller Arbeitsplätze anführen. Ein wesentlicher Vorteil besteht in der Reduktion von Kosten für Büro-räumlichkeiten. Denn dadurch, dass bei der Möglichkeit zur virtuellen Arbeit eine geringere Anzahl an ArbeitnehmerInnen in einem zentralen Bürogebäude anwesend ist und stattdessen beispielsweise von Zuhause aus arbeitet, werden weniger Büroräumlichkeiten benötigt. Unternehmen müssen demnach weniger Bürofläche anmieten und ersparen sich somit Fixkosten. Darüber hinaus reduziert man auf diese Weise die Wege, die Arbeitende zu einem zentralen Bürogebäude zurücklegen müssen. Wenn aber Arbeitende weniger häufig Transportmittel verwenden, um an einen fixen Arbeitsort zu pendeln, reduziert sich der CO2-Ausstoß, der durch die Nutzung von Transportmitteln (z. B. das Auto) entsteht – virtuelle Arbeitsplätze haben daher eine positivere Ökobilanz. Weitere Vorteile für Unternehmen und Organisationen sind eine erhöhte Produktivität sowie ein verbesserter Kundenservice und daraus resul-tierend gesteigerte Profite. Durch das Angebot von virtuellen Arbeitsplätzen ist es für Organisationen ebenfalls möglich Arbeitskräfte aus dem gesamten globalen Markt zu rekrutieren. Demnach können nicht nur lokal verfügbare Personen beschäftigt werden, sondern beispielsweise auch ExpertInnen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Land haben (Cascio 2000).Das verstärkte Angebot von virtuellen Arbeitsplätzen ist jedoch auch mit einigen Problemen verbun-den. Cascio (2000) beschreibt beispielsweise, dass das Einrichten und die Wartung virtueller Arbeits-plätze zusätzliche Kosten verursachen. So müssen beispielsweise ein ergonomischer Arbeitsplatz auch zu Hause gewährleistet sowie eine ausreichend gute Internetverbindung und mobiles Arbeitsequip-ment zur Verfügung gestellt werden. Auch Schulungen im Bereich Datensicherheit sind hierfür relevant. Herausforderungen ergeben sich aber auch hinsichtlich der Koordination und Führung von virtuell Arbeitenden. Wenn Teammitglieder aus unterschiedlichen Kulturen stammen, sind Kompetenz in der Kommunikation und das Verstehen verschiedener Kulturen notwendig. Des Weiteren sind Führungs-kräfte gefordert, geeignete Arbeitsprozesse und Arbeitsanweisungen aufzusetzen, die auch ohne physische Nähe und Sichtbarkeit der einzelnen MitarbeiterInnen durchführbar sind. Auch die sozialen Kompetenzen der Führungskraft sind verstärkt gefragt, denn bei virtueller Arbeit kann es zu Gefühlen von Isolation und fehlendem Vertrauen unter den MitarbeiterInnen kommen. Diese negativen Folgen gilt es, zu erkennen und mit gezielten Maßnahmen abzufangen. Cascio (2000) beschreibt auch, dass virtuelle Arbeit nicht für jede/n Arbeitende/n geeignet ist: Besonders beim Antritt in einer Arbeitsstelle ist ein virtueller Arbeitsplatz ungeeignet, da für die Sozialisation innerhalb der Organisation – also für das Kennenlernen und Erkennen und Verinnerlichung der Organisationskultur – der persönliche Kontakt und die persönliche Anwesenheit von zentraler Bedeutung und eigentlich unabdingbar sind (Cascio 2000).

1. Die Mitglieder eines virtuell arbeitenden Teams sollten möglichst zu Beginn der Team-bildung (bzw. zu einem möglichst frühen Zeitpunkt) eine gemeinsame persönliche Be-sprechung abhalten. Durch dieses persönliche Kennenlernen und Interagieren im echten Leben kann Vertrauen entstehen und Beziehungen können aufgebaut werden. Vertrauen und gute Beziehungen zwischen den Teammitgliedern sind für eine erfolgreiche Zu-sammenarbeit wesentlich. Innerhalb des ersten persönlichen Kennenlernens ist es wichtig, dass sich die Mitglieder sowohl auf einer professionellen als auch auf einer persönlichen Ebene kennenlernen. Sie sollten eine gemeinsame Vorstellung davon entwickeln, wie sie im Team arbeiten (wollen) und welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden. Wenn ein persönliches Zusammentreffen nicht möglich ist, sollte man versuchen, die teambildenden Maßnahmen virtuell umzusetzen.

Zehn Prinzipien für die Arbeit in virtuellen Teams (Watkins 2013) | |

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2. Aufgaben, Prozesse, Ziele und Rollen müssen klar definiert werden. Ziele, Rollen und Ver-antwortlichkeiten sollten nach den ersten 90 Tagen der Kooperation für alle Mitglieder klar sein. Wichtig ist hierbei, von Beginn an auf Details zu achten. Denn im Gegensatz zu Teams, die gemeinsam in einem Büro sitzen, lassen sich innerhalb von virtuellen Teams kleinere Detailfragen nicht so einfach „zwischendurch“ abklären. Neben der detaillierten Definition von Zielen, Rollen und Verantwortlichkeiten sollten auch Arbeitsprozesse in regelmäßigen Besprechungen reflektiert werden. Die Mitglieder des Teams sollten hier gemeinsam über-legen, ob und inwieweit die Zusammenarbeit klarer und effizienter gestaltet werden kann.

3. Es sollten Regeln zur Kommunikation entstehen, zu deren Einhaltung sich die einzelnen Teammitglieder verpflichten. Diese Regeln können Verhaltensweisen bei virtuellen Besprechungen betreffen, zum Beispiel in Gestalt der Auflage, dass alle, die an der Kom-munikation beteiligt sind, klar und deutlich sprechen, keine Nebengespräche führen und sich gegenseitig zuhören. Wenn diese Regeln nicht eingehalten werden, sind der Ablauf und damit das Ergebnis einer Telefon- oder Videokonferenz stark beeinträchtigt. Solche Regeln können aber auch die Wahl von Kommunikationskanälen betreffen. So können Ver-einbarungen darüber getroffen werden, in welchen Situationen E-Mail und in welchen das Telefonat verwendet werden soll.

4. Um die Zusammenarbeit innerhalb eines virtuellen Teams zu erleichtern, sollten die besten und für das Team geeignetsten Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. Hier ist es wichtig, darauf zu achten, dass alle Programme von jedem Teammitglied im gleichen Umfang genutzt werden können. Es kann sein, dass Lizenzen nicht verfügbar sind oder Programme nicht auf jedem Betriebssystem optimal laufen – hieraus darf keine Zwei-Klassen-Kultur im Unternehmen entstehen.

5. Das virtuelle Team sollte sich einen gemeinsamen Arbeitstakt bzw. Arbeitsrhythmus schaffen. Dazu gehören auch reguläre, periodisch wiederkehrende Besprechungen. Für eine gemeinsame Planung ist es förderlich, wenn diese Besprechungen immer am selben Tag zur selben Zeit stattfinden. Wichtig ist auch, dass diese Zeiten wirklich eingehalten werden, spontane Verlängerungen oder Verschiebungen sollten daher vermieden werden. Bezüglich des Zeitpunktes der Besprechungen ist es auch wichtig, zu beachten, dass an diesen Teammitglieder aus unterschiedlichen Zeitzonen teilnehmen können. In solchen Fällen ist eine klare Zeit der Besprechung zu kommunizieren (Zeitverschiebung beachten) und darauf zu achten, dass es dabei nicht zu Benachteiligungen kommt. Beispielsweise würde es als unfair empfunden werden, wenn die Besprechungen immer zu Zeitpunkten stattfinden, die für einen Teil des Teams ungünstig sind (z. B. sehr spät abends/nachts), während der andere Teil davon aufgrund seines geografischen Aufenthaltsortes nicht be-troffen und benachteiligt ist. Lässt sich eine solche Situation nicht vermeiden, dann wäre eine faire Möglichkeit, die Zeiten der Meetings zu variieren bzw. zu rotieren, damit jedes Teammitglied einmal zu Zeiten an Besprechungen teilnehmen muss, die für die eigene Person günstig bzw. ungünstig sind. Letztendlich ist es auch empfehlenswert, die Punkte, die in diesen Besprechungen behandelt werden sollen, zuvor zu kommunizieren.

6. Wenn die Mitglieder der Teams aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern kommen, dann ist es wichtig, vorab festzulegen, in welcher Sprache Besprechungen abgehalten werden. Aber auch wenn alle Teammitglieder dieselbe Sprache nutzen, kann es zu unterschiedlichen Auffassungen und Missverständnissen kommen. Daher ist es not-wendig, eingangs sicherzustellen und anzusprechen, was unter bestimmten wichtigen

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Schlüsselbegriffen, Wörtern und Sätzen zu verstehen ist. Hierbei ist ebenfalls zu beachten, dass die Interpretation von Gesprochenem auch bei einfachen Worten der Zustimmung und Ablehnung variieren kann: Wenn jemand „Ja“ sagt, kann dies beispielsweise, je nach Tonfall, ein unterschiedliches Maß der Zustimmung ausdrücken.

7. Man sollte einen virtuellen Raum schaffen, innerhalb dessen die Möglichkeit informeller sozialer Interaktionen besteht. Virtuelle Besprechungen sind häufig sehr aufgabenfokus-siert, und es bleibt wenig Zeit für informellen oder sonstigen Austausch, der den Teamzu-sammenhalt fördert. Um jedoch die soziale Bindung zwischen den Mitgliedern zu stärken, kann man den Start einer Besprechung auch dazu nutzen, dass jedes Mitglied erzählt, an welchen Themenbereichen es arbeitet, was gut funktioniert und was nicht. Virtuelle Plattformen, die zugleich Eigenschaften von sozialen Netzwerken aufweisen, können hier außerdem dazu führen, dass man sich untereinander verbundener fühlt.

8. Seine jeweiligen Verpflichtungen sollten jedem Teammitglied klar sein, und es sollte sicher-gestellt werden, dass sie auch erfüllt werden. In virtuellen Teams ist die Nachverfolgung von Arbeitsengagement und Produktivität der einzelnen Mitglieder jedoch erschwert. Um ebenfalls in diesem Kontext effizientes Arbeiten zu ermöglichen, ist es umso wichtiger, den Status der Arbeitsprozesse und Arbeitstätigkeiten im Blick zu haben. Zu diesem Zweck könnte man transparent für alle Mitglieder auf einem Dashboard den Status von Prozessen darstellen. Bei der Umsetzung einer solchen Maßnahme ist allerdings darauf zu achten, dass die Überprüfung des Status nicht in Form einer „herrischen“ Kontrolle geschieht bzw. als solche aufgefasst wird, sondern als passendes und von allen akzeptiertes Instrument zur Nachverfolgung von Arbeitsprozessen.

9. Die Ermöglichung von geteilter Führung ist vorteilhaft. Man sollte sich daher damit be-schäftigen, welche Möglichkeiten zur Übernahme von Führungsverantwortung innerhalb der Mitglieder des virtuellen Teams bestehen. So kann beispielsweise die Verantwortung in speziellen Projekten nicht bei der Führungskraft liegen, sondern einem Teammitglied übertragen werden. Beispiele für solche möglichen speziellen Projekte sind die Ana-lyse von erfolgreichen Arbeitsprozessen oder die Beratung von neuen Teammitgliedern. Einerseits unterstützt man dadurch das Engagement der einzelnen Teammitglieder und motiviert sie, andererseits schafft man für sich selbst als Führungskraft auch etwas Arbeits-erleichterung.

10. Führungskräfte eines virtuellen Teams sollten ihre grundsätzlichen Führungsaufgaben nicht vergessen. Es ist für die Führung eines Teams wichtig, sich mit den einzelnen Mit-gliedern zu treffen, sie beratend zu betreuen und darüber zu sprechen, inwiefern die zuvor festgesetzten Ziele erreicht worden sind. Dabei sind Regelmäßigkeit, aber auch der stetige Hinweis auf das übergeordnete Ziel des Teams zentral. Die Verbundenheit des einzelnen Mitglieds mit dem Team und mit dem Ziel, auf das im Team hingearbeitet werden sollte, wird damit angestrebt.

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2.3.3 Arbeitsplatzunsicherheit

Arbeitslosigkeit als eine Konsequenz des Wandels der Arbeitswelt„Täglich steigen in Nordamerika, Europa und Japan die Arbeitslosenziffern an. Sogar die Entwicklungsländer verzeichnen zunehmend eine technologische Arbeitslosigkeit, da in den neuen, hochmodernen Produktionsanlagen der Multis nur noch wenige Leute gebraucht werden. Die Menschen, die bisher ihre Arbeitskraft für wenig Geld verkauften, können mit den billigen, schnellen und besser produzierenden Maschinen nicht mithalten. In immer mehr Ländern stehen schlanke Produktion, Umstrukturierungen, Total-Quality-Management, Postfordismus und Personalabbau auf der Tagesordnung. Überall sorgen sich die Menschen um ihre Zukunft. Frustrierte Jugendliche drücken ihre Wut in asozialem Verhalten aus. Ältere Arbeitnehmer, die bisher im Wohlstand lebten und nun eine sorgenvolle Zukunft vor sich haben, stehen dem wirtschaftlichen Prozess ohnmächtig gegenüber. Überall macht sich ein tiefgreifender Wandel bemerkbar – ein Wandel, dessen ganzes Ausmaß wir noch nicht einmal erahnen können und der unser gewohntes Leben von Grund auf verändern wird.“ (Rifkin 2016, S. 56–57)

Infolge der technologischen Revolution wird menschliche Arbeit vermehrt durch Maschinen ersetzt. Dies ist in allen Wirtschaftssektoren, wie der Industrie, dem Dienstleistungsbereich und der Landwirtschaft, erkennbar. Die Konsequenz davon sind eine steigende Arbeitslosigkeit, die Veränderung von Berufen und Arbeitstätigkeiten sowie das Verschwinden oder „Aussterben“ von Berufen (Rifkin 2016). Um negative Folgen durch weitreichende Arbeitslosigkeit zu ver-meiden und einen Übergang in das postmarktwirtschaftliche Zeitalter zu schaffen, formulierte Rifkin (2016) folgende beiden Notwendigkeiten:- Erstens muss die Arbeitszeit verkürzt werden und die finanziellen Einsparungen durch

den technologischen Fortschritt müssen auf die Menschen verteilt werden.- Zweitens sollte der Fokus verstärkt auf den sogenannten „dritten Sektor“ gelegt werden. Neben dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Sektor stellt der dritte Sektor den Non-Profit-Bereich dar und beinhaltet Leistungen im Bereich des Gesundheitswesens, im schulischen Bereich, Sozialarbeit sowie Kunst und Kultur.

> Rifkin (2016) hebt in seinem Buch über das Ende der Arbeit bzw. deren Zukunftsaus-sichten die Notwendigkeit eines dritten Sektors hervor. Neben den beiden anderen Sektoren, dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen, umfasst dieser dritte Sektor den Non-Profit-Bereich. Er beinhaltet Arbeit im Bereich Bildung, Gesundheits-wesen, soziale Dienstleistungen, Kunst und Kultur.

Bis diese von Rifkin (2016) formulierten Notwendigkeiten umgesetzt werden, sind wir jedoch mit einer Arbeitssituation konfrontiert, in denen Arbeitende verstärkt Arbeitsplatzunsicherheit erleben. Arbeitsunsicherheit ist demnach eine weitere Besonderheit und Folge von digitaler flexibler Arbeit. Unter Arbeitsplatzunsicherheit versteht man das subjektive Empfinden, dass der Fortbestand des eigenen Arbeitsplatzes bzw. des Arbeitsvertrages gefährdet ist (Erlingha-gen 2007). Dieses Empfinden geht mit negativen Konsequenzen wie beispielsweise geringerem Wohlbefinden einher (Hellgren et al. 1999). Wahrgenommene Arbeitsplatzunsicherheit hat aber auch einen negativen Einfluss auf das Familienleben (z. B. Lim und Loo 2003). Diese Um-

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stände betreffen zwar in erster Linie das einzelne Individuum bzw. dessen direkte Umgebung, sind jedoch (besonders langfristig gesehen) mit negativen Konsequenzen und Kosten für die Gesellschaft und den Staat verbunden (Erlinghagen 2007).

Wie kann man nun vermeiden, dass Arbeitsplatzunsicherheit besteht bzw. zu Erkrankungen führt? Einerseits kann der Staat durch Gesetze und Regulierungen arbeitsmarktbezogene Rah-menbedingungen schaffen, um Arbeitsplatzunsicherheit zu reduzieren. In diesem Zusammen-hang wird auch häufig die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Andererseits kann die Regierung eines Staates im Bildungsbereich ansetzen und gezielt Kom-petenzen fördern, die in einer veränderten digitalen Arbeitswelt benötigt und gefordert werden. Aber welche Arbeiten wird es in Zukunft noch geben? Welche Tätigkeiten sind eher von der Automatisierung betroffen und welche nicht? Welche Kompetenzen sollten sich Arbeitende aneignen, um mit geringerer Wahrscheinlichkeit von verstärkter Arbeitsplatzunsicherheit be-troffen zu sein?

Dass simple Routinetätigkeiten vermehrt von Maschinen und Computerprogrammen übernommen werden, scheint naheliegend. Auch beim Umgang mit großen komplexen Daten-mengen (Big Data) sind Technologien dem Menschen überlegen. Es ist jedoch davon auszuge-hen, dass kreative Tätigkeiten und innovative Problemlösungen weiterhin in den Tätigkeits-bereich der menschlichen Arbeitskraft fallen werden, da sie nicht von Maschinen ausgeführt werden können. Davenport und Kirby (2016) haben sich näher mit diesen Fragestellungen beschäftigt und für das Jahr 2016 zusammengefasst, welche Aufgaben und Tätigkeiten Ma-schinen bereits übernehmen können bzw. in welchen Bereichen die Maschine dem Menschen überlegen ist und umgekehrt (siehe . Tab. 2.2). Sie unterschieden dabei Arbeitstätigkeiten anhand von zwei Dimensionen: nach dem Ausmaß der dafür erforderlichen Intelligenz und nach dem Aufgabentyp.

z Ausmaß an IntelligenzDas Ausmaß an Intelligenz von Technologien beschreibt, wie selbstständig Technologien ihre Intelligenz anwenden können. Wenig intelligente Technologien reagieren beispielsweise nur auf Instruktionen des Menschen, intelligentere Technologien dagegen können ihre Aufgaben selbst formulieren. Konkret formulieren die AutorInnen vier Stufen von Intelligenz:a. Die erste Stufe mit der geringsten Intelligenz umfasst Technologien, die den Menschen

bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Hierbei werden Daten von der Technologie analysiert und dem Menschen, der die Entscheidung trifft, präsentiert. Oft werden Techno-logien genau in dieser „beratenden“ Rolle wahrgenommen. Die Kontrolle über die Ent-scheidung obliegt hier noch immer dem Menschen. Die Technologie unterstützt sozusagen den Menschen in einer konkreten Aufgabe; sie „arbeitet zu“.

b. Als zweite Stufe beschreiben die AutorInnen Technologien, die automatisierte Entschei-dungen bei sich wiederholenden Aufgaben treffen. Im Bereich von Versicherungen und im Finanzhandel werden diese Technologien häufig eingesetzt. Beispielsweise werden Al-gorithmen entwickelt, die bestimmen, welche Aktionen nach der Analyse von Daten oder bei definierten Umständen erfolgen sollen. Oft nimmt der Mensch in diesen Szenarien noch die Rolle als Überwacher/in ein.

c. Intelligentere kognitive Technologien können in einem gewissen Ausmaß erfassen, in welchem Kontext sie sich gerade befinden. Dieses Bewusstsein vom aktuellen Kontext (contextual awareness) geschieht durch das Sammeln großer Datenmengen, beispielsweise mithilfe von Sensoren. Als Beispiel nennen die AutorInnen hier technische Systeme, die auf Basis der aktuellen Tageszeit, der Präferenzen der NutzerInnen des Systems und des

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aktuellen Verkehrsaufkommens eine Route von A nach B berechnen. Ein weiteres Kenn-zeichen dieser Technologien ist deren Lernfähigkeit: Durch NutzerInnenfeedback oder die Analyse von Echtzeitdaten „lernt“ das Programm und kann sich weiterentwickeln.

d. Die vierte und letzte Stufe repräsentiert Technologien mit einer bestimmten Selbstwahr-nehmung bzw. eines Selbstbewusstseins (self-awareness). Dabei besitzt die Technologie die Fähigkeit, auch unabhängig vom Menschen Ziele zu verfolgen. Dies ist bisher jedoch nur Fiktion und erfordert nach Einschätzung der AutorInnen noch mindestens 36 bis 48 Jahre technologische Entwicklung.

z AufgabentypDas Spektrum an Aufgabentypen reicht von einfachen numerischen Analysen zu komplexeren Aufgaben. Auch hier differenzieren die AutorInnen vier Stufen.a. Die erste Stufe betrifft die Analyse von Zahlen. Technologien können eine Anzahl von

Zahlen, die beispielsweise in Reihen und Spalten aufgelistet sind, analysieren und aus-werten.

b. Die zweite Stufe betrifft das Erfassen und Analysieren von Wörtern und Bildern. Bei-spielsweise können Menschen mit Smartphones interagieren, indem sie eine Sprachein-gabe tätigen: Nachdem man „Ruf Person X an!“ gesagt hat, wählt das Smartphone die für die entsprechende Person abgespeicherte Nummer. Auch das Übersetzen von Text in eine andere Sprache ist diesem Aufgabentyp zuzuordnen. Ein weiteres Beispiel hierfür ist das automatische Erkennen von Bildern oder von Gesichtern in Bildern.

c. Die dritte Stufe betrifft die Bearbeitung von digitalen Aufgaben. Administrative Aufgaben und Entscheidungen können bereits automatisiert werden. Bei der Automatisierung von Ent-scheidungen ist es notwendig, vorab eine Entscheidungslogik zu definieren und dann zu pro-grammieren. Eine solche Entscheidungslogik bzw. ein Algorithmus beinhaltet Anweisungen dazu, unter welchen Rahmenbedingungen welche Entscheidung getroffen werden muss. Die Technologie führt dann diesen Algorithmus aus. Eine weitere Anwendung betrifft die Auto-matisierung von Prozessen durch Robotersysteme („robotic process automation“). Sie wird beispielsweise im Kundenservice des Bankenbereichs eingesetzt, wenn Kunden ihre EC-Karte verloren haben. Auch beim Management von Versorgungsketten finden diese Technologien Anwendung. Beispielsweise können Rechnungen automatisiert produziert und versandt werden.

d. Der vierte Aufgabentyp umfasst die Bearbeitung von physischen Aufgaben. Diese Aufgaben können bereits jetzt schon von Robotern übernommen werden. Die Umsetzung klingt je-doch einfacher, als sie tatsächlich ist. Denn schon für Routineaufgaben, die von Robotern übernommen werden sollen, sind entsprechende menschliche Ressourcen notwendig, um die Roboter richtig zu programmieren und zu warten. Neuere Robotersysteme sind darauf ausgelegt in Kooperation mit Menschen zu treten. Hierbei bearbeiten Mensch und Roboter gemeinsam Arbeitsaufgaben (kollaborative Robotersysteme bzw. Cobots).

Definition

Ein kollaborativer Roboter – Cobot – ist ein Roboter, welcher Menschen bei bestimmten Arbeitstätigkeiten assistieren soll. Im Gegensatz zu einem typischen Roboter, der eher autonom arbeitet, arbeitet ein Cobot gemeinsam mit dem Menschen (▶ http://whatis.techtarget.com/definition/collaborative-robot-cobot).

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Anhand der beiden beschriebenen Dimensionen lässt sich eine Matrix erstellen. . Tab. 2.2 zeigt in den Zeilen die Aufgabentypen, die Spalten beinhalten das Ausmaß an Intelligenz von Technologien.

Anhand dieser Tabelle wird deutlich, dass es für unterschiedliche Aufgabentypen bereits einige Technologien gibt, denen primär die Aufgabe zufällt, den Menschen bei Arbeitstätig-keiten zu unterstützen (z. B. Visualisierung von Daten, Bild- und Spracherkennung, Manage-ment von Geschäftsprozessen sowie Fernsteuerung von Anlagen). Ein ähnliches Bild zeigt sich bereits bei intelligenteren Technologien, die automatisierte Entscheidungen bei sich wieder-holenden Aufgaben treffen können (z. B. Analyse von operativen Prozessen, Bilderkennung, Au-tomatisierungsprozesse durch Robotersysteme und kollaborative Robotersysteme). Im Bereich der Kontexterkennung wurden bisher Systeme für die Analyse von Zahlen (z. B. maschinelles Lernen) und Wörtern (z. B. die vollautomatische Erkennung von Textbedeutungen – Natural Language Processing) entwickelt. Hier ist IBM Watson ein verbreitetes Computerprogramm aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Das Programm trat bereits in der beliebten Quizshow „Jeopardy!“ gegen Menschen an und gewann diese im Jahr 2011 sogar. Auch zur Ausführung physischer Aufgaben gibt es bereits Technologien, die so intelligent sind, dass sie ihren eigenen Kontext wahrnehmen bzw. durch Situationen lernen können. Beispiele hierfür sind autonome Roboter und Fahrzeuge. Bisher noch nicht oder nur wenig entwickelt sind kognitive Techno-logien, die über eine Form von Selbstwahrnehmung bzw. Selbstbewusstsein verfügen und die

. Tab. 2.2 Vorhandene kognitive Technologien nach Aufgabentyp und Ausmaß an Intelligenz. (Daven-port und Kirby 2016)

Ausmaß an Intelligenz

a. Unterstützung für den Menschen

b. automatisierte Entscheidungen bei sich wiederho-lenden Aufgaben

c. Wahrnehmung des Kontextes und Lernen

d. Selbst-bewusstsein/Selbstwahr-nehmung

Aufgabentyp

a. Analyse von Zahlen

Business Intelligence, Visualisierung von Daten, hypo-thesengetriebene Analysen

Analyse von ope-rativen Prozessen, Bewertungen, Modell-Manage-ment

Maschinelles Lernen, neuronale Netzwerke

Bisher nicht entwickelt

b. Analyse von Wörtern und Bildern

Bild- und Sprach-erkennung

Bilderkennung, maschinelles Sehen

IBM Watson, vollautomatische Erkennung von Textbedeutungen

Bisher nicht entwickelt

c. Bearbeitung digitaler Auf-gaben

Geschäftsprozess-management

Rules Engine, Automatisierungs-prozesse durch Roboter

Bisher nicht entwickelt

Bisher nicht entwickelt

d. Bearbeitung physischer Auf-gaben

Fernsteuerung von Anlagen

Industrieroboter, kollaborative Roboter

Autonome Ro-boter, autonome Fahrzeuge

Bisher nicht entwickelt

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Bearbeitung von digitalen Aufgaben durch Technologien mit einem Bewusstsein über den Kontext bewältigen können.

Anhand dieser Tabelle erkennt man, wie weit die Fortentwicklung dieser Technologien zur Übernahme von Aufgaben im Arbeitskontext bereits gediehen ist. Besonders bei Routineauf-gaben sind Technologien sogar meist schneller in der Abarbeitung als der Mensch. Dennoch wagen die AutorInnen einen positiven Ausblick in die Zukunft menschlicher Arbeit. Sie emp-fehlen hierbei, dass man nicht davor zurückschrecken sollte, kognitive Technologien in der Arbeitswelt einzusetzen, aber dabei intensiv hinterfragen sollte, inwieweit sie den Wert des arbeitenden Menschen erweitern können. Darüber hinaus sollte man ergründen bzw. sich damit auseinandersetzen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten in der zukünftigen Arbeitswelt vom Menschen noch benötigt werden und daher zu fördern sind und welche eher eine Maschine erledigen kann (Davenport und Kirby 2016).

Praxistipp: Kann meinen Job ein Roboter machen? | |

Welche Jobs werden in Zukunft von Robotern ersetzt werden? Ist Ihre aktuelle Tätigkeit dabei? Gehen Sie auf die Webseite job-futuromat.ard.de. Geben Sie hier einen aktuellen oder jeden beliebigen Job ein, und lassen Sie sich Daten über die Automatisierbarkeit an-zeigen. Dieser Job-Futuromat enthält Informationen für ca. 4000 Berufe in Deutschland aus der Datenbank der Bundesagentur für Arbeit. Der Automatisierungsgrad wurde dabei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermittelt (Dengler und Matthes 2015).

2.3.4 Kommunikation und Koordination in der Mensch-Maschine-Interaktion

Neben dem Zukunftsszenario, in dem Roboter und Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzen (Stichwort Automatisierung), gibt es auch das Konzept der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. In der Mensch-Roboter-Zusammenarbeit (human-robot collaboration) arbeiten die beiden Akteure gemeinsam an einem Arbeitsprozess. Der Roboter repräsentiert dabei ein Assistenzsystem, das den Menschen in der Durchführung des Arbeitsprozesses un-terstützt. Dadurch können beim Menschen kognitive und physische Belastungen durch den Arbeitsprozess verringert werden. So kann der Roboter beispielsweise das Tragen schwerer Lasten oder auch für den Menschen potenziell gefährdende Arbeitsschritte übernehmen. Da-durch kann die Arbeitsergonomie verbessert werden.

> Maschinen und Roboter können dem Menschen als Assistenz dienen. Kognitive und physische Belastungen können verringert und somit die Arbeitsergonomie verbes-sert werden.

Mit diesen Szenarien geht einher, dass Mensch und Roboter räumlich näher zusammenrücken und die Maschinen immer weniger isoliert vom Menschen platziert werden. Angelehnt an eine Kategorisierung von Surdilovic et al. (2015) haben Onnasch et al. (2016) drei grundsätzliche Interaktionsformen von Maschinen und Robotern definiert (. Abb. 2.3):1. Koexistenz: Der Mensch und die Technologie treffen beiläufig aufeinander. Es gibt keine

gemeinsamen bzw. geteilten Ziele von Mensch und Roboter. Als Beispiel wird hier die

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Koexistenz in einem Krankenhaus beschrieben: Stellen wir uns ein Krankenhaus vor, in dem Roboter Waren (z. B. Medikamente, Operationsmaterialen) zwischen Abteilungen hin und her transportieren. Bei einer Situation, in der ein solcher Transportroboter an einem Besucher oder einer Besucherin vorbeifährt, spricht man von einer Koexistenz. Hier ist lediglich auf beiden Seiten eine kurzfristige Koordination notwendig, um eine Kollision untereinander zu vermeiden.

2. Kooperation: Unter Kooperation versteht man die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter, in der jeder der Akteure eine Teilaufgabe innerhalb eines Projektes übernimmt. Dabei besteht ein gemeinsames übergeordnetes Ziel an dem beide – der Mensch und der Roboter – arbeiten. In der Produktion kann dieses gemeinsame Ziel beispielsweise die Her-stellung eines Produktes sein, an dem sowohl der Mensch als auch die Maschine arbeiten. Dabei übernehmen jeweils beide Teilaufgaben der Produktionskette. Denken wir auch an das Beispiel zu Beginn des Kapitels, das Logistiklager von Amazon.com: Hier arbeiten Menschen neben Transportrobotern an der Versendung von Waren. Der Roboter bringt dem Menschen Waren, und der Mensch verpackt sie anschließend.

3. Kollaboration: Wenn Mensch und Roboter kollaborieren bzw. direkt zusammenarbeiten, dann besteht die Notwendigkeit einer unmittelbaren Koordination zwischen dem Menschen und dem Roboter. Hierbei wird an Aufgaben gemeinsam gearbeitet.

Kurzum hat die digitale Transformation von Arbeit zur Folge, dass Menschen vermehrt auf mit künstlicher Intelligenz ausgestattete intelligente Maschinen bzw. Roboter treffen (werden). Auch Teams bzw. Arbeitsgruppen können zukünftig nicht nur aus Menschen, sondern aus einer Mischung zwischen menschlichen und technologischen Akteuren bestehen. Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit die Interaktion zwischen Menschen mit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine vergleichbar oder ähnlich ist. Wenn ja, dann könnte man das Wissen für die erfolgreiche Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Menschen für die Mensch-Roboter-Interaktion übernehmen. Es ist jedoch realistischer davon auszugehen, dass sich diese Interaktion (jedenfalls mit Robotern des derzeitigen technologischen Entwicklungsstands) von jener zwischen Menschen unterscheiden wird. Liu und Wang (2017) argumentieren im Hin-blick auf den Produktionskontext, dass im Idealfall ein gemischtes Team aus Menschen und Maschinen genauso gut funktionieren sollte wie ein Team, das nur aus Menschen besteht. Daher ist Forschung notwendig, einerseits um die Besonderheiten dieser Teams zu verstehen, aber auch um daraus Richtlinien darüber abzuleiten, wie eine erfolgreiche Kommunikation und Koordination innerhalb der gemeinsamen Arbeit funktionieren kann.

Koexistenz

Mensch Roboter

Koordination

Mensch Roboter

Kollaboration

Mensch Roboter

TA

Produkt

TA TATA

Produkt

. Abb. 2.3 Mensch-Maschine-Interaktionen. (Nach Onnasch et al. 2016)

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2.3.4.1 KommunikationMou und Xu (2017) verglichen die Kommunikation zwischen zwei Menschen mit der Kom-munikation zwischen einem Menschen und einer intelligenten Maschine und fokussierten sich dabei auf die virtuelle Kommunikation via Chat. Genauer gesagt, es wurden Chatverläufe zwischen zwei Menschen mit dem Chatverlauf zwischen Mensch und Maschine miteinander verglichen. Dafür wurde die Anwendung WeChat herangezogen, ein in China sehr populäres soziales Medium, das Aspekte und Merkmale aus Facebook und WhatsApp miteinander kom-biniert. Innerhalb von WeChat kann man einerseits mit anderen Menschen chatten, aber auf Wunsch auch mit Chatbots. Als Chatbot (bzw. Chatterbot) bezeichnet man ein Computer-programm, das Konversationen simuliert (whatis.techtarget.com/search/query?q=Chatbot). In besagter Studie zogen die AutorInnen die digitale Kommunikation mit dem Chatbot „Little Ice“ heran. Die Analyse der Kommunikation zeigte deutliche Unterschiede zwischen der Kom-munikation mit einem Menschen und mit dem künstlich intelligenten System.

> Eine Studie von Mou und Xu (2017) zeigte Unterschiede in den Kommunikations-mustern zwischen der Mensch-Mensch-Kommunikation und der Kommunikation mit einem Chatbot. Ein Chatbot (bzw. Chatterbot) ist ein Computerprogramm, welches Konversationen simuliert (▶ http://whatis.techtarget.com/search/query?q=Chatbot).

Es zeigte sich insbesondere, dass StudienteilnehmerInnen unterschiedliche Strategien anwen-deten, je nachdem, ob sie mit einem Menschen oder mit dem Chatbot kommunizierten. In der Kommunikation mit Menschen waren die StudienteilnehmerInnen offener, extravertierter, verträglicher und gewissenhafter und gaben mehr über sich selbst preis. In der Kommunikation mit dem Chatbot dagegen agierten die StudienteilnehmerInnen „neurotischer“. Allerdings kann dies auch damit zusammenhängen, dass der Chatbot, mit dem kommuniziert wurde, einen eher frechen und provokanten Kommunikationsstil hatte, auf den der Mensch dann entsprechend reagierte. Außerdem zeigte sich, dass die Kommunikation mit Menschen sozial erwünschter und akzeptierter war (Mou und Xu 2017).

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Gestaltung der Kommunikation bzw. der Persön-lichkeit des künstlich intelligenten Systems einen Einfluss auf die Kommunikationsmuster des Gegenübers hat und Menschen sich in der Kommunikation mit intelligenten Systemen anders verhalten, als wenn sie mit anderen Menschen sprechen. Kommunikation (jedenfalls zwischen Menschen) ist immer ein sich gegenseitig beeinflussender Prozess. In der Gestaltung von Maschi-nen und Robotersystemen sollte man sich daher wohl überlegen, mit welchem Kommunikations-stil man sie ausstattet und welche Effekte dies auf das arbeitende Individuum hat. Sprache und Verhalten von Maschinen und Robotern sollten daher bewusst gewählt und reflektiert werden.

Auch in der Zusammenarbeit mit Maschinen im Produktionskontext spielt Kommunikation eine wesentliche Rolle für die gute Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Liu und Wang (2017) beschreiben, dass Kommunikationskanäle zwischen Industrierobotern und Menschen zwar limitiert sind, die Gestenerkennung jedoch gute Möglichkeiten zur Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit bieten kann. Gesten können nach Mitra und Acharya (2007) folgendermaßen kategorisiert werden:- Gesten, die den gesamten Körper betreffen, sind Bewegungen oder der Körpereinsatz.- Gesten sind auch nur an Händen und Armen möglich. Hier gibt es Handbewegungen

oder auch Armhaltungen, die Gesten darstellen.- Letztendlich sind Gesten am Kopf oder im Gesicht erkennbar. Nicken oder Kopfschütteln sind beispielsweise Gesten.

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Um nun eine funktionierende Gestenerkennung in industrielle Roboter zu integrieren, sind fünf Komponenten erforderlich (Liu und Wang 2017):1. Durch Sensoren am Roboter können Daten über den Menschen gesammelt werden. Diese

Daten betreffen die verschiedenen Gesten.2. Danach müssen aus den gesammelten Daten Gesten identifiziert werden.3. Bei Gesten, die einen zeitlichen Verlauf haben, wie beispielsweise bei Körperbewegungen,

muss auch der Verlauf der Gestik erfasst werden.4. In einem weiteren Schritt wird die Gestik klassifiziert. Hier kann man eine Basis von Gesten

nutzen und die identifizierte Gestik darin einordnen.5. Letztendlich reagiert der Roboter auf die erkannten Gesten und interagiert demensprechend

mit dem Arbeitenden.

Diese Schritte veranschaulichen die Komplexität nur eines einzigen Aspekts von Interaktionen – wie der Roboter Gesten erkennt und darauf reagiert. Eine gesamtheitliche und gut funk-tionierende Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ist allerdings noch weitaus komplexer. Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, die Auswirkung dieser Kommunikation ständig weiterzuentwickeln und zu reflektieren.

2.3.4.2 KoordinationEine weitere Besonderheit in der Mensch-Maschine-Interaktion betrifft die Koordination bzw. Abstimmung innerhalb der Arbeit. Wenn Menschen und Maschinen eng miteinander an einer Aufgabe arbeiten, ist eine Abstimmung zwischen diesen beiden Akteuren unerlässlich. Durch Sensoren können Maschinen über den Arbeitskontext und über Aspekte des Menschen Daten sammeln, analysieren und entsprechend reagieren. Ziel wäre es, dass die Maschine einerseits den Arbeitskontext und die Arbeitsaufgabe gut kennt, aber auch das menschliche Individuum, mit dem sie derzeit zusammenarbeitet. Denn Menschen können sich beispielsweise hinsichtlich ihres Wissens oder ihrer körperlichen Konstitution voneinander unterscheiden.

Lasota und Shah (2015) haben innerhalb eines Experiments verschiedene Arten von Mensch-Roboter-Zusammenarbeit miteinander verglichen: Die ForscherInnen entwickelten eine Technik, die sie als „human-aware motion planning“ bezeichnen und die beinhaltet, dass der Roboter in einer Situation, in der er mit einem Menschen an einem Arbeitsprozess arbeitet, die nächste Aktion des Menschen vorhersagen kann. Innerhalb dieses Szenarios, in dem sich Roboter und Mensch einen Arbeitsplatz bzw. Arbeitsraum teilen, ist eine räumliche Koordina-tion beider Parteien notwendig. Die entwickelte Technik sagt die nächste Aktion des Menschen vorher und schätzt aufgrund dessen ab, welche Bereiche des geteilten Arbeitsplatzes der Mensch einnimmt, während diese betreffende Aktion durchgeführt wird. Dementsprechend passt der Roboter dann seine eigenen Bewegungsabläufe an, um einen Konflikt (d. h. eine Berührung oder einen Zusammenstoß) zu vermeiden. Diese adaptive Technik wurde mit der Standard-technik von Industrierobotern verglichen, wobei sich zeigte, dass die Effizienz des Arbeits-prozesses und die Zufriedenheit des Menschen mit der weiterentwickelten anpassungsfähigen Technik höher ausfielen als bei der Zusammenarbeit mit der Standardtechnik. Eine Anpassung des Roboters an den Menschen kann daher die Koordination der beiden positiv beeinflussen.

Ein wichtiger Punkt, der hier noch erwähnt werden sollte und der eine Besonderheit bei neuer Industriearbeit darstellt, ist jener der Sicherheit. Einerseits übernehmen Maschinen gefährliche Aufgaben und schützen somit den Menschen. Andererseits können intelligente Maschinen/Roboter auch selbst ein neues Sicherheitsrisiko darstellen, insbesondere, weil sich der räumliche Abstand zwischen Maschine und Mensch verringert und diese beiden einander

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nun auch bei Arbeitsprozessen häufiger berühren. In der Norm DIN EN ISO 10218 wurden dafür grundsätzliche Schutzprinzipien definiert (International Organization for Standardization 2011):- sicherheitsgerichteter, überwachter Stillstand- Handführung- Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung- Leistungs- und Kraftbegrenzung.

Zusätzlich zur physischen Sicherheit spielt auch die Informationssicherheit bzw. Cybersicherheit eine wesentliche Rolle in der Vermeidung von Arbeitsunfällen. Bei der Gestaltung von Indus-trierobotern ist dieser Aspekt der Sicherheit unbedingt mit zu bedenken.

2.3.5 Kompetenz- und Karriereentwicklung

Die digitale Transformation der Arbeit beeinflusst nicht nur die Koordination von Arbeits-tätigkeiten und Arbeitsprozessen, sondern – in einer größeren zeitlichen Dimension – auch die berufliche Laufbahn bzw. den Verlauf von Karrieren. Durch die schnelle Entwicklung von Technologien besteht vermehrt die Anforderung an Arbeitende, sich darin stets neue Kom-petenzen anzueignen. Darüber hinaus sind hier auch soziale Kompetenzen verstärkt gefordert, die es weiterzuentwickeln gilt. Beispielsweise kann sich die Aufgabe, bei einer Videokonferenz ein gutes Klima zu schaffen, herausfordernder gestalten als im realen Kontext, da nonverbale Hinweisreize fehlen. Unternehmen müssen demnach auch vermehrt in die Weiterbildung der MitarbeiterInnen investieren. MitarbeiterInnen können sich aber auch individuell dafür ver-antwortlich fühlen, ihre Kompetenzen selbstständig weiterzuentwickeln bzw. ihre Karrieren stetig zu planen, zu reflektieren und zu adaptieren. Sie betrachten es als ihre eigene individuelle Verantwortung, sich verstärkt Kompetenzen anzueignen, um arbeitsmarktpolitisch vermittelbar zu werden oder zu bleiben. Diese individuelle Verantwortung wird zunehmend auch gefordert (vgl. auch das in ▶ Kap. 1 beschriebene Konzept des Arbeitskraftunternehmers von Pongratz und Voß 2003).

Akkermans und Tims (2016) beschreiben hierbei das Konzept „Career Crafting“ (deutsch: Gestaltung der Karriere), unter dem man die Summe von proaktiven Verhaltensweisen zur Organisation der eigenen Karriere versteht. Ziel ist dabei, optimale Resultate zu erzielen (Ak-kermans und Tims 2016). Dieses selbstständige Arbeiten am optimalen Karriereverlauf stellt einerseits eine neue Anforderung dar, kann aber auch als mögliche Strategie im Umgang mit den Unsicherheitsanforderungen der Arbeitswelt verstanden werden. Einen Überblick zu aktuellen Studien und Trends in der Karriereforschung findet man bei Nalis (2017).

Definition

Unter „Career Crafting“ (deutsch: Gestaltung der Karriere) versteht man eine Summe von proaktiven Verhaltensweisen zur Organisation der eigenen Karriere (Akkermans und Tims 2016).

Neben der individuellen selbstständigen Kompetenz- und Karriereentwicklung können auch Regierungen aktiv Maßnahmen implementieren bzw. Rahmenbedingungen schaffen, um die Bevölkerung gezielt für die digitale Arbeitswelt auszubilden. Beispiele hierfür sind

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a. vom Staat subventionierte Ausbildungsprogramme für Arbeitende,b. der Ausbau von Studienplätzen an Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen),

die sich mit der Erforschung dieser neuen Arbeitswelt beschäftigen und neue Arbeitskräfte entsprechend schulen können, oder auch

c. die Anpassung der Lehrpläne in der Schule, um gezielt Zukunftskompetenzen zu fördern.In Finnland wurde beispielsweise im Herbst 2016 ein neuer Lehrplan vorgestellt. Die Kom-petenz im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnologien wird dabei als fundamentale Kernkompetenz bezeichnet, die jedem Schüler bzw. jeder Schülerin vermittelt werden soll. Weiterhin sind auch Lehrer und Lehrerinnen angehalten, in ihrem Unterricht vermehrt Informations- und Kommunikationstechnologien einzusetzen. Auch interkul-turelles Wissen und Sprachkenntnisse sollen fächerübergreifend behandelt werden. Ein letzter Punkt innerhalb des finnischen Lehrplans, der hier Erwähnung finden soll, ist die gezielte Vermittlung von Wissen im Bereich der Unternehmensgründung. Dadurch sollen zukünftigen Generationen Kompetenzen vermittelt werden, die ihnen dabei helfen können, sich in einer zunehmend von Arbeitsplatzunsicherheit gekennzeichneten Arbeitswelt besser zurechtzufinden (Grass und Weber 2016).

Diese in Finnland verfolgte Strategie ist eine besonders langfristig gedachte, die jedoch nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist. Neben dieser beispielhaften nationalen Initiative gibt es derartige Bemühungen aber auch über Ländergrenzen hinweg. Direkt zum Thema Robotik ist hierbei der an Kinder und Jugendliche gerichtete Roboterwettbewerb First ® Lego ® Leagues (FLL) zu nennen, bei dem Teams unterschiedlicher Länder gegeneinander antreten. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche für Technologie und Wissenschaft, insbesondere die Robotik, zu begeistern und sie dabei zu unterstützen, sich in diesem Bereich Kompetenzen anzueignen (Details siehe ▶ Box „Roboterwettbewerb First ® Lego ® Leagues (FLL)“).

Roboterwettbewerb First ® Lego ® Leagues (FLL)

Der Roboterwettbewerb First ® Lego ® Leagues (FLL) ist ein weltweites Förderprogramm für Kinder und Jugendliche, an dem Kinder zwischen 9 und 14 Jahren teilnehmen können. Bei diesem Wettbewerb treten Teams mit bis zu 10 Mitgliedern gegeneinander an. Jedes Team sucht sich zusätzlich noch zwei erwachsene Mentoren. Innerhalb eines Teams sollen komplexe Aufgaben gelöst werden. Dabei gibt es jedes Jahr Themenschwerpunkte wie beispielsweise die Nanotechnologie, Transport oder Klima-wandel. Jedes Team bekommt eine Challenge (eine herausfordernde Aufgabe) zugewiesen, die dem jeweiligen zentralen Themenschwerpunkt zugeordnet ist. Innerhalb eines Projektes müssen die Teams ein Problem identifizieren und es mithilfe innovativer Ideen lösen. In einem Roboterspiel erhält das Team die Aufgabe, einen autonomen Roboter zu planen, zu programmieren und zu testen. Der Roboter besteht dabei aus Legobausteinen. Letztendlich muss das Team beweisen, dass es die zentralen Werte von FLL (z. B. Gewinnen ist weniger wichtig als das Entdecken von Neuem; das Miteinanderteilen von Erfahrungen; Spaß) bei der Bearbeitung der Aufgabe im Team lebt. Mitmachen kann jeder bzw. jede, der/die Interesse am Lernen im MINT-Bereich (= Mathematik/Informatik/Naturwissenschaften/Technik) hat. Im Vordergrund stehen dabei kreatives Problemlösen und Teamgeist. Die Idee dieses Roboterwett-bewerbs für Kinder und Jugendliche wurde von der amerikanischen Organisation FIRST (For Interest and Recognition of Science and Technology) zusammen mit Lego entwickelt. Dabei wird das Ziel verfolgt, Kinder und Jugendliche für Technologie und Wissenschaft zu begeistern (▶ https://www.first-lego-league.org).

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2.3.6 Flexibilität: Autonomie und Selbstbestimmung?

Ein wesentlicher Aspekt der digitalen flexiblen Arbeit ist die verstärkte Autonomie bzw. Freiheit der Arbeitnehmer. Arbeitende sind mithilfe der Nutzung von digitalen Technologien weniger an einen festen und bestimmten Arbeitsort gebunden, und darüber hinaus besteht für sie auch mehr Entscheidungsfreiheit über die Zeit, während der sie ihrer Arbeitstätigkeit nachgehen. So haben sie beispielsweise die Option, berufliche E-Mails spät abends von Zuhause aus zu versenden. Gleichzeitig aber können Erwartungen bezüglich permanenter Erreichbarkeit und Verbundenheit mit der Arbeit das vermeintliche Gefühl von Freiheit einschränken. Dieses Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontrolle wurde bislang bereits in einigen Studien thematisiert (z. B. Gerdenitsch et al. 2015; Kattenbach et al. 2010; Mazmanian et al. 2013).

Mazmanian et al. (2013) haben beispielsweise WissensarbeiterInnen interviewt. Die Auto-rInnen stellten sich die Frage, warum WissensarbeiterInnen mobile Endgeräte verwenden, die ihnen ermöglichen, permanent erreichbar zu sein, und somit ihre Autonomie einschränken. Zur Klärung dieser Frage führten sie 48 Interviews, in denen sie Arbeitende, die innerhalb ihrer Arbeit größtenteils über E-Mail kommunizieren, zu ihren täglichen Arbeitspraktiken befragten. Einige der Befragten hatten Führungsverantwortung. Fragen innerhalb des Interviews betrafen- die Zeiten, zu denen E-Mails abgerufen wurden,- Vorstellungen darüber, wann man auf E-Mails antworten sollte, und- Rahmenbedingungen, unter welchen diese Art der Kommunikation nützlich ist.

Die Ergebnisse zeigten gewisse Muster bei der Nutzung von mobilen Endgeräten. Befragte beschreiben, dass Sie durch die Nutzung das Gefühl haben, stets mit der Arbeit verbunden zu sein. Diesen Zustand beschreiben die Befragten als komfortabel, da sie dadurch den Eindruck haben, ihre Arbeit gut erledigen zu können. Innerhalb dieser permanenten Verbundenheit mit der Arbeit entwickeln die Befragten bestimmte Gewohnheiten, beispielsweise ein wiederholtes Überprüfen von E-Mails, das es ihnen gestattet, ihre Arbeit im Auge zu behalten und informiert zu bleiben. Gleichzeitig berichten die Befragten, dass sie durch die Kommunikation via E-Mail ihre eigene Verfügbarkeit kontrollieren und einschränken können – sie können dann auf eine E-Mail reagieren, wenn Sie es selbst möchten bzw. Zeit finden.

Parallel zu dieser beschriebenen wahrgenommenen Kontrolle über die Kommunikation entstehen jedoch Erwartungen hinsichtlich permanenter Erreichbarkeit und schneller Reakti-onsfähigkeit, ein Phänomen, das von den AutorInnen als „Autonomy Paradoxon“ bezeichnet wird. Konkret beschreibt das „Autonomy Paradoxon“ dies durch die Nutzung von mobilen Technologien zur Kommunikation.

> „Autonomy Paradoxon“: Durch die Nutzung mobiler Endgeräte entsteht die Möglich-keit, permanent mit der Arbeit verbunden zu sein. Das „Autonomy Paradoxon“ beschreibt, dass zwar durch diese Technologien das Gefühl von Autonomie entsteht, aber gleichzeitig auch eine kollektive Dynamik mit der Konsequenz, dass Nutze-rInnen immer und überall arbeiten und nicht mehr „abschalten“ können (Mazmanian et al. 2013).

Diese kollektive Dynamik entsteht durch die Kommunikation zwischen Individuen. Kom-munikation findet immer zwischen Individuen statt, die sich in ihrer Art und Weise, wie sie kommunizieren, gegenseitig beeinflussen. Mit der Zeit entsteht somit eine geteilte Norm über die Modalitäten, wie man zu kommunizieren hat. Beispielsweise manifestiert sich eine Norm

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in der Kommunikation, ein kollektives Kommunikationsmuster innerhalb einer Arbeitsgruppe oder in der Kommunikation mit einem/r Vorgesetzten bildet sich heraus. Diese Normen be-inhalten beispielsweise Erwartungen bezüglich der Reaktionszeit auf E-Mails, speziell auch spät abends und an den Wochenenden. Ein weiteres Kommunikationsmuster kann auch das Verwenden von CC (carbon copy) betreffen. Beispielsweise kann sich die Norm etablieren, dass der/die ProjektleiterIn in jeder Kommunikation in das CC gesetzt wird. Diese kollektiven Kommunikationsmuster können sich zu Erwartungen hinsichtlich permanenter Erreichbarkeit und schneller Reaktionszeit auf E-Mails sozusagen hochschaukeln. Die AutorInnen bezeichnen dies als eskalierendes Engagement. Diese Erwartungen führen zu Stress und waren über alle Hierarchien hinweg zu finden (Mazmanian et al. 2013).

Zusammenfassend zeigten die AutorInnen, dass Personen, die mehr Freiheit in der Arbeit erhalten (beispielsweise durch einen höheren Status), einzelne Aspekte dieser Freiheit selbst wieder einschränken. Sie benutzen ihre mobilen Endgeräte in einer Art und Weise, dass sie ständig mit ihrer Arbeit verbunden bleiben. Interessanterweise erleben die Befragen diese Art zu arbeiten nicht als Einschränkung der Freiheit, Autorität oder Diskretion. Die Arbeitenden hatten vielmehr das Gefühl, dass sie über mehr Kontrolle verfügen und ihr Gefühl von Kom-petenz verbessert wird (Mazmanian et al. 2013). Die Ergebnisse der Studie zeigen sehr an-schaulich, dass digitale flexible Arbeit zwar das Potenzial besitzt, auf Arbeiterseite das Gefühl von Autonomie zu erhöhen, es aber gleichzeitig durch die konkrete Umsetzung zu einer Ein-schränkung dieser Autonomie kommen kann. Diese Einschränkung kann wie beschrieben von der arbeitenden Person selbst ausgehen, aber auch von anderen KollegInnen, Vorgesetzten oder Kunden. Ziel einer optimalen Arbeitsgestaltung sollte es sein, die Potenziale zur Befriedung des Bedürfnisses nach Freiheit bzw. Autonomie zu nutzen und eine Belastung durch permanente Erreichbarkeit und daraus resultierende fehlende Erholung zu verhindern. Denn die Befriedi-gung des Bedürfnisses nach Autonomie ist nicht nur für den Erhalt von Wohlbefinden, sondern auch hinsichtlich der Produktivität relevant. Es repräsentiert neben dem Bedürfnis nach Kom-petenz und sozialer Eingebundenheit eines der drei zentralen Grundbedürfnisse des Menschen. Das Ausmaß der Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ist maßgeblich für die Entstehung von intrinsischer Motivation (siehe ▶ Exkurs „Selbstbestimmungstheorie“).

Gerdenitsch (2017) diskutiert drei ausgewählte Formen flexibler Arbeit (Gleitzeit, örtli-che Flexibilität, nomadisches Arbeiten) im Kontext der Befriedigung der Grundbedürfnisse. Sie argumentiert dabei, dass flexible Arbeitsformen ein hohes Potenzial aufweisen, um das

Exkurs: Selbstbestimmungstheorie (SDT; Self-Determination Theory, Ryan und Deci 2000)

Die Selbstbestimmungstheorie ist eine Theorie über die menschliche Motivation. Sie beschreibt unter anderem, dass der Mensch danach strebt, drei zentrale psychologische Grundbedürfnisse zu be-friedigen: das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit. Das Bedürfnis nach Autonomie beschreibt das Streben nach einem Gefühl der Freiheit und Freiwilligkeit. Wenn bei-spielsweise Arbeitende die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden, an welchem Arbeitsort sie arbeiten, kann dieses Bedürfnis ein Stück weit befriedigt werden. Kompetenz beschreibt, inwieweit die eigenen Aktivitäten als effektiv erlebt werden. Ein Kompetenzerleben kann hoch sein, wenn man eine Arbeits-tätigkeit erfolgreich abschließen kann und dann auch noch positives Feedback von KollegInnen erhält. Letztendlich beschreibt soziale Eingebundenheit das Bedürfnis nach einer erlebten Verbundenheit mit anderen Menschen. Das Gefühl von sozialer Eingebundenheit kann beispielsweise entstehen, wenn man Teil einer Arbeitsgruppe ist, die sich untereinander stark unterstützt und schätzt (Ryan und Deci 2000). Die Befriedigung dieser drei Grundbedürfnisse beeinflusst das Ausmaß an intrinsischer Motivation (Gagné und Deci 2005).

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Grundbedürfnis nach Autonomie zu befriedigen. Andererseits jedoch kann, abhängig von der Gestaltung der flexiblen Arbeitsform, diese Autonomie auch stark eingeschränkt werden. So kann z. B. eine verstärkte oder permanente organisationale Kontrolle das Gefühl von Freiheit limitieren. Ein Mitarbeiter im Home Office kann beispielsweise mit der Situation konfrontiert sein, dass seine Arbeitszeit strikt vorgegeben ist und er in dieser Zeit ständig online mit seinem Vorgesetzten verbunden sein muss. Dadurch ist er zwar an einem anderen, selbstgewählten Ort, hat aber wenig Spielraum, zu entscheiden, ob und wann er seine Arbeit unterbricht, um beispielsweise anderen Tätigkeiten nachzugehen. Auch bei der Zusammenarbeit innerhalb einer Arbeitsgruppe können Erwartungen von KollegInnen und des/der Vorgesetzten bezüglich Erreichbarkeit und Arbeitszeiten das Gefühl von Freiheit ändern. Legt man selbst beispielsweise seinen täglichen Arbeitsbeginn auf 10 Uhr fest, andere Teammitglieder fordern aber mehrheit-lich Besprechungen um 8 Uhr früh, dann ist man in seiner Wahlfreiheit bereits eingeschränkt. Hier bedarf es also ebenfalls der Abstimmung untereinander über Arbeitszeiten und Arbeits-orte, da Arbeitende immer stärker in (auch wechselnde) Arbeitsgruppen eingegliedert sind.

Demnach wird das Gefühl der Selbstbestimmung und Freiheit zwar durch die Flexibilität (mithilfe der Nutzung neuer Technologien) erhöht, jedoch sind diese Effekte immer auch in Abhängigkeit vom sozialen Netzwerk zu sehen (bestehend aus KollegInnen, KundInnen, Mit-arbeiterInnen), innerhalb dessen die Arbeit erfolgt.

? Praxisübung: Denken Sie nun an Ihren Arbeitsalltag bzw. Studienalltag. In welchen Situatio-nen arbeiten Sie mit digitalen Technologien? Haben Sie in diesen Situationen die Möglichkeit, zu entscheiden, wo und wann Sie arbeiten? Warum? Warum nicht? Inwieweit werden Sie in dieser Freiheit durch Vorgesetzte, KollegInnen oder Kunden eingeschränkt? Inwieweit bzw. durch welche Verhaltensweisen schränken Sie selbst andere KollegInnen, MitarbeiterInnen, Kunden ein?

2.3.7 Struktur und Routinen im flexiblen Arbeitsalltag

„Flexibilität und Veränderung ist schön und gut, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier.“ Mit dieser Aussage sieht man sich im Kontext flexibler Arbeitsformen schnell konfrontiert. Nur, was steckt dahinter? In flexiblen Arbeitsformen, die durch die digitale Transformation von Arbeit entstehen, haben Arbeitende oft weniger oder eine mangelnde, vorgegebene Strukturierung ihres Arbeitsalltages. Das kann einerseits positiv bewertet werden, da Freiheit und Autonomie erweitert werden, andererseits kann dies – gerade aufgrund der fehlenden Struktur und Rou-tineabläufe – aber auch als belastend erlebt werden. Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Umständen eine geringere Strukturierung des Arbeitstags und der Tätigkeit als belastend erlebt wird. Wie lassen sich Menschen charakterisieren, die den Wegfall von Strukturen als Belastung erleben?

