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WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE https://doi.org/10.1007/s41449-020-00206-x Z. Arb. Wiss. (2020) 74:63–75 Digitalisierung und Psyche – Rahmenbedingungen für eine gesunde Arbeitswelt. Ergebnisse des Projektes GAP Maximilian Bretschneider 1 · Stephanie Drössler 1 · Selina Magister 1 · Maria Zeiser 1 · Daniel Kämpf 1 · Andreas Seidler 1 Online publiziert: 6. Mai 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Zusammenfassung Die gegenwärtige Arbeitswelt ist gezeichnet von Digitalisierungsprozessen, welche sukzessive in allen Bereichen der Er- werbsarbeit wirksam werden. Der Großteil der damit im Zusammenhang stehenden arbeitsorganisatorischen Veränderungen bleibt in seinen Wirkungen ambivalent und bietet immer auch Ansatzpunkte für Maßnahmen des Arbeits- und Gesund- heitsschutzes. Das BMBF geförderte Verbundprojekt „Gesunde Arbeit in Pionierbranchen (GAP)“ untersuchte den Einfluss des technologischen Wandels auf die psychische und physische Gesundheit sowie Strukturen und Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Weiterhin sollten erste Empfehlungen für einen zukunftsfähigen Arbeitsschutz abgeleitet wer- den. In Anbetracht des nach einer Literatursichtung überschaubaren Forschungsstandes wurde ein exploratives Vorgehen gewählt und mittels der Erstellung von Unternehmensfallstudien realisiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass bekannte Gefähr- dungen, vor allem körperlich schwere Arbeit, reduziert werden können. Gleichwohl lassen sich neue Gefährdungen und die Intensivierung bekannter Gefährdungen sowie eine Belastungsverschiebung beobachten. Darüber hinaus zeichnet sich eine deutliche Zunahme psychischer Belastungen im Arbeitskontext ab. Für die gesundheitsförderliche Gestaltung ergeben sich demnach durch technologische Veränderungenwie Digitalisierung, Automatisierung und intelligente Vernetzung von Produktionsschritten sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Praktische Relevanz: Erste Handlungsempfehlungen für einen zukunftsfähigen Arbeits- und Gesundheitsschutz und gute digitalisierte Arbeit können abgeleitet werden. Schlüsselwörter Industrie 4.0 · Digitalisierung · Arbeits- und Gesundheitsschutz · Psychische und physische Belastungen · Fallstudien Maximilian Bretschneider, M.A. [email protected] 1 Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden, Deutschland K

DigitalisierungundPsyche–Rahmenbedingungenfüreinegesunde ... · Case studies 1Hintergrund Bereits in den vergangenen Dekaden, noch weit vor der so genannten vierten industriellen

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  • WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE

    https://doi.org/10.1007/s41449-020-00206-xZ. Arb. Wiss. (2020) 74:63–75

    Digitalisierung und Psyche – Rahmenbedingungen für eine gesundeArbeitswelt. Ergebnisse des Projektes GAP

    Maximilian Bretschneider1 · Stephanie Drössler1 · Selina Magister1 · Maria Zeiser1 · Daniel Kämpf1 ·Andreas Seidler1

    Online publiziert: 6. Mai 2020© Der/die Autor(en) 2020

    ZusammenfassungDie gegenwärtige Arbeitswelt ist gezeichnet von Digitalisierungsprozessen, welche sukzessive in allen Bereichen der Er-werbsarbeit wirksam werden. Der Großteil der damit im Zusammenhang stehenden arbeitsorganisatorischen Veränderungenbleibt in seinen Wirkungen ambivalent und bietet immer auch Ansatzpunkte für Maßnahmen des Arbeits- und Gesund-heitsschutzes. Das BMBF geförderte Verbundprojekt „Gesunde Arbeit in Pionierbranchen (GAP)“ untersuchte den Einflussdes technologischen Wandels auf die psychische und physische Gesundheit sowie Strukturen und Maßnahmen des Arbeits-und Gesundheitsschutzes. Weiterhin sollten erste Empfehlungen für einen zukunftsfähigen Arbeitsschutz abgeleitet wer-den. In Anbetracht des nach einer Literatursichtung überschaubaren Forschungsstandes wurde ein exploratives Vorgehengewählt und mittels der Erstellung von Unternehmensfallstudien realisiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass bekannte Gefähr-dungen, vor allem körperlich schwere Arbeit, reduziert werden können. Gleichwohl lassen sich neue Gefährdungen unddie Intensivierung bekannter Gefährdungen sowie eine Belastungsverschiebung beobachten. Darüber hinaus zeichnet sicheine deutliche Zunahme psychischer Belastungen im Arbeitskontext ab. Für die gesundheitsförderliche Gestaltung ergebensich demnach durch technologische Veränderungen wie Digitalisierung, Automatisierung und intelligente Vernetzung vonProduktionsschritten sowohl Chancen als auch Herausforderungen.Praktische Relevanz: Erste Handlungsempfehlungen für einen zukunftsfähigen Arbeits- und Gesundheitsschutz und gutedigitalisierte Arbeit können abgeleitet werden.

    Schlüsselwörter Industrie 4.0 · Digitalisierung · Arbeits- und Gesundheitsschutz · Psychische und physischeBelastungen · Fallstudien

    � Maximilian Bretschneider, [email protected]

    1 Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin,Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TechnischeUniversität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden,Deutschland

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    https://doi.org/10.1007/s41449-020-00206-xhttp://crossmark.crossref.org/dialog/?doi=10.1007/s41449-020-00206-x&domain=pdf

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    Digitisation and psyche—a framework for a healthy working environment. Results of the GAP project

    AbstractThe current world of work is marked by digitisation processes which are gradually taking effect in all areas of gainfulemployment. The majority of the changes in work organisation associated with these processes remain ambivalent in theireffects and always offer starting points for measures in occupational health and safety. The BMBF-funded joint project“Healthy Work in Pioneer Branches (GAP)” examined the influence of technological change on mental and physical healthas well as structures and measures of occupational health and safety. In addition, initial recommendations for sustainableoccupational health and safety were to be derived. In view of the manageable state of research according to a literaturereview, an exploratory approach was chosen and realised by means of the preparation of company case studies. Theresult shows that known hazards, especially physically hard work, can be reduced. At the same time, new hazards andthe intensification of known hazards as well as a shift in stress can be observed. In addition, a significant increase inmental stress in the work context is becoming apparent. Technological changes such as digitalisation, automation and theintelligent networking of production steps present both opportunities and challenges for health-promoting design.Practical Relevance: First recommendations for action for a sustainable occupational health and safety and good digitalisedwork can be derived.

    Keywords Fourth industrial revolution · Digitisation · Occupational health and safety · Mental and physical stressors ·Case studies

    1 Hintergrund

    Bereits in den vergangenen Dekaden, noch weit vor der sogenannten vierten industriellen Revolution, zeichnete sichim Zuge einer sich verändernden Erwerbsarbeit eine deut-liche Verschiebung hinsichtlich der Arbeitsbelastungen ab,im Zuge der Digitalisierung erfährt diese Veränderung je-doch eine neue Qualität. Neben dem noch immer annäherndgleich hohen Niveau der Belastungen durch klassische Ge-fährdungen – wie z.B. durch schwere körperliche Arbeit,Gefahrstoffe, Lärm – wird seit einigen Jahren insbeson-dere auf eine Zunahme psychischer Arbeitsanforderungenund psychosozialer Belastungen verwiesen. Dieser Anstiegwird mit demWandel der Arbeitswelt und korrespondieren-den Entwicklungen wie etwa Flexibilisierung, Arbeitsver-dichtung, Entgrenzung und Prekarisierung begründet (Loh-mann-Haislah 2013; Rothe et al. 2017; Ulich 2013).

    Darüber hinaus ist gut belegt, dass psychische Belas-tungen und beruflicher Stress psychische Störungen mit-verursachen und Einfluss auf ihren Verlauf nehmen können(Junne et al. 2018). Folglich ist der Anstieg psychischer undpsychosozialer Belastungen als mitverantwortlich für dieZunahme psychischer Störungen im Erwerbskontext bzw.als Risikofaktor anzusehen (BPtK 2013; Rau und Henkel2013; Seidler et al. 2014; Stansfeld und Candy 2006; Vir-tanen et al. 2012).

    Diesbezüglich kann in Deutschland für den Zeitraum2007–2017 ein Anstieg der Arbeitsunfähigkeitsfälle bedingtdurch psychische Störungen von 45,5% festgestellt wer-den. Dieser Trend spiegelt sich in den Daten der GKV-Statistik wider und geht über alle Kassen hinweg mit ei-ner durchschnittlichen Erkrankungsdauer von 38 AU-Tagen

    pro Fall bei Vorliegen einer psychischen Störung einher.Mit Blick auf das Arbeitsunfähigkeitsvolumen liegen psy-chische Störungen mit 27.000 Arbeitsunfähigkeitstagen pro10.000 Pflichtmitglieder nach den Muskel-Skelett-Erkran-kungen auf Platz zwei aller erfassten Krankheitsgruppen(AOK 2018; Busch 2017).

    Inwieweit es sich bei der beschriebenen Zunahme umeine tatsächliche Steigerung der Prävalenz handelt oder obdiese Effekte zumindest anteilig einer sensibleren Diagnos-tik und einer Entstigmatisierung psychischer Störungen ge-schuldet sind, kann derzeit nicht abschließend beantwortetwerden (Jacobi und Linden 2018; Stahmeyer et al. 2019).Weitgehend unstrittig ist jedoch die Tatsache, dass psychi-sche Störungen im Frühverrentungsgeschehen eine promi-nente Rolle innehaben: Gegenwärtig ist nahezu jede zweiteFrühverrentung (43%) auf eine psychische Erkrankung zu-rückzuführen (Jacobi et al. 2014; Meyer et al. 2018; DRV2019).

    In Deutschland stellen psychische Erkrankungen folglicheine zentrale Größe im Arbeitsunfähigkeits- und Verren-tungsgeschehen dar und gehen mit erheblichen individuel-len und volkswirtschaftlichen Belastungen einher. Vor demHintergrund des sich vollziehenden demografischen Wan-dels und einer damit tendenziell abnehmenden Arbeitneh-merschaft ist diese Entwicklung gleichermaßen von vitalerunternehmerischer Bedeutung.

    In Anbetracht dieser Ausgangssituation stellt sich unwei-gerlich die Frage, welche Konsequenzen sich diesbezüglichaus dem voranschreitenden Wandel der Arbeitswelt hin zueiner Industrie/Arbeit 4.0 ergeben. Von besonderem Interes-se ist dabei, welchen Einfluss der technologische Wandel in

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    Organisationen auf die psychische und physische Gesund-heit der Beschäftigten hat.

    1.1 Das Projekt „GesundeArbeit in Pionierbranchen(GAP)“

    Von diesen Annahmen und Befunden ausgehend untersuch-te das vom BMBF geförderte Verbundprojekt „Gesunde Ar-beit in Pionierbranchen (GAP)“ (Laufzeit 2016 bis 2019)den Einfluss der Digitalisierung und des technologischenWandels auf die psychische und physische Gesundheit so-wie Strukturen und Maßnahmen des Arbeits- und Gesund-heitsschutzes. Weiterhin sollten erste Empfehlungen undHandlungshilfen für einen „Arbeitsschutz 4.0“ abgeleitetwerden.

    Zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Pro-jektbeginn bot der Kenntnisstand über Digitalisierung undVernetzung betrieblicher Prozesse und ihre Folgen für Ar-beit, Gesundheit und Beschäftigte noch zu wenig Antwor-ten für Gestaltungsfragen. Es stand zwar die technologischeVielfalt von Industrie 4.0 im Vordergrund des öffentlichenInteresses, über Wirkungen auf die Arbeitnehmer und derenGesundheit sowie sich verändernde betriebliche Praxen warjedoch wenig bekannt. Im Diskurs um Industrie/Arbeit 4.0lag der Fokus primär auf ökonomischen und technischenPotenzialen sowie auf Wettbewerbsfähigkeit bzw. Stand-ortsicherung. Die Perspektive der Arbeitnehmer respektivedie konkreten Rückwirkungen auf Arbeitskraft blieben lan-ge Zeit unbeachtet (Buhr 2015; Butollo und Engel 2015;Gerst 2015).

    Übersehen wurde dabei konsequent die Tatsache, dassdie (psychische) Gesundheit von Arbeitnehmern eine zen-trale Ressource für Lern- und Leistungsfähigkeit darstelltund darüber hinaus in hohem Maße mit den Bedingungender Erwerbsarbeit zusammenhängt. Es galt und gilt folg-lich, das Potenzial des technologischen Wandels und dieFolgen für Arbeit und einen zukunftsfähigen Arbeits- undGesundheitsschutz abzuleiten.

    Zentrale Fragen zu Projektbeginn waren daher:

    1. Welche technologischen Veränderungen in Richtung Di-gitalisierung und Industrie 4.0 finden wir in der betrieb-lichen Praxis vor?

    2. Welche Veränderungen in der Arbeitsorganisation undfür die Qualität von Arbeit sowie für die Anforderun-gen an Beschäftigte ergeben sich aus einem gesteigertenEinsatz von digitalen Technologien?

    3. Wie wirken digitale Technologien auf die psychische undkörperliche Gesundheit von Beschäftigten, nicht nur beider Nutzung, sondern auch in der Einführung?

    Der Fokus des Dresdner Teilvorhabens lag innerhalb desVerbundes auf den Zusammenhängen zwischen Digitalisie-rung und (psychischer) Gesundheit sowie den resultieren-

    den Implikationen für die Entwicklung von Instrumenten ei-nes zukunftsfähigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Sostellte sich als weitere zentrale Frage:

    4. Welche Anpassungserfordernisse ergeben sich aus derEntwicklung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz?

    Im vorliegenden Beitrag werden diese Fragestellungendes Gesamtprojektes mittels einer Auswahl von Methodenund Ergebnissen des Teilvorhabens der TU Dresden beant-wortet. Die Ergebnisse des gesamten Projektes finden sichin Engel et al. (in Vorbereitung).

    2 Methode

    Um den stark national geprägten Industrie 4.0 Diskursum einen internationalen Blick auf Digitalisierungspro-zesse und ihre Wirkungen zu ergänzen sowie zu klären,welche Auswirkungen von Digitalisierung und technologi-schem Wandel auf die Gesundheit der Beschäftigten ausder internationalen Forschung bereits bekannt sind, solltenbestehende Forschungsbefunde mit eigenen empirischenAnalysen verbunden werden. Zur Beantwortung der Frage-stellungen des Projektes wurde ein mixed methods Ansatzgewählt, wobei im vorliegenden Beitrag der Schwerpunktauf zwei Methoden des gesamten Projektvorhabens gelegtwird.