Stark vorstrukturierte Arbeitswoche (traditionelle Arbeitsweise): Die Arbeitswoche erstreckt sich von Montags bis Freitag; Samstag und Sonntag sind freie Tage. An den Arbeitstagen beginnt die Arbeitszeit täglich um 9.00 Uhr und dauert bis 17.30 Uhr, wobei für die Mittagspause täglich 30 min vorgesehen sind. Der Arbeitsort ist in einem vordefinierten Bürogebäude. Der Arbeitnehmer ist für eine bestimmte,

Arbeitsweisen – stark und wenig strukturiert | |

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fest definierte Arbeitstätigkeit rekrutiert worden, die er täglich auszuführen hat. Er verfügt bereits vor der Anstellung über die notwendigen Kompetenzen zur Ausführung dieser Arbeitstätigkeiten.Wenig vorstrukturierte Arbeitswoche (nomadische Arbeitsweise): Prinzipiell kann man an jedem Wochentag arbeiten – oder eben auch nicht. Die notwendigen Arbeitsutensilien sind das Mobiltelefon und der Laptop. Wann der Arbeitstag beginnt und endet bzw. unterbrochen wird, liegt beim Arbeiten-den selbst. Der Arbeitsort ist ebenfalls frei wählbar. Unabdingbar ist allein ein Internetzugang, um Doku-mente zu bearbeiten und um zu kommunizieren. Manche Wochen sind mit Besprechungen angefüllt, in anderen wird eher konzentriert und alleine gearbeitet, in wieder anderen eignet sich der Arbeitende gezielt neues Wissen an. Für Letzteres absolviert er Onlinekurse, sogenannte Webinare.

An dem Beispiel ist gut zu erkennen, dass sich eine Struktur einerseits durch die Rahmenbedin-gungen bzw. den Kontext, in dem die Arbeit geschieht, andererseits durch die Arbeitstätigkeit selbst ergeben kann. Ein Arbeitskontext mit einer vorgegebenen täglichen Arbeitszeit sowie einem festen und gleichbleibenden Arbeitsort lässt sich als stark strukturierter Arbeitskontext charakterisieren. Desgleichen können Arbeitstätigkeiten entweder gleichbleibend sein oder sich täglich ändern. Wie gehen Menschen nun mit diesen Situationen um? Präferieren sie eher die starre Struktur oder die Flexibilität? Eine starre Struktur kann einerseits Sicherheit vermitteln, andererseits aber auch als einengend erlebt werden. Gleichzeitig kann vermehrte Variabilität im Arbeitsalltag als angenehme Abwechslung oder aber als chaotischer Zustand empfunden werden. Ob nun die Arbeitssituation als ausreichend strukturiert bzw. abwechslungsreich emp-funden wird, hängt vom individuellen Bedürfnis nach Struktur ab. Das stärkere Bedürfnis nach Struktur ist eine persönliche Präferenz, ein von Struktur und Vorhersagbarkeit bestimmtes Leben zu führen (Neuberg und Newsom 1993). Menschen, die ein besonders starkes Bedürf-nis nach Struktur haben, fühlen sich in unstrukturierten und unvorhersehbaren Situationen unwohl. Sie streben in ihrem Leben vermehrt nach Klarheit und Struktur und versuchen, diese auch stets aktiv herzustellen, beispielsweise indem sie Routinen aufbauen (Neuberg und Newsom 1993; Thompson et al. 2001).

> Das Bedürfnis nach Struktur wird als persönliche Präferenz beschrieben, ein Leben zu führen, dass sich durch Struktur und Vorhersagbarkeit auszeichnet (Neuberg und Newsom 1993). In flexiblen Arbeitsformen, bei denen Arbeitende mithilfe von Infor-mations- und Kommunikationstechnologien arbeiten, werden fixierte Strukturen bis zu einem gewissen Grad aufgebrochen.

Van Yperen et al. (2014) untersuchten, inwieweit das Bedürfnis nach Struktur die wahrgenom-mene Produktivität bei digital und flexibel arbeitenden Personen beeinflusst. Das Bedürfnis nach Struktur wurde in der Studie als das Bedürfnis nach täglicher Routine, Regelmäßigkeit, Vorhersagbarkeit und klaren Regelungen definiert. Je stärker das Bedürfnis nach Struktur war, desto weniger gut wurde die Effizienz des zeitlich und örtlich flexiblen Arbeitens eingeschätzt. Personen mit starkem Bedürfnis nach Struktur und Routinen stimmten demnach weniger stark oder häufig der Aussage zu, dass sie durch zeitliche Flexibilität produktiv arbeiten oder ihre Arbeit gut an unterschiedlichen Orten verrichten können. Es zeigte sich außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Struktur und der Präferenz einer Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben. Demnach trennen Personen, die ein stärkeres Bedürfnis nach Struktur aufweisen, auch deutlicher ihr Arbeits- vom Privatleben.

Digital und flexibel Arbeitende sind, im Gegensatz zu den in traditionellen Arbeitsformen Arbeitenden, mit weniger vordefinierten Strukturen konfrontiert. Die Tätigkeit ist oft aufgaben-

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fokussiert und ergebnisorientiert und nicht an feste zeitliche und örtliche Arbeitsstrukturen gebunden. Insofern sind Arbeitende gefordert, sich eine jeweils für sie passende Arbeitsstruktur zu gestalten. Der Vorteil dessen ist, dass sich Arbeitende eine Struktur schaffen können, die ihren Vorlieben entspricht und besonders geeignet für ihre Arbeitstätigkeiten ist. Andererseits kostet dieses Schaffen einer Struktur auch Energie, da es einen gewissen Aufwand erfordert, unterschiedliche Strukturen auszuprobieren, sie zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Zudem impliziert dies eine starke Anforderung an die Selbstkontrolle, sich dann letztendlich auch an die selbst definierten Strukturen zu halten.

Folgende Möglichkeiten zur Herstellung einer Arbeitsstruktur in flexiblen Arbeitsformen sind denkbar.- Einerseits kann einem die Arbeitsform, in der man beschäftigt ist, mehr oder weniger

Struktur und Routinen vorgeben. Eine Vollzeitanstellung, die eine tägliche Arbeitszeit von 9 Uhr früh bis 5 Uhr vorgibt, beinhaltet mehr Struktur als ein prekäres Beschäfti-gungsverhältnis. Bei einem Arbeitsverhältnis auf Werkvertragsbasis ist man beispiels-weise gefordert, über einen längeren Zeitraum hinweg ein Werk zu erstellen bzw. eine Aufgabe zu vollenden. Wann und wo die Arbeit dazu stattfindet, ist dabei nebensächlich. Hier obliegt es also dem/der Arbeitenden, sich selbst tägliche Arbeitsstrukturen zu schaffen, die die fristgerechte Fertigstellung des Werkes ermöglichen.- Eine weitere Möglichkeit, Struktur innerhalb von flexiblen Arbeitsformen zu schaffen, liegt in der konkreten Gestaltung der Arbeit. Arbeitende können selbstständig Rah-menbedingungen schaffen, die ihr Bedürfnis nach Struktur befriedigen, beispiels-weise indem eine räumliche Struktur geschaffen wird. Arbeitende können sich in ihrer eigenen Wohnung oder in ihrem Haus ein separates Arbeitszimmer einrichten, alternativ besteht die Möglichkeit, sich in Gemeinschaftsbüros oder Coworking Spaces (siehe ▶ Kap. 3) einzumieten. Eine Struktur lässt sich aber auch durch tägliche Rou-tinen schaffen, z. B. indem man für sich selbst ein Arbeitszeitfenster definiert, inner-

Herstellung von Struktur und Routinen in flexiblen Arbeitsformen – ein Beispiel

Denken wir nun an Karin aus dem ▶ Kap. 1. Zur Erinnerung, Karin ist Anwältin, in einer größeren Kanzlei beschäftigt und hat einen Jahresarbeitsvertrag. Mit ihrem Arbeitgeber hat sie eine Anzahl von Stunden für das gesamte Jahr vereinbart, die sie für die Kanzlei arbeitet. Karin zeichnet über das Jahr ihre Stunden auf und bespricht quartalsweise ihre Auslastung. Innerhalb dieser Gespräche trifft sie auch Vereinbarungen bezüglich ihrer Anwesenheit im Büro.Karin befindet sich in einem Arbeitsverhältnis mit geringer vom Arbeitgeber vorgegebener Struktur: Außer im Fall von Terminen mit KlientInnen bzw. bei Verhandlungen bei Gericht ist sie in der Ein-teilung ihrer Arbeitszeit selbstbestimmt. Daher ist Karin mit der Herausforderung konfrontiert, ein für sie passendes Ausmaß an Flexibilität und Struktur in ihrer Arbeit zu finden. Es liegt in ihrer eigenen Verantwortung, diese Gratwanderung durch ihre Arbeitsgestaltung zu meistern. Karin wohnt in einem Haus, in dem sie sich ein Arbeitszimmer eingerichtet hat. In diesem Arbeitszimmer befinden sich all ihre beruflichen Unterlagen und die für die Arbeit erforderliche technische Ausstattung. Um eine (räumliche) Trennung zwischen ihrem Arbeitsleben und Privatleben zu schaffen, hat Karin eine Regel festgesetzt – das Arbeitszimmer ist nur für Arbeitstätigkeiten bestimmt. Das bedeutet einerseits, dass sie nirgends anders im Haus arbeitet, aber auch, dass Tätigkeiten, die nicht arbeitsbezogen sind, auch nicht in diesem Arbeitszimmer erledigt werden (z. B. Wäsche aufhängen). Sobald Karin durch die Tür das Arbeitszimmer betritt, ist sie im Arbeitsmodus, wenn sie das Arbeitszimmer verlässt und die Tür hinter sich schließt, dann ist sie im Privat-/Freizeitmodus. Wenn Karin Praktikanten oder Gehilfen angestellt hat, organisiert sie wöchentliche persönliche Besprechungen in der Kanzlei. Zusätzlich verlangt sie, dass die Mitarbeite-rInnen online zu vorab definierten Zeiten erreichbar sind. Somit schafft sie bei aller Flexibilität auch eine Struktur und die Möglichkeit zum Austausch.

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halb dessen man jeden Tag arbeitet, beispielsweise nachdem man die Kinder zur Schule gebracht hat.- Auch durch die Zusammenarbeit mit anderen lassen sich Strukturen herstellen. Inner-halb eines Teams kann man wiederkehrende Besprechungen planen; so kann z. B. ein Tag in jeder Woche für Teambesprechungen reserviert werden. Dadurch schafft man eine wiederkehrende wöchentliche Struktur. Besonders die Führungskraft hat die Möglichkeit, hier gestalterisch Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Bedürfnis nach Struktur be-friedigen. Hierbei ist es wichtig, zu beachten, dass sich Teammitglieder darin unterschei-den können, wie stark ihr Bedürfnis nach Struktur ausgeprägt ist.

2.3.8 Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben

Veränderungen in der Arbeitswelt, insbesondere das häufigere Vorkommen flexibler Arbeits-modelle (Gleitzeit, Telearbeit, Jobsharing oder Crowdworking; siehe ▶ Kap. 1), führen dazu, dass die Bereiche Arbeit und Privatleben weniger streng voneinander getrennt werden (müssen). Dies hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen dem Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Hierbei umfasst das Privatleben alle Bereiche, die nicht die Erwerbsarbeit betreffen, wie beispielsweise Zeit mit Freunden und Familie, Betreuungspflichten, Freizeitaktivitäten sowie Tätigkeiten in Vereinen. Wann und wo Arbeit beginnt bzw. stattfindet und wann und wo sie aufhört und in den Privatbereich übergeht, gestaltet sich heute flexibler. Aber nicht nur die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben selbst werden variabler, sondern auch die Durchlässigkeit dieser Grenze erhöht sich, sodass es vermehrt zu einem Übergreifen des jeweils einen in den anderen Bereich kommt (Kossek und Lautsch 2008). Beispielsweise besteht die Möglichkeit, innerhalb des Arbeits-bereiches Anrufe von Freunden und Familien entgegenzunehmen oder auch private E-Mails zu bearbeiten. Andererseits ist es möglich, von Zuhause aus (also innerhalb des Bereiches des Privat-lebens) mit ArbeitskollegInnen zu telefonieren und arbeitsbezogene Inhalte zu besprechen. Dieses Übergreifen der beiden Bereiche ineinander wird als Permeabilität bezeichnet (Clark 2000).

Arbeitende sind insofern damit konfrontiert, dass sich einerseits die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben ein Stück weit auflösen (d. h. auf den Tag bezogen: wann beginnt und endet Arbeit, wann beginnt und endet das Privatleben). Sie müssen sich aber auch damit aus-einandersetzen, dass die Bereiche durchlässiger werden (Kossek und Lautsch 2012).

> Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen bis zu einem gewissen Grad (d. h. auf den Tag bezogen: wann beginnt und endet Arbeit, wann beginnt und endet das Privatleben) und werden durchlässiger (Kossek und Lautsch 2012).

Die Handhabung bzw. das Managen dieser Situation stellt eine Herausforderung dar, mit der Arbeitende umzugehen gefordert sind. Kossek (2016) beschreibt hier unterschiedliche mögliche Stile im Umgang mit dieser Grenzauflösung (siehe . Abb. 2.4).

. Abb. 2.4 Vier Stile von Grenzmanagement. (Nach Kossek 2016)

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Kossek (2016) formuliert dabei auch Vorteile und Nachteile des jeweiligen Stils.1. Integrierung: Die Bereiche Arbeit und Privatleben werden durchgehend integriert. Es

kommt zu vielen Unterbrechungen innerhalb der einzelnen Bereiche durch den jeweils anderen. Der Vorteil dieses Umgangsstils ist, dass man für Akteure innerhalb der Arbeit und für jene innerhalb des Privatlebens jederzeit flexibel erreichbar und ansprechbar ist. Der Nachteil besteht jedoch darin, dass das Wechseln zwischen unterschiedlichen Rollen (z. B., wenn man während der Arbeitszeit mit einem Klassenlehrer des Kindes telefoniert und da-nach wieder die Führungsrolle einnehmen muss) auch mit negativen Seiten verbunden ist. Man kann mit der Vielzahl der gleichzeitig geforderten Rollen überfordert sein. Personen können sich demnach erschöpft und gehetzt fühlen.

2. Wechselnder Stil: Dies beschreibt einen hybriden Ansatz zwischen Integration und Tren-nung der beiden Bereiche Arbeit und Privatleben. Personen wechseln zwischen Zeiten, innerhalb derer sie die beiden Bereiche Arbeit und Privatleben eher integriert, und Zeiten, innerhalb derer diese Bereiche getrennt werden. Dadurch ist man einerseits sehr flexibel, andererseits kann dieser Stil ebenfalls zu Erschöpfung führen.

3. Segmentierung: Die Bereiche Arbeit und Privatleben werden streng getrennt. Es gibt de-finierte Zeitfenster für jeden Bereich und nur wenige Unterbrechungen und Übergriffe durch den einen in den anderen Bereich. Der Vorteil dieses Stiles ist, dass dieser zuver-lässig ist, fokussiert und professionell wirkt. Sein Nachteil liegt in dessen Rigidität, die eine fakultative Anpassung an aktuelle Gegebenheiten und Rahmenbedingungen verhindert. Außerdem ist eine gegenseitige positive Bereicherung der beiden Bereiche, wie sie bei der Integration möglich wäre, erschwert.

4. Vorherrschende Rolle: Innerhalb dieses Stiles wird eine Rolle bzw. ein Bereich priorisiert. Diese Rolle kann in den anderen Bereich einfließen, jedoch nicht umgekehrt. Wenn bei-spielsweise die Rolle innerhalb der Arbeit vorherrschend ist, dann würde man einerseits am Wochenende oder abends auch Arbeitsbezogenes bearbeiten, nicht jedoch private Angelegenheiten während der Arbeitszeit. Andererseits kann auch die private Rolle vor-herrschend sein. Nehmen wir an, jemand sieht seine Vaterrolle als vorherrschend. In dem Fall würde er zulassen, dass private Angelegenheiten seine Arbeit unterbrechen, aber nicht umgekehrt. Der Vorteil dieses Stils besteht darin, dass er die Möglichkeit gibt, sich auf eine einzige Rolle zu fokussieren und sie gut zu meistern. Dadurch entstehen auch weniger innere subjektive Konflikte zwischen dem Arbeits- und Privatleben, da die Prioritäten klar sind. Nachteil dabei ist eine Unterentwicklung des gesamtheitlichen Selbst, da man sich nur auf eine Rolle fokussiert. Bei Personen, die ihrer Arbeitsrolle eine hohe Priorität zuordnen, kann es zur Arbeitssucht kommen (WorkaholikerIn); Personen, die sich nur auf das Privat-leben fokussieren, opfern unter Umständen ihre Karriere.

> Kossek (2016) beschreibt vier wesentliche Möglichkeiten zur Handhabung der Bereiche Arbeit und Privatleben: Integration der Bereiche, eine Mischform, innerhalb derer abwechselnd getrennt und integriert wird, Trennung bzw. Segmentierung der Bereiche und das Vorherrschen eines Bereiches.

Jede dieser vier Möglichkeiten, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu gestalten, hat ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Relevant ist dabei auch vor allem die vom Arbeitenden wahrgenommene Kontrolle über die Grenze. Bei einer niedrigen wahrgenommenen Kon-trolle kann es bei einer Person, die Arbeit und Privatleben integriert, dazu kommen, dass sie im Home Office das Gefühl hat, stets und ständig für die Arbeit verfügbar sein zu müssen.

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Wenn aber dieselbe Person eine hohe wahrgenommene Kontrolle über die Grenzen hat, dann würde sie zu Hause flexibel bei Bedarf offline gehen und stattdessen Kinderbetreuungsaufgaben (z. B. Hausaufgaben überwachen) übernehmen. Einer Person, bei der Arbeit und Privatleben strikt voneinander getrennt sind und die wahrgenommene Kontrolle niedrig ist, ist es nicht möglich, in der Arbeitszeit persönliche Bedürfnisse zu beachten. Ein Beispiel hierfür wäre ein Produktionsleiter, der auf einer Montageanlage arbeitet. Die Kontrolle kann jedoch auch bei Segmentierenden hoch sein. Beispielsweise kann man, obwohl man bei der Arbeit noch einiges zu erledigen hat, diese Arbeitstätigkeiten auf den nächsten Tag verschieben und sich zunächst um seine privaten Bedürfnisse kümmern. Bei Personen, die wechselnd Arbeit und Privatleben integrieren und separieren, kann ebenfalls eine niedrige bzw. hohe Kontrolle über das Grenzmanagement vorhanden sein. Niedrige Kontrolle ist z. B. bei einem Manager gegeben, der unter der Woche im Ausland arbeitet und segmentiert (d. h. sich nur auf den Arbeitsbereich fokussiert) und am Wochenende integriert. Diese Wahl kann er nicht selbst treffen, sondern sie ist vorgegeben. Oft erleben Betroffene hierbei Stress. Eine hohe Kontrolle wäre in dem Fall gegeben, wenn ein Arbeitender im Home Office integriert, um auch persönlichen Tätigkeiten nachzugehen (z. B. Wäsche waschen, sportliche Aktivitäten), im Büro jedoch separiert (Kossek und Lautsch 2012).

> Inwieweit die Stile des Grenzmanagements zu Vorteilen oder Nachteilen führen, hängt vor allem von der vorherrschenden wahrgenommenen Kontrolle über die Grenze ab.

Anhand dieser Beispiele wird klar, dass unterschiedliche Strategien, die man anwenden kann, um den Grenzverlauf zwischen Arbeit und Freizeit zu gestalten, auch durch die wahrgenom-mene Kontrolle beeinflusst werden. Was sind nun die Möglichkeiten um diese Kontrolle über Grenzen zu erhalten? Kossek (2016) formulierte diesbezüglich einige Strategien, bei denen sie zwischen physischen, mentalen und sozialen Strategien unterscheidet:

Physische Strategien zur Kontrolle von Grenzen umfassen die gezielte Nutzung von Dingen und Objekten, um Grenzen zu signalisieren. Dinge und Objekte werden hierbei auch konkret den Bereichen Arbeit oder Privatleben zugeordnet.a. Eine Strategie ist es, verschiedene Informations- und Kommunikationstechnologien dem

Arbeitsbereich oder dem Privatbereich zuzuordnen. Beispielsweise kann man zwei Mobil-telefone nutzen – ein privates und ein berufliches. Demnach werden private Anrufe und Nachrichten nur über das private und berufliche Anrufe und Nachrichten ausschließlich über das berufliche Mobiltelefon angenommen bzw. bearbeitet. Es sind natürlich unter-schiedliche Variationen in der Anwendung dieser Strategie möglich; so kann man diese Trennung sehr strikt über alle Tage hinweg leben oder aber sie beispielsweise nur am Wo-chenende ausüben. Eine Möglichkeit dabei ist, das berufliche Mobiltelefon am Wochenende auszuschalten.

b. Bei einer weiteren Strategie werden innerhalb von definierten Arbeitszeiten Nachrichten-dienste bewusst abgeschaltet. Das umfasst beispielsweise das Ausschalten der Push-Funk-tion bei E-Mails oder anderen Nachrichtendiensten (Anmerkung: Durch die Push-Funktion kann man ohne das Öffnen einer Applikation eingehende Nachrichten empfangen) und das Ausschalten des Signaltons bei Anrufen. Die meisten Technologien bieten hier bereits geeignete Modi an, die man nutzen kann. Durch das gezielte Ausschalten von Signalen von Nachrichten kann man sich ohne Unterbrechungen konzentriert entweder der Arbeit oder dem Privatleben widmen.

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c. Neben der Kontrolle der Grenzen zwischen den Bereichen von Arbeit und Privatleben mit-hilfe von Technologien kann auch die räumliche Arbeitsumgebung gezielt gestaltet werden. Wenn man von Zuhause aus im Home Office arbeitet, dann kann man beispielsweise Räume definieren oder einrichten, die ausschließlich für arbeitsbezogene Tätigkeiten genutzt wer-den. Des Weiteren kann man gegenüber MitbewohnerInnen oder Familienmitgliedern klar definieren, wann man gestört werden kann und wann nicht. Eine Möglichkeit ist die Nutzung der Tür zum Arbeitsraum: Bei geschlossener Tür will man nicht gestört werden, bei offener ist eine Unterbrechung möglich. Eine weitere Möglichkeit, die besonders von digitalen Nomaden oder Selbstständigen genutzt wird, besteht in der Nutzung sogenannter Coworking-Spaces (siehe auch ▶ Kap. 3). Durch das Arbeiten in externen Räumlichkeiten schafft man eine räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Somit kann man auch die Räumlichkeiten zu Hause primär privat nutzen.

d. Neben der Kontrolle über das Ausmaß der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben mit-hilfe von Technologien oder Räumlichkeiten ist es auch wichtig, zu beachten, dass der Mensch Zeit benötigt, um von dem einen Bereich in den anderen Bereich bzw. von der einen Rolle in die andere zu wechseln. Eine physische Strategie hierfür ist die Nutzung der Wegzeit: Die Zeit, die für den Weg zur Arbeit und von der Arbeit zurück nach Hause anfällt, kann gezielt dazu genutzt werden, sich von der einen Rolle zu lösen und die jeweils andere einzunehmen.

e. Eine letzte Strategie bestünde darin, Technologien nur dann zu verwenden, wenn es not-wendig ist. Eine permanente Verbundenheit mit beiden Bereichen sollte vermieden werden. Man kann sich gezielt damit auseinandersetzen, zu welchen Zeiten Erreichbarkeit not-wendig ist, und dann gezielt Technologien dafür nutzen, beispielsweise die Push-Funktion ein- oder ausschalten.

Mentale Strategien zur Kontrolle von Grenzen betreffen das bewusste Fokussieren auf die un-terschiedlichen Lebensbereiche.a. Eine Strategie dabei ist Achtsamkeit (siehe ▶ Exkurs „Achtsamkeit“). Hier geht es darum,

dass man innerhalb des jeweiligen Bereiches mental präsent ist. Innerhalb der Freizeit sollte man versuchen, sich von der Arbeit zu lösen und sich auf das Familien- bzw. Privatleben fokussieren. Gleichermaßen sollte man sich innerhalb der Arbeit auf die Arbeitstätigkeit konzentrieren und hier vollständig präsent sein.

b. Eine weitere Strategie betrifft die Organisation von Arbeit. Sie sollte so gestaltet sein, dass man sich auf Prioritäten fokussieren kann. Zuvor sollte man sich damit beschäftigen bzw. reflektieren, was diese Prioritäten sind. Danach sollte eine bewusste und fokussierte Be-arbeitung von damit verbundenen Arbeitstätigkeiten geschehen.

c. Neben der Organisation von Arbeit im Allgemeinen kann man sich auch Zeitblöcke reser-vieren bzw. schaffen, innerhalb derer man sich auf bestimmte Aufgaben konzentrieren kann. Wichtig ist es, innerhalb dieser Blöcke mental präsent zu sein und sich auf die jeweilige Aufgabe ohne Unterbrechungen zu fokussieren.

d. Außer der Organisation der Arbeit besteht eine Strategie auch darin, bewusst Zeit für sich selbst einzuteilen und zu reservieren, um den Umgang mit Grenzen gut kontrollieren zu können. Man kann beispielsweise im Kalender Zeiten einplanen und reservieren, die aus-schließlich für die eigene Person gedacht sind. Die Mittagszeit kann man beispielsweise dafür nutzen, um spazieren zu gehen. Ein anderes Beispiel wäre definierte Zeiten für sport-liche Aktivitäten. Wie bereits unter Punkt d bei den physischen Strategien beschrieben, ist es auch möglich, Wegezeiten für den Wechsel zwischen Rollen zu nutzen. Diese ließen sich

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mit sportlichen Aktivitäten verbinden, indem man den Weg von und zur Arbeit beispiels-weise mit dem Fahrrad zurücklegt.

e. Schließlich besteht eine Strategie darin, das eigene Zeitmanagement zu reflektieren und zu beurteilen. Hierbei kann man sich unter anderem die eigenen zentralen Rollen und Iden-titäten im Leben bewusst machen und hinterfragen, welche derzeit im Vordergrund stehen bzw. stehen sollten. Die zeitliche Planung von Arbeit und Privatleben sollte man an diese zentralen Rollen und Identitäten anpassen.

Soziale Strategien betreffen immer auch den sozialen Kontext der jeweiligen Person. Der soziale Kontext umfasst beispielsweise im Arbeitsbereich KollegInnen, KundInnen und Vorgesetzte und im privaten Bereich Freunde, Familie und Bekannte.a. Eine wesentliche Strategie betrifft dabei die Kommunikation von Erreichbarkeiten. Andere

sollten darüber Bescheid wissen, wann man wie erreichbar ist und – besonders wichtig – wann nicht. Im Zusammenhang damit kann man auch kommunizieren, was in dem Falle zu tun ist, wenn man gerade nicht erreichbar ist. Eine Regel könnte hierbei sein, dass in dem Fall eine E-Mail zu schreiben ist, die dann später beantwortet werden kann.

b. Eine weitere Strategie betrifft Erwartungen. Diese sollte man gezielt eingrenzen, indem man kommuniziert, was von einem selbst zu erwarten ist (beispielsweise hinsichtlich Erreich-barkeit).

c. Die Suche nach Rollenmodellen und Personen, die soziale Unterstützung geben können, kann hilfreich sein. Rollenmodelle, die bereits gewünschte Ziele erreicht haben (z. B. Kar-riereziele) oder in ähnlichen sozialen Situationen sind (z. B. Kinderbetreuungspflichten), helfen dabei, für sich selber gute Entscheidungen zu treffen. Soziale Unterstützung durch Freunde oder KollegInnen bei konkreten Herausforderungen hilft zusätzlich dabei, mit der Gestaltung von Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben gut zurechtzukommen. Hier wäre der Freund, der das eigene Kind von der Schule abholt, ein Beispiel für soziale Unter-stützung.

d. Die Trennung von beruflichen und privaten Profilen in sozialen Medien (z. B. Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter) ist notwendig, da andernfalls eine Kontrolle der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben durch die Vermischung sozialer Medien oft nur schwer möglich ist.

e. Bei einer letzten sozialen Strategie geht es darum, gute Bekannte im Arbeitsbereich aus-zuwählen, die bei Problemen aushelfen. Man ist immer wieder mit Situationen konfrontiert, in denen man jemanden braucht, der/die für einen selbst einspringt. Die optimale Strategie ist, zunächst von sich aus Leistungen anzubieten, die man übernehmen kann, um dann in Zukunft ohne schlechtes Gewissen Gegenleistungen erbitten oder einfordern zu können. Beispielsweise kann man gegenseitig für den anderen bei Workshops einspringen, für-einander Meetings übernehmen, wenn der andere im Urlaub oder auf Dienstreise ist oder bei Bedarf dringende E-Mails für den anderen bearbeiten.

Digitale Transformation von Arbeit – Chancen und HerausforderungenTechnologische Entwicklungen verändern die Art, wie wir leben, insbesondere die Art und Weise, wie wir arbeiten. Die digitale Transformation von Arbeit führt beispielsweise dazu, dass Mitarbeite-rInnen einer Bankfiliale mit ihren KundInnen vermehrt online kommunizieren und interagieren. Des Weiteren werden beispielsweise in Logistikzentren Transportaufgaben von Robotersystemen übernommen, wodurch sich die Arbeitstätigkeit des Menschen verändert. Routinetätigkeiten wer-den vermehrt von Technologien ausgeführt, menschliche Arbeitskraft wird vermehrt zur Planung,

59 22.3 • Die Besonderheiten digital transformierter Arbeit

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Programmierung und Steuerung der Technologien eingesetzt. Komplexes Problemlösen, innova-tives Denken und kreative Arbeitstätigkeiten gewinnen zunehmend an Bedeutung. Neben den Arbeitstätigkeiten an sich verändern sich auch Arbeitsmittel. Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für die Arbeitstätigkeit nimmt rasant zu und führt zur Auflösung der Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit. Auch die Art und Weise, wie Informationen ausgetauscht werden und wie Menschen miteinander kommunizieren und interagieren, verändert sich. Innerhalb dieses neuen digital transformierten Arbeitsmodus sind insbesondere drei Bereiche zu beachten.- Erstens verändert die exzessive Nutzung von digitalen Technologien die Interaktionen, die

Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Menschen. Kollektive Regeln, Normen und Verhaltensweisen bei dieser neuen Art der Kommunikation und Interaktion müssen sich (z. B. innerhalb einer Arbeitsgruppe) entwickeln. Dazu bedarf es einer permanenten Reflexion der Arbeitsweise und der Aneignung sozialer und technischer Kompetenzen. Dies betrifft nicht nur die Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen, sondern auch die zwischen Mensch und Maschine bzw. Roboter.- Zweitens ist ein Bewusstsein über belastende Aspekte von neuen Arbeitsformen notwendig. Per-manente Erreichbarkeit, die Entgrenzung zwischen Arbeit und Nichtarbeit sowie das Aufbrechen von Strukturen sind nur ein paar Beispiele für belastende Aspekte dieser neuen Arbeitsformen. Der Mensch ist gefordert, Strategien für einen gesunden Umgang mit den Technologien zu entwickeln. Gleichzeitig ist die Gestaltung von Arbeitsmodellen und Rahmenbedingungen, die auch langfristig gesundes Arbeiten ermöglichen, notwendig und wichtig.- Drittens gilt es, sich mit der Frage nach zukünftigen Arbeitstätigkeiten, notwendigen Kom-petenzen und Berufen zu beschäftigen. Vor allem eine permanente Weiterentwicklung techno-logischer Kompetenzen spielt hier eine zentrale Rolle.

Exkurs: Achtsamkeit

Achtsamkeit wird beschrieben als Zustand, der sich einerseits durch nicht wertende Aufmerksamkeit und andererseits durch ein bewusstes Erleben von Moment zu Moment beschreiben lässt (Bishop et al. 2004). Brown et al. (2007) nennen vier charakterisierende Aspekte der Achtsamkeit:1. Das Bewusstsein für die Wahrnehmung des eigenen inneren Erlebens, aber auch für externe

Ereignisse. Das innere Erleben beinhaltet Emotionen, Gedanken und Intentionen, sich auf eine be-stimmte Art und Weise zu verhalten.

2. Eine achtsame Informationsverarbeitung zeichnet sich dadurch aus, dass man lediglich das aufnimmt, was gerade geschieht. Die Situationen werden weder bewertet noch analysiert noch reflektiert.

3. Achtsamkeit ist ein Zustand bzw. ein Bewusstsein im Hier und Jetzt. Die Vergangenheit oder auch die Zukunft sind wenig relevant; es zählt nur das gegenwärtige Erleben.

4. Achtsamkeit ist eine Fähigkeit von Menschen, deren Ausprägung von Mensch zu Mensch unter-schiedlich ausfällt. Aber nicht nur Menschen selbst unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, achtsam zu sein, es gibt auch Unterschiede hinsichtlich der Situationen: In manchen Situationen ist man achtsamer als in anderen.

Das zentrale Element der Achtsamkeit ist dabei die Aufmerksamkeit, die eine Person beispielsweise auf eine andere Person, eine Arbeitsaufgabe oder eine Arbeitsumgebung richtet (Hülsheger et al. 2013). In zahlreichen Studien konnten bisher positive Effekte von Achtsamkeit bestätigt werden. Im Arbeitskon-text haben beispielsweise Hülsheger et al. (2013) gezeigt, dass Arbeitende in emotional belastenden Berufen von dem Konzept der Achtsamkeit profitieren können. Sie wiesen positive Effekte auf Arbeits-zufriedenheit und eine Minderung von emotionaler Erschöpfung nach. Allen und Kiburz (2012) konnten belegen, dass arbeitende Eltern mit höheren Werten in Achtsamkeit von einer besseren Balance zwischen Arbeitsleben und Familienleben berichten. Sie konnten diesen positiven Zusammenhang mit einer besseren Schlafqualität und höheren Vitalität erklären.

Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit60

Page 68: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Durch die Auseinandersetzung mit diesen drei Themenbereichen kann eine proaktive Gestal-tung neuer Arbeit erreicht werden. Denn mit ihrer Hilfe kann es gelingen, die mit digitaler flexibler Arbeit verbundenen Herausforderungen zu meistern und Potenziale optimal auszuschöpfen.

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Kapitel 2 • Digitale Transformation der Wissens- und Industriearbeit62

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63 2Literatur

Page 71: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

3.1 Elemente physischer Arbeitsumgebungen – 673.1.1 Abgrenzungen und Barrieren – 683.1.2 Verstellbarkeit/Adaptierbarkeit der Arbeitsumgebung – 703.1.3 Personalisierbarkeit – 713.1.4 Natürliche Umgebung – 72

3.2 Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs) für ArbeitnehmerInnen – 72

3.2.1 Das A-FO-Modell nach Wohlers und Hertel (2016) – 763.2.2 Effekte auf Wohlbefinden und Produktivität – 803.2.3 Nutzung eines A-FOs: Die Wahl des Arbeitsplatzes – 853.2.4 Kongruenz zwischen Bedürfnissen der Arbeitenden

und dem Angebot des AFOs – 87

3.3 Coworking Spaces – eine Arbeitsumgebung für Selbstständige – 97

3.3.1 Daten und Fakten – 993.3.2 Typologien von Coworking Spaces – 1003.3.3 Soziale Interaktionen in Coworking Spaces – 102

3.4 Fazit: Räumlichkeiten für WissensarbeiterInnen – 113

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Gestaltung von ArbeitsumgebungenCornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Gerdenitsch, C. Korunka, Digitale Transformation der Arbeitswelt, Die Wirtschaftspsychologie DOI 10.1007/978-3-662-55674-0_3

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3.5 Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie – 114

3.5.1 Digitale Technologien in der Produktion – 1163.5.2 Arbeitsgestaltung in der digitalisierten Produktion – 144

3.6 Arbeitsumgebungen für Industrie arbeiterInnen – 158

Literatur – 159

Page 73: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Gestaltung von ArbeitsumgebungenDie Frage nach der optimalen Gestaltung von Arbeitsumgebungen wird innerhalb unterschied-licher Disziplinen erforscht. Neben der (Innen-)Architektur, die sich mit der Gestaltung von Räumen und Bürogebäuden befasst, versucht auch die Psychologie das Erleben und Verhalten in Arbeitsumgebungen zu verstehen, zu erklären und vorherzusagen. Der Begriff Arbeits-umgebung umfasst hierbei einerseits Arbeitsräume und Büroumgebungen, betrifft aber auch generell die aktuelle Umgebung, in der sich der/die Arbeitende befindet. Die Umweltpsycho-logie versucht hier, den Menschen in seiner Umgebung beziehungsweise Umwelt besser zu verstehen. Hierbei spielen Indikatoren wie Wohlbefinden und Leistung eine zentrale Rolle. Wie bereits in ▶ Kap. 1 und 2 beschrieben, hat sich die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet ist, in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Dies beinhaltet auch eine Veränderung in den Arbeits-umgebungen: Dank der Nutzung digitaler Technologien können Personen ortsunabhängig arbeiten und befinden sich demnach vermehrt in immer unterschiedlichen Umwelten bezie-hungsweise begeben sich in sie, wenn sie ihre Arbeit verrichten. Diese Entwicklungen führen auch dazu, dass neue Ansätze für die Gestaltung von (Arbeits-)Räumlichkeiten entstehen. Bei-spielsweise gestalten Unternehmen ihre Büroräume um und bieten aktivitätsbasierte Arbeits-zonen an, die flexibel genutzt werden können. Digitale Nomaden und Selbstständige können vermehrt in sogenannten Coworking Spaces arbeiten. Coworking Spaces sind flexibel nutzbare Büroumgebungen, die auch Wert auf die Vernetzung der dort tätigen Mitglieder legen. Arbeits-umgebungen können aber auch virtuell gestaltet sein. Auch die Interaktion mit intelligenten Maschinen und Robotern rückt in den Vordergrund und nimmt Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitsumgebungen. Bevor im vorliegenden Kapitel einige dieser neuen Ansätze in der Gestaltung von Arbeitsumgebungen beschrieben werden, sollen im Folgenden systematisch einzelne charakteristische Elemente von Arbeitsumgebungen beschrieben werden.

3.1 Elemente physischer Arbeitsumgebungen

Eine Arbeitsumgebung lässt sich anhand verschiedener Elemente charakterisieren. Diese Ele-mente können einen Einfluss auf Produktivität und Wohlbefinden des Menschen haben. Die Unterdisziplin der Psychologie, die sich mit dem Wechselspiel zwischen dem Menschen und seiner Umwelt beschäftigt, ist die Umweltpsychologie. Vischer (2008) beschreibt drei Bereiche von Forschungsfragen, die für die Umweltpsychologie relevant sind. Der erste Bereich betrifft dabei die Gestaltung von Lichtquellen, Hintergrundgeräusche und thermische Bedingungen. Der zweite Bereich legt das Augenmerk auf die Möblierung und die Büroaufteilung. Hier wer-den Anzahl und Gestaltung von Büros sowie Zusatzräumen (Besprechungsräume, Kaffeeküche etc.) untersucht. Schließlich werden als Drittes Prozessthemen thematisiert. Hier wird beispiels-weise der Einfluss der Miteinbeziehung (Partizipation) von Arbeitenden in die Gestaltung von Arbeitsumgebungen untersucht. Allen drei Bereichen gemeinsam ist, dass sie den Einfluss der jeweils betrachteten Elemente auf Zufriedenheit, Territorialität und Zugehörigkeit sowie auf die Produktivität der Arbeitenden untersuchen.

Einige dieser Fragen konnten bisher mithilfe empirischer Forschung beantwortet werden. In einer Zusammenfassung bisheriger Literatur über Effekte der physischen Arbeitsumgebung haben Elsbach und Pratt (2007) diese Studien zusammengefasst. Ihren Recherchen zufolge gibt es vier am häufigsten untersuchte Elemente physischer Arbeitsumgebungen.

67 33.1 • Elemente physischer Arbeitsumgebungen

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- Das Erste betrifft Abgrenzungen und Barrieren, wie beispielsweise (Trenn-)Wände zwischen Arbeitsplätzen und Arbeitsbereichen.- Als weiteres Element wird die Adaptierbarkeit beziehungsweise Justierbarkeit von Arbeitsutensilien benannt. Hierbei sind Stühle, aber auch Technologien inbegriffen.- Des Weiteren gibt es einige Studien, die den Effekt der Möglichkeit zur Personalisierung der Arbeitsumgebung beschreiben.- Schließlich wird der Grad der Natürlichkeit im Sinne einer Naturähnlichkeit erforscht. Studienergebnisse zeigten, dass alle diese Elemente einerseits zu erwünschten, aber andererseits auch zu unerwünschten Effekten führen können.

Im Folgenden werden diese Elemente und deren Effekte genauer beschrieben.

3.1.1 Abgrenzungen und Barrieren

Die größte Anzahl an Studien liegt zum Thema Abgrenzungen und Barrieren vor. Dabei geht es um die Gestaltung von (Trenn-)Wänden, Türen, Räumen, Fluren und Gängen etc., die Arbeitende voneinander abtrennen (Elsbach und Pratt 2007). In einer Arbeitsumgebung mit Einzelbüros bei-spielsweise gibt es viele Abgrenzungen zwischen den Arbeitenden: MitarbeiterInnen haben hier jeweils ein eigenes Büro, das von den anderen durch Wände abgetrennt ist. Diese Büros können entweder einerseits gänzlich voneinander abgeschirmt, aber auch mit durchsichtigen Türen oder Wänden versehen sein. Je nachdem, welche Gestaltung man hier wählt, ist die physische Barriere zwischen Arbeitenden stärker oder weniger stark ausgeprägt. Im Gegensatz dazu ist das Groß-raumbüro mit weniger Wänden oder nur mit Außenwänden ausgestattet. Für die Abtrennung von Personengruppen können Trennwände genutzt werden, die allerdings nicht bis zur Decke reichen und verschiebbar sind (Bodin Danielsson et al. 2014). Im ▶ Exkurs „Die Bürotypen Einzelbüro und Großraumbüro“ sind diese beiden Bürotypen detaillierter beschrieben.

Anhand der beschriebenen Bürotypen lässt sich die Bandbreite der Gestaltung von Abgren-zungen und Barrieren gut erkennen. Es stellt sich nun die Frage, welchen Effekt die Gestaltung von Barrieren auf den arbeitenden Menschen hat.

Elsbach und Pratt (2007) beschreiben einige positive Effekte. Einer davon ist, dass Barrieren Schutz gegenüber Ablenkungen und auch ein gewisses Maß an Privatsphäre bieten. Somit ist es Arbeitenden möglich, sich gut auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. An einem Arbeitsplatz kann es zu unterschiedlichen Ablenkungen durch Lärm, Licht, aber auch durch andere Per-

Exkurs: Die Bürotypen Einzelbüro und Großraumbüro

Definition eines Einzelbüros: Unter dem Bürotyp des Einzelbüros ist eine Bürolandschaft zu verstehen, die aus mehreren einzelnen Räumen – Büros – besteht, welche entlang von Korridoren angeordnet beziehungsweise miteinander verbunden sind. Diese einzelnen Büros haben jeweils mindestens ein Fenster und sind mit technischen Gegenständen für die Arbeit wie Computer oder Drucker ausgestattet. Einzelbüros eigenen sich für unabhängiges und konzentriertes Arbeiten (Bodin Danielsson et al. 2014).Definition eines Großraumbüros: In einem Großraumbüro teilt sich eine Gruppe von Personen einen Arbeitsbereich. Dabei wird in drei Größen unterschieden: Kleinere Großraumbüros bieten vier bis neun Arbeitenden Platz, mittlere zehn bis 24, und größere über 24 Arbeitenden. Sie arbeiten in einem einzel-nen gemeinsamen Raum an Arbeitsstationen nebeneinander. Die Arbeitsstationen sind frei oder auch in Reihen angeordnet. Großraumbüros sind flexibel für organisationale Veränderungen und eigenen sich auch gut für Routinearbeiten (Bodin Danielsson et al. 2014).

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen68

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sonen kommen. Adäquate Barrieren verhindern beispielsweise, dass sich Arbeitende von Licht geblendet fühlen, dass sie über längere Dauer Lärm ausgesetzt sind oder dass sie ständig durch KollegInnen unterbrochen werden können. Beispielsweise ist Ablenkung durch Lärm oder KollegInnen in einem Großraumbüro eher möglich als in einem Einzelbüro. Wenn es keine adäquaten Barrieren gibt und es deshalb zu starken Ablenkungen kommt, kann eine Über-stimulierung der Arbeitenden die Konsequenz sein (siehe auch Overstimulation Theory, Desor 1972). Diese Überstimulierung führt dann zu einer geringeren Zufriedenheit und Leistungs-fähigkeit (Elsbach und Pratt 2007). Oft gibt es in Büros auch Regelungen zur „Benutzung“ dieser Barrieren. Beispielsweise kann eine geschlossene Tür ein Signal dafür sein, dass man nicht gestört werden möchte. Eine offene Tür kann auf der anderen Seite signalisieren, dass man für Interaktionen bereit ist. Ähnliche Regelungen gibt es zu Kopfhörern: Wenn man Kopfhörer trägt, möchte man nicht gestört werden, trägt man dagegen keine, ist man bereit, in Interaktion zu treten (z. B. Fragen zu beantworten).

> Adäquate Barrieren können dazu dienen, Ablenkungen durch unerwünschte Geräu-sche, unangenehme Lichtquellen und Unterbrechungen zu minimieren oder zu ver-meiden. Besonders, wenn Arbeitstätigkeiten ausgeführt werden, bei denen man sich konzentrieren muss, kann die Zufriedenheit und Leistung durch adäquate Barrieren positiv beeinflusst werden (Elsbach und Pratt 2007).

Als weiteren positiven Effekt nennen die Autoren die Möglichkeit, Status und Hierarchie durch Barrieren zu signalisieren. Oftmals haben Personen, die in der Hierarchie höher stehen auch größere Büros, Einzelbüros beziehungsweise mehr Trennwände als jene, die in der Hierarchie weiter unten angesiedelt sind. Darüber hinaus zeigte sich, dass durch stärkere Abgrenzungen das Gefühl von Privatsphäre und Ungestörtheit gefördert wird. Es kommt folglich vermehrt zu informellen und ungeplanten Gesprächen unter den Arbeitenden. Denn sie fühlen sich einerseits selbst ungestörter bei den Unterredungen und haben andererseits auch den Ein-druck, niemand anderen durch ihre Interaktion/ihr Gespräch zu stören. Eine Unterhaltung in einem Großraumbüro beispielsweise würde möglicherweise andere Personen stören und kann außerdem auch nicht besonders privat geführt werden, da alle KollegInnen mithören können. Neben den informellen Gesprächen, die privater möglich sind, ist es in abgetrennten Räumen auch leichter möglich, vertrauliche Tätigkeiten zu verrichten wie beispielsweise Mitarbeite-rInnengespräche oder Feedbackgespräche.

Neben diesen positiven Auswirkungen von Abgrenzungen und Barrieren fassten Elsbach und Pratt (2007) allerdings auch Studien zusammen, die negative Auswirkungen aufdeckten. Neben Studien, die positive Auswirkungen von Barrieren auf informelle Kommunikation zeigen konnten, gibt es auch solche, die zeigen, dass zu viele Barrieren die Kommunikation unter den Arbeitenden limitieren können. Hierbei wird besonders eine Form von informeller Kommunikation verhindert: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine arbeitsbezogene Frage und wissen nicht genau, bei wem sie nachfragen können. In einem Großraumbüro mit offenem Charakter könnten Sie einen kurzen Blick auf Ihre KollegInnen werfen und dann abschätzen, wer gerade so aussieht, als ob er/sie Zeit oder die Bereitschaft hat, Fragen zu beantworten. Zu dieser Person könnten Sie dann gehen und Ihre Frage stellen, ohne dass Sie das Gefühl haben, jemanden zu belästigen. In einem Einzelbüro wäre dies schwerer möglich. Sie müssten an unterschiedlichen Bürotüren klopfen, bis sich jemand findet, der/die Zeit hat, sich mit Ihrem Problem zu beschäftigen. Besonders introvertierte Personen könnten hier gehemmt sein, wenn sie den Eindruck haben, andere zu stören, und es könnte der Fall eintreten, dass sie sich mit

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ihrem Problem alleine gelassen fühlen. Auch in Situationen, in denen Probleme schnell gelöst werden beziehungsweise Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, können Barrieren hinderlich für die effiziente Zusammenarbeit sein. Ein weiterer negativer Effekt von Barrieren betrifft die Wahrnehmung, wie wichtig bestimmte Aufgaben sind und wie sehr man sich damit identifizieren kann. Je offener eine Arbeitsumgebung gestaltet ist – d. h., je weniger Abgren-zungen und Barrieren es gibt –, desto eher kann man sich mit seinen KollegInnen vergleichen. Dadurch kann ein Gespür für die eigene Rolle im Unternehmen entstehen.

Neben unerwünschten Effekten im Kontext von Kommunikation und der Wichtigkeit der Aufgabe können Barrieren auch einen unerwünschten Effekt auf die Leistung haben. Die Theorie der sozialen Erleichterung (Social Facilitation Theory, Zajonc 1965; siehe ▶ Exkurs) be-schreibt eine potenzielle Leistungssteigerung bei Anwesenheit anderer. Konkret gesagt werden einfache und vertraute Aufgaben in Anwesenheit anderer Personen besser bearbeitet. Einen gegenteiligen Effekt gibt es bei komplexen Aufgaben. In Büroumgebungen mit stark abgetrenn-ten Arbeitsplätzen – wie beispielsweise beim Einzelbüro – kann diese potenzielle Leistungs-steigerung bei einfachen Aufgaben nicht genutzt werden.

Am Ende formulierten die AutorInnen die Hypothese, dass das Signalisieren von Macht und Status einen unerwünschten Effekt im Hinblick auf Abgrenzungen und Barrieren haben kann. Wie bereits beschrieben, kann beispielsweise durch besonders große Einzelbüros Macht und Status kommuniziert werden. Es gibt Organisationen oder Kontexte, in denen dies mög-licherweise sogar unerwünscht ist. So kann diese physische Demonstration von Macht und Status hemmend wirken, wenn man Zusammenarbeit oder Feedback über Ränge hinweg er-möglichen möchte.

3.1.2 Verstellbarkeit/Adaptierbarkeit der Arbeitsumgebung

Die Möglichkeit, die Arbeitsumgebung an eigene Bedürfnisse anzupassen, repräsentiert das zweite Element von Arbeitsumgebungen, dessen Effekte von Elsbach und Pratt (2007) zusam-mengefasst wurden. Es geht hierbei um die Möglichkeit, Arbeitsmittel, Arbeitsausstattung, Möblierung und die allgemeine Arbeitsumgebung durch Verstellen an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Dieser Aspekt ist besonders bei Büroumgebungen mit „Hotdesking“ oder „Desksharing“ re-levant. Hierbei gibt es keine den Arbeitenden fix zugeordneten Arbeitsplätze, sondern es stehen für alle geteilte Arbeitsplätze zur Verfügung. Die Arbeitenden suchen sich, wenn sie in die Büro-

Exkurs: Theorie der sozialen Erleichterung (Social Facilitation Theory, Zajonc 1965)

Die Theorie der sozialen Erleichterung beschreibt das Phänomen, dass es Unterschiede in der Leistung bei der Bewältigung von Aufgaben gibt, je nachdem, ob andere Personen anwesend sind oder nicht. So ist die Leistung bei einfachen und vertrauten Aufgaben in Anwesenheit anderer besser. Wenn man jedoch komplexere Aufgaben lösen möchte, dann ist die Leistung bei Anwesenheit anderer schlechter.Um diese Hypothesen experimentell zu verifizieren, führte Robert Zajonc Experimente mit Kakerlaken durch (Zajonc et al. 1969). Er konstruierte in seinem Labor ein Labyrinth, neben dem er eine kleine Tribüne (einen Glaskasten) aufstellte, auf der er eine Gruppe von Zuschauern (andere Kakerlaken) platzierte. Er setze eine Kakerlake in ein Labyrinth und stoppte die Zeit, die sie benötigte, um zum Ausgang zu gelangen. Vor Publikum war die Kakerlake schneller als ohne Publikum. Zajonc erhöhte dann die Schwierigkeit der Aufgabe, und es zeigte sich, dass die Kakerlake dabei mit Zuschauern länger brauchten als ohne. Zajonc erklärte dieses Phänomen mit physiologischer Erregung.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen70

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räumlichkeiten kommen, einen freien Arbeitsplatz selbstständig aus. Beim „Hotelling“ können diese Arbeitsstationen im Vorhinein gebucht werden. Besonders in diesen Büroumgebungen ist es notwendig, dass beispielsweise die Bürostühle verstellbar sind, da sie von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen genutzt werden.

> In Büroumgebungen mit Hotdesking oder Desksharing haben Arbeitende keinen festen Arbeitsplatz, sondern suchen sich, wenn sie an ihren Arbeitsplatz kommen, aus einer Reihe noch freier Arbeitsplätze den gewünschten aus (Millward et al. 2007).

Das Ergebnis der Literaturzusammenfassung zeigte, dass die Möglichkeit der Verstellbarkeit von Aspekten der Arbeitsumgebung generell als positiv bewertet wird. Die Arbeitenden erleben dabei eine Art Kontrolle über ihre Arbeitsumgebung. Die Verstellbarkeit betrifft oft auch die Regelung von Temperatur- und Lichtverhältnissen. Es kristallisierte sich weiterhin heraus, dass die Möglichkeiten der Verstellbarkeit oft nicht vollständig ausgenutzt werden (Elsbach und Pratt 2007).

3.1.3 Personalisierbarkeit

Das dritte Element physischer Arbeitsumgebungen betrifft die Personalisierung. Unter Per-sonalisierung versteht man die Platzierung oder Anordnung von Artefakten oder Objekten, damit sie zu persönlichen Wünschen und Vorlieben passen. Die Erkenntnisse der Studien zu Effekten von Personalisierung sind besonders für die Gestaltung aktivitätsbasierter flexibler Büroumgebungen (siehe ▶ Abschn. 3.2) relevant. In diesen Büroumgebungen teilen sich Ar-beitnehmerInnen die Plätze (Hotdesking), weswegen sie bis ins letzte Detail durchgestaltet sind. Hier bleibt nur wenig Platz für die Personalisierung einzelner Personen.

Personalisierung am Arbeitsplatz ermöglicht eine stärkere persönliche Bindung der ar-beitenden Person an ihren Arbeitsplatz; die Identifizierung mit der Arbeit wird gestärkt (z. B. Elsbach 2004). Außerdem lässt sich durch die Platzierung von bestimmten Artefakten und Objekten Status, Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit signalisieren (Pratt und Rafaeli 2001). Es zeigte sich Folgendes: Wenn man durch Artefakte oder Objekte seinen Status oder seine Ein-zigartigkeit nicht mehr signalisieren kann, drückt sich das vorherrschende Geltungsbedürfnis möglicherweise verstärkt im Verhalten aus. Beispielsweise wird Macht und Status dann ver-stärkt durch Kommunikation ausgedrückt (Elsbach und Pratt 2007). Weiterhin fand man in Studien heraus, dass Personalisierung bei Stress als Puffer wirkt, das Wohlbefinden erhöht, (Wells 2000) und zu erhöhtem Einsatz in der Organisation führt (Goodrich 1986). Im Gegensatz dazu werden Arbeitsumgebungen, in denen wenig bis gar nichts personalisiert werden kann, als steril, kalt oder unpersönlich wahrgenommen (Goodrich 1986). Beispiele für Arbeitsumge-bungen, die wenig bis keinen Raum für Personalisierung bieten, sind in Krankenhäusern oder beim Militär zu finden.

Neben den genannten positiven und daher erwünschten Effekten von Personalisierung gibt es jedoch auch unerwünschte Effekte. Personalisierte Artefakte und Objekte wie Zertifikate oder teure Gemälde beeinflussen den ersten Eindruck, den man von der zugehörigen Person hat, maßgeblich, da sie leicht abzuschätzen sind. Dieser erste Eindruck kann einerseits erwünscht sein, aber in manchen Situationen auch unerwünschte Effekte zeitigen. Beispielsweise kann Personalisierung zu unwillkommener Stereotypisierung und Vorurteilen beitragen (Elsbach und Pratt 2007). Generell ist davon auszugehen, dass die Personalisierung in einem Einzelbüro

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leichter fällt als in einem Großraumbüro. In einem geteilten Zellenbüro kann es gegebenenfalls auch zu Konflikten kommen, wenn zwischen den dort tätigen Parteien keine Einigkeit über den Grad oder die Art der Personalisierung herrscht.

3.1.4 Natürliche Umgebung

Bisherige Studien zeigten, dass eine Arbeitsumgebung, die in einem gewissen Ausmaß natürlich ist, positive Auswirkungen auf die Arbeitenden hat. Unter natürlicher Arbeitsumgebung ver-steht man in diesem Kontext naturähnliche Arbeitsumgebungen. Dies kann sich beispielsweise in der Qualität von Temperatur, Licht, Luftqualität, natürlichem Aroma, Texturen (Holzmöbel), visuellen Stimuli (z. B. durch die Bepflanzung der Büroräumlichkeiten) und Geräuschen wie-derspiegeln. Solch natürliche Umgebungen werden mit Zufriedenheit assoziiert und werden daher auch oft von Arbeitenden erwünscht (Elsbach und Pratt 2007). Eine natürliche Umge-bung lässt sich sowohl in einem Einzelbüro als auch einem Großraumbüro gut umsetzen. Durch die vermehrte Flexibilität der Arbeit ist es Arbeitenden heutzutage auch möglich, an Orten zu arbeiten, die naturähnlicher als die normale Büroumgebung sind. Denn in einem Garten sind mithilfe eines Laptops und mobiler Internetverbindung Arbeiten auch gut zu verrichten.

3.2 Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs) für ArbeitnehmerInnen

In einem aktivitätsbasierten flexiblen Büro teilen sich Arbeitende Arbeitsplätze, die in einer offen gestalteten Bürolandschaft platziert sind. Ein besonderes Charakteristikum dieser Ar-beitsumgebung ist das Angebot von Arbeitsbereichen, die passend für bestimmte Arbeitstätig-keiten (z. B. konzentriertes Arbeiten oder kommunikative Tätigkeiten) gestaltet sind. Die Idee solch einer Arbeitsumgebung entstand bereits in den 1970er-Jahren, in denen man noch über die Utopie eines mobilen und papierlosen Büros philosophierte. Ab 1990 wurden diese Ideen dann zunehmend von Möbelausstattern und Beratungsunternehmen vermarktet. Damals gab es jedoch hauptsächlich fabrikähnliche Arbeitsumgebungen mit fixen Arbeitsplätzen, Hierarchien und Prozessen. Es gab also noch eine Lücke zwischen der Vision vom mobilen papierlosen Büro und der Realität. Ein Grund dafür lag im Stand der technologischen Entwicklung: Die

Signalisierung des Status | |

Durch Zertifikate, Auszeichnungen oder Diplome, die an der Wand im eigenen Büro oder im Flur platziert werden, kann Status signalisiert werden. Dies sieht man häufig in Praxen von ÄrztInnen oder in Anwaltskanzleien. Auch besonders teure Gemälde an den Wänden können einen hohen Status sig-

nalisieren. Dies findet sich beispielsweise häufig in Büros hochrangiger PolitikerInnen.

Signalisierung der Unverwechselbarkeit | |

Durch Artefakte und Objekte können Einzelpersonen oder Gruppen ihre Unverwechselbarkeit oder Einzigartigkeit signalisieren. Büros unterschiedlicher Arbeitsbereiche können sich in ihrer Gestaltung unterscheiden. Dadurch kann man signalisieren, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört, die sich

von anderen Gruppen der Organisation unterscheidet.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen72

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Geschwindigkeit, Leistung und Nutzbarkeit von Informations- und Kommunikationstech-nologien war zu dieser Zeit noch nicht so weit fortgeschritten, dass ortsunabhängiges mobiles Arbeiten problemlos möglich war. Darüber hinaus war die Denkweise noch nicht bereit für diese visionären Ideen, die auch eine starke Autonomie von Arbeitenden implizierte. Diese Lücke zwischen Vision und aktuellen Umsetzungen beginnt sich allerdings zunehmend zu schließen (van Meel 2011).