    Zur Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zu ge-sundheitlichen Folgen des technologischenWandels (Indus-trie 4.0) wurde eine systematische Literatursichtung vor-genommen. Den empirischen Forschungszugang stellte einqualitativ-exploratives Vorgehen dar, das durch die Erstel-lung von Unternehmensfallstudien realisiert wurde. Die me-thodischen Zugänge wurden miteinander verknüpft, indemdie Ergebnisse Literatursichtung bei der Konstruktion desInterviewleitfadens Berücksichtigung fanden.

    Beide Methoden und deren Ergebnisse sind nachfolgendkurz dargestellt. Der Fokus liegt dabei auf den Betriebsfall-studien, da diese ein zentrales empirisches Fundament derhier vorgestellten Projektergebnisse bilden.

    2.1 Literatursichtung

    In Anbetracht der beschriebenen Situation und zur Abbil-dung des internationalen Forschungsstandes bezüglich derWirkungen von Digitalisierungsprozessen wurde gemein-sam mit den Verbundpartnern der Universitäten Greifswaldund Jena ein systematischer Review (Bretschneider et al.2019) durchgeführt.

    Das Review wurde zur Beantwortung von Fragestel-lung (3) Wie wirken digitale Technologien auf die psychi-sche und körperliche Gesundheit von Beschäftigten, nichtnur bei der Nutzung, sondern auch in der Einführung? her-

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    Tab. 1 Ein- und AusschlusskriterienTable 1 Inclusion and Exclusion criteria

    Kategorie Einschlusskriterien Ausschlusskriterien

    Population Allgemeinbevölkerung: erwerbstätig, beide Geschlechter Kinder, Studierende, nicht Erwerbstätige,Tiere

    Exposition/Prädiktoren

    Merkmale Industrie 4.0: Digitalisierung, intelligente Fabrik/Maschinen/Geräte, Assistenzsysteme, Automatisierung, Selbststeuerung, (intelligente)(Fertigungs)Vernetzung, 4. industrielle Revolution, intelligente Produktion,Produktion/Fertigung

    Mensch-Maschine-Interaktion ohne intelli-gente selbststeuernde ElementeOfficebereich

    Outcome Psychische Gesundheit: mentale Gesundheit, Wohlbefinden, psychische Stö-rungen und Syndrome, Leistung, Motivation, Zufriedenheit, Arbeitsunfähig-keit, Absentismus

    Fehlender Arbeitskontext

    Körperliche Gesundheit: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskel-Skelett-Er-krankungen, gastrointestinale Beschwerden, Schmerzen, psychosomatischeBeschwerden, unspezifische Symptomereturn-to-work-Konzept

    Design Prospektive Kohortenstudien, Interventionsstudien, experimentelle Studien,Querschnittstudien, Metaanalysen, systematische Reviews

    Letter, Editorials, Kommentare, Tagungs-beiträge, Abstracts, Hausarbeiten, narrativeReviews, Tierstudien, Simulationsstudien

    Qualität Ausreichende Qualität und Nachvollziehbarkeit in Operationalisierung, Me-thode, Ergebnisdarstellung

    Mangelnde Qualität bzw. Unklarheiten inOperationalisierung, Methode, Ergebnis-darstellung

    Sprache Deutsch, englisch Nicht deutsch, nicht englisch

    Datum derPublikation(Zeit)

    2000–2018 Vor 2000

    angezogen. Dabei interessierte hier vor allem der Bereichder Produktion, d.h. die Industrie 4.0.

    Die Literatursichtung wurde daher von folgenden Teil-fragestellungen geleitet:

    1. Wie gestaltet sich der Zusammenhang zwischen Merk-malen der Industrie 4.0 in Unternehmen und der psychi-schen und körperlichen Gesundheit der Beschäftigten?

    2. Welche Änderungen in der gesundheitlichen Belastungergeben sich durch die Einführung von Industrie 4.0-Technologien?

    2.1.1 Ein- und Ausschlusskriterien

    Um die Forschungsfrage entsprechend den PEO-Kriterien(Khan et al. 2004) zu operationalisieren, wurden Ein- undAusschlusskriterien (Tab. 1) definiert. Dabei bedeutet „P“die (Untersuchungs-)Population, „E“ die Exposition und„O“ das Outcome (Ergebnis). Welche Zusammenhänge fin-den sich in der (P) arbeitenden Allgemeinbevölkerung zwi-schen (E) der Arbeit, die durch Industrie 4.0 Merkmale ge-kennzeichnet ist und (O) der körperlichen und psychischenGesundheit? Die Ein- und Ausschlusskriterien wurden ummethodische, zeitliche und sprachliche Aspekte erweitert.Eingeschlossen wurden nur prospektive Kohortenstudien,Interventionsstudien, experimentelle Studien, Querschnitts-studien, Metaanalysen und systematische Reviews. Ferner

    wurden ausschließlich englisch- und deutschsprachige Stu-dien ab dem Publikationsjahr 2000 einbezogen.

    2.1.2 Datenbankrecherche

    Die elektronische Recherche (siehe Abb. 1 für das Prisma-Flussdiagramm) erfolgte sowohl in fachspezifischen Daten-banken („DBS“: u.A. Pub-Med) als auch in generischenDatenbanken („DBG“: Web of Science). Die Grundlagestellte ein an den oben dargestellten Ein- und Ausschluss-kriterien ausgerichteter Suchstring dar. Er enthielt sämtli-che Begriffe, die die Exposition, die Population und dasOutcome abbildeten. Dabei wurde auf zum Teil bereits pu-blizierte Suchstrings zurückgegriffen:

    Population (P): Eingrenzung auf den Arbeitskontext mitangepasstem validierten Suchstring (Mattioli et al. 2010).

    Exposition (E): Merkmale der Industrie 4.0 auf Grundla-ge des Fraunhofer-Glossars und der BMWi-Studie (BMWi2015).

    Outcome (O): Psychisches Befinden, Motivation undLeistung in Anlehnung an bestehenden Suchstring (Dröss-ler et al. 2016) sowie physische Outcomes und körperlichesBefinden (Neuentwicklung).

    Nach Bereinigung der Dubletten verblieben 4782 Studi-en (DBS) bzw. 30.785 Studien (DBG) für das Title/AbstractScreening. Das Title/Abstract-Screening (DBS: abgeschlos-sen; DBG: bisher 13.550) durch je zwei unabhängige Raterführte zu einer Reduktion auf 44 (DBS) bzw. 47 (DBG)

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    Abb. 1 PRISMA FlussdiagrammFig. 1 PRISMA Flowchart

    Publikationen, welche Eingang in das Volltext-Screeningfanden. Die ebenfalls durch zwei unabhängige Rater durch-geführte Volltextsichtung führte zu einer weiteren Redukti-on auf bisher zehn Studien (Stand Oktober 2018) zur Daten-extraktion (vgl. Abb. 1). Die häufigsten Ausschlussgründestellten Design, methodische Qualität und ein fehlender Be-zug zum Kontext Industrie 4.0 und Digitalisierung dar. DieErgebnisse der eingeschlossenen Studien wurden extrahiertund für jede Studie eine narrative Zusammenfassung mitderen zentralen Ergebnissen angefertigt.

    2.1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

    Die final eingeschlossenen zehn Studien lassen sich thema-tisch schließlich drei Domänen zuordnen: Akzeptanz derTechnologien, körperliche Folgen des Technologieeinsat-zes und psychische Folgen des Technologieeinsatzes. Nach-folgend werden die Ergebnisse zusammengefasst und ersteSchlussfolgerungen abgeleitet.

    1. Akzeptanz von Technologien&Automatisierung (2 Studi-en: Waytz und Norton 2014; Zanchettin et al. 2013): DieAkzeptanz technologischer Veränderungen (z.B. Wegfall

    von Arbeitsplätzen und Akzeptanz des „Kollegen“ Ro-boter) ist höher, sofern der Arbeitersatz „gerechtfertigt“bzw. nachvollziehbar erscheint und sofern die Maschinemenschenähnliche Bewegungsmuster und „Verhaltens-weisen“ aufweist. Für den Bereich der stärker emotions-orientierten Tätigkeiten erhöht sich die Akzeptanz desTechnologieeinsatzes, wenn bspw. Roboter eingesetztwerden, welche den Eindruck vermitteln zu Emotiona-lität fähig zu sein. Dies impliziert Potenziale für dieförderliche Arbeits-Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktion und deutet darauf hin, dass die Technik un-ablässig an die Bedürfnisse des Menschen anzupassenist, um die Potenziale zu nutzen, neu entstehende psy-chosoziale Belastungen und Stressbelastungen i.S. vonFehlbeanspruchungen zu minimieren und eine bessereAkzeptanz zu erreichen.

    2. Automatisierung & physische Belastungen/Beanspru-chungen (4 Studien: Arvidsson et al. 2012; Giberti et al.2014; Kraft et al. 2004; Teodoroski et al. 2012): Nebenpositiven Effekten der Automatisierung (z.B. Vermin-derung von Belastungen, ungünstigen Körperhaltungenund Arbeitserleichterung i.A.) stehen neue physischewie psychische Belastungen bzw. die Verschiebung von

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    Belastungen innerhalb der Bereiche gegenüber: Wird dasRisiko einer Fehlbeanspruchung durch Automatisierungminimiert, so zeigt sich nicht selten eine Risikozunah-me in anderen Bereichen. Bei physischen Belastungenfällt die „Automatisierungsbilanz“ ausgesprochen am-bivalent aus: Um positive Effekte nutzbar zu machenund zugleich neu aufgetretene physische Belastungenbzw. Fehlbeanspruchungen zu minimieren bzw. auszu-schalten, scheint es notwendig, die technischen Systemestärker am Arbeitnehmer anzupassen.

    3. Automatisierung & psychische Effekte (4 Studien: Cum-mings et al. 2016; Meshkati 2006; Oh und Park 2016;Tarafdar et al. 2015): Zentrales Thema ist die Verschie-bung von Aufgaben aus dem ausführenden Bereich inden überwachenden Bereich. Als problematisch wer-den Belastungen wie Monotonie genannt, die nun nichtmehr durch repetitive Tätigkeiten, sondern durch feh-lende Varianz und ausbleibende Ereignisse entstehen.Gleichzeitig wird das Problem des Dequalifizierungsef-fekts genannt, der durch ausbleibende Notwendigkeit desEingreifens bei reinen Überwachungsaufgaben auftretenkann. Ein anregendes, die Aufmerksamkeit förderndesTätigkeitsdesign stellt hierbei eine zentrale Stellschrau-be dar, um Effekte von Monotonie und Sättigung zuminimieren bzw. auszuschließen.

    Betrachtet man stärker die Digitalisierung, so zeigt sich,dass Technostress, der sich aus der Komplexität und Un-sicherheit neuer Informationstechnologien ergibt, negativauf die Arbeitszufriedenheit wirken kann. Die erfolgrei-che Einführung digitaler Technologien setzt den Einbezugder Beschäftigten voraus. Dabei ist neben der Vermittlungvon Sachkenntnissen die Förderung persönlicher Kompe-tenzen, wie z.B. der Selbstwirksamkeitsüberzeugung, mitden Technologien auch kompetent umgehen zu können vonBedeutung.

    Als Gesamtbild aller eingeschlossenen Studien zeigt sicheine Ambivalenz der Automatisierung und korrespondie-render Prozesse. Deutlichen Entlastungspotenzialen stehenBelastungsverschiebungen und das Auftreten neuer Belas-tungen gegenüber. Deutlich wird ebenfalls, dass vor allemdie Automatisierung im Fokus der Studien steht. Digitali-sierte und vernetzte Prozesse im Sinne der „smart factory“werden (bisher noch) nicht betrachtet.

    Bezüglich der Automatisierung komplexer technologi-scher Kontrollsysteme wird resümierend festgehalten, dassMaschinen den Menschen nicht vollumfänglich ersetzenkönnen und Mensch und Maschine sich komplementär er-gänzen. Folglich ist es angebracht, die entsprechenden Ar-beits- und Interaktionssysteme am Menschen auszurichtenund für diesen förderlich zu gestalten. So ist zu berücksich-tigen, welche Arbeitsinhalte sinnvoll zu ersetzen sind (z.B.

    eher kognitionsorientierte und weniger emotionsorientierteBestandteile der Arbeit).

    Weiter ist zu berücksichtigen, dass menschenähnlicheRoboter mit einer höheren Akzeptanz bei den Beschäfti-gen verbunden sind. Auf mögliche Belastungsverschiebun-gen innerhalb der körperlichen Belastungen bzw. von kör-perlichen hin zu psychischen Belastungen ist unbedingt zuachten.

    2.2 Betriebsfallstudien

    In Anbetracht des Hintergrunds und des auch nach Sichtunginternationaler Publikationen überschaubaren Forschungs-standes wurde im GAP-Projekt ein exploratives Vorgehengewählt und mittels der Erstellung von Unternehmensfall-studien realisiert. Diese Fallstudien stellen einen wesent-lichen Bestandteil der im Projektverlauf gewonnenen Er-kenntnisse dar.

    Grundlage der Fallstudien bildeten halbstandardisierte,leitfadengestützte Experteninterviews mit verschiedenenbetrieblichen Akteuren, betriebliche Dokumente und Bege-hungsprotokolle aus den Unternehmen. Die Methode derexplorativen Fallstudie wurde explizit gewählt, um ver-schiedene Akteursperspektiven zu berücksichtigen und umkomplexe Strukturzusammenhänge sowie Prozessverläufeabbilden zu können (Meyer 2003; Pflüger et al. 2010).

    Der verwandte Interviewleitfaden wurde im Rahmen desProjektes auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstan-des, unter Verwendung des Fraunhofer Glossar Industrie 4.0und unter Einbezug der Ergebnisse der Literatursichtungentwickelt. Beispielsweise wurden die Erkenntnisse bezüg-lich einer sinnvollen Auswahl der zu ersetzenden Tätigkei-ten und einer die Beschäftigten einbindenden Einführungneuer Technologien berücksichtigt, indem gezielt die Grün-de für eine Automatisierung, die Vorgehensweisen währendder Automatisierungsprozesse und die Beteiligung der Be-schäftigten als Fragestellungen abgebildet wurden. Auchdie vorab beschriebenen Belastungsverschiebungen und dasmögliche Auftreten neuer Belastungen wurden als spezifi-scher Fragekomplex in den Leitfaden integriert.

    Mit Hilfe der Fallstudien sollten die Fragen (1) Welchetechnologischen Veränderungen in Richtung Digitalisierungund Industrie 4.0 finden wir in der betrieblichen Praxis vor?;(2) Welche Veränderungen in der Arbeitsorganisation undfür die Qualität von Arbeit sowie für die Anforderungen anBeschäftigte ergeben sich aus einem gesteigerten Einsatzvon digitalen Technologien? und (3) Wie wirken digitaleTechnologien auf die psychische und körperliche Gesund-heit von Beschäftigten, nicht nur bei der Nutzung, sondernauch in der Einführung? vertiefend beantwortet werden.