Definition

Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen werden definiert als „… open office environ-ments comprising a variety of additional open, half-open and enclosed activity-related working locations without assigned workstations.“ (Wohlers und Hertel 2016)

In den letzten Jahren wurden einige Büroumgebungen dahingehend umgestaltet, mehr Flexibi-lität und verstärkte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zu ermögli-chen. Es wurden auch einige aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen gestaltet, die besonders für flexibles Arbeiten geeignet sein sollten. Auch die empirische Sozialforschung beschäftigte sich mit diesen Konzepten und deren Effekten auf den Menschen. Bevor wir uns aber mit den Effekten aktivitätsbasierter flexibler Büroumgebungen beschäftigen, ist eine wissenschaftliche Definition einer solchen Arbeitsumgebung erforderlich. In der wissenschaftlichen Fachliteratur gibt es unterschiedliche Definitionen, wobei die aktuellste und klarste in dem Theorieartikel von Wohlers und Hertel (2016) zu finden ist (siehe Definition). Aus dieser Definition lassen sich drei Charakteristika herauslesen.1. Erstens gibt es Arbeitsbereiche oder Zonen, die für die Ausführung bestimmter Arbeits-

tätigkeiten optimal sein oder unterstützend wirken sollen. Ein Beispiel hierfür sind Tele-fonboxen (oft als Call-Boxes bezeichnet), in die man sich für kürzere oder auch längere Telefonate zurückziehen kann, ohne andere zu stören. Diese Telefonboxen sind möglichst schalldicht gestaltet, um KollegInnen außerhalb der Telefonbox nicht abzulenken oder um vertrauliche Gespräche führen zu können. Ein weiteres Beispiel stellen Konzentrationszonen dar. Innerhalb dieser Arbeitsbereiche besteht die Möglichkeit, konzentriert ohne Unterbre-chungen und Ablenkungen zu arbeiten. Unterbrechungen durch KollegInnen, Vorgesetzte oder auch Kommunikationstechnologien (z. B. Signal bei Nachrichten) verhindern längeres konzentriertes Arbeiten, welches jedoch bei komplexen Arbeitsaufgaben unerlässlich ist. Konzentrationszonen sollen hier Unterstützung bieten. Zentral ist hierbei, dass diese Ar-beitsbereiche wirklich frei von Ablenkungen sind. Durch organisationsinterne Regeln (z. B. keine Telefonate, keine Signaltöne am Mobiltelefon, kein Sprechen untereinander) kann sichergestellt werden, dass es wirklich ruhig in der Zone ist. An diesem Beispiel wird klar, dass die Funktionalität der Zonen vom Verhalten der MitarbeiterInnen abhängt. Ein drittes Beispiel sind Zonen für Zusammenarbeit und kreatives Arbeiten. Ansprechende Meeting-räume oder Rückzugsorte, die für Gruppen geeignet sind, können genutzt werden, um gemeinsam an Ideen zu arbeiten. Zusammenfassend umfasst die Idee von „activity-based working“ als ein Charakteristikum das Angebot von Arbeitszonen, die für unterschiedliche Arbeitstätigkeiten (wie z. B. virtuelle und reale Kommunikation, konzentriertes Arbeiten, Ideengenerierung) unterstützend wirken sollten. Um diese Idee zu verdeutlichen, findet sich in der folgenden ▶ Box eine Praxisübung.

2. Ein zweites Charakteristikum, das sich aus der Definition von Wohlers und Hertel (2016) ableiten lässt, ist die offene beziehungsweise halboffene Gestaltung von Büroumgebungen.

73 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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Im Gegensatz zu Zellenbüros, die aus räumlich abgetrennten Einzelbüros bestehen oder aus abgeteilten Büros, die mit Korridorsystemen verbunden sind, ist die Büroumgebung in flexiblen Büroumgebungen eher einem Großraumbüro ähnlich. Es gibt wenige Wände, stattdessen offen gestaltete Räumlichkeiten.

3. Das dritte und letzte Charakteristikum sind geteilte Arbeitsplätze. In aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebungen gibt es keine den MitarbeiterInnen fest zugeteilten Arbeits-plätze. Arbeitende suchen sich je nach Bedarf auf Basis ihrer Arbeitstätigkeit einen Arbeits-platz. Die damit verfolgte Idee ist auch, dass man je nach Arbeitstätigkeit den Arbeitsplatz wechselt und auf diese Art und Weise auch unterschiedlichsten Personen im Unternehmen begegnet. In der Literatur finden wir diese Art des Arbeitens unter dem Begriff Hotdesking oder Desksharing (Millward et al. 2007). Um solchen Arbeitsplatzwechsel einfach zu er-möglichen, ist eine passende technische Ausstattung, die aus mobilen Endgeräten, Internet-verbindung und passenden Cloudsystemen bestehen sollten, unabdingbar.

Praxistipp | |

Zur Veranschaulichung, welche Erfordernisse aufgrund von Arbeitstätigkeiten an die Arbeitsumgebung entstehen beziehungsweise ob und wann eine Arbeitsumgebung diese Anfordernisse erfüllen kann (oder auch nicht), möchten wir Sie zur folgenden Übung ein-laden:- Denken Sie nun bitte an eine Arbeitswoche (oder auch an eine Woche in ihrer Studien-

zeit), und schreiben Sie getrennt für jeden Wochentag all ihre Arbeitstätigkeiten auf. Beschreiben Sie genau, was Sie dabei gemacht haben. Haben Sie alleine gearbeitet oder gemeinsam mit anderen Personen? Haben Sie bestimmte Technologien verwendet? - In einem zweiten Schritt verzeichnen Sie zu jeder Arbeitstätigkeit die Arbeitsumgebung (z. B. Einzelbüro, Home Office, unterwegs im Zug, Kaffeehaus, Garten oder Park), in der Sie die jeweilige Arbeitstätigkeit erledigt haben. Reflektieren Sie nun darüber, inwieweit Sie diese Arbeitsumgebung bei der jeweiligen Arbeitstätigkeit unterstützt hat. Was war unterstützend? Was war störend? - In einem letzten Schritt versuchen Sie alleine herauszufinden oder am besten mit einem/r Kollegen/Kollegin darüber zu diskutieren, welche Art von Arbeitsumgebung sinnvoll ist beziehungsweise gewesen wäre, um die Arbeitstätigkeit optimal auszufüh-ren. Versuchen Sie dabei auch unkonventionelle Arbeitsumgebungen in Erwägung zu ziehen.

Umsetzungen von aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebungen finden sich in unterschiedli-chen Formen und Ausprägungen mit Variabilität in der Anzahl der Zonen oder dem Ausmaß an Arbeitsplatzteilung. Beispiele sind unter anderem bei der Ersten Bank (Wien, Österreich), Deloitte Human Capital (Wien, Österreich), Microsoft (Wien, Österreich), Axel Springer (Ber-lin, Deutschland), Siemens (München, Deutschland), Klarna (Stockholm, Schweden), Price-WaterhouseCoopers (Bergen, Norwegen) vertreten. In der folgenden ▶ Box „Büroumgebung bei Microsoft Österreich“ wird ein Fallbeispiel von Microsoft Österreich näher beschrieben.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen74

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Etwas umfassender, jedoch inhaltlich ähnlich wie die Definition von Wohlers und Hertel (2016) ist die Definition von Bodin Danielsson und Bodin (2008) und die von Bodin Danielsson et al. (2014). Diese AutorInnen bezeichnen aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen als flexibelste Büroumgebung, da sowohl Ausstattung als auch die Arbeitenden flexibel sind. In ihrer Definition unterscheiden die AutorInnen zwischen funktionalen und architektonischen Eigenschaften flexibler Büroumgebungen. In den Bereich der architektonischen Eigenschaften fallen die geteilten Arbeitsplätze und das offene Layout. Was bei Wohlers und Hertel (2016) als aktivitätsbasierter Arbeitsbereich bezeichnet wird, nennen Bodin Danielsson und Bodin (2008) „back-up spaces“. Die AutorInnen beschreiben weiter, dass diese Büroumgebung für weniger als 70 % der Belegschaft entworfen ist. Der Grund dafür liegt in Folgendem: Man geht davon aus, dass durch Arbeit außerhalb des Bürogebäudes (Home Office, Termine bei Kunden) und wegen Krankenstandstagen niemals alle Personen gemeinsam gleichzeitig anwesend sind. Durch diese Dimensionierung entsteht auch eine Kostenersparnis für die Organisationen. Unter funktiona-len Eigenschaften fassen die AutorInnen die Flexibilität der Büroumgebung für organisationale Veränderungen (wie z. B. Teamumstrukturierungen oder Vergrößerung oder Verkleinerung der Belegschaft) zusammen. Eine weitere Funktion ist das mobile Arbeiten innerhalb und außer-halb des Büros; dies erfordert passende Informations- und Kommunikationstechnologien. Da Arbeitsplätze und Möblierung von allen geteilt werden, ist die Personalisierung des Arbeits-platzes limitiert. Am besten ist diese Büroumgebung geeignet für Projektarbeit und unabhängige Arbeit (Bodin Danielsson et al. 2014).

Büroumgebung bei Microsoft Österreich | |

Im Jahr 2011 wurde das Microsoft-Büro am Standort Wien neu gestaltet. Die ca. 300 MitarbeiterInnen waren mit einer neuen Arbeitsumgebung konfrontiert. Ziel der Umgestaltung war es, eine neue zeitgemäße Arbeitsumgebung zu schaffen. Jeder Mitarbeiter beziehungsweise jede Mitarbeiterin wurde mit einem Laptop und einem Smartphone ausgestattet, und es herrscht seitdem Vertrauensarbeits-zeit. Unter Vertrauensarbeitszeit versteht man, dass Arbeitende, anstatt Anwesenheitszeit abzusitzen, Projektziele erfüllen müssen und dass die Bearbeitung dieser Aufgabe zeitlich frei wählbar ist. Durch die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (wie auch Videokonferenz-systemen) war es nun auch möglich, von Zuhause aus zu arbeiten. „Mein Büro ist da, wo ich bin“ war seitdem der Leitspruch. MitarbeiterInnen bestimmten nun selbst, ob sie im Büro, von Zuhause aus oder an anderen Orten arbeiten.Die Gestaltung des Büros wurde auch verändert. Eine Inspiration für die Umgestaltung des Büros, waren die Büroräumlichkeiten von Google, die wegen ihrer Andersartigkeit weltweit bekannt sind. Man ver-sucht dort, MitarbeiterInnen durch unterschiedliche Umgebungen zur Ideenfindung zu inspirieren. Kon-kret wurden die Einzelbüros und geteilten Büros durch Büros mit Großraumbürocharakter, vermehrten Besprechungsräumen und kleineren Räumen für Telefonate oder zum persönlichen Rückzug ersetzt. Die Besprechungsräume sind alle unterschiedlich gestaltet und vermitteln somit ein unterschiedliches Flair. Zum neuen Umgebungscharakter zählen auch vermehrt Grünpflanzen und eine Rutsche. Arbeitende haben keinen fixen Arbeitsplatz, sondern wählen immer, wenn sie ins Büro kommen, zwischen den bereitgestellten Arbeitsräumen. Auch die Geschäftsleitung hat nun kein eigenes Büro mehr. Zur Ablage von persönlichen Gegenständen und Unterlagen gibt es Spinde. Um das Arbeiten und den sozialen Umgang miteinander zu regeln, wurden gemeinsame Regeln entwickelt.

75 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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3.2.1 Das A-FO-Modell nach Wohlers und Hertel (2016)

Wohlers und Hertel (2016) haben sich theoretisch damit auseinandergesetzt, welche Effekte aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (activity-based flexible office; A-FO) auf den Men-schen haben können (siehe . Abb. 3.1). Grundsätzlich gehen sie davon aus, dass die drei zuvor beschriebenen Charakteristika dieser Büroumgebung (Offenheit der Arbeitsumgebung, flexible Nutzung aktivitätsbasierter Arbeitszonen, gemeinsame beziehungsweise geteilte Nutzung von Arbeitsplätzen) und die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien die vier zentralen Merkmale einer flexiblen Büroumgebung sind. Diese zentralen Merkmale beein-flussen konkret Arbeitsbedingungen, die in einer weiteren Folge kurzfristige und langfristige Konsequenzen für den Menschen, Arbeitsgruppen beziehungsweise Teams und die Organisa-tion haben. Neben diesen direkten Effekten gehen Wohlers und Hertel (2016) in ihrem Modell von unterschiedlichen Rahmenbedingungen (Moderatoren) aus, unter denen diese direkten Effekte stärker oder weniger stark wirken.

3.2.1.1 Arbeitsbedingungen und KonsequenzenArbeitsbedingungen, die durch die zentralen Charakteristika von A-FOs beeinflusst werden, sind die Wahrnehmung von Territorialität, Autonomie, Privatsphäre sowie Nähe und Sicht-barkeit. Diese vier Arbeitsbedingungen und Beispiele von theoretisch erwarteten kurz- und langfristigen Folgen werden im Folgenden näher beschrieben.

Territorialität beschreibt ein Verhalten, durch das Gefühle bezüglich des Besitzes von Ob-jekten (sozial und physisch) ausgedrückt werden (Brown 2009; Brown et al. 2005). Bei Wohlers und Hertel (2016) beinhaltet die Arbeitsbedingung Territorialität den Ausdruck von territo-rialem Verhalten und territorialer Gefühle. In einem A-FO ist die Möglichkeit, Territorialität

Offenheit der Arbeitsumgebung

Informations- und Kommunikations-

technologien

Arbeitsplatzteilung (Desk-Sharing)

Flexible Nutzung aktivitätsbasierter

Arbeitszonen

A-FO Charakteristika

Arbeitsbezogene Konsequenzen

Kurzfristige (psychologische Reaktionen)

Langfristige

Territorialität

Nähe und Sichtbarkeit

Privatsphäre

Autonomie

Arbeits-bedingungen

Eigentum und Identität

Informations-austausch

Gruppenidentität & Kohäsion

Vertrauen

Selbstbestimmung & Bedürfnisbefriedigung

Kognitive Überlastung

Individuell(Wohlbefinden,Zufriedenheit,

Motivation, Leistung)

Innerhalb von Teams(Zufriedenheit,

Leistung)

Zwischen Teams(Organisationale

Identifikation,Zusammenarbeit)

ModeratorenAufgabe (z.B. Aufgabenvariabilität, Interdependenz zwischen Aufgaben)

Person (z.B. Unterschiede hinsichtlich Generationen, Bedürfnis nach Routinen)Organisation (z.B. Führungsstil)

. Abb. 3.1 A-FO-Modell. (Nach Wohlers und Hertel 2016)

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen76

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beziehungsweise Besitz auszudrücken, begrenzt. Einerseits gibt es für die Arbeitenden keinen jeweils fest zugeteilten Arbeitsplatz, der z. B. durch persönliche Bilder oder Blumen selbst ge-staltet werden könnte. Zudem gibt es keine privaten Einzelbüros, die per se ein Zeichen von Ei-gentum wären und Besitz demonstrieren würden. Im theoretischen Modell wird angenommen, dass diese limitierte Territorialität in A-FOs auf individueller Ebene kurzfristig dazu führt, dass Arbeitende weniger Möglichkeiten erleben, um ihren Besitz zu verdeutlichen und ihre Identität auszudrücken. Dies führt langfristig zu weniger Wohlbefinden, Zufriedenheit und Arbeitsmoti-vation. Neben den Effekten auf das arbeitende Individuum werden auch Auswirkungen auf das Team und die Organisation beschrieben. Durch die Auflösung von fixen Arbeitsplätzen kommt es zu der Arbeitssituation, dass TeamkollegInnen nicht mehr jeden Tag nebeneinandersitzen. Stattdessen haben Arbeitende vermehrt Kontakt mit Personen aus der Organisation, die nicht unbedingt Kollegen aus dem eigenen Team sind. Dies führt kurzfristig zu einer veränderten Identifikation mit dem eigenen Team und zu einem verminderten Zusammenhalt innerhalb des Teams. Die Identifikation mit dem eigenen Team wird zu einem gewissen Grad durch die Identifikation mit der Organisation als größere Einheit ersetzt. Wohlers und Hertel (2016) gehen weiter davon aus, dass diese kurzfristigen Veränderungen langfristig dazu führen, dass es innerhalb des Teams zu weniger Zufriedenheit und zu einer schlechteren Teamleistung kommt. Auf organisationaler Ebene kommt es jedoch gleichzeitig zu einer stärkeren Identifikation mit der Organisation.

> Territorialität: Territorialität beschreibt ein Verhalten, durch das Gefühle bezüglich des Besitzes von Objekten (sozial und physisch) ausgedrückt werden (Brown 2009; Brown et al. 2005).

Als zweite Arbeitsbedingung, die sich durch A-FOs verändert, wird Autonomie genannt. Unter Autonomie ist in diesem Zusammenhang generell die Freiheit des Arbeitenden zu verstehen. Im Kontext von A-FOs definieren die Autoren Autonomie als Freiheit, zu entscheiden, wann und wo er/sie arbeitet. Das Maß an besagter Freiheit ist in A-FOs hoch: Arbeitende haben die Möglichkeit, innerhalb des Bürogebäudes selbstständig einen passenden Arbeitsplatz zu wählen. Zudem impliziert dieses Büromodell auch die Möglichkeit, außerhalb des Bürogebäudes zu arbeiten. Zentral sind hier passende Informations- und Kommunikationstechnologien, die ortsunabhängiges Arbeiten überhaupt ermöglichen. Diese verstärkte Autonomie oder Freiheit führt kurzfristig dazu, dass das Bedürfnis nach Autonomie (das neben der Zugehörigkeit und Kompetenz zu einem der zentralen Grundbedürfnisse des Menschen zählt; Ryan und Deci 2000) befriedigt werden kann. Langfristig führt diese Bedürfnisbefriedigung zu mehr Wohl-befinden, Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistung.

> Autonomie: Unter Autonomie wird generell die Freiheit des Arbeitenden verstanden. Im Kontext von A-FOs definieren Wohlers und Hertel (2016) Autonomie als Freiheit zu entscheiden, wann und wo man arbeitet.

Eine dritte Arbeitsbedingung, die durch A-FOs beeinflusst wird, ist die Privatsphäre. Im Gegen-satz zu Einzelbüros gibt es in A-FOs keinen definierten Rückzugsort. Außerdem kann es in A-FOs zu vermehrten akustischen Unterbrechungen oder auch unerwünschten Interaktionen mit KollegInnen und Vorgesetzten kommen. Kurzfristig führen diese Unterbrechungen zu verstärkter Belastung der Arbeitenden. Langfristige Konsequenzen sind Einbußen an Wohl-befinden, Arbeitszufriedenheit, Motivation und Arbeitsleistung.

77 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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Als letzte durch A-FOs beeinflusst Arbeitsbedingung nennen Wohlers und Hertel (2016) die physische Nähe und Sichtbarkeit zwischen Arbeitenden. Aufgrund der geteilten Arbeits-plätze und stärkerer Mobilität durch örtlich flexibles Arbeiten entstehen mehr Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Arbeitenden über Teams hinweg. Die Wahrscheinlichkeit, sich zufällig zu begegnen, ist höher als in Büros mit Einzelbüros (siehe auch Theorie der Proximität; z. B. Kraut et al. 2002). Die AutorInnen nehmen weiterhin an, dass die Kommunikation inner-halb von Teams abnimmt. Beispielsweise würde die Kommunikation innerhalb eines Teams, das sich einen Raum teilt, in dem jedes Mitglied einen festen ihm zugewiesenen Arbeitsplatz hat, höher sein, als wenn die Teammitglieder örtlich flexibel arbeiten. In letzter Konsequenz müsste man eine Besprechung oder ein Zusammentreffen planen, damit sich alle Teammit-glieder wieder begegnen können.

3.2.1.2 ModeratorenWohlers und Hertel (2016) formulieren in ihrem theoretischen Modell Rahmenbedingungen, unter denen die beschriebenen Effekte verstärkt oder verringert werden. Diese sogenannten Moderatorvariablen werden auf drei verschiedenen Ebenen formuliert: auf Ebene der Tätigkeit, der Person und der Organisation.

Definition

Moderatorvariable: Eine Moderatorvariable ist eine Variable, die die Richtung oder auch Stärke des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen (einer unabhängigen und einer abhängigen Variablen) beeinflusst. Moderatorvariablen können qualitativer Natur (z. B. Geschlecht) oder quantitativer Natur (z. B. Höhe einer Belohnung) sein (Baron und Kenny 1986).

Auf Ebene der Arbeitstätigkeit werden die Variabilität und die Abhängigkeit der Aufgaben als zentrale Moderatoren genannt. Eine hohe Aufgabenvariabilität besteht, wenn Arbeitende unterschiedliche Typen von Arbeitsaufgaben bearbeiten. Beispielsweise ist die Aufgabenva-riabilität hoch, wenn man neben konzentriertem Arbeiten auch Besprechungen mit anderen KollegInnen oder zusätzliche Telefonate führt. Die AutorInnen gehen davon aus, dass ein mitt-leres Maß an Aufgabenvariabilität am besten für die Arbeit in A-FOs geeignet ist. Wenn die Aufgabenvariabilität sehr gering ist, dann würden Arbeitende den Arbeitsplatz gar nicht oder sehr selten wechseln, da die Aufgabenvariabilität keine neue Arbeitsumgebung erfordert. In diesem Fall würde das Angebot der flexiblen Büroumgebung gar nicht genutzt werden. Wenn man andererseits eine sehr hohe Aufgabenvariabilität hat und entsprechend den Arbeitsplatz sehr häufig wechselt beziehungsweise wechseln muss, kann das wiederum sehr viel Aufwand bedeuten. Bezüglich der Abhängigkeit (Interdependenz) von Aufgaben untereinander gehen die AutorInnen davon aus, dass bei hoher Abhängigkeit der Aufgaben das Arbeiten und die Koordination innerhalb von Teams in A-Fos schwerer fallen. Eine hohe Aufgabenabhängigkeit erfordert regelmäßige Interaktion. Dies kann sich schwierig gestalten, wenn man nicht weiß, wo sich die Teamkollegen gerade befinden.

Neben diesen aufgabenbezogenen Moderatoren formulieren Wohlers und Hertel (2016) auch personenbezogene Moderatoren. Konkret werden Persönlichkeitsmerkmale, Alter, Ge-schlecht und das Bedürfnis nach Routinen beispielhaft genannt. Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Costa und McCrae 1992; Goldberg 1990) ist ein etabliertes Persönlich-keitsmodell, in dem fünf Merkmale der Persönlichkeit postuliert werden (siehe ▶ Exkurs).

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen78

Page 85: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Dabei werden Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus als fünf zentrale Merkmale der Persönlichkeit beschrieben. Extraversion und Verträglichkeit sind zwei Merkmale, die laut Wohlers und Hertel (2016) einen Einfluss darauf haben, wie A-FOs jeweils individuell wahrgenommen werden. Die AutorInnen gehen davon aus, dass sich extravertierte Personen in A-FOs wohler fühlen, da es dort mehr Möglichkeiten für Interaktionen und Kommunikation mit anderen KollegInnen gibt. Introvertierte Personen dagegen (d. h. Personen mit niedrigen Werten im Persönlichkeitsmerkmal Extraversion) ziehen sich in A-FOs vermehrt zurück beziehungsweise suchen ungestörte Räumlichkeiten auf, um eventuellen Interaktionen zu entgehen. Demnach reagieren introvertierte Personen negativer, extravertierte Personen dagegen positiver auf A-FOs. Neben der Extraversion spielt auch die Verträglichkeit eine Rolle bei der Wahrnehmung von A-FOs. Wohlers und Hertel (2016) be-schreiben, dass verträgliche Personen interessanterweise weniger gut mit potenziellen Unterbre-chungen in ihrer Arbeitsumgebung umgehen können. Begründet wird diese Annahme damit, dass man in A-FOs gefordert ist, sein Bedürfnis nach Ruhe zu signalisieren beziehungsweise Ruhe auch einzufordern. Verträgliche Personen versuchen aber eher Konflikte zu vermeiden, was dazu führen kann, dass sie sich nur unzureichend vor Unterbrechungen durch andere schützen können.

Wohlers und Hertel (2016) nehmen weiterhin an, dass das Alter die Wahrnehmung der durch A-FOs veränderten Arbeitsbedingungen beeinflusst und dadurch deren Effekte auf Wohl-befinden und Produktivität verändert. Bemerkenswerterweise werden A-FOs oft umgesetzt, um die Attraktivität des Unternehmens für junge ArbeitnehmerInnen zu erhöhen. Die AutorInnen beschreiben jedoch, dass ganz besonders junge ArbeitnehmerInnen Probleme mit A-FOs haben könnten. Konkret gehen sie davon aus, dass ältere Arbeitende aufgrund ihrer bereits bestehen-den Selbstregulationskompetenzen (Thielgen et al. 2014) und ihrer aktiven Umgangsstrategien (Hertel et al. 2015) besser mit A-FOs umgehen können.

Letztendlich werden drei organisationsbezogene Moderatoren beschrieben. Ein wesentli-cher Faktor ist hierbei die organisationale Kultur. Dabei beziehen sich die AutorInnen auf die Typologie von Wallach (1983), der eine bürokratische, innovative und unterstützende Organi-sationskultur beschreibt. Wohlers und Hertel (2016) argumentieren, dass in A-FOs durch die Auflösung fixer Arbeitsplätze Hierarchien weniger demonstriert werden können und somit

Exkurs: Fünf-Faktoren Modell der Persönlichkeit

Im Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Costa und McCrae 1992; Goldberg 1990) werden die folgen-den fünf Faktoren beziehungsweise Merkmale von Persönlichkeit postuliert: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Personen, die hohe Werte im Merkmal Offenheit für Erfahrungen aufweisen, kann man als künstlerisch, neugierig, fantasievoll, ver-ständnisvoll, originell und mit einem breiten Interesse an verschiedenen Themen beschreiben.Das Persönlichkeitsmerkmal Gewissenhaftigkeit lässt sich durch die Adjektive effizient, organisiert, vorausplanend, zuverlässig, verantwortungsvoll und gründlich erfassen. Menschen, die hohe Werte im Persönlichkeitsmerkmal Extraversion aufweisen, sind aktive, durchsetzungsfähige, energische, enthusiastische, aufgeschlossene und gesprächige Personen. Im Gegensatz zu introvertierten Menschen werden sie auch als extravertierte Menschen bezeichnet (niedrige Werte im Persönlichkeitsmerkmal Ex-traversion). Das vierte Merkmal ist Verträglichkeit. Personen mit hohen Werten im Merkmal Verträglich-keit sind wertschätzend, vergebend, großzügig, freundlich, wohlwollend und vertrauensvoll. Das fünfte Persönlichkeitsmerkmal wird als Neurotizismus oder auch emotionale Labilität benannt. Neurotizismus beschreibt die Tendenz, Stress zu erleben, sowie kognitive Stile und Verhaltensweisen, die durch diese Tendenz verursacht sind. Personen mit hohen Neurotizismus Werten (d. h. emotional labile Personen) werden als ängstlich, selbstbemitleidend, angespannt, empfindlich, unstabil und grübelnd beschrieben.

79 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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auch flacher werden. Das ist zwar besser geeignet für eine innovative und unterstützende Kultur, jedoch weniger für eine bürokratische Kultur. Denkbar ist auch, dass in Unternehmen, die Holokratie (siehe ▶ Box) anwenden, ein flexibles Bürokonzept eher akzeptiert werden könnte. Neben der Unternehmenskultur hat auch der Führungsstil einen Einfluss auf die Wirkung von Arbeitsbedingungen und auf deren Konsequenzen. Hierbei spielen Vertrauen und Kontrolle eine wesentliche Rolle, da die physische Sichtbarkeit auf MitarbeiterInnen limitiert wird. Am Ende wird davon ausgegangen, dass Aspekte der Gestaltung beziehungsweise des Designs der Büroumgebung moderierend wirken können. Als Beispiele werden hier die Größe des A-FOs, der Grad an Arbeitsplatzteilung und die Qualität der technischen Ausstattung angeführt.

Zusammenfassend liefert das Modell von Wohlers und Hertel (2016) eine umfassende theo-retische Einordnung dazu, welche Effekte ein A-FO auf das arbeitende Individuum, Arbeits-gruppen und die Organisation hat.

3.2.2 Effekte auf Wohlbefinden und Produktivität

Mithilfe unterschiedlicher methodischer Zugänge haben bisherige Studien den Effekt einer aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebung untersucht. Dabei wurden sowohl Indikatoren des Wohlbefindens als auch Indikatoren der Produktivität untersucht. Methodisch lassen sich die Studien in Vergleichsstudien und Fallstudien einteilen, die im Folgenden beschrieben werden.

Bei den Vergleichsstudien wurden Arbeitende aus verschiedenen Büroumgebungen (z. B. Einzelbüro, Großraumbüro) miteinander hinsichtlich ausgewählter Merkmale verglichen. Fallstudien fokussierten sich auf einen Fall, d. h. auf eine einzelne Organisation, die ihre Büroumgebung umgestaltete. Hier wird eher auf Dynamiken innerhalb der Organisation eingegangen, und diese werden beschrieben. Die Ergebnisse einiger dieser Studien (ohne

Holokratie

Holokratie ist eine Form einer Unternehmensstruktur, die von Brian Robertson entwickelt wurde. Die Intention dabei war, eine Alternative zu traditionellen Hierarchiestrukturen zu finden. Diese traditio-nellen Hierarchiestrukturen stoßen nämlich hinsichtlich effizienter Arbeitsprozesse bisweilen an ihre Grenzen. In einer Holokratie sind alle MitarbeiterInnen gleichwertig, Autorität und Verantwortlichkeiten werden geteilt. Somit übernimmt jede/r MitarbeiterIn Führungsverantwortung bei der er/sie wichtige Entscheidungen trifft. Es gibt vier Grundelemente von Holokratie:1. Die Einheiten innerhalb der Organisation sind mit autonomen Kreisen repräsentiert. Jeder Kreis be-

steht aus Mitgliedern, die sich selbst organisieren und versuchen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie definieren eigenständig Arbeitsschritte und reflektieren und evaluieren ihren Erfolg.

2. Die Entscheidungsfindung geschieht demokratisch innerhalb der autonomen Kreise. Jedes Mitglied hat ein Stimmrecht. Der Entscheidungsprozess verläuft argumentativ.

3. Es bestehen Verbindungen zwischen den Kreisen. In jedem Kreis gibt es eine/n zuständigen Ver-treter/in, der/die die Kommunikation mit den anderen Kreisen übernimmt. Es wird zwischen allen Kreisen kommuniziert.

4. Schlüsselpositionen werden gemeinsam durch Abstimmung nach einer offenen Diskussion be-stimmt. Schlüsselpositionen sind beispielsweise Positionen, die die Verbindungen zwischen den Kreisen herstellen und hier Kommunikationsarbeit leisten.

Charakteristisch bei dieser Form der Unternehmensstruktur sind unter anderem die Transparenz bei der Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die weitgehende Selbstbestimmtheit der einzelnen Kreise und die Möglichkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen (Robertson 2016). Nähere Informationen zu dieser Form der Unternehmensstruktur finden Sie auf holocracy.org.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen80

Page 87: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Anspruch auf Vollständigkeit) werden nun dargestellt und sind zur Übersicht in . Tab. 3.1 zusammengefasst.

3.2.2.1 VergleichsstudienDie folgenden Vergleichsstudien stellten die Büroumgebungen hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale gegenüber. Büroumgebungen, die für diese Studien herangezogen wurden, sind- das Einzelbüro, in dem eine Person in einem geschlossenen Büro arbeitet- das geteilte Büro, das sich zwei bis drei Personen teilen- das Großraumbüro, das in den folgenden Studien oft als kleines, mittleres und großes

Büro unterschieden wird- das flexible Büro (siehe aktivitätsbasierte flexible Büroumgebung) und- das Kombibüro.

Das flexible Büro und das Kombibüro sind beide mit aktivitätsbasierten Räumlichkeiten aus-gestattet. Der Unterschied zwischen diesen beiden Büroumgebungen besteht darin, dass es im flexiblen Büro keine festen Arbeitsplätze gibt, sondern dass sie von den Arbeitenden mit-einander frei geteilt werden. Im Kombibüro gibt es sogenannte Teambereiche beziehungsweise fixe Arbeitsplätze. . Abb. 3.2 veranschaulicht die Unterschiede zwischen Einzel- beziehungs-weise geteiltem Büro und flexiblem beziehungsweise Kombibüro.

Die eben genannten Büroumgebungen wurden in einer Studie von Bodin Danielsson und Bodin (2008) hinsichtlich des Gesundheitszustandes, des emotionalen Gesundheitszustandes und der Arbeitszufriedenheit der Arbeitenden miteinander verglichen. Zu diesem Zweck ha-ben die AutorInnen 469 MitarbeiterInnen aus 26 Organisationen in Schweden befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass der Gesundheitszustand in kleineren und mittleren Großraumbüro-umgebungen am schlechtesten war. Der beste Gesundheitszustand war bei Arbeitenden im Einzelbüro und in flexiblen Büroumgebungen zu verzeichnen. Zusammen mit geteilten Büro-umgebungen waren diese beiden Büros auch jene, bei denen die höchste Arbeitszufriedenheit berichtet wurde. Die geringste Arbeitszufriedenheit war im Kombibüro anzutreffen.

Gesundheitsaspekte waren auch das Thema der Studie von Bodin Danielsson et al. (2014). In dieser Längsschnittstudie wurden dieselben genannten Büroumgebungen hinsichtlich der Kran-kenstandstage der Arbeitenden verglichen. Daten von 1852 MitarbeiterInnen aus dem Swedish Longitudinal Occupational Survey of Health (SLOSH) vom Jahre 2010 und 2012 wurden heran-gezogen. Es zeigte sich beispielsweise, dass die wenigsten Krankenstandstage und geringste Krankenstandsdauer (Dauer von einer Woche oder weniger) in Großraumbüros vorkamen.

Neben den bisher genannten gesundheitsrelevanten Aspekten haben De Been und Beijer (2014) Merkmale wie die wahrgenommene Unterstützung von Produktivität, Privatsphäre sowie Konzentration, Kommunikation, Architektur und Layout, Klima im Innenbereich sowie das Interieur zwischen verschiedenen Büroumgebungen verglichen. Sie konzentrierten sich dabei auf die drei häufigsten Büroumgebungen in den Niederlanden: Das Zellenbüro (be-stehend aus Einzelbüros oder geteilten Büros), das flexible Büro und das Kombibüro. Dafür haben die AutorInnen Daten von 11.799 Arbeitenden aus 87 Fallstudien analysiert. Die Ana-lysen zeigten, dass das Zellenbüro am besten geeignet war, wenn es um die Unterstützung von Produktivität, Privatsphäre und Konzentration ging. Jedoch war im Zellenbüro die Zu-friedenheit mit der Architektur und dem Layout geringer als in den anderen Bürotypen. Auch die Kommunikation und die Einrichtung wurden im Kombibüro besser als im Zellenbüro bewertet. Wichtig ist hierbei, noch zu erwähnen, dass die generelle Zufriedenheit mit der Organisation die meiste Varianz aufklärte: Demnach haben Büroumgebungen zwar einen

81 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen82

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Einfluss auf die untersuchten Merkmale, jedoch spielt die Zufriedenheit mit der Organisation eine wesentlichere Rolle.

Eine letzte Studie, die hier Erwähnung finden soll, stammt von Seddigh et al. (2014). Hierbei handelt es sich um eine Vergleichsstudie, die zwischen sechs Büroumgebungen (Ein-zelbüro, geteiltem Büro, kleinem, mittlerem und großem Großraumbüro, flexiblem Büro) unterscheidet. Die AutorInnen haben 1241 MitarbeiterInnen aus fünf verschiedenen Organi-sationen hinsichtlich Unterbrechungen, kognitivem Stress, emotionaler Erschöpfung, Deper-sonalisation, Effizienz und Gesundheitszustand befragt. Weiter wurde untersucht, inwieweit das Bedürfnis nach konzentriertem Arbeiten einen Einfluss auf potenzielle Effekte hat. Die Analysen zeigten, dass im Einzelbüro tätige Personen im Gegensatz zu jenen in Großraum-büros von weniger Unterbrechungen und geringerem kognitivem Stress berichteten. Auch in flexiblen Büros waren weniger berichtete Unterbrechungen zu verzeichnen als in Großraum-büros. Weiter zeigte sich, dass Personen, die einen hohen Bedarf an konzentriertem Arbeiten haben, in allen Büroumgebungen mehr von Unterbrechungen berichten, außer im Zellenbüro. Sie erlebten auch generell mehr kognitiven Stress in Büroumgebungen (außer im Zellenbüro und flexiblen Büro).

3.2.2.2 FallstudienIn Fallstudien werden konkrete Umsetzungen von aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebun-gen in Organisationen beschrieben. Der Fokus liegt hierbei bei der detaillierten Darstellung des konkreten Kontextes (d. h. der jeweiligen Organisation). Beispielsweise haben Appel-Meulen-broek et al. (2011) Ergebnisse von vier Fallstudien aus Organisationen in den Niederlanden zusammengefasst. Insgesamt wurden 182 Arbeitende untersucht. Es stellte sich heraus, dass die aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebungen von den Arbeitenden nicht immer so ge-nutzt werden wie ursprünglich gedacht. So wechselten 68 % der Befragten an einem durch-schnittlichen Arbeitstag nie ihren Arbeitsplatz. Dadurch wird der eigentliche Vorteil der ak-tivitätsbasierten Arbeitszonen nicht genutzt. Beispielsweise könnten Personen durch einen Arbeitsplatzwechsel Unterbrechungen vermeiden. Interessanterweise zeigte sich auch in den Fallstudien, dass fast die Hälfte der befragten Personen (44 %) angab, dass sie sich leicht unter-brochen fühlen.

Eine weitere Fallstudie wurde von Blok et al. (2012) publiziert. Dabei wurden 73 Arbeitende aus drei Bereichen eines Unternehmens vor und ein halbes Jahr nach einer Veränderung der Arbeitsumgebung von einer traditionellen zu einer flexiblen Arbeitsweise befragt. Die Auto-rInnen untersuchten dabei unterschiedlichste Aspekte des Arbeitsverhaltens, wie beispielsweise die Variation in Bezug auf den Arbeitsplatz, aber auch Zufriedenheit und Zusammenarbeit. Es

. Abb. 3.2 Gra-fische Darstellung von Büroumge-bungen

Bürolandschaft bestehend aus Zellenbüros

Kombibüro oder flexible Büroumgebung

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen84

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zeigte sich unter anderem, dass 60 % der Arbeitszeit im Bürogebäude verbracht wurde und 40 % an anderen Orten. Außerdem wurde an den Daten deutlich, dass Arbeitende eine Verbesserung ihrer zeitlichen und örtlichen Flexibilität erlebten.

In den nächsten drei Fallstudien wurden Effekte von aktivitätsbasierten flexiblen Büroumge-bungen über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht. Gerdenitsch et al. (2018) analysierten die Umgestaltung eines Zellenbüros in ein aktivitätsbasiertes flexibles Büro. Dabei erhoben die AutorInnen einmal vor der Übersiedelung und zweimal (nach einem Monat beziehungsweise sieben Monaten) danach Daten über Zufriedenheit, Unterbrechungen und Zusammenarbeit. Zusätzlich untersuchten die AutorInnen die Rolle der wahrgenommenen Passung zwischen Arbeitstätigkeit und Arbeitsumgebung. Diese nahm durch die Umgestaltung der Büroumge-bung zu und erklärte auch positive Effekte bezüglich Zufriedenheit und Zusammenarbeit. Diese Studie wird im ▶ Abschn. 3.2.4.2 näher beschrieben.

So wie Gerdenitsch et al. (2018) erhoben auch Meijer et al. (2009) Daten vor und zweimal nach der Umgestaltung einer Büroumgebung in ein aktivitätsbasiertes flexibles Büro. Dabei untersuchten sie Aspekte von Gesundheit und Produktivität bei 138 Arbeitenden. Es zeigte sich, dass sich die Qualität der Arbeit kurzfristig (d. h. bei der ersten Messung nach der Neugestal-tung) verminderte. Langfristig jedoch zeigten sich eine Verbesserung der wahrgenommenen Leistung und Gesundheit sowie eine Abnahme von Beschwerden der oberen Extremitäten.

Schließlich haben Ruostela et al. (2015) noch die Raumnutzung, Kosten durch die Arbeits-platzbelegung und den CO2-Ausstoß bei der Umgestaltung der Büroumgebung untersucht. Sie erhoben die Daten einmal vor und zweimal nach der Umgestaltung und fanden in allen drei Merkmalen positive Veränderungen.

Zusammenfassend zeigen die Vergleichsstudien in den untersuchten Merkmalen über-wiegend Vorteile flexibler Büroumgebungen gegenüber Großraumbüros. Weniger einheitlich sind die Ergebnisse hinsichtlich des Vergleichs mit Zellenbüros (Einzelbüro und geteiltes Büro). Ergebnisse aus den Fallstudien veranschaulichen, dass bestimmte Rahmenbedingungen einen Einfluss darauf haben, ob eine aktivitätsbasierte flexible Büroumgebung förderlich ist oder nicht. Hierbei scheint die Nutzung des Büros ein zentraler Aspekt.

3.2.3 Nutzung eines A-FOs: Die Wahl des Arbeitsplatzes

Fallstudien zu aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebungen (A-FOs) zeigten, dass Arbeitende den Arbeitsplatz selten wechseln, was bedeutet, dass A-FOs oft nicht so genutzt werden wie intendiert (Appel-Meulenbroek et al. 2011). Ein A-FO ist so gestaltet, dass unterschiedliche Arbeitszonen verschiedene Arbeitstätigkeiten optimal unterstützen sollen. Um die Vorteile dieser Gestaltung erfahren und ausschöpfen zu können, ist es allerdings notwendig, über den Tag hinweg den Arbeitsplatz öfters zu wechseln. Hoendervanger et al. (2016) haben sich das Nutzungsverhalten der aktivitätsbasierten Arbeitszonen genauer angesehen und konnten zei-gen, dass Personen, die ihren Arbeitsplatz häufiger wechseln, zufriedener mit ihrer Arbeits-umwelt sind. Nur – warum wechseln Personen ihren Arbeitsplatz dann nicht? Wodurch wird ein Arbeitsplatzwechsel beziehungsweise die Suche nach einem passenden Arbeitsplatz ausgelöst oder beeinflusst?

Appel-Meulenbroek et al. (2011) haben sich dieser Frage mit einem theoretischen Modell genähert. In ihrem Modell über die Wahl eines Arbeitsplatzes in einem A-FO gehen die Auto-rInnen grundsätzlich davon aus, dass die Wahl des Arbeitsplatzes auf die Arbeitsaktivität sowie auf persönliche Präferenzen und die räumlichen Gegebenheiten der Umwelt bezogen ist.

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Im Bereich der Arbeitsaktivität nehmen die AutorInnen an, dass die Art der Arbeitsakti-vitäten und persönliche Aspekte einen Einfluss auf drei Bedürfnisse haben. Einerseits wird das Bedürfnis nach der Ausstattung der Arbeitsumgebung beeinflusst. Die Ausstattung um-fasst dabei sowohl die technische Ausstattung (IT-Hardware) als auch das Mobiliar. Beispiels-weise benötigen Personen, die häufig telefonieren (Art der Arbeitstätigkeit), eine bestimmte technische Ausstattung. Dabei freuen sich manche Personen über eine Couch oder andere gemütliche Sitzmöglichkeiten, andere wiederum begrüßen den Einbau einer Telefonbox, um möglichst ungestört zu sein.

Ein weiteres Bedürfnis ist das nach Privatsphäre und Konzentration. Führungskräfte, die häufig MitarbeiterInnengespräche führen (Art der Arbeitstätigkeit), benötigen eine ent-sprechende räumliche Ausstattung, um die Gespräche ungestört und vertraulich führen zu können. Dabei kann die Atmosphäre der Ausstattung je nach persönlicher Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter formeller oder informeller gestaltet sein.

Als drittes und letztes Bedürfnis formulieren die AutorInnen jenes nach Kommunikation und Interaktion. Das Bearbeiten einer Aufgabe im Team (Art der Arbeitsaktivität) erfordert Kommunikation und Interaktion. Manche Mitglieder des Teams präferieren hierbei die direkte (im Gegensatz zur virtuellen) Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Unterschiede sind auch hinsichtlich verschiedener Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Extraversion) denkbar. Diese drei Bedürfnisse führen zu einem funktionalen Bedürfnis nach einer bestimmten Art eines Arbeitsplatzes.

Die Wahl des Arbeitsplatzes hängt neben der Arbeitsaktivität auch von persönlichen Prä-ferenzen und räumlichen Umständen ab. Das zuvor beschriebene funktionale Bedürfnis nach einem bestimmten Arbeitsplatztyp, in Abhängigkeit von der Arbeitsaktivität, führt zu einer gewissen Präferenz für einen Arbeitsplatz – mit anderen Worten: zu einer Anforderung an einen Arbeitsplatz. Beispielsweise möchte eine Person, die oft telefonieren muss, gerne in einer Telefonbox telefonieren, da sie sich dort ungestört und privat fühlt. Diese Anforderung an den Arbeitsplatz wird zusätzlich noch durch die Präferenz für den Standort des Arbeitsplatzes und die Präferenz für den Charakter und die Verarbeitung des Arbeitsplatzes beeinflusst. Wenn wir nun bei dem Beispiel mit der Telefonbox bleiben, kann es eine gewisse Präferenz für eine Telefonbox geben. Zum Beispiel wird vielleicht eine Telefonbox mit einer angenehmeren Aus-stattung an einem Standort, der visuell geschützter ist, gegenüber den anderen Telefonboxen präferiert.

Die Anforderung an den Arbeitsplatz wirkt sich dann direkt auf die Nutzung eines Arbeits-platzes aus. Natürlich spielt hier auch die Verfügbarkeit des präferierten Arbeitsplatzes eine Rolle. Beispielsweise kann es in einer Büroumgebung mehrere Telefonboxen geben. Wenn sie aber alle besetzt sind, gibt es das Angebot des benötigten Raumes eigentlich nicht. Relevant ist daher hierbei auch die persönliche Kontrolle, d. h. die Frage, ob der/die Arbeitende überhaupt die Möglichkeit hat, zwischen Telefonboxen zu wählen.

Zusammenfassend zeigt dieses Modell, dass die Wahl des Arbeitsplatzes in einem A-FO von verschiedenen Faktoren abhängt, die es zu berücksichtigen gilt. Wenn der Fall eintritt, dass Ar-beitende in einem A-FO ihren Arbeitsplatz nicht oder zu selten wechseln, empfiehlt es sich, über diese Variablen nachzudenken: Gibt es überhaupt Arbeitsplätze, die den Präferenzen der Arbeitenden entsprechen? Haben die Arbeitenden überhaupt die Möglichkeit den Arbeitsplatz zu wechseln? Ist dieses Wechseln auch ein akzeptiertes Verhalten in der Organisationskultur? Besteht ein ausreichendes Angebot präferierter Arbeitsplätze? Bei der Gestaltung von aktivitätsbasierten Arbeitszonen ist zusätzlich zu empfehlen, die drei im Modell formulierten Bedürfnisse nach Aus-stattung, Privatsphäre und Konzentration sowie Kommunikation und Interaktion zu beachten.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen86

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3.2.4 Kongruenz zwischen Bedürfnissen der Arbeitenden und dem Angebot des AFOs

Die Arbeit von WissensarbeiterInnen umfasst unterschiedliche Tätigkeiten, vom individuel-len konzentrierten Arbeiten bis hin zu Tätigkeiten in Interaktion mit anderen. Konzentrierte, kommunikative und kollaborative Tätigkeiten unterscheiden sich in ihren Anforderungen an eine passende Arbeitsumgebung. Konzentration erfordernde Arbeitstätigkeiten werden al-leine durchgeführt und benötigen eine ruhige und angenehme (gegebenenfalls inspirierende) Arbeitsumgebung. Unterbrechungen durch äußere Reize wie Lärm oder Licht, KollegInnen oder Vorgesetzte oder durch Informations- und Kommunikationstechnologien verhindern eine effiziente und qualitativ hochwertige Bearbeitung der Aufgabe. Virtuelle kommunikative Tätigkeiten erfordern geeignete Kommunikationstechnologien (z. B. auch Telefonkonferenz-systeme, Videokonferenzsysteme) und Räumlichkeiten, in denen Kommunikation angenehm möglich ist. Ein schlecht geeigneter Raum wäre beispielsweise einer mit Nachhall. Arbeits-tätigkeiten, in denen in Gruppen oder Teams zusammengearbeitet werden muss, erfordern wiederum andere Arbeitsumgebungen. Beispielsweise braucht man Unterlagen für die Ideen-generierung (Büromaterialien, Flipcharts, Beamer, Software zur Dokumentation), ausreichend und für längere Besprechungen geeignete (d. h. ergonomische/bequeme) Sitzmöglichkeiten und eine inspirierende Umgebung.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unterschiedliche Arbeitstätigkeiten jeweils unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Arbeitsumgebung zur Folge haben. Eine passende Büroumgebung sollte diese Bedürfnisse befriedigen, um die Arbeitenden optimal bei der Bearbeitung der Aufgaben zu unterstützen.

3.2.4.1 Need-Supply Fit: Kongruenz zwischen Bedürfnis und AngebotTheoretisch lässt sich die Kongruenz, d. h. eine Übereinstimmung oder Passung zwischen Person und Umwelt, mit dem Person-Environment-Fit-Modell (Caplan 1987) erklären. Das P-E-Fit-Modell beschreibt die Interaktion zwischen Personen und deren Umwelten. In diesem Modell werden folgende Grundannahmen getroffen. Erstens gibt es eine Unterscheidung zwi-schen der Person und der Umwelt. Zweitens wird eine objektive und subjektive Repräsentation der Person und der Umwelt angenommen. Die objektive Repräsentation beinhaltet Aspekte der Person beziehungsweise der Situation und Ereignisse in der Umwelt. Zu einer subjektiven Re-präsentation gehören Wahrnehmungen oder Eigenschaften der Situation oder Ereignisse in der Umwelt. Anhand dieser beiden Unterscheidungen können vier Typen der Übereinstimmung zwischen Person und Umwelt abgeleitet werden (siehe . Abb. 3.3).a. Der objektive P-E-Fit beschreibt eine Passung zwischen den objektiven Attributen der Per-

son und den objektiven Attributen der Umwelt.b. Ein subjektiver P-E-Fit beschreibt eine Übereinstimmung zwischen den subjektiven Re-

präsentationen.c. Von einer Genauigkeit der eigenen Bewertung spricht man, wenn die subjektive und ob-

jektive Wahrnehmung über die eigene Person zusammenpasst.d. Ein sogenannter hoher Kontakt mit der Realität besteht, wenn die subjektiv wahrgenom-

mene Umwelt und die objektive Umwelt zusammenpassen.

Kristof (1996; Kristof-Brown et al. 2005) beschreibt zwei Strömungen in der Forschung im Bereich P-E-Fit: Der Demand-Ability-Fit beschreibt eine Kongruenz zwischen Anforderungen aus der Umwelt und der Fähigkeit von Personen, auf diese Anforderungen zu reagieren. Eine

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Person, die über Programmierkenntnisse verfügt (ability), würde demnach zu einer Arbeitsstelle passen, innerhalb derer Software programmiert werden soll (demand). Der Need-Supply-Fit beschreibt eine Passung zwischen den Bedürfnissen der Person und dem Angebot der Um-welt. Beispielsweise passen Personen mit einem starken Bedürfnis nach Struktur und Routine demnach gut in eine stark strukturierte Arbeitsumwelt. Die Need-Supply-Konzeptualisierung kann aber auch für die Passung zwischen einem Bedürfnis (bedingt durch die Arbeitstätig-keit) und dem Angebot der Arbeitsumgebung herangezogen werden (Gerdenitsch et al. 2018). Gerdenitsch et al. (2018) argumentieren, dass durch die Einführung einer aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebung die Übereinstimmung Need-Supply-Fit gesteigert werden kann. Die Studie wird im Folgenden beschrieben.

> Die Need-Supply-Konzeptualisierung kann für die Passung zwischen einem Bedürf-nis (bedingt durch die Arbeitstätigkeit) und den Angeboten der Arbeitsumgebung herangezogen werden (Gerdenitsch et al. 2018).

3.2.4.2 Wissenschaftliche Begleitung einer ArbeitsplatzumgestaltungGerdenitsch et al. (2018) haben in einer Längsschnittstudie die Umgestaltung einer Büro-umgebung wissenschaftlich begleitet. Das Zellenbüro eines Beratungsunternehmens wurde in ein aktivitätsbasiertes flexibles Bürokonzept umgebaut. Die AutorInnen gingen davon aus, dass durch die Einführung eines aktivitätsbasierten flexiblen Bürokonzepts die Zahl der Unterbrechungen zurückgeht, die Zusammenarbeit zwischen Teams verbessert wird und die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung steigt. Unterbrechungen können Arbeitende vermeiden, indem sie sich lauten Situationen entziehen und ruhigere Räumlichkeiten auf-suchen. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich bei erwarteten Unterbrechungen außerhalb des Bürogebäudes zurückzuziehen. Die Zusammenarbeit zwischen Teams sollte durch ver-mehrte Begegnungen zwischen den Arbeitenden verbessert werden. Dadurch, dass es keine festen Arbeitsplätze mehr gibt, können sich Arbeitende eher zufällig begegnen oder am jeweils gewählten Arbeitsplatz neben unterschiedlichen Personen sitzen. Dadurch kommt es gehäuft zu informellen Gesprächen zwischen mehreren MitarbeiterInnen. Die Annahme, dass die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung zunimmt, wird durch die verstärkte Kontrolle über die Arbeitsumgebung begründet. Arbeitende können, je nach aktuellem Bedürfnis, Arbeits-bereiche wählen, in denen mehr oder weniger Personen arbeiten und sich somit mehr oder weniger Reizen aussetzen. Die AutorInnen gehen zudem davon aus, dass Arbeitende, die einen Need-Supply-Fit wahrnehmen, vorteilhaftere Veränderungen erleben (Gerdenitsch et al. 2018).

. Abb. 3.3 Vier Typen der Übereinstimmung zwischen Person und Umwelt. (Nach Caplan 1987)

Person

Umwelt

Subjektiv Objektiv

c

d

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3.2.4.2.1 Organisation und ArbeitsplatzumgebungDas untersuchte Beratungsunternehmen beschäftigte zur Zeit der Befragung etwa 50 Mit-arbeiterInnen, wobei ein hoher Anteil von ihnen über einen akademischen Abschluss verfügt. Beratungsleistungen, die das Unternehmen anbietet, umfassen Personalberatung und Personal-auswahl. Die Organisation hat internationale Partnerorganisationen und teilt sich mit ihnen ein größeres Bürogebäude, in dem ein Stockwerk für die untersuchte Organisation vorgesehen ist. Im Erdgeschoß befinden sich eine geteilte Rezeption und andere Räumlichkeiten (Bespre-chungsräume, Aufenthaltsräume und Veranstaltungsräume), die gemeinsam mit den Partner-organisationen genutzt werden.

Das Beratungsunternehmen hat das ursprüngliche Zellenbüro (bestehend aus Einzelbüros und geteilten Büros) in ein aktivitätsbasiertes flexibles Büro umgestaltet. Eine Auflistung der aktivitätsbasierten Arbeitsbereiche ist in . Tab. 3.2 zu finden. Generell waren die Arbeitszonen passend für konzentriertes Arbeiten (Zen Area, Think Tanks) und Kommunikation (Call-Boxen für virtuelle Kommunikation, Call Area) und Zusammenarbeit (Network Area und Focus Area, Projekträume und Besprechungsräume) gestaltet. Zusätzlich wurden ein offener Bereich zum Essen und Trinken (Town Hall) sowie eine Bibliothek geschaffen. Um zwischen den Arbeits-zonen leicht wechseln zu können, wurden die MitarbeiterInnen mit Laptops ausgestattet.

Bei der Umgestaltung der Büroumgebung gab es aus Sicht der Organisation drei zentrale Ziele: Erstens sollte die Produktivität unterstützt werden. Konkret sollten die Zusammenarbeit und die Qualität von Arbeitsergebnissen sowie die Effizienz der Prozesse verbessert werden. Zweitens war das Ziel, die Attraktivität des Unternehmens für potenzielle neue Mitarbeite-rInnen zu erhöhen. Auch die Attraktivität des Unternehmens für bisherige MitarbeiterInnen sollte durch die Umgestaltung gesteigert werden und somit die Bindung bereits vorhandener MitarbeiterInnen an das Unternehmen gestärkt werden. Drittens sollte schließlich durch die Umgestaltung die sichtbare Positionierung als innovatives Unternehmen erfolgen. Um nach der Übersiedelung in das neu gestaltete Stockwerk ein gemeinsames Arbeiten in dem neuen Arbeitsplatzsetting zu ermöglichen, wurden Verhaltensregeln für die korrekte Nutzung der Arbeitsbereiche formuliert.

3.2.4.2.2 Methode und ErgebnisseDie wissenschaftliche Begleitung wurde als Längsschnittstudie konzipiert. Innerhalb dieser Längsschnittstudie wurden einmal vor der Umgestaltung der Arbeitsumgebung (Baseline-Mes-sung) und zweimal nach der Übersiedelung in das neue Büro Daten erhoben (siehe . Abb. 3.4). Jede/r MitarbeiterIn hatte dabei eine individuelle Kennzeichnung, um die Daten der drei Mess-zeitpunkte miteinander in Verbindung zu bringen. Es wurden neben dem Need-Supply-Fit Daten über Unterbrechungen, Zusammenarbeit mit KollegInnen aus anderen Teams und die Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung erfasst. Dafür wurde ein Online-Fragebogen versendet. Zusätzlich wurde mit einer Tagebuchmethode der Need-Supply-Fit erfasst. Dabei wurden die MitarbeiterInnen aufgefordert, eine Woche lang ihre Arbeitsaktivitäten aufzulisten und die jeweilig genutzte Arbeitsumgebung anzugeben. Zu jedem dieser Paare sollten die Befragten bewerten, inwieweit sie sich in ihrer Arbeitstätigkeit durch die Arbeitsumgebung unterstützt fühlten. Zusätzlich zu der quantitativen Datenerhebung wurden Fokusgruppen und Interviews durchgeführt. Diese qualitativen Daten dienten der Ergänzung der quantitativen Daten. Die Fokusgruppen und Interviews wurden bewusst sehr offen gehalten, um vorher nicht antizipierte Vorteile und Probleme zu erkennen.

Die Analyse der quantitativen Daten zeigte, dass sich durch die neue Büroumgebung die Arbeitsumgebung, in der die Arbeitstätigkeiten erfolgten, geändert hat (. Tab. 3.3). Anhand

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. Tab. 3.2 Auflistung der Arbeitszonen und dafür geeigneter Arbeitsaktivität. (Übersetzt aus Gerdenitsch et al. 2018)

Arbeitszonen Arbeitsaktivität

Zen Area: Die Zen Area ist ein geschlossener Bereich mit maximal zwölf Arbeits-plätzen. Dieser Bereich ist zum konzentrierten Arbeiten gedacht und integriert daher schalldämpfende Elemente in die Ausstattung. Telefonate sind hier nicht erlaubt.

Konzentriertes Arbeiten

Focus Area: Die Focus Area ist ein offen gestalteter Raum, in dem maximal 16 Per-sonen arbeiten können. Hier soll fokussiertes Arbeiten möglich sein, daher ist Ruhe auch in diesem Arbeitsbereich wichtig. Kurze Abstimmungen zwischen Mit-arbeiterInnen sind jedoch erlaubt.

Konzentriertes Arbeiten, kurze Besprechungen, kurze Telefonate

Think Tanks: In zwei Think Tanks, die in natürlichem Stil gehalten sind und die Namen „Wasser“ und „Wald“ tragen, können Brainstormings stattfinden. Hier kann es zum Austausch von Ideen zwischen maximal zwei Personen kommen. Die Think Tanks sind zwei gemütlich gestaltete geschlossene Räume.

Konzentriertes Arbeiten

Call Boxes: Es gibt sechs Telefonboxen, die jeweils von einer Person zum Tele-fonieren genutzt werden kann. Die Telefonboxen sind so ausgestattet, dass man einen Laptop mitnehmen und sich auch während des Gesprächs setzen kann.

Virtuelle Kom-munikation

Call Area: Die Call Area ist ein offen gestalteter Arbeitsbereich für maximal acht Ar-beitende. Hier kann telefoniert werden. Um die Lautstärke durch das Telefonieren möglichst gering zu halten, gibt es schalldämpfende Elemente in der Ausstattung.

Virtuelle Kom-munikation

Network Area: Die Network Area ist ein offen gestalteter Arbeitsbereich für maxi-mal 28 Arbeitende. Es gibt 20 Arbeitsplätze und acht Stationen, an denen man im Stehen arbeiten kann. Der Bereich ist in erster Linie für (informelle) Absprachen von Projektteams gedacht, jedoch ist auch individuelles Arbeiten möglich.

Kommunikation, Zusammenarbeit, Networking, in-dividuelle Arbeit

Projekträume: Sechs Projekträume stehen für interne Besprechungen zur Ver-fügung. Zwei davon sind für mehrere Tage buchbar. In den Projekträumen kann man spontane Besprechungen in großen und kleinen Gruppen abhalten. Ein Raum ist auch für virtuelle Besprechungen geeignet. Vier der Projekträume haben Glaswände.

Zusammenarbeit

Repräsentativer Besprechungsraum: Im Erdgeschoß des Gebäudes gibt es einen repräsentativen Besprechungsraum für formelle Besprechungen.

Besprechungen mit Kunden

Town Hall: Die Town Hall ist ein offen gestalteter Bereich im Stil eines Kaffee-hauses. Neben 22 Tischen gibt es vier Arbeitsplätze an Hochtischen. Die Town Hall ist als zentraler Kommunikationspunkt des Unternehmens konzipiert. Größere Besprechungen, Diskussionen oder Präsentationen, die die gesamte Organisation betreffen, können hier abgehalten werden.

Für alle Arbeits-aktivitäten ge-eignet

der Tabelle sieht man, dass nun die Arbeitstätigkeiten, für die in einem Zellenbüro lediglich der eigene Schreibtisch zur Verfügung stand, in unterschiedlichsten Arbeitszonen bearbeitet wurden. Interessanterweise traten Änderungen zwischen den beiden letzten Erhebungszeit-punkten auf: Für konzentriertes Arbeiten wurde zu Beginn (wie intendiert) die Zen Area ge-nutzt. Nach einiger Zeit jedoch wichen die Personen eher ins Home Office aus. Dies kann auch dahingehend interpretiert werden, dass die Zen Area nicht mehr so genutzt wurde wie gedacht und somit die Funktionalität des Raumes für die Arbeitstätigkeit verloren ging.

Die Analyse der Daten zeigte weiter, dass die wahrgenommene Passung zwischen Arbeits-tätigkeit und Arbeitsumgebung (Need-Supply-Fit) über die Zeit hinweg linear anstieg. Au-

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ßerdem nahmen wahrgenommene Unterbrechungen im Verlauf der Zeit ab. Hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Teams und der Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung konnten ebenfalls positive Effekte verzeichnet werden. Diese positiven Effekte fielen bei Personen, die eine hohe Passung (d. h. einen hohen Need-Supply-Fit) erlebten, stärker aus als bei jenen mit einer niedrigen Passung. Dieses Ergebnis stützt die Annahme, dass eine aktivitätsbasierte flexi-ble Büroumgebung dann positiv ist, wenn eine Passung zwischen Arbeitstätigkeit und Arbeits-umgebung hergestellt werden kann (Gerdenitsch et al. 2018).

> Durch die Einführung der aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebung hat die wahr-genommene Passung zwischen Arbeitstätigkeit und Arbeitsumgebung (Need-Sup-ply-Fit) zugenommen. Diese wahrgenommene Passung erklärt auch weitere positive Effekte hinsichtlich Zufriedenheit mit der Arbeitsumgebung und verstärkter Zusam-menarbeit mit Personen aus externen Teams.

. Abb. 3.4 Erhe-bungsmethoden

Online Fragebogen

Quantitative Erhebungsmethoden

Tagebuch-methode

Interviews

Qualitative Erhebungsmethoden

Fokus-gruppen

. Tab. 3.3 Deskriptive Ergebnisse über die am häufigsten genutzte Arbeitsumgebung für die erfragten Arbeitstätigkeiten

Arbeitstätigkeiten Arbeitsumgebung (Zellenbüro)

Arbeitsumgebung (kurz nach der Über-siedelung in das A-FO)

Arbeitsumgebung (nach der Übersiede-lung in das A-FO)

Konzentriertes Arbeiten

Eigener Schreibtisch Zen Area Home Office

Besprechung intern Eigener Schreibtisch Besprechungszimmer Besprechungszimmer

Routinetätigkeiten Eigener Schreibtisch Network Area Focus Area

Informelle Abstim-mung

Eigener Schreibtisch Bereiche für informelle Abstimmungen

Bereich für informelle Abstimmungen

Virtuelle Kommuni-kation

Eigener Schreibtisch Call Boxen/Home Office Call Boxen

Besprechung mit Kunden

Extern (z. B. beim Kunden)

Extern Extern

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Es bleibt zu beachten, dass nach der Einführung eines aktivitätsbasierten flexiblen Bürokon-zeptes Arbeitende zunächst mit einer neuen Arbeitssituation konfrontiert sind: Sie müssen sich neue Arbeitsroutinen wie das Wechseln des Arbeitsplatzes aneignen und sich auch an die neuen Richtlinien zur Nutzung der Arbeitszonen halten. Dieses Verhalten muss erstens zunächst erlernt werden und sich in einer Organisation auch etablieren, um auch langfristig stabil zu bleiben. Die Analyse der qualitativen Daten (Fokusgruppen und Interviews) gaben Hinweise auf drei Bereiche:- Qualität der Arbeitszonen: Zur Qualität der Arbeitszonen wurde beschrieben, dass

man nun fokussierter und konzentrierter arbeitet. Man sei stärker gefordert, sich selbst zu strukturieren, wodurch man effizienter arbeitet. Weiter wird erwähnt, dass durch die Interaktionszonen mehr funktionale Plätze für Projektarbeit zur Verfügung stehen. Auch die Telefonboxen und die Zen Area zum konzentrierten Arbeiten wurden positiv erwähnt. Demnach fühlten sich manche MitarbeiterInnen durch die Funktionalität von Arbeitszonen produktiver und effizienter in ihrer Arbeit. Es wurde weiterhin erwähnt, dass man durch die Arbeitsplatzteilung nicht automatisch zu einem immer gleichen Arbeitsplatz gehe, sondern sich aktiv einen Platz suchen muss. Es gibt jedoch so etwas wie den Impuls zum „Heimarbeitsplatz“ (d. h. zum immer selben Arbeitsplatz). Hinsicht-lich der Arbeitsplätze beschrieben MitarbeiterInnen, dass es nach wie vor Stammplätze gibt. Auch wenn man nicht immer am selben Arbeitsplatz sitzt, so meinten die Befragten, hat jede Person zumindest ein paar präferierte Arbeitszonen beziehungsweise Arbeits-stationen, an denen sie häufiger sitzt.- Qualität sozialer Interaktionen: Die Aussagen zur Veränderung der Qualität der sozialen Interaktionen lässt sich durch den Slogan „aus Tiefe wird Breite“ zusammenfassen. Durch die Auflösung der fixen Arbeitsplätze hat man im Verlauf des Arbeitstags Kontakt mit mehreren unterschiedlichen Personen und entwickelt somit ein breites Kontaktnetzwerk im Unternehmen. Die Arbeitsgruppen durchmischten sich auch mehr, wodurch man verschiedene Personen auch besser erreichen kann. Das könnte für die Organisation selbst von Vorteil sein. Ein Befragter schilderte jedoch, dass es in der Arbeit auch wichtig sei, Freunde zu haben, mit denen man über private Dinge sprechen könnte. Die Tiefe der Interaktionen hat sich somit verändert. Befragte beschreiben, dass die Tiefe der Kontakte abgenommen hat und man sich auch verstärkt aus eigener Initiative darum kümmern muss, dass tiefe Kontakte entstehen. Tiefergehende Kontakte können dann entstehen, wenn man mit Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg nebeneinander sitzt. Man kommt sich näher und spricht dann auch über persönliche Dinge, bekommt auch mit, wenn es dem Gegenüber nicht gut oder besonders gut geht. Wenn dagegen der Arbeitsplatz permanent gewechselt wird, kann man diese Gefühlslagen sowohl weniger gut einschätzen (bei immer neuen Kollegen, mit denen die Kontakte oberflächlicher bleiben) als auch schwieriger wahrnehmen (wenn man eine Person nur kurz sieht). Auch die Personalisierung des Arbeitsplatzes spielt hier eine relevante Rolle. Wenn der Arbeitsplatz personalisiert ist, lernt man die KollegInnen besser kennen beziehungsweise findet schnell Gesprächsthemen für erste Kontakte. Es wurden aber nicht nur die tiefen Kontakte mit KollegInnen thematisiert, sondern Befragte erzählten auch, dass es schwer sein kann, gewisse Dinge bei einer Führungskraft anzusprechen, wenn die Beziehung zu ihr oberflächlich ist. Wenn man in einem abgegrenzten Raum gemeinsam mit seinem Team und der Führungskraft sitzt, dann hat man ein „Zuhause“ oder einen Rückzugsort, an dem auch gegenseitiges Vertrauen herrscht. Dieses Gefühl geht mit dem häufigen Arbeitsplatzwechsel verloren.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen92

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> Durch die Auflösung der fixen Arbeitsplätze hat man im Verlauf des Arbeitstags Kontakt mit mehreren unterschiedlichen Personen und entwickelt somit ein breites Kontaktnetzwerk im Unternehmen. Jedoch beschreiben Befragte auch, dass die Tiefe der Kontakte abgenommen hat.

Weiterhin stellt sich die Frage, auf welche Weise und in welchem Setting nun sozialer Austausch stattfinden solle. Ein Befragter meinte, dass die soziale Ebene wichtig sei und dass man zu deren Gestaltung einen Platz braucht, der nicht nur selbstorganisiert ist. Wenn diese soziale Ebene verloren geht beziehungsweise man nicht aktiv in sie investiert, kann es zur Vereinsamung der MitarbeiterInnen kommen. Schon innerhalb der Fokus-gruppen und Interviews im Rahmen der Begleitstudie beschrieben Befragte, dass man verstärkt darauf achten müsse, dass sich niemand verloren fühlt und dass man nun vermehrt alleine sei und arbeite. Beispielsweise beschrieb eine Person, dass sie einmal längere Zeit auf Urlaub gewesen sei und bei der Rückkehr die Kollegen nicht wussten be-ziehungsweise überhaupt nicht bemerkt hatten, dass sie weg und im Urlaub war und sich dementsprechend auch nicht danach erkundigten, wie der Urlaub war. In einem idealen sozialen Arbeitskontext erwartet man jedoch dieses Interesse an der eigenen Person. Weiter beklagten die Befragten im aktuellen Fall, dass es keinen Raum gebe, in dem man sich privat unterhalten, kritische Dinge besprechen oder auch gemeinsam lachen kann.- Arbeitsbedürfnisse der MitarbeiterInnen: Auf Basis der Aussagen zur Produktivität und sozialen Interaktion stellt sich die Frage, inwieweit Grundbedürfnisse in einer aktivitäts-basierten flexiblen Büroumgebung erfüllt werden können. Die drei Grundbedürfnisse nach Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz (Ryan und Deci 2000) können unter-schiedlich stark durch diese Büroumgebung befriedigt werden. Befragte beschreiben, dass sie sich in ihrer Arbeitsplatzwahl freier fühlen. Beispielsweise könne man auch nach Hause gehen, wenn man nichts mehr zu tun hat. Zudem könne man je nach Tagesverfas-sung aussuchen, wo man sich hinsetzt (z. B. könne man sich bei Kopfschmerzen in einen ruhigeren Arbeitsbereich zurückziehen). Demnach scheint das Bedürfnis nach Auto-nomie befriedigt zu werden. Wie schon zuvor beschrieben, zeigt sich hinsichtlich des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit allerdings ein anderes Bild. Befragte diskutierten auch, dass es für einen neuen Mitarbeiter beziehungsweise für neue MitarbeiterInnen schwer möglich sei, ein „Wirgefühl“ zu entwickeln. Zum Bedürfnis nach Zugehörigkeit ergibt sich ein weniger eindeutiges Bild. Befragte beschreiben, dass das Gefühl der Kompetenz stark von der jeweiligen Führungskraft beziehungsweise vom Projektleiter abhängt.

3.2.4.2.3 Praktische ImplikationenAus den Ergebnissen der Fallstudie lassen sich drei zentrale praktische Implikationen ableiten. Erstens ist es zu empfehlen, dass Designer von Büroumgebungen und StrategieberaterInnen, die Unternehmen bei der Umsetzung begleiten, die Anzahl und die Gestaltung der Arbeitszonen sehr bewusst wählen. Die Arbeitszonen bilden so etwas wie das Kernstück der Büroumgebung und können erst dann zu vorteilhaften Effekten führen, wenn sie zu den Bedürfnissen der Arbeitenden passen. Dies impliziert auch, dass je nach Unternehmen aktivitätsbasierte flexi-ble Büroumgebungen unterschiedlich gestaltet sein können. Bei der Auswahl der Gestaltung der Arbeitszonen ist es zudem empfehlenswert, einen partizipativen Ansatz zu wählen. Die MitarbeiterInnen eines Unternehmens können direkt in den Prozess eingebunden werden: In partizipativen Workshops kann man beispielsweise gemeinsam gezielt Anforderungen an Arbeitsumgebungen aufgrund von Arbeitstätigkeiten und Bedürfnissen formulieren und aus-

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arbeiten. Weiterhin kann man in diesen neuen Arbeitsmodellen innovative Arbeitsgestaltungen diskutieren und reflektieren. Dadurch lässt sich einerseits sicherstellen, dass die Arbeitszonen zu den Bedürfnissen passen, und andererseits auch eine gewisse Bindung der MitarbeiterInnen an die neue Büroumgebung schaffen. Ein partizipativer Ansatz führt auch dazu, dass Mitarbeite-rInnen schon früh über Auswirkungen der neuen Arbeitssituationen reflektieren und somit auch sanfter mit Veränderungen konfrontiert werden.

Eine weitere praktische Implikation, die sich auf Basis der Ergebnisse ableiten lässt, betrifft die Stabilität der positiven Effekte. Ziel nach einer Umgestaltung der Büroumgebung in ein ak-tivitätsbasiertes Modell sollte es sein, die positiven Effekte, die erzielt werden können, dauerhaft aufrechtzuerhalten. Dabei ist es wichtig eine passende Nutzung der Büroumgebung sicherzustel-len beziehungsweise zu ermöglichen. Das Management, insbesondere die Personalabteilung und das Gebäudemanagement, können hier gezielt unterstützende Maßnahmen ergreifen.

Beispielsweise sind Spielregeln hier zentral (siehe beispielhaft . Tab. 3.4). Dabei sind un-terschiedliche Aktivitäten wichtig:- die Entwicklung und Formulierung von Spielregeln (ggf. in einem partizipativen Prozess)- die Kommunikation der Spielregeln an MitarbeiterInnen- die Adaptierung des Bedarfs, wenn sich beispielsweise Arbeitsaktivitäten ändern, sowie- die Sicherstellung, dass Spielregeln eingehalten werden.

Ein weiteres Beispiel zur Sicherstellung einer passenden Nutzung des Büros betrifft neue Mit-arbeiterInnen. Es sollte sichergestellt werden, dass neue MitarbeiterInnen gut in diese Arbeits-umgebung eingeführt und zu Beginn auch intensiver betreut werden. Sie müssen sich oftmals erst an den Arbeitsplatzwechsel und die damit verbundenen wechselnden Kontakte mit Kolle-gInnen gewöhnen. Eine feste Bezugsperson zu Beginn wäre daher empfehlenswert. Als drittes Beispiel zur Sicherstellung der passenden Nutzung ist die Etablierung einer zum Arbeitsstil passenden Organisationskultur zu nennen. Eine Unternehmenskultur, in der Arbeitsplatz-wechsel oder Home-Office-Tage sozial unerwünscht sind (weil man Arbeitenden unterstellt, zu wenig zu arbeiten), kann nicht förderlich für den Erfolg eines aktivitätsbasierten flexiblen Büros sein. Die eventuelle Notwendigkeit der Entscheidung zur Veränderung der Organisationskultur sollte auch dem Management bewusst sein. Somit kann eine Umgestaltung der Büroumgebung auch gleichzeitig ein umfassendes Veränderungsprojekt hinsichtlich der Organisationskultur darstellen.

Eine dritte und letzte praktische Implikation, die hier erwähnt werden soll, betrifft die Füh-rungskräfte. Führungskräfte stellen einerseits durch ihre Vorbildfunktion einen sehr wichtigen Einflussfaktor dar, wenn es um die geeignete Nutzung der Büroumgebung geht. Daher sollten auch sie dafür sensibilisiert werden und auch eine soziale Norm der geeigneten Nutzung in ihrem Team unterstützen. Wenn alle Führungskräfte diese soziale Norm fördern, kann eine geeignete Nutzung der Räumlichkeiten in der gesamten Organisation sichergestellt werden. Andererseits aber wird die Umstellung gerade Führungskräften besonders schwerfallen, da sie ihre MitarbeiterInnen nicht mehr wie gewohnt an festen Orten zu bestimmten Zeiten vorfinden. Die Unterstützung von Führungskräften durch Trainings und Coachings ist daher wichtig.

3.2.4.2.4 Kritische Erfolgsfaktoren einer BüroumgestaltungAus der Erfahrung durch die wissenschaftliche Begleitung einer Organisation bei der Umge-staltung der Büroumgebung haben sich auch kritische Erfolgsfaktoren und Handlungsfelder herauskristallisiert (siehe . Abb. 3.5). Im Folgenden werden sechs davon beschrieben, deren Beachtung äußerst relevant ist bei einer erfolgreichen Umgestaltung der Büroumgebung:

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen94

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1. Klare Zieldefinition: Wie schon erwähnt, umfasst ein Projekt zur Gestaltung einer neuen Büroumgebung oft mehr als nur die Architektur. Die Umgestaltung ist häufig gleichzeitig ein Veränderungsprojekt und kann auch als Ausgangspunkt zur Organisationsentwicklung gesehen werden. Neben der Architektur sind Aspekte der Kommunikation, Zusammen-arbeit und Leistungsüberprüfung mitbetroffen. Wichtig ist es deshalb, beim Start eines Büroumgestaltungsprojektes Ziele zu definieren und sich dabei der Tragweite eines solchen Projektes, das über die bloße Architektur hinausgehende Bereiche betrifft, bewusst zu sein. Ziele sollten – wie in jedem Veränderungsprojekt – klar definiert sein.

2. Professionelles Projektmanagement bei der Umgestaltung: Ein konsequentes umfassendes Projektmanagement bei der Umgestaltung ist notwendig. Von der Zieldefinition bis zur Re-flexion der Veränderungen sollten hier alle notwendigen Schritte enthalten sein. Besonders relevant sind auch die Information und Kommunikation an MitarbeiterInnen sowie Mög-lichkeiten der Partizipation der MitarbeiterInnen am Prozess. Ein Umgestaltungsprojekt darf in seinem Effekt auf die Gesamtorganisation nicht unterschätzt werden.

3. Spielregeln der Zusammenarbeit: Für das gemeinsame Arbeiten ist es wichtig, gemeinsame Regeln für das Zusammenarbeiten zu definieren. Sie betreffen nicht nur die Nutzung der Arbeitszonen, sondern beispielsweise auch die Nutzung virtueller Kommunikation, Koor-dination örtlich verteilter Teams oder die Kontrolle von Arbeitsleistung. Beispiele für Spiel-regeln sind in . Tab. 3.4 abgebildet.

4. Die lernende Organisation als Basis für den Erfolg: Die Umgestaltung des Büros kann und soll ein laufender Lernprozess sein. Eine Kultur des Vertrauens und des Feedbacks muss sich erst etablieren und aufrechterhalten werden. Die gewünschte und geforderte Flexibilität setzt nämlich Vertrauen zwischen Führungskraft und MitarbeiterIn voraus: Führungskräfte müssen ihren MitarbeiterInnen dahingehend Vertrauen entgegenbringen, dass diese auch dann arbeiten, wenn sie für die Führungskräfte nicht physisch sichtbar sind. In manchen Unternehmen gibt es bei Führungskräften beispielsweise das Vorurteil, dass bei der Heimarbeit weniger gearbeitet wird. Wissenschaftliche Studien beweisen hier allerdings sogar das Gegenteil (z. B. Kelliher und Anderson 2010). Das Vertrauen als Basis der Zusammenarbeit muss sich gegebenenfalls erst etablieren. Auch die Möglichkeit des Feedbacks verändert sich. Physisches Feedback wird vermehrt durch virtuelles abgelöst, oder es müssen nun Termine für Feedback aktiv vereinbart werden. Darüber hinaus sind in aktivitätsbasierten flexiblen Arbeitssettings Kompetenzen von MitarbeiterInnen gefordert, die sich diese gegebenenfalls erst aneignen müssen. Konkret sind dies Kompetenzen im Bereich der Selbstkontrolle und Selbstregulation (siehe auch das Konzept des Arbeits-kraftunternehmers von Pongratz und Voß 2003; vgl. ▶ Kap. 1). Zusammenfassend ist die Bereitschaft zur Veränderung über das eigentliche räumliche Umgestaltungsprojekt hinaus notwendig.

. Abb. 3.5 Kri-tische Erfolgsfak-toren einer Büro-umgestaltung

Klare Zieldefinition

Auslastung der Arbeitenden

managen

Eingliederung neuer MitarbeiterInnen

Lernende Organisation als

Basis für den Erfolg

Spielregeln der Zusammenarbeit

Professionelles Projektmanagement

95 33.2 • Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen (A-FOs)

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. Tab. 3.4 Beispielhafte Spielregeln für das Arbeiten in einem aktivitätsbasiertem flexiblen Büro bei Deloitte Consulting GmbH

Freie Platzwahl Wir wollen versuchen, für unsere jeweilige Arbeitssituation die passende Arbeits-umgebung zu wählen. Dabei haben wir keinen Anspruch auf einen fixen Arbeits-platz, können uns aber ohne Weiteres häufig in den gleichen Zonen/Räumen aufhalten. Im Fokus steht das effiziente und effektive Arbeiten.

Sauberkeit der Arbeitstische und Räume

Wir hinterlassen alle Bereiche, Räume, Tische etc. wieder so, wie wir sie vorgefun-den haben (sauber, leer, mit vollständigen Materialien, …).

Buchung von Räumen

Bei der Buchung von Räumen achten wir darauf, dass die Ausstattung des gewähl-ten Raumes mit den Anforderungen unseres Arbeitssettings übereinstimmt (z. B. Funktionalität, Anzahl der TeilnehmerInnen, Dauer) und gehen dabei bewusst mit unseren Ressourcen um, d. h. buchen bei gleicher Eignung für unser Arbeitssetting eher Räume, die in größerer Anzahl vorhanden sind, als knappe Güter. Wir buchen und stornieren benötigte Räume verlässlich und halten uns an die gebuchten Zeitfenster.

Reservierung von Arbeits-plätzen

Wir können die Arbeitsplätze nicht vorab reservieren. Es gibt keine Regel dafür, wie lange man einen Arbeitsplatz besetzen darf – wir bauen auf Hausverstand (z. B. ist gerade viel los?) und Eigenverantwortung. Das Besetzen eines Arbeitsplatzes ist prinzipiell möglich, wir gehen dabei bewusst mit unseren Ressourcen um. Arbeits-plätze in der Zen Area sollen nur so lange besetzt werden, wie man sie tatsächlich nutzt und sich dort aufhält (kurze Pausen ausgenommen).

Rücksicht und Respekt

Wir achten darauf, den allgemeinen Lärmpegel auch in kommunikativen Zonen so zu gestalten, dass wir andere nicht bei der Arbeit stören. Wenn sich jemand in den informellen Meeting- und Arbeitsbereichen oder in der Network und Focus Area aufhält, heißt das nicht automatisch, dass er/sie gerade Zeit zum Plaudern etc. hat – das respektieren wir.

Wirksamer Ein-satz technischer Hilfsmittel

Wir bemühen uns, die zur Verfügung stehenden Technologien zur Unterstützung der Kommunikation auszuprobieren und bei Bedarf zu verwenden (z. B. Lync, Videokonferenzen, …). Um das W-LAN-Netzwerk nicht zu überlasten, verwenden wir für längeres Arbeiten das LAN-Kabel. Wir treffen entsprechende Maßnahmen, um Datensicherheit und Vertraulichkeit sensibler Daten zu gewährleisten.

Essen Die Town Hall Area ist in der Zeit zwischen 12.00 und 13.30 Uhr für Essen reserviert. In den Besprechungsräumen mit Fenstern können wir auch während Besprechun-gen essen; wir hinterlassen sie danach so, wie wir sie vorgefunden haben.

Einhaltung & Wartung der Spielregeln

Für die Einhaltung beziehungsweise laufende Weiterentwicklung der Spielregeln ist in erster Linie jede/r selbst verantwortlich. Zusätzlich gibt es Change Agents, die Veränderungsbedarf für das Konzept zum neuen Arbeiten 2013 aufnehmen, reflektieren und eventuell das Konzept anpassen.

© Deloitte Consulting GmbH

5. Neue MitarbeiterInnen: Die Eingliederung neuer MitarbeiterInnen in die Kultur und Werte der Organisation kann sich durch die örtliche Flexibilität verändern. Ein geeigneter Pro-zess, der sicherstellt, dass neue MitarbeiterInnen Anschluss finden und (arbeitsbezogene) Beziehungen aufbauen können, ist notwendig und muss erarbeitet werden.

6. Auslastung der Arbeitenden: Führungskräfte sind gefordert, eine optimale Auslastung ihrer MitarbeiterInnen in einer flexibleren Arbeitssituation zu schaffen. Aufgrund des geringeren physischen Kontaktes kann demnach beispielsweise eine Überlastung (Stichwort: Burnout)

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen96

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schwerer zu erkennen sein als in einem traditionellen Arbeitssetting. Hier ist ebenfalls eine entsprechende Sensibilisierung der Führungskräfte wichtig.

Aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen – die neue Art der Bürogestaltung?Die Idee von aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebungen entstand bereits in den 1970er-Jahren, wurde damals jedoch nur selten umgesetzt. In den letzten Jahren hat es aber etliche Bemühun-gen aufseiten von Unternehmen gegeben, ihre Büroumgebungen umzugestalten. Unternehmen erhoffen sich dadurch eine erhöhte Attraktivität für die junge Generation von Berufseinstei-gerInnen, Produktions- und Effizienzsteigerung sowie die Einsparung von Büroflächen. In der Literatur werden unter anderem Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Territorialität, Auto-nomie, Privatsphäre sowie Nähe und Sichtbarkeit beschrieben (siehe Wohlers und Hertel 2016). Bei der Umgestaltung der Büroumgebung ist es daher relevant, sich dessen bewusst zu sein, dass dies eine gravierende Veränderung für die MitarbeiterInnen darstellt. MitarbeiterInnen können auf unterschiedlichen Ebenen herausgefordert werden: Beispielsweise werden Routinen von Mit-arbeiterInnen durchbrochen, ihre Arbeitsweise wird flexibler, die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien wird verstärkt, und die soziale Nähe zu fest definierten KollegInnen wird aufgelöst. Bei einer Umgestaltung sind all diese Aspekte zu berücksichtigen. Demnach sollte eine Büroumgestaltung als umfassendes Veränderungsprojekt aufgefasst werden. Gleichzeitig gewinnt man aus der Debatte rund um das Thema Büroumgestaltung auch den Eindruck, dass hier der Einfluss des Büros auf das Wohlbefinden und die Produktivität der MitarbeiterInnen über-schätzt wird. Aspekte wie Führung, soziale Unterstützung, Feedbackkultur etc. haben hier einen wesentlicheren Einfluss.

3.3 Coworking Spaces – eine Arbeitsumgebung für Selbstständige

Fallbeispiel: Coworking Space | |

Lotte ist selbstständige Grafikerin. Sie arbeitet innerhalb von Projekten für unterschiedliche Agenturen und für Public-Relations-Abteilungen größerer Organisationen. Dabei entwirft sie Logos, gestaltet die Online- und Offline-Auftritte von Unternehmen oder layoutet Portfolios. Ihre Arbeitszeiten werden durch Kunden-termine und die Auftragslage definiert: Zu manchen Zeiten arbeitet Lotte täglich bis spät in die Nacht, zu anderen Zeiten hat sie mehr Freizeit. Lotte hat sich in ihrer Wohnung ein Arbeitszimmer eingerichtet, in dem sie hauptsächlich arbeitet. Zum Arbeiten benötigt sie einen Laptop, einen großen Bildschirm und ei-nen Drucker. Mithilfe des Laptops arbeitet Lotte manchmal auch beim Kunden, unterwegs oder in Kaffee-häusern; dabei bearbeitet sie aber hauptsächlich E-Mails. Der Vorteil ihres Heimarbeitsplatzes ist, dass sie diesen so gestalten konnte, dass er zu ihrer Arbeitsweise passt. Außerdem fallen keine zusätzlichen Kosten für ein fixes Büro an. Der Nachteil besteht in der geringen räumlichen Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben. Außerdem gibt es keine sozialen Kontakte, da Lotte keine direkten KollegInnen hat. Dadurch, dass Lotte nicht außer Haus gehen muss, um zu arbeiten, und sonst auch keine Personen in ihrem Home Office anwesend sind, kommt es oft vor, dass sie bis zum Mittag im Pyjama vor ihrem Bildschirm sitzt.Lotte ist gut ausgelastet und hat sich daher entschlossen, eine Praktikantin einzustellen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihr Heimarbeitsplatz ein Problem. Lotte fand die Anwesenheit einer zu Beginn noch fremden Person in ihrer eigenen Wohnung – in ihren eigenen vier Wänden – nicht angenehm. Daher dachte sie über eine räumliche Veränderung nach. Sie entschloss sich dazu, sich in einem Coworking Space einzumieten. Dieser bietet ihr die Flexibilität, je nach Auftragslage und verfügbarem Kapital mehr oder weniger Arbeitsplatz zu mieten. Sie kann sich tageweise, wochenweise oder monatsweise ein-mieten. Außerdem besteht die Möglichkeit, auch ihrer Praktikantin für eine bestimmte Zeit dort einen Arbeitsplatz zu geben.

97 33.3 • Coworking Spaces – eine Arbeitsumgebung für Selbstständige

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Wie in diesem Fallbeispiel beschrieben, ist es manchen Arbeitenden durch die Nutzung von Technologien möglich, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten. Oft sind diese Arbeitenden, die im extremen Fall auch als digitale Nomaden bezeichnet werden, freie Berufstätige oder Selbst-ständige. Für ihre Tätigkeiten benötigen sie geeignete Informations- und Kommunikations-technologien sowie Internet und Strom. Sie arbeiten unterwegs, von Zuhause aus oder nutzen Kaffeehäuser.

Studien zeigten, dass das Arbeiten von Zuhause aus Gefühle von Isolation hervorrufen kann (Golden et al. 2008; Spinuzzi 2012). Hier gibt es nur wenige Möglichkeiten für Feedback und Austausch. Eine mögliche Lösung, die sich in den letzten Jahren stark verbreitet hat, ist die Nutzung sogenannter Coworking Spaces. Coworking Spaces bieten flexible Arbeitsplätze, die von jedem gebucht werden können. Im Coworking Wiki (wiki.coworking.org) werden Coworking Spaces wie folgt beschrieben:

Definition

„The idea is simple: independent professionals and those with workplace flexibility work better together than they do alone. Coworking Spaces are about community-building and sustainability. Participants agree to uphold the values set forth by the movement’s foun-ders, as well as interact and share with one another. We are about creating better places to work and as a result, a better way to work. […] Our values are: Collaboration, Openness, Community, Accessibility, and Sustainability.“ (wiki.coworking.org)

Diese Definition beschreibt insbesondere auch die Werte, die in Coworking Spaces gelebt werden. Neben Offenheit, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit spielt die Gemeinschaft und die Zusammenarbeit miteinander eine zentrale Rolle. In Coworking Spaces gibt es demnach (in manchen mehr, in manchen weniger) die Möglichkeit zum Austausch und zur Zusammenarbeit mit anderen Personen (Pohler 2012). Besonders gut wird dieser Aspekt verdeutlicht bei der Trennung des Begriffs in seine Einzelbestandteile. Coworking beschreibt dabei das Miteinan-der-Arbeiten und Teil eines Netzwerkes zu sein. Der Space selbst beschreibt die Infrastruktur, innerhalb derer man miteinander arbeitet (Spinuzzi 2012).

Coworking Spaces lassen sich auch als eine Art „Third Space“ definieren. Oldenburg (1989) beschreibt die so bezeichneten Bereiche als soziale Umgebungen, die weder das Zuhause noch ein traditionelles Büro sind. Im Gegensatz zu anderen „Third Spaces“ (wie beispielsweise Gemeinschaftsbüros) haben Coworking Spaces das Ziel, den sozialen Austausch zu fördern. Manche Coworking Spaces stellen dafür spezielles Personal zur Verfügung. Diese „Hosts“ oder „Community Managers“ sind dafür verantwortlich eine Gemeinschaft („community“) zu gestalten, die für die Mitglieder des Coworking Spaces vorteilhaft sein kann (van Ostren 2011).

Coworking Spaces versuchen demnach, den Bedürfnissen der neu entstandenen flexiblen Arbeitskräfte zu entsprechen, indem sie gleichzeitig eine passende Arbeitsumgebung liefern sowie das Bedürfnis nach sozialer und beruflicher Zugehörigkeit befriedigen.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen98

Page 105: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

3.3.1 Daten und Fakten

In einer jährlichen Online-Erhebung ermittelt das Online-Magazin Deskmag (siehe ▶ Box) Fak-ten und Trends zu Coworking Spaces. Im Verlauf des Global Coworking Surveys werden Mitglie-der und BetreiberInnen von Coworking Spaces weltweit befragt. Im Jahr 2015/1016 gab es rund 8700 Coworking Spaces mit 510.000 Mitgliedern (siehe . Abb. 3.6 und 3.7). Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen („The 2017 Global Coworking Survey“, Deskmag 2017).

Die Ergebnisse der letzten Befragung (im Jahr 2015/2016, siehe Deskmag 2016) beschreiben unter anderem die Personengruppe, die weltweit in unterschiedlichen Coworking Spaces ar-

* Vorhersagen auf Basis des "Global Coworking Survey","Global Coworking Census" und jüngster Forschung

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2007 2009 2011 2013 2015*

. Abb. 3.6 Anzahl der weltweiten Coworking Spaces. (Deskmag 2016)

* Vorhersagen auf Basis des "Global Coworking Survey","Global Coworking Census" und jüngster Forschung

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. Abb. 3.7 Anzahl der weltweiten Mitglieder von Coworking Spaces. (Deskmag 2016)

99 33.3 • Coworking Spaces – eine Arbeitsumgebung für Selbstständige

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beitet. Diese sogenannten Mitglieder eines Coworking Spaces sind im Durchschnitt 35 Jahre alt. In etwa ist je ein Drittel dieser Mitglieder freiberuflich tätig (37 %), selbstständig (34 %) oder bei einer Organisation angestellt (34 %). Die Verteilung hat sich insbesondere in den letzten Jahren verändert. Frühere Erhebungen zeigten, dass Coworking Spaces hauptsächlich von Freiberufstätigen und Selbstständigen genutzt wurden. In den letzten Jahren jedoch wurden Arbeitsplätze in Coworking Spaces auch vermehrt von ArbeitnehmerInnen genutzt. Diejenigen ArbeitnehmerInnen, die einen Coworking Space als Arbeitsplatz wählen, zeichnen sich da-durch aus, dass sie selbst entscheiden können, wo sie arbeiten. In der Erhebung haben 46 % der ArbeitnehmerInnen, die in Coworking Spaces arbeiten, angegeben, dass sie immer ent-scheiden könnten, wo sie arbeiten (Antwortalternativen waren von immer bis nie). Bezüglich der Branche zeigte die Erhebung, dass Mitglieder eines Coworking Spaces meist im Bereich der Informationstechnologien arbeiten (20 %; Programmierer, Softwareentwicklung, Webent-wicklung). Weitere vertretene Branchen waren Beratung, PR, Marketing, Sales, Advertising und Design (Grafik, Web Product, Game).

Neben der Beschreibung der Mitglieder eines Coworking Space wurden auch Aspekte der Gestaltung der Coworking Spaces erfragt. Die Größe eines Coworking Spaces liegt im Durchschnitt bei 739 Quadratmetern. Die Analysen zeigten weiter, dass fast die Hälfte der Coworking Spaces (49 %) hauptsächlich aus einer großen freien Fläche (open space) bestehen. Dieser Großraumbürocharakter erlaubt es, flexibel Tische zu platzieren und die Kultur der Of-fenheit auch räumlich zu signalisieren. Der Rest der Coworking Spaces wählte eine Gestaltung mit Zellenbüros beziehungsweise privaten Büros (18 %) beziehungsweise eine Gestaltung mit Besprechungsräumen (17 %). Generell zeigte die Befragung, dass Mitglieder den fest zugeord-neten „eigenen“ Arbeitsplatz gegenüber dem flexiblen präferieren. Eine optimale Auslastung des Coworking Spaces ist wichtig, um ihn nachhaltig zu betreiben. In den Analysen zeigte sich, dass für Betreiber die Akquise von neuen Mitgliedern eine große Herausforderung darstellt (43 % der befragten Coworking-Space-Betreiber geben dies als Herausforderung an).

3.3.2 Typologien von Coworking Spaces

Coworking Spaces können überall auf der Welt von unterschiedlichen Personen gegründet und betrieben werden. Abhängig von den BetreiberInnen und der Klientel, die den Cowor-king Space nutzt, unterscheiden sich die Coworking Spaces in ihrer Gestaltung. Die derzeit

Deskmag Online Magazin

Das Online-Magazin Deskmag beschreibt sich selbst mit dem folgenden Statement (siehe Bereich „Über Uns“): „Die Räume, in denen wir täglich arbeiten, bestimmen die Ergebnisse unseres produktiven Schaffens, wie wir uns unseren Aufgaben stellen und ob wir mit diesem Teil unseres Lebens zufrieden sind. Bis vor kurzem diktierte die Bürokultur großer Unternehmen Form und Aussehen dieser Räume. Individuelle Anpassungen reduzierten sich auf das Verlegen von Wänden. Ob groß oder klein, der Rest blieb für alle gleich. Doch seit wenigen Jahren wächst die Zahl der Freiberufler, Auftragnehmer und kleinen Unternehmen. Ihre weiter steigende Zahl bietet ihnen die Gelegenheit, das Konzept ihrer Arbeitsräume für sich neu zu definieren. Deskmag ist das Magazin über neue Arbeitsformen und ihre Räume, wie sie aussehen, wie sie funktionieren, wie sie verbessert werden können und wie wir in ihnen arbeiten. Wir berichten dabei über Coworking Spaces, die der neuen Generation von Freiberuflern und kleinen Unternehmen eine neue Heimat geben. Deskmag ist das Magazin über Coworking, seine Menschen und Räume.“ (▶ http://www.deskmag.com)

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen100

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ca. 8700 Coworking Spaces differieren demnach in ihrer konkreten Umsetzung. Spinuzzi (2012) analysierte ein paar Spaces und unterschied zwischen sogenannten Community Workspaces, Unoffices und Federated Spaces.

Ein Community Work Space stellt Räumlichkeiten für eine Gruppe von Arbeitenden bereit. In diesen Räumlichkeiten können sie sich zwar auf ihre eigene Arbeit konzentrieren, müssen aber nun nicht mehr alleine arbeiten. Es geht hierbei nicht primär um die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitenden, sondern vielmehr darum, das eigene Arbeiten mit geeigneten Räumlichkeiten zu unterstützen. Demnach sind diese Räumlichkeiten eher ruhig gehalten, um konzentriertes Arbeiten zu unterstützen. Spinuzzi (2012) bezeichnet dies auch als „working alone together“. Beispielsweise ist ein Coworking Space denkbar, welcher in einer offenen Büro-umgebung Arbeitsplätze für Softwareentwickler einrichtet. Die Arbeitsplätze sind passend aus-gestattet. Es gibt keine Räumlichkeiten für sozialen Austausch oder Veranstaltungen.

Unter Unoffices beschreibt Spinuzzi (2012) flexible Arbeitsumgebungen, in denen auch die Möglichkeit zur Interaktion unter den Mitgliedern geboten wird. Interaktionen beinhalten bei-spielsweise den Austausch von Ideen oder Möglichkeiten, in geeigneten Besprechungsräumen Kunden zu begrüßen. Diskussionen, Austausch und Zusammenarbeit unter den Mitgliedern werden bewusst gefördert. Die WeWork-Büroumgebungen sind ein Beispiel dieser Unoffices. Diese Organisation wird in einer der Boxen detailliert beschrieben.

Im Endeffekt kommt in Federated Spaces der Interaktionsgedanke noch zentraler zum Tragen. Networking, Interaktion und Zusammenarbeit sind wichtige Komponenten dieser Art des Coworking Space. Konkrete Zusammenarbeit und Geschäftsbeziehungen unter den Mitgliedern werden aktiv gefördert, auch durch den Einsatz von speziell dafür bestimmtem Personal. Neben diesen beruflichen sozialen Beziehungen können auch Freundschaften ent-stehen. Zusätzlich zur Unterstützung des sozialen Austausches stehen Angebote zur Verfügung, durch gezielte Veranstaltungen oder Workshops die eigenen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Spinuzzi (2012) beschreibt diese Art des Coworking Space auch als „social hub“. Coworking Spaces, die innerhalb des Impact-Hub-Netzwerkes entstehen, können dieser Klassifizierung zugeordnet werden. Dieses Netzwerk ist in der ▶ Box detaillierter beschrieben.

? Aufgabe: Suchen Sie im Internet nach fünf Coworking Spaces in Ihrer Umgebung, und ver-suchen Sie dann, diese nach den Beschreibungen im Internet einem der von Spinuzzi (2012) formulierten Typen zuzuordnen. Wie eindeutig ist diese Zuordnung? Diskutieren Sie diese Zuordnung in der Gruppe.

WeWork

WeWork ist ein Unternehmen, das von Miguel McKelvey und Adam Neumann im Jahr 2010 gegründet wurde. WeWork ermöglicht das Arbeiten an 141 Bürostandorten in 34 Städten (Zahlen vom Januar 2017). Das Unternehmen mietet Büroflächen an und baut sie in Coworking Spaces um, in denen man Arbeits-plätze anmieten kann. Neben dem physischen Arbeitsplatz ist dem Unternehmen der Community-Ge-danke zentral. Die Mitglieder sollen sich als Teil eines größeren Netzwerks („We“) sehen. Der Arbeitsplatz soll Personen inspirieren und das Gefühl vermitteln, Teil einer globalen Community zu sein. Zusätzlich gibt es mehr als nur Serviceleistungen, wie beispielsweise Gratisgetränke (Kaffee, Tee, Wasser, Bier) und Früchte, um den Mitgliedern ihre Arbeit angenehmer zu gestalten. Außerdem werden als Serviceleis-tungen Sondertarife für Lieferungen, Kostenersparnisse bei Zahlungsabwicklungen oder Rabatte bei Personaldienstleistern angeboten. Es gibt drei Formen der Mitgliedschaft: WE-Mitgliedschaft, Hot Desk, beziehungsweise einen eigenen Schreibtisch oder privates Büro (▶ https://www.wework.com).

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3.3.3 Soziale Interaktionen in Coworking Spaces

Die Gründe, einen Coworking Space aufzusuchen, sind vielfältig. Vor der Registrierung bei einem Coworking Space war die Arbeitsumgebung bei vielen Mitgliedern das eigene Zuhause. Diese Arbeitsumgebung wird dann aus unterschiedlichen Gründen als nicht mehr optimal empfunden; beispielsweise erschwert das Arbeiten von Zuhause aus die Trennung zwischen Arbeitsleben und Privatleben – besonders, wenn auch andere Personen anwesend sind (Kinder, Partner, Eltern), ist eine Abgrenzung erschwert. Obwohl es Studien gibt, die zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Heimarbeit erleichtert wird, kann es dennoch durch die fehlende Trennung zu Unterbrechungen in den Arbeitsprozessen kommen. Ein weiteres Problem bei der Heimarbeit ist die soziale und berufliche Isolation (Bailey und Kurland 2002; Vega und Brennan 2000). Darunter versteht man eine Situation, bei der der Wunsch nach Unterstützung, Verständnis oder anderen sozialen beziehungsweise emotionalen Aspekten von Interaktionen zwischen Menschen nicht befriedigt wird (Taha und Caldwell 1993, S. 277). Dies sind nur zwei Beispiele für die Gründe, warum manche flexibel arbeitende Personen einen Coworking Space aufsuchen.

Innerhalb von drei Studien wurden Mitglieder von Coworking Spaces nach ihren Gründen für die Wahl dieser Arbeitsumgebung befragt. In . Tab. 3.5 sind diese Gründe gelistet bezie-hungsweise gegenübergestellt.

In der Erhebung von Deskmag, bei der Mitglieder aus Coworking Spaces weltweit befragt wurden, zeigte sich, dass Interaktionen mit anderen, die Einbindung in eine Gemeinschaft und eine soziale und angenehme Atmosphäre unter gleichgesinnten Personen die Hauptgründe darstellen. Durch die Interaktion mit anderen kommt es auch zu zufälligen Erkenntnissen, zu denen man vielleicht zu Hause oder im Kaffeehaus niemals gekommen wäre. Zudem waren noch die Infrastruktur der Arbeitsumgebung, eine gute Internetverbindung und die Nähe zum eigenen Wohnort relevant (Foertsch 2015).

Zu ähnlichen Gründen kam eine Erhebung von Gerdenitsch et al. (2016). In dieser Studie wurden Mitglieder europäischer Coworking Spaces befragt. Der Hauptgrund für deren Nut-zung waren wiederum soziale Interaktionen, gefolgt von Produktivität und Möglichkeit zum Networking. Zusätzlich wurden noch die Infrastruktur (Ausstattung des Coworking Space) und die Flexibilität genannt.

Spinuzzi (2012), der Spaces in den USA untersuchte, unterschied zwischen Vorteilen durch den Coworking Space an sich und Vorteilen durch die anderen Mitglieder im Coworking Space. Letztere waren Interaktionen, Feedback, Vertrauen, Lernen und Partnerschaften. Vorteile durch

Exkurs: Impact HUB

Impact Hub ist eine Innovationswerkstatt, ein Gründerzentrum beziehungsweise eine Begegnungs-stätte für UnternehmerInnen im sozialen Bereich. Weltweit gibt es 86 dieser Coworking Spaces mit mehr als 15.000 Mitgliedern, die soziale Innovation vorantreiben. Durch das Arbeiten in einem Impact Hub kann man, wie auch in anderen Coworking Spaces, bestimmte Ressourcen nutzen, bekommt aber auch Inspiration und die Möglichkeit der Zusammenarbeit. Ziel ist, UnternehmerInnen bestmöglich zu unter-stützen, sie zu vernetzen und zu inspirieren. Auf ihrer Homepage beschreibt die Vereinigung Impact Hub ihre Wertvorstellungen folgendermaßen: „We believe a better world evolves through the combined accomplishments of creative, committed, and compassionate individuals focused on a common purpose.“ Die Mitglieder sind auch international erfolgreich. In der Forbes 30-unter-30-Liste waren im Jahr 2016 sieben davon Mitglieder in einem Impact Hub (▶ http://www.impacthub.net/).

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen102

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. Tab. 3.5 Genannte Gründe, um einen Coworking Space aufzusuchen

Deskmag Coworking Survey, 2015/2016

Gerdenitsch et al. 2016*

Spinuzzi 2012

Interaktion mit anderen Soziale Inter-aktionen

Vorteile durch Mitglieder: InteraktionenFeedbackVertrauenLernenPartnerschaften

Gemeinschaft (Community) Produktivität

Soziale und angenehme Atmosphäre

Networking

Gleichgesinnte Personen Infrastruktur

Grundlegende Büro In-frastruktur

Flexibilität

Zufällige Erkenntnisse Vorteile durch die Räumlichkeiten:Räumlichkeiten, Design und ProfessionalitätFlexibilitätArbeitsergebnisse

Gute Internetverbindung

Nähe zum eigenen Wohnort

Sauberer Arbeitsplatz

Gute verkehrstechnische Anbindung

Gutes Preis-Leistung-Ver-hältnis

* Rangreihe – wichtigstes bis unwichtigstes

die Räumlichkeiten waren die Ausstattung und das Design der Räumlichkeiten, die dadurch transportierte Professionalität, die Flexibilität, mit denen Räumlichkeiten gebucht werden konnten, und die besseren Arbeitsergebnisse, die dadurch erzielt werden konnten.

Zusammengefasst zeigte sich durch die Erfragung der Gründe, dass neben den räumlichen Gegebenheiten die Interaktion mit anderen Mitgliedern im Coworking Space zentrale Gründe für die Wahl dieser Arbeitsumgebung sind. Die folgenden Beispiele verdeutlichen diese Gründe.

Anne ist Softwareentwicklerin und arbeitet als Selbstständige für unterschiedlichste Unternehmen. Sie wohnt in New York, USA, in einem kleinen Apartment. Da die Mieten für ein eigenes privates Büro zu teuer sind, hat sie sich halbtags einen fixen Schreibtisch in einem Coworking Space gemietet. In diesem Coworking Space sind hauptsächlich SoftwareentwicklerInnen eingemietet. Schon oft kam es zu der Situation, dass sie anderen bei Problemen mit Programmiercodes geholfen hat. Denn häufig findet jemand, der den Code nicht selbst geschrieben hat, Fehler viel schneller als man selbst. Es ist hilfreich, wenn es die Möglichkeit gibt, dass man jemand fragen kann, ob er/sie kurz Zeit hat, den Fehler

Beispiel | |

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zu suchen. Im Coworking Space kann Anne außerdem Besprechungen mit ihren Kunden in einem professionellen Rahmen abhalten und in Ruhe arbeiten.Bernd macht Social-Media-Marketing für eine internationale Agentur. In Berlin beschäftigt diese Agentur lediglich drei Personen, weswegen ein eigenes Bürogebäude zu teuer wäre. Bernd sitzt daher mit seinen anderen KollegInnen in einem örtlichen Coworking Space. Er arbeitet Vollzeit im Space und genießt die Atmosphäre dort. Zuvor haben die drei KollegInnen zu Hause gearbeitet und Besprechun-gen in Kaffeehäusern abgehalten. Die räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben erlebt Bernd als unterstützend, da ihn seine Online-Arbeit oft auch mit persönlichen und verletzenden Kommentaren konfrontiert. Daher ist es ihm wichtig, Distanz zu seiner Arbeit zu schaffen.Christina ist als Web- und Grafikdesignerin international tätig. Sie wohnt in Peking, ist aber häufig in Amerika und Europa bei Kunden. Christina ist daher häufig unterwegs und benötigt immer wieder an unterschiedlichen Örtlichkeiten einen Arbeitsplatz. Daher hat Christina einen WeWork-Account und bucht immer wieder flexible Arbeitsplätze an unterschiedlichen Orten. So kann sie die freie Zeit auch in fremden Städten nutzen und dort ihrer Arbeit nachgehen. Da Christina selbstständig ist und haupt-sächlich alleine arbeitet, ist es ihr wichtig, auch von anderen Personen/Arbeitenden umgeben zu sein.

3.3.3.1 Die „Community“: Das Erleben eines GemeinschaftsgefühlsIm vorigen Kapitel wurde beschrieben, dass die Möglichkeit für soziale Interaktionen inner-halb eines Coworking Spaces in der Entscheidung zur Wahl dieses Arbeitsorts eine wichtige Rolle für Mitglieder spielt. Es stellt sich nun die Frage, wie man eine Umgebung gestaltet, die besonders diese Interaktionen fördert. Hier scheint das Erschaffen einer Gemeinschaft als eine notwendige Vorbedingung. Diese Gemeinschaft – Community – bildet auch einen der zentralen beworbenen Werte rund um Coworking Spaces. Nur – was genau versteht man unter dieser Community in Coworking Spaces, und wie entsteht sie?

Garrett et al. (2014) untersuchten den Gemeinschaftssinn in Coworking Spaces. Durch die Analyse von Interviews, von ethnografischen Beobachtungen und von E-Mails wurden Dimensionen des Gemeinschaftssinnes beschrieben. Die AutorInnen fokussierten sich dabei auf einen einzigen Coworking Space. Außerdem haben sich die AutorInnen mit der Frage beschäftigt, wie durch die täglichen Interaktionen der Mitglieder des Coworking Space ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Der Gemeinschaftssinn in einem Coworking Space lässt sich durch die folgenden Aspekte beschreiben:1. Als Erstes wird dabei die kollektive Identität genannt. Durch das Arbeiten in den gleichen

Räumlichkeiten sind die Mitglieder miteinander verbunden. Das zeigt sich auch unter an-derem darin, dass Mitglieder Stolz verspüren, wenn „ihr“ Space in der Öffentlichkeit positiv erwähnt wird.

2. Ein weiterer Aspekt betrifft das Ausfüllen der sozialen Leere. Viele der Mitglieder von Co-working Spaces haben zuvor von Zuhause aus gearbeitet und unter dem Gefühl der sozialen Isolation gelitten. Das Umgebensein von anderen Menschen befriedigt ihr Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit. In dem untersuchten Coworking Space haben die Mitglieder Auf-gaben innerhalb des Coworking Spaces übernommen, bei denen sie für gewisse Dinge ver-antwortlich waren. Das führte zu einem Gefühl von Besitz und Verantwortlichkeit bezüglich des Coworking Space.

3. Ein letzter Aspekt des Gemeinschaftsgefühls sind Freundschaften. Mitglieder eines Cowor-king Space beschreiben, dass sie innerhalb des Space authentisch – sie selbst – sein können. Im Gegensatz zu KollegInnen innerhalb eines organisationalen Settings gibt es unter den Mitgliedern eines Coworking Space keine Hierarchien oder Abhängigkeiten. Es gibt auch keine Geschäftsführung oder eine andere Autorität, die Ressourcen verteilt. Daher ist ein authentisches Auftreten innerhalb des Coworking Space gut möglich. Die Mitglieder be-

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schreiben zudem, dass sich dadurch enge Freundschaften entwickeln. Man teilt auch das persönliche Leben miteinander (Garrett et al. 2017).

Garrett et al. (2017) argumentieren weiter, dass es beim Erleben einer Gemeinschaft mehr darum geht, diese Gemeinschaft aktiv mitzugestalten. Mitglieder kommen in einem Coworking Space weniger in eine bestehende Gemeinschaft mit vordefinierten Werten, sondern gestalten diese durch Interaktionen selbst aktiv mit. Hierbei werden drei zentrale kollektive Aktivitäts- beziehungsweise Interaktionspfade beschrieben, die dazu führen, dass sich ein Gemeinschafts-gefühl entwickelt: die Wahrnehmung der Gemeinschaft und deren Befürwortung, das Lernen der Gemeinschaftsnormen durch Begegnungen und das Erleben des Gemeinschaftsgefühls durch die aktive Beteiligung.

3.3.3.1.1 Befürwortung (Endorsing Pathway)Wenn Personen beginnen, in einem Coworking Space zu arbeiten, haben sie noch keine starken Beziehungen zu den anderen Mitgliedern im Coworking Space. Im erwähnten Fall (wie auch üblich) werden die neuen Mitglieder durch die Räumlichkeiten geführt und ihnen der Coworking Space und auch zusätzlich organisierte Veranstaltungen erklärt. Dies ge-schieht durch „Hosts“ oder „Community Managers“, die dann auch für Fragen zur Verfügung stehen. Hier entsteht ein erster Eindruck von der Community, die im Coworking Space vorhanden ist.

> „Hosts“ oder „Community Managers“ sind dafür verantwortlich, eine Gemeinschaft zu gestalten, die für die Mitglieder des Coworking Spaces vorteilhaft sein kann (van Ostren 2011). Die Hosts integrieren neue Mitglieder in die bestehende Gemeinschaft oder vernetzen – mithilfe ihrer Kenntnisse über die Mitglieder und derer Kompeten-zen – Mitglieder untereinander. Neben diesen Vernetzungstätigkeiten organisieren sie Workshops und Veranstaltungen.

Die AutorInnen beschreiben, dass immer, wenn neue Mitglieder herumgeführt werden und die aktuelle Gemeinschaft beschrieben wird, der Wunsch nach der Gemeinschaft beziehungsweise die Vision dazu verstärkt und geformt wird. Wie schon zuvor im ▶ Abschn. 3.3.3 beschrieben, suchen Personen Coworking Spaces auf, weil sie ein Gefühl von Isolation erlebt haben. Der Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein, wird mit den aktuellen Mitgliedern des Coworking Spaces geteilt und bringt die Mitglieder zusammen. Das kollektive Gutheißen der Gemeinschaft beziehungsweise des Wertes einer Gemeinschaft formt das Erleben einer Gemeinschaft (Garrett et al. 2017).

3.3.3.1.2 Begegnungen (Encountering Pathway)Die AutorInnen beschreiben, wenn man Mitglieder nach den Vorteilen der Community befragt, dass sie häufig die Möglichkeit zu Interaktionen, Teilnahme an sozialen Veranstaltungen, die Zusammenarbeit und die Möglichkeit zur Vernetzung nennen. Auch die emotionale Unter-stützung wird angeführt. Interessanterweise werden diese Aspekte genannt, auch ohne dass diese Angebote jeweils tatsächlich in Anspruch genommen werden. Es gibt Mitglieder in Co-working Spaces, die eher aktiver, und andere, die passiver sind. Beide Typen haben jedoch das Empfinden, Teil der Gemeinschaft zu sein. Zu Beginn werden soziale Normen durch Beobach-tung erkannt: Die Mitglieder gewinnen ein Verständnis dafür, was es bedeutet, Mitglied in der Gemeinschaft zu sein. Zudem sind Mitglieder in einem Coworking Space meist mit ähnlichen

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Herausforderungen konfrontiert. Diese betreffen ihre mobile Arbeitsweise, die beispielsweise zu den Arbeitsanforderungen ständiger Erreichbarkeit oder durchlässigeren Abtrennung zwischen Arbeit und Privatleben führt. Neue Mitglieder können wahrnehmen, wie sich aktuelle Mit-glieder bei diesen Herausforderungen gegenseitig unterstützen, und so erkennen, dass dies auch für sie möglich sein kann. Wenn man Gemeinsamkeiten ausmacht, führt das zu dem Gefühl, sich in einer Gemeinschaft von ähnlich Denkenden zu befinden. Jede Gemeinsamkeit, die man erkennt, stärkt den Gemeinschaftssinn. Letztendlich erkennen Mitglieder das Potenzial, das die Gemeinschaft bietet. Durch Anfragen beispielsweise via Mailverteiler bekommen neue Mitglieder mit, welche Fragen man stellen kann und zu welchen Bereichen man Unterstützung finden kann. Demnach können sich Mitglieder Szenarien vorstellen, in denen die Gemeinschaft unterstützend sein kann. Im untersuchten Coworking Space wurden solche Anfragen oft über den allgemeinen Mailverteiler versendet. Der Gemeinschaftssinn kann also dadurch entstehen, dass Mitglieder durch Begegnungen das Potenzial der Gemeinschaft beobachten und erkennen (Garrett et al. 2017).