    Die thematischen Schwerpunkte der Interviews bilde-ten folglich technologische Veränderungen und Digitalisie-rungsprozesse in den letzten Jahren, damit verbundene Ver-

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    änderungen der Arbeitsorganisation, der Belastungen undder Gesundheit aus Sicht der befragten Beschäftigten undAuswirkungen auf den betrieblichen Arbeits- und Gesund-heitsschutz.

    Die teilnehmenden Personen wurden zu Beginn der In-terviews mittels einer Studieninformation über Studienzie-le, Untersuchungsablauf, eingesetzte Methoden sowie überVerwendung und Speicherung der Daten informiert. Ei-ne schriftliche Einverständniserklärung über die freiwilligeTeilnahme wurde eingeholt. Die Interviews wurden aufge-zeichnet und transkribiert. Anschließend wurden die Datenmittels der Software MAXQDA einer thematischen Analy-se (Braun und Clarke 2006) unterzogen und darauf aufbau-end insgesamt vier Betriebsfallstudien erstellt.

    2.2.1 Stichprobe

    Die Interviews wurden in vier Unternehmen unterschied-licher Größe und Branchen durchgeführt. Die Spannbreiteder Unternehmen reicht dabei von Großunternehmen mitstark automatisierter Großserienfertigung über klassischeKMU mit Insellösungen bis hin zum gerade in ersten Di-gitalisierungsschritten befindlichen Spezialbetrieb. Die Un-ternehmen sind den nachfolgend gelisteten Bereichen zu-zuordnen und die jeweiligen Interviewpartner dargestellt:

    � Unternehmen 1: Hersteller von Roboter- und Automati-sierungslösungenInterviewpartner:– Abteilungsleiter Mechanik-Montage– Abteilungsleiter Elektro-Montage– kaufmännischer Leiter/stellvertretender Geschäftsfüh-

    rer– Personalreferentin– Leiterin Lagerliftsystem– Mitarbeiter Lagerliftsystem– Mitarbeiterin Lagerliftsystem

    � Unternehmen 2: MikroelektronikherstellerInterviewpartner:– betriebliche Sozialberaterin– Leiter Arbeitssicherheit– Betriebsarzt– Leiterin Human Resources– Projektleiter Automatisierung– Ingenieur Automatisierung– Leadingenieur Maintenance Engineering

    � Unternehmen 3: Software-DienstleisterInterviewpartner:– Mitarbeiterin betriebliches Gesundheitsmanagement– Mitarbeiter Business Technology/Arbeitsschutz– Mitarbeiter Innovation– Leiter People and Ressources– Mitarbeiter Consulting Social Business Technology

    – Mitarbeiter Process Improvement and Excellence(Mitglied des Betriebsrats)

    � Unternehmen 4: Hersteller von SpezialglasInterviewpartner:– Geschäftsführung– Abteilungsleitung Arbeitsvorbereitung– Abteilungsleitung Produktentwicklung– Abteilungsleitung Vertrieb– Mitarbeiter Produktion– Mitarbeiter ZuschnittIn jedem Unternehmen wurden Interviews mit sechs bis

    sieben betrieblichen Akteuren aus unterschiedlichen Unter-nehmensbereichen geführt und durch Arbeitsbeobachtun-gen und Betriebsbegehungen ergänzt. Im Folgenden sinddie Unternehmen kurz beschrieben und die jeweils zentra-len Ergebnisse zusammengefasst dargestellt.

    Unternehmen 1, der Hersteller von Roboter- und Au-tomatisierungslösungen ist ein mittleres im internationa-len Umfeld agierendes Unternehmen, das mit der Digi-talisierung der Geschäftsprozesse und der Einführung ei-nes automatisierten Lagerliftsystems auf dem Weg zu ei-nem stärker digitalisierten und automatisierten Arbeitsum-feld ist. Im Zuge dieser Umstrukturierungen wurden seitensder Befragten gestiegene Qualifikationsanforderungen, Ar-beitsverdichtung und eine steigende Menge der zu verar-beitenden Information als belastungsrelevant thematisiert.Als Entlastungen wurden insbesondere der Rückgang kör-perlicher Belastungen im Lagerbereich genannt und in Zu-sammenhang mit dem dort realisierten Automatisierungs-prozess gebracht.

    Unternehmen 2, der Mikroelektronikhersteller ist als in-ternational agierendes Großunternehmen durch einen hohenAutomatisierungsgrad gekennzeichnet, was sich in einer in-tegrierten Fertigungssteuerung und Überwachung mittelsRFID Technologie sowie einer gänzlich papierlosen Fer-tigung niederschlägt. Im Zuge der fortschreitenden Digi-talisierung und Automatisierung zeigt sich ein Rückgangmanueller Bedienaufgaben bei gleichzeitiger Zunahme vonÜberwachungs- und Entscheidungsaufgaben. Als Verände-rungen im Belastungsgeschehen wurden insbesondere eineAufgabenverdichtung, die Zuständigkeit für größere Anla-genbereiche und eine damit einhergehende Diskrepanz zwi-schen Qualifikation und Handlungserfordernissen sowie derRückgang sozialer Kontakte genannt. Ferner wurde auchdie mögliche Leistungsüberwachung durch technische Sys-teme angesprochen. Auf der Ressourcenseite wurden vorallem die Entlastung von körperlich schwerer und ergo-nomisch ungünstiger sowie ein damit im Zusammenhangstehender Rückgang körperlicher Beschwerden ins Feld ge-führt.

    Unternehmen 3, der als Großunternehmen zu beschrei-bende Software-Dienstleister befindet sich, obschon genuinin einem digital geprägten Metier agierend, in der fort-

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    schreitenden Digitalisierung und Automatisierung internerProzesse, was sich unter anderem in der verstärkten Nut-zung von Algorithmen, Programmen und automatisiertenZeichnungsketten sowie einem zunehmenden Einsatz vonCloud-Technologien niederschlägt. Die Interviewpartnerbeschrieben vor allem die deutlich kürzeren Innovations-zyklen in Kombination mit dem schnellen Veralten vonWissen als zentrale Veränderung. Diese geht mit einerBelastungszunahme durch steigenden Leistungsdruck, eineVerdichtung von Arbeit und mit einem deutlichen Anstiegder zu verarbeitenden Informationsmenge einher. Generellwird die Zunahme psychischer Belastung und ein gestei-gertes Stresserleben berichtet. Als positiv wurde hingegender Rückgang an rein administrativen und repetitiven Pro-grammieraufgaben bei gleichzeitiger Zunahme kreativerAufgaben beschrieben.

    Unternehmen 4, der Hersteller von Spezialglas ist einKleinunternehmen, in dem Digitalisierung gegenwärtigeher im Office- bzw. indirekten Bereich stattfindet. Im Fer-tigungsprozess bzw. im direkten Bereich ist Digitalisierunggegenwärtig noch eher eine Zukunftsvision bzw. befindetsich das Unternehmen in der Planungs- und/oder Einfüh-rungsphase entsprechender Maßnahmen. Als mit dem Di-gitalisierungsprozess in Verbindung stehende Belastungenwurden die Anreicherung von Tätigkeiten als Verdich-tungsproblem, psychische Belastungen aus zunehmenderInformations- und Arbeitsdichte sowie die Befürchtungzunehmender Überwachung und Kontrolle geäußert bzw.antizipiert. Demgegenüber beschrieben die Interviewpart-ner physische Entlastung durch den Einsatz von Handling-geräten im direkten Produktionsbereich, einen sinkendenDokumentationsaufwand und die bessere Nachvollziehbar-keit von Arbeitsschritten sowie erleichterte Fehlersuchedurch den zunehmenden Einsatz unternehmensspezifischerSoftware als Entlastungspotenziale.

    Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens 4 und daherexplizit hervorzuheben ist eine hoch transparente, famili-äre Unternehmenskultur. Diese wurde von den Beschäf-tigten als wichtige Ressource im Transformationsprozessbeschrieben. So werden zwar insgesamt die beschriebenenneuen Belastungen erwartet, allerdings wurde auch klar ge-äußert, dass die als stark erlebte Mitarbeiterorientierung alswichtiger „Puffer“ wirken kann und mögliche resultierendeBelastungsfolgen als weniger wahrscheinlich bzw. wenigerausgeprägt antizipiert werden. Obschon der Einfluss vonsozialen Beziehungen und Führungshandeln auf Arbeits-zufriedenheit seit längerem bekannt ist, unterstreicht dieFallstudie diesen Befund noch einmal deutlich anhand qua-litativer, akteurszentrierter Befunde eines in Transformationbefindlichen Unternehmens.

    3 Ergebnisse

    Im Hinblick auf Ergebnisse aus den Interviews und Fall-studien sei vorweg angemerkt, dass es die Breite der Fall-auswahl erlaubt, trotz der Spezifizität der jeweiligen Un-ternehmen, erste generalisierbare Schlüsse zu ziehen undeine über alle Fallstudien hinweg sichtbar werdende Ten-denz abzuleiten. Frage (1) nach in der betrieblichen Praxisvorzufindenden technologischen Veränderungen im Sinneder Industrie 4.0 ist zunächst dahingehend zu beantworten,dass obschon Anwendungen der Industrie 4.0 noch nichtdie oftmals propagierte Verbreitung aufweisen und gene-rell Digitalisierung oftmals eher prozessual denn disruptivstattfindet, alle betrachteten Unternehmen mit Automatisie-rungs- und/oder Digitalisierungsvorhaben befasst sind. Inden KMU finden sich Digitalisierungsprozesse eher im Of-ficebereich. Im Fertigungsprozess ist Digitalisierung gegen-wärtig noch eher eine Zukunftsvision bzw. befinden sich dieUnternehmen in der Planungs- und/oder Einführungsphase,wobei sich aktuell spezifische Einzellösungen und wenigervollends automatisierte Fertigungsbereiche abzeichnen. Inindustriellen Großbetrieben hingegen finden sich im direk-ten Bereich etablierte Systeme sowie ein hoher Automa-tisierungsgrad und eine zunehmend integrierte Fertigungs-steuerung sowie eine beständig zunehmende Digitalisierungim indirekten Bereich.

    Bezogen auf Fragestellung (2) zeigt sich in der Ge-samtschau von Literatursichtung und explorativen Fallstu-dien über die Einzelfälle hinweg, dass sich Arbeitsorganisa-tion und die Anforderungen an die Arbeitnehmer bisweilenerheblich verändern. Dies wird insbesondere vor dem Hin-tergrund deutlich, dass gegenwärtig eher nach der Prämissetechnischer Machbarkeit und weniger nach einer Ausrich-tung an sich ergänzenden Mensch-Maschine-Systemen au-tomatisiert wird. Ausführende Tätigkeiten werden einerseitszunehmend durch Überwachungsaufgaben ersetzt. Damiteinhergehend weicht körperlich schwere und gefährlicheArbeit zunehmend sitzender Tätigkeit. Andererseits neh-men in einigen Bereichen kreative und wertschöpfende Auf-gaben zu, während Routineaufgaben automatisiert werden.Im Zusammenhang mit veränderten Anforderungen wer-den etwa Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, permanente An-passungserfordernisse, die Zunahme kognitiv anspruchs-voller und wirtschaftlich relevanter Entscheidungsaufgabenaber auch Entwicklungen wie reine Überwachungsaufga-ben oder die Reduktion auf Rest- und Zufallsaufgaben nebstdeutlicher Monotonie berichtet.

    Die Beantwortung von Fragestellung (3) nach den Aus-wirkungen digitaler Technologien auf die Gesundheit zeigt,dass bekannte Gefährdungen, z.B. körperlich schwere Ar-beit, reduziert werden können. Gleichwohl lassen sich neueGefährdungen und die Intensivierung bekannter Gefähr-dungen beobachten. Letzteres gilt vor allem für den Be-

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    reich der psychischen Belastungen. Ebenso werden neueBelastungen durch die Arbeitnehmer skizziert. So zeigt sichbeispielsweise die Angst vor datenbasierter Überwachungund (Leistungs-)Kontrolle als, in dieser Form neue und un-mittelbar mit Digitalisierungsprozessen im Zusammenhangstehende, mentale Belastung.

    Resümierend und die Ergebnisse nach Chancen und Ri-siken trennend zeigt sich folgendes Bild:

    Chancen für gesunde digitalisierte Arbeit und potentielleEntlastungen zeigen sich in folgenden Aspekten:

    � Übernahme schwerer Arbeit durch Roboter/Maschinenund damit verbundene körperliche Entlastung

    � Übernahme gefährlicher Tätigkeiten durch Roboter/Maschinen und damit verbundene verbesserte Arbeitssi-cherheit

    � Entlastung durch automatische Fehlererkennung undHandlungshilfen

    � körperliche Entlastung durch Handlinggeräte� kognitive Entlastung durch zentral und liniennah verfüg-

    bare Produktionsdaten und weiterführende Informatio-nen

    � individuell gestaltbares, zeit- und ortsflexibles Arbeiten(Work-Life-Balance)

    � Vorhandensein von Lern- und Entwicklungsmöglichkei-ten

    Diesen Entlastungspotenzialen stehen auf der anderenSeite jedoch nicht unerhebliche Risiken gegenüber. Es fin-den sich nachfolgend dargestellt Veränderungen, die als Ri-siken für die Gesundheit der Beschäftigten betrachtet wer-den können:

    � denkbar sind körperliche Gefährdungen bzw. gestörteHandlungsregulation durch Interaktion mit Robotern

    � Diskrepanz zwischen Qualifikationsniveau und Hand-lungserfordernissen (spezifisches Expertenwissen trifftu.U. auf geringe Handlungserfordernisse, sofern die An-lagen störungsfrei laufen)

    � Schaffung von Zufallsaufgaben durch die Automatisie-rung von Arbeitsabläufen

    � psychische Belastung durch mögliche Leistungsüberwa-chung (Fehlertracking durch permanente Datenspeiche-rung, Performanzprofile und Benchmarking)

    � Verdichtung von Arbeit� Entgrenzung von Arbeit� Notwendigkeit ständiger Weiterbildung und „Permanen-

    tes Ungenügen“ (Dunkel et al. 2010) in Anbetracht derKurzlebigkeit von Wissen und Qualifikationen

    Die Prävention psychischer Belastung und damit einher-gehend der Erhalt bzw. die Förderung mentaler Gesund-heit ist seit langem, auch international, ein Thema von ho-her Relevanz (WHO 2002, 2004) und gewinnt vor skiz-ziertem Hintergrund nochmals an Bedeutung. Darüber hi-

    naus ist dies mit Blick auf individuelle Folgen, den Er-halt von Arbeitsfähigkeit und langen Ausfallzeiten im Er-krankungsfall ebenfalls ein Thema von hohem gesellschaft-lichem aber eben gleichermaßen unternehmerischem undletztlich volkswirtschaftlichem Interesse.