3.3.3.1.3 Beteiligung (Engaging Pathway)Das aktive Engagement einzelner Mitglieder innerhalb der Gemeinschaft repräsentiert die Art und Weise, wie sich Mitglieder die Gemeinschaft vorstellen. Es gibt unterschiedliche Formen von Engagement innerhalb der Gemeinschaft. Die AutorInnen beschreiben, dass im unter-suchten Coworking Space die Mitglieder gemeinsame Routinen entwickelt haben. Dazu ge-hört u. a. auch Folgendes: der Ort, an dem man sitzt beziehungsweise neben wem man sitzt, mit wem man einen Kaffee trinken geht oder sonstige Pausen verbringt. Die Mitglieder ent-scheiden selbst, mit welchen KollegInnen sie diese Aktivitäten verfolgen beziehungsweise wie häufig sie an diesen Aktivitäten teilnehmen. Dieses Involviertsein hat auch einen persönlich bedeutsamen Charakter. Eine andere Form des Engagements stellt die Teilnahme an sozialen Events dar. Dies betrifft sowohl formelle als auch informelle Veranstaltungen. Besonders in informellen Veranstaltungen können Beziehungen entstehen, die sich über den beruflichen Kontext hinaus zu Freundschaften entwickeln. Die Beziehung zwischen Mitgliedern ging also auch über das berufliche nebeneinander Arbeiten hinaus. Das selbstbestimmte persönliche Involviertsein schlägt sich auch in den Verantwortlichkeiten, die übernommen werden, nieder. Da die Übernahme solcher Aufgaben nicht zwingend ist, sind diejenigen, die sich freiwillig engagieren, persönlich involviert und dadurch stärker an die Gemeinschaft gebunden (Garrett et al. 2017).

Garrett et al. (2017) nehmen an, dass diese drei beschriebenen Pfade ineinander übergehen können beziehungsweise sich gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise wird die Vision eines Gemeinschaftssinnes beziehungsweise das kollektive Bedürfnis danach durch das aktive En-gagement im Coworking Space beeinflusst. Außerdem beschreiben die AutorInnen, dass die Gemeinschaft eine flexible Kultur repräsentiert, die sich je nach Mitgliedern, deren Engagement und deren Wünschen verändern kann. In ihrer Studie haben die AutorInnen zum Verständnis der Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls in einem Coworking Space beigetragen. Hier ist noch zu erwähnen, dass lediglich ein Coworking Space untersucht wurde und daher die Ge-neralisierung auf alle Coworking Spaces nur begrenzt möglich ist.

3.3.3.2 Soziale Interaktionen als ArbeitsressourceIn Coworking Spaces finden Arbeitende die Möglichkeit zur sozialen Interaktion. Hier kön-nen sie – abhängig vom Typ des Coworking Space und des eigenen Engagements – mehr oder weniger intensiv in Interaktion mit anderen Mitgliedern des Coworking Space treten. Diese

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Interaktion beziehungsweise die Möglichkeit zur Interaktion kann als sogenannte Arbeitsres-source klassifiziert werden. In der Arbeits- und Organisationspsychologie unterscheidet man im Hinblick auf Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitsressourcen und Arbeitsanforderungen (siehe ▶ Exkurs). Arbeitsanforderungen können belastend wirken, Arbeitsressourcen hingegen unterstützend. Zeitdruck ist ein Beispiel für eine Arbeitsanforderung, Autonomie oder soziale Unterstützung sind Beispiele für Arbeitsressourcen (Bakker und Demerouti 2007; Demerouti et al. 2001).

Interaktionen als Arbeitsressource können demnach unterstützend und motivierend wir-ken. Aber nicht nur die Interaktion allgemein kann unterstützend wirken: Wie in Beispielen weiter oben beschrieben wurde, ist auch unmittelbare Unterstützung zwischen einzelnen Mit-gliedern eines Coworking Space möglich. Gerdenitsch et al. (2016) haben soziale Interaktionen in österreichischen Coworking Spaces genauer analysiert. Sie gingen dabei der Frage nach, in welchen Formen Interaktionen zwischen Mitgliedern in Coworking Spaces stattfinden.

Die AutorInnen haben 69 Mitglieder von Coworking Spaces nach Interaktionen befragt; sie sollten retrospektiv mindestens drei soziale Interaktionen beschreiben. Um einer Variabilität in der Qualität und Dauer der Interaktionen Rechnung zu tragen und zwischen ihnen zu differen-zieren, wurden die Befragten gebeten, mindestens eine kurze, eine mittellange und eine länger andauernde Interaktion zu beschreiben. Diese Situationsbeschreibungen wurden in Kategorien klassifiziert. Insgesamt wurden 178 Situationsbeschreibungen erhoben, die in vier Kategorien fallen: direkte Unterstützung durch Austausch von Informationen, direkte instrumentelle Unter-stützung, informelle Interaktionen, Zusammenarbeit (. Abb. 3.8).

Eine Kategorie umfasst Situationen, in denen eine direkte soziale Unterstützung zwischen den Mitgliedern von Coworking Spaces beschrieben wird. Dabei tauschen sich Mitglieder über arbeitsbezogene Inhalte aus. Dieser Austausch findet beispielsweise bei einem gemein-samen Mittagessen oder bei gemeinsamen Kaffeepausen statt. Neben diesem informellen Zusammenkommen findet dieser Informationsaustausch aber auch bei formellen Veranstal-tungen statt, die vom Coworking Space selbst organisiert wurden. Durch die Unterhaltung über das eigene Unternehmen und Entwicklungen in seinem Kontext können auch Koope-rationen entstehen.

. Abb. 3.8 For-men sozialer Inter-aktionen zwischen Mitgliedern von Coworking Spaces

BeiläufigeInteraktionenDirekte

Unterstützung –Austausch vonInformationen

Zusammen-arbeit

DirekteinstrumentelleUnterstützung

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Andere Interaktionen in Coworking Spaces lassen sich als instrumentelle Unterstützung klas-sifizieren. Unter instrumenteller Unterstützung versteht man direkte Unterstützung zwischen Mitgliedern. Diese direkte Unterstützung kann in Form von Feedback, gemeinsamer Ideen-findung oder gegenseitigem Coaching stattfinden.

Beispiel | |

Erinnern wir uns an das Fallbeispiel zu Beginn des Kapitels. Lotte, die selbstständige Grafikerin, arbeitet nun in einem Coworking Space. In dem Coworking Space arbeiten mehrere Selbstständige, die im Bereich Grafik und Webentwicklung tätig sind. Sie treffen sich täglich zum gemeinsamen Mittagessen und tauschen sich dabei über Privates sowie Berufliches aus. Lotte bringt bei diesen Mittagessen Infor-mationen über neue Trends und Entwicklungen im Grafik Bereich ein. In letzter Zeit hat sie sich über ein neues Grafikprogramm, dessen eventuelle Anschaffung und den Umgang damit unterhalten. Sie wird nun gemeinsam mit einer anderen Grafikerin eine Probeversion des Programms anschaffen. Die Kosten werden geteilt.

Exkurs: Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen

Das Job Demands-Resources-(JD-R-)Modell (Bakker und Demerouti 2007; Demerouti et al. 2001) be-schreibt die Entstehung von Burn-out und Arbeitsengagement. Im Modell wird angenommen, dass es unterschiedliche Faktoren gibt, die beziehungsweise deren Zusammenspiel Burnout und Arbeitsenga-gement prognostizierbar machen. Diese Faktoren lassen sich in zwei generelle Kategorien differenzie-ren: Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen.Als Arbeitsanforderungen gelten Aspekte der Arbeit, die zu Stress führen können, insbesondere dann, wenn sie die Anpassungskapazitäten der Arbeitenden übersteigen. Konkret definieren die AutorInnen Arbeitsanforderungen als jene physischen, sozialen oder organisationalen Aspekte der Arbeit, die An-strengung (physisch und/oder psychisch) erfordern. Beispiele für Arbeitsanforderungen sind Zeitdruck, Arbeitsauslastung, emotionale Anforderungen oder Probleme mit der technischen Ausstattung bei der Arbeit. Arbeitsanforderungen können stressauslösend wirken.Den Arbeitsanforderungen stehen Arbeitsressourcen gegenüber. Unter Arbeitsressourcen werden jene physischen, psychischen, sozialen und organisationalen Aspekte von Arbeit definiert, die einen oder mehrere der folgenden drei Bereiche betreffen: (i) wenn die Kosten, die Arbeitsanforderungen verursa-chen, reduziert werden, (ii) wenn die Aspekte der Zielerreichung dienen und (iii) wenn das persönliche Wachstum, Lernen oder die Entwicklung gefördert wird. Beispiele für Arbeitsressourcen sind Autonomie und soziale Unterstützung durch KollegInnen oder Vorgesetzte.Es werden nun zwei psychologische Prozesse angenommen: Der gesundheitsschädigende Prozess zeigt, dass Arbeitsanforderungen zu Erschöpfung und Stress führen können, was langfristig negative Auswirkungen hat. Beispielsweise kann erhöhter Zeitdruck über einen langen Zeitraum hinweg mehr Krankenstandstage zur Folge haben. Der motivationale Prozess beschreibt, dass Arbeitsressourcen zu größerer Motivation führen. Längerfristig sind wünschenswerte organisationale Konsequenzen möglich. Beispielsweise führt vermehrte Autonomie zu stärkerer Motivation und langfristig zu mehr Leistung. Neben diesen zwei direkten psychologischen Prozessen werden auch Interaktionsprozesse angenommen. Arbeitsressourcen können demnach den direkten Effekt von Arbeitsanforderungen auf Erschöpfung und Stress abpuffern. Andererseits kann die motivationale Wirkung von Arbeitsressourcen verstärkt werden, wenn Arbeitsanforderungen hoch sind.

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Neben den berufsbezogenen Interaktionen besteht auch ein hoher Anteil an sozialen Interaktio-nen informeller Art. Mitglieder beschreiben, dass sie andere Mitglieder zufällig treffen, kurz grü-ßen oder an der Kaffeemaschine kurz miteinander sprechen. Man tauscht sich über Neuigkeiten aus oder einfach über das Wetter. Die Mitglieder geben aber auch an, dass diese Interaktionen tiefer gehen können und dann auch von längerer Dauer sein können. Beispielsweise beschreiben sie, dass man abends noch etwas trinken geht oder gemeinsam sportlichen Aktivitäten nachgeht und sich dabei dann über die Arbeit, aber auch über Privates und Emotionales austauscht.

Letztendlich berichten Mitglieder von Coworking Spaces von direkter Zusammenarbeit an beruflichen Projekten miteinander. Diese Zusammenarbeit kann bezahlt stattfinden, indem man einen Auftrag an ein anderes Mitglied weitergibt beziehungsweise diese Person für die Ar-beit im eigenen Unternehmen/Projekt anstellt. Zusammenarbeit kann aber auch über bezahlte Projekte hinausgehen. Beispielsweise berichten Mitglieder, dass sie gemeinsam an der Entwick-lung von Projektideen arbeiten.

Beispiel | |

Lotte arbeitet nun bereits seit längerem in dem Coworking Space und kennt daher auch schon einige der anderen selbstständigen GrafikerInnen. Als Selbstständige befindet sich Lotte häufig in der Situa-tion, dass sie ihre grafischen Entwürfe ohne Feedback von anderen direkt an den Kunden weitergibt. Dies ist insbesondere bei jenen Projekten ein Problem für sie, in denen sie sich bezüglich ihrer Arbeits-leistung unsicher fühlt und gerne die Meinung andere Personen zu ihren Entwürfen hören würde. Früher hat Lotte in diesen Situationen Freunde um Feedback gebeten. Lotte möchte ihre Freunde aber nicht zu häufig für ihre beruflichen Anliegen beanspruchen. Seit Lotte im Coworking Space arbeitet, hat sie begonnen, auch andere Mitglieder dort um Feedback zu bitten. Mit der Zeit hat sich das so entwickelt, dass sie berufliches Feedback und Austausch mit zwei anderen Grafikern pflegt. Lotte erlebt dieses Feedback als sehr bereichernd für die Qualität und Innovativität ihrer Arbeit, da sie sich unter anderem auch sicherer dabei ist, gestalterisch neue Dinge auszuprobieren. Da dies als ein gegen-seitiges Geben und Nehmen abläuft, hat Lotte auch kein schlechtes Gewissen, die Zeit von anderen zu

beanspruchen.

Beispiel | |

Einen Vorteil, den Lotte im Coworking Space sieht, ist die tägliche Interaktion mit Menschen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie sich jeden Tag mit jemandem länger unterhalten möchte, sondern dass grundsätzlich die Möglichkeit zum Kontakt besteht. Lotte beginnt ihren Tag im Coworking Space damit, dass sie sich eine Kanne Tee in der Kaffeeküche zubereitet. Mitglieder gehen bei ihrer Ankunft im Coworking Space an der Kaffeeküche vorbei, und man grüßt sich gegenseitig. Lotte mag das Gefühl, mit

anderen Personen gleichzeitig den Arbeitstag zu starten und sich gegenseitig dabei zu begrüßen.

Beispiel | |

Lotte hat Zeiten, in denen sie viele Aufträge von ihren Kunden gleichzeitig bekommt. Früher hat sie in diesen Phasen manchen Kunden absagen müssen, was wenig förderlich für die langfristige Kunden-bindung war. Seit sie im Coworking Space arbeitet und auch hier mit anderen GrafikerInnen kooperiert, gibt sie manchmal Aufträge weiter beziehungsweise übernimmt nur die Qualitätssicherung dafür. Dieser flexible Zugriff auf andere Ressourcen ist für ihre Kundenbindung förderlich. Auf der anderen

Seite erhält sie auch von anderen Grafikern Kontakte und Aufträge, wenn diese selbst ausgelastet sind.

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Die beschriebenen sozialen Interaktionen, die in Coworking Spaces stattfinden, sind in ihrer Dauer und Form unterschiedlich. Die sozialen Interaktionen innerhalb der ersten beiden Kategorien (direkte soziale Unterstützung durch den Austausch von Informationen und in-strumentelle Unterstützung) lassen sich dabei als soziale Unterstützung interpretieren. Soziale Unterstützung wird in der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Arbeits- und Orga-nisationspsychologie als eine Arbeitsbedingung klassifiziert, die für Motivation und Produk-tivität unterstützend wirkt. Soziale Unterstützung beschreibt einen Austausch von Ressourcen zwischen mindestens zwei Personen, bei der der Versuch, sich gegenseitig zu helfen, sich zu unterstützen, zentral ist (House et al. 1988).

Soziale Unterstützung kann direkt durch Aktionen geschehen, emotional zur Verfügung stehen, aber auch durch Bestätigung oder Feedback (House et al. 1988; Kahn und Antonucci 1980). Der Effekt von arbeitsbezogener sozialer Unterstützung auf Wohlbefinden und Pro-duktivität wurde bisher in einigen Studien untersucht (z. B. Baruch-Feldman et al. 2002; Osca et al. 2005; Searle et al. 2001). Meist wurden dabei die Unterstützung von KollegInnen oder Vorgesetzten betrachtet. Wie zuvor anhand der Kategorien sozialer Interaktionen beschrieben, gibt es im Kontext von Coworking Spaces auch die Fälle, in denen sich Mitglieder im Coworking Space gegenseitig Unterstützung geben. Demnach repräsentieren sie eine potenzielle Quelle von sozialer Unterstützung, die es ohne Coworking Spaces nicht gäbe. Besonders für Personen in flexiblen Arbeitsformen ist diese Art der Unterstützung relevant.

Definition

Soziale Unterstützung besteht, wenn eine soziale Interaktion stattfindet, die für beide inter-agierenden Parteien vorteilhaft ist (Shinn et al. 1984). Es kommt zu einem Austausch von Ressourcen zwischen diesen beiden Parteien beziehungsweise Personen. Eine Person, die Unterstützung gibt, versucht, der anderen, die diese erhält, zu helfen (House et al. 1988). Es werden drei Aspekte von sozialer Unterstützung angenommen: Direkte soziale Unter-stützung beschreibt den Austausch von Informationen oder instrumentelle Unterstützung. Affektive oder emotionale Unterstützung beschreibt die Sympathie oder die Bewunderung anderen gegenüber. Bestätigung beschreibt die Affirmation einer Person oder deren Handelns, die im Hinblick auf die Verhaltensweisen oder die Aussagen (House et al. 1988; Kahn und Antonucci 1980) ausgedrückt wird.

3.3.3.3 Förderung sozialer UnterstützungGrundsätzlich kann man davon ausgehen, dass soziale Unterstützung, die in einem Coworking Space erfahrbar ist, einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden und die Produktivität von Arbeitenden hat. Bisherige Studien konnten zeigen, dass soziale Unterstützung beispielsweise bei negativen Auswirkungen von Stressoren auf die Gesundheit als Puffer wirken kann (Cohen und Wills 1985; Rhoades und Eisenberger 2002). So kann hoher Zeitdruck über längere Zeit hinweg dazu führen, dass sich Arbeitende emotional erschöpft fühlen. Konsequenzen wie Burn-out oder Kündigung sind dann denkbar. Der negative Einfluss von Zeitdruck auf Erschöpfung kann vermindert beziehungsweise abgepuffert werden, wenn diese Arbeitenden durch ihre KollegInnen und Vorgesetzten oder durch ihre Freunde und Familie Unterstützung erfahren. Ein weiterer Effekt ist ein direkter positiver Effekt auf Wohlbefinden und Produktivität. Dieser Effekt wurde von Gerdenitsch et al. (2016) untersucht. Die AutorInnen haben dabei zwei Stich-proben erhoben, wobei eine aus Mitgliedern aus Coworking Spaces bestand (154 Personen), die

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andere aus Angestellten von Organisationen (609 Personen). Die AutorInnen analysierten dabei den direkten Effekt von sozialer Unterstützung auf Produktivität. Dabei haben sie die Effekte der beiden Stichproben kontrastiert.

In einem Coworking Space wird soziale Unterstützung durch die BetreiberInnen oder andere Mitglieder des Coworking Spaces gewährt. In einer organisationalen Umgebung re-präsentieren KollegInnen eine vergleichbare Quelle von sozialer Unterstützung. Zwar gibt es im organisationalen Kontext auch Vorgesetzte, die soziale Unterstützung liefern können, diese sind jedoch in Coworking Spaces oft nicht zu finden, da hier viele Selbstständige arbeiten.

Basierend auf vorhandenen Studien gingen die AutorInnen davon aus, dass das Erleben sozialer Unterstützung positiv auf die wahrgenommene Leistung wirkt (siehe auch Baruch-Feldman et al. 2002; Osca et al. 2005; Searle et al. 2001). Sie haben hierbei die Zufriedenheit mit der Leistung gemessen. Der angenommene positive Effekt konnte sowohl für die Stichprobe der angestellten Arbeitenden als auch der Personen, die in einem Coworking Space arbeiten, bestätigt werden. Demnach wirkt die Unterstützung, die durch KollegInnen im traditionellen Organisationskontext erlebt wird, ähnlich wie die Unterstützung, die von Mitgliedern im Co-working Space ausgeht.

In einem weiteren Schritt gingen die AutorInnen der Frage nach, wie dieser positive Effekt zu erklären ist. Warum hat die Wahrnehmung von sozialer Unterstützung einen positiven Einfluss auf die Leistung? Das Erleben von sozialer Unterstützung kann beispielsweise dazu führen, dass man weniger Zweifel an der eigenen Kompetenz hat. Durch die Interaktion und das Feedback durch andere kann das Gefühl gestärkt werden, dass man auch mit schwierigen Situationen umgehen kann. Unter Selbstwirksamkeitserwartung wird der Glaube an die eigene Leistungsfähigkeit beschrieben (Bandura 1977).

Definition

Selbstwirksamkeitserwartung ist ein psychologisches Konzept, das von Albert Bandura beschrieben worden ist. Unter Selbstwirksamkeitserwartung versteht man die Erwartung einer Person, selbstständig und aufgrund der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen Handlungen erfolgreich ausführen zu können. Personen mit hoher Selbstwirksamkeits-erwartung sind dadurch charakterisiert, dass sie daran glauben, auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können (Bandura 1977).

Im Kontext einer Organisation ist denkbar, dass man beispielsweise durch die Unterstützung von KollegInnen, die schon mit einem ähnlichen Problem konfrontiert waren, einerseits wich-tige Informationen und Tipps, andererseits auch ein Verständnis für die eigene Situation erhält. Dadurch können sich Arbeitende sicherer fühlen, die schwierige Situation selbst zu meistern. In Coworking Spaces kann man mit anderen Mitgliedern in Kontakt kommen, mit denen man sich aufgrund der ähnlichen Situation identifiziert. So können sich beispielsweise Personen, die zur gleichen Zeit ein Unternehmen gründen, gegenseitig relevante Informationen weitergeben und einander in diesem Prozess emotional unterstützen. Dadurch kann sich die Erwartung, dass man die Herausforderung selbst meistern kann, erhöhen.

Die Ergebnisse der Studie bestätigten den Wirkungsprozess über Selbstwirksamkeitserwar-tung für den organisationalen Kontext, nicht aber für den Coworking-Space-Kontext. Für die Stichprobe der im Coworking Space Arbeitenden zeigte sich dieser Wirkungsprozess nur für jene Personen, die einen hohen Zeitdruck erlebten (Gerdenitsch et al. 2016). Eine Erklärungs-

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möglichkeit dafür ist, dass Mitglieder in einem Coworking Space unter Zeitdruck eher aktiv nach sozialer Unterstützung suchen, diese sozusagen aktivieren (siehe auch Eckenrode 1983; Stephens und Long 2000).

Zusammengefasst zeigt sich, dass in Coworking Spaces und in einem traditionellen Or-ganisationskontext Quellen von sozialer Unterstützung zu finden sind. Die Ergebnisse der Studie deuten jedoch darauf hin, dass die bewusste Aktivierung von sozialer Unterstützung in Coworking Spaces notwendig ist. Anders als in einem organisationalen Kontext muss man sich als Mitglied eines Coworking Space aktiver um die Bildung eines sozialen Netzwerkes kümmern. Denn man wird nicht in ein bestehendes Team oder einen bestehenden Bereich mit Vorgesetzten und MitarbeiterInnen integriert. Durch informelle Interaktionen und Teil-nahme an Veranstaltungen innerhalb des Coworking Space lassen sich Kontakte knüpfen, die sich dann mit der Zeit intensivieren lassen. Erst wenn man die Kompetenzen der anderen Mitglieder des Coworking Spaces kennt und insoweit eine Beziehung aufgebaut hat, dass man sich bei Problemen und Fragen an sie richten möchte und kann, lässt sich die Ressource der Unterstützung gut nutzen. Die Hemmschwelle, auf jemanden zuzugehen und ihn/sie um Hilfe zu bitten, kann bei hohem Zeitdruck niedriger sein. Um Mitglieder eines Coworking Space bei genau diesem Austausch zu unterstützen, sind auch die zuvor beschriebenen „Community Managers“ oder „Hosts“ gedacht. Diese stellen neue Mitglieder vor und können sie in die be-stehende Gemeinschaft integrieren. Zudem können sie aufgrund ihrer Kenntnisse über die Mitglieder und deren Kompetenzen Mitglieder besser untereinander vernetzen. Beispielsweise kann man an einen Host herantreten und ihn fragen, ob es im Coworking Space Mitglieder mit Kenntnissen zu bestimmten Themen gibt. Neben diesen Vernetzungstätigkeiten organisieren Hosts auch Workshops und Veranstaltungen, an denen die Mitglieder des Coworking Space (beziehungsweise auch Personen außerhalb des Coworking Space) teilnehmen können. Somit lernen sich die Mitglieder auch in einem beruflichen Kontext besser kennen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl es zu Beginn vielleicht mehr Aufwand und Energie erfordert, ein soziales Netzwerk aufzubauen, von dem man Unterstützung erhält, kann ein Coworking Space auch eine sozial unterstützende Umgebung für die Gruppe digital flexibel arbeitender Menschen sein.

Coworking Spaces – Treiber und Konsequenz einer veränderten ArbeitsweltAuf den letzten Seiten wurden Coworking Spaces als Büroumgebungen für Selbstständige, Frei-berufler und flexibel arbeitende Angestellte beschrieben, von denen es weltweit immer mehr gibt. Aber was macht die Faszination von Coworking Spaces aus?

Einerseits scheint es, als ob diese Art der Büroumgebung genau für die Bedürfnisse bestimmter Arbeitskräfte geschaffen ist. Digital Arbeitende benötigen einen Arbeitsplatz, den sie flexibel nutzen können. Durch unterschiedlichste Tarife können sie je nach Bedarf einen Arbeitsplatz nutzen. Auch das Design des Arbeitsplatzes ist auf die Bedürfnisse dieser Arbeitsgruppe abgestimmt. Prestigeträchtige Einzelbüros mit großen Schreibtischen und vielen Ablagemöglichkeiten sind weniger wichtig als gutes Internet sowie Arbeitsbereiche für Besprechungen und Ideenaustausch. Coworking Spaces müssen in der Gestaltung auch den Bedürfnissen der Mitglieder entsprechen. Der Coworking Space selbst kann als Unternehmen mit Mitgliedern als zahlenden KundInnen gesehen werden. Diesen Kunden exakt die Arbeitsumgebung zu bieten, die sie optimal bei deren Arbeit unterstützt und die sie als angenehm empfinden, ist wichtig, wenn man den Coworking Space auch langfristig erfolgreich betreiben will. Demnach müssen sich die BetreiberInnen intensiv damit auseinandersetzen, was ihre Mitglieder benötigen. Dieser Ansatz ist somit anders als jener in einem Unternehmen, in dem die Angestellten vom Unternehmen bezahlt werden und eine Arbeitsumgebung zur Verfügung gestellt bekommen.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen112

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Bei der Bewegung rund um Coworking Spaces geht es aber nicht nur um Räumlichkeiten. Diese Bewegung teilt gewisse Werte, die beschreiben, wie Arbeit gestaltet sein sollte. Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaftsgedanke (die Community), Erreichbarkeit und Nachhaltigkeit sind dabei die zentralen Schlagworte. Coworking Spaces sind auch besonders in der Gründerszene (Start-up-Szene) ein beliebter Arbeitsplatz. Denn viele Coworking Spaces bieten Hilfestellung (durch Workshops) für JungunternehmerInnen, die besonders in der Anfangszeit Unterstützung und einen flexiblen Arbeitsplatz benötigen. Manche Coworking Spaces verstehen sich auch als Ideen-Hub – als Zentrum, in dem neue Ideen für Unternehmensgründungen entstehen. Beispielsweise fördert das Impact-Hub-Netzwerk, das Coworking Spaces an verschiedenen Orten der Welt betreibt, soziales Unter-nehmertum. In dem Sinne können Coworking Spaces einen wesentlichen volkswirtschaftlichen Beitrag leisten. Dieser Innovationsgedanke stößt auch vermehrt auf Interesse in Organisationen, sodass in Zukunft auch verstärkt Kooperationen denkbar sind. Einerseits könnten Unternehmen vermehrt Coworking Spaces für temporäre Projekte nutzen, andererseits kann hier eine Vernetzung zwischen Start-ups und großen Industriekonzernen erfolgen.

Die Entstehung von Coworking Spaces kann als Konsequenz der strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt gesehen werden. Dadurch, dass es zunehmend mehr digital und flexibel Arbeitende gibt, benötigen sie auch eine passende Arbeitsumgebung, die sie in Gestalt von Coworking Spaces vorfinden. Andererseits beeinflusst umgekehrt die Entstehung von Coworking Spaces auch die gesellschaftliche Diskussion darüber, wie Arbeitsplätze gestaltet werden sollen. Daraus können sich auch Ansprüche an Arbeitsräume in traditionellen Unternehmen ergeben. Insofern treibt die Ent-stehung rund um Coworking Spaces auch ein verändertes Denken über die Gestaltung von Arbeit und der räumlichen Arbeitsumgebung voran.

3.4 Fazit: Räumlichkeiten für WissensarbeiterInnen

Nach den Beschreibungen über aktivitätsbasierte flexible Büroumgebungen und Coworking Spaces stellt sich die Frage, ob traditionelle Büroumgebungen nicht mehr zeitgemäß sind beziehungsweise ausgedient haben. Es stellt sich weiterhin die Frage: Wie soll die physische Arbeitsumgebung für WissensarbeiterInnen in Zukunft gestaltet sein? Die Antwort darauf ist nicht eindeutig. Wie bisher in diesem Kapitel beschrieben, gibt es unterschiedliche Arbeitsplatz-konzepte, die aber nicht für jeden Arbeitenden gleichermaßen geeignet sind. Zentral ist bei der Arbeitsplatzgestaltung die Abstimmung auf die Bedürfnisse der jeweiligen ArbeitnehmerInnen. Man muss sich damit auseinandersetzen, wie die Arbeitenden arbeiten und welchen Arbeits-tätigkeiten oder Arbeitsprozessen sie nachgehen. Zentral ist dann die Frage nach den Räumlich-keiten, die benötigt werden, um die Arbeitsprozesse optimal abzuwickeln. Eine Gruppe von Arbeitenden, die vermehrt konzentrierte Arbeitstätigkeiten ausführen, braucht demnach andere Räumlichkeiten als Arbeitende, die eher kommunikativ oder kollaborativ arbeiten. Insofern sind Organisationen gut beraten, wenn sie sich eingehend damit beschäftigen, wie ihre An-gestellten arbeiten, um dann eine Arbeitsumgebung so zu gestalten, dass sie gut unterstützt und nicht unterbrochen beziehungsweise gestört werden. Bei der Gestaltung neuer Arbeits-räume ist es wichtig, nicht in den eigenen alten Denkstrukturen verhaftet zu bleiben. Nimmt man die Gestaltung der Arbeitsräume ernst und führt sie in letzter Konsequenz durch, dann würde beispielsweise eine Geschäftsführung, die hauptsächlich mit ihren MitarbeiterInnen oder Kunden kommuniziert, kein eigenes Büro benötigen. Dies entspricht jedoch oft nicht der hierar-chischen Struktur von Unternehmen. Raum ist eben manchmal doch Ausdruck des Status. An diesem Beispiel wird klar, dass Arbeitsraumgestaltung auch die organisationale Kultur betrifft.

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Das Kulturthema sollte bei der Gestaltung von Arbeitsräumen immer mitbedacht werden. Zusammengefasst sollten zukünftige Räumlichkeiten für WissensarbeiterInnen passend zu den jeweiligen Arbeitsprozessen entworfen werden. Da sich diese jedoch in den letzten Jahren bedingt durch die digitale Transformation und den Strukturwandel der Arbeit stark verändert haben, verändern sich folglich auch Konzepte der Arbeitsraumgestaltung.

Wenn man die Idee der flexiblen Büroumgebung weiterdenkt, stellt sich zudem die Frage, ob es in Zukunft keinen festen räumlichen Arbeitsplatz mehr geben wird. Werden wir mit der Situation konfrontiert sein, dass Arbeitende meist von unterwegs oder von Zuhause aus arbeiten? Verliert das konventionelle Büro, in dem Personen physisch zusammenkommen, seine Existenzberechtigung? In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie sich da-durch Gesellschaften und Organisationen verändern. Sind Menschen mit diesem radikalen Aufbrechen von Strukturen zufriedener? Psychologische Theorien beschreiben, dass Menschen unterschiedliche Grundbedürfnisse haben, für deren Motivation und auch Wohlbefinden und Gesundheit es wichtig ist, ob sie sich erfüllt fühlen. Neben dem Bedürfnis nach Autonomie, das durch flexible Arbeitsformen verstärkt befriedigt werden kann, gibt es auch ein Bedürfnis nach Struktur und Routinen. Diese beiden Bedürfnisse gleichzeitig in ausreichendem Maße zu befriedigen, genau das ist die Herausforderung der neuen flexiblen Arbeitswelt. Weiterhin ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ein Bedürfnis, das für den Menschen zentral ist. Ergebnisse aus der Fallstudie im ▶ Abschn. 3.2.4.2 zeigten, dass die Befriedigung des Bedürfnisses nach Zugehörigkeit unter einer aktivitätsbasierten flexiblen Büroumgebung leiden kann. Cowor-king Spaces wiederum versuchen genau dieses Bedürfnis zu bedienen. Interessanterweise sind nämlich Büroumgestaltungen in Organisationen momentan hauptsächlich damit verbunden, dass Arbeitende vermehrt von Zuhause aus arbeiten, gleichzeitig versuchen Coworking Spaces aber, genau diesen daheim arbeitenden Menschen, die sich isoliert fühlen, ein soziales Arbeits-umfeld zu liefern.

Die Herausforderungen der Gestaltung von zukünftigen Arbeitsräumen sind geprägt durch den Strukturwandel der Arbeit in Richtung Digitalisierung und Flexibilität. In dieser sich ver-ändernden Arbeitswelt ist es wichtig, die Bedürfnisse der Arbeitenden zu kennen und dement-sprechend angepasste individuelle Arbeitsplatzkonzepte zu gestalten. Die Effekte unterschied-licher physischer Gestaltungselemente sind teilweise bereits ausreichend erforscht, um diese dabei gezielt einsetzen zu können.

3.5 Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

» Nirgends sind die Auswirkungen der Computerisierung und der Umstrukturierung so krass wie in der Industrie (Rifkin 2016; S. 58).

Jeremy Rifkin beschreibt in seinem Buch, dass in Zukunft durch den verstärkten Einsatz von weit entwickelten Technologien nicht nur die Muskelkraft des Menschen, sondern auch der menschliche Verstand ersetzt wird. In der Industrie bedeutet dies den vermehrten Einsatz von Maschinen, Robotern oder Drohnen. Bei der Gestaltung dieser technischen Mittel ist es notwendig, Anforderungen der Menschen an die Technologie zu beachten. In zukünftigen Arbeitsszenarien werden nämlich Menschen diese Technologien nutzen beziehungsweise mit ihnen interagieren. Menschen werden etwa gemeinsam mit Robotern eine Aufgabe bearbeiten, Menschen werden Arbeitstätigkeiten virtuell ausführen oder mehrere Maschinen kontrollieren und überwachen. Ein Verständnis der Mensch-Maschine-Interaktion sowie der Einflüsse auf

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Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozesse bildet dabei die Grundlage für die Formulierung von Anforderungen. Das übergeordnete Ziel sollte dabei sein, zukünftige Arbeit in einer Art und Weise zu gestalten, dass Wohlbefinden und Produktivität des Menschen erhalten bleiben.

Historisch betrachtet hat die Industrie in den letzten Jahrhunderten einige Umbrüche erlebt. Derzeit ist eine Entwicklung weg von der Massenproduktion hin zu einer individuellen oder personalisierten Produktion zu beobachten. Zwischen 1955 und 1980 war die Massenproduk-tion vorherrschend, zwischen 1980 und 2000 die flexibilisierte Massenproduktion, und seit dem Jahr 2000 ist ein Trend in Richtung regionalisierter und besonders personalisierter Produktion zu verzeichnen (Koren 2010). Das hat zur Folge, dass sich die Losgröße in produzierenden Betrieben verändert. Eine Losgröße ist ein Begriff aus der Fertigungstechnik, der die Menge an Produkten beschreibt, die ohne Unterbrechung hintereinander gefertigt werden. Eine Los-größe von 1 führt demnach zur Situation, in der jedes zu fertigende Produkt unterschiedlich zum vorherigen ist (Voigt 2017).

Definition

Losgröße ist ein Begriff aus der Fertigungstechnik und beschreibt die Menge einer Baugruppe, Sorte, Serie oder eines Produktes, die ohne Unterbrechung hintereinander ge-fertigt wird (Voigt 2017).

Fallbeispiel – Smart Factory bei Audi | |

Smart Factory bezeichnet eine Produktionsstätte, innerhalb derer flexible (sich unterscheidende) Aufträge bei gleichzeitig geringen Kosten bearbeitet werden können. Die in der Produktionsstätte ein-gesetzten Maschinen sind miteinander vernetzt, reale und virtuelle Welt verschmelzen (plattform-i40.de).In der Smart Factory von Audi werden Autos durch die Vernetzung und Nutzung größerer Daten-mengen flexibel und effizient hergestellt. Im Gegensatz zu einem starren und sequenziellen Prozess am Fließband läuft die Herstellung der Produkte modular ab. Eine modulare Zusammenstellung in der Produktion ist besser geeignet, um komplexen Anforderungen der Aufträge gerecht zu werden. Durch Veränderungen am Markt, Erwartungen von KundInnen und unterschiedlichste rechtliche Rahmen-bedingungen werden nämlich vermehrt individuelle und unterschiedliche Versionen von Fahrzeugen gefordert. Die dadurch entstehende Komplexität bei der Herstellung unterschiedlicher Versionen von Fahrzeugen erfordert flexiblere Produktionsprozesse. Im System der modularen Zusammenstellung gibt es kleinere Arbeitsstationen, die flexible Arbeitsabläufe ermöglichen. Durch fahrerlose Transport-systeme, die über ein Computersystem gesteuert werden, werden Autoteile zwischen Arbeitsstationen transportiert (audi-mediacenter.com).In verschiedenen Laboren wird an innovativen Systemen für diese modulare Produktionsherstellung gearbeitet. Beispielsweise gibt es das technische Zentrum für Assistenzsysteme der Produktion und das Produktionslabor. Im technischen Zentrum für Assistenzsysteme der Produktion werden fahrerlose Transportsysteme entwickelt, von denen zwei bereits fertiggestellt wurden. Eines davon bewegt sich frei, ein anderes bewegt sich auf einer definierten Route. Letzteres ist mit Sensoren ausgestattet, die zur Orientierung im Raum dient; zudem können kritische Situationen dadurch erkannt werden. Neben diesen Entwicklungen zu selbstfahrenden Fahrzeugen findet auch eine Entwicklung im Bereich der sicheren Kooperation zwischen Mensch und Maschine statt. Wenn Menschen und Maschinen im selben Raum nah nebeneinander arbeiten, ist es wichtig, auf Sicherheit zu achten, um beispielsweise Kollisionen zu vermeinen. Weitere derzeitige Entwicklungen im Industriebereich sind innovative Robo-tersysteme, Montagetische mit Unterstützungsfunktion, Entwicklung im Bereich 3D-Drucker, Koope-ration zwischen Mensch und Roboter sowie Datenbrillen mit Anwendungen zu erweiterten Realitäten (Augmented Reality, AR) (audi-mediacenter.com).

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Um solch eine individuelle Produktion zu ermöglichen, muss die vorherrschende Gestaltung von Produktionsumgebungen angepasst werden. Wichtig dabei ist, dass bei dieser Umstellung von Massenproduktion zu personalisierter Produktion, Kosten oder Qualitätsverluste möglichst gering gehalten und im besten Fall nicht vorhanden sind.

Eine mögliche Umstrukturierung beinhaltet beispielsweise, dass in einer Montagehalle neben den Montagelinien auch Montageinseln eingesetzt werden. Auf diesen Montageinseln montieren dann Menschen mit industriellen Robotersystemen gemeinsam ein Werkstück. Da-durch kann die Effizienz und Produktivität erhalten werden. Um der Komplexität der Pro-duktion (die unter anderem durch die geringere Losgröße erhöht wird) gerecht zu werden, können Anwendungen zu erweiterten Realitäten (Augmented Reality, AR) genutzt werden. Dem/der Monteur/in kann dadurch die aktuell notwendige Montageanleitung eingeblendet werden. Letztendlich ist für eine hochflexible individualisierte Produktion eine Vernetzung der technischen Systeme notwendig. Der Einsatz von sogenannten cyber-physischen Systemen ermöglicht diese Vernetzung. Dadurch können sich Maschinen in Fabriken selbstständig unter-einander abstimmen und kommunizieren.

Im Folgenden werden diese drei Thematiken – Roboter, Anwendungen zu virtuellen oder erweiterten Realitäten, cyber-physische Systeme – aufgegriffen und hinsichtlich der Arbeits-gestaltung diskutiert. Danach wird die Frage reflektiert, inwieweit Kriterien humaner Arbeit, Arbeitscharakteristika, Arbeitsbedingungen und Grundbedürfnisse in diesen drei skizzierten Szenarien einer digitalisierten Produktionsstätte gefördert oder eher verhindert werden. Diese Reflexion liefert Hinweise darauf, welche Thematiken bei der digitalen Transformation der Arbeit im Industriekontext relevant werden im Hinblick auf eine menschengerechte Arbeits-gestaltung.

3.5.1 Digitale Technologien in der Produktion

Die Bandbreite an digitalen Technologien, die in der Produktion eingesetzt werden können, ist sehr hoch und wird durch den rasanten technologischen Fortschritt immer variantenreicher. Informations- und Kommunikationstechnologien sind dabei genauso denkbar wie fahrerlose Transportsysteme, intelligente Maschinen und Robotersysteme oder Drohnen. Diese digitalen Technologien können so eingesetzt werden, dass sie einzelne Arbeitsschritte oder sogar gesamte Arbeitsprozesse übernehmen. Wir finden daher folgende Situation vor: Das mögliche Spektrum einer Produktionsumgebung, in der alle für die Produktion notwendigen Arbeitsschritte vom Menschen manuell durchgeführt werden können, reicht bis hin zur Vollautomatisierung (Tech-nologien übernehmen alle Arbeitsschritte). Innerhalb dieses Kontinuums sind unterschiedliche Abstufungen denkbar (Flemisch et al. 2012). In assistierten Bedingungen werden Menschen von Technologien unterstützt, d. h., Menschen verrichten dabei Arbeitsschritte unterstützt durch Technologien (siehe . Abb. 3.9).

Solche Assistenzsysteme können kognitive Assistenz und physische Assistenz bieten. Ein Beispiel für kognitive Assistenz ist das Einblenden von Arbeitsanweisungen durch ein Tablet am Arbeitsplatz. Ein Beispiel für eine physische Assistenz ist ein Roboterarm, der dem/der Arbeitenden Werkzeuge zureicht. Nach dieser Definition kann eine Assistenztechnologie ent-weder ein mobiles Endgerät (Laptop, Tablet, Smartphone), ein Roboter oder auch eine sonstige digitale Technologie sein; maßgeblich ist die Funktion der Assistenz. Neben der Unterscheidung zwischen kognitiver und physischer Assistenz lassen sich Technologien auch hinsichtlich der Nähe zum Körper unterscheiden (siehe . Tab. 3.6).

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Das oben angeführte Tablet am Arbeitsplatz, das Informationen zu Arbeitsschritten anzeigt und somit als kognitive Assistenz dient, ist mit einer gewissen Distanz zum Menschen an-gebracht. Anders ist es, wenn diese Information dem Menschen direkt in seinem Blickfeld eingeblendet wird. Ein Helm, mithilfe dessen der/die Arbeitende in eine Welt eintaucht, in der die Umgebung mit Informationen angereichert ist, ist dabei als weniger entfernt zum mensch-lichen Körper anzusehen. Man spricht in diesem speziellen Fall auch von einem Eintauchen (Immersion) in eine andere Welt (für nähere Informationen dazu siehe Grau 2003). Ähnliches gilt bei Technologien, die physische Assistenz bieten. Ein Roboter ist als etwas einzuordnen, was vom menschlichen Körper weiter entfernt ist als ein Exoskelett, denn Letzteres ist direkt am menschlichen Körper angebracht und als Stützstruktur für den menschlichen Bewegungs-apparat gedacht (Constantinescu et al. 2016; siehe auch ▶ Exkurs „Exoskelett“).

Definition

Ein Exoskelett ist eine Stützstruktur für den menschlichen Bewegungsapparat, der am Körper angebracht wird. Dadurch werden Bewegungen, Haltungen sowie das Heben und Tragen unterstützt (Constantinescu et al. 2016).

Unabhängig davon, welche Technologien in der Produktion eingesetzt werden, ob sie der As-sistenz dienen oder eine Automatisierung beinhalten, ist der Arbeitende in der Umgebung in jedem Fall angehalten, sie zu verwenden und mit ihnen umzugehen. Er/Sie ist gefordert, sie zu steuern, mit ihnen zu kommunizieren, zu kollaborieren sowie diese zu warten und zu über-prüfen. Im Folgenden werden drei ausgewählte Arten von Technologien im Produktionskontext näher beschrieben:- In einem ersten Schritt wird dabei die Interaktion des arbeitenden Menschen mit

Robotern erörtert. Herausforderungen in Bezug auf die Mensch-Roboter-Kollaboration werden diskutiert.

Hoch automatisiert

Semi-automatisiert

Assistiert / wenig

AutomationAutomatisiertManuell

. Abb. 3.9 Kontinuum von manueller zu automatisierter Arbeit. (Angelehnt an Flemisch et al. 2012)

. Tab. 3.6 Technologien in der Produktion

Distanz zum menschlichen Körper

Höher Geringer

Physische Assistenz Roboter(arm) Exoskelett

Kognitive Assistenz Mobile Endgeräte Virtuelle Realität

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- Im zweiten Schritt wird auf den Einsatz von virtuellen und erweiterten Realitäten ein-gegangen. Dabei werden Auswirkungen auf Wohlbefinden und Aspekte der Informati-onsverarbeitung behandelt.- Und schließlich wird der Mensch im Kontext cyber-physischer Systeme diskutiert. Aspekte wie Vertrauen und Akzeptanz, Datensicherheit und Privatsphäre sowie mora-lische Aspekte werden besprochen.

3.5.1.1 RoboterRoboter sind Maschinen, die Aufgaben mit einer hohen Geschwindigkeit und Präzision er-ledigen können. Je nachdem, welche Aufgaben bearbeitet werden sollen, können unterschied-liche Arten von Robotern eingesetzt werden. Anders als herkömmliche Roboter sind autonome Roboter mit künstlicher Intelligenz versehen: Sie lernen von ihrer Umgebung und passen ihr Verhalten entsprechend an. Androiden sind Roboter, die dem menschlichen Erscheinungsbild ähnlich gestaltet sind. Dabei kann sich die Ähnlichkeit entweder auf die physische Struktur, auf Verhaltensweisen oder auch Bewegungsabläufe beziehen. Beispiele dafür sind „Nao“ von Aldebaran Robotics oder „Atlas Robot“ von Boston Dynamics (whatis.techtarget.com). An-droiden, die dem menschlichen Vorbild äußerst ähnlich sind, werden als Geminoiden (von dem Latein/Griechisch geminus/geminos = „Zwilling“) bezeichnet (geminoid.jp).

Definition

Ein Roboter ist eine Maschine, die Aufgaben mit hoher Geschwindigkeit und Präzision erledigen kann. Je nach Anwendungsfall gibt es unterschiedliche Arten von Robotern, wie Industrieroboter, autonome (künstlich intelligente) Roboter, Androiden und Geminoiden (whatis.techarget.com).

In der Produktion übernehmen (Industrie-)Roboter immer häufiger Arbeiten, die zuvor ma-nuell vom Menschen ausgeführt wurden. Dies hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass Roboter Arbeitstätigkeiten übernehmen können, die für den Menschen zu gefährlich oder belastend sind. Dies betrifft besonders physische belastende Arbeitstätigkeiten (z. B. jene, die durch schweres Heben und Tragen charakterisiert sind), aber auch Arbeitstätigkeiten, die psy-

Exkurs: Exoskelett

Exoskelette finden in unterschiedlichen Kontexten Anwendung. Am Arbeitsplatz – beispielsweise in der Produktion oder in Pflegeberufen – können sie ergonomisch passendes Arbeiten unterstützen; in der Rehabilitation können sie den Genesungsprozess unterstützen.Das JackEx ist ein Exoskelett, das für die manuelle Arbeit in der Montage, Demontage und in der Zu-lieferung in der Automobilindustrie entwickelt wurde. Ziel war es, die Produktivität und die Sicherheit für den Menschen zu erhöhen. Des Weiteren konnten auch ergonomische Vorteile wissenschaftlich bestätigt werden (Constantinescu et al. 2016).Ein Roboteranzug mit der Bezeichnung Hybrid Assistive Limb (HAL), der von der Cyberdyne Inc. entwi-ckelt wurde, ist in Japan entwickelt worden und wird auch als weltweit erster cyborg-ähnlicher Roboter bezeichnet. Diese Roboteranzüge sind als hybride unterstützende Gliedmaßen zu verstehen, die auch mit Antrieb funktionieren. Sie können in der Rehabilitation angewendet werden. Beispielsweise können PatientInnen nach Unfall oder einer Erkrankung beim Aufbau von Muskeln des Bewegungsapparats beziehungsweise beim erneuten Lernen des Gehens unterstützt werden. Aber auch für Pflegepersonal kann dieser Anzug eine Unterstützung beim Heben oder Tragen bieten (cyberdyne.jp).

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chisch belastend sein können (z. B. repetitive Aufgaben, die ein Gefühl von Monotonie aus-lösen). Ein ökonomischer Vorteil ist, dass die Bearbeitung beziehungsweise Durchführung von Arbeitstätigkeiten durch Roboter schneller und mit weniger Fehlern geschieht. Außerdem müssen Roboter zwar gewartet werden, jedoch werden sie im Gegensatz zum Menschen nicht müde und brauchen demnach auch keine Pausen. Nachteile bestehen vor allem darin, dass man häufig nicht weiß, ob sie die menschliche Arbeitskraft wirklich ersetzen können.

Oft ist die Arbeitstätigkeit (z. B. Montagetätigkeit) jedoch so komplex und erfordert fein-motorische Fähigkeiten und Flexibilität, die nur vom Menschen getätigt werden kann. Daher sind Szenarien denkbar, in denen der Roboter und der Mensch als zwei Akteure innerhalb einer Arbeitsumgebung definiert sind. Diese zwei Akteure können in unterschiedlichen Beziehungen zueinander stehen. Grundsätzlich unterscheidet man dabei – wie bereits in ▶ Abschn. 2.3.4 erwähnt – drei Interaktionsformen (Onnasch et al. 2016):- Koexistenz: Der Mensch und der Roboter treffen eher zufällig aufeinander.- Kooperation: Es gibt eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter, in der jeder

der beiden Akteure eine Teilaufgabe übernimmt.- Kollaboration: Es besteht eine unmittelbare Koordination zwischen dem Menschen und dem Roboter bei der Bearbeitung einer Aufgabe. Dieses kollaborative Arbeiten zwischen Mensch und Roboter beinhaltet einige ungelöste Fragestellungen:1. Wie ist Verantwortung, Autonomie, Kontrolle und Autorität geregelt? Welcher Akteur

soll in einer Notfallsituation die Kontrolle übernehmen? Wer ist verantwortlich für Fehler oder Unfälle?

2. Welche Auswirkungen sind denkbar, wenn Arbeitsgruppen aus Menschen und Robotern bestehen? Wie sollen die Kommunikation und die Interaktion in diesen Arbeitsgruppen gestaltet sein? Welche Gruppeneffekte sind dabei möglich, und welche Auswirkungen sind auf Motivation und Leistung denkbar?

3. Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, um eine sichere Zusammenarbeit zu ermöglichen?

3.5.1.1.1 Mensch-Roboter Kollaboration: Fähigkeit, Autorität, Kontrolle, Verantwortung

Das eben beschriebene Beispiel veranschaulicht, dass bei komplexen Mensch-Maschine-Sys-temen der Mensch und die Maschine (in diesem Fall ein Industrieroboter) unterschiedliche

Beispiel | |

Die Mensch-Roboter-Kollaboration in einer Produktionsumgebung war lange eine Vision, die heutzu-tage jedoch bereits in Pilotversuchen umgesetzt wird. Dabei arbeiten Mensch und Roboter gemeinsam an der Fertigstellung eines Werkstücks. Beispielsweise hält der Roboterarm bei der Montage den Motor beziehungsweise dreht ihn in die erforderliche Richtung, sodass der Mensch Montagetätigkeiten am Motor durchführen kann. Der Roboter kann demnach eine Aufgabe übernehmen, die den Menschen auf längere Zeit physisch stark beanspruchen würde – er assistiert dem Menschen. Die Festlegung des Aus-maßes an Assistenz beziehungsweise die Kontrolle über die Arbeitsschritte sind dabei Faktoren, die fest-gelegt werden müssen. Darüber hinaus muss der Roboter so gestaltet sein, dass es nicht zu Kollisionen kommt und die Sicherheit des Menschen gewährleistet ist. Zwei vorliegende Lösungen im Bereich kollaborierende Robotik sind der „LBR iiwa“ von Kuka (▶ https://www.kuka.com/de-at/produkte-leistun-gen/robotersysteme/industrieroboter/lbr-iiwa) oder unterschiedliche Versionen kollaborativer Roboter (z. B. UR3 Robot) von Universal Robots (▶ https://www.universal-robots.com/products/).

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Rollen einnehmen. Je nach Kompetenz und Fähigkeit werden manche Interaktionen oder Tätig-keiten vom Roboter (z. B. das Drehen des Werkstücks) und andere ausschließlich manuell vom Menschen getätigt (z. B. eine konkrete Montagetätigkeit am Werkstück). Eine zentrale Frage dabei ist, wer in dieser Beziehung die Kontrolle und die Verantwortung bezüglich des Arbeits-ergebnisses trägt – der Roboter oder der Mensch?

Flemisch et al. (2012) beschreiben diese Dynamik mithilfe einer Analogie zum Reiten eines Pferdes. Ein Pferd hat die Fähigkeit, schnell voranzukommen. Es ist schneller als der Mensch und ihm daher in dieser Fähigkeit überlegen. Der Mensch ist der Reiter des Pferdes und nutzt daher die Fähigkeit des Pferdes, schnell an einen Ort zu gelangen. Der Reiter hat dabei die Kontrolle über das Pferd. Er lenkt es in eine bestimmte Richtung und bestimmt auch die Geschwindigkeit. Er trägt aber auch die Verantwortung dafür, den richtigen Weg einzuschlagen und die Geschwindigkeit so zu wählen, dass der gewählte Ort in einer de-finierten Zeit erreicht wird. In Extremsituationen jedoch, beispielsweise, wenn das Pferd er-schrickt und eine schnelle Bewegung in eine vom Reiter nicht intendierte Richtung macht, verliert der Reiter die Kontrolle. Der Reiter hat überhaupt nicht die Fähigkeit und daher keine Möglichkeit, hier gegenzusteuern, da das Pferd reagiert, bevor der Reiter überhaupt eine Gefahr wahrnehmen kann. Dennoch behält der Reiter auch in dieser Situation einen Teil der Verantwortung.

Anhand dieser Pferdeanalogie verdeutlichen Flemisch et al. (2012) die Dynamiken von Fä-higkeit, Autorität, Kontrolle und Verantwortung bei zwei Akteuren eines beweglichen Systems. Die AutorInnen postulieren diese vier Konzepte als vier zentrale Eckpfeiler im Kontext von Mensch-Maschine-Systemen. Bei der Gestaltung von Maschinen beziehungsweise Arbeits-umgebungen, innerhalb derer Maschinen mit Menschen interagieren, sind diese vier zentralen Eckpfeiler zu beachten.

> Flemisch et al. (2012) beschreiben vier zentrale konzeptionelle Eckpfeiler im Kontext von Mensch-Maschine-Systemen: Fähigkeit, Autorität, Kontrolle, Verantwortung.

- Fähigkeit: Die Fähigkeit beschreibt Kompetenzen und das Verfügen über Ressourcen (z. B. Zeit, Arbeitsmittel), die notwendig sind, um eine Aktion angemessen und adäquat auszuführen.- Autorität: Die Autorität eines Akteurs wird durch das Ausmaß bestimmt, in dem dieser Aktionen setzen darf oder nicht. Die Autorität wird in der Gestaltung des Roboters fest-gelegt. Genauer gesagt kann für jeden Arbeitsschritt definiert werden, ob Roboter oder Mensch über die Autorität verfügen. Dabei unterscheidet man die Autorität hinsichtlich der Ausübung einer Kontrolle von der Autorität, diese Kontrolle zu verändern.- Kontrolle: Ein Akteur hat Kontrolle, wenn er Einfluss auf eine Situation hat. Dies im-pliziert auch, dass dieser Akteur beziehungsweise Kontrolleur die Situation so entwickeln kann, wie er/sie es möchte.- Verantwortung: Verantwortung für eine bestimmte Handlung oder Aktion wird vor deren Ausführung definiert. Nach einer Aktion wird diese evaluiert, und der Verantwortliche muss über das Ergebnis der Aktion Rechenschaft ablegen beziehungsweise ist dafür ver-antwortlich. Man unterscheidet dabei die subjektive von der objektiven Verantwortung. Bei der subjektiven Verantwortung ist wesentlich, ob und wie stark sich ein Akteur für eine Aktion verantwortlich fühlt. Bei der objektiven Verantwortung wird für eine Aktion vorab offiziell festgelegt, wer dafür verantwortlich ist.

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Diese Eckpfeiler sind jedoch nicht als unabhängig voneinander aufzufassen. Insbesondere werden drei Abhängigkeiten beschrieben (Flemisch et al. 2012):- Abhängigkeit zwischen Fähigkeit und Kontrolle: Ohne ausreichende Fähigkeiten ist keine

Kontrolle möglich. Fähigkeit ermöglicht überhaupt, dass Kontrolle ausgeübt werden kann.- Abhängigkeit zwischen Autorität und Kontrolle: Um Kontrolle ausüben zu können, ist eine angemessene Autorität erforderlich. Die Autorität erlaubt sozusagen die Kontrolle. Kontrolle erfolgt jedoch nicht ohne Weiteres automatisch, ausschließlich weil eine Auto-rität festgelegt ist beziehungsweise die Fähigkeit vorhanden ist. Kontrolle erfolgt erst dann, wenn zusätzlich Verantwortung gegeben ist. Ob diese subjektiv oder objektiv ist, ist dabei irrelevant, wichtig ist lediglich deren Vorhandensein. Erst mit bestehender Verant-wortung ist die/der mit Autorität ausgestattete AkteurIn motiviert, Kontrolle auszuüben.- Abhängigkeit zwischen Fähigkeit, Autorität und Verantwortung: Die Fähigkeit sollte nicht geringer ausgeprägt sein als die Autorität. Wenn ein/e AkteurIn nicht die notwen-digen Fähigkeiten besitzt, Schritte zu kontrollieren, sollte er/sie nicht die Autorität dazu besitzen. Außerdem sollte die Autorität nicht geringer ausgeprägt sein als die Verantwor-tung. Die Verantwortlichkeit motiviert eine Autorität zu Kontrolle. Kontrolle selbst führt wiederum zu Verantwortlichkeit.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass diese vier Eckpfeiler bei der Gestaltung von Maschi-nen zu beachten und zu definieren sind. Denken wir nun an diese vier Eckpfeiler im Bereich der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. In der Mensch-Roboter-Kollaboration haben die Akteure Mensch und Roboter unterschiedliche Fähigkeiten, um Arbeitsschritte auszuführen. Diese sollten dann entsprechend verteilt werden. Die zentrale Frage, die sich danach stellt, ist die, wie man nun die Kontrolle verteilt. Wenn der Mensch die Autorität und die Kontrolle hat, muss die Maschine so gestaltet sein, dass der Mensch diese stets unterbrechen oder lenken kann. Wenn das der Fall ist, ist der Mensch auch verantwortlich für das Endergebnis der Montage. Wenn nicht die Maschine dem Menschen zuarbeitet, sondern umgekehrt, dann hat die Ma-schine die Kontrolle und trägt die Verantwortung. Da Autonomie aber ein Grundbedürfnis des Menschen ist, würde im zweiten Fall beispielsweise die intrinsische Motivation des Menschen eingeschränkt werden (vgl. Ryan und Deci 2000).

Bei der Gestaltung der Mensch-Roboter-Kollaboration ist demnach wichtig, diese vier Eck-pfeiler zu definieren und die Konsequenzen für die jeweiligen Arbeitenden zu reflektieren.

3.5.1.1.2 Roboter als Kollege/in: Vor- und Nachteile von Teamarbeit – ein Gedankenexperiment

Im Folgenden wollen wir ein Gedankenexperiment wagen. Wenn man davon ausgeht, dass die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung weiter anhält, dann könnten wir bald mit einer Situation konfrontiert sein, innerhalb derer es Arbeitsgruppen geben wird, die aus Menschen und Maschinen/Robotern bestehen. Dann kann beispielsweise ein Arbeitsteam aus einer Gruppe von Menschen und einem einzelnen Roboter bis zu einer Gruppe bestehend aus einem einzelnen Menschen und mehreren Robotern bestehen. Die Gestaltung der/des Robo-ter/s kann dabei variieren (z. B. Industrieroboter vs. menschenähnlicher Roboter). Wenn diese „gemischten“ Teams bestehen, dann stellt sich die Frage, wie sich die Zusammenarbeit inner-halb dieser Teams gestaltet. Welche Dynamiken sind dabei feststellbar? Gibt es Unterschiede zwischen Arbeitsgruppen, die nur aus Menschen bestehen, und Arbeitsgruppen mit sowohl Menschen als auch Robotern (oder Computersystemen und Maschinen)?

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Nerdinger et al. (2011) zählen in ihrem Lehrbuch für Arbeits- und Organisationspsycho-logie Vor- und Nachteile des Arbeitens in Teams auf. Sie nennen dabei insbesondere auch mög-liche Motivationsgewinne und Motivationsverluste, die durch das Arbeiten in Teams entstehen. Motivationsgewinne sind beispielsweise der „Mere-Presence-Effekt“ oder „Social Labouring“ (Nerdinger et al. 2011).- Mere Presence: Der „Mere Presence“-Effekt beschreibt, dass sich die Motivation von

Menschen durch die bloße Anwesenheit (mere presence) anderer Personen ändert. Empirische Studien zeigen, dass einfache Aufgaben in Anwesenheit anderer schneller bearbeitet werden, als wenn sie alleine ausgeführt werden (Zajonc 1965; Nerdinger et al. 2011).Kann nun durch die Anwesenheit von Robotern ein ähnlicher Effekt ausgelöst werden? Bearbeiten Menschen ihre Arbeitstätigkeiten schneller, wenn dabei ein Roboter anwesend ist? Es ist anzunehmen, dass dies unter anderem von der (expliziten und impliziten) Rol-lenverteilung zwischen Mensch und Roboter abhängt. Wenn der Roboter als Überwacher des Menschen eingesetzt wird, dann ist anzunehmen, dass seine Anwesenheit einen Effekt auf die Leistung hat. Einen weiteren Einflussfaktor kann die Gestalt des Roboters dar-stellen. In den ursprünglichen Experimenten von Zajonc (1965) waren die Akteure von derselben Spezies (Schaben). Es stellt sich nun die Frage, ob ein Roboter in menschen-ähnlicher Gestalt die gleichen Effekte auslöst wie ein Roboter, der nicht nach dem Vorbild des Menschen gestaltet ist.- Social Laboring: Hierbei zeigen die Teammitglieder ein besonders hohes Arbeitsengage-ment, weil sie sich mit der Arbeitsgruppe identifizieren. Diese Identifikation kann durch den Wettbewerb mit anderen Teams erhöht und gestärkt werden.Wenn Roboter als Teammitglieder eingesetzt werden, sind Veränderungen in Bezug auf die Teamidentifikation in beide Richtungen denkbar. Einerseits können Teammitglieder ihr Team als etwas Besonderes ansehen (insbesondere, wenn sie das einzige Team mit ei-nem Roboter sind) und sich entsprechend stärker damit identifizieren. Andererseits ist es aber auch möglich, dass man den Roboter als etwas Störendes und Fremdes wahrnimmt, ihn nicht akzeptiert und sich daher eher weniger mit dem gesamten Team identifiziert.

Neben diesen Motivationsgewinnen gibt es auch Motivationsverluste. Zwei davon lassen sich an den Phänomenen der sozialen Angst und des Trittbrettfahrens veranschaulichen (Nerdinger et al. 2011).- Soziale Angst: Soziale Angst beschreibt, dass aufgrund von Angst vor einer subjektiv als

wichtig empfundenen Person Leistung gehemmt wird.Ob soziale Angst bei Teams vorkommt, die aus Menschen und Robotern bestehen, hängt dies von einigen Merkmalen des Roboters ab. Beispielsweise ist es relevant, über welche Kompetenzen der Roboter verfügt und welche Aufgaben er dadurch übernimmt. Verrich-tet er ähnliche Aufgaben wie ein Teammitglied, und nimmt er ihm dadurch Arbeit weg? Ein weiterer Aspekt ist die Rolle, die der Roboter einnimmt. Wenn dieser zur Kontrolle der anderen Teammitglieder eingesetzt wird, dann ist es denkbar, dass Arbeitsgruppen-mitglieder vorsichtiger und zurückhaltender in ihren Verhaltensweisen sind.- Trittbrettfahren: Trittbrettfahren ist eine bewusste Entscheidung eines Gruppenmitglieds, die eigene Arbeitsanstrengung zu limitieren.Wenn ein Roboter immer dann Aufgaben von anderen Menschen übernimmt, sobald diese nicht erledigt werden, ist es denkbar, dass das Phänomen des Trittbrettfahrens ein-tritt. Das Gruppenmitglied kann sich in diesem Fall auch als überflüssig erleben.

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Derzeit gibt es noch keine Antworten auf diese Fragen. Eine Beschäftigung damit, welche Effekte auf die Arbeitsmotivation von Menschen denkbar sind, wenn sie in einem Team arbeiten, das aus Robotern und Menschen besteht, ist wichtig für Entscheidungen in Bezug auf die Gestaltung dieser Teams. Insbesondere die Verteilung von Rollen und Kompetenzen ist relevant, um diese – positiven und negativen – Gruppeneffekte entweder zu ermöglichen oder zu vermeiden. In diesem Bereich ist mehr Forschungstätigkeit notwendig, um ein ausreichendes Verständnis über die Dynamiken und Effekte auf Gruppenebene zu gewinnen.

3.5.1.1.3 Sicherheit in der Mensch-Roboter KollaborationEin dritter zentraler Aspekt bei der Gestaltung von Arbeitsumgebungen mit Mensch-Robo-ter-Kollaboration ist Sicherheit. Die Sicherheit für den Menschen muss gewährleistet werden, indem der Roboter so gestaltet ist, dass beispielsweise Verletzungen durch Kollisionen ausge-schlossen werden. Die Gewährleistung der Sicherheit beinhaltet jedoch nicht nur die technische Herausforderung, Roboter sicher zu gestalten, sondern auch eine Gewährleistung, dass das Verhalten des Menschen Sicherheit ermöglicht. Bezüglich der technischen Maschinensicherheit des Roboters gibt es nationale und internationale Richtlinien und Standards, an die man sich halten muss. Im Robotikbereich sind dies die folgenden drei:- DIN EN ISO 12100:2011-03: Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze

–Risikobeurteilung und Risikominderung- DIN EN ISO 10218-1:2012-01: Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen – Teil 1: Roboter- DIN EN ISO 10218-2:2012-06: Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen – Teil 2: Robotersysteme und Integration

Zusätzlich dazu haben Markis und Ranz (2016) relevante Normen im Bereich Mensch-Roboter-Anwendungen umfassender zusammengefasst (. Abb. 3.10). Diese lassen sich noch in A-, B- und C-Normen differenzieren. Die A-Norm ist dabei verbindlich für alle Maschinen, die C-Normen sind nur für spezielle Maschinen gedacht (Markis und Ranz 2016).

Neben diesen speziell für Anwendungen der Mensch-Roboter-Kollaboration relevanten Normen von Markis und Ranz (2016) nennen Michalos et al. (2015) 600 Standards im Bereich der Maschinensicherheit. Für den Bereich Robotik haben die AutorInnen Strategien zur Ver-besserung von Sicherheit entwickelt. Im Folgenden sind zur Veranschaulichung vier davon be-schrieben:1. Funktion zum Anhalten des Roboters:

Roboter sollten über eine Funktion zum sofortigen Anhalten verfügen. Dies dient als Schutzfunktion. Darüber hinaus muss für den Notfall eine unabhängige Stoppfunktion implementiert sein. Dies kann beispielsweise durch einen Knopf am Roboter umgesetzt werden. Hier ist auch eine Verbindung zu einer externen Sicherheitseinrichtung vonnöten.

2. Kontrolle der Geschwindigkeit:Die Geschwindigkeit soll kontrollierbar sein. An Arbeitsplätzen, bei denen Mensch und Ro-boter zusammenarbeiten, darf die Geschwindigkeit des Roboters nicht höher als 250 mm/s sein.

3. Vermeidung einer Kollision:Eine Kollision zwischen Mensch und Roboter muss vermieden werden. Dies kann erreicht werden, (i) indem man die Geschwindigkeit der Bewegungen limitiert, (ii) Bewegungs-abläufe den Kurs ändern können oder (iii) durch die Implementierung von sogenannten sicheren Pfaden, die man bei Bedarf ausführen kann.

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4. Technologische und ergonomische Anforderungen:Wenn es dennoch zu einer Kollision zwischen Mensch und Roboter kommt, dann sollte dieser Kontakt nur an Oberflächen stattfinden können, die weder scharf, spitz, schneidend oder rau sind.

Wie zuvor erwähnt, gibt es neben diesen technischen Anforderungen auch noch die Heraus-forderung hinsichtlich des Verhaltens des Menschen. Denn, um Sicherheit bei der Arbeit zu gewährleisten, muss auch der menschliche Faktor mitberücksichtigt werden (siehe z. B. Griffin und Neal 2000). Ausreichende Unterweisungen und Schulungen des Personals stellen hier eine erste wichtige und maßgebliche Intervention dar.

3.5.1.2 Virtuelle und erweiterte RealitätenDie Nutzung von Technologien im Bereich virtueller oder erweiterter Realitäten hält auch Einzug in den industriellen Arbeitskontext. Diese Technologien erlauben es, die Arbeitsumwelt mit Informationen anzureichern (erweiterte Realität; Augmented Reality; AR) oder eine völlig künstlich erzeugte Arbeitsumwelt zu erzeugen (virtuelle Realität; Virtual Reality; VR). Virtuelle Realitäten schaffen dabei für den/die NutzerIn eine vollkommen neue Umwelt, wobei diese/dieser den Eindruck hat, sich mitten in ihr zu befinden und sie auch als „echt“ wahrnimmt. Unter Augmented Reality versteht man eine Anreicherung der realen Umwelt mit digitalen Informationen. Bei beiden Technologien werden häufig hoch technologisierte Brillen eingesetzt, die auch dazu führen, dass sich die NutzerInnen so vorkommen, als befänden sie sich in der realen Welt (▶ http://whatis.techtarget.com/).

Auszug an Normen aus der Sicht einer Mensch-Roboter-Applikation

EN ISO 12100Risikobeurteilung und

Risikominderung

EN ISO 13849Sicherheitsbezogene Teile von

Steuerungen aller Art,z.B. elektrisch, pneumatisch

DIN EN 62061Funktionale Sicherheit

von elektrischen Steuerungen

ISO 10218-1/2Sicherheitsanforderungen an

Industrieroboter (Teil 1), Systeme und Integrationen (Teil 2)

EN ISO 11161Integrierte Fertigungssysteme, bestehend aus zwei oder mehr

miteinander verbundenen Maschinen

ISO TS 15066Sicherheitsanforderungen an

kollaborative Robotersysteme und ihr Einsatzumfeld

A-Normen

B-Normen

C-Normen

. Abb. 3.10 Auszug aus den Normen vom Standpunkt einer MRK-Applikation. (Nach Markis und Ranz 2016)

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen124

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Definition

Virtuelle Realitäten (Virtual Reality, VR) sind künstliche Umwelten, die durch eine Software erschaffen werden. Diese künstliche Umwelt ist so gestaltet, dass der/die NutzerIn, welche/r sich in dieser Realität befindet, den Eindruck hat, dass es sich dabei um eine echte Umwelt handelt (▶ http://whatis.techtarget.com/).

Definition

Bei erweiterten Realitäten (Augmented Reality; AR) wird die Umwelt des Nutzers/der Nutzerin mit digitaler Information angereichert. Im Gegensatz zu virtuellen Realitäten wird hier die reale Umwelt des/r Nutzers/in genutzt (▶ http://whatis.techtarget.com/).

Es gibt bereits Beispiele für die Anwendung dieser Technologien in der Arbeitswelt.- Die NASA verwendet in einer Kooperation mit Microsoft Mixed/Augmented-Reality-Brillen (HoloLens) bei der Gestaltung des Mars Rovers (= ferngesteuertes Fahrzeug). Mit diesen Technologien ist es auch möglich, einen virtuellen Spaziergang auf dem Mars zu unternehmen (Boyle 2016).- Ein weiteres Beispiel findet sich in der Automobilindustrie. Hier werden in Werkstätten die Informationen hinzugefügt, die in der aktuellen Situation relevant sind. Automecha-nikerInnen erhalten hierbei virtuelle Anleitungen für das Bauen (beispielsweise Mobile Augmented Reality Technical Assistance-System, abgekürzt Marta, bei Volkswagen oder die Ford Immersive Vehicle Environment).- 3D-Modellierung mithilfe virtueller Realität: Kreativ Arbeitende können mithilfe neuer Software virtuell 3D-Modellierungen vornehmen. Dafür sind eine VR-Brille und die Software Gravity Sketch erforderlich. Man startet mit einem leeren Raum, in dem man dann das 3D-Modell modellieren kann. Die Software erlaubt unter anderem das Ver-größern und Verkleinern des Modells sowie auch das gemeinsame Arbeiten am Modell (gravitysketch.com).

Obwohl VR- und AR-Anwendungen einige Vorteile für Arbeitsprozesse bieten, gibt es auch kritische Aspekte bei der Gestaltung zu beachten. Denn das Arbeiten in erweiterten oder vir-tuellen Arbeitswelten kann einen wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden der NutzerInnen haben. Neben der Dauer der Arbeit in einer virtuellen Welt ist es relevant, wie die digitalen Informationen gestaltet werden, um eine Unterstützung der Arbeitsprozesse zu ermöglichen. Aspekte der Informationsverarbeitung des Menschen spielen hier eine wesentliche Rolle. Im Folgenden werden wir auf diese beiden psychologischen Besonderheiten zu virtuellen und er-weiterten Realitäten im Bereich der Nutzung von Technologien eingehen.

3.5.1.2.1 Verarbeitung von Reizen in virtuellen Realitäten: CybersicknessIn virtuellen oder mit Informationen angereicherten Umwelten sind NutzerInnen mit eher unbekannten visuellen Reizen konfrontiert. Im Gegensatz zur realen Umwelt, an die sich der menschliche Körper angepasst hat, kann die neue Umwelt Irritationen auslösen. Beispiels-weise können Systeme so gestaltet sein, dass die visuellen Informationen überfordernd oder irritierend wirken. Weiter können visuelle Bewegungen des Körpers wahrgenommen werden, ohne dass sich der Körper wirklich bewegt. In diesem Zusammenhang haben Studien gezeigt, dass NutzerInnen während oder nach der Erfahrung mit virtuellen Realitäten Symptome ähn-

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lich der Bewegungs- oder Reisekrankheit zeigen. Im Gegensatz zur Reisekrankheit (wie sie beispielsweise durch eine Schiffsfahrt ausgelöst wird) treten die Symptome beim Aufenthalt in einer virtuellen Umgebung ohne eine vestibuläre Stimulation auf. Dies bedeutet, dass lediglich durch visuelle Stimulation dieselben Symptome ausgelöst werden (LaViola Jr. 2000).

Der menschliche Körper kann demnach negativ darauf reagieren, dass er sich in der virtuellen Welt befindet. Im VR-Kontext spricht man dabei von Cybersickness beziehungsweise „virtual reality sickness“. Symptome von Cybersickness sind beispielsweise Kopfschmerzen, Schwitzen, Desorientierung, Übelkeit oder Müdigkeit (LaViola Jr. 2000).

> Im VR-Kontext kann es vorkommen, dass der menschliche Körper nach einer be-stimmten Zeit Symptome wie Kopfschmerzen, Schwitzen, Desorientierung, Übelkeit oder Müdigkeit entwickelt. Dieses Phänomen wird als Cybersickness bezeichnet und ähnelt in den Symptomen der Reisekrankheit (LaViola Jr. 2000).

Nach LaViola Jr. (2000) gibt es verschiedene Erklärungstheorien für Cybersickness. Die ver-breitetste Theorie zur Erklärung der Cybersickness ist die Theorie des sensorischen Konfliktes (Sensory Conflict Theory). Diese Theorie beschreibt, dass es bei unterschiedlichen Sinneswahr-nehmungen des Körpers Unstimmigkeiten geben kann. Wenn die Information über die Orien-tierung eines Körpers und die Informationen über die Bewegung nicht übereinstimmen, kommt es zu einem Wahrnehmungskonflikt, der den Körper überfordert. Die Systeme, die hier eine Rolle spielen, sind das visuelle System und das vestibuläre System, das für den Gleichgewichts-sinn verantwortlich ist. In einer virtuellen Welt bekommen diese Systeme andere Informationen als jene, die der Körper in der realen Welt gewohnt ist beziehungsweise auf die er sich eingestellt hat. Der Konflikt entsteht also auch dadurch, dass sich die virtuelle Welt demnach noch von den bekannten realen Gegebenheiten unterscheidet.

Neben dieser Sensory Conflict Theory werden in der Literatur noch zwei weitere Erklärungs-theorien beschrieben. Eine davon besagt, dass es beim Menschen einen Überlebensmechanismus gibt, der zum Tragen kommt, wenn er sensorische Halluzinationen erlebt. Üblicherweise entstehen beim Menschen solche sensorischen Halluzinationen durch toxische Einwirkung, die Übelkeit ist demnach eine natürliche Reaktion des Nervensystems auf das vermeintliche Gift. Diese Theorie erklärt jedoch nicht, warum die Symptome so vielfältig ausfallen und warum es interindividuelle Unterschiede gibt. Die „Postural Instability Theory“ besagt, dass der Mensch posturale Stabilität (also Standfestigkeit) in seiner Umwelt erhalten möchte (Riccio und Stoffregen 1991). Wenn es diese nicht gibt, dann führt das zu den beschriebenen Symptomen (LaViola Jr. 2000).

Beispiel | |

Stellen Sie sich vor, Sie fahren ein Auto in einer virtuellen Umgebung. Auf visueller Ebene werden Sie die Geschwindigkeit durch das Vorbeiziehen von Gebäuden oder durch andere Aspekte der Umwelt wahrnehmen. Das visuelle System übermittelt Ihnen die Information, dass Sie in einem fahrenden Auto sind und sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Wenn Sie dann stärker auf das Gas treten, haben Sie auch den Eindruck, schneller zu fahren. Andererseits signalisiert das vestibuläre System einen Unterschied, je nachdem, ob sie schneller oder weniger schnell fahren beziehungsweise bremsen. In der realen Welt würden die Informationen des visuellen und vestibulären Systems über Beschleunigung und Entschleunigung oder Stillstand übereinstimmen. Wenn diese Informationen aber nicht überein-stimmen, kommt es zu einem Konflikt. Und dabei oder danach können Symptome der Cybersickness auftreten (LaViola Jr. 2000).

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen126

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Bei der Gestaltung von Arbeit, die teilweise in virtuellen Umgebungen stattfindet, sollte man sich deshalb über die Dauer, über die Gestaltung der virtuellen Realität und über die Gegebenheiten in der realen Umgebung Gedanken machen.- Dauer: Wie lange ist der Arbeitende in der virtuellen Realität? Manche Arbeitende

haben bereits nach kurzer Zeit Symptome von Cybersickness, andere wiederum können länger schädigungsfrei in einer virtuellen Umgebung verweilen. Diese individuellen Unterschiede sind hierbei zu beachten und in der Arbeitsgestaltung mit zu berück-sichtigen.- Gestaltung: Wie ist die virtuelle Realität konkret gestaltet? Welche Elemente finden sich hier wieder, und wie einfach ist es, sie zu erkennen? Ist der Mensch in der Realität in Bewegung, wie es beispielsweise bei einem fahrenden Auto der Fall ist, oder steht er auf der Stelle? Welche Aufgaben verrichtet der Mensch dort, und wie einfach ist deren Er-füllung? Besonders diese Fragen liefern Hinweise auf die Komplexität der Arbeit in der virtuellen Welt.- Gegebenheiten in der realen Umwelt: Obwohl sich die visuelle Wahrnehmung in einer virtuellen Realität befindet, ist der Körper ja noch immer in der realen Umwelt. Wie ist diese Umgebung beschaffen? Wie ist die Temperatur, Lautstärke, Luftfeuchtigkeit etc.? Steht der Arbeitende, oder sitzt er? Ist das Stehen oder Sitzen angenehm oder eher zusätzlich belastend? Inwieweit stimmt die Position des Körpers in der realen Umwelt mit der virtuellen überein?

3.5.1.2.2 Informationsverarbeitung in erweiterten RealitätenBeim Einsatz von Augmented Reality wird die physische reale Umwelt mit digitalen Infor-mationen angereichert. Die digitale Information, die der arbeitende Mensch nun zusätzlich wahrnimmt, sollte so gestaltet sein, dass sie leicht erfassbar und verarbeitbar ist. Darüber hinaus sollte die zusätzliche digitale Information den Arbeitenden dabei unterstützen, Arbeitsaufgaben schneller, qualitätsvoller beziehungsweise mit weniger Belastungen zu bearbeiten. Zentral ist dabei die Gestaltung dieser digitalen Information. Störende oder ungünstig platzierte digitale Informationen können den Arbeitenden auch irritieren und deshalb den gegenteiligen Effekt bewirken. Wie kann nun die digitale Information so gestaltet werden, dass Arbeitende unter-stützt und nicht durch die zusätzlichen Reize überlastet werden?

Die Theorie der kognitiven Belastung (Cognitive Load Theory; Sweller 1988) liefert hier eine theoretische Grundlage. Diese Theorie kommt ursprünglich aus dem Bereich der Lernpsycho-logie und geht von der zentralen Annahme aus, dass das Arbeitsgedächtnis beziehungsweise ein Kurzzeitgedächtnis eines Menschen in seiner Kapazität beschränkt ist. Es kann daher nur ein bestimmtes Ausmaß an Informationen aufnehmen und aufrechterhalten.

Die Theorie der kognitiven Belastung beschäftigt sich damit, wie man (Lern-)Materialien so aufbereiten kann, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht überlastet wird. Beim Arbeiten mit Technologien – wie beispielsweise AR-Anwendungen – können diese so gestaltet sein, dass das Lernen beziehungsweise Arbeiten mit größerer oder geringer kognitiver Belastung geschieht. Ziel sollte es dabei sein, die kognitive Belastung gering zu halten. Die Theorie nimmt drei Formen von kognitiver Belastung an, die sich dann zu einer gesamtkognitiven Belastung zusammenfassen lassen.

> Die Theorie der kognitiven Belastung (Cognitive Load Theory; Sweller 1988) be-schreibt drei Formen von kognitiver Belastung: intrinsische, extrinsische und lernbezogene kognitive Belastung.

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- Intrinsische Belastung beschreibt die Belastung, die durch die präsentierten Materialien (die zu lernen sind) entsteht. Komplexere Inhalte führen zu einer höheren intrinsischen Belastung als einfachere Inhalte. Übersetzt auf den Arbeitskontext kann darunter eine Arbeitsaufgabe zu verstehen sein, die erledigt werden soll: Wenn die Arbeitsaufgabe vertraut und einfach ist, wird diese weniger belastend sein, als wenn diese neu ist, man möglicherweise nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügt oder die Aufgabe be-sonders komplex ist.- Extrinsische kognitive Belastung beschreibt jene Belastungen, die durch externe Reize entstehen, die nicht direkt mit dem direkten Lernmaterial in Zusammenhang stehen. Ex-trinsische kognitive Belastung kann aber auch durch die Aufbereitung des Lernmaterials entstehen. Wenn beispielsweise Inhalte erklärt werden, ohne dass der/die Lernende die Notwendigkeit dafür verspürt, können diese Erklärungsinhalte ablenken. Eine Anpassung an die Fähigkeiten der NutzerInnen ist demnach notwendig.- Schließlich gibt es die lernbezogene kognitive Belastung, die direkt mit dem Lernen verbunden ist. Dabei geht es um das Verstehen der Lerninhalte. Vorwissen und die Dar-stellung des Materials sind auch hier relevant.

Die Theorie der kognitiven Belastung besagt nun, dass es zu einer Überlastung des Arbeitsge-dächtnisses (Kurzzeitgedächtnisses) kommen kann, wenn die gemeinsame kognitive Belastung höher als der Arbeitsspeicher ist – dann kann nichts mehr dazugelernt werden (Sweller 1988).

Wie lässt sich nun die kognitive Belastung in AR-Systemen möglichst gering halten? Welche Maßnahmen können hier gesetzt werden? Neben der Gestaltung der digitalen Inhalte, die ein-geblendet werden, kann die Adaptivität des AR-Systems beziehungsweise Trainings der Nutze-rInnen dazu beitragen, die kognitive Belastung zu verringern (siehe . Abb. 3.11).

a. Gestaltung digitaler Inhalte

Theoretisch sollte die Nutzung von Augmented-Reality-Anwendungen im Arbeitskontext die kognitive Belastung minimieren. Das geschieht dann, wenn die Anreicherung der Umwelt mit

Beispiel | |

Denken wir an einen Arbeiter in der Automobilindustrie, dessen Aufgabe die Montage von einzelnen Bauteilen ist. Mithilfe eines Head Mounted Display (HMD) und einer AR-Anwendung kann er bei kom-plexen Produkten direkt sehen, welche Bauteile wo eingebaut werden sollen. Zusätzlich werden ihm Informationen zu den Bauteilen und zu den Werkzeugen, mit denen er arbeitet, eingeblendet. Bei einer komplexen Arbeitsaufgabe ist der Arbeiter stärker kognitiv gefordert als bei einer weniger komplexen Aufgabe (intrinsische Belastung). Wenn nun dieser Arbeiter in einem Raum arbeitet, dessen Umgebung zusätzlich belastend ist durch Schmutz, Lärm oder schlechte Luftqualität, dann ist die Aufgabe belas-tender, als wenn die Arbeitsumgebung hinsichtlich der genannten Faktoren angenehm ist. Zusätzlich ist es auch belastend, wenn die AR-Anwendung Informationen liefert, die der Arbeiter gar nicht benötigt und die ihn eher im Arbeitsprozess stören (extrinsische Belastung). Wenn der Arbeiter nun die Inhalte, die über die AR-Anwendung vermittelt werden, gut versteht, ist er weniger belastet, als wenn Fragen offen bleiben. Dabei spielt auch Vorwissen über die Werkteile eine wesentliche Rolle.Zusammengefasst ist die kognitive Belastung des Arbeiters demnach hoch, wenn er an einem kom-plexen Arbeitsprozess unter schlechten Umgebungsbedingungen arbeitet und wenig Vorwissen über den Arbeitsprozess hat beziehungsweise die eingeblendeten Informationen nicht versteht. Andererseits ist die kognitive Belastung niedrig, wenn die Arbeitsaufgabe einfach, die Umgebung angenehm und die zusätzliche digitale Information einfach, verständlich und für den Arbeiter nachvollziehbar formuliert ist.

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digitaler Information nur genau dort geschieht, wo sie auch notwendig ist beziehungsweise die Ausführung der Arbeitsaufgabe erleichtert. Die Gestaltung von digitaler Information in einer Art und Weise, dass dieses Ziel erfüllt wird, ist jedoch eine komplexe Aufgabe. Dabei ist wichtig, dass die digitale Information unterstützend und nicht störend oder irritierend ist. Um das zu ermög-lichen, ist es von Vorteil, Prinzipien der Softwareergonomie (Definition siehe Lackes und Sie-permann 2014b). anzuwenden. Dadurch kann die „Usability“ von Systemen verbessert werden.

Usability beziehungsweise Benutzerfreundlichkeit, Gebrauchstauglichkeit oder Benutz-barkeit wird vom Deutschen Institut für Normung als „… das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen“ definiert (ISO 9241-210: 2010 Ergonomics of human system interaction).

Definition

Usability oder Benutzerfreundlichkeit, Gebrauchstauglichkeit oder Benutzbarkeit wird vom Deutschen Institut für Normung als „… das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen“ definiert (ISO 9241: Ergonomics of human system interaction).

Definition

Softwareergonomie beschreibt eine Eigenschaft, die ein Softwareprodukt hat, wenn es ergonomisch gestaltet ist. Ziel der Softwareergonomie ist es, Produkte so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der damit arbeitenden Menschen entsprechen (Lackes und Sieper-mann 2014b).

Eine benutzerfreundliche Webseite zeichnet sich beispielsweise durch klar strukturierte und konsistente Darstellung aus. Zur benutzerfreundlichen grafischen Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Computersystem gibt es bereits einige Richtlinien. Sehr bekannt sind die Gestaltungsprinzipien nach Norman (1988; zitiert aus Rogers et al. 2011), die Regeln zur Gestaltung von Schnittstellen nach Shneiderman et al. (2016) und die internationalen Richt-linien für die Mensch-Computer-Interaktion nach DIN EN ISO 9241-11. In dem Unterkapitel

. Abb. 3.11 Maßnahmen zur Min-derung von Informationsüberlastung bei AR Anwendungen

Gestaltung der digitalen Information

Anpassung von Expertise und Kompetenz der

jeweiligen NutzerInnen

Trainings

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110 werden Grundsätze zur Dialoggestaltung aufgezählt. Diese sind im folgenden ▶ Exkurs „Ausgewählte Richtlinien zur Verbesserung der Benutzbarkeit von Systemen“ beschrieben. Auf Basis dieser Richtlinien lässt sich die Benutzbarkeit von Schnittstellen verbessern. Für AR-Anwendungen haben Dünser et al. (2007) die aus ihrer Sicht relevantesten Richtlinien zusammengefasst. Diese sind in der folgenden . Tab. 3.7. aufgelistet.

Exkurs: Ausgewählte Richtlinien zur Verbesserung der Benutzbarkeit von Systemen

Sechs fundamentale Gestaltungsprinzipien nach Norman (1988).1. Sichtbarkeit: Funktionen sollten sichtbar sein. Je besser die Sichtbarkeit von Funktionen ist, desto

eher finden sich NutzerInnen zurecht. Funktionen, die außer Sichtweite platziert sind, werden weniger wahrscheinlich genutzt.

2. Feedback: Feedback kann auditiv, visuell oder taktil erfolgen. Es geht darum, dass nach einer Aktion des/der Nutzers/in das System eine Information darüber rückmeldet. Feedback sollte es zum aktuellen Status des Systems sowie nach Aktionsschritten beziehungsweise Interaktionsschritten geben. Der aktuelle Status kann sich auf Produkte oder Leistungen fokussieren oder auch auf den Status des Computers beim Hochfahren. Beispielsweise sollte der/die NutzerIn über den aktuellen Status eines Downloads informiert werden. Neben Feedback über den aktuellen Stand ist auch Feedback nach Aktionen beziehungsweise Informationsschritten notwendig. Nach Aktionen (z. B. Bedienen eines Downloadbefehls) sollte es eine Rückmeldung und Informationen über die Ergeb-nisse der Aktion (z. B. Start des Downloads) geben. Durch dieses Feedback hat der/die NutzerIn den Überblick über den Status und über die Konsequenz einer getätigten Aktion.

3. Beschränkungen: Durch Beschränkungen lassen sich Interaktionsschritte lenken. Dadurch wird die Interpretation des Systems für NutzerInnen erleichtert. Beispielsweise werden in einer bestimmten Statusmeldung nur jene Interaktionselemente angezeigt, die derzeit unter den gegebenen Bedingungen möglich sind. Alle weiteren werden ausgeblendet.

4. Mapping: Von NutzerInnen gesetzte Eingaben und Reaktionen des Systems sollten eng miteinander verbunden sein, sowohl durch zeitliche Nähe als auch durch das Layout. Beispielsweise wird die Weitertaste oft durch einen Pfeil, der nach rechts zeigt, repräsentiert.

5. Konsistenz: Bei der Gestaltung von Schnittstellen sollte versucht werden, eine systemübergreifende Konsistenz zu erreichen. Dies betrifft etwa die einheitliche Gestaltung von Funktionen, Befehlen, Terminologien und des Layouts (Farben, Schriftarten und Schriftgrößen). Beispielsweise sollten die Funktionen „Weiter“ und „Zurück“ über Systeme hinweg konsistent gestaltet sein. Oft werden dabei in verschiedenen Systemen ähnliche beziehungsweise gleiche Icons oder Tastenkombinationen (Shortcuts) gewählt. Ähnliches gilt auch für einen Löschvorgang oder einen Speichervorgang.

6. Affordanz: Unter Affordanz versteht man den Angebotscharakter oder den Aufforderungscharakter für eine bestimmte Handlung, die der/die NutzerIn setzen kann. Bei einer hohen Affordanz der Bedienelemente wird den NutzerInnen bereits durch das Erkennen des Bedienelementes sofort klar, wie es genutzt werden soll. Ein Beispiel für einen hohen Aufforderungscharakter ist die Lupe, die die Suchfunktion repräsentiert.

Acht goldene Regeln für die Gestaltung von Schnittstellen (Shneiderman et al. 2016)1. Konsistenz: Bei der Gestaltung von Schnittstellen sollte versucht werden, eine systemübergreifende

Konsistenz zu erreichen. Dies betrifft beispielsweise die Gestaltung von Funktionen, Befehlen, Terminologien und Layout (Farben, Schriftarten und Schriftgrößen). Beispielsweise sollten die Funk-tionen „Weiter“ und „Zurück“ über Systeme hinweg konsistent gestaltet sein. Oft werden dabei in ver-schiedenen Systemen ähnliche beziehungsweise gleiche Icons oder Tastenkombinationen (Shortcuts) gewählt. Etwas Vergleichbares gilt auch für einen Löschvorgang oder einen Speichervorgang.

2. Universelle Bedienbarkeit: Unter universeller Bedienbarkeit eines Systems versteht man die Möglichkeit, dass NutzerInnen mit unterschiedlicher Erfahrung und unterschiedlichen Bedürf-nissen das System benutzen können. Erfahrene NutzerInnen sollten beispielsweise die Möglichkeit haben, Interaktionsprozesse abzukürzen. Shortcuts stellen hier eine Möglichkeit dar, um die Anzahl der Interaktionen mit dem System zu minimieren. Andererseits sollten für Anfänger ausreichende Erklärungen zur Nutzung des Systems angeboten werden.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen130

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3. Feedback: Informatives Feedback ist wichtig und notwendig, um zu erkennen, welche Konsequenz Aktionen haben beziehungsweise in welchem Status sich das System befindet. Nach jeder Aktion beziehungsweise Eingabe des/der NutzerIn sollte das System unmittelbares Feedback geben. Dieses Feedback kann bei häufigen Aktionen sehr schlicht sein, sollte aber bei weniger häufig aus-geführten Aktionen umfassender ausfallen.

4. Abgeschlossenheit: Man sollte Aktionen so gestalten, dass ein Abschluss deutlich ist. Sequenzen von Aktionen sollen in Anfang, Mitte und Endgruppen zusammengefasst werden. Nach Abschluss einer Gruppe sollte es Feedback über den Abschluss geben. Wenn man beispielsweise eine An-wendung herunterladen möchte, dann ist die Auswahl der Anwendung der Start der Handlung, die Downloaddauer, über deren Status informiert werden sollte, die Mitte der Handlung und das Signal über den erfolgreichen Download das Ende der Handlung.

5. Einfache Handhabung bei Fehlern: Generell sollte ein System so gestaltet sein, dass es nicht zu Fehlern kommt. Wenn dennoch Fehler auftreten, sollte die Behebung des Fehlers möglichst einfach gestaltet sein. Beispielsweise könnte das System selbst so intelligent sein, den Fehler zu erkennen, und Lösungsmöglichkeiten anzeigen.

6. Stornierung: Es sollte die Möglichkeit geben, gesetzte Aktionen einfach rückgängig zu machen. Solche Rücksetzungsmöglichkeiten können in unterschiedlichen Dimensionen (einzelne Aktionen oder Menügruppen) umgesetzt werden. Dadurch verlieren NutzerInnen auch die Angst oder die Zurückhaltung davor, Aktionen zu tätigen.

7. Kontrolle: NutzerInnen sollten den Eindruck haben, dass sie das System kontrollieren können, und nicht umgekehrt. Es sollte deshalb möglich sein, das Gefühl zu haben, dass man selbst die Kontrolle über etwas hat.

8. Auslastung: Die Informationsverarbeitungskapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist beschränkt. Daher sollte die Gestaltung von Bedienelementen reduziert und möglichst einfach sein. Eine ein-fach gestaltete Schnittstelle verringert die Auslastung des Speichers im Kurzzeitgedächtnis. Eine Möglichkeit sind Erinnerungshilfen, durch die z. B. beim Ausfüllen von Formularen zuvor getätigte Eingaben vorgeschlagen werden.

Sieben Grundsätze der Dialoggestaltung nach DIN EN ISO 9241-1101. Aufgabenangemessenheit: Der/die NutzerIn soll bei der Bearbeitung einer konkreten Aufgabe mit

den Inhalten und Funktionalitäten konfrontiert sein, die notwendig sind, um die Aufgabe zu be-arbeiten. Dies bedeutet auch, dass es wenig oder keine unnötigen Interaktionen gibt.

2. Selbstbeschreibungsfähigkeit. Der/die NutzerIn weiß, wie Hilfestellungen und Rückmeldungen zu finden sind. Er/sie weiß auch, in welchem Status er/sie sich befindet, welche Interaktionselemente vorhanden sind und wofür sie benutzt werden können.

3. Lernförderlichkeit: Ziel ist eine minimale Erlernzeit der Systeme. NutzerInnen sollten die Möglich-keit haben, neue Systeme schnell bedienen zu können. Ein lernförderliches System leitet den/die NutzerIn bei der Bedienung des Systems an.

4. Erwartungskonformität: Das System sollte konsistent zu anderen Systemen gestaltet sein. Die Erwartungen von NutzerInnen an Funktionalitäten sollte erfüllt werden. Systeme sind dann er-wartungskonform, wenn sie einheitlich bedienbar sind.

5. Fehlertoleranz: Wenn das System trotz fehlerhafter Eingabe funktionsfähig bleibt, ist es fehler-tolerant. Kleinere Fehler sollte der/die NutzerIn selbst korrigieren können.

6. Steuerbarkeit: Dialoge sind steuerbar, wenn der/die NutzerIn die Möglichkeit hat, den Dialog-ablauf zu beeinflussen. Beispielsweise sollten Dialoge anhaltbar sein, d. h., eine Unterbrechung und Wiederaufnahme ist möglich. Die Geschwindigkeit des Dialogs sollte beeinflussbar sein, wie z. B. die Lesegeschwindigkeit. Man sollte auch die Richtung des Dialogs beeinflussen können. Es sollte unter anderem die Möglichkeit bestehen, Interaktionsschritte rückgängig zu machen.

7. Individualisierbarkeit: Individualisierbarkeit ist gegeben, wenn der/die NutzerIn das System an die eigenen Bedürfnisse und an Fähigkeiten anpassen kann, z. B. sollte die Schriftgröße veränderbar sein, um die Lesbarkeit der Inhalte für den/die jeweilige/n Nutzer/in zu verbessern.

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. Tab. 3.7 Gestaltungsrichtlinien zur Aufbereitung digitaler Informationen im Kontext von AR-Techno-logien. (Nach Dünser et al. 2007)

Gestaltungsrichtlinie Beschreibung

Affordanz Unter Affordanz versteht man den Angebotscharakter oder den Aufforde-rungscharakter. Bei der Gestaltung von AR-Systemen sollten Interaktions-elemente so gestaltet sein, dass der intendierte Gebrauch der Elemente offensichtlich ist. Beispielsweise suggeriert ein Knopf, wie er in einer 3D-Grafik dargestellt ist, dass er gedrückt werden kann. Ähnlich passende Interaktions-metaphern sollten in AR-Systemen integriert werden, um die Bedienung der Elemente intuitiv und das System somit benutzbarer zu gestalten.

Reduktion des kognitiven Mehr-aufwandes

Bei der Benutzung von AR-Systemen ist es wichtig sicherzustellen, dass Nut-zerInnen nicht hauptsächlich damit beschäftigt sind, das System überhaupt zu verstehen und die Interaktion zu bewältigen, sondern ihre eigentliche Aufgabe effizient bearbeiten können. Es sollte den NutzerInnen also möglich sein, sich auf die aktuelle Aufgabe zu fokussieren. Dafür ist es notwendig, das System für ExpertInnen und für Laien so zu gestalten, dass der kognitive Mehraufwand bei der Benutzung des Systems so gering wie möglich ist.

Minimierung der physischen Belastung

Die Anreicherung der realen Welt mit virtuellen Informationen (AR) geschieht häufig durch eine Brille (HDM – head mounted display). Wenn man diese Brille lange trägt, kann es zu Unwohlsein oder Ermüdung kommen. Daher ist es einerseits wichtig, dass diese Brillen möglichst leicht und komfortabel gestaltet sind, andererseits, dass es die Möglichkeit zu Pausen gibt. Hierbei ist auch wichtig, dass die Aufgaben möglichst effizient durch möglichst wenige Interaktionsschritte bearbeitbar sind. Besonders im Arbeitskontext ist es wichtig, dass die Arbeitsaufgaben (beziehungsweise Teilarbeitsschritte) innerhalb des Zeitraumes, während dessen es durch die Nutzung von AR beziehungsweise das Tragen der Brille nicht zu physischen Beeinträchtigun-gen kommt, bis zum Ende bearbeitbar sind. Die zuvor beschriebene Cyber-sickness (Abschn. 3.5.1.2.1.) ist in AR-Umgebungen zwar weniger relevant als in VR-Umwelten, jedoch sollte die Möglichkeit dieser Symptome auch bei der Gestaltung der Systeme berücksichtigt werden. Wichtig ist hierbei, Nutzungs-zeiten zu bedenken und die Aufgabendauer anzupassen.

Lernförderlichkeit Es sollte für NutzerInnen einfach sein, die Benutzung des Systems zu erlernen. Die Interaktionen mit einem AR-System können sich von bisher bekannten Interaktionen unterscheiden. Daher müssen NutzerInnen sich diese neuen Interaktionsmuster aneignen, bevor das System effizient genutzt werden kann. Wenn diese Aneignung schnell und intuitiv funktioniert, ist die Lernför-derlichkeit des Systems gegeben.Drei Aspekte sind hierbei relevant. Intuitive Interaktionen, d. h., jene, die Interaktionen aus der realen Welt ähnlich sind, fördern die schnelle Nutzung des Systems. Der/die NutzerIn ist mit diesen bereits vertraut und muss daher weniger Neues lernen. Auch eine passende Bezeichnung von Interaktions-elementen kann die Lernförderlichkeit verbessern. Beispielsweise sind selbst-erklärende Interaktionselemente hilfreich. Letztendlich ist die Konsistenz (im Sinne der konsistenten Gestaltung von Elementen über Systeme hinweg) eine wesentliche Voraussetzung für Lernförderlichkeit. Wenn Interaktionselemente inkonsistent gestaltet sind, kommt es zur Verwirrung der NutzerInnen.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen132

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Gestaltungsrichtlinie Beschreibung

Zufriedenheit der NutzerInnen

Neben der grundsätzlichen Benutzbarkeit der AR-Systeme ist auch die Zufriedenheit der NutzerInnen relevant. AR-Systeme können sich auch dahin-gehend unterscheiden, wie viel Freude empfunden wird, wenn sie benutzt werden, ob sie begeistern beziehungsweise die Interaktionen auch Spaß machen. Das Gefallen spielt also neben der Funktionalität auch eine zentrale Rolle und sollte bei der Gestaltung berücksichtigt werden.

Flexibilität bei der Nutzung – Indivi-dualisierbarkeit

NutzerInnen von AR Systemen unterscheiden sich in ihren Präferenzen und Fähigkeiten. Diese individuellen Unterschiede sollten bei der Gestaltung der Systeme beziehungsweise der grafischen Schnittstelle berücksichtigt werden.

Reaktionsfähigkeit und Feedback

Damit der/die NutzerIn seine/ihre Eingabe und die Reaktion des Systems miteinander verknüpfen kann, ist eine kurze Reaktionszeit des Systems notwendig. Insbesondere wenn die Reaktionszeit des Systems hoch ist (z. B. wegen einer längeren Ladezeit oder aufgrund technischer Probleme) ist es wichtig, dem/der NutzerIn Informationen beziehungsweise Feedback über den Status mitzuteilen. Die Gestaltung des Feedbacks kann dabei visuell, aber auch auditiv geschehen.

Fehlertoleranz Fehlertoleranz besteht dann, wenn NutzerInnen eines Systems ein be-absichtigtes Ergebnis auch dann erzielen, wenn fehlerhafte Eingaben getätigt wurden. Diese fehlerhafte Eingabe sollte automatisch oder durch wenig Aufwand vom Nutzer beziehungsweise von der Nutzerin korrigiert werden können. In frühen Entwicklungsphasen gibt es bei AR-Systemen noch tech-nische Instabilitäten, weswegen diese Gestaltungsrichtlinie erst zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt erfüllbar sein kann.

. Tab. 3.7 (Fortsetzung)

Praxisübung | |

Suchen Sie im Internet nach AR-Anwendungen, und informieren Sie sich über die Gestal-tung der eingeblendeten digitalen Informationen. Gehen Sie die Usability-Gestaltungsricht-linien durch, und überlegen Sie, inwieweit die Benutzbarkeit gegeben ist beziehungsweise nicht gegeben ist. Überlegen Sie dann, wie diese verbessert werden könnte.

b. Adaptivität des Systems

Ziel einer AR-Anwendung im Arbeitskontext ist die Unterstützung eines Arbeitsprozesses. Ar-beitende sollen durch die Bereitstellung von Informationen darin unterstützt werden, einen Ar-beitsprozess besser beziehungsweise schneller zu bearbeiten. Um die kognitive Verarbeitungs-kapazität während des Arbeitens mithilfe von AR-Anwendungen möglichst auf optimalem Niveau zu halten, ist eine Adaptivität beziehungsweise Anpassung der Anwendung an den/die jeweilige/n NutzerIn von Vorteil. Dabei ist eine Anpassung an deren Kompetenz beziehungs-weise Expertise bezüglich der Arbeit und auch bezüglich der Nutzung der Technologie von Vorteil. Dafür benötigt das System entsprechende Modelle je nachdem, von wem es derzeit genutzt wird. Ein Nutzer mit hohem Expertisegrad beziehungsweise mit großer Erfahrung in der Arbeitsaufgabe, die bewältigt werden soll, benötigt andere Informationen als ein Nutzer mit wenig Erfahrung. Beispielsweise können Informationen, die der Nutzer gar nicht benötigt, da er/sie selbst darüber verfügt, eher irritieren beziehungsweise den Arbeitsprozess stören

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oder sogar unterbrechen. Ein/e NutzerIn, der/die die AR-Anwendung bereits einige Male ver-wendet hat, benötigt weniger beziehungsweise andere Informationen als ein/e NutzerIn, der/die die Anwendung zum ersten Mal benutzt. Neben Expertise und Erfahrung kann auch auf persönliche Präferenzen bei der Nutzung des Systems Rücksicht genommen werden.

c. Training von NutzerInnen

Letztendlich sind Trainings für den richtigen und erfolgreichen Umgang mit AR-Systemen notwendig. Diese Trainings bieten einen Rahmen, innerhalb dessen zukünftige NutzerInnen, die für viele neue Technologie zunächst kennenlernen und ausprobieren können. Hier kann man auch Fragen zum System beantworten und auf Vorbehalte reagieren. Zudem lässt sich der konkrete Umgang mit dem System trainieren. Die Interaktionen mit einem AR-System können sich nämlich von bisher bekannten Interaktionen mit anderen technischen Systemen unterscheiden. Daher müssen NutzerInnen sich diese neuen Interaktionsmuster aneignen, bevor das System effizient genutzt werden kann. Zusammengefasst lässt sich durch geeignete Trainings der Umgang mit AR-Technologien zur Verrichtung bestimmter Arbeitsprozesse er-lernen. Dadurch kann die wahrgenommene Nützlichkeit der Technologie und damit auch ihre Akzeptanz verbessert werden.

3.5.1.3 Cyber-physische SystemeObwohl das allumfassend digitalisierte Industrieunternehmen derzeit noch eine Vision ist, gibt es in jüngster Zeit einige Bemühungen, Industrieanlagen verstärkt zu digitalisieren. Häufig fällt in diesem Zusammenhang das Schlagwort „Industrie 4.0“. Damit wird das Phänomen einer vierten industriellen Revolution zusammengefasst, die sich nach der Mechanisierung, Indus-trialisierung und Automatisierung nun abspielt. Ein Element dieser Veränderung von Indus-trieanlagen sind cyber-physische Systeme.

Definition

„Unter ‚Industrie 4.0‘ wird die beginnende vierte industrielle Revolution (nach Mecha-nisierung, Industrialisierung und Automatisierung) verstanden. Zentrales Element sind vernetzte cyber-physische Systeme (CPS).“ (Spath et al. 2013). Im US-amerikanischen Raum bildet der Begriff „Industrial Internet“ das Pendant zum deutschen „Industrie 4.0“ (Studien-katalog zur digitalen Transformation durch Industrie 4.0 und neue Geschäftsmodelle; Plattform Industrie 4.0).

Cyber-physische Systeme (CPS, engl. cyber-physical systems) sind hochvernetzte Systeme, die mithilfe von Sensoren Daten über ihre Umwelt sammeln und entsprechende Aktionen in Gang setzen. Beispiele dafür sind Rollläden, die sich selbstständig bei einer Sturmwarnung hochfahren, bis hin zum selbstfahrenden Auto, welches das Fahrverhalten beziehungsweise die Geschwindigkeit auf Basis von Daten aus der Umwelt anpasst. CPS bestehen aus Objekten, die in Produkte integriert sind und miteinander über digitale Netze verbunden sind. Diese Objekte sammeln über Sensoren eine Vielzahl von Daten und werten sie aus. Fehlfunktionen, Missbrauch und die Verletzungen der Privatsphäre stellen jedoch in diesem Zusammenhang kritische Faktoren dar (Hansen und Thiel 2012).

Aufgrund der Komplexität von CPS ist es für den Menschen oft schwer nachzuvollziehen, welche Daten gesammelt und wofür sie verwendet werden. Ein Vertrauen in die Systeme be-ziehungsweise deren Akzeptanz ist notwendig, damit Menschen sie überhaupt nutzen. Bei der

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Nutzung ist es dann wichtig, dass sich der Mensch den Sicherheitsrichtlinien entsprechend ver-hält. Unachtsamer Umgang mit Zugangsdaten kann dazu führen, dass die Privatsphäre verletzt werden kann. In der Diskussion rund um Industrie 4.0 und sich selbst steuernde Systeme spielt es eine große Rolle, dass dem Menschen bei manchen Prozessen eine unbedeutende beziehungs-weise überhaupt keine Rolle mehr zukommt. Es stellt sich demnach in diesem Kontext auch wieder verstärkt die Frage, welche Arbeitstätigkeiten in Zukunft vom Menschen und welche von intelligenten Maschinen ausgeübt werden. Dies ist besonders dann zu diskutieren, wenn moralische Entscheidungen getroffen werden müssen. Auf all diese benannten Aspekte wird im Folgenden Bezug genommen.

3.5.1.3.1 Vertrauen und AkzeptanzBei der Entwicklung neuer cyber-physischer Systeme, die am Ende vom Menschen beziehungs-weise Organisationen gekauft, eingesetzt und benutzt werden, ist es wichtig, Aspekte von Ver-trauen und Akzeptanz zu beachten. Nur wenn Vertrauen und Akzeptanz der Systeme in einem Mindestmaß vorhanden sind, werden diese Systeme auch wirklich vom Menschen genutzt werden. Wenn Organisationen beispielsweise vermehrt auf diese Technologien setzen, Ar-beitende mit ihnen interagieren müssen, sie aber ablehnen oder nur eingeschränkt benutzen, dann kann der intendierte Qualitäts- oder Effizienzgewinn nicht erreicht werden. Daher ist es zentral, sich bei der Gestaltung von Arbeitsumgebungen mit CPS eingehend mit den Aspekten von Vertrauen und Akzeptanz solcher Systeme auseinanderzusetzen.

Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei das Gefühl von Privatsphäre. Wenn wir nun vom Szenario ausgehen, dass Menschen mit cyber-physischen Systemen arbeiten, werden von diesen Daten gesammelt und analysiert. Ein Vorteil besteht darin, dass dadurch die Systeme, ange-passt an den jeweiligen Nutzer beziehungsweise die jeweilige Nutzerin, funktionieren können. Andererseits kann aber beim Menschen das Gefühl der Überwachung durch die Maschinen beziehungsweise einer eingeschränkten Freiheit aufkommen. Aber was brauchen hochent-wickelte Maschinen, damit man ihnen vertraut? Was soll mit den Daten geschehen, und wer bestimmt, wo die Daten liegen?

Mayer et al. (1995) beschreiben in ihrem organisationalen Vertrauensmodell, wie Vertrauen beeinflusst wird. Die AutorInnen definierten Vertrauen als „… the willingness of a party to be vulnerable to the actions of another party based on the expectation that the other will perform a particular action important to the trustor, irrespective of the ability to monitor or control that other party.“ (Mayer et al. 1995, S. 712)

Definition

Vertrauen wird definiert als „… the willingness of a party to be vulnerable to the actions of another party based on the expectation that the other will perform a particular action important to the trustor, irrespective of the ability to monitor or control that other party.“ (Mayer et al. 1995, S. 712)

Zentral bei dieser Definition ist, dass die Person, die einer anderen Partei Vertrauen entgegen-bringt, bis zu einem gewissen Grad verletzbar ist beziehungsweise dadurch ein Risiko eingeht. Die AutorInnen gehen in ihrem Modell weiter davon aus, dass das Vertrauen durch unter-schiedliche Faktoren beeinflusst wird. Dabei spielt es eine Rolle, inwieweit die Person, der man vertrauen soll, auch vertrauenswürdig ist. Die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit hängt mit der Fähigkeit, dem Wohlwollen und der Integrität dieser Person zusammen.

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Unter Fähigkeit definieren die Autoren die Kompetenzen einer Partei. Im Arbeitskontext kann ich beispielsweise die Wahrnehmung haben, dass mein Kollege eine Aufgabe gut bearbei-ten wird, da er die dafür notwendigen Fähigkeiten besitzt. Der zweite Faktor – das Wohlwollen – beschreibt den Eindruck oder das Gefühl, dass die Person, der man vertrauen soll, nicht egozen-trisch handelt, sondern sie für sich selbst etwas Gutes erzielen möchte. MentorInnen haben hier beispielsweise sehr hohe Ausprägungswerte. Unter Integrität versteht man, wenn die Person, der vertraut werden soll, an Prinzipien festhält, die auch für den/die Vertrauende/n akzeptabel sind. Neben diesen Faktoren, die die Vertrauenswürdigkeit einer Person bestimmen, hat auch die grundlegende Fähigkeit oder Bereitschaft eines Menschen, jemandem Vertrauen entgegen-zubringen, einen Einfluss auf das Ausmaß des Vertrauens. Hierbei gehen die AutorInnen von einem stabilen Persönlichkeitsmerkmal aus (vollständiges Modell siehe Mayer et al. 1995).

> Das Ausmaß an Vertrauen wird bestimmt durch die wahrgenommene Vertrauenswür-digkeit der Person, der man vertrauen soll. Diese Vertrauenswürdigkeit ist bestimmt durch die Faktoren Fähigkeit, Wohlwollen und Integrität. Aber auch vertrauensbezo-gene Einstellungen des Vertrauenden haben Einfluss auf das Vertrauen (Mayer et al. 1995).

Menschen können nun nicht nur anderen Menschen oder Gruppen vertrauen, sondern auch Maschinen, Robotern oder Computersystemen.- Roboter, die nicht die Fähigkeit haben, die Aufgabe auszuführen, weil sie fehlerhaft

programmiert sind, wird man keine solche Arbeitsaufgabe zutrauen.- Auch das Thema Wohlwollen ist im Kontext von hochtechnologisierten Arbeitskon-texten interessant. Wenn eine Technologie Teil meiner Arbeitsgruppe ist, bei der ich den Eindruck habe, dass es „gegen mich arbeitet“, werde ich ihr weniger vertrauen. Beispiels-weise könnten Systeme so programmiert sein, dass menschliches Fehlverhalten öffent-lich gemacht wird. Menschliche Gruppenmitglieder können sich dadurch vor anderen KollegInnen bloßgestellt fühlen und den Eindruck gewinnen, dass das System ihnen gegenüber „nicht wohlwollend“ reagiert.- Das Thema Integrität spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Unternehmenskultur. Technologien können bestimmten Werten oder Normen einer Organisationskultur folgen. Wenn diese mit den Werten und Normen des Menschen konsistent sind, ist zu erwarten, dass die Integrität des Systems als höher eingeschätzt wird.- Schließlich ist anzunehmen, dass sich die Neigung, hochentwickelten Maschinen zu ver-trauen, individuell unterschiedlich ist. Es ist anzunehmen, dass das Wissen über kom-plexe Systeme und frühere Erfahrungen hierbei eine Rolle spielen.

Bei der Entwicklung von vertrauenswürdigen Technologien und bei deren Implementierung in Arbeitskontexte ist es wichtig, all diese Aspekte zu bedenken. Ob der Mensch einem System vertraut oder nicht, hat einen Einfluss darauf, ob es genutzt wird.

Neben dem Vertrauen, das vor allem bei der Nutzung von Technologien wichtig ist, die sensible Daten über den Menschen sammeln, gibt es weitere Faktoren, die beschreiben, ob Technologien genutzt werden. Das Modell der Technologieakzeptanz (Technology Acceptance Model, TAM; Davis 1989; Venkatesh und Bala 2008; Venkatesh und Davis 1996; Venkatesh und Davis 2000) wurde auf Basis der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen und Fishbein 1975) entwickelt und beschreibt Prädiktoren für die Technologienutzung. Zentrale Konstrukte des Technologieakzeptanz-Modells sind die folgenden (Venkatesh und Bala 2008):

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- „Wahrgenommene Nützlichkeit“ beschreibt, inwieweit der/die NutzerIn das Gefühl hat, dass die Nutzung der Technologie zu einer besseren Leistung führt- „Wahrgenommener Bedienkomfort“ beschreibt, inwieweit der/die NutzerIn das Gefühl hat, dass die Nutzung des Systems ohne Aufwand möglich ist- Intention eines Nutzungsverhaltens- Nutzung der Technologie

Demnach ist eine Nutzung von Technologien durch die Intention bestimmt, sie zu nutzen, was wiederum von Bedienkomfort und Nützlichkeit abhängt und dadurch bestimmt ist.

> Das Modell der Technologieakzeptanz beschreibt, dass die Nutzung von Techno-logien durch die Intention bestimmt ist, sie zu nutzen. Diese Intention ist wiederum durch den Bedienkomfort und die wahrgenommene Nützlichkeit bestimmt (Venka-tesh und Bala 2008).

Vertrauen und Akzeptanz sind zwei wesentliche Mechanismen bei der Interaktion mit cyber-phy-sischen Systemen im Arbeitskontext. Die beschriebenen theoretischen Modelle, die bereits mehr-fach empirisch bestätigt wurden, beschreiben verschiedene Faktoren, bei denen man ansetzen kann, um Vertrauen und Akzeptanz zu erhöhen. Denken wir an einen Transportroboter in der Produktion. Wenn er gut eingesetzt wird, sodass er dem Menschen schwere Aufgaben abnimmt und für diese bestens geeignet ist, werden die MitarbeiterInnen ihn als passend fähig einschätzen. Dies erhöht die wahrgenommene Nützlichkeit des Systems und demnach auch die Akzeptanz der Technologie. Entsprechend wird das System weiter für die jeweilige Aufgabe eingesetzt werden.

3.5.1.3.2 Datensicherheit und PrivatsphäreDatensicherheit ist ein wichtiger Aspekt im Kontext von cyber-physischen Systemen. Cyber-phy-sische Systeme sind untereinander vernetzt und sammeln mithilfe von Sensoren Daten über ihre Umwelt, analysieren diese und leiten daraus Entscheidungen ab (Hansen und Thiel 2012). Um Fehlfunktion und Missbrauch zu vermeiden, ist eine sichere Speicherung der Daten unerlässlich. Das Ziel von Datensicherheit ist dabei, die Daten so zu speichern, dass sie vor Bedrohungen wie beispielsweise Verlust oder Manipulation gesichert sind (siehe Lackes und Siepermann 2014a).

Definition

Unter dem Begriff Datensicherheit versteht man „in der betrieblichen Datenverarbeitung alle technischen und organisatorischen Maßnahmen zum Schutz von Daten vor Verfäl-schung, Zerstörung und unzulässiger Weitergabe.“ (Lackes und Siepermann 2014a)

Um Datensicherheit zu gewährleisten, müssen sich Unternehmen damit beschäftigen, welche Daten erfasst werden, wo und wie sie gespeichert werden, wie sie verbreitet werden (zwischen Maschinen) und wer auf welche Daten Zugriff hat. Gesetzliche Bestimmungen und Richtlinien bieten hier einen Rahmen, an den man sich zu halten hat, wie er beispielsweise durch das Daten-schutzgesetz vorgegeben ist.