    An dieser Stelle kann schließlich Frage (4) nach An-passungserfordernissen für den Arbeits- und Gesundheits-schutz dahingehend beantwortet werden, dass die Durch-führung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastun-gen, die seit 2013 gemäß Arbeitsschutzgesetz § 5 für alleArbeitgeber verpflichtend ist, in beständig stärker digita-lisierten Arbeitswelten nochmals an Bedeutung gewinnt.Eine Erfassung psychischer Belastungen in der Gefähr-dungsbeurteilung berichten bisher jedoch nur 21% derUnternehmen (Beck und Lenhardt 2019). Neben der Si-cherstellung der Durchführung besteht die Notwendigkeit,bestehende Instrumente der Gefährdungsbeurteilung andie spezifischen Sachverhalte automatisierter und digi-talisierter Arbeitsumgebungen anzupassen, um adäquatePräventionsmaßnahmen ableiten zu können. Im Zuge derDigitalisierung sind Unternehmen nun allerdings deutlichstärker als noch vor einigen Jahren mit sehr spezifischenund dynamischen Be- und Entlastungsentwicklungen kon-frontiert, so dass allgemeingültige und beliebig übertrag-bare Lösungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nichtmehr greifen. Aus diesem Umstand resultierend besteht aufSeiten der Arbeitgeber in Anbetracht der Komplexität desBelastungsgeschehens ein nicht unerheblicher Beratungs-und Wissensbedarf.

    Um den erzielten Ergebnissen Rechnung zu tragen undeinen Beitrag für einen zukunftsfähigen Arbeits- und Ge-sundheitsschutz zu leisten, wurden im Rahmen des Dresd-ner Teilvorhabens im Projekt GAP Instrumente zur Präven-tion arbeitsbedingter psychischer Belastungen in der digi-talen Arbeit entwickelt Die Entwicklung der Instrumentebasierte zum Teil auf den Erkenntnissen der Literaturre-cherche und Fallstudien und zu einem großen Teil auch aufden im Laufe des Forschungsprozesses deutlich geworde-nen Bedarfen der Unternehmenspartner. Davon ausgehendwurden im Projekt-Teilvorhaben der TU Dresden drei In-strumente entwickelt. Sie richten sich an betriebliche Ak-teure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Beim Frage-bogen GAP-Modul zur Ergänzung der psychischen Gefähr-dungsbeurteilung sind vor allem die Arbeitsmediziner undFachkräfte für Arbeitssicherheit als Zielgruppe vorgesehen.

    Fragebogeninstrument zur ErgänzungderGefährdungsbeur-teilung psychischer Belastungen der Arbeit 4.0 (GAP-Modul)Es hat zum Ziel, spezifische Belastungen der Arbeit mitneuen Technologien abzubilden. Das GAP-Modul erfasstdrei Bereiche: (1) Nutzung von Technologien bei der ei-genen Arbeit: Einsatz und Nutzung digitaler Daten, Kom-munikationsmittel und Vernetzung sowie von Robotik und

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    Automaten, (2) Belastungen im Zusammenhang mit neuenTechnologien, d.h. Belastungen am Arbeitsplatz, die sichals besonders relevant im Zusammenhang mit der Einfüh-rung neuer Technologien gezeigt haben und die in gängigenGefährdungsbeurteilungen nur unzureichend erfasst werden(z.B. große Informationsmenge, Notwendigkeit ständigerWeiterbildung) und (3) Bewertungen der Arbeit mit neuenTechnologien, d.h. Einschätzung, inwiefern neue Techno-logien die Arbeit und Arbeitsbedingungen verändert haben.Ein Durchführungsmanual unterstützt den Einsatz des Fra-gebogens in Unternehmen (Drössler et al. 2019a). Nach ers-ten Analysen erweist sich das GAP-Modul als objektives,reliables und valides ergänzendes Instrument zur Erfassungvon Anforderungen der Arbeit 4.0.

    (Halbtages)Workshop zur Digitalen Kommunikation imUnternehmen – Umgang mit Informationsüberflutung amArbeitsplatz: Er wurde orientiert an den Bedarfen einesPartnerunternehmens konzipiert, das eine zunehmende undteil ineffiziente Email-Flut berichtete. Der Workshop istfür einen zeitlichen Umfang von ca. 5h konzipiert undsetzt sich aus Phasen der Wissensvermittlung, Diskussionsowie Arbeitsphasen in Kleingruppen zusammen, in denenProblembereiche identifiziert und gemeinsam entwickelteLösungsideen in unternehmensbezogene Vereinbarungenüberführt werden. Erprobt wurde er mit den Teamleiterneines mittelständischen Unternehmens. Die Teilnehmen-den bewerteten den Workshop mit „gut“. Die Relevanzdes Themas und die Möglichkeit des Austausches wur-den besonders hoch eingeschätzt. Stärkeres Gewicht sollteauf Lösungsfindung und weniger auf der Problemanaly-se liegen. Interessierten stehen der Foliensatz sowie einLeitfaden mit Hintergrundinformationen und unterstützen-den Instruktionen für die moderierte Gruppenarbeit zurVerfügung (Drössler et al. 2019b).

    Handreichung zumUmgangmit personenbezogenenDatenin Zeiten des technologischenWandels Sie wurde ebenfallsmit Blick auf Bedarfe der Partnerunternehmen entwickelt.Relevant wurde das Thema mit der Einführung von neu-en Technologien mit denen personenbezogene Daten imZusammenhang mit Arbeitsprozessen erfasst werden. Daselektronische Dokument (Bretschneider et al. in Vorbe-reitung) und beinhaltet drei thematische Schwerpunkte:(1) Einleitung – Grundlagen und Begriffe, (2) Bedeutungdes Schutzes personenbezogener Daten aus arbeitspsycho-logischer und juristischer Perspektive und (3) Was bedeutetdas für die Praxis? – Handlungshilfen für Arbeitgeber,Arbeitnehmer und Betriebsräte und einen Serviceteil mitChecklisten und Ansprechpartnern. Ziel der Handreichungist es, alle Akteure und Beschäftigte eines Unternehmensaus arbeitspsychologischer und juristischer Sicht für einenverantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Da-

    ten der Beschäftigten sensibilisieren. Eine Erprobung stehtderzeit noch aus.

    Alle Instrumente können unter https://gesunde-digitale-arbeit.de/praevention/ abgerufen werden.

    4 Diskussion

    Die Ergebnisse betonen einmal mehr die Bedeutung einermenschengerechten Gestaltung von Arbeit. Dazu gehörenneben der Arbeitssicherheit im klassischen Sinne in zuneh-mendem Maße Fragen der mentalen Gesundheit. Die Um-setzung psychischer Gefährdungsbeurteilungen muss stär-ker gefordert, gefördert und unterstützt werden.

    Dies legt den Grundstein für spezifische Maßnahmenund die Nutzung der Digitalisierung immanenter Potenzia-le. Denn obschon sich über die Fallstudien hinweg gene-relle Tendenzen erkennen lassen, wurde im Zuge der Inter-views und Fallbetrachtungen ebenso deutlich, dass es kei-ne einheitlichen Problemlagen bzw. Belastungs-RessourcenKombinationen gibt. Es zeigt sich vielmehr deutlich, dassje nach Unternehmensstruktur, Arbeitsorganisation und Di-gitalisierungsgrad bis hinunter auf Abteilungsebene spezi-fische Belastungsmuster wirksam werden und ebenso spe-zifische Ressourcen zur Verfügung stehen.

    Gewiss stellen trotz aller Spezifizität noch immer Hand-lungsspielräume, Vollständigkeit der Aufgabe, Abwechs-lungsreichtum, soziale Beziehungen usw. die zentralen undübergreifend wirksamen protektiven Faktoren der Arbeits-gestaltung dar. Jedoch sind die Belastungskonstellationen,wie bereits angedeutet, in der Arbeitswelt 4.0 höchst diversund mögliche Belastungskumulationen nicht immer auf denersten Blick sichtbar, so dass nur über eine adäquate Ein-zelfallanalyse die jeweils passenden Maßnahmen abzuleitensind.

    Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung isthier ein geeignetes Mittel, um den Istzustand und Hand-lungserfordernisse abzubilden. Diese ist jedoch um digi-talisierungsbezogene Sachverhalte zu ergänzen. Eine pra-xistaugliche Möglichkeit bietet hier der im Projekt entwi-ckelte Kurzfragebogen zum Erleben der Digitalisierung derArbeit (GAP-Modul) (Drössler et al. 2019a; Magister et al.2019), welcher ergänzend zu den gängigen Verfahren derGefährdungsbeurteilung psychischer Belastung eingesetztwerden kann.

    Flankierend sollte die reine Gefährdungsbeurteilungdurch nachfolgende Maßnahmen, vertiefende Analysen,Schulungen der betrieblichen Akteure, etwa Fortbildungenin der psychosomatischen Grundversorgung für Betriebs-ärzte, Führungskräfteschulungen und innovative Präventi-onsprogramme ergänzt werden. Eine interessante Ergän-zung der arbeitsmedizinischen Versorgung und Präventionstellen die Konzepte der Betriebsnahen Versorgungsnetz-

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    https://gesunde-digitale-arbeit.de/praevention/https://gesunde-digitale-arbeit.de/praevention/

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    werke und der Psychosomatischen Sprechstunde im Betrieb(Junne et al. 2018) dar. Bislang haben entsprechende An-sätze und Maßnahmen jedoch oftmals noch Pilotcharakter.Ebenso wurde anhand der Fallstudien deutlich, dass In-terventionen, welche auf eine verstärkte Partizipation derArbeitnehmer bspw. in Fragen des Datenschutzes und einekonsequente Einbindung der Belegschaften in den Trans-formationsprozess zielen geeignet sind, um neue mit derDigitalisierung in Verbindung stehende Belastungen ab-zufedern und in ihren Auswirkungen zu minimieren ergoihrerseits als protektive Faktoren wirksam werden. Glei-chermaßen ist an dieser Stelle als Resultat der Fallstudiennochmals explizit auf die Bedeutung der sozialen Bezie-hungen und des Führungshandelns als Schlüsselfunktionhinzuweisen, welche bei guter Gestaltung negative Effek-te psychischer Belastung deutlich minimieren kann undRessourcen der psychischen Gesundheit zu stärken vermag(Drössler et al. 2016; Montano et al. 2016).

    4.1 Limitierungen

    Die im Zuge des dargestellten Vorgehens erzielten Ergeb-nisse sollten im Spiegel methodischer Limitierungen be-trachtet werden, die sich auf die qualitativen Interviewdatender Fallstudien beziehen. Zunächst ist festzuhalten, dass dieInterviewdaten nicht hinsichtlich der Tätigkeits- und Anfor-derungsschwerpunkte sowie beruflichen Positionen analy-siert und zunächst Ergebnisse auf allgemeiner Ebene ge-neriert wurden. Dies ist insofern bedeutsam, da von Unter-schieden zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen imErleben neuer Technologien und deren Auswirkungen aufArbeit und Gesundheit auszugehen ist. Darüber hinaus istkritisch zu betrachten, dass insbesondere in den Unterneh-men 2 und 3 Akteure der Führungs- und Steuerungsebeneleicht überrepräsentiert sind. Weiterhin gilt es zu bedenken,dass die Fallstudien der Unternehmen 1 und 4 in zeitli-cher Nähe zu technologischen Veränderungen erstellt wur-den und sich ggf. einstellende, die Belastungsfolgen poten-tiell moderierende, Adaptationseffekte und Gegenstrategienunberücksichtigt bleiben.

    Weitere Studien sollten deshalb klären, ob und welcheberufsgruppenspezifischen psychischen Belastungskonstel-lationen vor dem Hintergrund der Automatisierung und Di-gitalisierung sichtbar werden und welche gezielten Präven-tionsmaßnahmen daraus abgeleitet werden können. Ebensosollten die hier gewonnenen Erkenntnisse künftig im Längs-schnitt und anhand repräsentativer Stichproben geprüft undbeurteilt werden.

    5 Schlussfolgerungen

    Trotz der dargestellten Einschränkungen und der Notwen-digkeit weiterer Forschung, kann die vorliegende Studieeinen Beitrag zur Beschreibung von aktuellen Digitalisie-rungsprozessen und deren Wirkungen leisten sowie Emp-fehlungen und Hinweise zu Anpassungen des Arbeits- undGesundheitsschutzes geben.

    Kurzum: die gegenwärtige Arbeitswelt ist geprägt vonDigitalisierung und Automatisierung, demographischemWandel, einem Bedeutungszuwachs psychosozialer Be-lastungen bei gleichzeitig hoher Krankheitslast aufgrundpsychischer Erkrankungen. Um dieser Entwicklung zu be-gegnen, bedarf es einer Sensibilisierung der Akteure für dievielfältigen, oftmals ambivalenten Wirkungen der Digitali-sierungsprozesse sowie eines Mentalitätswandels bezüglichpsychischer Belastungen und der Gefährdungsbeurteilungebendieser.

    Diese Veränderungen und eine umfassende sowie konse-quente Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychi-scher Belastung auch in Klein- und Mittelständischen Un-ternehmen stellen eine wesentliche Rahmenbedingung füreine auch in Zukunft gesunde Arbeit dar und sind für einenArbeitsschutz 4.0 unerlässlich. Denn nur, wenn Belastun-gen und Ressourcen bekannt sind, können diese adäquatvermindert bzw. genutzt werden.

    Gleichwohl bedarf es in Anbetracht der Tragweite psy-chischer Belastungen und der vielfältigen Effekte der Digi-talisierung ebenso einer Qualifizierung der Fach- und -Füh-rungskräfte sowie innovativer und tragfähiger Präventions-maßnahmen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass Ver-haltens- und Verhältnisprävention eng verzahnt werden undnicht unverbunden nebeneinanderstehen.

    Werden diese Rahmenbedingungen beachtet und klassi-sche Instrumente mit innovativen Ansätzen verknüpft, sostellt dies die adäquate Reaktion auf die Befunde des Pro-jekts und den Schlüssel für eine gesunde Arbeitswelt 4.0,mentales Wohlbefinden der Arbeitnehmerschaft und, vordem Hintergrund der demografischen Veränderungen, denlangfristigen Erhalt der Arbeitsfähigkeit dar.

    Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass, bei aller Fo-kussierung des Beitrags auf psychische Belastungen, klas-sische Themen des Arbeitsschutzes und physische Gefähr-dungen keineswegs absent sind. Im Sinne eines umfas-send wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und derSchaffung gesundheitsförderlicher digitaler Arbeit sind dasWeiterbestehen der klassischen Gefährdungen und die Ver-schiebungen im Gefüge der physischen Belastungen ebensobeständig mit zu reflektieren.

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    K

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    Digitalisierung und Psyche – Rahmenbedingungen für eine gesunde Arbeitswelt. Ergebnisse des Projektes GAPZusammenfassungAbstractHintergrundDas Projekt „Gesunde Arbeit in Pionierbranchen (GAP)“

    MethodeLiteratursichtungEin- und AusschlusskriterienDatenbankrechercheZusammenfassung der Ergebnisse

    BetriebsfallstudienStichprobe

    ErgebnisseDiskussionLimitierungen

    SchlussfolgerungenLiteratur