Datensicherheit ist unabdingbare Voraussetzung für einen möglichen Datenschutz: Nur wenn die Daten sicher gespeichert sind, können sie auch geschützt werden. Neben den techni-schen Bemühungen ist die Aufklärung der MitarbeiterInnen notwendig, um ein Bewusstsein für sicherheitskonformes Verhalten zu schaffen. Denn durch menschliches Fehlverhalten hinsicht-

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lich der Sicherheitsbestimmungen können selbst die ausgeklügeltsten technischen Bemühungen zur Datensicherheit außer Kraft gesetzt werden (siehe auch folgendes Beispiel). Sicherheit ent-steht demnach dadurch, dass sich Menschen den Sicherheitsrichtlinien entsprechend verhalten und nicht versuchen, sie zu umgehen.

> Das menschliche Verhalten nimmt wesentlichen Einfluss auf die Datensicherheit und folglich auf den gewährleisteten Datenschutz.

Das Sicherheitsverhalten in der Fabrik beziehungsweise im Produktionsbetrieb war bisher stark auf die Vermeidung von Verletzungen oder Unfällen fokussiert. MitarbeiterInnen waren beispiels-weise gehalten, Helme und Sicherheitshandschuhe zu tragen, um eine Verletzungsgefahr zu ver-meiden. Im Kontext von Industrie 4.0 kommen zu diesen Sicherheitsrichtlinien Richtlinien hinzu, die die Sicherheit hinsichtlich Informationen und Daten gewährleisten sollen. Sicherheitskon-formes Verhalten ist demnach auch in Bezug auf Informationsweitergabe und Zugriffsrechte not-wendig. Betriebe stehen nun vor der Aufgabe, auch diese Aspekte in ihre Sicherheitsschulungen miteinzubeziehen. Es ist davon auszugehen, dass die Konsequenzen eines Missbrauchs von Daten aber abstrakter und weniger unmittelbar absehbar sind als die Konsequenz eines ungesicherten Hantierens mit einer Maschine. Was ist nun notwendig, um das Sicherheitsverhalten positiv zu beeinflussen? Bisher wurden verschiedene Faktoren untersucht, die auf das Sicherheitsverhalten von Menschen Einfluss nehmen. Dies lässt sich auch auf den Bereich Datensicherheit übertragen, obwohl hier davon auszugehen ist, dass sich zwei wesentliche Merkmale unterscheiden:

Datensicherheit: Eine Gratwanderung zwischen technischer Sicherheit und menschlichem Sicherheitsverhalten | |

Denken wir an einen großen Produktionsbetrieb, der Motoren für die Automobilbranche herstellt. Im Produktionsbereich gibt es mehrere Linien, an denen bis zu 15 MitarbeiterInnen beschäftigt sind. Vor gar nicht allzu langer Zeit lagen Arbeitsanweisungen beziehungsweise Instruktionen zu den Arbeits-abläufen am jeweiligen Arbeitsplatz in Papierform vor. Die Aufträge wurden jeden Tag vom Leiter der Linie ausgedruckt und an den jeweiligen Arbeitsplätzen platziert.Um hier mehr Effizienz zu schaffen, wurden diese Arbeitsschritte digitalisiert. Arbeitsplätze sind nun mit Bildschirmen ausgestattet, auf denen Arbeitsanweisungen und Arbeitsaufträge zu finden sind. Zu Schichtbeginn müssen sich einzelne MitarbeiterInnen in das System einloggen, um diese Informationen zu erhalten. Dafür benötigen sie ein Passwort. Dieses Passwort muss aus Klein- und Großbuchstaben, mindestens einem Sonderzeichen (z. B. *, >, !, ‚#) und aus mehr als zwei Ziffern bestehen. Außerdem darf das Passwort kein gängiges Wort sein und nicht gleich oder ähnlich sein wie die letzten drei gewählten Passwörter. Es besteht noch die Pflicht, Passwörter alle drei Monate zu ändern. Ziel ist die Zugangskon-trolle. MitarbeiterInnen mit unterschiedlichem Status haben Zugang auf unterschiedliche Informationen; beispielsweise darf ein Lehrling im Gegensatz zu einem Schichtleiter nur beschränkt auf Informationen zugreifen.Diese Digitalisierung von Arbeitsabläufen war eine große Umstellung für die MitarbeiterInnen, da sie sich an die neue Arbeitsweise beziehungsweise den Umgang mit den Technologien erst gewöhnen mussten. Nur der Umgang mit den Passwörtern bereitet einigen Personen noch Probleme. Sich Pass-wörter zu merken, diese passend zu ändern und nicht falsch einzugeben, sind neue Anforderungen, mit denen sich die MitarbeiterInnen konfrontiert sehen. Diese Situation führte dazu, dass sich manche Mit-arbeiterInnen ihre letzten drei Passwörter auf ein Post-it aufschreiben und an den jeweiligen Bildschir-men aufkleben. Da ein Arbeitsplatz jedoch aufgrund der Schichtarbeit von mehreren Personen genutzt wird, ist das „analog dokumentierte“ Passwort von verschiedenen Personen einsehbar. Diese Verhaltens-weise führt dazu, dass die Datensicherheitssituation eigentlich faktisch unsicherer ist, als wenn man nur ein (zu) einfaches Passwort einzugeben hätte.

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- die zeitliche Dimension, innerhalb derer eine Konsequenz zu erwarten ist- der Abstraktionsgrad der Konsequenz

> Sicherheitsverhalten, das zur Vermeidung von physischen Verletzungen oder Unfäl-len dient, unterscheidet sich vom Sicherheitsverhalten hinsichtlich Cyber-Angriffen in zwei Aspekten: In der zeitlichen Dimension bezüglich der unmittelbaren Konsequenz für den/die Mitarbeiter/in und im Abstraktionsgrad der Konsequenz.

Stellen wir uns folgende zwei Beispiele vor:- Beispiel A: Eine Mitarbeiterin arbeitet an der Herstellung eines Produktes, wobei ein Teil dieses Produktes sehr scharfe Kanten hat und zudem noch schwer zu tragen ist. Sie muss dieses Teil zum Arbeitsplatz tragen und dann in das existierende Produkt einbauen. Beim Tragen dieses Werkteils muss die Mitarbeiterin Sicherheitshandschuhe tragen, die sie vor Verletzungen schützen. Wenn sie diese Handschuhe nicht trägt, kann es bei einer falschen Bewegung oder Stolpern zu einer Verletzung kommen, z. B. dem Abtrennen von Fingern. Die Folgen eines Unfalls sind in diesem Fall unmittelbar: Wenn das scharfe Werkstück den Finger durchschneidet, ist dieser sofort abgetrennt, der Schmerz unmittelbar wahrnehm-bar und auch die Konsequenz ist gleich absehbar, dass man, wenn der Finger nicht mehr angenäht werden kann, ohne ihn leben muss. Die negative Konsequenz – der abgetrennte Finger – ist sofort eingetreten und zudem etwas für jede Person Vorstellbares und Konkretes.- Beispiel B: Ein Mitarbeiter erhält eine E-Mail, in der er aufgefordert wird, einen bestimm-ten Link anzuklicken. Diese Mail enthielt zwar mehr Rechtschreibfehler als in üblichen E-Mails, war jedoch den E-Mails, die er sonst von der Personalabteilung erhält, ähnlich. Daher klickt der Mitarbeiter auf den Link, über den er auf eine Seite weitergeleitet wird, auf der er die Zugangsdaten für seinen beruflichen Online-Account eingeben soll. Er gibt die Daten ein, und danach schließt sich die Seite wieder. Er wundert sich zwar, denkt sich aber, dass es sich dabei eben um einen Systemfehler handelt, und geht wieder seiner normalen Arbeit nach. Dass er dabei tatsächlich einer Phishing-Attacke (Definition siehe Siller (2013)) auf den Leim gegangen ist, merkt er erst Wochen später, als das Werk für einige Tage geschlossen werden muss: Ein Hacker hatte sich durch die Zugangsdaten des Mit-arbeiters Informationen über die Produktionsstätte verschafft und konnte dadurch in das interne System eindringen und es manipulieren.

Definition

Das Wort Phishing ist angelehnt an das englische Wort für Angeln beziehungsweise Fischen, nämlich „fishing“. Die Schreibung mit dem Buchstaben P verdeutlicht den Bezug zu Passwörter – bildlich gesprochen ist Phishing also das Angeln nach Passwörtern. Beim Phi-shing werden Daten von InternetnutzerInnen abgefangen, beispielsweise über gefälschte E-Mails. Ziel von Phishing ist der Missbrauch persönlicher Daten, aber auch die Schädigung von Inhabern von Bankkonten (Siller 2013).

Kehren wir nun zurück zur zentralen Frage, wie man auf ein sicherheitskonformes Verhalten hinarbeiten kann. Hierbei geben zwei Studien beziehungsweise theoretische Modelle Hinweise.1. Griffin und Neal (2000) beschreiben, dass man bei der Sicherheitsleistung zwei Aspekte

unterscheiden kann. Konkret unterscheiden sie zwischen den Determinanten und Kom-ponenten des Sicherheitsverhaltens (safety performance).

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- Als Determinanten gelten dabei Sicherheitsmotivation und Sicherheitswissen, die be-stimmen, ob ich mich sicher verhalte.- Unter den Komponenten des Sicherheitsverhaltens unterscheidet man Sicherheits-Compliance und Sicherheitspartizipation. Compliance ist dabei definiert als ein an Richtlinien orientiertes Verhalten, sozusagen den Pflichten nachzukommen, die man im Sicherheitsbereich erfüllen sollte, und hat hauptsächlich einen individuellen Nutzen. Partizipation meint alles darüber hinausgehende Verhalten, das freiwillig geschieht und möglicherweise dazu beiträgt, dass die Organisation sicherer ist (z. B. KollegInnen auf sicheres Verhalten oder Gefahren hinweisen).

Diese Determinanten beeinflussen die Komponenten des Sicherheitsverhaltens. Je mehr Sicher-heitswissen vorhanden ist, desto höher ist die Compliance und die Partizipation. Das Gleiche gilt für Sicherheitsmotivation: Je höher sie ist, desto stärker ausgeprägt sind beide Komponenten des Sicherheitsverhaltens. Das Sicherheitsverhalten lässt sich demnach durch eine Verbesserung der Sicherheitsmotivation und des Sicherheitswissens positiv beeinflussen.2. Davinson und Sillence (2010) beschreiben, dass – je nachdem, ob eine Bedrohung bezie-

hungsweise die Anfälligkeit für einen Angriff wahrgenommen wird – Sicherheitsverhalten angewendet wird, um die Bedrohung zu vermindern oder eben nicht. Sie formulieren ver-schiedene Faktoren, die das Sicherheitsverhalten beeinflussen (siehe . Tab. 3.8).

Demnach sollten MitarbeiterInnen durch Schulungen für potenzielle Gefahren sensibilisiert werden. Dadurch kann die Anfälligkeit für eine Bedrohung und der Schweregrad der Bedro-hung besser eingeschätzt werden.

Neben der Datensicherheit spielt auch die Privatsphäre eine wesentliche Rolle bei der Ein-führung von cyber-physischen Systemen in der Produktion. Diese Systeme sind meist sehr kom-plex und sammeln eine Vielzahl an Daten. Das kann auch personenbezogene Daten betreffen. In diesem Fall besteht die Notwendigkeit sich damit zu beschäftigen, wie die Privatsphäre der MitarbeiterInnen geschützt werden kann.

Neben gesetzlichen Richtlinien, die hier beachtet werden müssen, ist es auch wichtig, dass Arbeitende darüber informiert werden, welche Daten zu welchem Zweck erfasst werden und wie sie gespeichert werden. Hinsichtlich der Gestaltung von Technologien kann man hier bei-spielsweise Privacy-by-Design-Richtlinien beachten und dadurch für den/die NutzerIn der Technologie Transparenz schaffen (Cavoukian 2009):a. Proaktiv und vorbeugend statt reaktiv und kurativ: Ziel ist es, Risiken hinsichtlich der

Privatsphäre zu antizipieren und entsprechend Maßnahmen zu ergreifen. Es sollte dabei im Vordergrund stehen, dass die Verletzung der Privatsphäre vermieden wird. Die Autorin veranschaulicht dies mit folgendem Statement: „Privacy by Design comes before the fact, not after.“ (Cavoukian 2009, S. 2)

b. Das maximale Ausmaß an Privatsphäre muss als Standardeinstellung (default setting) vor-handen sein. Die Standardeinstellung sollte so gestaltet sein, dass sich NutzerInnen auto-matisch im sichersten Modus befinden. NutzerInnen sollten keine weiteren zusätzlichen Eingaben beziehungsweise Aktionen tätigen müssen, um das Ausmaß an Privatsphäre zu erhöhen.

c. Schutz der Privatsphäre sollte im Design, in der IT Architektur und in den Geschäfts-praktiken eingebettet sein. Sie sollte integraler Bestandteil der Technologie sein und nicht deren optionale Ergänzung. Wichtig ist, dass es durch Einstellungen, die die Privatsphäre sichern, nicht zu Einschränkungen hinsichtlich mancher Funktionalitäten kommt.

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d. Volle Funktionalität bei maximalem Schutz der Privatsphäre. Privatsphäre und Sicherheit sollten nicht als Antagonisten im Sinne eines „Entweder-oder“ gesehen werden. Ziel ist es vielmehr, beide Aspekte gleich stark zu gewichten.

e. Durchgängige Sicherheit: Ein vollständiger Schutz der Privatsphäre über die gesamte Zeit der Nutzung ist notwendig. Die Schutzmechanismen sollten feststehen, noch bevor die erste Information gesammelt wird. Wichtig ist auch die Sicherheit der Daten. Daten sollten sicher gespeichert werden, aber auch sicher gelöscht werden können.

f. Sichtbarkeit und Transparenz für alle Beteiligten.g. Respekt der Privatsphäre der NutzerInnen.

> Privacy-by-Design-Richtlinien bieten eine Möglichkeit, Transparenz zu schaffen, wenn es darum geht, NutzerInnen darüber zu informieren, ob und welche personenbezo-genen Daten gespeichert werden (Cavoukian 2009).

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass jede Digitalisierung der Industrie mithilfe von cyber-physischen System auch dazu führt, dass man sich mit den Themen Datensicherheit, Datenschutz und Privatsphäre beschäftigen muss. Hier handelt es sich nicht nur um eine Fra-gestellung, die die Technik betrifft, es ist auch wichtig, die menschliche Komponente in der Sicherheitskette zu beachten. Akzeptanz, Bewusstsein und sicherheitskonformes Verhalten bei den MitarbeiterInnen zu schaffen ist notwendig, wenn man Datensicherheit und Datenschutz ermöglichen will. Eine möglichst frühe Auseinandersetzung damit, wie man MitarbeiterInnen bei diesen Veränderungen miteinbeziehen kann, und Arbeit an der Sicherheitskultur sind dabei ebenfalls wichtig.

. Tab. 3.8 Faktoren, die sicheres Verhalten beeinflussen, nach Davinson und Sillence (2010) mit Beispielen

Wahrgenommene Anfälligkeit

Die wahrgenommene Möglichkeit, Opfer einer missbräuchlichen Nutzung zu werden. Das Ausmaß, in dem Arbeitende den Eindruck haben, dass eine miss-bräuchliche Nutzung beziehungsweise eine Cyber-Attacke sie selbst treffen könnte: Wenn die wahrgenommene Anfälligkeit hoch ist, werden sich Mitarbei-terInnen eher an Sicherheitsrichtlinien halten.

Wahrgenommener Schweregrad

Welcher Schweregrad der Konsequenzen ist denkbar, wenn man Opfer einer missbräuchlichen Nutzung wird beziehungsweise welche Konsequenzen bringt sie mit sich? Je nachdem, wie stark man deren Schweregrad einschätzt, verhält man sich unterschiedlich.

Finanzielle Motivation

Finanzielle Motivation dafür, sich den Sicherheitsrichtlinien entsprechend zu verhalten

Wahrgenommene Kontrolle

Lässt sich durch mein Verhalten überhaupt vermeiden, dass Missbrauch ent-steht?

Hinweise darauf, Aktionen zu setzen

Wann soll ich welches Verhalten zeigen? Beispielsweise: Wann soll ich melden, wenn mir etwas auffällt? Was soll ich tun, wenn ich den Eindruck habe, dass eine missbräuchliche Nutzung stattfinden könnte?

Wahrgenommene Kosten

Welche Kosten sind damit verbunden, wenn ich mich sicherheitskonform ver-halte – habe ich Einschränkungen, oder muss ich in Wissen investieren?

Wahrgenommener Nutzen

Welcher Nutzen ist für mich zu erwarten?

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3.5.1.3.3 Moralische EntscheidungenIntelligente Technologien müssen für unterschiedliche Szenarien programmiert werden. Sie agieren verstärkt autonom, d. h. ohne direkte Kontrolle durch den Menschen, und müssen für unterschiedliche Situationen programmiert werden, in denen sie auch Entscheidungen treffen müssen. Dies betrifft auch Ausnahmesituationen, in denen Verletzungen oder sogar der Tod von Menschen möglich sind. In solchen Situationen müssen die Maschinen moralische Ent-scheidungen treffen. Dies wird im Kontext von selbstfahrenden Autos besonders sichtbar. Eine Forschergruppe vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat sich mit moralischen Entscheidungen von selbstfahrenden Autos beschäftigt. Sie haben dabei verschiedene Situatio-nen zusammengetragen, innerhalb derer ein selbstfahrendes Auto bestimmte Entscheidungen treffen muss, und sich dabei unter anderem mit den folgenden drei Szenarien beschäftigt (siehe . Abb. 3.12).- Szenario A: Stellen Sie sich vor, ein autonomes (selbstfahrendes) Auto fährt mit Ihnen als

Fahrer/in die Straße entlang. Nun überquert plötzlich eine Menge an Personen die Straße von rechts nach links, eine weitere Person bleibt rechts am Gehsteig stehen. Nun kann das Auto die Entscheidung treffen, einerseits nach rechts auszuweichen oder geradeaus fahren. Wenn das Auto geradeaus fahren würde, würde es in die Menschenmenge fahren und einige davon töten. Wenn das Auto nach rechts ausweichen würde, würde es jedoch die eine Person treffen, die noch am Gehsteig steht und diese töten.- Szenario B: Stellen Sie sich vor, ein autonomes (selbstfahrendes) Auto fährt mit Ihnen als Fahrer/in die Straße entlang. Links und rechts der Straße befinden sich Leitplanken (oder etwas Ähnliches). Nun überquert eine Person die Straße. Das Auto kann entweder weiter geradeaus fahren und die Person töten oder nach links oder rechts ausweichen. Wenn das

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. Abb. 3.12 Moralisches Dilemma bei selbstfahrenden Autos. (Bonnefon et al. 2016)

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Auto ausweicht, fährt es in die Leitplanke und der Fahrer beziehungsweise die Fahrerin des Autos (Sie selbst) stirbt.- Szenario C: Stellen Sie sich vor, ein autonomes (selbstfahrendes) Auto fährt die Straße entlang mit Ihnen als Fahrer/in. Links und rechts der Straße sind Leitplanken (oder etwas Ähnliches). Nun überqueren mehrere Personen die Straße, und das Auto kann entweder weiter geradeaus fahren und einige dieser Personen töten oder nach links oder rechts ausweichen. Wenn das Auto ausweicht, fährt es in die Leitplanke, und der Fahrer beziehungsweise die Fahrerin des Autos (Sie selbst) stirbt.

In ihrer Studie haben die Forscher diese Szenarien innerhalb von sechs Studien vorgegeben und die Einstellung dazu von insgesamt 1928 InternetnutzerInnen erhoben (Bonnefon et al. 2016). Die Ergebnisse zeigten unter anderem, dass die Befragten sich dafür entscheiden, den eigenen Fahrer beziehungsweise die eigene Fahrerin zu opfern, wenn dadurch mehrere Personen gerettet werden können. In Studie drei haben die Forscher die ProbandInnen dazu aufgefordert, sich vorzustellen, dass man selbst der/die Fahrer/in ist und auch noch ein Familienmitglied im Auto sitzt. Dadurch wurde ein soziales Dilemma deutlich, in dem es zum Phänomen des Tritt-brettfahrens kommt: Einerseits möchte man Folgendes: Andere sollen sich verhalten, dass der global positivste Ausgang für alle Menschen eintrifft (in diesem Fall: geringstmögliche Anzahl an getöteten Menschen durch selbstfahrende Autos). Andererseits möchte man aber gleichzeitig maximale Sicherheit für sich selbst.

Die in der Studie publizierten Szenarien lassen sich in ihrer Komplexität erweitern. Welche Entscheidungen sollen beispielsweise getroffen werden, wenn man das Alter der Beteiligten variiert? Ist ein Menschenleben mehr oder weniger wert, wenn man das Alter, den Gesundheits-zustand oder das Geschlecht in die Überlegungen miteinbezieht? Wie entscheiden Menschen dann, beziehungsweise welche Entscheidungen sollten dann getroffen werden? Was, wenn nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen betroffen sind, wie z. B. Hunde? Wie soll das System entscheiden, wenn man selbst der Fahrer ist beziehungsweise die eigenen Kinder, Eltern oder Lebenspartner die Fahrer sind? In der folgenden Praxisübung können Sie ein paar weitere Szenarien kennenlernen.

Praxisübung | |

Öffnen Sie die Internetseite moralmachine.mit.edu. Hier werden Sie nach Ihrer Einschätzung zu unterschiedlichen Szenarien gefragt, in denen selbstfahrende Autos mit der Aufgabe, moralische Entscheidungen zu treffen, konfrontiert sind. Diskutieren Sie ihre Eindrücke in der Gruppe. Denken Sie sich auch eigene Szenarien aus und erstellen Sie diese auf der Webseite.

Diese Studie beziehungsweise diese Szenarien verdeutlichen die Komplexität von moralischen Entscheidungen, die in unterschiedlichen Kontexten auch jeweils anders ausfallen können. Eine objektiv richtige oder falsche Antwort gibt es wahrscheinlich nicht. Dennoch müssen wir uns aber in unserer hochdigitalisierten Welt mit diesen Thematiken auseinandersetzen und Lösungen formulieren. Im industriellen Arbeitskontext ist es ebenfalls denkbar, dass es zur Notwendigkeit moralischer Entscheidungsfindung kommen kann. Auch hier werden beispielsweise jetzt schon autonom fahrende Verkehrsmittel eingesetzt, die Waren zwischen Standorten transportieren. Eine moralphilosophische beziehungsweise moralische Auseinan-dersetzung mit Entscheidungen von neuen Technologien ist daher notwendig. Es geht hier

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insbesondere um die Klärung der Frage, ob der Mensch oder die Maschine die Verantwortung trägt. Wer ist schuld, wenn ein Unfall geschieht oder auch wenn Fehler in der Produktion auftreten? Wenn es die Maschine ist, stellt sich die Frage, wie diese programmiert werden sollte und nach welchen moralischen Prinzipen. Wer soll sie festlegen? Das Unternehmen selbst oder der Staat? Wie verhält es sich bei Systemen, die global Anwendung finden und gegebenenfalls in Standorten mit unterschiedlichen Wertesystemen eingesetzt werden? Man sollte sich bei der Einführung von neuen Technologien im Industriebetrieb mit all diesen Fragen beschäftigen.

3.5.2 Arbeitsgestaltung in der digitalisierten Produktion

Die letzten Kapitel haben einen Eindruck davon vermittelt, wie Roboter, VR/AR-Anwen-dungen und die Einführung von cyber-physischen Systemen die Arbeit von Arbeitenden im Produktionsbereich maßgeblich beeinflussen. Arbeitsprozesse verändern sich, und dies hat einen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und folglich auf die Arbeitsgestaltung. Es stellt sich nun die Frage, wie man die Arbeit in diesen entworfenen Szenarien so gestalten kann, dass diese human ist beziehungsweise dass neben der Produktivität auch das Wohlbefinden des Menschen erhalten bleibt. Um diese Frage zu reflektieren, bedienen wir uns dreier wissen-schaftlich fundierter theoretischer Modelle zur Arbeitsgestaltung: Die Kriterien humaner Arbeit nach Hacker und Richter (1980; zitiert nach Hacker und Sachse 2014), das Job Cha-racteristic Model nach Hackman und Oldham (1980) sowie eine Auswahl aus dem Work Design Questionnaire von Morgeson und Humphrey (2006; deutsche Fassung Stegmann et al. 2010). Anhand dieses theoretischen Rahmens lassen sich Hinweise beziehungsweise zu behandelnde Fragestellungen im Hinblick auf die zuvor gezeichneten Veränderungen der Arbeit ableiten. Für die Implementierung von Veränderungen in Bezug auf die Arbeitsweise in der Produktion, die durch die Digitalisierung entstehen, ist es notwendig, sich zu überlegen, wie diese Veränderungen implementiert werden können, ohne dabei die Kriterien humaner Arbeit zu verletzen.

1. Aus den Kriterien humaner Arbeit nach Hacker und Richter (1980, zitiert nach Hacker und Sachse 2014) ergeben sich aufeinander aufbauende Kriterien humaner Arbeit. Neben der Ausführbarkeit der Arbeitstätigkeit sind weitere Kriterien die Schädigungslosigkeit, die Beein-trächtigungsfreiheit und die Persönlichkeitsförderlichkeit.- Ausführbarkeit: Mit der Ausführbarkeit bewertet man, ob die Arbeitstätigkeit langfristig,

zuverlässig und forderungsgerecht ausführbar ist.- Schädigungsfreiheit: Schädigungslos ist eine Arbeit dann, wenn dadurch keine körper-lichen oder psychischen Gesundheitsschäden entstehen.- Beeinträchtigungsfreiheit: Beeinträchtigungsfrei ist Arbeit, wenn dadurch die körperliche und psychische Gesundheit nicht beeinträchtigt ist oder wird. Arbeit ist demnach ohne psychische oder somatische Beeinträchtigungen ausführbar.- Persönlichkeitsförderlichkeit: Wenn Fähigkeiten von Arbeitenden weiterentwickelt oder erhalten und nicht rückgebildet werden, ist die Arbeit persönlichkeitsförderlich.

Für die Implementierung von Veränderungen bei der Umsetzung eines Industrie-4.0-Szenarios sollte geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß, die Kriterien humaner Arbeit erfüllt werden können.

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen144

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> Neben der Ausführbarkeit der Arbeitstätigkeit sind (zitiert nach Hacker und Sachse 2014) die Schädigungslosigkeit, Beeinträchtigungsfreiheit und die Persönlichkeitsför-derlichkeit Kriterien humaner Arbeit.

2. Job Characteristic Model (Hackman und Oldham 1980) Das Job Characteristic Model (Hack-man und Oldham 1980) ist ein theoretisches Rahmenmodell, das zur Arbeitsgestaltung heran-gezogen werden kann. Das Modell beschreibt, dass Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit erhalten werden können, wenn die folgenden zentralen Aufgabenmerkmale gegeben sind:- Anforderungsvielfalt: Arbeit, die die Anwendung von unterschiedlichen Kompetenzen

und Fähigkeiten fordert, ist durch Anforderungsvielfalt gekennzeichnet. Wenn hingegen lediglich Routineaufgaben beziehungsweise einfache Aufgaben zu bearbeiten sind, ist eine Anforderungsvielfalt nicht gegeben. In diesem Fall empfindet man auch weniger Sinnhaftigkeit in der Arbeit.- Ganzheitlichkeit: Eine Arbeit ist ganzheitlich, wenn ein Arbeitsergebnis (z. B. ein Werk-stück oder ein Produkt) selbst vollständig von Anfang bis Ende fertiggestellt werden kann und nicht nur an einem Teilarbeitsschritt daran gearbeitet wird (wenn man also am ge-samten Entwicklungsprozess eines Produktes beteiligt ist und nicht nur Teile davon fertigt).- Wichtigkeit: Die Wichtigkeit der Aufgabe ist hoch, wenn sich die Arbeit auf das Leben von anderen auswirkt. Das betrifft die Organisation selbst, aber auch die Umwelt außer-halb der eigenen Organisation. Wenn die Arbeit keine Auswirkungen auf andere hat, wird sie als weniger wichtig bewertet. Wenn die Arbeit hingegen einen substanziellen Einfluss auf das Wohlbefinden anderer Personen hat, wird sie als wichtig wahrgenommen.- Autonomie: Unter Autonomie in der Arbeit wird das Ausmaß an Freiheit und Unabhängig-keit beschrieben, mit der Arbeitende ihre Arbeit gestalten können. Dies kann unter anderem die Arbeitsmethodik oder den zeitlichen Ablauf von Arbeitsschritten betreffen. Hat man viel Autonomie, ist man auch stärker für die Ergebnisse verantwortlich und zu mehr Eigenini-tiative aufgefordert. Bei wenig Autonomie hingegen hängt die eigene Arbeit stärker vom Vorgesetzten, von einer klaren Arbeitsprozessregelung oder von einem Manual ab.- Rückmeldung: Das letzte Aufgabenmerkmal betrifft eine detaillierte Rückmeldung darü-ber, wie effektiv die Arbeitsleistung ist. Wichtig ist dabei, dass die Rückmeldung für den Arbeitenden klar verständlich ist und auch deutlich wird, welche Aktionen er/sie dement-sprechend unternehmen sollte, um die Arbeitstätigkeit gegebenenfalls anzupassen.

Durch den Job Diagnostic Survey (Hackman und Oldham 1975) lassen sich diese Aufgaben-merkmale erheben. Diese Befragungsmethode ist eines der am meisten eingesetzten Verfahren zur Analyse von Arbeit.

> Das Job Characteristic Model (Hackman und Oldham 1980) beschreibt, dass Arbeits-motivation und Arbeitszufriedenheit erhalten werden können, wenn die Auf-gabenmerkmale Anforderungsvielfalt, Ganzheitlichkeit der Aufgabe, Wichtigkeit der Aufgabe, Autonomie und Rückmeldung durch die Tätigkeit gegeben sind. Der zu-gehörige Fragebogen (Job Diagnostic Survey) ist eines der am meisten eingesetzten Verfahren zur Analyse von Arbeit.

3. Work Design Questionnaire von Morgeson und Humphrey (2006) Ein drittes theoretisches Rah-menmodell, das hier herangezogen werden kann, ist der Work Design Questionnaire (WDQ, Morgeson und Humphrey 2006; deutsche Übersetzung von Stegmann et al. 2010). Hier werden

145 33.5 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

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motivationale Merkmale von sozialen Merkmalen und kontextuellen Merkmalen der Arbeit unterschieden:- Motivationale Merkmale der Arbeit sind Merkmale der Arbeitsaufgabe: - Autonomie in der Planung - Autonomie in Entscheidungen - Autonomie in der Methode - Aufgabenvielfalt - Wichtigkeit der Aufgabe - Ganzheitlichkeit der Aufgabe - Rückmeldung durch die Tätigkeit - Wissensmerkmale - Komplexität - Informationsverarbeitung - Problemlösen - Anforderungsvielfalt - Spezialisierung - Soziale Merkmale sind: - soziale Unterstützung - initiierte Interdependenz - rezipierte Interdependenz - Interaktion außerhalb der Organisation - Rückmeldung durch andere - Kontextuelle Merkmale umfassen: - Ergonomie - physische Anforderungen - Arbeitsbedingungen - Technikgebrauch

> Im Work Design Questionnaire (WDQ, Morgeson und Humphrey 2006) werden moti-vationale, soziale und kontextuelle Merkmale der Arbeit unterschieden und erfragt.

z 4. Grundbedürfnisse des Menschen (Gagné und Deci 2005; Ryan und Deci 2000)Autonomie, Kompetenz und soziale Zugehörigkeit sind die drei wesentlichen Grundbedürfnisse des Menschen. Wenn diese befriedigt werden, dann ist intrinsische Motivation möglich. Diese Theorie wurde im ▶ Abschn. 2.3.6 detailliert beschrieben.

? Praxisübung 1: Stellen Sie sich nun ein Arbeitsszenario in einem Industrie-4.0-Kontext vor. Skizzieren Sie es kurz. Welche Arbeitstätigkeit wird verrichtet? Welche Personen und Maschi-nen sind daran beteiligt, und wie kommunizieren diese untereinander? Wählen Sie nun eines der genannten theoretischen Modelle, die Aspekte der Arbeitsgestaltung beschreiben, und denken Sie diese Merkmale in Anbetracht der Umstände im Szenario durch. Gibt es Unter-schiede zu einer Fließbandtätigkeit? Beschreiben Sie diese Unterschiede.

? Praxisübung 2: Denken Sie nun an ein Beispiel im Bereich Mensch-Roboter-Kollaboration, an die Montage mithilfe von AR-Anwendungen oder an ein Beispiel in einer automatisierten Produktionsanlage, die mit cyber-physischen Systemen ausgestattet ist. Überlegen Sie nun für jedes oder ein ausgewähltes Beispiel, welche Aspekte oder Kriterien der Arbeitsgestaltung

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen146

Page 153: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

. Tab. 3.9 Beispielhafte Überlegungen und Fragestellungen zu den Kriterien humaner Arbeit (zitiert nach Hacker und Sachse 2014) im Bereich MRK, AR-Anwendung in der Montage als Mensch und Kontrolleur in einer Industrie-4.0-Anlage

Kollaboration zwischen Mensch und Roboter (siehe Fallbeispiel ▶ Abschn. 3.5.1).

Montage mithilfe einer AR-Anwendung, die durch ein HMD Informationen ein-blendet (siehe Fallbeispiel ▶ Abschn. 3.5.1.2.2).

Automatisierte Produktions-anlage, die mit cyber-physi-schen Systemen ausgestattet ist (siehe Fallbeispiel ▶ Abschn. 3.5).

Kriterien humaner Arbeit (zitiert nach Hacker und Sachse 2014)

Ausführ-barkeit der Arbeitstätig-keit

Die Tätigkeit ist bei passender Anwendung prinzipiell ausführ-bar. Da der Roboter physische Assistenz repräsentiert und für den Menschen physisch belastende Aufgaben übernimmt, ist die Ausführbarkeit sogar in stärkerem Maße gegeben als ohne Ro-boter. Die Bewegungs- und Arbeitsabläufe zwischen Mensch und Roboter müssen dabei abgestimmt sein.

Tätigkeit ist bei passender Anwendung prinzipiell ausführbar.

Die Arbeitstätigkeit ist aus-führbar, wenn sichergestellt ist, dass der Mensch über die notwendigen Kompetenzen und das entsprechende Wissen verfügt und auch die notwendigen Arbeits-mittel zur Verfügung hat. Wenn die Komplexität des zu überwachenden Systems verstanden wird und die Schulung ausreichend war, ist die Tätigkeit ausführbar. Wichtig ist auch, dass die zu überwachende Aufgabe den Menschen nicht über- be-ziehungsweise unterfordert und demnach weder zu komplex noch zu monoton gestaltet ist.

Schädi-gungslosig-keit

Schädigungslosigkeit ist gegeben, wenn die Sicherheitsstandards für den Roboter ein-gehalten werden sowie passende und aus-reichende Schulungen und Unterweisungen für den Menschen statt-gefunden haben.

Es ist davon auszugehen, dass es nicht zu körper-lichen oder psychischen Schädigungen kommt (Anmerkung: Bei VR-An-wendungen sind Symp-tome von Cybersickness zu beachten.). Bei sicherheits-relevanten Arbeitsschrit-ten kann die Schädigungs-losigkeit sogar minimiert werden, wenn durch die AR-Anwendung Hinweise zu Gefahren direkt ein-geblendet werden.

Umgebungslärm durch die Maschinen muss den Norm-werten entsprechen um körperliche oder psychische Schäden zu vermeiden.

sich dadurch verändern können und wie diese Veränderungen aussehen. Welche werden bedeutender und welche weniger bedeutend? Welche Thematiken kristallisieren sich heraus, mit denen man sich hinsichtlich der konkreten Arbeitsgestaltung beschäftigen sollte? Überlegen Sie in einem ersten Schritt selbst, und betrachten Sie dann auch die Inhalte der . Tabellen 3.9–3.12.

147 33.5 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

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Beeinträch-tigungs-freiheit

Negative Auswirkungen auf die psychische Ge-sundheit des Menschen sind nur dann denkbar, wenn der Roboter nicht ausreichend an den Menschen angepasst ist und beispielsweise Zeitdruck oder Über-forderung verursacht.

Beeinträchtigungen sind vor allem durch das Tragen des HMD denkbar. Je nach ergonomischer Qualität kann ein längeres Tragen als störend oder einschränkend empfunden werden.

Wenn sich Arbeitszeiten ändern und man nicht durchgängig, sondern eher auf Abruf arbeitet, kann die ständige Erreichbarkeit stressauslösend wirken.

Persönlich-keitsför-derlichkeit

Der Roboter muss in einer Art und Weise an den Menschen angepasst sein, dass die vorhandenen Fähig-keiten des Menschen nicht rückgebildet werden und auch neue Kompetenzen weiter-entwickelt werden können. Nur dann kann Persönlichkeitsförder-lichkeit gegeben sein.

Je nach Gestaltung des eingeblendeten Inhaltes kann eine AR-Anwendung auch persönlichkeitsför-derlich sein. Wenn das Ausmaß an Unterstützung beziehungsweise einge-blendeter Informationen an den aktuellen Wissens-stand des Menschen angepasst ist, kann Lernen angeregt werden. Somit kann die Anwendung den Menschen zum Mitdenken auffordern und darin un-terstützen, eigenes Wissen und eigene Kompetenzen weiterzuentwickeln.

Je nach Ausmaß an Verant-wortung und Autonomie kann die Persönlichkeits-förderlichkeit gegeben sein oder nicht. Wenn die Tätigkeit beim Auftritt von Störfällen immer nach einem vorgegebenen Muster endet, dann kann sich der Mensch wenig in seinen Kompeten-zen weiterentwickeln.

. Tab. 3.9 (Fortsetzung)

Generell können Assistenztechnologien (AR-Anwendungen oder Roboter) die Kriterien hu-maner Arbeit unterstützen, allerdings nur, wenn sie auf eine bestimmte Art und Weise gestaltet sind siehe . Tab. 3.9. Die konkrete Ausführung der Arbeitstätigkeit (nicht die gesamte Arbeit) kann sogar ausführbarer und schädigungsloser werden, da kognitive und physische Belastungen verringert werden können. Die ergonomische Gestaltung der Technologie und die Rolle als As-sistenz (im Gegensatz zum Kontrolleur) sind wichtig, damit der Mensch die Technologie über einen längeren Zeitraum beeinträchtigungsfrei benutzen kann. Um persönlichkeitsförderlich zu sein, ist die konkrete Gestaltung der Technologie wichtig: Sie sollte an die Bedürfnisse, die Präferenzen und den Wissensstand des jeweiligen Menschen angepasst sein und so in der Interaktion ermöglichen, dass der Mensch auch gefordert wird und sich weiterentwickeln kann. Diese individuellen und auch kontextuellen Anforderungen an die Technologie sind komplex und nur, wenn diese erfüllt werden, kann auch dieses Kriterium humaner Arbeit erfüllt werden. Grundsätzlich ist beim Einsatz einer Assistenztechnologie, die den Menschen dabei unter-stützen soll, eine Arbeitstätigkeit besser oder schneller auszuführen, immer zu beachten, dass die Fähigkeiten des Menschen sich nicht rückentwickeln. Man muss sich stets mit der Frage beschäftigen, ob man die Aufgabe auch noch ohne Technologie durchführen könnte oder sollte.

Überlegungen zu den Arbeitsbedingungen im Sinne der Kerndimensionen von Arbeit nach dem Job Characteristic Model (Hackmann und Olfham 1980) bzw. aus Sicht der Aspekte des Work Design Questionnaire (Morgenson und Humphrey 2006; Stegmann et al. 2019) sind in . Tab. 3.10

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen148

Page 155: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

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Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen150

Page 157: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

und . Tab. 3.11 aufgelistet. Die Anforderungsvielfalt ist bei Montageaufgaben eher gering. Zu-sätzlich zu der Anforderung aus der Montage der Aufgabe (die auch unterschiedlich repetitiv oder komplex sein kann) kommt noch die Anforderung im Umgang mit dem technischen Hilfsmittel hinzu. Dabei ist die Komplexität hinsichtlich der Informationsverarbeitung im Umgang mit einem Roboter geringer als bei einer AR-Anwendung. Die Wichtigkeit der Aufgabe hängt vom Produkt selbst ab. Autonomie ist in diesem Fall davon abhängig, wer wem zuarbeitet – der Mensch der Technologie oder umgekehrt? Nur, wenn die Technologie dem Menschen ausschließlich assistiert, kann der Mensch Entscheidungen auch wirklich autonom treffen. Die Fähigkeit zur Rückmeldung schließlich ist ein Faktor, der in eine Technologie absichtlich integriert und extra programmiert werden muss. Das System selbst kann nur dann Rückmeldung geben, wenn es zusätzlich mit Sensorik versehen ist und Vorgänge analysiert und auswertet.

Wie sieht es also aus, wenn man mit einem Roboter als Kollegen arbeitet? Man ist zu ge-meinsamem Arbeiten gezwungen, hat jedoch dabei wenig Spielraum, da jeder Arbeitsprozess in der Industrie strikt vordefiniert sein muss. Eine AR-Anwendung erfordert hauptsächlich Wissensmerkmale, Aufgabenmerkmale und etwas kontextuelle Merkmale, beeinflusst jedoch die sozialen Merkmale der Arbeit eher in geringem Umfang.

Die Arbeit eines Menschen als Kontrolleur in einer automatisierten Produktionsanlange fordert hauptsächlich Wissensmerkmale, bietet aber wenig sozialen Austausch, da weniger Menschen als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Da jedoch die Komplexität und die Verant-wortung insbesondere bei dieser Tätigkeit hoch sind, ist zu beachten, dass sozialer Austausch für das Wohlbefinden in der Aufgabe wichtig ist. Zu empfehlen wäre hier, die Kontrolltätigkeit als Team ausführen zu lassen. Denn dies ermöglicht sozialen Austausch und geteilte Verant-wortung und unterstützt den Prozess der eventuellen Problemlösung.

Letztendlich können die menschlichen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit in den drei skizzierten Szenarien mehr oder weniger befriedigt werden. In . Tab. 3.12 werden dazu Rahmenbedingungen diskutiert. Um das Bedürfnis nach Autonomie zu befriedigen, ist bei dem MRK-Szenario beziehungsweise der AR-Anwendung Folgendes notwendig: Die Anwendungen sollten so gestaltet sein, dass sie dem Menschen wirklich nur assistieren und ihn nicht anweisen. Die Wahrnehmung von Autonomie/Selbstbestimmtheit beziehungsweise externer Kontrolle in der Arbeitstätigkeit (auch durch die Technologie) ist ausschlaggebend für das Ausmaß an Bedürfnisbefriedigung. Da bei der automatisierten Pro-duktionsanlage spezialisiertes und qualifiziertes Personal benötigt wird, kann dieses auch bei der spezifischen Ausführung der Arbeitstätigkeit mitbestimmen.

Kompetenzerleben kann man einerseits durch die Aufgabe an sich erfahren, aber auch dadurch, dass man fähig ist, mit der komplexen Technologie erfolgreich umzugehen und zu arbeiten. Daher hängt die Befriedigung des Bedürfnisses nach Kompetenzerleben maßgeblich von der konkreten Gestaltung der Technologie ab. Aber auch die Auswahl der Mitarbeite-rInnen für die Arbeitsaufgabe ist dabei relevant: Wenn die betreffende Person nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügt, dann wird es ihr nur sehr begrenzt möglich sein, sich selbst in der Ausführung der Aufgabe als kompetent zu erleben.

Die Erfüllung des Bedürfnisses nach sozialer Zugehörigkeit hängt davon ab, wie die Arbeit über die konkrete Arbeitstätigkeit hinausgehend organisiert ist. Man sollte darauf achten, dass der/die Arbeitende in einem Team oder in einer Gruppe arbeitet beziehungsweise zumindest eingebunden ist. Innerhalb dieser Gruppe kann er/sie sich dann über die Arbeitstätigkeit oder auch Privates austauschen. Raum und Zeit sollte dafür bereitgestellt werden.

151 33.5 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

Page 158: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

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Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen152

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Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen154

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3.1

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155 33.5 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

Page 162: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

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157 33.5 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Industrie

Page 164: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

2

3

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2

3.6 Arbeitsumgebungen für IndustriearbeiterInnen

Die Arbeitswelt in der industriellen Produktion befindet sich derzeit in einem Wandlungs-prozess, weg von Massenproduktion hin zu individualisierter Produktion. Dadurch reduziert sich die Losgröße der zu fertigenden Produkte. Gleichzeitig kommen dabei vermehrt Indus-trieroboter zum Einsatz, die die menschliche Arbeitskraft ersetzen, sowie digitale (Assistenz-)Technologien, die den/die Mitarbeiter/in bei der Fertigung unterstützen sollen. Solch eine ver-änderte Arbeitsumgebung beeinflusst auch Aspekte der Arbeit, die für den Menschen entwe-der als belastend empfunden oder unterstützend wirken können. Bei der Neugestaltung der Arbeitsplätze beziehungsweise bei der Einführung von neuen digitalen Technologien entstehen aber auch Chancen, Arbeit menschengerecht(er) zu gestalten und physische und kognitive Belastungen zu verringern. Hierbei sind insbesondere drei Aspekte zu beachten:

Erstens ist es bei der Gestaltung der Technologie wichtig, dass die Autonomie (die im Pro-duktionsbetrieb meist gering ist) in der Arbeit erhalten bleibt, wenn nicht sogar erhöht wird. Wenn der Mensch aber verstärkt einer Maschine/Technologie zuarbeitet beziehungsweise der Arbeitsprozess von dieser kontrolliert wird, wird seine Autonomie verringert und folglich die in-trinsische Arbeitsmotivation stark eingeschränkt. Beispielsweise kann, obwohl man die Techno-logie eigentlich als Unterstützung für den Menschen einführt, bei ihm der Eindruck erweckt werden, stets der Technologie zuzuarbeiten und die Arbeitstätigkeiten nur noch nach ihren Anweisungen der Technologie auszuführen. Hier kann Autonomie geschaffen werden, wenn der Mensch selbst bestimmen kann, ob er Unterstützung benötigt, und beispielsweise selbst darüber entscheidet, ob er Informationen sehen möchte oder nicht. Wichtig ist, dass die Technologie den Menschen unterstützt und nicht umgekehrt. Dass diese Gestaltung notwendig ist, scheint theo-retisch klar zu sein. Dies in der Praxis jedoch umzusetzen, stellt die eigentliche Herausforderung dar und ist daher besonders zu beachten. Diese Gestaltung sollte auch die Rolle berücksichtigen, die der Mensch und die Technologie beziehungsweise Maschine einnehmen. Wer arbeitet für wen? Wie ist Autorität verteilt, und – damit verbunden – wie sind die Verantwortlichkeiten (für die Qualität der Produkte sowie bei Fehlern oder Unfällen) geregelt. Neben diesen expliziten Rollendefinitionen ist insbesondere auch die wahrgenommene Rolle ausschlaggebend.

Zweitens verändern sich, wie bereits veranschaulicht, die Wissensmerkmale der Arbeit maß-geblich. Wissensmerkmale der Arbeit beschreiben das Ausmaß der Denkprozesse, die notwen-dig sind, um die Arbeitstätigkeit erfolgreich zu absolvieren (Stegmann et al. 2010). In Szenarien einer veränderten Produktionsumgebung (z. B. Zusammenarbeit mit Robotern, Nutzung von AR-Applikationen) werden die Komplexität, die Informationsverarbeitung und die Spezialisie-rung größer. Dadurch verändern sich auch die Qualifizierungsanforderungen an Mitarbeite-rInnen in der Produktion. Neben Kompetenzen in der Fertigung (die durch die Variabilität der gefertigten Produkte und eine erhöhte Komplexität der Produktionsanlage ohnehin erforderlich sind) sind nun auch Kompetenzen im Umgang mit neuen digitalen Technologien gefordert. Durch die rasanten Entwicklungen braucht der Mensch hierbei insbesondere die Bereitschaft, sich stets auf neue Technologien einzulassen und sich neue Kompetenzen anzueignen.

Drittens ist die soziale Dimension in der neuen Arbeitsumgebung zu beachten. Wenn gene-rell weniger Menschen in der Produktionshalle arbeiten beziehungsweise die Arbeit vermehrt in Kollaboration und Interaktion mit Maschinen erfolgt, dann ist das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit des Menschen schwer zu erfüllen. Der soziale Aspekt ist jedoch wesentlich bei der Arbeit und erfüllt eine wichtige Funktion im Leben eines Menschen. Daher sollte bei der Organisation der Arbeit die Notwendigkeit einer sozialen Eingebundenheit des Menschen unbedingt berücksichtigt werden. Wenn beispielsweise der Mensch Arbeit hauptsächlich im

Kapitel 3 • Gestaltung von Arbeitsumgebungen158

Page 165: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Austausch mit einer Technologie beziehungsweise einer Maschine tätigt, muss darauf geachtet werden, dass man neben dieser Tätigkeit ausreichend Austausch mit Menschen ermöglicht. So können Produktionslinien oder Montageinseln mit Arbeitsteams organisiert sein, die im Austausch miteinander stehen. Neben dem informellen Austausch kann diese Gruppe auch die Funktion der Rückmeldung erfüllen und Austausch über Probleme und Überlegungen zu Verbesserungen der Arbeitstätigkeit ermöglichen. Wenn Menschen in einer automatisierten Produktionsanlage nur die Überwachung übernehmen, können dazu Zweierteams oder Grup-pen eingesetzt werden, die sich ständig über die Tätigkeit austauschen.

Zusammenfassend lässt sich die Frage „Wie soll die Produktionsanlage der Zukunft gestaltet sein?“ folgendermaßen beantworten: Kriterien humaner Arbeit aus arbeitspsychologischen Modellen, die eine Bandbreite der Arbeitsbedingungen, Arbeitsmerkmale und ihrer Effekte auf den Menschen beschreiben, müssen hier herangezogen und erfüllt werden, um Arbeit so zu ge-stalten, dass neben der Produktivität auch Wohlbefinden und Zufriedenheit der ArbeiterInnen erhalten bleiben. Nur unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist es möglich, menschengerechte und psychisch gesunde Arbeit zu gestalten.

Literatur

Literatur zu Abschn. 3.2

Appel‐Meulenbroek, R., Groenen, P., & Janssen, I. (2011). An end‐user’s perspective on activity‐based office concepts. Journal of Corporate Real Estate, 13, 122–135. https://doi.org/10.1108/14630011111136830.

Baron, R. M., & Kenny, D. A. (1986). The moderator–mediator variable distinction in social psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 1173–1182. https://doi.org/10.1037/0022-3514.51.6.1173.

De Been, I., & Beijer, M. (2014). The influence of office type on satisfaction and perceived productivity support. Journal of Facilities Management, 12, 142–157. https://doi.org/10.1108/JFM-02-2013-0011.

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163 3Literatur

Page 170: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

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Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen ArbeitsweltenCornelia Gerdenitsch, Christian Korunka

4.1 Führung in einer digitalisierten Arbeitswelt – 1664.1.1 Kompetenzen für die Führung virtueller Teams – 1664.1.2 Leistungsüberprüfung – 1684.1.3 Vermeidung von Belastungen – 170

4.2 Gestaltung des digitalen Transformationsprozesses – 173

4.3 Zusammenfassung der Empfehlungen zur Gestaltung von digitalen Arbeitswelten – 174

4.4 Gesellschaftliche Implikationen und Ausblick : Kulturwandel in Organisationen und in der Gesellschaft – 178

Literatur – 182

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Gerdenitsch, C. Korunka, Digitale Transformation der Arbeitswelt, Die Wirtschaftspsychologie DOI 10.1007/978-3-662-55674-0_4

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In den letzten Kapiteln wurde umfassend auf das digital und flexibel arbeitende Individuum und auf dessen physische und technologische Arbeitsumgebung eingegangen. Veränderungen, die durch die Digitalisierung entstehen, stellen jedoch auch das Management von Organisationen vor Herausforderungen. Organisationen sind gefordert sich neben der räumlichen Gestaltung von Arbeitsumgebungen auch mit Themen wie Führung und Veränderungsprozessen aus-einandersetzen.- Bedarf es einer Änderung beziehungsweise Anpassung bestehender Management- und

Führungsmethoden?- Wie kann und soll eine digitale Transformation in der Organisation stattfinden?

4.1 Führung in einer digitalisierten Arbeitswelt

4.1.1 Kompetenzen für die Führung virtueller Teams

In einer digitalen Arbeitswelt arbeiten Teams verstärkt virtuell miteinander. Führungskräfte sind gefordert hier passende Führungsstile anzuwenden. Eine Extremform sind dabei virtuelle Teams. Virtuelle Teams sind Arbeitsgruppen, die flexibel und standortverteilt verbunden sind und hauptsächlich mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien in Kontakt stehen (Konradt und Hertel 2002, siehe Fallbeispiel).

Führung virtueller Teams | |

Paul arbeitet in einem Unternehmen in der E-Commerce-Branche. Paul leitet ein Team von zehn Mit-arbeiterInnen, die von vier Standorten aus in Europa verteilt arbeiten. Fünf Personen sitzen in Deutsch-land, Paul und ein weiterer Mitarbeiter arbeiten aus Österreich, und drei weitere MitarbeiterInnen aus den Niederlanden. Ein Teammitglied arbeitet ausschließlich von Zuhause aus und ein anderer arbeitet zwei Tage die Woche im Home Office. Einmal wöchentlich (zu einer fixierten wiederkehrenden Zeit) findet eine gemeinsame Videokonferenz statt. Die Agenda zu dieser virtuellen Besprechung ist immer gleich. Jedes Mitglied im Team schildert an welchen Themen er/sie gerade arbeitet, was die größten Probleme sind und welche Unterstützung benötigt wird. Kleinere Teams, die an gemeinsamen Projekten arbeiten, treffen sich zusätzlich einmal wöchentlich. Außerdem wird jeden Monat ein Teamtag organisiert, an dem sich alle Mitglieder eines Teams persönlich treffen. Dieser Teamtag wird zum Teil von den Teammitgliedern selbst und zum Teil von Paul gestaltet. Die virtuelle Kommunikation findet via Chat, Gruppenchat und Videokonferenzen statt. Verschiedene cloudbasierte Applikationen ermöglichen das transparente dokumentieren und Teilen von Dokumenten.Die größte Herausforderung für Paul liegt in der virtuellen Kommunikationsform, die meistens chat-basiert ist. Beispielsweise ist das spontane Planen einer Besprechung oft umständlich und aufwendig. Außerdem bekommt man als Führungskraft manche Dinge, wie die tägliche Stimmung oder Kleinig-keiten, die persönlich besprochen werden, spät oder gar nicht mit. Dadurch, dass man das Verhalten der MitarbeiterInnen auf lange Zeit nicht sieht, entgehen der Führungskraft Informationen. Daher muss man als Führungskraft sicherstellen, dass die Kommunikation immer in englischer Sprache geschieht. Man muss darauf achten, dass die Teammitglieder nicht in ihre eigene Landessprache wechseln und da-durch von anderen Mitgliedern nicht verstanden werden. Und schließlich besteht eine Herausforderung in der Etablierung von Normen hinsichtlich Erreichbarkeit. Sie sollten so gestaltet sein, dass es aus-reichend Freizeit und Erholungsmöglichkeiten gibt. Paul hat in seinem Team die Regel aufgestellt, dass man ab einer gewissen Zeit abends nicht mehr auf E-Mails reagieren muss. Bei Problemen muss jedoch jeder telefonisch erreichbar sein.

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten166

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Definition

„Als virtuelle Teams werden flexible Arbeitsgruppen standortverteilter und ortsunabhängi-ger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezeichnet, die auf der Grundlage von gemeinsamen Zielen beziehungsweise Arbeitsaufträgen ergebnisorientiert geschaffen werden und infor-mationstechnisch vernetzt sind.“ (Konradt und Hertel 2002, S. 18)

Da die Mitglieder virtueller Teams virtuell kommunizieren und kollaborieren, ist die Führung besonders herausfordernd. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in virtuellen Teams benöti-gen sowohl MitarbeiterInnen als auch Führungskräfte bestimmte Kompetenzen. Notwendige Kompetenzen von Führungskräften lassen sich nach Cascio (2000) in drei Bereiche einordnen (. Tab. 4.1):- Kompetenzen hinsichtlich der virtuellen Zusammenarbeit,- Kompetenzen hinsichtlich der virtuellen Sozialisation,- Kompetenzen hinsichtlich der virtuellen Kommunikation.

> Neben Kompetenzen von Führungskräften sind auch bestimmte Kompetenzen von Teammitgliedern wichtig, um eine effiziente Zusammenarbeit innerhalb des virtuel-len Teams zu ermöglichen (Cascio 2000). Diese sollten gezielt geschult und weiterent-wickelt werden.

Neben Kompetenzen von Führungskräften sind auch spezielle Kompetenzen von Teammit-gliedern wichtig, um eine effiziente Zusammenarbeit innerhalb des virtuellen Teams zu er-möglichen. Cascio (2000) beschreibt hier unter anderem die folgenden zentralen Punkte:- Nutzung von Software: Um die Leistung des Teams zu ermöglichen, benötigt es grund-

sätzlich die Nutzung von Technologien (Software, Informationstechnologien, Kommuni-kationstechnologien). Teammitglieder müssen mithilfe von Technologien miteinander kommunizieren und kollaborieren können. Wenn einzelne Teammitglieder Technologien nicht nutzen, dann ist das Team nur eingeschränkt arbeitsfähig.- Passender Umgang mit einer virtuellen anonymen Umwelt: Hier ist Wissen darüber erforderlich, wie in einer virtuellen Umwelt Ideen präsentiert oder Feedback oder auch Kritik geäußert werden können, damit sie vom Gegenüber angenommen und umgesetzt werden. Des Weiteren ist es wichtig, zu lernen, wie Probleme oder Konflikte angespro-chen werden können.- Hinweisreize: Traditionelle Hinweisreize, die durch Körpersprache, Mimik und Gestik in persönlichen Interaktionen vermittelt werden können, fallen in virtuellen Teams weg. Daher ist das Wissen darüber, welche Hinweisreize in der virtuellen Kommunikation ge-nutzt werden können und welche in einem bestimmten Kontext auch passend sind, not-wendig, um in virtuellen Teams gut und erfolgreich arbeiten zu können. Abhängig von sozialen oder kulturellen Umgebungen können jeweils andere Hinweisreize akzeptiert und angemessen sein.

Es ist Aufgabe der Führungskraft, diese Kompetenzen beziehungsweise Verhaltensweisen von MitarbeiterInnen zu fordern und zu fördern. Darüber hinaus zeigt eine Führungskraft durch ihr eigenes virtuelles Verhalten auch, wie man in virtuellen Teams miteinander kommuniziert und arbeitet.

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. Tab. 4.1 Führungskompetenzen für eine erfolgreiche Koordination von virtuellen Teams. (Cascio 2000)

Kompeten-zen hinsicht-lich der …

Beschreibung

Virtuellen Zusammen-arbeit

Führungskräfte sollten über die Fähigkeit verfügen, ein Klima in einem Team zu schaffen, das Ideen ermöglicht, ohne Vorwürfe auszutauschen.Weiterhin ist es eine zentrale Aufgabe, Dokumente bereitzustellen, in denen die Team-mitglieder ihre Ideen festhalten können. Diese Dokumente sollen innerhalb des Teams für jede/n zugänglich und bearbeitbar sein. Das Verwenden von Initialen ist hier eine gute Möglichkeit, um bei der Bearbeitung dieser Ideen und Weiterentwicklung zu konkreten Projekten, Aufgaben und Rollen zuzuordnen und auch die Bearbeitungen nachvollziehbar zu machen.Führungskräfte müssen mit ihren MitarbeiterInnen Vereinbarungen zum Arbeitsver-halten abschließen. Diese Vereinbarungen müssen auch das Verhalten bei wichtigen Deadlines beinhalten.

Virtuellen Sozialisation

Führungskräfte sollten über die Fähigkeit verfügen, mit Teammitgliedern schnell zu kommunizieren. Gleichzeitig sollten sie ein Feedback der Teammitglieder über die Arbeitsprozesse und deren Effizienz einfordern. Für Ideen und für abgeschlossene Auf-gaben sollten die Führungskräfte Anerkennung zeigen.In der virtuellen Kommunikation sollten Führungskräfte persönliche Informationen über sich mitteilen.Bei Fehlern sind Entschuldigungen notwendig.Führungskräfte sollen einerseits selbst freiwillig Rollen einnehmen und Aufgaben annehmen und gleichzeitig Teammitglieder würdigen, wenn sie selbstständig Rollen übernehmen.

Virtuellen Kommunika-tion

Wenn die eigenen sprachlichen Kompetenzen nicht ausreichen, um gut zu kommuni-zieren, sollen ÜbersetzerInnen angefordert werden. Des Weiteren sollen unklare Sätze wiederholt werden, damit sichergestellt ist, dass alle Teammitglieder verstehen, was gesagt und vor allem gemeint wurde.Nachrichten sollten rasch beantwortet werden. Die Nutzung von Zeichen in E-Mails ist dabei gut dazu geeignet, Emotionen zu kommunizieren.

4.1.2 Leistungsüberprüfung

In Arbeitsteams, die aus virtuell und flexibel arbeitenden Personen zusammengesetzt sind, ist die Führungskraft gefordert, die Arbeitsleistung der Personen zu erfassen, obwohl sie diese nicht täglich bei der Arbeit sieht. In einem traditionellen Arbeitsmodell, in dem MitarbeiterInnen täglich zu einer definierten Zeit an einem definierten Ort ihre Arbeit verrichten (z. B. von 9 bis 17 Uhr am eigenen Schreibtisch im Bürogebäude des Unternehmens), ist die Kontrolle der Leistung einfach: Zu den Zeiten, in denen die MitarbeiterInnen anwesend sind, arbeiten sie, und wenn sie nicht anwesend sind, arbeiten sie nicht. Diese Einschätzung der Arbeit aufgrund der Sichtbarkeit in einer virtuell und flexibel arbeitenden Teams nicht möglich.

Ouchi (1977, 1979) sowie Ouchi und Johnson (1978) konstruierten ein theoretisches Rah-menmodell, in dem sie unter anderem drei Arten von Leistungskontrollen in Organisationen formulierten: Verhaltenskontrolle, Ergebniskontrolle, normative Kontrolle. Sie betonten dabei, dass diese drei Kontrollmechanismen üblicherweise in einer gemischten Form Anwendung finden, jedoch eine dieser Formen meist der vorherrschende Kontrollmechanismus ist.

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten168

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- Verhaltenskontrolle liegt vor, wenn die Führungskraft das Arbeitsverhalten der Mit-arbeiterInnen direkt beobachten kann. Es besteht eine nahe Überwachung des Arbeits-verhaltens durch die physische Präsenz der MitarbeiterInnen. In virtuellen Kontexten ist eine physische Verhaltenskontrolle nicht mehr möglich (Cooper und Kurland 2002), weswegen es Alternativen geben muss. Eine Möglichkeit, Verhaltenskontrolle auch ohne die physische Anwesenheit der MitarbeiterInnen anzuwenden, ist dabei eine elektro-nische Leistungsüberwachung (Electronic Performance Monitoring; Bhave 2013).

- Bei der Ergebniskontrolle wird die zu leistende Arbeit auf konkrete Arbeitsschritte heruntergebrochen. Es werden Arbeitsziele und Arbeitsschritte formuliert, und es wird festgelegt, wann welche Arbeitsschritte zu erledigen sind. Darüber hinaus werden Verant-wortlichkeiten definiert. Die Arbeitsleistung wird dann als erfolgt angesehen, wenn die Arbeitsziele erreicht wurden. Dies ist unabhängig von der Dauer und von der Intensität der Arbeit. In diesem Leistungskontrollmodell löst man sich von der Messung der Anwesenheit und misst nur die Arbeitsleistung (Ouchi 1977, 1979; Ouchi und Johnson 1978). Oft wird Ergebniskontrolle durch Zielvereinbarungen umgesetzt. Hier werden für ein Jahr in einem MitarbeiterInnengespräch Ziele vereinbart, die erfüllt werden sollen (Management by Objectives; Drucker 1954).

- Als dritte Kontrollmöglichkeit formulierten Ouchi (1977, 1979) sowie Ouchi und Johnson (1978) die normative Kontrolle. Hierbei entstehen in einem Team oder in einer Organi-sation Werte, Vorstellungen und Traditionen über die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Diese Normen zum Arbeitsverhalten fungieren als Kontrollmechanismus. Beispielsweise gibt es formale und informelle Übereinstimmungen dazu, wie in dieser Organisation ge-arbeitet wird, sowie Rituale und Zeremonien. Wichtig sind hierbei eine hohe Identifikation und ein starkes Bekenntnis der Arbeitenden zu den Regeln (Cooper und Kurland 2002).

Verhaltenskontrolle | |

Im Sekretariat einer Geschäftsführung eines größeren öffentlichen Unternehmens sind zwei Personen beschäftigt. Diese bearbeiten Aufgaben, die von der Geschäftsführung in Auftrag gegeben werden, und organisieren Besprechungen. Räumlich teilen sich die beiden Angestellten ein Durchgangsbüro neben dem Geschäftsführungsbüro. Bei Besprechungen mit der Geschäftsführung wird man zuerst vom Sekretariat empfangen und dann durch das Büro des Sekretariats ins Büro der Geschäftsführung ge-bracht. Die Tür zum Sekretariat ist außer bei Besprechungen immer geöffnet. Die Geschäftsführung hat somit stets die Möglichkeit, zu sehen, ob die zwei beschäftigten Personen anwesend sind. Anwesenheit wird in diesem Fall gleichgesetzt mit Arbeit.

Ergebniskontrolle | |

Anne ist als Grafikdesignerin in einer Agentur angestellt. Sie hat eine Arbeitsvereinbarung, in der eine bestimmte Menge an Designentwürfen pro Monat festgelegt wird, die sie erarbeiten soll. Da sich Designentwürfe auch hinsichtlich ihres Aufwandes unterscheiden können, gibt es zuvor eine interne Einordnung in Umfangskategorien. Beispielsweise sind zehn kleine Entwürfe gleichzusetzen mit fünf mittelgroßen. Wann und wo Anne an der Erstellung dieser Entwürfe arbeitet, ist ihr überlassen. Wichtig ist, dass sie pro Monat die festgelegte Zahl an Entwürfen erarbeitet.

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Definition

Normative Kontrolle: Paul arbeitet in einem virtuellen, geografisch verteilten Team. Inner-halb des Teams haben sich unterschiedliche Normen zur gemeinsamen virtuellen Arbeit etabliert. Es gibt beispielsweise Regeln zur Kalendernutzung: Alle Mitglieder teilen ihren eigenen Online-Kalender untereinander. Jede/r trägt ihre/seine Termine im Kalender so ein, dass die anderen Teammitglieder sehen können, welche Person bei welchem Meeting ist. Durch diese Transparenz entsteht gleichzeitig auch eine normative Kontrolle. Kollegen kön-nen untereinander sehen, wann andere Personen für Besprechungen Zeit haben. Auch die Auslastung ist für alle einsehbar. Personen, deren Kalender weniger ausgebucht ist, werden dann von der Führungskraft eher auf Termine gebucht als stärker ausgelastete Personen.

In virtuell und flexibel arbeitenden Teams ist eine physische Verhaltenskontrolle nicht mehr möglich. Wie zuvor erwähnt ist eine elektronische Leistungsüberprüfung eine annähernd äqui-valente Alternative. Durch moderne Kommunikationstechnologien ist es auch möglich, seinen Status als „arbeitend“ online zu signalisieren. Wenn Mitglieder von unterschiedlichen Zeitzonen aus arbeiten, ergibt dies jedoch wenig Sinn. Eine weitere Alternative zur nun nicht mehr mögli-chen Verhaltenskontrolle ist die Ergebniskontrolle. Dabei liegt der Fokus hauptsächlich auf den Arbeitsergebnissen und nicht auf der Arbeitszeit. Hierbei ist die Führungskraft gefordert, die Arbeit möglichst fair auf ihre Teammitglieder zu verteilen und eine Überlastung der Mitarbeite-rInnen zu vermeiden beziehungsweise frühzeitig zu erkennen. Ergebniskontrolle erfordert auch Kompetenzen zum Selbstmanagement beziehungsweise zur Selbstorganisation. Dies erinnert an die Charakteristika des/der Arbeitskraftunternehmer/in nach Pongratz und Voß (2003), die im ▶ Kap. 1 näher beschrieben wurden. Eine dritte Alternative stellt der normative Kontroll-mechanismus dar. Grundbedingung dafür ist eine Identifikation mit dem Team, der Arbeit und/oder der Organisation. Diese Identifikation muss beim Mitarbeiter beziehungsweise bei der Mitarbeiterin gezielt gefördert und unterstützt werden. Die Führungskraft hat die Aufgabe, diese Identifikation zu schaffen und entsprechende Normen zu entwickeln.

Nach Ouchi (1977, 1979; Ouchi und Johnson 1978) ist stets eine Kombination aus den genannten Kontrollmechanismen mit einem vorherrschenden Mechanismus existent. Es ist anzunehmen, dass dies in einer digitalen flexiblen Arbeitswelt ähnlich sein wird. Welcher der alternativen Kontrollmechanismen jedoch vorherrschend ist, hängt vor allem von der Füh-rungskraft ab.

? Denken Sie an Ihre eigene Arbeit beziehungsweise einen Ausschnitt daraus und reflektieren Sie darüber, welche Auswirkungen verstärkte physische Verhaltenskontrolle, elektronische Verhaltenskontrolle, Ergebniskontrolle und normative Kontrolle auf Ihre Produktivität und Ihr Wohlbefinden haben würden.

4.1.3 Vermeidung von Belastungen

Wie bereits in ▶ Kap. 2 beschrieben, bringt digitales flexibles Arbeiten neue Anforderungen an die Arbeitenden mit sich. Der Druck, permanent erreichbar zu sein, Unterbrechungen durch Kommunikationstechnologien, erhöhte Arbeitskomplexität durch digitale Arbeitsmittel und Zeitdruck können Arbeitende belasten. Wenn gleichzeitig keine ausreichenden Ressourcen vor-handen sind, um mit diesen Arbeitsanforderungen umzugehen, werden Arbeitende auf längere

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten170

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Zeit gesehen krank werden (Bakker und Demerouti 2007; Demerouti et al. 2001). Burn-out ist nach Maslach und Jackson (1984) ein Syndrom, das aus emotionaler Erschöpfung, Depersonali-sation und reduzierter Leistungsfähigkeit besteht und das in der heutigen Arbeitswelt immer häufiger auftritt (siehe ▶ Exkurs „Burn-out-Syndrom“). Burn-out kommt vom englischen „to burn out“, d. h. „ausbrennen“, und ist eine Folge von Stress am Arbeitsplatz (Meck 2010). Nach einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2015 wurde aufgrund einer zufällig ausgewählten Stich-probe in Deutschland ermittelt, dass 4,1 Mio. Arbeitende über mentalen oder emotionalen Stress bei der Arbeit berichteten (Loesche 2016).

Führungskräfte sind gefordert zu erkennen, wenn ihre MitarbeiterInnen längere Zeit emo-tionalem oder mentalem Stress bei der Arbeit ausgesetzt sind, um gegensteuern zu können und eine Erkrankung zu verhindern. Liegt nun eine Situation vor, in der die Führungskräfte mit ihren MitarbeiterInnen lediglich virtuell Kontakt haben, wird dadurch schwieriger, eine mögliche Über-arbeitung und Erschöpfung zu erkennen. Führungskräfte müssen daher geschult sein, Vorzeichen auch dann zu erkennen, wenn MitarbeiterInnen nicht physisch anwesend sind. Insbesondere ist es jedoch Aufgabe einer Führungskraft Arbeit so zu gestalten, dass nicht nur Krankheit vermieden, sondern auch die Gesundheit der MitarbeiterInnen gefördert und erhalten wird.

Es gibt unterschiedliche präventive Ansätze, um Belastungen zu vermeiden beziehungs-weise negative Auswirkungen auf Wohlbefinden und Produktivität zu verringern. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention (Kauffeld und Hoppe 2011). Unter Verhaltensprävention fallen präventive Ansätze, die auf das Individuum bezogen sind. In diesen personenbezogenen Interventionen steht das Individuum als eigenverantwortliche Person im Mittelpunkt. Ziel der Interventionen ist es, das Individuum zu stärken, indem Fähig-keiten vermittelt werden, anhand derer mit den belastenden Umständen besser umgegangen werden kann. Beispiele für verhaltenspräventive Maßnahmen sind Trainings zum Zeitma-nagement, um mit erhöhten Arbeitsbelastungen besser umzugehen. Andere Beispiele sind Entspannungstrainings oder eine Rückenschule (Kauffeld und Hoppe 2011).

Exkurs: Burn-out-Syndrom

Maslach und Jackson (1984) definieren Burn-out als ein Syndrom, das aus drei verschiedenen Symp-tomen besteht: emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter Leistungsfähigkeit.- Unter emotionaler Erschöpfung versteht man einen Zustand, der sich aus einer übermäßigen

emotionalen oder physischen Anstrengung ergibt. Personen, die sich emotional erschöpft fühlen, geben an, dass sie sich schwach, kraftlos, matt und müde fühlen. Außerdem sind diese Personen leicht reizbar und leiden unter Antriebsschwäche.- Depersonalisation beschreibt, dass Menschen als Reaktion auf die Überbelastung eine Distanz zwischen sich selbst und anderen Akteuren aus der Arbeitswelt (z. B. KollegInnen, KundInnen, Vorgesetzte) herstellen. Betroffene verhalten sich diesen Akteuren gegenüber dabei verstärkt gleichgültig. Ebenso nimmt ihre zynische Einstellung zu.- Als drittes Symptom wird die reduzierte Leistungsfähigkeit genannt. Betroffene erleben, dass sie durch ihre Arbeit trotz des Gefühls der Überbelastung weniger erreichen, Erfolgserlebnisse bleiben aus. Bei wachsenden Anforderungen (Komplexität und Quantität der Arbeit) und gleichbleibender Leistung haben Betroffene das Gefühl, nur wenig effizient zu sein.

Persönliche Stressoren sowie Stressoren in der Arbeit und in der Organisation beeinflussen diese drei Symptome. Persönliche Stressoren sind dabei hohe Leistungserwartungen an sich selbst oder auch eine starke Involvierung in die eigene Arbeit. Stressoren der Arbeit sind beispielsweise Rollenkonflikte oder Rollenüberlastungen, Erwartungen der Organisation an die eigene Leistung oder unzureichende bezie-hungsweise belastende persönliche Kontakte. Bei einem gemeinsamen Auftreten der drei genannten Symptome spricht man von einem Burn-out-Syndrom (Kauffeld und Hoppe 2011).

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Neben verhaltenspräventiven Maßnahmen gibt es verhältnispräventive oder bedingungsbezo-gene Maßnahmen. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem einzelnen Individuum selbst, sondern auf dessen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ziel ist es, diese Bedingungen so zu verändern, dass langfristig ein gesundes Arbeiten möglich ist. Verhältnispräventive Maßnahmen betreffen beispielsweise die Gestaltung der Arbeitsplätze im Hinblick auf ergonomische Gestaltungs-prinzipien (Kauffeld und Hoppe 2011).

Definition

Verhaltens- und Verhältnisprävention sind zwei präventive Ansätze, um Belastungen am Arbeitsplatz zu vermeiden. Verhaltensprävention zielt darauf ab, die Belastbarkeit des Individuums zu verbessern. Verhältnisprävention zielt darauf ab, Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer die Belastungen verringert beziehungsweise möglichst gering

gehalten werden (Kauffeld und Hoppe 2011).

Führung in einer digitalisierten ArbeitsweltFührung in einer digitalisierten Arbeitswelt ist mit spezifischen Herausforderungen verbunden. Führungskräfte müssen sich Kompetenzen aneignen, die es ihnen ermöglichen, Arbeit in virtuellen Teams zu koordinieren, mit MitarbeiterInnen virtuell zu kommunizieren, Feedback zu geben, Kon-flikte zu lösen und dabei ohne herkömmliche nonverbale Hinweisreize auszukommen. Außerdem ist es ihre Aufgabe, Leistung zu kontrollieren und zu erhalten und gleichzeitig eine Überbelastung der MitarbeiterInnen zu vermeiden. Hierbei stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die praktizierten Me-thoden für neu entstehende Arbeitsformen noch angemessen sind. Je nach Art der neuen Tätigkeit müssen Führungskräfte ihre praktizierten Führungsmethoden an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Zusammengefasst sind Führungskräfte unter anderem gefordert,- Kompetenzen hinsichtlich der virtuellen Zusammenarbeit, virtuellen Sozialisation und virtuellen

Kommunikation weiterzuentwickeln,- geeignete Kontrollmechanismen zu entwickeln, um die Leistung ihrer MitarbeiterInnen zu er-halten und zu fördern,

Beispiel | |

Anne hat als Unternehmensberaterin einen Beruf, der permanente Erreichbarkeit für die Kunden er-fordert. Sie leitet ein Team mit fünf BeraterInnen, die diesen Beruf unterschiedlich lange ausüben. Jede/r hat ein Mobiltelefon und muss immerzu erreichbar sein. Dies führt zu Unterbrechungen während des Tages und verhindert längeres konzentriertes Arbeiten. Einige Personen sind stärker durch diese Anfor-derungen der permanenten Erreichbarkeit belastet als andere. Da die Belastung der MitarbeiterInnen bereits zu Kündigungen und Krankheitsfällen geführt hat, hat Anne beschlossen, gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um diese Belastung für ihre MitarbeiterInnen zu vermindern. Sie hat sich für zwei Maßnahmen entschlossen. Einerseits schickt sie alle MitarbeiterInnen in ein Training zum Stressmanagement (ver-haltenspräventiver Ansatz). Sie erhofft sich dadurch, dass ihre MitarbeiterInnen Strategien erlernen, um mit dem belastenden Arbeitsalltag besser umgehen zu können. Außerdem hat Anne gemeinsam mit ihren MitarbeiterInnen eine Methode erarbeitet, die konzentriertes Arbeiten ohne Unterbrechungen ermöglicht: Jede/r Mitarbeiter/in hat die Möglichkeit für eine definierte Zeit pro Tag sein/ihr Tele-fon weiterzuleiten und sich in einen Raum zurückziehen, um konzentriert und ungestört arbeiten zu können. Eine Kollegin beziehungsweise ein Kollege kümmert sich in einer Zeit um mögliche Anfragen von Kunden. Diese Maßnahme ist dem verhältnispräventiven Ansatz zuzuordnen.

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten172

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- Arbeit so zu gestalten, dass Arbeitsanforderungen möglichst gering und Arbeitsressourcen möglichst hoch sind (dabei ist Wissen über Arbeitsanforderungen bei digitaler Arbeit Voraus-setzung), sowie- Rahmenbedingungen für physische Interaktionen zu schaffen.Führung in einer digitalisierten Arbeitswelt beinhaltet demnach Änderungen für die Führungs-

arbeit. Eine gezielte Entwicklung und Unterstützung von Führungskräften in ihrer Führungskom-petenz wird daher empfohlen. Gleichzeitig ist es wichtig, eine Überlastung und Überforderung der Führungskräfte selbst zu vermeiden.

4.2 Gestaltung des digitalen Transformationsprozesses

Neben der Gestaltung der Veränderung an sich, d. h. der Technologie, der veränderten Arbeit oder der veränderten Arbeitsumgebung (Büroumgebung), spielt auch die Gestaltung des Ver-änderungsprozesses eine wesentliche Rolle, um die Akzeptanz der MitarbeiterInnen für die neue Situation zu erhöhen. Veränderungsprozesse in Organisationen sind oft von Widerständen seitens der MitarbeiterInnen begleitet (Oreg 2006), auf die reagiert werden sollte. Widerstand gegenüber Veränderungen (siehe Dent und Goldberg 1999a, 1999b, Ford et al. 2008) wirkt sich negativ auf den Erfolg von Veränderungsprozessen in Organisationen aus (Choi und Ruona 2011). Je nachdem, wie der Veränderungsprozess durchgeführt beziehungsweise gestaltet wird, können diese Widerstände mehr oder weniger gut angegangen werden.

> Neben der Gestaltung der Veränderung an sich spielt auch die Gestaltung des Ver-änderungsprozesses eine wesentliche Rolle, um die Akzeptanz bei den Mitarbeite-rInnen zu erhöhen.

Widerstände gegenüber Veränderungen lassen sich in drei Typen einteilen (Szabla 2007): re-sistente Gedanken (kognitive Komponente), resistente Gefühle (emotionale Komponente) und resistentes Verhalten (Verhaltenskomponente). Um auf möglichen Widerstand zu reagieren, können unterschiedliche Strategien angewendet werden. Zwei davon, die häufig untersucht wurden, sind Information beziehungsweise Kommunikation über die Veränderungen (Chin und Benne 1985) und Partizipation der MitarbeiterInnen. Unter Partizipation im Rahmen des Veränderungsprozesses versteht man die Einbindung der MitarbeiterInnen im Sinne einer Mit-bestimmung; MitarbeiterInnen können Vorschläge zur vorgesehenen Veränderung machen.

> Kommunikation beziehungsweise Information und Partizipation sind zwei Strategien, die für einen Veränderungsprozess angewendet werden sollten, um auf Widerstände seitens der MitarbeiterInnen zu reagieren.

García-Cabrera und García-Barba Hernández (2014) haben MitarbeiterInnen befragt, die in den letzten zwei Jahren Veränderungen im Unternehmen erlebt haben. Ihre Studie zeigt, dass Kommunikation dazu führt, resistente Gedanken und Gefühle zu vermindern. Demnach kann die Kommunikation über Veränderungen dazu beitragen, dass MitarbeiterInnen bevorstehende Veränderungen innerhalb ihrer Organisation verstehen. Zudem können dadurch positivere Gedanken ausgelöst und die MitarbeiterInnen beruhigt werden. Des Weiteren fanden die Auto-rInnen, dass die Partizipation von MitarbeiterInnen, d. h. die Einbindung der MitarbeiterInnen

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in den Veränderungsprozess, alle drei Formen von Widerständen gegenüber Veränderungen vermindern kann. Diese positiven Effekte von Information und Partizipation haben auch einen hemmenden Einfluss auf Zynismus hinsichtlich Veränderungsprozessen (Brown und Cregan 2008).

Marchington et al. (1994) analysierten die Mitarbeiterpartizipation in 18 Organisationen. Sie befragten MitarbeiterInnen über ihre Eindrücke zur Partizipation in den jeweiligen Unter-nehmen. MitarbeiterInnen berichteten von mittleren positiven Effekten (die sich stark zwischen den Organisationen unterschieden) und wünschten sich auch eine Weiterführung der Par-tizipation. Ein interessanter Punkt ist hierbei, dass die Akteure, von denen die Einbeziehung ausging, die jeweiligen Führungskräfte waren. Diese informierten die MitarbeiterInnen oder organisierten die jeweilige Partizipationsmethode innerhalb von formalen (z. B. wöchentlichen Besprechungen) oder informellen Begegnungen. Neben der Veränderung der Führung hinsicht-lich neuer Rahmenbedingungen durch die digitale Transformation der Arbeit wird – den Ergeb-nissen dieser Studie nach – auch die Rolle der Führungskraft zentral bei der Umsetzung dieser Veränderung sein.

Die letzte Frage, die hier aufgeworfen wird, lautet, ob ein Veränderungsprozess auch eine Änderung der Organisationskultur oder zumindest des Organisationsklimas erfordert (Defini-tion der Organisationskultur siehe ▶ Exkurs „Organisationskultur und Organisationsklima“).

Marchington und Kynighou (2012) argumentieren aufgrund ihrer empirischen Ergebnisse, dass die Beteiligung von MitarbeiterInnen an Veränderungsprozessen eher von der Organi-sationskultur selbst geprägt ist und nicht eine Quelle für deren Veränderung darstellt. Eine Anpassung oder Änderung der Organisationskultur beziehungsweise des Organisationsklimas muss demnach auf andere Weise erfolgen. Was wäre eine Organisationskultur beziehungsweise ein organisationales Klima, das passend für digitales Arbeiten ist? Zusammenfassend bedarf es einer Änderung beziehungsweise einer Anpassung vorhandener Management- und Führungs-methoden sowie einer gezielte Gestaltung des Transformationsprozesses.

4.3 Zusammenfassung der Empfehlungen zur Gestaltung von digitalen Arbeitswelten

In diesem Buch wurde die Gestaltung von Arbeitsumgebungen in der Wissens- und Industrie-arbeit diskutiert. Dabei wurde auf die physische Arbeitsumgebung genauso Bezug genommen wie auf soziale Aspekte der Arbeitsumgebung. Die physische Arbeitsumgebung umfasst die gesamte Umwelt, in der sich das arbeitende Individuum befindet. Das impliziert Büroumge-bungen und Arbeitsmittel, die für die Arbeitstätigkeit benötigt werden. In ▶ Kap. 1 wurde

Exkurs: Organisationskultur und Organisationsklima

Organisationskultur und Organisationsklima stellen zwei verschiedene Konstrukte dar; weitere Informa-tionen sind nachlesbar bei Denison (1996) und bei James et al. (2008). Nach Nerdinger (2014) beschreibt Organisationskultur Werte und Annahmen, die tief verankert sind. Diese Werte und Annahmen haben sich historisch entwickelt und sind den Mitgliedern der Organisation oft gar nicht bewusst. Sie zeigen sich durch die Sprache, Rituale, Zeremonien oder Artefakte. Von der Organisationskultur unterschieden wird das Organisationsklima. Hier wird die Qualität der inneren Umwelt der Organisation beschrieben. Durch deren Erleben wird das Verhalten der Mitglieder der Organisation beeinflusst (Nerdinger 2014). In der Forschung werden auch spezifische Organisationsklimata erforscht wie das Sicherheitsklima (Clarke 2006; Zohar und Luria 2005) oder das Innovationsklima (Anderson und West 1998).

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten174

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beschrieben, dass von Folgendem auszugehen ist: Diese beiden Dimensionen der Arbeits-umgebung werden in Zukunft digitale Formen annehmen. Die physische Umgebung kann demnach digitaler werden bis hin zu einem Ersatz durch eine virtuelle Umgebung (beispiels-weise bei der kollaborativen Planung einer Wohnanlage in einer virtuellen Umwelt). Auch Arbeitsmittel können vermehrt durch Technologien wie mobile Endgeräte, Informations- und Kommunikationstechnologien oder Roboter beziehungsweise intelligente Maschinen repräsentiert sein. Die soziale Arbeitsumgebung hingegen umfasst die Akteure, mit denen man bei der Arbeit in Kontakt steht. In Zukunft ist denkbar, dass ein Roboter oder ein Chatbot die Rolle von KollegInnen oder MitarbeiterInnen einnimmt.

Generell ist anzunehmen, dass das Wohlbefinden und die Produktivität beim Ausüben der Arbeit positiv beeinflusst werden, wenn die Gestaltung der physischen Arbeitsumgebung für den Arbeitenden passend und die Qualität der Beziehung mit sozialen Akteuren in der Arbeitsumgebung hoch ist. Um dies zu erreichen, wurden in diesem Buch einige Empfeh-lungen gegeben. Die folgende . Tab. 4.2 liefert einen abschließenden Überblick über diese Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten. Dabei wird auf Arbeitsgestal-tung, Arbeitsmodelle, Arbeitsumgebung und Arbeitsmittel ebenso eingegangen wie auf die Entwicklung von MitarbeiterInnen und Führungskräften sowie die generelle Entwicklung der Organisationskultur.

. Tab. 4.2 Überblick über die Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten

Thema Beschreibung der Empfehlung Weiterführen-de Informatio-nen im Buch

Arbeitsgestal-tung unter Beachtung von veränderten Arbeitsanfor-derungen und Arbeitsressour-cen

Beispiele für veränderte Arbeitsanforderungen sind die Kom-munikation und Kollaboration mithilfe von Technologien, per-manente Erreichbarkeit, soziale Isolation, erhöhte Komplexität der Arbeitsaufgabe oder eine Entgrenzung von Arbeit und Privatleben. Veränderte Ressourcen betreffen beispielsweise die verstärkte Autonomie und Freiheit, aber auch die kognitive oder physische Unterstützung durch Assistenztechnologien. Auf Basis der etablier-ten Modellen zu Kernmerkmalen von Arbeit und unter Beachtung der drei Grundbedürfnisse des Menschen (Autonomie, Kompetenz-erleben, Zugehörigkeit) bedarf es einer Reflexion darüber, wie sich bestehende Arbeitsbedingungen im konkreten Arbeitskontext durch die Digitalisierung verändert haben beziehungsweise ver-ändern werden. Darauf sollte proaktiv und gezielt hinsichtlich einer angepassten Arbeitsgestaltung reagiert werden.

▶ Kap. 2▶ Kap. 3

Gestaltung von flexiblen Arbeitsmodel-len auf Basis von Arbeits-tätigkeiten und Präferenzen der Arbeitenden

Arbeitsmodelle sollen gezielt auf Basis der jeweiligen Arbeitstätig-keit gestaltet werden. Durch Informations- und Kommunikations-technologien werden zahlreiche Möglichkeiten unterstützt, von der Gleitzeit über die Telearbeit bis hin zum Jobsharing oder der Einbeziehung von Crowdsourcing. Dabei wird Telearbeit bei Arbeit, die eher konzentriertes Arbeiten erfordert, besser geeignet sein als bei Arbeit, die fast ausschließlich die Kommunikation mit KollegInnen beinhaltet und daher Kontakt mit ihnen erfordert. Zu-dem wäre es empfehlenswert, dass Präferenzen und Wünsche der Arbeitenden – die sich nach Lebenssituation und/oder Generation unterscheiden können – mit berücksichtigt werden.

▶ Kap. 1

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Thema Beschreibung der Empfehlung Weiterführen-de Informatio-nen im Buch

Gestaltung von (technischen) Arbeitsmitteln

Arbeitende benötigen geeignete Technologien, um ihrer Arbeit nachzugehen (z. B. um in örtlich verteilten Teams zu kom-munizieren, physische Assistenztechnologien in der Produktion). Hier ist neben der Grundvoraussetzung einer Funktionalität und einfachen Bedienbarkeit der Technologie die Eignung als Unterstützung für den Arbeitsprozess zentral. Arbeitende sollen durch geeignete technische Arbeitsmittel ihre Arbeit einfacher, schneller oder qualitativ hochwertiger ausführen können und nicht dadurch unterbrochen, irritiert, krank oder verletzt werden. Dafür scheint eine Anpassung an individuelle Bedürfnisse und Präferenzen wichtig. Besonders zu beachten ist auch das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontrolle durch die Technologie.

▶ Kap. 1▶ Kap. 3

Gestaltung von Arbeitsumge-bungen

Die Gestaltung der Arbeitsumgebung sollte auf Basis der individuellen Arbeitstätigkeit und der daraus resultierenden Bedürfnisse von Arbeitenden geschehen. Dadurch kann eine Passung zwischen Arbeitstätigkeit und Arbeitsumgebung geschaffen werden. Aufbauend auf dem Wissen über Effekte von Gestaltungselementen (z. B. Barrieren) auf Arbeitsbedingungen (z. B. Unterbrechungen, Privatsphäre, Zusammenarbeit), sollten diese Gestaltungselemente bewusst eingesetzt werden, um den Arbeitsprozess zu unterstützen. Wichtig ist dabei, neben der Produktivität ebenso das Wohlbefinden der MitarbeiterInnen im Blick zu haben, damit sie auch langfristig produktiv bleiben (z. B. Förderung der Gemeinschaft und Verhinderung von sozialer Isolation, die durch die örtliche Flexibilität und Automatisierung eintreten kann). Bei der Gestaltung der Arbeitsumgebung ist es vor allem erforderlich, nicht in alten Denkmustern verhaftet zu bleiben und die Gestaltung auch dann umzusetzen, wenn vor-handene Statussymbole wegfallen.

▶ Kap. 3

Personalent-wicklung: Begleitung und Entwicklung der Mit-arbeiterInnen hinsichtlich der Aneignung und Weiter-entwicklung technischer und sozialer Kompetenzen

Durch die hohe Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen ist der Mensch gefordert, technische/digitale Kompetenzen (Stichwort: digital literacy) permanent weiterzuentwickeln. Zusätzlich nimmt die Bedeutung sozialer Kompetenzen zu. Arbeitende müssen fähig sein, fehlende nonverbale Hinweisreize in virtueller Kommunikation zu kompensieren und dabei Miss-verständnisse zu vermeiden oder auch Konflikte bei virtueller Zusammenarbeit zu lösen.

▶ Kap. 2▶ Kap. 4

. Tab. 4.2 (Fortsetzung)

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten176

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. Tab. 4.2 (Fortsetzung)

Thema Beschreibung der Empfehlung Weiterführen-de Informatio-nen im Buch

Führungskräf-teentwicklung: Schulung der Führungskräfte hinsichtlich der Begleitung von Veränderungs-prozessen und Führung digital arbeitender Teams

Da Führungskräfte eine essenzielle Rolle im digitalen Transforma-tionsprozess selbst sowie bei der Gestaltung der digitalen und flexiblen Arbeit einnehmen (z. B. bei der Koordination der Arbeit in virtuellen Teams), sollte ein besonderes Augenmerk auf deren Schulung und Entwicklung gelegt werden. Führungskräfte sind beispielsweise für die Information und Partizipation im Trans-formationsprozess zentral und, wenn es darum geht, Isolation oder Überbeanspruchung bei TelearbeiterInnen zu erkennen. Durch die erhöhten Anforderungen an Führungskräfte ist es auch von besonderer Bedeutung, eine Überbelastung bei ihnen zu erkennen beziehungsweise zu vermeiden.

▶ Kap. 2▶ Kap. 4

Gestaltung des Transformati-onsprozesses

Ein digitaler Transformationsprozess muss proaktiv gestaltet werden. Eine ausreichende Information im Sinne einer Kom-munikationsstrategie ist genauso notwendig wie die Möglichkeit der Partizipation im Sinne einer Mitbestimmung der Mitarbeite-rInnen. Dadurch können Widerstände gegenüber den Verände-rungen vermindert und die Akzeptanz erhöht werden.Des Weiteren ist ein Bewusstsein dafür nötig, wie weitgreifend einfache Veränderungen einer Organisation die Organisations-kultur beeinflussen. So hat etwa eine Umgestaltung der Büro-umgebung in eine flexible, aktivitätsbasierte Büroumgebung auch Auswirkungen auf Aspekte der Kultur in einer Organisation (z. B. ändert sich durch das Entfernen von physischen Barrieren die Wahrnehmung von Hierarchien).

▶ Kap. 3▶ Kap. 4

Evaluierung der physischen und psychischen Auswirkungen, die durch die Nutzung der technischen Arbeitsmittel entstehen.

Veränderungen durch die Digitalisierung geschehen nicht statisch, sondern vielmehr dynamisch. In einem sich ständig verändernden System ist es notwendig, fortwährend die Kon-sequenzen dieser Veränderungen zu beobachten. Es ist davon auszugehen, dass in Organisationen häufig neue Technologien eingesetzt werden. Um negativen Konsequenzen entgegen-zusteuern, ist eine permanente Evaluierung der physischen und psychischen Auswirkungen notwendig. Somit lassen sich kurz-fristige und langfristige Effekte auf die Gesundheit (einschließlich Sicherheit) und die Produktivität feststellen sowie entsprechend Anpassungen an den technischen Arbeitsmitteln vornehmen.

▶ Kap. 1▶ Kap. 2▶ Kap. 3▶ Kap. 4

Arbeitsmarkt-politik

Der Staat ist gefordert, Maßnahmen zu entwickeln, die den Menschen im Zuge von Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeits-losigkeit auffangen. Das umfasst auch Bildungsinitiativen, um den Menschen hinsichtlich dieser Entwicklungen zu stärken. Darüber hinaus sollen organisierte Räumlichkeiten für Selbstständige (Co-working Spaces) unterstützt werden, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die den digital und flexibel Arbeitenden Ressourcen im Sinne von Struktur und sozialem Rückhalt ermöglichen.

▶ Kap. 2

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4.4 Gesellschaftliche Implikationen und Ausblick : Kulturwandel in Organisationen und in der Gesellschaft

In diesem Buch wurden Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt besprochen. Es wurde deutlich, dass die Auswirkungen grundsätzliche Strukturen und Arbeitsweisen betreffen und daher bei der Gestaltung dieser neuen Arbeitswelten zahlreiche veränderte Bedingungen – von den Arbeitszeitstrukturen über die Arbeitsinhalte bis hin zur Zusammenarbeit mit in-telligenten Technologien – zu beachten sind. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei um einen radikalen Kulturwandel, der die Organisationen, aber auch die Gesellschaft an sich, prägt beziehungsweise prägen wird. Daher werden hier abschließend drei Fragen andiskutiert, mit denen man sich in Anbetracht der Veränderungen durch die digitale Transformation der Arbeitswelt beschäftigen muss.

z I. Kann eine digitale Transformation überhaupt gelingen?Um die Zukunftsfähigkeit einer Organisation am (globalen) Markt zu erhalten, entscheidet sich das Management häufig für einen digitalen Transformationsprozess im Sinne einer Digitalisie-rung einzelner Arbeitsprozesse. Man erhofft sich dadurch schlankere und effizientere Strukturen und damit verbunden einen Produktivitätsgewinn. Außerdem wird versucht – auch orientiert an der Start-up-Szene –, Innovativität und unternehmerisches Denken in der Organisation zu fördern. Organisationen mit starren, hierarchischen und bürokratischen Strukturen sollen hierbei zu jungen, dynamischen und modernen Organisationen umgestaltet werden.

Digitalisierung beinhaltet daher nicht nur die Digitalisierung von Arbeitsprozessen – etwa wenn Formulare, die zuvor mit der Hand auf Papier ausgefüllt wurden, nun online virtuell bearbeitet werden –, sondern führt zu viel weitreichenderen Konsequenzen für die gesamte Organisationskultur. Dies ist, weil durch sie bedingt, nicht trennbar von den eingesetzten Technologien. Ein Beispiel wäre die Nutzung eines Messengers als Hauptkommunikationstool in einer Organisation. Alle Mitglieder der Organisation von der Geschäftsführung bis zu den PraktikantInnen haben hier ein Profil und können theoretisch mit jeder Person Kontakt auf-nehmen. Wenn also ein/e Praktikant/in eine Frage an die Geschäftsführung hat, kann er/sie – ohne den Weg über ein Sekretariat zu nehmen – ihr eine Nachricht schreiben. Verstärkt wird dieses Aufbrechen von starren Hierarchien auch durch Gruppen (z. B. ein Essens-Chat), inner-halb derer Mitglieder unterschiedlicher Hierarchien miteinander kommunizieren. Virtuelle Kommunikation kann demnach Hierarchien verflachen. Auch flexible Büroumgebungen, die als Notwendigkeit durch das flexible Arbeiten entstehen, können ein Anstoß für flache Hie-rarchien sein. Hier kommt es nämlich zu der Situation, dass Vorgesetzte und MitarbeiterInnen ohne räumliche Trennung nebeneinander arbeiten.

> Die digitale Transformation der Arbeit führt zu einem Kulturwandel in Organisationen.

Digitalisierung kann daher als eine Art von Revolution in einer Organisation verstanden wer-den. Es kommt zu einem weitreichenden organisationalen Veränderungsprozess, der mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Reaktanz, Kündigungen oder Überforderung der Mitarbeite-rInnen sind nur einige davon (für weitere Informationen zu organisationalen Veränderungspro-zessen siehe Schuler 2004). Hiermit ist auch die grundsätzliche Frage verbunden, ob die digitale Transformation überhaupt gelingen kann. Funktioniert die digitale Transformation überhaupt ohne Kulturveränderung? Können bürokratische hierarchische Strukturen, die oft tief bei den MitarbeiterInnen verankert sind, aufgebrochen werden? Sollten sie überhaupt aufgebrochen

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten178

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werden? Was sind die Kosten dabei? Soll die gesamte Organisation umgestaltet werden, oder sollte eher mit kleineren Bereichen begonnen werden, bei denen die Veränderungen weniger radikal sind? Eine mögliche Strategie wäre dabei die Neugründung eines Unterbereiches in einer Organisation, der dann sukzessiv vergrößert wird und von innen heraus die Kultur prägt.

Da das Problem zu komplex ist, um generalisierte Aussagen zu machen, kann hier keine Antwort gegeben werden. Dennoch soll die Frage danach beziehungsweise die Reflexion da-rüber, ob eine digitale Transformation überhaupt gelingen kann, als Anstoß dafür dienen, sich während der stattfindenden Digitalisierung der Arbeitswelt mit den Thematiken des Kultur-wandels zu beschäftigen.

z II. Inwieweit verändern Qualifizierungsanforderungen durch die digitale Transformation der Arbeitswelt das bestehende Ausbildungssystem?

Wegen des Wandels der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Automatisierung und Individuali-sierung nehmen bestimmte Berufe an Bedeutung zu, andere wiederum nehmen an Bedeutung ab oder verschwinden sogar. Ein Beispiel dazu wurde zu Beginn des Buches geliefert, indem die Entwicklungen bezüglich des Grafikerberufs beschrieben wurden. Dieser Wandel im Hinblick auf die Berufsbilder geht so weit, dass Personen, die heutzutage in Ausbildung sind, in Zukunft in Berufen arbeiten werden, die es jetzt noch gar nicht gibt. Diese Entwicklung wird verstärkt durch die längere Lebensdauer des Menschen, die auch zur Folge hat, dass ein Mensch länger der Erwerbsarbeit beziehungsweise einem Beruf nachgehen kann. Auch durch den Einsatz von Robotern und Maschinen, die körperlich anstrengende Tätigkeiten übernehmen beziehungs-weise dem Menschen assistieren können, können Menschen länger einen Beruf ausüben.

Wie kann nun die Qualifizierung in Anbetracht eines Arbeitslebens aussehen, das durch die Veränderung von Berufen gekennzeichnet ist? Eine Ausbildung für einen Beruf, den man sein Erwerbsleben lang ausübt, scheint diesbezüglich nicht mehr passend. „Lebenslanges Lernen“ ist ein Begriff, der in diesem Zusammenhang häufig genannt wird. Lebenslanges Lernen beschreibt die Aneignung von Wissen, Qualifikation und Kompetenz während des gesamten Lebens (Euro-päische Kommission, Mitteilung 2001).

Definition

Lebenslanges Lernen betrifft „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbes-serung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer per-sönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen beziehungsweise beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt.“ (Europäische Kommission, Mitteilung 2001, S. 9)

Wer soll nun dieses „lebenslange Lernen“ ermöglichen? Liegt es in der Verantwortung des Staates, Rahmenbedingungen zu schaffen, sollen Unternehmen Möglichkeiten zur Weiterent-wicklung anbieten, oder liegt es an der lernenden Person selbst, sich Weiterentwicklungsmög-lichkeiten zu suchen und sie wahrzunehmen? Je nach politischer Ausrichtung eines Staates sind unterschiedliche Kombinationen möglich. Generell scheint eine Kombination aller Möglich-keiten am sinnvollsten, um eine den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt entsprechende qualifizierte Gesellschaft zu schaffen.

Neben der Frage, wer für die Qualifizierung sorgen soll, stellt sich ebenso die Frage, wie man qualifizieren soll. Welche Kompetenzen braucht der Mensch in einer digitalisierten Arbeits-welt? In Anbetracht der schnellen Entwicklungen scheint Bildung im Gegensatz zu Ausbildung

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relevanter und nachhaltiger zu sein. Nichtsdestotrotz sind grundlegende Qualifikationen not-wendig, um in der digitalen Arbeitswelt zurechtzukommen. ZukunftsforscherInnen beschäf-tigen sich damit, Trends zu analysieren, aus denen dann notwendige Kompetenzen abgeleitet werden können (siehe Zukunftsinstitute wie z. B. zukunftsinstitut.de).

> Eine zentrale Frage zur Qualifizierung umfasst die Verantwortlichkeit und die Inhalte, die einbezogen werden sollen. Kurz gesagt: Wer soll wie qualifizieren?

Im Folgenden werden wir vier Annahmen beziehungsweise Thesen darüber formulieren, welche Kompetenzen der Mensch in Zukunft benötigt, um mit den Anforderungen einer digitalen fle-xiblen Arbeitswelt umzugehen und hier auch erfolgreich zu sein. Dabei liegt der Fokus bewusst weniger auf Berufsbildern als auf den zugrunde liegenden Fähigkeiten und Kompetenzen, die es zu entwickeln gilt:

z a. Umgang mit komplexen TechnologienKomplexe Technologien sind beispielsweise Informations- und Kommunikationstechnologien, Industrieroboter sowie künstliche intelligente Technologien. Die richtige Interaktion mit diesen Technologien ist die Grundlage für deren Nutzung und Steuerung. Interaktion beinhaltet dabei die korrekte Eingabe von Befehlen, die durch verschiedene Modalitäten erfolgen kann. Die Eingabe ist durch Text, auditive Reize oder Gestik möglich. Interaktion beinhaltet aber auch das korrekte Interpretieren der Ausgabe dieser Technologien. Neben der Bedienung ist die Gestaltung – im Sinne von Programmierung, Konfiguration und Anpassung – eine weitere Komponente, die den Umgang mit der Technologie betrifft. In diesem Zusammenhang spricht man von „digital literacy“ beziehungsweise digitaler Kompetenz, die von Gilster (1997) als lebensnotwendige Fertigkeit beschrieben wird. Dieser Begriff umfasst Wissen, Verhalten und Kompetenzen bezüglich der Nutzung von digitalen Technologien zur Kommunikation und Zusammenarbeit (Colin und Michele 2008).

Definition

Digital literacy beziehungsweise digitale Kompetenz ist ein von Gilster (1997) geprägter Begriff und umfasst Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien. Die digitale Kompetenz ist notwendig, um sich in der heutigen Wissensgesellschaft zurechtzufinden (Colin und Michele 2008).

Um den Umgang mit Technologien zu erlernen, ist neben einer Technologieaffinität eine Lern-bereitschaft und Veränderungsbereitschaft notwendig. Technologien entwickeln sich rasch weiter, Wissen wird schneller veraltet, wodurch stetiges Lernen notwendig ist.

z b. Kreatives Problemlösen und innovatives DenkenKreativität bezeichnet „die Fähigkeit eines Individuums oder einer Gruppe, in phantasievoller und gestaltender Weise zu denken und zu handeln“ (Maier et al. 2017). Fantasievolles Handeln und Denken ist eine Eigenschaft, in der der Mensch der Technologie überlegen ist. Darüber hinaus können kreative Herangehensweisen nützlich sein, um die komplexen Probleme der heutigen Gesellschaft (z. B. Fragen der Globalisierung, globale Krankheiten, Klimawandel) zu lösen. Unkonventionelles Denken und fantasievolle Ideen sind hier wertvoll, um zu neuen innovativen Problemlösungen zu gelangen. Es ist anzunehmen, dass die Kompetenz oder Kunst

Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten180

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des kreativen Denkens an Bedeutung zunimmt. Im Kontext der Arbeit kann kreatives Denken und Handeln zu verstärktem innovativen Arbeitsverhalten im Unternehmen führen, was heut-zutage als zentraler Wettbewerbsfaktor beschrieben wird (Anderson et al. 2014).

z c. Soziale KompetenzIn einer digitalisierten Arbeitswelt ist physischer Kontakt und Sichtbarkeit zwischen und von Menschen oftmals reduziert. Insbesondere bei virtuell arbeitenden Menschen findet Kontakt häufig virtuell über Kommunikationstechnologien statt. Wichtig hierbei ist, soziale Isolation zu vermeiden und die Zugehörigkeit der arbeitenden Menschen zu einer sozialen Gruppe zu ermöglichen (siehe Zugehörigkeit als eines der zentralen psychologischen Grundbedürfnisse des Menschen; Gagné und Deci 2005; Ryan und Deci 2000). Um in einer virtuell vernetzten Welt soziale Beziehungen zu kreieren und zu pflegen, bedarf es sozialer Kompetenz. Arbeitende sind gefordert, in ihrem sozialen Umgang mit anderen Bedürfnisse zu erkennen und Missver-ständnisse anzusprechen. Nimmt man beispielsweise einen Konflikt innerhalb eines Teams, der virtuell angesprochen und aufgelöst werden muss, dann sprechen wir hier von einer sehr herausfordernden Tätigkeit, die eine hohe soziale Kompetenz erfordert. Besonders sind hier auch Führungskräfte gefordert.

z d. SelbstführungIn einer digitalen flexiblen Arbeitswelt ist die Kompetenz, sich selbst zu organisieren bezie-hungsweise sich selbst zu führen (Houghton und Neck 2002; Manz 1986; Neck und Houghton 2006), eine weitere wichtige Kompetenz. Selbstführung beinhaltet verschiedene verhaltens-orientierte, kognitive und emotionale Strategien wie beispielsweise das Setzen eigener Ziele, die Selbstbeobachtung, das Visualisieren der eigenen Leistung oder die Reflexion über eigene Annahmen. Flexibel Arbeitende haben viele Freiheiten hinsichtlich der Wahl des Arbeitsortes und der Arbeitszeit und oft der Gestaltung des gesamten Arbeitsprozesses. Sie müssen daher auch in der Lage sein, diesbezüglich selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Moderne In-formations- und Kommunikationstechnologien dienen hier als Unterstützung, können aber auch Quelle von Ablenkungen sein, denen es zu widerstehen gilt (für weiterführende Literatur siehe Kompetenz zur Selbstregulation und Ich-Erschöpfung; Baumeister et al. 1998; Baumeister et al. 2006). Problematisch wird es, wenn Menschen einer Gesellschaft wenig Selbstführungs-kompetenz aufweisen und gleichzeitig mit einer Arbeitswelt konfrontiert werden, in der Selbst-führung stark gefordert ist.

> Um mit den Anforderungen einer digitalen flexiblen Arbeitswelt umzugehen, benö-tigen Menschen Kompetenzen im Umgang mit komplexen Technologien (Stichwort digital literacy), im Bereich des kreativen Problemlösens und innovativen Denkens, soziale Kompetenz sowie die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und zu führen.

Um nochmals auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, inwieweit Qualifizierungsanfor-derungen durch die digitale Transformation der Arbeitswelt das bestehende Ausbildungssys-tem herausfordern, wird es zusammengefasst notwendig sein, Fähigkeiten und Kompetenzen zu fördern, die für die digitale Arbeitswelt benötigt werden. Hier wird der Schritt weg vom Gedanken der Berufsausbildung hin zur Förderung der Bildung generell notwendig. Anstatt einen Beruf zu lernen, den man das gesamte Erwerbsleben hinweg ausübt, wird es wichtiger, grundlegende Kompetenzen zu vermitteln und Lernbereitschaft und Veränderungsbereitschaft zu fordern.

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z III. Können Menschen bei digitalisierter Arbeit psychisch gesund bleiben?Neben den zahlreichen positiven Aspekten der digitalen Arbeit gibt es auch Risiken, mit denen es umzugehen gilt. Durch die Forderung nach ständiger Erreichbarkeit, Unterbrechungen durch Kommunikationstechnologien, Arbeitskomplexität und Zeitdruck können Personen überfor-dert und belastet werden. Beispielsweise kann die Forderung nach ständiger Erreichbarkeit dazu führen, dass Erholungspausen gestört oder Arbeitsprozesse unterbrochen werden. Wenn Personen diesen belastenden Bedingungen in der Arbeit über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt sind, können physische und psychische Erkrankungen entstehen.

> Neben den positiven Aspekten von digitaler Arbeit gibt es auch zahlreiche Risiken, wie ständige Erreichbarkeit, Unterbrechungen durch Kommunikationstechnologien, Arbeitskomplexität und Zeitdruck, mit denen es umzugehen gilt.

Hinzu kommt, dass Arbeitsergebnisse digitale und nicht reale Form annehmen. Nehmen wir beispielsweise die Herstellung eines Möbelstücks. Bei einer manuellen Fertigung des Möbel-stücks sieht der/die Arbeitende den Fortschritt der Arbeit, da er beziehungsweise sie das Holz mit den eigenen Händen manuell bearbeitet, bis das erwähnte Möbelstück entstanden ist. Das Produkt ist dann physisch vorhanden, man kann es anfassen, riechen und sehen. Als Gegen-beispiel dient die industrielle Fertigung eines Möbelstücks, bei der der Mensch nur eine Über-wachung der fertigenden Maschinen übernimmt. Das fertige Möbelstück wird nicht gesehen, da es in Einzelteile verpackt und versendet wird. Das Produkt des/der Arbeitenden sind in diesem Fall digitale Berichte über die Überwachungstätigkeiten an den Maschinen. Es ist an-zunehmen, dass sich die Bedeutsamkeit der Arbeitsergebnisse für die Arbeitenden in diesen plakativen Beispielen unterscheidet.

Nach dem Job Characteristic Model (Hackman und Oldham 1980; Oldham und Hackman 2005) wird die Bedeutsamkeit der Arbeit von drei Kernmerkmalen der Arbeit bestimmt: Anfor-derungsvielfalt (Arbeit, die die Anwendung von unterschiedlichen Kompetenzen und Fähig-keiten fordert, ist durch Anforderungsvielfalt gekennzeichnet), Ganzheitlichkeit (eine Arbeit ist ganzheitlich, wenn ein Arbeitsergebnis vollständig von Anfang bis Ende fertiggestellt werden kann), Wichtigkeit (die Wichtigkeit der Aufgabe ist hoch, wenn sich die Arbeit auf das Leben anderer auswirkt). Je stärker diese drei Kernmerkmale der Arbeit ausgeprägt sind, desto sinn-hafter wird die Arbeit wahrgenommen (Hackman und Oldham 1980).

Eine empfundene Bedeutungslosigkeit der Arbeit hat auch negative Auswirkungen auf Mo-tivation, Leistung und Zufriedenheit. Soll also eine Arbeit konzipiert werden, die psychische Gesundheit sicherstellt, muss man sich auch damit beschäftigen, wie bedeutsame Arbeit in einer digitalisierten Arbeitswelt gestaltet werden kann.

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Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten182

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Kapitel 4 • Empfehlungen für die Gestaltung von digitalen Arbeitswelten184

Page 190: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Serviceteil

Sachverzeichnis – 186

185

ServiceteilServiceteil

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019C. Gerdenitsch, C. Korunka, Digitale Transformation der Arbeitswelt, Die Wirtschaftspsychologie, DOI 10.1007/978-3-662-55674-0

Page 191: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Sachverzeichnis

AAchtsamkeit 60aktivitätsbasierte flexible Büro-

umgebungen 75, 97 – Arbeitsbedingungen 76 – Arbeitsbedingungen, Auto-

nomie 77 – Arbeitsbedingungen, physische

Nähe und Sichtbarkeit 78 – Arbeitsbedingungen, Privat-

späre 77 – Arbeitsbedingungen,Territoriali-

tät 76 – Effekte 76 – Fallstudien 84

aktivitätsbasiertes flexibles Büro 72Androide 118Arbeitsanforderungen 108Arbeitskraftunternehmer/in 4, 6Arbeitsplatzumgebung 89Arbeitsplatzumgestaltung 88Arbeitsplatzunsicherheit 40

– Automatisierung 41Arbeitsressourcen 108Arbeitsumgebung 17, 71

– Abgrenzungen und Barrieren 68 – Angebot 87 – Einzelbüro 68 – Elemente 67, 70 – Großraumbüro 68 – Umgestaltung 89

Arbeitszonen 89Assistenzsysteme 116Automatisierung 3, 5Autonomie 77Autonomy Paradoxon

– permanente Erreichbarkeit 50

BBedürfnis nach Struktur 53Belastungen

– präventive Ansätze 171Burn-out-Syndrom 171Büroumgebung

– Umgestaltung 88 – Umgestaltung, kritische Erfolgs-

faktoren und Handlungsfelder 94

Büroumgebungen 73, 81 – Charakteristika 73 – Desksharing 70 – Hotdesking 70

CCareer Crafting 48Coworking Spaces 97, 98, 100, 102,

109, 112 – Gemeinschaftssinn 104 – Interaktionen 107 – soziale Interaktion 106 – soziale Unterstützung 110

Crowdsourcees 11Crowdsourcer 11Crowdsourcing 7, 11cyber-physische Systeme 134

– Arbeitsgestaltung 144 – Datensicherheit 137 – Privatspäre 140 – Vertrauen und Akzeptanz 135

DDatensicherheit 137Desksharing 70digitale Transformation 25Digitalisierung 3, 4, 24, 27

EEinzelbüro 68E-Mail-Kommunikation 30, 31, 32Ergebniskontrolle 168, 169erweiterte Realität 124

– Informationsverarbeitung 127 – kognitive Belastung 127

European Working Conditions Survey 12

Exoskelett 118

Fflexible Arbeitsformen 7, 12

– Bedürfnis nach Struktur 52 – Grundbedürfnis nach Auto-

nomie 51 – Herstellung von Struktur 54

Fünf-Faktoren Modell der Per-sönlichkeit 79

GGestaltung von Abgrenzungen und

Barrieren 68Gleitzeit 7, 8Grenzen zwischen Arbeit und

Privatleben 55, 56Großraumbüro 68Grundbedürfnisse 51, 146

HHead Mounted Display (HMD) 128Holokratie 80Hotdesking 70

IIndividualisierung 3, 6Industrie 4.0 134Informations- und Kommunikati-

onstechnologien 4Interaktionsformen von Maschinen

und Robotern 44 – Koexistenz 44 – Kollaboration 44 – Kooperation 44

JJob Characteristic Model 145Job Demands-Resources-(JD-R-)

Modell 108Jobsharing 7, 10

Kkollaborativer Roboter

– Cobot 42Kommunikation 46

– zwischen Mensch und intel-ligenter maschine (Chatbot) 46

– zwischen zwei Menschen 46Kriterien humaner Arbeit 144

186

Page 192: Digitale Transformation der Arbeitswelt: Psychologische Erkenntnisse zur Gestaltung von aktuellen und zuk¼nftigen Arbeitswelten

Kulturwandel – in der Gesellschaft 178 – in Organisationen 178

künstlich intelligentes Systems 46

LLeistungskontrolle 168Leistungskontrolle, Kontroll-

mechanismen – Ergebniskontrolle 168 – normative Kontrolle 168 – Verhaltenskontrolle 168

Losgröße 115

MMensch-Maschine-Interaktion

44, 45 – Koordination 47

Mensch-Maschine-Systeme 119, 120

Mensch-Roboter Kollaboration – Sicherheit 123

Mensch-Roboter-Kollaboration 119, 121

Mensch-Roboter-Zusammenarbeit (human-robot collaboration) 44

Moralische Entscheidungen 142

NNeed-Supply-Fit 87, 90normative Kontrolle 168, 169

PPersonalisierung 71

– am Arbeitsplatz 71Person-Environment-Fit-Modell 87physische Nähe und Sichtbarkeit

78Privatsphäre 77, 140Produktionsumgebung

– Assistenzsysteme 116

RRoboter 44, 118

– Assistenzsystem 44

SSelbstbestimmungstheorie 51Sicherheitsverhalten 138Softwareergonomie 129

TTechnoaddiction 34Technologieakzeptanz 137Technologien in der Produktion

116Technostrain 34Technostress 34

– Technoaddiction 34 – Technostrain 34

Telearbeit 7, 9Telenoid 32Telenoid R1 35Territorialität 76Theorie der sozialen Erleichterung

70

UUsability 129

VVeränderungsprozess

– Gestaltung 173 – Information 173 – Kommunikation 173 – Widerstände 173

Verhaltenskontrolle 168, 169Verhaltensprävention 171, 172Verhältnisprävention 171, 172Vertrauen 135vertrauenswürdige Technologien

136virtuelle Kommunikation 29

– E-Mail-Kommunikation 30, 33 – Telenoid 32

virtuelle Realität 124 – Cybersickness 126

virtuelle Teamarbeit – Vertrauen 36

virtuelle Teams 35, 36, 166 – Führung 166 – Kompetenzen 167 – Prinzipien 37

WWissensarbeiter/in 16Wissenschaftliche Betriebsführung

7Work Design Questionnaire 146

ZZellenbüro 89

187Sachverzeichnis

A–Z